Als das Telefon klingelte, wollte Jan Becker gerade das Haus verlassen. Er schloss die Haustür wieder und ging zurück in die Diele.
Das ist sie, hoffte er, na, der werde ich was erzählen, diesem Miststück. Er riss den Hörer aus der Station und brüllte: „Regina, du Miststück, komm zurück und wir vergessen alles.“
„Ich habe nicht vergessen, wo der Koffer mit der Bibel ist“, vernahm er eine jungenhafte Stimme, „ich weiß, was sie wert ist und ich will den Anteil meines Vaters.“
„Du bist Benny, stimmt’s? Was willst du von mir?“
„Den Anteil meines Vaters, wie ich schon gesagt habe.“
„Das ist nicht dein Ernst! Sei froh, wenn ich den Bullen nicht verrate, dass du deinen Vater ...“
„Ich? Wer sagt denn, dass ich das war?“ Innerlich zitterte Benny und war total aufgeregt, aber er versuchte, Becker das nicht spüren zu lassen.
„Mein Blut“, sprach er weiter, „finden die Bullen dort nicht. Aber ich weiß, wem mein Vater ein Messer in den Bauch gerammt hat. Wenn die Bullen das erfahren, zählen sie eins und eins zusammen und haben auch den Mörder meines Vaters.“ Benny schüttelte es. Er weigerte sich innerlich, das Wort „Vater“ auszusprechen. Ab sofort wollte er das nie mehr tun.
„Ich will 20.000 Euro“, forderte er mit fester Stimme.
Während er versucht hatte, den Wert der Bibel in Erfahrung zu bringen, hatte er sich überlegt, dass er für sich und Dirk 20.000 Euro von Becker haben wollte. Für jeden von ihnen 10.000 Euro, das war nicht mehr als recht für diese verdammte Nacht im Museum und eine gute Starthilfe für seine Pilotenausbildung. Was Dirk damit tat, war ihm egal.
Die Bibel war sehr viel mehr wert, aber er wollte es nicht übertreiben. Mit Jan Becker war nicht zu spaßen, das wusste er.
Benny hielt den Hörer etwas vom Ohr weg, denn Becker tobte und brüllte die wüstesten Drohungen ins Telefon.
Er unterbrach Beckers Schimpftiraden: „Ich habe Bilder von der Nacht auf meinem Handy“, log er. „Sie mit der Bibel, mein Alter mit dem Cuttermesser in der Hand. Wenn uns oder unserer Familie etwas passiert, sind Sie dran, dass das klar ist. Ich habe das Bild einem Freund gemailt und der gibt es an die Polizei weiter. Dann weiß die Polizei nicht nur, wer die Bibel geklaut hat, sondern stellt sich sicher die Frage, wer meinen Alten die Treppe hinuntergestoßen hat. Das kann doch nur der Komplize gewesen sein, oder?“
Obwohl er innerlich kochte, bemühte Becker sich, ruhig zu bleiben: „Nun mal langsam, mein Junge, man kann ja über alles reden, aber 20.000 sind zu viel, das bekomme ich selbst nicht dafür. 2.000 könnte ich lockermachen, aber auch erst dann, wenn ich das gute Stück in den Händen habe. Das musst du verstehen ...“
Benny ließ sich nicht darauf ein. „20.000 und keinen Cent weniger. Ich habe nachgesehen, was die Bibel wert ist. Wenigstens eine halbe Million, unter Liebhabern noch viel mehr. Da sollten 20.000 für uns schon drin sein. Wir lassen uns nicht bescheißen.“
Gut, dass Becker Bennys Gesicht nicht sehen konnte, es hatte vor lauter Aufregung rote Flecken angenommen, aufgeregt lief er in seinem Zimmer auf und ab. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und ihm war schlecht.
Dirk stand mit weit aufgerissenen Augen mitten im Zimmer. Sein Freund Benny machte ihm Angst.
Für ein: „Ich melde mich morgen wieder“, reichte Bennys Kraft noch, dann drückte er das Gespräch weg. Erschöpft lehnte er sich gegen die Wand, rutschte ganz langsam daran hinunter und blieb auf seinen Fersen sitzen. Er hatte die Arme um seine Knie gelegt und griff sich an den Kopf. „Mein Gott, worauf habe ich mich da eingelassen?“, flüsterte er leise und schluchzte kurz auf.
Seine Mutter, die unbemerkt in sein Zimmer gekommen war, beugte sich zu ihm nieder und meinte: „Benny, nimm es dir nicht so zu Herzen, nun wird sicher alles leichter.“
Benny fuhr hoch und fauchte sie an: „Kannst du nicht anklopfen?“
„Deine Tür stand auf und ich ...“
„Glaubst du etwa, ich heule dem Kerl auch nur eine Träne nach? Nee, kein Stück, ich bin froh, dass er weg ist, froh, froh, froh ...“, und schlug mit der flachen Hand auf den Boden.
Dann hob er langsam den Kopf und schaute zu seiner Mutter.
„Entschuldige bitte, Mum.“ Er deutete auf Dirk. „Wir haben Hunger, kannst du uns etwas machen? Und kann Dirk heute Nacht bei uns übernachten?“
Dirk schüttelte den Kopf. „Nein“, flüsterte er, „ich will nach Hause.“