1. Kapitel

Sarup, Dänemark

Der stetige Nordwind brachte seit Tagen klirrende Kälte an die jütländische Küste und ließ die Temperaturen tief unter den Gefrierpunkt fallen. Jetzt hatte sich die Nacht über Als gesenkt, und Frost legte sich über die Wiesen und Felder und drang tief in die Böden ein.

Das Haus lag abseits der Straße, halb versteckt hinter einem Band kahler Bäume, in völliger Finsternis.

Jeppe Olsen rollte mit ausgeschalteten Scheinwerfern und im Schritttempo mit seinem Auto über den Asphalt heran, ehe er schließlich in ausreichender Entfernung stehen blieb und den Motor ausstellte.

»Da steht das gute Stück«, sagte sein Freund Ricky auf dem Beifahrersitz und deutete zu der schwarzen Luxuslimousine in der Auffahrt, deren Konturen sich schwach in der Dunkelheit abzeichneten.

»Hauptsache, die Kiste macht keinen Ärger«, murmelte Jeppe.

Früher hatten dünne Metallstreifen mit Zacken und Haken ausgereicht, um ein Fahrzeug zu knacken, doch mit voranschreitender Sicherheitstechnik und elektronischen Wegfahrsperren war ihre Arbeit an spruchsvoller geworden. Zumindest, wenn die Besitzer zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen getroffen hatten. Doch das taten die wenigsten.

»Ich hab das ausgecheckt.« Ricky beförderte zwei kleine Geräte aus seiner Tasche. »Der Schlitten hat ein Keyless-Schließsystem mit digitaler Funktechnik. Die Leute haben echt keine Ahnung. Anstatt das Zeug zu deaktivieren, blättern sie dafür noch jede Menge Asche auf den Tisch.«

Jeppe nahm das Haus in Augenschein. »Bewegungsmelder oder Kameras?« Die Menschen in der Gegend waren vertrauensselig, und beides gab es hier nur selten.

Ricky schüttelte den Kopf.

Jeppe fühlte sich unwohl in seiner Haut. Etwas ließ ihn zögern. »Vielleicht sollten wir das Ganze doch lieber lassen. Ich habe echt keine Lust, dass die Bullen bei uns auf der Matte stehen.«

»Du willst kneifen?« Ricky sah ihn ungläubig an. Sein rechtes Augenlid hing wie gewohnt auf halbmast und gab seinem Aussehen etwas Verschlagenes. Auch seine zahlreichen Tätowierungen, sein Dreitagebart und der kleine goldene Ring an seinem linken Ohr trugen dazu bei.

Äußerlich hätten sie sich tatsächlich nicht unähnlicher sein können. Während Ricky klein, sehnig und dunkelhaarig war, fiel Jeppe vor allem durch seine Größe – er kratzte an der Zweimetermarke – sowie die hellblonden Haare auf.

»Wir waren uns doch einig«, schob sein Kumpel empört hinterher. »Nur ein einziger Deal. Wir schaffen den Schlitten zu den Polen, greifen die Kohle ab, und zack, das war’s. Das ist eine sichere Kiste.«

»Es klingt, als würden wir mal eben ein Handy verticken. Was, wenn die Leute wach werden?«

»Werden sie nicht«, versicherte ihm Ricky eifrig. »Die merken das nicht vor morgen früh. Und da ist die Karre längst über die Grenze geschafft, und wir liegen in unseren Betten. Mensch, Jeppe. Die Gelegenheit ist perfekt.« Er wies mit ausgestreckten Händen auf die Luxuslimousine. »Die Kohle steht genau vor unserer Nase. Und an Silvester lassen wir es dann so richtig krachen.«

Jeppe dachte an die vereinbarte Summe, die sie für den Wagen bekommen würden. Er knickte ein. »Von mir aus. Aber lass uns noch ein paar Minuten abwarten.«

»Hauptsache, wir sind bis dahin nicht erfroren.« Rickys Blick war auf die Windschutzscheibe gerichtet, die von innen langsam beschlug. »Es ist echt scheißkalt.« Er beförderte einen Klumpen Snus unter der Oberlippe hervor, öffnete die Beifahrertür und ließ den Kautabak im Freien verschwinden.

Jeppe atmete tief durch. »Also gut. Legen wir los.«

»Hier.« Ricky reichte ihm eines der beiden kleinen Geräte, mit denen sich das Funksignal eines Autoschlüssels abfangen ließ. »Stell dich damit in die Nähe der Fahrertür, dann geh ich zum Hauseingang.«

Jeppe nickte. Er war mit der Elektronik von Autos bestens vertraut. Wenn einer von ihnen etwas nicht auf die Kette bekam, dann war es in der Regel Ricky. Zumindest hatte er sich schon einmal erwischen lassen. »Dann los!«

Sie stießen die Autotüren auf.

Der Mond versteckte sich hinter einem Vorhang dichter Wolken, kräftiger Wind wehte vom Kleinen Belt ans Ufer und blies Jeppe kalt ins Gesicht.

Im Schutz der Büsche schlichen sie zum Haus. Kies knirschte unter ihren Sohlen, als sie schließlich die Einfahrt betraten, und Jeppes Puls beschleunigte sich. Die Fenster am Haus waren geschlossen, nirgends schimmerte Licht. Blieb nur zu hoffen, dass die Bewohner fest schliefen.

Jeppe blieb an der Fahrertür der Limousine stehen, während Ricky weiter zum Hauseingang huschte. Das Herz klopfte ihm jetzt bis zum Hals.

Im nächsten Moment erkannte das Fahrzeug das Gerät in seiner Hand als Schlüssel, und die Tür ließ sich öffnen. Jeppe rutschte hinter das Lenkrad, drehte den Knopf der Scheinwerfer in den Ausschaltmodus und startete den Motor.