<?xml version="1.0" encoding="UTF-8"?> <html xmlns="http://www.w3.org/1999/xhtml"> <head> <title>Küstennächte</title> <link href="../styles/style.css" type="text/css" rel="stylesheet"/> <link rel="stylesheet" type="application/vnd.adobe-page-template+xml" href="../styles/page-template.xpgt"/> </head> <body class="book"> <h2 class="ct"><a id="page_238"/><strong>Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder ...</strong></h2> <hr/> <p class="co1">Als das Telefon klingelte, sprang Greta Frerichs auf. Hoffentlich war das Benny.</p> <p class="pi">„Mein Gott, Junge! Wo bist du? Geht es dir gut? Komm nach Hause, bitte!“, begrüßte sie ihren Sohn. Das Display hatte ihr seine Nummer angezeigt.</p> <p class="pi">„Mum, ich bin mit Dirk unterwegs. Wir sind auf Siebels Boot und da schlafen wir heute Nacht auch. Dirk geht es nicht gut, ich will ihn nicht alleine lassen.“</p> <p class="pi">„Aber ihr könnt doch auch hier, bei uns ...“</p> <p class="pi">„Dirk will nicht. Lass uns bitte. Es ist alles okay.“</p> <p class="pi">„Benny, der Polizist war heute noch mal hier. Er will unbedingt mit euch sprechen. Du musst nach Hause kommen“, bat sie ihn eindringlich. „Dirk kann doch mitkommen. Er kann bei uns bleiben, so lange er will. Sag ihm das.“</p> <p class="pi">„Ich sage es ihm, Mum! Aber heute Nacht bleiben wir hier. Ich verspreche dir, dass wir morgen zum Frühstück nach Hause kommen.“</p> <p class="pi">Greta Frerichs wollte ihren Sohn noch fragen, ob sie denn für heute etwas zu essen dabeihätten, aber er hatte das Gespräch schon weggedrückt.</p> <p class="pi">Sie war verzweifelt. In was war ihr Sohn da hineingeraten? Sie hatte eine Entdeckung gemacht, die ihr keine Ruhe ließ. Er war immer ein guter Junge, ein richtiger Schatz. Nie hatte er ihr Ärger gemacht. Die Schule schaffte er bisher mit links, er rauchte und trank nicht, was für einen Sechzehnjährigen heutzutage nicht selbstverständlich war. Das einzige Problem war sein Vater, sein Stiefvater, aber der war doch nun tot. Ach Junge, mach mir keinen Kummer, dachte sie mit sorgenvoller Miene.</p> <p class="pi"><a id="page_239"/>Ihre Mutter, die sie von ihrem Platz neben dem warmen Ofen mit halb geschlossenen Augen beobachtet hatte, meinte plötzlich leise: „Ja, so ist das, Greta, kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Mit den beiden Jungs stimmt etwas nicht. Ich hoffe, dass sie keine Dummheiten gemacht haben.“</p> <p class="pi">„Ach Mutter, wenn du wüsstest!“</p> <p class="pi">„Ich weiß es, Kind, ich weiß es!“</p> <p class="pi">Greta blickte ihre Mutter überrascht an. „Was weißt du, Mutter?“</p> <p class="pi">„Ich war im Schuppen, Kartoffeln holen, da habe ich es bemerkt.“</p> <p class="pi">„Was?“, fragte Greta ungläubig.</p> <p class="pi">„Tu nich’ so, du weißt doch genau, was ich meine. Die Dose! Sie ist weg. Es wäre mir gar nicht aufgefallen, wenn nicht das Unkrautspritzmittel, das wir im Frühjahr übrig hatten, auf dem Boden gelegen hätte. Ich dachte, die Katze hätte es umgeworfen, die verkriecht sich ja immer gerne in der Ecke, oben auf dem Schrank.“</p> <p class="pi">„Ja, ich weiß, wenn Hinnerk wieder einmal seine Wut an ihr ausgelassen hat.“</p> <p class="pi">„Dabei habe ich es bemerkt. Sie ist weg! Sie hatte immer ihren Platz in der Schublade hinten rechts. Die Lade stand ein wenig offen, was mich sehr verwundert hat. Ich habe hineingeschaut und ...“</p> <p class="pi">„Wir hätten das Zeug nicht aufbewahren dürfen, ich mache mir schwere Vorwürfe.“ Greta stützte ihren Kopf in die Hände.</p> <p class="pi">„Ja, ich weiß, aber wer denkt denn ...“ Die alte Frau stöhnte leise. „... wer denkt denn auch an so was. Wie bist du denn darauf gekommen? Ich habe doch alles wieder aufgeräumt.“</p> <p class="pi">Greta hörte die Frage ihrer Mutter nicht, zu sehr war sie in Gedanken vertieft. „Mein Gott, man darf es sich gar nicht vorstellen“, flüsterte sie.</p> <p class="pi"><a id="page_240"/>„Greta“, fragte ihre Mutter noch mal, „wie bist du darauf gekommen?“</p> <p class="pi">„Ach, ich weiß nicht. Da war so ein Gefühl in mir. Dirk wirkte in der letzten Zeit häufig so bedrückt und verzweifelt. Als die Ärzte ihm am Telefon sagten, dass seine Mutter vergiftet worden sei, hatte ich so einen Gedanken und habe im Schuppen nachgesehen und bemerkt, dass die Dose weg ist. Wenn bloß nicht die Jungs ..., man darf es sich gar nicht vorstellen“, stöhnte sie verzweifelt.</p> <p class="pi">Plötzlich sprang sie auf.</p> <p class="pi">„Ich muss den beiden etwas zum Essen bringen und eine Kanne Tee koche ich auch für sie. Die haben doch sicher Hunger.“</p> <p class="pi">„Weißt du denn, wo sie sind?“</p> <p class="pi">Aber ihre Tochter antwortete nicht, sie war schon auf dem Weg in die Küche.</p> <p class="pi">Johanna Eilts lehnte sich wieder zurück, schloss die Augen und flüsterte leise: „Ach ja, kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen.“</p> </body> </html>