Zu Hause bei Benny


Nachdem Greta, Benny und Dirk zusammen gesprochen hatten, saß Dirk Gärtner noch eine Weile unbeweglich am Tisch in der Stube.

Greta Frerichs redete immer wieder mit ihm. Bat ihn, weiter über seine Mutter, das Gift und das, was zu Hause geschehen sei, zu sprechen. Nur so könne er die Last von sich nehmen. Er sei doch noch nicht volljährig und sicher hätte jeder Richter Verständnis für ihn ... Immer wieder erklärte sie ihm all das, was sie schon seit Tagen immer wieder versucht hatte, ihm begreiflich zu machen.

Dirk reagierte nicht.

Er saß schweigend am Tisch und starrte vor sich hin.

Zwischendurch telefonierte Greta, regelte die Beerdigung ihres Mannes, erledigte einige Hausarbeiten. Alles wie in Trance, nicht wirklich bewusst, eher wie ferngesteuert. Es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Nach einer Weile kam sie in die Stube zurück und fand Dirk nicht mehr an dem Platz, an dem er seit dem Morgen wie festgewachsen gesessen hatte. Johanna Eilts, die wie immer in ihrem großen Sessel neben dem Ofen saß, gab ihr ein Zeichen mit der Hand und deutete auf ihre Knie. Greta ging einige Schritte um den schweren, geflochtenen Stuhl am Esstisch herum und sah, dass Dirk zu Johannas Füßen saß, den Kopf auf deren Schoß gelegt hatte und lautlos weinte. Lass ihn, deutete Johanna an und streichelte ihm immer wieder über den Kopf.

Benny hatte sich zwischenzeitlich mit dem Anzeiger für Harlingerland in sein Zimmer zurückgezogen und den Bericht über den Einbruch in das Sielhafenmuseum gelesen. Die Tatsache, dass die Versicherung einen Finderlohn für die Bibel ausgelobt hatte, ließ ihm keine Ruhe.

„Das wäre es doch“, hoffte er.

„Das sind sicher zehn Prozent“, nahm er an. „Bei dem Wert der Bibel wären das 50.000 Euro! Das ist mehr, als wir jemals von Becker bekommen hätten und dann noch auf ganz legalem Weg. Jetzt muss ich es nur noch geschickt anstellen und der Polizei erklären, wie ich an den Koffer mit der Bibel gekommen bin.“

„Ich werde ihn finden“, kam ihm plötzlich die Idee. „Dort wo er jetzt ist, werde ich ihn einfach finden.“

Schließlich hatte Achim, der Skipper, ihn vor einigen Tagen bereits dabei beobachtet, als er auf dem Ponton des schwimmenden Weihnachtsbaumes war. Ihm hatte er erzählt, dass er dort war, um einmal ungestört zu sein. Und wenn es jetzt wieder hinginge, könnte er doch zufällig ...

„Das ist es!“, rief er laut und hielt sich schnell die Hand vor den Mund. Die Mutter durfte ihn nicht hören. Er hatte ihr fast alles erzählt, aber eben nur fast.

Das war sein Ding und er alleine musste es durchziehen.

Ein Blick auf die Uhr zeigte ihm, dass es eben nach zehn Uhr war. „Dirk sitzt wohl immer noch in der Stube und Mum ist beschäftigt“, überlegte er.

Gegen die eisige Kälte mit einer dicken Jacke, Mütze und Handschuhen gewappnet, verließ er das Haus.

„Bin gleich wieder zurück“, rief er seiner Mutter in der Küche zu. Doch bevor diese ihm antworten konnte, war er schon weg.

Er musste jetzt einen klaren Kopf behalten und alles gut durchdenken. Wie sollte er der Polizei den plötzlichen Fund erklären? Zufall, ganz klar Zufall. Warum nicht? Er fuhr in den Museumshafen, ließ sein Fahrrad neben der Brücke ins Gras fallen und rutschte den Deichhang hinunter. Der Hafen war leer. Keiner war zu sehen. Kein Skipper und auch nicht sein Freund Achim. Er stieg in Achims Ruderboot, machte es los und stieß sich mit dem Ruder ab. Am Ponton befestigte er es und krabbelte unter den Weihnachtsbaum. Gut versteckt unter den Zweigen stand der Alukoffer noch an seinem Platz. Aber, sollte er ihn wirklich heute schon mitnehmen, wenn sie am Nachmittag auf das Polizeirevier fuhren? Würde man ihm diesen Zufall glauben? Besser wäre es sicher, wenn er damit noch ein oder zwei Tage warten würde. Ja, entschied er. Es wäre glaubhafter, wenn er ihn erst in den nächsten Tagen finden und abgeben würde. Sorgfältig schob er die Zweige wieder zurecht und fuhr zurück ans Ufer. Er schaute sich vorsichtig um, aber niemand hatte ihn beobachtet.

Oder?

Als er den Deich zu seinem Fahrrad hochkletterte, stand Achim in der Kajüte seines Schiffes und schüttelte den Kopf. „Was der Junge nur immer wieder beim Baum will?“