„Oma, so geht das nicht! Ihr müsst mit euren Aktionen aufhören, sonst bekommt ihr riesigen Ärger. Was heißt bekommt, ihr habt ihn ja schon. Das ist kein Spaß mehr. Wenn es euch egal ist, dann denkt wenigstens an mich. Ich sitze auf dem Kommissariat in Wittmund und bekomme alles ab.“
Tomke Evers saß mit ihren beiden einzigen Verwandten, Oma Jettchen und Tant’ Fienchen am Küchentisch. Der alte Küchenofen bollerte, auf dem Tisch stand eine Kanne mit schwarzem Tee.
Oma und Tant‘ Fienchen hatten hochrote Köpfe; Tomke war der Verzweiflung nahe. Sie wusste einfach nicht mehr, wie sie den beiden störrischen alten Frauen beibringen sollte, dass ihre Aktionen so einfach nicht gingen.
Ihre letzten Aktivitäten hatten den beiden zwei Anzeigen beschert, die vor Gericht endeten.
„Ach, du schnackst von Spaß, Tomke? Nee, is dat moi. Soll ich der Frau Kommissarin einmal erzählen, was uns keinen Spaß macht?“
„Hauptkommissarin, wenn schon.“
„Schnack nich! Zum Beispiel, wenn hier die Autos durchrasen, die Lkws sich gegenseitig überholen und überbreite Traktoren, groß wie Hochhäuser und so breit, dass sie fast beide Straßenseiten benötigen, zur Erntezeit bis nachts um zwei Uhr Wettrennen veranstalten. Und nicht nur dann!
Dat mokt ken Spaß, mien Deern!
An manchen Tagen ist es so schlimm, dass uns in der Stube die Gläser in den Schränken tanzen.
Dat mokt ken Spaß!
Und wenn man dann denkt, jetzt ist langsam Ruhe, dann geht es auch schon wieder los. Morgens um vier Uhr nämlich.
Dat mokt ken Spaß!
Wenn man Angst haben muss, dass Kinder durch vorbeirasende Traktoren von ihren Fahrrädern geweht werden, oder sie nur mit viel Mühe die Straße überqueren können, auch das macht keinen Spaß!“
Oma hatte sich in Rage geredet.
Ihr Kopf war rot wie der alte Leuchtturm von Wangerooge und so langsam ging ihr die Luft aus. Darum fuhr Tant’ Fienchen fort: „Am allerschlimmsten ist, dass sich keiner darum schert. Keiner auf den Ämtern, kein Bürgermeister interessiert sich dafür und ihr von der Polizei auch nicht. Die scheinheiligste Antwort, die wir bekommen haben, war: ‚Es ist ja noch nichts passiert‘.
Dat mokt ken Spaß!
Selbst unseren Landrat interessiert es nicht. Der reagiert ja noch nicht einmal auf unsere Briefe.
Dat mokt ken Spaß!
Soll ich noch mehr erzählen? Weißt du eigentlich, wie gefährlich der Schulweg für die kleine Marie und auch andere Kinder hier entlang der Bahnhofstraße ist? Und wenn man als mündiger Bürger etwas dagegen tut, wird man auch noch bestraft. Und noch eines! Wenn es ganz schlecht läuft, müssen wir die Reparatur unserer Straßen, die eindeutig von diesen Riesen beschädigt werden, auch noch bezahlen.“
Auch Tant’ Fienchen musste absetzen, um Luft zu holen.
Tomke nutzte die Gelegenheit und ging dazwischen.
„Eure Demo in der Bahnhofstraße vor knapp zwei Jahren oder die Blumenkübel, die ihr letztes Jahr über Nacht aufgestellt habt, waren gelinde gesagt noch harmlos und die Behörden haben alle vorhandenen Augen zugedrückt! Aber eure letzten beiden Aktionen waren der Hammer; die eine war Freiheitsberaubung und die andere Eingriff in den Straßenverkehr und das geht gar nicht!“
Die letzten Worte sprach sie betont langsam aus.
„Über die Strafen, die man euch aufgebrummt hat, dürft ihr euch nun wirklich nicht beschweren.“
„Ach wat!“ Oma winkte ab.
„Dass ihr im September die beiden Traktorfahrer unter einem fadenscheinigen Vorwand aus der Fahrerkabine gelockt und ihnen die Schlüssel geklaut habt, hat dem Ganzen dann doch die Krone aufgesetzt. Ich frage mich übrigens heute noch, wer von euch beiden es geschafft hat, in die Fahrerkabinen dieser riesigen Gefährte zu klettern“, wollte Tomke wissen.
Oma kicherte nur und ging auf die Frage nicht ein.
„Und dafür müssen wir jetzt bezahlen“, fuhr sie lautstark auf, „das muss man sich mal vorstellen! Da tut man als Einziger etwas für die Sicherheit auf unseren Straßen und muss dafür sein Sparbuch plündern. Na ja, wat mut, dat mut, hilft ja nix. Das geht übrigens alles von deinem Erbe ab“, feixte sie. „Selbst schuld, kann ich da nur sagen, wenn du uns auch nicht hilfst!“
Oma konnte sich kaum beruhigen, sie war sich keiner Schuld bewusst.
„Nun mal sachte, Oma. Das hätte auch ganz anders ausgehen können. Der Richter hat die gute Absicht hinter eurer bösen Tat gesehen und war in der Strafbemessung mehr als human. 2.000 Euro Geldstrafe, zahlbar an einen guten Zweck, nun, es hätte auch schlimmer kommen können.“
Tomke schaute die beiden erwartungsvoll an.
Plötzlich funkelten Omas Augen schelmisch und sie stieß ihre Schwester von der Seite an.
„Wenn es auch kein Spaß ist, Fienchen, Spaß gemacht hat es trotzdem, oder? Weißt du noch, wie knatterig die beiden Traktorfahrer geschaut haben, als die Zündschlüssel weg waren? Und die Demo in der Bahnhofstraße von damals, geht als ,Ostfriesendemo‘ in die Geschichte ein. Das soll uns alten Tanten mal einer nachmachen“, kicherte sie.
Tomke schüttelte den Kopf und stand auf.
„Ich muss zurück nach Wittmund, in einer Stunde beginnt mein Spätdienst.“
„Schon wieder? Wann kommt denn endlich Carsten zurück, das kann doch nicht sein ...“
„Du brauchst jetzt gar nicht abzulenken, die Sache ist noch nicht ausgestanden. Und übrigens, wenn ich das nächste Mal komme, möchte ich, dass die Warnbaken, die noch immer draußen im Schuppen stehen, verschwunden sind. Eine weitere Straßensperrung habt ihr doch sicher nicht vor, oder?“ Sie schaute die beiden streng an.
Oma winkte ab, streckte beleidigt das Kinn vor und griff nach ihrer Teetasse.
Tomke küsste ihre beiden Lieben auf die Stirn, seufzte: „Was mache ich nur mit euch“, und verließ die Küche. Als sie die Haustür ins Schloss zog, meinte sie, leises Gelächter zu hören und musste schmunzeln. Wie sie diese beiden guten Wesen liebte ...
Tomke fuhr zurück nach Wittmund, gleich begann ihr Spätdienst.
Der Nachmittag bei ihren Verwandten endete, wie so oft in den letzten Monaten, mit großen Diskussionen um die Eskapaden der beiden alten Ostfriesinnen. Allerdings auch wie das wohlbekannte „Hornberger Schießen“. Großes Getöse und Diskussionen ohne Ergebnis. Die Aktionen von Oma und Tant‘ Fienchen beeindruckten sie zwar irgendwie, aber das konnte sie nicht zugeben, dann würden die beiden Oberwasser bekommen. Die „Ostfriesendemo“ vor zwei Jahren, bei der sie für eine Stunde die komplette Straße blockiert und für viel Aufsehen gesorgt hatten, sowie die „Blumenkübelblockade“ danach, waren schon heftig. Aber die Straßensperrung zwischen „Goldener Linie“ und dem Kreisel bei „Scheidemann“ sowie die Sache mit den gestohlenen Traktorschlüsseln war einfach zu viel. Das durfte sie den beiden nicht durchgehen lassen.
Nun fuhr Tomke zum Nachtdienst und dachte an die letzten, aufregenden Monate. Carsten, Hajo und sie hatten sich auf ihrem neuen Kommissariat in Wittmund gut eingelebt. Die Umstrukturierung, ob nötig oder nicht, war abgeschlossen und sie hatten ein neues Einzugsgebiet.
In Wittmund gab es nun ein neues Kommissariat mit Abteilung für Delikte am Menschen sowie die Kriminaltechnik. Sie waren jetzt für einen Teil der ostfriesischen Küste zuständig, ab der goldene Linie, mit den Inseln Wangerooge, Spiekeroog, Langeoog und dem dazugehörenden Hinterland. Aurich behielt den westlichen Teil und die restlichen Inseln. Es gab einen fließenden, kollegialen Übergang.
Tomke konnte diese Aufteilung anfangs zwar nicht nachvollziehen, aber man begründete sie damit, dass der Verlauf, wenn auch nicht geradlinig, doch sinnvoll sei, da Aurich auch Emden, Leer und den ganzen Grenzstreifen mit seinen Drogenproblemen übernahm. Die Gerichtsmedizin blieb in Wilhelmshaven. Christof Gerdes blieb ihr Chef und hatte sein Büro weiterhin in Wilhelmshaven. Nach einigen Wochen hatten sie sich daran gewöhnt.