Als Tomke ins Büro kam, saßen Carsten und Hajo an ihren Schreibtischen. Hajo arbeitete am Computer, Carsten sah gedankenverloren aus dem Fenster.
„Na, wie weit seid ihr?“, fragte Tomke grußlos. „Habt ihr schon was?“
Sie hatte nach ihrer Joggingrunde ausgiebig geduscht, zum Schluss das Thermostat kurz auf „kalt“ gestellt und nun das Gefühl, Bäume ausreißen zu können.
Warum die beiden Kollegen so untätig herumsaßen, war ihr ein Rätsel.
Hajo blickte kurz auf und sofort wieder auf seinen Bildschirm. Carsten drehte nur kurz den Kopf zu ihr, um dann wieder aus dem Fenster zu schauen.
„Guten Morgen, meine Herren, alles gut bei euch?“, fragte sie dann etwas lauter.
„Aha, es geht doch! Dir auch einen schönen guten Morgen, liebe Kollegin.“
Carsten erhob sich und ging auf Tomke zu, beugte sich über sie und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
„Danke für deinen Einsatz heute Nacht. Danke für deine Freundschaft und überhaupt. Das habe ich Hajo auch schon gesagt, allerdings ohne ...! Kuss meine ich!“
„Da nich für ...!“, wehrte sie ab und strich ihm über die Hand.
„Geht es deinen beiden Mädels gut?“
„Soweit ja! Michaela lässt Marie nicht aus den Augen. Sie nimmt sich ein paar freie Tage und versucht ihren Dienst im ,Abendrot‘ für die nächste Zeit so zu organisieren, dass sie immer gemeinsam mit ihr zu Hause ist. Ich wollte mich für einige Zeit beurlauben lassen, aber das will sie nicht. Ja, und Marie trägt stolz ihren Gips vor sich her. Allerdings sagt sie kein Wort darüber, was passiert ist und wo sie war. Ich habe fast die Vermutung, dass die Tatsache, dass man sie aus dem Auto geschubst hat, viel schlimmer für sie ist als die Entführung selber. Sie sprach nur ganz kurz von dem großen Wagen und von zwei Männern, die mit ihr durch die Gegend gefahren sind. ,Und dann haben die mich einfach aus dem Wagen geschubst‘, hat sie ganz entsetzt gemeint. Zu dem was vorher war, schweigt sie. Die Sache hängt ganz klar mit dem Frankfurter Fall zusammen, da bin ich mir sicher und der Zettel in meiner Tasche spricht auch dafür. Zwei Kollegen aus Frankfurt sind auf dem Weg hierher. Sie werden mit den Kollegen vom Landeskriminalamt aus Hannover zusammenarbeiten und die Scheißkerle hoffentlich fassen. Ich bin raus aus dem Fall und nach Frankfurt gehe ich anschließend auch nicht zurück. Basta.“
Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, lehnte sich zurück und atmete tief durch.
Basta? Tomke grinste!
„Wir sind also wieder das alte, starke Team“, fuhr er fort, „und dürfen gemeinsam am Museumsmord arbeiten. So viel dazu! Zu diesem Fall, dem Museumsmord meine ich, musst du Hajo befragen.“
Tomke nickte und schaute zu Hajo hinüber.
„Jau, Chefin, dann will ich auch mal berichten. Sitzt du gut? Das wird eine längere Geschichte! Also, die verschwundene Bibel ist tatsächlich ziemlich wertvoll und in Liebhaberkreisen sehr begehrt. Als sie damals von der Besitzerfamilie, der Erbengemeinschaft also, an das Museum gestiftet wurde, war das allerdings noch nicht so wirklich bekannt. Als sich dann einige Sammler um das Stück bemühten und die Preisangebote dafür in die Höhe gingen, wollten einige aus der Erbengemeinschaft das gute Stück wieder zurückhaben. Aber da ging dann nichts mehr, alles war notariell verbrieft und besiegelt, wie man so schön sagt. Ich habe hier mal eine Liste der Erbengemeinschaft gemacht und die Personen angestrichen, die damals einen Anspruch angemeldet und Klage eingereicht hatten. Ich denke, das sind diejenigen, die wir zuerst bearbeiten müssen.“
Hajo reichte ihr einen Ausdruck über den Schreibtisch.
„Dann kümmere ich mich mal um den Toten“, warf Carsten ein. „Familie, Freunde, Feinde, Bekannte, Kollegen und Arbeitgeber müssen befragt werden, da müsst ihr allerdings mit ran. Alleine kann ich die nicht abarbeiten. Außerdem hat die Kriminaltechnik schon die ersten Daten geschickt. Liegt alles auf deinem Rechner, Tomke. Groß-Hajo, ich meine Manninga, willst du ja sicher selbst anrufen, oder?“, grinste er. „Ich fang dann mal mit der Arbeitsstelle des Toten in Wiefels an. Vielleicht kann man mir dort etwas über ihn sagen. Hoffentlich stinkt es da nicht zu sehr, aber irgendwo muss ich ja anfangen. Ich bin dann mal weg! Ach so, Chefin, du wirst verzeihen, wenn ich vorher bei meinen beiden zu Hause vorbeifahre und nach dem Rechten schaue?“
„Hau schon ab, Blödmann!“ Tomke schüttelte den Kopf.