Bildung 3.0: Frauenaufstieg zulasten der Männer?
Große Veränderungen, die sich erst über einen langen Zeitraum vollziehen, werden von denen, die sie erleben, oft gar nicht recht bemerkt. Es hat Jahrzehnte gedauert, bis die bundesrepublikanische Gesellschaft realisierte, dass Deutschland ein alterndes und schrumpfendes Land in einem alternden und schrumpfenden Kontinent ist. Einer anderen dramatischen Veränderung mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen, die Mitte des 20. Jahrhunderts einsetzte, wurde viel zu wenig Beachtung geschenkt: dem sinkenden Erfolg von Jungen und Männern in den Bildungssystemen in den westlichen Ländern. Während die administrativen Spitzen der Bildungssysteme und die Professuren an den Universitäten fast überall noch mehrheitlich mit Männern besetzt sind, hat im unteren Bereich der Pyramide ein gravierender Umbruch stattgefunden: Jungen sind die Bildungsverlierer, sie stellen die deutliche Mehrheit der Schulabbrecher und Sonderschüler. In Deutschland ist ihre Zahl noch höher, die Zahl männlicher Akademiker zugleich niedriger als anderswo.45
Ein Land, das sich auf dem Weg in die postindustrielle Wissensgesellschaft befindet und dabei weniger männliche Akademiker ausbildet als früher? In dem die männliche Qualifikation vor allem auch an der Spitze sinkt? Wie soll das aufgehen? Und wie viele männliche Talente werden so vergeudet, in Sackgassen und tote Kanäle geleitet, mit durchaus unschönen Konsequenzen für den privaten Lebenserfolg, für das Selbstbewusstsein, für das Familiengefüge und für Wirtschaft und Sozialstaat!
Der Abschied der Männer vom Bildungssystem
Im Durchschnitt machen heute nur etwa 20 Prozent der jungen Männer eines Jahrgangs bei uns das Abitur, gegenüber 30 Prozent der jungen Frauen. Unter den Abiturienten finden sich also nur 40 Prozent Jungen, mit sinkender Tendenz46, in den neuen Bundesländern ist ihr Anteil mit am geringsten. Deutschland hat besonders wenige weibliche Top-Führungskräfte und ist zugleich, mit den USA47, ein Land, in dem die männliche Akademikerquote gegenüber der letzten Generation in absoluten Zahlen rückläufig ist. Promotions- und Habilitationstitel werden hierzulande zwar noch etwa zur Hälfte von männlichen Akademikern erworben, doch wird ihr Anteil entsprechend ihrer geringen Studierquote wahrscheinlich weiter sinken.48
Diese Zahlen, die in ihrer ganzen Bedeutung in der breiten Öffentlichkeit noch viel zu wenig thematisiert werden, verdeutlichen einen allgemeinen Trend in der westlichen Welt, der sich auf die Formel bringen lässt: Je stärker die Gleichberechtigung der Geschlechter insgesamt in einem Land ausgeprägt ist, desto niedriger der Bildungserfolg von Jungen!49
Vorbei die Zeiten, als der Lateinunterricht Jungen vorbehalten und das Studium für Frauen nicht zugänglich war. Ein für alle Mal vorbei. Bildung ist heute insgesamt mehr Frauen- als Männersache! Zwar ist die hohe Bildungsbeteiligung von Frauen uneingeschränkt als wichtiger Emanzipationsschritt und als Chance für die Zukunft zu begrüßen, da es gelungen ist, die Begabungsreserven der Frauen besser zu erschließen. Niedrige Bildungsquoten bei den Männern und eine zu geringe Ausschöpfung männlicher Begabungsreserven sind aber gewiss kein Erfolgssignal – weder für die Jungen und Männer selbst, noch für die Frauen.
Nicht alle teilen diese Einschätzung. Etliche Expertinnen sehen diese Entwicklung eher als einen überfälligen Akt des Ausgleichs, schließlich seien Frauen an der Spitze auch des Bildungswesens immer noch unterrepräsentiert und die Männerdominanz in der Vergabe von Top-Positionen ungebrochen. Andere hoffen, der männliche Akademikermangel werde dazu führen, dass Frauen automatisch leichteren Zugang zu Top-Positionen finden und sehen das Problem deshalb eher gelassen oder sogar mit klammheimlicher Freude. Jetzt sind eben die Frauen dran! Doch werden wir sehen, dass dies ein Trugschluss ist: Männerdominanz lässt sich auch mit wenigen Männern an der Spitze aufrechterhalten, sofern die Grundmechanismen nicht verstanden und verändert werden. Nicht nur der Vatikan ist ein Beispiel dafür!50
Eine Folge der weiblichen Bildungsdominanz aber wird darin bestehen, dass viele bisher sehr angesehene Berufsbilder in den kommenden Generationen ihr Image wohl drastisch verändern werden. Der patriarchale Arzt wird durch die gesprächsbereite Ärztin, der honorige Anwalt durch die tüchtige Anwältin ersetzt – aus Berufen, die bisher eher mit Ehrfurcht betrachtet wurden, werden mäßig bezahlte und mäßig angesehene funktionale Dienstleistungstätigkeiten. So war es, zumindest im Bereich der Medizin, bereits in den sozialistischen Ländern, wo vorwiegend Ärztinnen tätig waren. Wenn Tätigkeiten frauendominiert sind, lösen sich Status und Nimbus auf, Bescheidenheit zieht ein, die Gehälter sinken. Je mehr Bildung weiblich wird, umso eher wird sie zum Gebrauchswert und gilt nicht mehr als Statussymbol. An der Spitze, in den Chefetagen und in der Machtelite muss sich deshalb noch nichts grundstürzend verändern. Denn wer dazu zählt, entstammt nicht zwingend der Bildungselite – dies war schon im Mittelalter so, wo Ritter und Krieger mit ihren Rüstungen und Waffenspielen das Land beherrschten, unterstützt von einer schriftkundigen und verwaltungskompetenten Ministerialenschicht, die das System erst funktionsfähig machte. Auch die Investmentbanker und Top-Manager von heute sind meist keine Intellektuellen; Fach- und Führungskompetenz ist nicht unbedingt mit akademischen Bestleistungen verknüpft. Zwar werden akademische Grade durchaus als schmückendes und Wert steigerndes Dekor angesehen, aber nicht unbedingt als Qualifikationsnachweis für Führungsaufgaben.
Gute Bildung ist jedoch für das Funktionieren des Systems insgesamt tatsächlich immer unverzichtbarer, und gerade Frauen erwerben – als Juristinnen, Biologinnen, Betriebswirtinnen, Wissenschaftlerinnen, Verwaltungsfachfrauen – immer mehr für das reibungslose Funktionieren der Gesellschaft notwendige Kompetenzen. Doch für den Zugang zur Macht ist anderes erforderlich: eine ganz bestimmte Mischung von Einstellungen, Codes und Kulturtechniken, über die Frauen oft weniger verfügen als Männer. Ohne eine Öffnung der Strukturen zugunsten weiblicher Einstellungen und Kulturtechniken bleibt den Frauen der Zugang zu einflussreichen Top-Positionen versperrt.
Exkurs: Weiblicher Bildungserfolg als Glücksbremse
Wir reden meist nur über die ökonomischen Kosten des Scheiterns von Jungen in unseren Bildungssystemen, über Fachkräftemangel, hohe Sozialkosten und den Ausfall für die Rentenkassen. Aber der sinkende Bildungsstandard junger Männer hat auch – gewissermaßen als unerwünschte Nebenwirkung – Auswirkungen auf die Glückspotenziale beider Geschlechter. Nicht zu unterschätzen ist, wie sehr er die Lebensprobleme beider Geschlechter akut verstärkt. Am unteren Rand der Gesellschaft wächst die Armut, weil Frauen sich ungern mit Männern verbinden, die aufgrund fehlender Schulabschlüsse keine ökonomische Stabilität bieten können – es steigen die Zahlen von alleinerziehenden Müttern, deren Einkommen aber wiederum nicht wirklich ausreichen, um Kindern ein sicheres Aufwachsen zu bieten. Doch auch für hoch qualifizierte Frauen sind Partner mit niedrigerer Bildung oft wenig attraktiv, selbst dann, wenn diese über ein gutes Einkommen verfügen. Der Status eines Partners macht sich für gut gebildete Frauen nicht mehr primär am Einkommen, sondern eher an seiner Bildung fest. Wenn das Bildungssystem deutlich weniger männliche Absolventen mit hohen Abschlüssen hervorbringt als Frauen, ist für die spätere Partnersuche ein großes Dilemma vorfabriziert, denn die Bilder eines starken und potenziell überlegenen Partners sind tief in der Psyche von Frauen verankert. Die schlechten Schüler von heute sind also häufig die weniger gebildeten und damit eher unbegehrten potenziellen Partner von morgen.
Denn für gut gebildete Frauen ist der gleichwertige verbale und intellektuelle Austausch mit dem Partner eine ganz entscheidende Beziehungsdimension. Schon bei gleichem Bildungsstand eines Paares ist der Unterschied von Männern und Frauen in ihren verbalen Kommunikationsfähigkeiten oft Konfliktstoff. Je höher die formale Bildung der Frau, desto stärker ist bei ihr das Bedürfnis nach bildungsadäquater Kommunikation. Frauen sind verbale Beziehungsmenschen. Wortarme Beziehungen und mangelnde Interessengleichheit bedrücken sie meist und »turnen sie ab«. Wenn der Partner weder ähnliche Bücher gelesen hat noch ähnliche kulturelle Vorlieben teilt, wenn er zudem eine andere, weniger elaborierte Sprache spricht, wird dieses Dissonanzproblem akut verstärkt.51
Es gibt zwar inzwischen mehr Frauen, deren Partner »jünger, dümmer und ärmer« sind, wie es die Sozialwissenschaftlerin und Gründerin der Europäischen Akademie für Frauen, Barbara Schaeffer-Hegel, einmal provozierend ausgedrückt hat. Dieser Wertewandel ist angesichts der großen Bildungsdiskrepanzen auch unvermeidlich, sonst müssten zu viele Frauen auf Partner verzichten. Aber gelungene Beziehungen bei großem Bildungsgefälle, etwa zwischen einer Ärztin und einem Handwerker, einer Gymnasiallehrerin und einem Autoverkäufer, stellen dennoch auf längere Sicht eine enorme kulturelle Herausforderung dar, auf die viele Frauen und Männer sich (noch) nicht einlassen mögen oder können. Auch feministische, starke und selbstbewusste Frauen verzichten oft lieber auf einen Partner, als sich an einen bildungsmäßig unterlegenen Mann zu binden. Die Beziehung zu einem Mann mit geringeren Einkommen oder auch einem ganz deutlich jüngeren Mann – etwa Künstler, Schauspieler, kreative Berufe – ist für viele Frauen inzwischen eher vorstellbar.
Für Männer gelten solche Einschränkungen der Partnerwahl viel weniger, neben der gleichwertig gebildeten Frau ist für sie oft de facto auch die jüngere oder weniger gebildete Partnerin eine mögliche Alternative, vor allem, wenn sie attraktiv ist.52
Dies ist nicht nur an der seriellen Partnerinnenwahl vieler mächtiger Männer zu erkennen, sondern auch in der Wissenschaft als Präferenz umfassend dokumentiert.53
Frauen mit einer deutlichen intellektuellen Überlegenheit oder einem sichtbar höheren beruflichen Status wirken – ungeachtet ihrer Attraktivität – nach wie vor oft eher bedrohlich und wenig anziehend auf Männer. Immer wieder erleben gut positionierte Frauen, dass mögliche Partner sich zurückziehen, sobald sie von ihren beruflichen Positionen erfahren. Oft verschweigen Frauen diese Tatsache zu Beginn einer Beziehung so ängstlich wie eine körperliche Behinderung oder Krankheit. Bildung und Erfolg bei Frauen, auch bei attraktiven Frauen, sind nur selten ein Aphrodisiakum für Männer.
Diese Erfahrung – dass der Erfolg ihre Anziehungskraft auf dem Partnermarkt sinken lässt oder ihre bereits bestehenden Beziehungen bedroht – führt dazu, dass viele von ihnen ihre Karriere nicht entschlossen verfolgen. Ich habe in den 1980er-Jahren in einer irischen Supermarktkette im Auftrag der Geschäftsleitung talentierte Verkäuferinnen danach befragt, weshalb sie nicht aufsteigen wollten. Viele gaben an, auf keinen Fall einen höheren Status als ihre Partner anzustreben, das wäre nicht gut für ihre Beziehungen!
Hat eine Frau bereits vor dem Karrieresprung einen Partner gefunden, so kann daraus im besten Fall eine erfolgreiche moderne Partnerschaft entstehen – sofern der Partner diese Rolle akzeptiert und unterstützt. Nicht wenige der heute vorzeigbaren Karrierefrauen mit Familie verweisen darauf, dass ihr Aufstieg sich auch der praktischen Hilfe und emotionalen Unterstützung ihres Mannes verdankt und ihm selbst den Verzicht auf allzu große berufliche Ambitionen abverlangt – oder er hat diese bereits ausgelebt. Oft aber liegt im Karrieresprung von Frauen aber auch der Keim für spätere Trennungen, weil weder die Frau noch der Mann diesen Statusunterschied gut verarbeiten können.
Wir haben es also mit einem mächtigen Paradox zu tun: Berufserfolg und Bildung zahlen sich für Männer auf dem Partnerschaftsmarkt aus, machen Männer anziehend für Frauen – und trotzdem halten sich Jungen und Männer immer öfter von den Bildungswegen fern oder werden daraus verdrängt. Für Frauen gilt genau das Gegenteil: Bildung und Berufserfolg mindern ihre Chancen auf dem Partnerschaftsmarkt ganz direkt, sie bezahlen dafür oft mit einem gewissen Verzicht auf privates Lebensglück.54 Die hohe Zahl kinderloser Frauen in Führungspositionen in Deutschland belegt dies: Weibliche Führungskräfte zumindest in Westdeutschland leben viel öfter allein und haben viel seltener Kinder als männliche Führungskräfte.55 Und dennoch streben Frauen unverdrossen nach mehr Bildung.
Es wäre falsch, diese »privaten« Probleme für trivial zu halten. Menschen streben schließlich nicht nur nach beruflichem Erfolg, sondern auch nach privatem Glück. Und für Deutschland gilt, wie die Sozialwissenschaftlerin Elke Holst56 herausgearbeitet hat, dass die Glückserwartung für beruflich erfolgreiche Frauen in der Gesamtbilanz auch nicht höher ist als die von Hausfrauen.57 Solche Ergebnisse bieten den einen die willkommene Gelegenheit, alte Muster und eine vermeintlich heile Welt zurückzuwünschen. Für die anderen weisen sie auf ungelöste Widersprüche in den Geschlechterrollen hin, die sich wohl noch lange nicht auflösen lassen.
Mangelnde »Artgerechtigkeit«
Es hat lange gedauert, bis sich die Erkenntnis Bahn brach, dass ein massenhaftes Zurückbleiben von Jungen strukturelle Ursachen haben muss. Inzwischen wird sie in ganz Europa als »boy crisis« diskutiert. Sie wird allerdings teilweise von der Debatte über die Machokultur in Migrantenmilieus überlagert, weil sich dort das Schulversagen besonders heftig zeigt – obwohl das Bildungsproblem von Jungen keineswegs auf Zuwandererfamilien beschränkt ist. In den neuen Bundesländern etwa gibt es nur wenige Migranten, aber eine hohe Zahl von Jungen, die die Schule ohne Abschluss verlassen.58
Mir selbst hat sich die Brisanz dieser Entwicklung in Ausmaß und Bedeutung lange nicht erschlossen. Jahrelang war ich – ganz im Einklang mit dem Zeitgeist – mit der Entdeckung der mannigfaltigen realen Entfaltungshemmnisse von Mädchen und Frauen beschäftigt. 1975 hatte ich, im Zuge des Aufbruchs der neuen Frauenbewegung, als junge Verlegerin mit meinen Kolleginnen zusammen das Buch Was geschieht mit kleinen Mädchen? der italienischen Autorin Elena G. Bellotti veröffentlicht, das aufzeigte, wie Mädchen schon in der Familie weniger wahrgenommen und gestreichelt wurden, wie sie in der Schule marginalisiert blieben, wie Jungen von klein auf mehr Aufmerksamkeit und Erfolg ernteten. Das Buch war damals ein Augenöffner für viele Facetten der Benachteiligung von Frauen, die wir bis dahin gar nicht bewusst wahrgenommen hatten. Es war Teil einer Bewegung, die eine stärkere Berücksichtigung der Interessen der Mädchen in den Lehrplänen und neue Rollenbilder für Frauen in den Schulbüchern einforderte, in denen sie bis dahin vorzugsweise als treu sorgende Mütter, nicht aber als Ärztinnen und Polizistinnen auftauchten.
Meine eigene Schullaufbahn von Mitte der 1950er-bis in die 1960er-Jahre war noch ausgesprochen beispielhaft für die Aussortierung von Mädchen an unseren höheren Bildungsanstalten: In unserem humanistischen Gymnasium waren wir in der 5. Klasse, damals Sexta genannt, mit 33 Kindern gestartet, etwa ein Drittel davon Mädchen. Meine fortschrittlichen Eltern hätten mich lieber auf ein neusprachliches Gymnasium geschickt, aber ich wollte unbedingt auf die altsprachliche Schule, nicht um Latein zu lernen, sondern weil sie koedukativ war und ich auf keinen Fall nur mit lauter Mädchen im Klassenraum sitzen wollte! Die Lehrer an unserer Schule waren überwiegend Männer, es herrschte ein strenges Regiment, das Abfragen der Lateinvokabeln am frühen Morgen war ein gefürchtetes Ritual, nicht frei von Häme, Beschämung und Spott, falls ein Wort nicht einwandfrei konjugiert werden konnte. Besonders auf uns Mädchen wirkte ein solcher Stil einschüchternd und demotivierend.
Für die meisten Mädchen meiner Klasse wurde Griechisch, das damals in der 8. Klasse, der Untertertia, hinzukam, dann zum Sargnagel ihrer humanistischen Karriere. Der Griechischlehrer, ein noch unsicherer junger Mann mit Hornbrille, betrat unsere Klasse morgens mit dem teils ironischen, teils ernst gemeinten Spruch: »Wennste nicht geschunden wirst, wirst du nicht erzogen!!« – den wir, halb lachend, halb stöhnend, gern auf Griechisch zitierten. Dem Fach eilte der Ruf voraus, besonders schwierig zu sein. Die Ängste waren groß, das für den Erfolg so wichtige Selbstvertrauen der Mädchen schon geknickt, bevor das Lernen überhaupt losging, alles an diesem Unterricht war ähnlich abschreckend, so wie es heute das Fach Mathematik in den oberen Klassen für viele Schülerinnen ist. Jedenfalls nahm das Schicksal seinen traurigen Lauf. Fast alle Mädchen wurden aussortiert, »verstoßen«. Meine Freundinnen wechselten auf das von mir verachtete neusprachliche Mädchengymnasium über und legten dort schließlich fast durchweg ein gutes Abitur ab, wurden Lehrerinnen, Apothekerinnen, eine von ihnen sogar Professorin. Nur die Tochter eines Ärzteehepaars und ich überlebten diesen Selektionsprozess. Natürlich schieden auch Jungen aus, aber es traf die Mädchen mit ungleich größerer Wucht.
Vor allem einige Kinder aus eher bäuerlichem Milieu hatten die Schule schon früher, meist bereits nach wenigen Monaten qualvoller Bloßstellung als »Tölpel« verlassen. Sie waren mit großen Hoffnungen aus ihren jeweiligen Dörfern auf dieses Gymnasium geschickt und dann für zu dumm befunden worden. Es »überlebten« vor allem Kinder aus Akademikerfamilien, 13 an der Zahl. Diese soziale Auslese kennzeichnet unsere Gymnasien bis heute – wie seit der Pisa-Studie bis zum Überdruss bekannt ist. In humanistischen Gymnasien heute ist die Lage anders. In der Regel werden sie stärker von Jungen besucht, doch inzwischen ist der Anteil der Mädchen, die dort scheitern, meist geringer als der der Jungen. 59
Ich weiß nicht, was damals an meiner Schule die Ursachen für das Scheitern der Mädchen waren – vielleicht die Unterrichtsmethoden, die Inhalte, der latente Schrecken, der über der Lernatmosphäre lag, die Fremdheit des Stoffs, die endlose Befassung mit männlichen Heerführern und Staatsmännern bei totaler Abwesenheit einer Alltagsdimension? Lediglich die historisch überlieferte Tatsache, dass in Sparta Mädchen im Sport gleichberechtigt erzogen wurden und nackt (!!) an den gemeinsamen Ertüchtigungen teilnahmen, ist mir zum Thema Geschlechter aus jener Zeit im Kopf geblieben – sowie ein leichtes Unbehagen, wenn unser Lateinlehrer süffisant lächelnd über den Raub der Sabinerinnen durch die Römer berichtete, immerhin ein frühes Zeugnis von Massenvergewaltigungen im Krieg. Aber meine eigene Interpretation des Geschehens an dieser Eliteschule war damals kaum anders als die der Lehrer; wie sie glaubte ich, dass die gescheiterten Mädchen zu sehr mit pubertären Wünschen befasst waren, dass die Tanzstunde ihnen den Kopf verdreht hatte und sie einfach nicht den Fleiß oder die »Begabung« für dieses Fach besessen hatten.
Als meine Söhne in den 1980er-Jahren in der Holledau in Bayern das Gymnasium besuchten, erlebte ich das Drama der Ausgrenzung von der anderen Seite – sie verbrachten schwere Schuljahre an einem Kleinstadtgymnasium. Heute hat der eine promoviert, der andere hat ein Promotionsstipendium, und die Wunden des Nichtversetztwerdens sind hoffentlich allmählich vernarbt. Ich interpretierte die Schulprobleme meiner Söhne seinerzeit als Mischung aus fehlender Ganztagsschule und der Tatsache, dass ich in der Gymnasialzeit nicht bei ihnen lebte, dass sie trotz eines kooperativen Klimas zwischen ihrem Vater und mir, ihrer Mutter, insgesamt zu wenig Begleitung im Alltag fanden. Heute sehe ich solche schwierigen Schulbiografien anders. Ich glaube, dass die Entfremdung meiner Söhne gegenüber der Schule durchaus auch jungenspezifische Ursachen hatte – auch wenn es ganz sicher geholfen hätte, wenn die Familie »intakt« geblieben wäre oder zumindest eine gute Ganztagsbetreuung existiert hätte. So aber wurden sie zu Pionieren des Fernseh- und Computerkonsums, nur gemildert durch Fußballverein, Handball, durch eine liebevolle und Schweinebraten kochende Nachbarin und intensives Draußenspielen mit Nachbarskindern auf einem alten Bauernhof.
Meine Söhne waren da keine Ausnahme. Auch bei den Söhnen von Freundinnen und Bekannten sah ich, wie oft sie im Schulsystem strampelten und strauchelten – während die Töchter zwar nicht immer glänzten, aber doch eher reibungslos ihren Weg gingen und erst später in der Berufsfindungsphase oder bei der Gründung ihrer jungen Familien in die üblichen Krisen gerieten.
Erst seit ich mich gründlich mit den Ursachen für den Misserfolg von Frauen beim Aufstieg in die Chefetagen der Wirtschaft befasse, den ich täglich bei meinen Kundinnen erlebe, ist mir eine augenfällige Verbindung bewusst geworden: Jungen bekommen heute im Schulsystem nicht das, was sie brauchen, und Frauen nicht in der Arbeitswelt. Es sind zwei Kehrseiten des gleichen Problems: Das jeweilige Scheitern hat, über Kreuz, die gleichen Ursachen – gewissermaßen und überspitzt gesagt: eine mangelnde »Artgerechtigkeit« von Strukturen.
Weibliche Dominanz an den Schulen
Statistisch lässt sich in allen OECD-Ländern eine parallele Entwicklung zwischen einem höheren Frauenanteil in der Lehrerschaft und einem relativen Rückgang des Schulerfolgs von Jungen feststellen. Oft wird heute deshalb die »Verweiblichung« des Schulsystems als Ursache für den mangelnden Bildungserfolg von Jungen angeprangert. Man kann es auch anders ausdrücken: Je mehr Gleichstellung in einem Land herrscht, desto mehr Frauen werden aufgrund der zunehmenden weiblichen Bildungsbeteiligung in der Regel auch Lehrerinnen; und mit ihnen steigt der Anteil der erfolgreichen Schülerinnen. Stagniert die Zahl der Lehrerinnen, so stagniert auch die Zahl der Abiturientinnen.60
Angesichts dieser statistischen Zusammenhänge wird nun oft gefolgert und gefordert, in Kindergärten und Grundschulen einfach wieder mehr männliche Lehrkräfte zu beschäftigen und die Zahl der weiblichen Lehrkräfte im Gymnasium und an der Universität nicht »überhand« nehmen zu lassen: Dann würden auch Jungen und junge Männer wieder erfolgreicher in ihren Bildungskarrieren sein. In den Konzepten zu einer neuen Jungen- und Männerpolitik, wie sie etwa Familienministerin Kristina Schröder in ihrem Ministerium seit 2010 formuliert und im Koalitionsvertrag der Bundesregierung festgeschrieben sind, wird diesem Ansatz große Bedeutung beigemessen.61
Ich stimme, um dies vorwegzunehmen, der These von der »Verweiblichung« des Schulwesens als strukturelles Erfolgshemmnis für Jungen zu – ebenso wie nach meiner Auffassung gerade die kulturelle Dominanz von »Männlichkeit« in der Wirtschaft ein zentraler Grund für den fehlenden Karriereerfolg von Frauen ist. Allerdings ist weder Verweiblichung noch Männlichkeit hauptsächlich messbar an der Anzahl von Frauen oder Männern innerhalb der Lehrkräfte oder Top-Entscheider. Es handelt sich vielmehr um »geronnene« Formen von Weiblichkeit oder Männlichkeit, verfestigt in Prozessen, Kommunikationsstrukturen, Inhalten, Methoden, Denkweisen, Normen: Ein Bildungssystem kann also Strukturen aufweisen, die für viele Jungen und Männer einfach nicht attraktiv, förderlich und zuträglich sind, die sie behindern, kaltlassen, ihre Motivation, ihr Interesse nicht wecken, ihnen keine Freude machen, weitgehend unabhängig davon, ob die einzelne Lehrkraft ein Mann oder eine Frau ist. Auch ein Unternehmen kann so organisiert sein, dass seine Anreize, Belohnungssysteme, Rituale, Arbeitsprozesse, ja sogar Produkte für die meisten Frauen nicht attraktiv und interessant sind, ihre innere Motivation nicht konsequent anzapfen oder sogar hemmen – unabhängig davon, ob die Vorgesetzten nun Frauen oder Männer sind. Wenn sich diese Mechanismen einmal verselbstständigt haben, braucht es Veränderungen bis ins Mark, um sie wieder zu öffnen. Es sind Systeme, die nicht in der Lage sind, die menschlichen Energiequellen umfassend und für beide Geschlechter zu erschließen.
Deshalb ist die Forderung nach mehr Männern in Erzieher- und Lehrerberufen, ebenso wie jene nach mehr Frauen in Führungspositionen, zwar richtig und wichtig, in der Schule aber wird diese Forderung erst dann zu tief greifenden positiven Veränderungen zugunsten von Jungen führen, wenn die jungenfeindlichen Wirkmechanismen im Schulsystem erkannt und abgebaut werden. Dasselbe gilt umgekehrt für Frauen in der Wirtschaft. Kurz gesagt: Mehr Männer im Lehrberuf und mehr Frauen in Führungspositionen sind absolut notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen für eine echte Geschlechtergerechtigkeit der Systeme!
Dass Jungen keineswegs automatisch von einem gleichgeschlechtlichen Lehrer profitieren, zeigen die Ergebnisse von zwei Studien, die davor warnen, allzu pauschale Hoffnungen auf die Erhöhung der Anzahl männlicher Lehrer zu richten, die die »boy-crisis« im Erziehungssystem erfolgreich bekämpfen werde. Marcel Helbig, Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin, hat in seiner Studie »Sind Lehrerinnen für den geringeren Schulerfolg von Jungen verantwortlich?«62 untersucht, inwieweit der Anteil männlicher Lehrkräfte an einer Grundschule die Kompetenzen, Noten und Übergangsempfehlungen bei Jungen und Mädchen beeinflusst. Dabei zeigt sich, dass Jungen weder in ihrem Leseverständnis noch in ihren Mathematik-Kompetenzen von einem höheren Anteil männlicher Lehrkräfte profitieren; hingegen weisen Mädchen bessere Leseleistungen auf, wenn sie Schulen mit einem höheren Lehrerinnen-Anteil besuchen. An den schulischen Übergängen, den für Eltern so entscheidenden Schaltstellen der wichtigsten biografischen Entscheidungen für ihre Kinder, war in den Gymnasialempfehlungen, die Jungen und Mädchen erhielten, kein Einfluss des Geschlechts der Lehrkräfte erkennbar, wohl aber waren sich Lehrerinnen und Lehrer in ihrer negativeren Beurteilung weitgehend einig, wobei sich zu diesem Zeitpunkt die oft schlechteren Leistungen der Jungen allerdings insgesamt bereits verfestigt hatten.
Eine weitere Studie63, die das Geschlecht des Lehrers mit der Kompetenzentwicklung und den Noten von Mädchen und Jungen in Beziehung setzt, zeigt: Hier profitieren weder Jungen noch Mädchen in Mathematik, Deutsch oder Sachkunde von einem gleichgeschlechtlichen Lehrer. Wohl aber leidet die Leseleistung beider Geschlechter, wenn sie vier Jahre lang von einem männlichen Deutschlehrer unterrichtet werden. Ohne die Mechanismen hinter diesem Befund genau identifizieren zu können, zeigt sich, dass der pauschale Ruf nach mehr männlichen Lehrern unbeabsichtigte Folgen haben kann, die sogar beiden Geschlechtern in ihrer Kompetenzentwicklung schaden.
Das spricht keinesfalls gegen die Beschäftigung von mehr Lehrern, diese ist wichtig für eine besser ausbalancierte Lernumgebung gerade für Jungen. Aber sie ist keine mechanische Allzweckwaffe.
Jungen lernen anders – Mädchen auch
Wodurch also, wenn nicht durch das Geschlecht der Lehrkräfte, können Unterschiede im Lernerfolg von Kindern erklärt werden? Wir betreten mit dieser Frage ein Territorium, das in den letzten Jahrzehnten wenig Beachtung fand – auch aus Angst vor falschen rückwärtsgewandten Festlegungen und vor biologistischen Verirrungen. Jungen und Mädchen lernen anders, sie haben andere Strategien, andere Bedürfnisse, andere Kommunikationsstile, andere Motivationsantriebe, Freude an anderen Inhalten oder Darbietungen. Und darin äußern sich auch Reste ihres jeweiligen evolutionären Erbes.64
Evolution erfolgt, wie bekannt, nicht immer durch gezielte Veränderung, sondern meist durch unbeabsichtigte Mutationen. In den Schulen ist anscheinend genau dies zum Teil geschehen, ohne dass wir die Ursachen dieser Mutation kennen und ihre Folgen verstehen. Dort hat sich in den letzten Jahren de facto ein Kommunikations-, Aktions- und Leistungsmuster etabliert, in dem sich, zumindest in den unteren Jahrgangsstufen, Jungen nicht mehr genügend artikulieren und wiederfinden können – mit dem Ergebnis, dass sie sich nun oft an den Rand gedrängt sehen und weniger erfolgreich sind. Offensichtlich ist es viel leichter, Muster zu erzeugen, die entweder das eine oder das andere Geschlecht bevorzugen oder ausgrenzen, als tatsächlich integrative Modelle umzusetzen.
Jungen gehen im Bildungssystem nicht zuletzt deshalb verloren, weil die Arbeitsweisen und Motivationen der Mädchen mit dem heutigen Schulangebot und den Normen der Lehrpersonen besser kompatibel sind – und so die Arbeitsstile und Leistungsfähigkeit der Mädchen unterschwellig zum Maßstab werden.65 Geschlechterunterschiede gerade in intellektuellen Kompetenzen sind nicht festgeschrieben. Frauen sind allgemein so klug wie Männer und umgekehrt. Aber die Zugänge, Schaltungen und Motivationen, um diese jeweils angelegten Potenziale zu entfalten oder auch zu stören, sind teilweise unterschiedlich. Erfolgreicher Unterricht für Jungen und Mädchen, ebenso wie erfolgreiches Management von Männern und Frauen muss diese Zusammenhänge berücksichtigen. Solange wir sie nicht kennen oder bewusst ignorieren und ständig auf ein pädagogisches »Korrekturprogramm« umschalten, werden wir die Jungen für das schulische Lernen nicht zurückgewinnen.66
Der Junge als Perpetuum mobile
Beginnen wir dabei mit dem vielleicht folgenschwersten Unterschied für das heutige Lernen in der Schule: Mädchen sprechen bekanntlich nicht nur früher und flüssiger als Jungen, ihre dafür zuständigen Hirnareale sind Jungen in puncto Reife um Monate voraus, ohne dass Mädchen deshalb generell »intelligenter« sind, vielmehr liegen dem unterschiedlich verlaufende biologische Entwicklungsprozesse zugrunde.67 Mädchen sind auch feinmotorisch geschickter und »sesshafter« als Jungen, bewegen sich hingegen grobmotorisch deutlich später als diese. Kleine Jungen sind im Großen und Ganzen körperlich aktiver, grobmotorisch geschickter und verfügen über ein ausgeprägteres räumliches Wahrnehmungsvermögen. Ihre Muskelmasse ist von Natur aus viel größer als die der Mädchen – auch das ein Erbe der Evolution. Diese Muskelmasse will aber ständig bewegt und trainiert werden, ein biologischer Impuls, eine Notwendigkeit seit der Frühzeit der Menschen in den Steppen Afrikas, der kleine Jungen bis heute überall elementar antreibt. Solche geschlechtstypischen Unterschiede sind nicht in der Erziehung begründet, sie können auch nur sehr partiell durch die Umgebung verstärkt oder abgemildert werden.
Dies alles ist nicht nur durch die Forschung weltweit gesichert, es ist auch die Alltagserfahrung von Eltern und Erziehungspersonen, wobei Ausnahmen wie immer die Regel bestätigen: Es gibt natürlich Mädchen, die körperlich besonders mutig und aktiv, Jungen, die zurückgezogen und eher passiv sind – und nicht alle Jungen sind sportlich. Doch die größere motorische Aktivität von Jungen insgesamt ist eine Grundtatsache, die nicht in erster Linie sozial erzeugt ist.
Der elementare Bewegungsdrang insbesondere von Jungen, ihr intensives Bedürfnis nach körperlicher Erkundung, Erfahrung und Bewegung wird heute strukturell überall eingezwängt und behindert – vom ersten Krabbelalter an. Wohnungen sind eng oder aufgeräumt, Fahrstühle führen dazu, dass viele Kinder nicht einmal mehr das Treppensteigen lernen, vom Rückwärtslaufen ganz zu schweigen, was aber wichtig ist für das Erwerben mathematischer Grundkompetenzen. Eltern sind oft ängstlich bis überängstlich, Mütter ebenso wie teilweise auch Väter, gegenüber Jungen oft genauso wie bei Mädchen. Toben findet viel zu selten statt, Schreien wird nicht gestattet, Laufen ist tabu, Klettern, Springen, weiträumiges Verhalten sind insgesamt äußerst reduziert. Jungen sind aber nicht nur im Kleinkindalter mit einem stärkeren räumlichen Erkundungsdrang ausgestattet und widersetzen sich auch, wie bereits beschrieben, den Anweisungen von Erwachsenen viel stärker und früher als Mädchen. Ihr Lernen ist von Anfang an sehr stark mit Bewegungsabläufen verknüpft, sie müssen Dinge körperlich »erfassen«, erproben, räumlich zuordnen, um sie zu begreifen. Je jünger sie sind, umso wichtiger ist für sie der Gleichklang von intensiver Bewegung, Exploration und Lernen. Kurz gesagt: Langes Stillsitzen blockiert das Lernen insbesondere von Jungen. Auch die Familie bietet in den meisten Fällen für den verlorenen Auslauf keinen Ausgleich mehr – im Gegenteil, hier ist die räumliche Begrenzung meist noch stärker ausgeprägt. Sportvereine, Mannschaftssport und Jugendgruppen, Pfadfinder aller Richtungen verfügten früher über ein großes praktisches Wissen, wie diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann – doch viele Kinder haben zu solchen Angeboten kaum noch Zugang. Es gibt auch Jungen, die ohne all das gedeihen, doch es mindert ihre Chancen beträchtlich.
Für die Lernbereitschaft von Mädchen ist diese körperliche Einengung bei Weitem nicht so nachteilig – ihr körperlicher Explorationsdrang ist schwächer ausgeprägt. Zwar ist auch für sie Bewegung nicht nur aus gesundheitlichen Gründen wichtig, sondern auch, damit sie selbstbewusster, stärker, sicherer und mutiger werden. Doch für ihr schulisches Lernen ist sie weniger ausschlaggebend als für Jungen. Mädchen haben ebenfalls Spaß am Klettern, Balancieren, Laufen und Hüpfen. Doch ebenso gern stehen sie mit ihren Freundinnen zusammen und reden oder kichern oder üben komplizierte choreografische Hüpfspiele. Sie werden nur selten spontan mit der gleichen Intensität wie Jungen katzbalgen, Bällen hinterherlaufen, springen und toben. Für Mädchen sind praktisch alle Tätigkeiten generell mehr mit Worten und Sprechen verknüpft – für Jungen ist dagegen das Wort ein zweitrangiges Medium. Sie können stundenlang nebeneinander sitzen, »Schulter an Schulter« in guter Kameradschaft, etwa vor einem Bildschirm oder beim Basteln, und sich auf das Objekt ihres Interesses konzentrieren, ohne sich anzuschauen oder viel zu reden. Bei Mädchen und Frauen ist stets auch der Austausch – face to face – untereinander wichtig und manchmal wichtiger als die reine Tätigkeit. Dies setzt sich bis ins Berufsleben fort.68
Praktische Konsequenz daraus sollte vor allem sein, dass der Unterricht für kleine Jungen – und auch das Angebot in der Frühförderung – bewegungsintensiv sein und kurze Sequenzen haben muss.69 Eine Frühförderung, die primär auf Lesen, Schreiben und Rechnen abzielt, wie sich es international immer mehr einbürgert, spricht dagegen in Wirklichkeit viel stärker die Reifungspotenziale von Mädchen an.70
Vom Zappelphilipp zum Ritalinkind
Die offizielle Pädagogik ist noch immer vorwiegend damit befasst, die Geschlechteridentitäten gerade von Jungen im Hinblick auf deren Aggressionen abzurüsten, anstatt das Thema unterschiedlicher Lernstile und -motivationen systematisch aufzugreifen und zu integrieren. Ein Großteil der Energie von Lehrkräften wird heute darauf verwendet, kleine Jungen zum Stillsitzen und Ruhighalten zu ermahnen: Nicht wippen, nicht zappeln, nicht mit den Fingern klopfen! Viele Disziplinprobleme von Jungen und letztlich auch Leistungsdefizite sind mit diesem Symptomkomplex verknüpft. Da der Unterricht nicht auf die Dynamik von Jungen eingestellt ist, sind viele Lehrkräfte, ob Frauen oder Männer, deshalb verzweifelt und empfehlen Eltern immer öfter, doch Rat bei einem Arzt zu suchen, in der stillen Hoffnung, der Arzt werde eine entsprechende Diagnose stellen und ein ruhigstellendes Mittel empfehlen. In den USA geschieht das häufiger als bei uns, aber auch in Deutschland kommt es in steigendem und beunruhigendem Umfang vor. Die Eltern suchen dann medizinische Hilfe, bis sie einen willigen Arzt oder eine entsprechende Ärztin finden; es werden Medikamente verordnet, die das unterforderte und hungrige Gehirn ruhigstellen. Ritalin ist heute ein Standardbaustein der Unterrichtsdisziplin an vielen Schulen. Der Preis ist hoch. Viele betroffene Kinder wachsen nachweislich weniger, bleiben körperlich kleiner als es in ihnen angelegt war, manche Kinder werden auch langfristig antriebsloser – eine ziemlich brutale Beschneidung von Möglichkeiten, die gerade für Jungen eine lebenslange Beeinträchtigung darstellt.71
Die Medikalisierung des Symptoms erscheint Eltern und Lehrern heute oft als einziger Ausweg, um die körperlichen Energien von Jungen zu bändigen – zumal dieser Weg als zulässig akzeptiert wird. Meist wissen sie gar nicht, was notwendig wäre, um diese enormen Antriebe positiv zu kanalisieren, oder sie können die Bedingungen dafür selbst gar nicht herstellen: intensive Erlebnisse im Freien, echte Aufgaben und Projekte, die die Kinder körperlich und seelisch anstrengen und die sie auch tatsächlich konzentriert bewältigen und verantwortlich zu Ende führen dürfen. Der Göttinger Neurobiologe Gerald Hüther führt das ADHS-Problem auf die verzögerte Reifung der Frontallappen im Gehirn zurück, die sich letztlich der Verhinderung notwendiger Erfahrungen verdanke, wie sie in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit fast allen Kindern zur Verfügung standen und erst in den letzten Jahrzehnten in der behüteten urbanen westlichen Zivilisation so drastisch beschnitten wurden.72 Er bietet deswegen auch neue Therapieformen an, in denen Jungen einige Wochen auf der Alm verbringen und lernen, sich schwierigen Aufgaben zu stellen.73 Seine Therapien sind umstritten, es gibt Kinder, bei denen sie nicht wirken oder die bald wieder mit Medikamenten behandelt werden müssen, weil die Symptome nicht verschwunden sind. Vier Wochen auf der Alm sind wahrscheinlich auch keine hinreichende Antwort – oder nur in glücklichen Fällen – auf ein lebenslang aufgebautes Defizit und eine Umgebung, die im Anschluss an die Almferien so reizarm und herausforderungsarm bleibt wie zuvor.
Es gibt in den USA Schulen, die ihre Kinder durch Sport täglich mindestens einmal völlig »auspowern« – in diesen Schulen ist das Leistungsdefizit von Jungen gegenüber Mädchen deutlich verringert.74 Bewegung ist, wie wir sehen werden, nicht alles – aber ohne Bewegung ist zumindest für viele Jungen alles nichts!
Schöne Räume gestalten, basteln, schneiden, in Gruppen geordnet zum Park gehen, still sitzen, zuhören, Buchstaben ordentlich aufschreiben – all dies liegt dagegen in der Regel Mädchen mehr. Der verborgene Lehrplan ist also in vieler Hinsicht ein Mädchenlehrplan, weil beim Unterricht in geschlossenen Räumen oder beim Gang zum Spielplatz natürlich Disziplin herrschen muss. Wie dies heute, da es allerorten an körperlichen Herausforderungen fehlt, intelligent verknüpft werden kann mit dem vor allem für Jungen notwendigen Maß an Bewegung, Risikofreude und Widerspenstigkeit, genau das ist eine zentrale Frage. Um sie zu lösen, muss sie aber überhaupt erst einmal als Frage erkannt worden sein.
Hilfe – Gewalt!
Zum Korrekturprogramm heutiger Pädagogik gehört ein weiterer Aspekt, der Jungen in ihrer Entwicklung hemmt: die totale Vermeidung körperlich ausgetragener Konflikte und von Verletzungsrisiken aller Art, in der Familie, im Kindergarten und im Unterricht. Kinder im Schulalter können heute oft keinen Apfel mit dem Messer zerlegen. Wenn sie sich an einem Papierblatt schneiden, wird den Lehrkräften mangelnde Sorgfaltspflicht vorgeworfen – dies ist keine Übertreibung. Ein aufgestoßenes Knie ist ein Versicherungsfall, ein kleiner Sturz eine Verletzung der Aufsichtspflicht. Dem ist – angesichts klagewütiger Eltern und enger Versicherungsvorschriften – nicht leicht zu entkommen.
Es gibt Jungen, die auch ohne Raufereien und Rangeleien auskommen, aber für viele bedeutet dies eine Benachteiligung von Lernmöglichkeiten und Reifeprozessen. Eine jungen- und mädchenfreundliche Schule sollte sich bewusst sein, dass Jungen oft eine besondere Art der Kontaktaufnahme haben: Knuffen, schubsen, einen Schneeball werfen, ringen, einen anderen besiegen sind für sie spielerische Formen der Freundschaftsbildung – gekoppelt mit normaler Hierarchiebildung. Es gibt natürlich auch Jungen, die diese Formen der Kontaktsuche ebenso wenig schätzen wie die meisten Mädchen. Aber für sehr viele Jungen ist dies ein wichtiger Teil ihres sozialen Lernens, so wie viele Mädchen sich spontan etwas zureichen, einander anlächeln oder an die Hand nehmen. Diese Ausdrucksformen sind so legitim wie andere Lebensäußerungen. Jungen müssen allerdings verstehen und respektieren lernen, dass diese Spielformen Regeln brauchen, aber auch, dass sie meist für Mädchen gänzlich unattraktiv sind, dass für das gemeinsame Spiel mit Mädchen also andere Regeln gelten. Dies ist, ich wiederhole es, nicht gleichbedeutend damit, dass Jungen beliebig oder gar ihr Leben lang andere Menschen knuffen und schubsen sollen; sie müssen vielmehr lernen, diese Impulse zu zähmen und spielerisch zu wenden und in anderen symbolischen Formen auszudrücken und zu beherrschen.
Als erwachsene Männer leiten sie sie oft auf Sportveranstaltungen ab, meist als Zuschauer. Die enorme Bedeutung, die Wettbewerbssportarten in allen westlichen Kulturen haben, ist ja letztlich nichts anderes als ein mächtiger zivilisatorischer Kanal für diese mehr oder weniger spielerischen Aggressionen. Milliardenschwere Industrien profitieren davon. Dass so viel Geld, Energie, Infrastruktur, Talent, Ressourcen, Aufmerksamkeit erwachsener Menschen hoch entwickelter Gesellschaften in scheinbar so unproduktive und archaische Aktivitäten wie Fußball, Baseball, Cricket, etc. investiert wird, ist schon ein Indiz dafür, welche Urgewalt sich dahinter verbirgt. Die Antriebe von Frauen, die sich auf den Sport richten, sind in der Regel nicht die gleichen wie bei Männern. Wenn sie ein sportliches Geschehen beobachten, weisen ihre Gehirne mit Sicherheit nicht die gleichen Aktivitätsmuster auf wie die der meisten Männer. All dies gilt, obwohl es selbstverständlich auch Jungen und Männer gibt, denen Mannschaftssport völlig gleichgültig ist, und Frauen, denen Sport extrem wichtig ist.
Im Umgang zwischen Jungen und Mädchen zeigt sich heute, dass auch Mädchen immer öfter mit Jungen raufen – manche Mädchen greifen inzwischen von sich aus Jungen körperlich an. Körperliche Aggression ist aber kein Merkmal, an dem wir den Fortschritt der Emanzipation messen können; sie ist bei Frauen einfach weniger ausgeprägt, auch wenn sie sich heute öfter zeigt. Sie ist eine menschliche Ausdrucksform, stärker angelegt bei Männern, die durch die Zivilisation gebändigt und als Kraft produktiv genutzt sein will.
Augenjungen – Ohrenmädchen
Ein folgenschwerer Schauplatz von Fehlsteuerungen für Jungen liegt in dem Unwissen über eine gewisse Unterschiedlichkeit männlicher und weiblicher Sinnesorgane. Jungen und Männer hören im Durchschnitt deutlich schlechter als Mädchen und Frauen. Ihr geringeres Hörvermögen ist empirisch ausführlich dokumentiert75, aber es ist nicht allgemein bekannt – es ist nicht erst, wie vielfach angenommen, die Folge von zu laut gestellten Kopfhörern der MP3-Player von Jungen in der Teenagerphase. Jungen reagieren auch anders als Mädchen auf akustische Reize: Während bei zu früh geborenen Mädchen eine Therapie mit klassischer Musik die Entlassungszeit aus dem Krankenhaus um fast zehn Tage nach vorne verschiebt, erzielt diese Art der Intervention bei früh geborenen Jungen keinen Erfolg. 76 Mädchen haben auch häufiger ein absolutes Gehör, da mag man noch so oft betonen, dass die musikalischen Genies überwiegend Männer gewesen sind. Erst die Zukunft wird zeigen, wieweit bei besserer Ausschöpfung der vorhandenen musikalischen Potenziale von Frauen dieser Unterschied noch weiter bestehen wird. Jedenfalls sagt die frühere oder spätere Reifung einer Fähigkeit oder auch die Tatsache, dass bei einem Geschlecht bestimmte Kompetenzen häufiger auftreten, nichts darüber aus, ob sich nicht Einzelne später gerade in den Disziplinen hervortun, die bei ihrem Geschlecht insgesamt schwächer ausgeprägt zu sein scheinen. Es gibt sehr viele Männer, die großartige Autoren geworden sind, obwohl die durchschnittliche Sprachmacht von Männern geringer ist als die von Frauen und Jungen viel später sprechen lernen!
Das oft schlechtere Hören von Jungen hat in der Schule von heute Folgen: Lehrerinnen sprechen oft sehr leise, Jungen sitzen oft weit hinten. Sie hören deshalb vieles nicht und schalten ab. Sie gelten dann als Träumer oder als »Verweigerer«, obwohl sie tatsächlich einfach nur schlecht hören. Oft bewirkt dieses schlechtere Hören eine Verstärkung des Zappelns, Herumalberns und der Gleichgültigkeit. Für eine bessere Unterrichtsbeteiligung würde es nach Leonard Sax, amerikanischer Kinderarzt und Entwicklungspsychologe, ausreichen, die Jungen nach vorne zu setzen und lauter zu sprechen, sich zu vergewissern, dass die Schüler auch tatsächlich hören und mitbekommen, was gesprochen wird. Jungen brauchen tendenziell stärkere Sinnesreize, mehr Abwechslung, um ihre Gedanken bei der Sache zu halten und nicht abzuschweifen.
Sie reagieren auch nicht so negativ und verschreckt auf eine laute, aggressive oder bestimmte Stimme wie Mädchen. Mädchen und erwachsene Frauen interpretieren oft den Stimmton eines Vorgesetzten oder eines Partners als aggressiv, selbst wenn dieser sich gar nicht bewusst kritisch oder abwertend äußern wollte.77 Was also für Jungen in der Schule ein angemessener Ton und für ihre Disziplin und ihre Motivation förderlich sein mag, kann Mädchen durchaus demotivieren und entmutigen.
Jungen sind generell stärker augenbasiert78als Mädchen. Das Augentier Mann liebt als Junge andere Farben, und wenn der kleine Junge zeichnet, malt er anders als kleine Mädchen. Seine Netzhaut ist dicker, es werden andere Zellen und andere Kontakte aktiviert als bei Frauen.79 All dies könnte für den Bildungserfolg gleichgültig sein – aber es hat Folgen für die Einschätzung kleiner Kinder durch Erwachsene. Wenn Jungen zeichnen, so sind sie nicht nur feinmotorisch ungeschickter als Mädchen, sie nutzen die Farben Schwarz, Blau, Silber, Mädchen dagegen eine wärmere und buntere Palette.80 Die Lehrpersonen, meist Frauen, finden die Farbpaletten der Mädchen ansprechender und kreativer. Sie loben die Mädchen auch dafür, dass sie oft schon genauer zeichnen können, was gar nicht ihr Verdienst ist, da wir es hier mit Gehirnreifungsprozessen bei der Wahrnehmung und Feinmotorik zu tun haben.
Vor allem aber: Jungen malen vorwiegend andere Inhalte als Mädchen. Betrachten Sie einmal die Kinderzeichnungen in einem x-beliebigen Kindergarten der westlichen Welt; Jungen zeichnen mit oft ungelenker Bewegung meistens Aktionen, sie malen also gewissermaßen Verben: Eine Rakete fliegt und stößt auf ein Schiff, ein Pfeil durchbohrt ein Monster.81 Sie begleiten dies gern mit den unmissverständlichen Lautnachahmungen bewegter Objekte – ihr zeichnen entspricht der Art, wie sie Autos, Playmobilfiguren, Raumschiffe mit der Hand durch den Raum bewegen und mit tatütata-, pfff-pfff-pfff, iiuiiuiiu-Rufen begleiten. Bei Mädchen dagegen lässt sich diese Aktionslautmalerei nur höchst selten beobachten.
Kleine Jungen zeichnen also eher »Verben«, meist in düsteren Farben, Mädchen dagegen Substantive: Gesichter, Sonnen, Blumen, ihre Familien. Häufig drücken sie Beziehungsgeflechte aus, in freundlichen Farben. Sie gelten damit bei den Lehrkräften und Eltern als zeichnerisch überlegen, obwohl sie lediglich einen anderen Zugang zur Welt haben und ihr Gehirn die Welt anders verarbeitet. Jungen dazu zu bringen, wie Mädchen zu zeichnen, ist in der Regel so wenig erfolgreich wie umgekehrt – beide nehmen ihre Umwelt real anders wahr und interpretieren sie anders.
Fließtext für Mädchen, PowerPoint für Jungen
Mädchen können längeren gesprochenen Abschnitten schon im frühen Schulalter gut folgen – sie nehmen dabei komplexe Inhalte auf, verstehen sie und können sie auch wiedergeben, während Jungen dabei oft rasch abschalten. Mädchen bringen die dafür nötige Konzentration auf, und es stört sie nicht, wenn eine Darstellung Schleifen macht und etwas mäandert. Im Gegenteil: Das Sprechen von Mädchen und Frauen untereinander kommt oft über Umwege zum Ziel – Frauen vermögen als Zuhörerinnen dabei durchaus den roten Faden im Auge zu behalten. Dies sorgt für viele Missverständnisse in Beziehungen, für Ungeduld in der Wirtschaft und für viele Witze.
Jungen zeigen früh eine große Vorliebe für symbolisch codierte Sprachen – Abkürzungen, Jargons, Codes wirken auf sie wie Geheimcodes und machen viele Stoffe erst interessant und exklusiv. Während Mädchen gern induktiver, vom Konkreten zum Allgemeinen, vorgehen, keine Mühe haben, längere Texte zu erfassen und – unterstützt von ihren größeren Leseerfahrungen – zu verfassen, profitieren Jungen für ihr Lernen sehr von grafischen Darstellungen und abstrakten verkürzten Vereinfachungen des Stoffs. Einen Stoff in Schaubilder zu verwandeln, in Diagramme, in PowerPoint-Listen, Pfeildiagramme – das animiert sie und erleichtert ihnen seine Aneignung.
Kürzlich habe ich eine Lehrerin interviewt, die schilderte, dass sie ein Thema in der 7. Klasse von Jungen und Mädchen aufbereiten ließ. Einige dynamische Jungen okkupierten dazu den Computer und fassten den bereits bekannten Stoff in wenigen Power Point-Thesen zusammen – die Kollegin war ungemein beeindruckt und fand dies sehr »professionell«. Die Mädchen hatten keinen Zugang zum Computer und begnügten sich damit, den Stoff kreativ zeichnerisch umzusetzen und in ihren Heften wiederzugeben. Die Kollegin aber formulierte erst auf meine Nachfrage, dass die Darbietungen der Mädchen eigentlich mindestens gleich hochwertig waren, den Stoff sogar selbstständiger verarbeitet hatten.
Mädchen erschließen sich die Inhalte eher von der Alltagswelt aus und neigen auch nicht zu solchen Verschlüsselungen, da sie eher an der Einbeziehung des Gegenübers interessiert sind. Dieses Muster zieht sich später auch durchs Berufsleben und erschwert die Kommunikation zwischen den Geschlechtern. Frauen können zwar die Symbolsprachen durchaus kompetent erlernen, empfinden dies aber als umständlich und überflüssig. Männer wiederum werten die »Normalsprache« für die Darstellung komplexer Inhalte oftmals als unprofessionell ab.
Im Unterricht macht es also durchaus Sinn, die Formen der Darbietung zu variieren – und Jungen damit Gelegenheit zu geben, ihr Wissen in Grafiken, Diagrammen, in PowerPoint etc. darzustellen – und es sich so anzueignen. Doch sollte dies nicht höher bewertet werden als die Fähigkeit von Mädchen, Inhalte in komplexen Sätzen exakt wiederzugeben. Wir haben es also mit einem Dilemma zu tun: Ermutigen wir die Darbietung in Grafik und Symbol, so werden wir vielen Jungen besser gerecht, geben ihnen die Möglichkeit, ihren eigenen Zugang zum Wissen einzubringen. Es besteht aber die Gefahr, dabei gerade die besondere Fähigkeit vieler Mädchen zum komplexen Formulieren und auch zum differenzierten Argumentieren zu entwerten. Hinzu kommt: Nicht jeder Inhalt lässt sich durch krasse Vereinfachungen und grafische Reduzierungen optimal wiedergeben.
In der Wirtschaft haben die Männer sich längst durchgesetzt: Der argumentative Text ist durch bunte Schaubilder und Power Point-Präsentationen ersetzt worden.82 Dabei gehen in den Grafiken viele wichtige Teilaspekte und subjektive Faktoren verloren, es werden einseitige Zusammenhänge konstruiert, allzu einfache Wirkungsgeflechte optisch unterstellt, auf X folgt automatisch Y, ausgedrückt in Pfeilen und Kästchen. Generell ist die Fähigkeit und Bereitschaft, komplexe Inhalte jenseits einer Ingenieurslogik zu ertragen oder überhaupt wahrzunehmen, durch das vereinfachte Visualisierungs(un)wesen deutlich reduziert worden. Zwar hat sich inzwischen ein gewisses Unbehagen an der Präsentationskultur breitgemacht – doch die Gleichwertigkeit der Kompetenzen und Denkzugänge der Geschlechter wird dabei nicht mitgedacht, weil über diese Ausdrucksformen gar nicht im Zusammenhang mit dem Geschlechterthema nachgedacht wird.
Wichtig sind neue Verfahren, die ähnlich wie »Mindmaps« erweiterte Assoziationen und Nebenstränge zulassen und aktiv ermutigen, sie mit auszudrücken. Das hilft nicht nur vielen Frauen, sondern auch einem offeneren Denken als Grundlage für Entscheidungen.
Pädagogische Schonkost oder warum Lesen weiblich ist
Während die Kluft zwischen Jungen und Mädchen bei den mathematischen Leistungen sich international langsam verringert, ist die Kluft in den Leseleistungen weiterhin groß und wächst noch mit dem Alter.83 Der Büchermarkt zeigt dies drastisch, mit immer noch steigender Tendenz. Bücher werden heute vor allem von Frauen gekauft und gelesen.84 Die Welt der Bücher wird damit immer mehr zur Frauenwelt – weil es die Welt der Sprache ist. Übersetzer sind heute schon zu über 80 Prozent weiblich. Bücher, vor allem Romane, werden inzwischen zunehmend von Frauen geschrieben – auch wenn diese Literatur, wie Siri Hustvedt, Ehefrau des US-Schriftstellers Paul Auster und selbst erfolgreiche Autorin, kürzlich noch einmal ausführte, im Literaturestablishment noch längst nicht so hoch bewertet wird wie Texte von Männern.85
Misserfolgs- und Unlusterlebnisse von Jungen in der Schule werden oft dadurch verstärkt, dass der Lesestoff, der angeboten wird, ihren Interessen nicht entspricht. Jungen lieben Tatsachen, Sachbeschreibungen, Abenteuerberichte, Helden- und Detektivgeschichten. Früher gab es einen Literaturkanon, der sie ansatzweise begeistern und inspirieren konnte – Winnetou und die übrigen Helden von Karl May, Robinson Crusoe, Lederstrumpf oder Huckleberry Finn. Doch heute, in der Konkurrenz zum schnelleren und aktiveren Computer, finden Jungen ihre Helden und Abenteuer vorwiegend außerhalb der Bücher, in imaginären Welten. Mädchen dagegen lieben, neben dem Gespräch mit ihren Freundinnen, weiterhin Mädchengeschichten, Pferdegeschichten, Beziehungsgeschichten. Beide Geschlechter lieben Harry Potter, aber nur äußerst selten glückt eine so starke Überlappung der Interessenslagen wie bei dieser von einer Frau geschriebenen Internatsgeschichte mit Zauber- und Gruselfaktor.
Gibt es überhaupt Stoffe, die zunehmend des Lesens entwöhnte Jungen ansprechen können? Schafft es eine im Kindesalter eingeübte Kultur des Vorlesens, die ja in Mittelschichtfamilien auch kleinen Jungen zugutekommt, ihre Lust auf Bücher auch noch während der Schulzeit und darüber hinaus aufrechtzuerhalten? Und wenn ja, mit welchen Themen? Sicher ist jedenfalls, dass Jungen auch als mittlere und ältere Schulkinder Stoffe, die sich mit Beziehungen, Gefühlen, emotionalen Familiendramen befassen, weniger schätzen als Mädchen, dass aber solche Stoffe häufig den modernen Lesestoff bestimmen.
Die sogenannte Geschlechterpädagogik hat sich in den letzten Jahren eher für eine andere Frage interessiert – mit welchem Lesestoff sich die klassischen Jungen- oder Mädchenrollen verändern lassen. Aber ehe wir darüber nachdenken, welche Leseinhalte gerade Jungen dazu ermuntern könnten, ihr traditionelles Rollenverständnis zu überwinden, geht es doch darum, sie überhaupt noch für Bücher zu begeistern – oder nicht? In welcher Form kann Literatur die wichtigen Fragen kleiner Jungen aufgreifen: Wer hat das Sagen? Wer ist der Sieger? Wer ist der Held? Welche Abenteuer haben diese Helden erlebt? Sind diese Interessen kleiner Jungen pädagogisch unzulässig? Diese Fragen gehen weit über den Horizont der Kinderliteratur hinaus: Kann und darf es in einem Zeitalter, in dem auch in Wirtschaft und Politik die Helden nicht mehr das Rollenmodell sind und Jungen tatsächlich als Erwachsene andere Rollenmodelle brauchen, überhaupt noch »Helden« geben? In Deutschland ist die Suche nach vorbildhaften Helden ohnehin besonders schwierig. Aber nicht nur hierzulande. Europas Geschichte ist von blutigen Kriegen und Eroberungen durchzogen, die die Unterwerfung oder Auslöschung anderer Völker mit sich brachten. In welcher Form kann und soll also über vergangene Kriege oder »Helden« gelesen und gesprochen werden? Muss in einer Welt der Bürgerkriege und internationalen Militäreinsätze das Bild des Soldaten neu betrachtet werden? Die Geschichte hört ja nicht mit dem Holocaust, der Niederlage Deutschlands und der Gründung der UNO auf – aber darf es den »guten Soldaten« heute wieder geben?
In der religiösen Welt gab und gibt es Heilige und Märtyrer als Identifikationsangebote, die allerdings fast immer unter blutrünstigen Umständen zu Tode kamen. Frankreich zehrt von der heroischen Französischen Revolution oder von der Resistance, egal ob nun alles, was darüber berichtet wird, wahr ist oder nicht. In den USA liefern die amerikanische Revolution und der Bürgerkrieg noch immer Heldengeschichten, ebenso wie der Kampf gegen Japan und Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Mit den Kriegen in Vietnam und im Irak sind solche Geschichten brüchiger geworden, aber immerhin, es gibt sie noch. In Russland ist der »Große Vaterländische Krieg« gegen Deutschland die einigende Klammer, die gerade Jungen starke Bilder liefert.
Auch Widerstandskämpfer bieten theoretisch Identifikationsmöglichkeiten für Heldenwünsche – doch für kleine Jungen ist das nicht leicht zu verstehen, denn Menschen im Widerstand sind oft todgeweihte »Verlierer«. Das traurige Ende des Piraten Klaus Störtebeker, des Bürgerrechtlers Martin Luther King oder auch der Geschwister Sophie und Hans Scholl sind nicht so leicht zugänglich für die Jungenseele wie positive Helden, die sich erfolgreich durchgesetzt haben. Die Geschichten großer antikolonialer Kämpfer sind oft politisch befleckt, Maos langer Marsch oder Fidel Castros Befreiung Kubas endeten im Totalitarismus, kurz: Die reale Welt ist widersprüchlich und gibt lupenreine Heldengeschichten nicht her. Kampf und Waffen gibt es weiter, sie eignen sich aber nicht so recht für das Bildungserleben. Und dennoch bleibt der Wunsch kleiner Jungen nach einer Beschäftigung mit Heldengestalten, Macht und Sieg, tief in ihrem Fühlen verankert – auch wenn das Heldenzeitalter eigentlich vorbei ist. Es geht hier um entwicklungspsychologisch archetypische Denkfiguren, die die Menschen aus ihrer langen Geschichte mitbringen und die weiter wirkmächtig sind, selbst wenn heute andere Spielregeln gelten.
Viele Eltern meiden Märchen oder biblische Geschichten, weil sie ihren Kindern die darin geschilderten Grausamkeiten nicht zuzumuten wollen und die Geschichten dem Stand einer aufgeklärten Gesellschaft nicht mehr entsprechen. Und in der Tat – wie soll ich meinen Enkelkindern erklären, dass der »liebe Gott« die Ägypter im Meer ersaufen ließ, als sie die Juden verfolgten? Dass nur Noah, seine Frau und jeweils ein Tierpaar auf die Arche Noah durften und Gott den Rest der Welt in der Sintflut ertränkte? Dass er Adam und Eva aus dem Paradies verstoßen hat, »nur« weil Eva einen Apfel gegessen hat, den sie nicht essen durfte? Wie erkläre ich, dass die Hexe den Hänsel braten will und die böse Stiefmutter die Kinder im Wald aussetzt, weil es nichts zu essen gibt? Alte Volksmythen scheinen Kindern oft nicht zumutbar, wobei der Psychiater Bruno Bettelheim schon vor Jahrzehnten in seinem Buch Kinder brauchen Märchen auf die wichtige Rolle dieser Mythen zur Verarbeitung von Ängsten hinwies.86 Von der Literatur geht die Zensur bis ins reale Leben: Zu Fasching dürfen kleine Jungen keine Schwerter mitbringen, keine Pistolen. Die so behüteten Kinder sehen sich dann am Bildschirm und in ihrer Umwelt mit Bürgerkriegen, Atomunfällen, Vergewaltigungsgeschichten, Autounfällen konfrontiert und müssen sich ihre Welterkenntnis zwischen den wohldosierten Häppchen der Pädagogik und der grausamen Wirklichkeit zusammensuchen.
Jungen mit ihren stärkeren Aggressionsimpulsen sind aber höchst interessiert an realen wie imaginären Konflikten, die gern auch blutrünstig sein dürfen. Dieses Interesse sollte im Lesestoff aufgegriffen werden, was nicht ausschließt, dabei deutlich zu machen, dass Krieg, Kampf und Heldentaten nicht mehr die Lösungen für Konflikte in der modernen Welt sind. Bleiben aber solche hoch spannenden Themen aus dem Unterricht ausgeschlossen oder werden sie politisch korrekt weichgespült, so greifen Jungen natürlich viel lieber zum Computer, denn mit ihm können sie sich genau die Abenteuer verschaffen, die ihnen bei der pädagogischen Schonkost konsequent verweigert werden.
Für Mädchen sind Themen, die mit Helden, Kampf und Sieg zu tun haben, meist weniger ansprechend. Wie also einen gemeinsamen Nenner im Schulunterricht finden? In der neutralen langweiligen Mitte? Abwechselnd, nach Jungen und Mädcheninteressen? Oder durch getrennte Lektüren?
So sehr die Lesekompetenz unverzichtbar scheint für den Lebenserfolg, so sehr lässt sich heute zugleich beobachten, dass die neue Medienwelt mit ihren Apps, iPads, Tablets und E-Books immer stärker visuell und auf kurzzeitige Impulse orientiert ist.
Es findet also im Hintergrund, aber machtvoll, eine Anpassung der kulturellen Techniken an das Augentier Mann mit seinen insgesamt kürzeren Aufmerksamkeitsspannen und seinem größeren Bedarf an sinnlicher Stimulation statt, in der er Angebote findet, die ihm viel mehr entsprechen als das Buch. Es ist jedenfalls sehr unwahrscheinlich, dass Jungen jemals wieder so stark in die Literatur eintauchen wie früher – für sie ist die Welt der Computer, Konsolen, Applikationen viel attraktiver, aufgrund der größeren Action, der Bildhaftigkeit, der Interaktivität, ja auch wohl wegen der Nähe zur Gewalt.
Intensive Lektüre ganzer Bücher wird also, allen Kulturkritikern zum Trotz, bald vermutlich nicht einmal in der akademischen Welt mehr der Standard sein – die Plagiatskandale rund um prominente Doktortitel weisen ja nur darauf hin, dass Kompetenzen heute flüchtiger sind und in der Realität für immer mehr Menschen vor allem die Fähigkeit zählt, den richtigen Inhalt zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu finden, ob korrekt zitiert oder nicht.
Dieser Trend ist wahrscheinlich unaufhaltsam, und er kann mit dazu führen, dass Mädchen von ihrem enormen Lesevorsprung nicht mehr so profitieren wie bisher. Der quasi naturwüchsige Lernvorteil der Mädchen würde damit – zu ihrem Nachteil und zugunsten der Jungen – zurechtgerückt. Doch für die nächsten Jahre gilt sicher noch: Mädchen sind in der Schule erfolgreicher, nicht zuletzt, weil sie mehr lesen als Jungen. Und solange Lehrerinnen die fantasievolle Ausschmückung von Gegebenheiten, die Erörterung von Gefühlen beim Schreiben und bei der Wahl von Schullektüre höher bewerten, sind Jungen meist von vornherein im Nachteil. Sicherlich gibt es auch Jungen, die sich gewandt ausdrücken und hervorragend gefühlvoll schreiben – gerade unter denen, die das Schulsystem erfolgreich »überleben«. Solche Jungen sind oft eher untypische Vertreter ihres Geschlechts, etwas zurückgezogen, nicht unbedingt Torwart im Fußballverein. Vielleicht stehen sie auch nicht ganz oben in der Rangordnung der Gruppe. Es geht aber darum, dass gerade auch »Normaljungen« eine Chance haben, sich am Schreiben in der Schule und an der Lektüre von Büchern zu erfreuen und mit ihnen zu wachsen – so wie wir uns für typische Frauen mehr Chancen auf echte Herausforderungen in Führungspositionen wünschen.
Der Scheinerfolg guter Noten
Jungen sind mehrheitlich tatsächlich leichter gelangweilt, brauchen also mehr Abwechslung in den Darbietungsformen des Stoffes. Hat ein Thema sie gefangen, so können sie sich mit einer für Mädchen wiederum selteneren ungeheueren Energie in dieses Thema stürzen, Vorbote des »Tunnelblicks« und des sehr zielgerichteten Fokussierens von Männern, das später im Berufsleben für viele die Basis ihres Erfolgs ist.87 Genau an dieser Bruchstelle gehen heute aber viele Jungen dem Bildungswesen schon früh verloren: Sie fühlen sich nicht begeistert, nicht herausgefordert, nicht inspiriert. Sie steigen aus, weil der Stoff sie schlicht nicht genügend interessiert, ihre Aufmerksamkeit und ihre Anstrengungsbereitschaft nicht genügend geweckt werden. Mit Druck gelingt dies nur bedingt und begrenzt.
Mädchen strengen sich im Kern um einer Sache selbst willen an, sie haben einfach Freude daran, Aufgaben gut zu erledigen, eine Technik zu beherrschen, etwas zu Ende zu bringen, etwas gut und schön zu gestalten, seien es Zeichnungen, Bastelarbeiten, Aufsätze, Schreibübungen, Rechenaufgaben mit adrett geschriebenen Zahlen. Die Anerkennung durch ihre Lehrerinnen oder Lehrer, durch Eltern oder Freundinnen, später durch ihr Team und Vorgesetzte, ist ihnen ebenfalls äußerst wichtig, sie ist mit entscheidend für ihr Engagement.
Für Jungen ist das ganz anders. Den meisten von ihnen bedeutet ab einem gewissen Alter vor allem die Anerkennung durch ihre Freunde, ihre sogenannte Peergroup, mehr als die der Autoritätspersonen. Sie lernen auch früh, dass sie im Hinblick auf die äußere Perfektion von Sorgfalt, zum Beispiel im Schreiben und Zeichnen, mit dem Standard der Mädchen sowieso nicht mithalten können. Ein Lob des Lehrers oder der Lehrerin kann, vor allem bei etwas älteren Jungen, ihre Reputation geradezu schädigen. Tadel nehmen sie weniger tragisch oder werten sie gar als Auszeichnung – im Gegensatz zu Mädchen. Und wieder bestätigen Ausnahmen die Regel!
Eine deutsche Studie zeigt: Jungen, die gute Noten erhalten, entsprechen in ihrem Verhalten viel eher den Normen der weiblichen Lehrpersonen als andere Jungen. Sie befinden sich also in einem normativen Doublebind. Eine gute Passung zwischen den Vorstellungen von Lehrerinnen und Jungen, ist relativ rar und wird nicht selten mit sozialer Geringschätzung seitens der Altersgenossen der Jungen bestraft. Lehrpersonen schätzen dabei aber, und das ist das wirklich Perfide daran, die Jungen mit guten Noten persönlich nicht einmal unbedingt höher ein – ihre Wertschätzung und Achtung, ihr echtes Interesse gilt vielmehr oft gerade den »interessanten« Jungen, die intelligent und widerspenstig sind, die es zu zähmen gilt, selbst wenn die Noten nicht immer gut ausfallen.88
Wir befinden uns in einem Irrgarten falscher Spuren und Signale. Für Mädchen lohnt sich ihr Wohlverhalten durch bessere Noten, und doch ist dies oft ein Scheinerfolg, denn sie funktionieren gut, sind dabei oft brav und unauffällig, halten den Unterricht so am Laufen, gelten dafür aber bei den Lehrkräften oft auch als uninteressant, mittelmäßig und letztlich nicht so intelligent wie eher widerspenstige Jungen. In bestimmten prestigeträchtigen Bereichen wie Mathematik und Naturwissenschaften, fallen sie, wie wir noch sehen werden, im höheren Schulalter gerade in Deutschland hinter den Jungen zurück. Viele Klischees, die den Erfolg von Frauen später in der Wirtschaft behindern, sind so in der Schule bereits angelegt – trotz der insgesamt stark weiblich geprägten Lehr- und Arbeitsweise. Bessere Noten sind also gewissermaßen eine suggestive Falle für Mädchen, es wird bei ihnen in mancher Hinsicht genau das belohnt, was im späteren Leben in der Wirtschaft (noch?) nicht wirklich zählt – Disziplin, Sprache und Beziehungsfähigkeit.
Last Exit Boys: Computerspiele
Intensive Computerspiele sind dem Schulerfolg von Jungen nur selten förderlich – auch wenn mein Freund Matthias Horx, bekannter Trend- und Zukunftsforscher, immer wieder betont, dass Kinder dabei vieles lernen und wichtige Erfahrungen machen können.89 Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat dagegen auf die in den letzten beiden Jahrzehnten zu beobachtende auffällige Parallelentwicklung zwischen dem steigenden Konsum von Gewalt-Computerspielen und dem Schulversagen von Jungen in allen westlichen Ländern in den letzten beiden Jahrzehnten hingewiesen.90 Nicht die Vielzahl weiblicher Lehrer ist nach seiner These für den Niedergang der Schulleistungen von Jungen verantwortlich, sondern vor allem der gesteigerte Konsum von Gewaltspielen. Regine Pfeiffer, Schwester von Christian Pfeiffer, ist eine erfahrene pensionierte Lehrerin und analysiert seit längerer Zeit gemeinsam mit Jugendlichen den Inhalt populärer Gewaltspiele wie »Counterstrike«, das seit 1999 in immer neuen Versionen von Millionen junger und nicht mehr so junger Männer gespielt wird – und stößt dabei auf wahre Abgründe sexualisierter Gewalt und auf ein enormes Suchtpotenzial einiger Spiele. Oft verlangen sie ungeheure Konzentration, schnelle Reaktions- und Entscheidungsfähigkeit, Risikobereitschaft – einfach alles, was Jungenseelen anspricht. Sie haben meist auch ein starkes Wettbewerbsprinzip: Wer ist der Beste? Sowohl das Gehirn wie das Gefühlsleben der Jungen und jungen Männer ist durch die Spiele aufs Höchste herausgefordert, und genau darin liegt der »Kick«. Was das Schulversagen von Jungen angeht, so ist die These der Pfeiffers, dass durch das Spielen nicht nur Zeit verbraucht wird, die sonst für die Schule verwendet werden könnte, sondern vor allem, dass durch die Intensität des Angsterlebens bei vielen Spielen das gerade Gelernte in den Köpfen gewissermaßen unerreichbar verschüttet wird. Angst und Schock erzeugen wirksame Gedächtnisblockaden. Christian Pfeiffer hat untersucht, was Kinder von einem in der Schule gelernten Stoff am nächsten Tag noch wissen. Wenn die Kinder am Nachmittag intensiv, verbunden mit vielen Angsterlebnissen, gespielt hatten, waren sie kaum imstande, noch etwas von dem Schulstoff zu erinnern. Nichtspieler, vor allem Mädchen, konnten den Stoff dagegen wiedergeben.
Für Mädchen ist das Computerspiel in der Regel nicht gleichermaßen existenziell bedeutsam, schon gar nicht das Gewalt- oder Wettbewerbspiel. Es gibt zwar auch hochaktive Spielerinnen, die sich in dieser Welt bewegen, oft mit ihren männlichen Partnern durch Welten fliegen, in denen weibliche Körper stets mit Wespentaille hypersexualisiert und Abläufe wie Inhalte völlig auf Jungenfantasien zugeschnitten sind. Die Spieleindustrie für kleine Mädchen konzentriert sich aber eher auf Pferde- und Hundespiele, die den Ausstattungssinn der Mädchen ansprechen. Der Einstieg ist kostenlos, Accessoires aber können oft nur für teures Geld erworben werden – eine perfide Variante der Ausbeutung durch Medienunternehmen. Zivilisationsspiele, an denen Frauen und Mädchen teilhaben, sind ganz anderer Art: »Die Sims« zum Beispiel ist ein sehr beliebtes Spiel bei Frauen, in dem man Beziehungen eingehen, Freundschaften schließen, Kinder bekommen, heiraten, ein Haus bauen kann; man geht arbeiten, um Geld zu verdienen, wird befördert, hat kleine Aufgaben, die die Figur erfüllen muss, um glücklich zu sein, und man wird alt.91
Aufgrund ihrer starken Beziehungsorientierung ziehen Mädchen fast immer die reale Begegnung mit ihrer Freundin, das reale Spiel dem Computerspiel vor. Letzteres ist ihnen meist schnell langweilig. Der Geschlechterunterschied ist in dieser modernsten aller Spielformen extrem ausgeprägt, mit der Tendenz, noch zu wachsen. Dieser Unterschied wird ganz sicher nicht verschwinden – der Markt hat längst verstanden, dass sich Mädchen und Frauen den Zugang zum Internet über ganz andere Interessen und Präferenzen erobern; sie chatten, mailen, shoppen, bloggen und twittern, sie strecken ihre Beziehungsfühler weit aus – und geraten dabei in der Welt der Chatrooms und sozialen Netzwerke zuweilen ebenfalls in ganz neue Gefahrenzonen. Insbesondere das Cybermobbing – etwa in Facebook – wird auch von Mädchen praktiziert.92 Dennoch sind Computerspiele aus dem Alltag von Kindern (und vielen Erwachsenen) nicht mehr wegzudenken. Sie bestimmen die Leidenschaften und Wünsche vieler Jungen, ihre Sehnsüchte und Träume.93 Mit ihren Ausflügen in den Weltraum, den Avataren, den archaisch anmutenden Rittergestalten, den archetypischen Schlachtordnungen und Erfolgserlebnissen können Jungen heute ihre Abenteuerlust, ihre Expansionswünsche, ihren Freiheitsdrang, ihren Gestaltungswillen und ihr Autonomiebestreben gegenüber Erwachsenen ausleben. Sie sind Ersatz für viele sonst nicht mehr mögliche eigene Abenteuer, vermitteln Kicks und Anerkennung, Wettbewerb und Gruppengeist, Belohnungen und Niederlagen.
Ich respektiere durchaus die Freude, die gerade neugierige, letztlich unterforderte Jungen und Männer in diesen Welten finden können. Entscheidend ist aber, ob diese Welt die Oberhand über andere Erfahrungsmöglichkeiten gewinnt und wie sie das schulische Lernen tatsächlich blockiert. Für die westliche Welt trifft dies offensichtlich schon zu. Hier geht es um die Frage eines sozial- und kulturverträglichen Umgangs mit diesen machtvollen Reizen – so wie Jugendliche auch lernen müssen, Alkohol und Zigaretten entweder zu vermeiden oder bestenfalls gut dosiert zu konsumieren. Die meisten Jungen schaffen es, durch die Computerspiele nicht den Anschluss an das Leben zu verlieren; viele aber haben viel aus ihren Gehirnen gelöscht und viele spannende Dinge nicht erlebt, bis sie wieder aus der Trance der Spielwelten auftauchen.
Computersucht ist ein ernstes Problem. Das Suchtpotenzial liegt oft darin, dass die Spiele in Gruppen stattfinden, dass also Bestätigung in der Gruppe gefunden werden kann, das Team aber auch abhängig ist von der Unterstützung durch seine Spieler. Die Sucht wird zusätzlich verstärkt durch Faktoren, die völlig vom Zufall abhängen, aber entscheidend für den Spielerfolg sind. Ähnlich dem Spiel am Automaten warten junge Leute dann bis zur Verzweiflung darauf, dass der notwendige, aber unberechenbare Faktor eintritt. In Korea, wo die höchste Spielsuchtdichte der Welt herrscht, sitzen, wie mir Regine Pfeiffer berichtete, Hunderte junger Männer in langen Reihen in öffentlichen Spielstätten und beteiligen sich an E-Sport-Wettbewerben, die Sieger haben Starcharakter und werden von jungen Mädchen angehimmelt. Es kommt dabei aber immer öfter vor, dass ein Spieler vor der Maschine kollabiert und sogar an Dehydrierung oder Herzversagen stirbt. Auch in Deutschland gibt es nicht wenige Fälle, dass Jungen gewissermaßen in dieser Welt versinken, sich am »normalen« Familienleben nicht mehr beteiligen, sich tagelang nicht waschen und kaum noch essen.
Eltern sollten wissen, wo die Gefahren liegen, sie sollten wissen, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum dieser Spiele, Spielsucht und Verfügbarkeit im eigenen Zimmer gibt und ihren Kindern möglichst nicht zu früh einen Rechner ins Zimmer stellen. Empirische Untersuchungen zeigen, dass ausgerechnet Jungen aus bildungsfernen Schichten und Migrantenfamilien besonders häufig und früher als eher behütete Mittelschichtkinder über eigene Geräte verfügen.
Um das wirkliche Leben wieder konkurrenzfähig mit dem Computerspiel zu machen, muss sich einiges ändern – wir brauchen einen jungenfreundlichen spannenden Unterricht, mehr Ganztagsschulen, mehr herausfordernden Sport, andere Unterrichtsmethoden. Die Computersucht oder die allzu heftige Flucht in die Welt der Spielkonsolen wird so lange anhalten, wie Jungen keine attraktiven anderen Optionen finden, um ihren Leistungsdrang zu aktivieren. In der Spielwelt sind viele von ihnen in einem Ausmaß begeistert, ausdauernd und konzentriert, von dem die Schule und die reale Welt nur träumen können, das wir aber eben dafür wieder zurückgewinnen müssen.
Von der Lust und Unlust am Wettbewerb
Tief eingedrungen in das kulturelle Selbstverständnis unserer Gesellschaft ist die Vorstellung, der Wettbewerb sei die entscheidende Triebkraft für gezieltes Handeln und jeglichen Erfolg. Ohne Wettbewerb gäbe es keine Innovation. Das mag bis zu einem gewissen Grad für das Verhältnis zwischen Wirtschaftsunternehmen gelten, keineswegs für den zwischenmenschlichen Bereich. Hier tun sich Geschlechterdifferenzen auf.
Jungen fühlen sich durch Leistungswettbewerbe in fast jeder Form stark motiviert. Sie suchen ihn und haben Freude daran. Das Wohlfühlhormon Dopamin umspült das männliche Hirn auch und gerade in der aktiven erfolgreichen Durchsetzung gegenüber anderen, das körperliche Belohnungssystem bei Mädchen und Frauen setzt eher dann ein, wenn Harmonie herrscht. Mädchen scheuen deswegen selbst bei hoher Kompetenz vor Wettbewerben eher zurück.94 Dieser Unterschied ist folgenschwer. Denn die Strukturen in Wirtschaftsunternehmen beruhen sehr stark darauf, gerade solche Personen zu befördern, die sich im persönlichen Wettbewerb gut behaupten. Diese Durchsetzungsfähigkeit wird für ein objektives Merkmal von Tüchtigkeit gehalten – ein großes kulturelles Missverständnis!
Kleine Mädchen sind von Anfang an und spontan viel weniger am Kräftemessen und Vergleichen mit anderen Personen interessiert. Der direkte Wettbewerb verursacht ihnen kein Behagen, sondern häufig eher Unlust. Was sie antreibt, wird von einem anderen Treibstoff als der Lust am Wettbewerb genährt. Sie verspüren Freude am Inhalt selbst, an Perfektion und dem Gefühl der Kompetenz. Die positive Beziehung zu anderen motiviert sie, für die und mit denen etwas geleistet wird. Vielleicht reizt sie auch der Gewinn an Ansehen bei guter Leistung. Wenn andere weniger Erfolg haben, befriedigt sie das nicht. Im Gegenteil. Sie sorgen sich, dass ihr eigener Erfolg andere kränken könnte und betonen ihn deshalb weniger. Lieber bleiben sie im Hintergrund, im sicheren Schutz der Gruppe.95
Für Jungen dagegen ist Wettbewerb in jeder Form eine ganz entscheidende Motivation, sich anzustrengen und etwas zu lernen. Sie haben oft eine geringere Eigenmotivation als Mädchen. Ein Thema muss für sie irgendwie herausfordernd sein; wenn es sich dagegen um eine aus ihrer Sicht nur stupide Wiederholung von Dingen handelt, nur um sie zu üben, so verweigern sie sich oft dieser Anstrengung.96 Mädchen fügen sich dieser Routine meist leichter, sie gewinnen der Perfektionierung durch ritualisierte Wiederholung durchaus Stolz und Freude ab. Für Jungen jedoch braucht es oft zusätzliche Motivationsfaktoren.
Als sehr motivierend haben sich Teamwettbewerbe erwiesen: Eine Jungenschule in den USA trennt alle Jungen von Schulbeginn an, während der gesamten Schullaufbahn, in ein A- und B-Team. Was auch immer gelernt wird, es tritt das A-Team gegen das B-Team an.97 Wenn der Einzelne sich nicht anstrengt, sei es beim Lesen, Rechtschreiben, im Baseball oder der Leichtathletik, so ist dadurch sein ganzes Team beeinträchtigt. Der Bezug auf die Gruppe ist ein sehr starker Antrieb für die meisten Jungen; sie mögen den Inhalt langweilig oder banal finden, uncool oder sogar überflüssig – aber wenn sie durch ihr Nichtkönnen das ganze Team treffen, sind sie doch eher bereit, sich anzustrengen. Um aber solche Formen in die Gestaltung des Curriculums mit einzubeziehen, muss zunächst erkannt worden sein, dass Jungen in dieser Hinsicht anders »ticken« als Mädchen und durch eine Vielfalt an kompetitiven Elementen leichter Zugang zu Lerninhalten gewinnen, denen sie sich ansonsten gern entziehen.
In unseren Schulen ist aber der Wettbewerbsgedanke heute stark zurückgedrängt – weil Lehrerinnen selbst dadurch nicht so sehr angesprochen werden, aber auch weil Mädchen den Wettbewerb nicht so sehr schätzen und sich durch Wettbewerbe teilweise sogar unnötig entmutigen lassen.
Denn Jungen treten nicht nur lieber und mit Freude in Wettbewerbssituationen ein. Sie sind auch viel eher über Gebühr zuversichtlich, dass sie gewinnen werden! Bereits in frühesten Jahren verfügen sie im Durchschnitt über ein höheres Selbstbewusstsein, als es ihnen nach ihrer objektiven Leistung zukommt. Schon kleine Mädchen trauen sich dagegen weniger Erfolge zu, sind skeptischer, weniger selbstbewusst und haben weniger Selbstvertrauen. Niederlagen sind für Mädchen, aufgrund ihres meist ohnehin schon niedrigeren Selbstwertgefühls und ihrer geringeren Aggressivität, oft kein Ansporn, sondern Anstoß zum Rückzug.
Ich selbst war als Schulkind eine schlechte Sportlerin, ungelenk und ohne Ehrgeiz, beim Wettlauf immer unter den Letzten, beim Weitsprung unter drei Metern. Das kränkte mich nicht sonderlich, führte aber auch nicht dazu, dass ich mich mehr angestrengt hätte. Ich war einfach eine schlechte Sportlerin, dafür schrieb ich gute Deutschaufsätze. Irgendeine Anregung durch Lehrkräfte, wie ich es bei sportlichen Übungen besser machen könnte, fehlte völlig, niemand nahm sich die Zeit dafür. Die Lehrerinnen konzentrierten sich vielmehr darauf, die sportlich ohnehin starken Kinder zu loben und Urkunden an sie zu verteilen – während die Unbegabten unbeachtet am Rand standen oder milde gescholten wurden. Hätte ich einen konkreten Weg gesehen, meine Leistungen zu verbessern, hätte ich es sicher versucht. Der Wettbewerb aber mit vielen, die ganz offensichtlich besser waren, entmutigte mich einfach von vornherein. Ich war in dieser Hinsicht ein typisch weibliches Kind – denn Jungen treten unverdrossen selbst in Wettbewerbe ein, die sie nur verlieren können. Es war Unlust am Misserfolg und die völlig fehlende Erfolgsperspektive, die meinen Antrieb blockierten.
Die feministische Literatur sah und sieht darin eine Folge der strukturellen Minderbewertung des Weiblichen. Man müsse deshalb, so haben viele Autorinnen geschlussfolgert, Mädchen eben schon im frühen Alter verstärkt zum Wettbewerb erziehen, damit sie besser mithalten können. Mithalten wobei? In der Schule sind sie ja bereits erfolgreicher als Jungen, auch ohne einen solchen externen Antrieb. Im Wirtschaftsleben? Auch hier wird an dem Wettbewerb als zentralem Motivationsmotor inzwischen immer häufiger gezweifelt.98
Allerdings unterstützt er, vor allem als Teamwettbewerb, das Erlernen von Regeln – und auch den konstruktiven Umgang mit Niederlagen. Niederlagen nicht akzeptieren zu können, ist weder der Demokratie noch dem individuellen Seelenheil förderlich, stehen sie doch allen Menschen im Leben bevor. Jungen erwerben im Rahmen ihrer spielerischen Sozialisation in größeren Gruppen dafür in der Regel bessere Grundlagen als Mädchen mit ihrer intensiven Neigung zu Zweier- und Dreierkonstellationen, die anfällig sind für emotionale Konflikte. Schwierigkeiten, solche Konflikte produktiv zu lösen, ziehen sich bei Mädchen durch die ganze Kindheit und können auch im Berufsleben sehr hinderlich werden.99 Dabei ist der Umgang mit Regeln in größeren Gruppen gerade auch bei Konflikten entscheidend für eine erfolgreiche Berufsperspektive von Frauen.
Der Wettbewerb hat also gewissermaßen für Jungen und Mädchen unterschiedliche Funktionen: Für Jungen ist er oft ein wichtiges Mittel, um sich überhaupt anzustrengen, ihr Bestes zu geben und Regeln einzuüben. Für Mädchen ist er vor allem hilfreich, um zu lernen, mit der Erfahrung von Sieg und Niederlage umzugehen und abweichende Meinungen zu akzeptieren, auch wenn sie nicht immer durch Kompromisse aufgehoben werden können. Für sie ist das Thema Konfliktmanagement und produktive Bewältigung von Dissonanzen die große Aufgabe, die sie in Gruppen, bei Spielen und auch im Wettbewerb erlernen müssen. Es ist für sie oft ein lebenslanges Projekt – der Hang zum Beleidigtsein und zu emotionalen Verstrickungen kann für sie ebenso hinderlich und belastend bleiben wie bei Jungen der Hang zu ungezügelter Aggression oder glatter Leistungsverweigerung.
Vielleicht aber lässt sich über das Phänomen der Wettbewerbsunlust von Mädchen auch ganz anders denken. Vereinfacht zusammengefasst: Mädchen und Frauen brauchen keinen Wettbewerb, um gut und gern zu lernen oder zu arbeiten – sie tun es von selbst. Ihr innerer Antrieb ist meist nicht, dass sie es unbedingt besser als andere, sondern einfach gut machen und verstehen wollen.100 Mädchen und Frauen sind zu guter Leistung, erfolgreicher Kooperation und großer Produktivität in hohem Maße fähig, und zwar ohne ständig im Wettbewerbsmodus zu stehen. Als Stimulus für Leistung brauchen sie den Wettbewerb viel weniger oder gar nicht. Warum Wettbewerb also künstlich herstellen, wenn er Mädchen eher hemmt und blockiert? Das ist eine zentrale Frage für das zukünftige Funktionieren von Organisationen und Institutionen und für die Frage, wie diese gestaltet sein müssen, damit sich Frauen in ihnen ebenso wohlfühlen, vorankommen und erfolgreich sein können wie Männer.
Wo Wettbewerb ein wichtiges Auswahlkriterium für Aufstieg und Erfolg ist, gehen viele weibliche Talente verloren, weil sie sich zurückhalten und die Konkurrenz meiden. Neben diesem Verlust tritt ein weiterer weit schlimmerer Effekt auf: Überproportional viele Jungen und Männer kommen nach oben, die sich, gemessen an ihrer objektiven Leistung, viel zu viel zutrauen. Aufstiegspfade, die auf Wettbewerb basieren, erzeugen also eine systematische Qualitätsverzerrung, indem sie auf sehr gute Frauen verzichten und mittelmäßige Jungen und Männer an Bord halten. Wettbewerbe sind in der Regel keine objektiven Gradmesser für das Leistungsvermögen von Frauen, sondern Instrumente, die einen bestimmten Typus von Jungen und Männern künstlich bevorzugen. Neue Formen der Talentsuche sind dringend gefragt.
Aber welche?
Die Tücken der Koedukation
Noch um 1900 war in Deutschland eine umfassende und vollwertige Bildung in allen Fächern, von Latein und Griechisch bis zu den Naturwissenschaften, das alleinige Vorrecht der Jungen.101 Mädchen war der Zugang zu den entsprechenden Schulen verwehrt. Ihre Bildung hatte sich bis dahin auf Sprachen, Rechnen, Musik, Hauswirtschaft und Handarbeit konzentriert und zielte vor allem auf die Ausbildung einer weiblichen Persönlichkeit, die sich später als Hausfrau und Mutter bewähren und auf keinen Fall ihre Orientierung auf die Mutterrolle untergraben sollte!
Erst 1892 richtete das traditionell liberale Karlsruhe einen Gymnasialzweig für Mädchen ein, dem bald weitere Mädchengymnasien oder »Lyzeen« in ganz Deutschland folgten. Zweck dieser ersten Mädchenoberschulen war es vor allem, ihren weiblichen Zöglingen die Möglichkeit zur Erlangung der Hochschulreife und damit Zugang zu den Universitäten zu ermöglichen, die nach und nach auch für Frauen geöffnet wurden.
Die so entstandenen Mädchenschulen, obwohl oft von exzellenter Qualität, überwanden in Deutschland niemals ganz das Stigma der Zweitklassigkeit: Ihre Lehrpläne waren über lange Zeit nicht identisch mit denen der Oberstufen für Jungen; jahrzehntelang wurde insbesondere über den Stellenwert des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts an Mädchenoberschulen diskutiert. Wie die Forschung später zeigte, kam und kommt aber unerwarteter Weise auch nach Einführung der Koedukation ein erheblicher Teil der erfolgreichen Naturwissenschaftlerinnen und Mathematikerinnen in Deutschland aus den verbliebenen Mädchengymnasien102, doch ist dies der Allgemeinheit wenig bekannt.103
Die Idee der Koedukation in der Schule kam erst in der Mitte des letzten Jahrhunderts auf. Sie war Teil der Vision einer modernen Gesellschaft, in der ein offener Umgang der Geschlechter miteinander, frei von Prüderie, erlernt werden sollte, um so die Grundlage für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zu bilden. Dieses Bild leitete die bürgerliche Frauenbewegung ebenso wie gewerkschaftliche Kreise, es bestimmte die Erziehung in den sozialistisch geprägten Kibbuzim Israels, und es führte zur konsequenten Umsetzung des Prinzips Koedukation in allen sozialistischen Ländern, auch in der DDR.
In Westdeutschland waren es zuerst die sozialdemokratischen Stadtstaaten Berlin und Hamburg sowie das Land Hessen, die zu Beginn der 1950er-Jahre die Koedukation einführten. Geschlecht sollte keine zentrale Kategorie mehr im neuen Menschenbild sein, die alten Zwänge der Geschlechterrollen galten als überholt und nebensächlich. Ein freier und unschuldiger Umgang mit dem Körper, bis hin zur Freikörperkultur, ohne Sexualisierung, war ebenfalls Teil dieser Aufbruchstimmung für moderne Menschen. Fern schienen noch die Tage, in denen sich über freie Erziehung und Reformpädagogik der Verdacht sexuellen Missbrauchs legen konnte. Vorherrschend war vielmehr ein Gefühl der Befreiung von schwerem und hinderlichem Ballast einer vergangenen Kulturepoche. Die Koedukation wurde nach dem Zweiten Weltkrieg zur selbstverständlichen und für unsere Zeit als angemessen empfundenen Norm.
Die Vermutung, dass die Geschlechtermischung das Lernklima und den Schulerfolg insgesamt verbessern würde, stand dabei keineswegs Pate, es gab sogar starke Vorbehalte gegen die Anwesenheit von Mädchen – sie könnten womöglich das Niveau des Unterrichts senken, da ihnen ja weithin grundsätzlich rationale und logische Denkfähigkeit abgesprochen wurde. Für die Einführung der Koedukation in den 1960er-Jahren wurden hauptsächlich ökonomische Argumente geltend gemacht, ein getrenntes Schulwesen schien gerade auf der Oberstufe und in der Provinz als zu teuer, wie der bekannte Bildungsmahner Georg Picht ausführte.104 Diesem Argument beugten sich schließlich auch die konservativen Bundesländer – Ende der 1960er-Jahre war dann die Geschlechterintegration der Schulen in allen Bundesländern im Wesentlichen abgeschlossen.105
Eine Debatte darüber, ob das schließlich erreichte und so sehr ersehnte gemeinsame Lernen tatsächlich die produktivste Form für Mädchen und Jungen darstellte, fand in der Öffentlichkeit nicht statt. Es schien keinen Anlass dafür zu geben, zumal Mädchen und Frauen, die die koedukativen Bildungsinstitutionen durchliefen, dies in der Regel mit gutem Erfolg taten, auch wenn sie im mathematischen Bereich etwas hinterherhinkten. Die Vorstellung, dass sich im Bildungswesen je tatsächlich eine »Jungenkrise« entwickeln könnte, hätte damals als absurd gegolten – die männliche Bildungsüberlegenheit schien naturgegeben und selbstverständlich.
Erst seit einem Jahrzehnt rückt nun die Koedukation mehr und mehr unter dem kritischen Blickwinkel einer möglichen Benachteiligung von Jungen in den Vordergrund. Der massiv ansteigende Anteil an männlichen Schulabbrechern und Sonderschülern, der rapide sinkende Anteil an Abiturienten und Studenten werfen Fragen nach den Ursachen für diese Entwicklungen auf. 106 Meist wird dafür die Überzahl an weiblichen Lehrkräften verantwortlich gemacht; erst allmählich beginnt man sich auch in Deutschland zu fragen, ob und wieweit Jungen und Mädchen unterschiedliche Bildungsinteressen und Lernstrategien haben. Eine mögliche Antwort darauf ist die Rückkehr zu reinen Mädchen- und reinen Jungenschulen.
Monoedukation für Mädchen
Das einzige kommunale Mädchengymnasium in Nordrhein-Westfalen, das Mädchengymnasium Borbeck, das als »Orchidee« in der Bildungslandschaft gilt, hat sich einem laufenden Vergleich mit einer zum gleichen Zeitpunkt gegründeten koedukativen Schule gestellt, bei dem die Biografien von Absolventinnen verglichen wurden. Trotz einer deutlich höheren Quote von sogenannten Arbeitertöchtern, so vermerkt die Homepage des Mädchengymnasiums, würden die Borbecker Abiturientinnen höhere Abschlüsse anstreben und mit einer dreimal so hohen Promotionsquote glänzen wie die Vergleichsschule. Ihnen gelänge auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie besser – zumindest sprächen kürzere Berufsunterbrechungen und eine höhere Berufszufriedenheit dafür. »Diese Untersuchungsergebnisse«, so das Fazit, zeigten, »dass Frauen ihre Chancen in Beruf und Leben nutzen und die Mädchenschule dazu beitragen kann bzw. dazu beigetragen hat, Lebenserfolg zu ermöglichen«107.
An Mädchenschulen würden die naturwissenschaftlichen Begabungen von Schülerinnen intensiver gefördert, zudem könnten sie sich nicht hinter den Jungen »verstecken« und würden deshalb sowohl im Unterricht wie im außerunterrichtlichen Geschehen selbst alle verantwortungsvollen Aufgaben und »somit klassische Jungenrollen« übernehmen. Damit ermögliche die Monoedukation – ganz entgegen dem herrschenden Vorurteil – »eine breite, vielseitige Wissensvermittlung und Erziehung«, die beste »Voraussetzung für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung!«.
Die »Monoedukation« ist für Mädchen offensichtlich besonders lerneffizient, sie legt einfach ihre Begabungsreserven leichter frei, stärkt das Selbstvertrauen und vergrößert die Chancen auf beruflichen Erfolg. Bei vielen, die sie gewählt haben, hat sie sich als solide Basis für spätere Karrierechancen bewährt, gerade in für Frauen untypischen Feldern, auch wenn dies bei Schuleintritt möglicherweise gar nicht das vorherrschende Motiv war. Dennoch sehen zahlreiche Eltern wie auch Schülerinnen diese Schulform kritisch, weil sie die Mädchen nicht ausreichend mit Jungen in Kontakt bringt, das »richtige« Leben später aber zwischen Frauen und Männern stattfindet. Der Beitrag eines Mädchens im vielbesuchten Internetportal »Gute Frage« bringt dies zum Ausdruck: »Ich bin (leider) immer noch in einer Mädchenschule. Der Grund, warum ich wechseln will in eine gemischte? Ich will endlich lernen, selbstbewusst zu sein und mit Jungen/Männern umgehen zu können. Man wird ja nicht immer mit Frauen arbeiten, oder? Ganz ehrlich, ist nicht die ganze Welt gemischt?«
Die Schulpolitik allerdings geht nicht mehrheitlich in Richtung Mädchengymnasium, wenngleich, nach einer langen Zeit des Niedergangs, heute wieder eine wachsende Nachfrage zu verzeichnen ist. Es hat sich herumgesprochen, dass Mädchenschulen in vieler Hinsicht besonders gute Bildungschancen bieten.
Für die universitäre Bildung hingegen hat sich auf ganzer Breite das Modell der Koedukation durchgesetzt.108 Es gibt nur einzelne zaghafte Versuche, für Frauen im naturwissenschaftlichen Bereich eigene Studiengänge anzubieten, so zum Beispiel in Berlin an der TU den Bachelor-Studiengang Informatik und Wirtschaft.109 Eine umfassende Sensibilisierung der Hochschuldidaktik im Hinblick auf eine besondere Berücksichtigung der Geschlechterthematik, hat bisher jedoch nicht stattgefunden – so wie auch die Personalentwicklung in Unternehmen diese Erkenntnisse bisher nicht konsequent für sich nutzbar macht.
Alles Macho – oder was! Jungen unter sich
Die Wirkungen von reinen Jungenschulen auf Leistung, Erfolg und Zufriedenheit sind umstritten, ebenso wie die Frage, ob in ihnen nicht klassisches Männerverhalten, negative Stereotypen und abwertende Haltungen gegenüber Frauen begünstigt werden. In vielen Ländern sind Jungenschulen und -internate seit Jahrhunderten Orte männlicher Elitebildung – in Deutschland galt dies vor allem für die katholischen Internate, etwa die Jesuitenschule in St. Blasien, die viele bekannte Zöglinge hervorgebracht hat. In den USA bevorzugen die bekanntesten Familien weiterhin nach Geschlechtern getrennte Schulen, am liebsten Internate, besonders für ihre Söhne.
Anders als das gängige Vorurteil es sehen möchte, sind Jungenschulen offensichtlich nicht immer Brutkästen der Machokultur. Eine Reihe amerikanischer Studien zeigt, dass Jungenschulen, ähnlich wie Mädchenschulen, teilweise zu einer Lockerung von Geschlechterstereotypen führen; dass Jungen dort weniger männlich definierte Kurse wählen und sich eher künstlerischen Fächern, wie Literatur, modernen Sprachen, Kunst, Musik und Theater, zuwenden – also die ihnen sonst zugeschriebenen Rollen etwas aufbrechen.110 Der Leiter der angesehenen Jungenschule Dulwich-College in England, der nach siebenjähriger Tätigkeit an einer koedukativen Schule an dieses reine Jungen-College übergewechselt ist, bestätigt dies: Seine Schüler seien bei Abwesenheit des anderen Geschlechts weniger abgelenkt und könnten unbefangener auch ihre »empfindsame Seite« zeigen. »Ich bin fest davon überzeugt, dass ihnen dies in der Gesellschaft von Mädchen, die im Teenageralter viel schneller reifen, schwerer gefallen wäre. (…) In einem nach Geschlechtern getrennten schulischen Umfeld ist es möglich, den pädagogischen Ansatz auf die jeweiligen Präferenzen abzustimmen. Auch kann man einen klar umrissenen Verhaltenskodex erarbeiten, wenn man es nur mit einem Geschlecht zu tun hat. Aus Erfahrung weiß ich, dass man an einer gemischten Schule insbesondere bei Fragen der Disziplin vorsichtig sein und Mädchen und Jungen anders behandeln muss. Mädchen nehmen sich Strafen oft sehr zu Herzen, wohingegen Jungen zum Glück eher dazu neigen, die Bestrafung am nächsten Tag schon vergessen zu haben.«111
Insgesamt begünstigen Jungenschulen also ebenfalls den Schulerfolg, aber auch Stolz und Identifikation mit ihren Schulen, die ihnen in vielen gemischten Schulen so sehr fehlen. Das kann damit zusammenhängen, dass hier gewissermaßen intuitiv ein konsistenter Lernstil vorherrscht, der die Fragen von Statusbildung, Regelbildung, Disziplin, Motivation, Interesse bei Jungen erfolgreicher beantwortet als die meisten gemischten Umgebungen, die sich heute stärker an die Mädchen anpassen. Nicht immer findet sich ein effektiver neutraler Mittelweg zwischen den bevorzugten Kommunikations- und Kooperationsstilen.
Aber es gibt auch andere Erfahrungen, wie mehrere Studien112zu berichten wissen: Jungenschulen, an denen offen eine sexistische Sprache, Verächtlichkeit gegenüber Frauen und »unmännlichem« Verhalten vorherrscht, so wie wir es aus der Welt des Männersports und des Militärs kennen. Ein solcher Komment schweißt gewissermaßen Jungen und Lehrer zu einer höchst problematischen Machokultur zusammen. Jungenschulen können also sowohl die Überwindung von Rollenstereotypen unterstützen – als auch deren Festigung. Dies hängt stark davon ab, wieweit die Lehrkräfte sich dieser Problematik bewusst sind.113
In Deutschland hält der Trend zu Mädchenschulen auf niedrigem Niveau weiter an; Jungenschulen sind demgegenüber im Aussterben begriffen und kein Wachstumssektor – sie teilen dieses Schicksal mit den angelsächsischen Frauenuniversitäten. In ganz Ostdeutschland gibt es kein einziges Jungengymnasium, in Westdeutschland nur noch vier Gymnasien und einige Jungenrealschulen. Eine Antwort auf die Bildungskrise der Jungen lässt sich also wohl rein pragmatisch nicht durch Jungenschulen finden, selbst wenn es dringend notwendig scheint, die spezifischen Bedürfnisse von Jungen besser zu berücksichtigen. Manchmal wären Jungenschulen dafür sicher der leichtere Weg.
Kein Erfolg für niemand?
Dies Buch ist kein Plädoyer für die Wiedereinführung getrennter Schulen oder gar getrennter Arbeitsplätze, auch wenn ich an manchen besonders frustrierenden Tagen solche Sehnsüchte entwickle; wohl aber ist es ein Text, der darauf hinweist, dass wir die Voraussetzungen echter produktiver Kooperation von Mädchen und Jungen, Frauen und Männern in Schule und Beruf noch nicht wirklich entschlüsselt haben. Und dass angesichts naiver Vorstellungen zur Lösung dieser Aufgabe viele unbeabsichtigte negative Folgen übersehen werden.
Im Kern: Während die Koedukation vor allem dazu dienen sollte, überkommene Geschlechterklischees zu überwinden, erkennen wir heute: Sie verfestigt sie oft geradezu – und zwar für Jungen wie für Mädchen. Bereits in den 1970er- und 1980er-Jahren, als die Koedukation gerade erst abgeschlossen war, führten feministische Bildungsforscherinnen erste Studien zu ihren Auswirkungen durch – und fanden heraus, was seitdem immer wieder bestätigt wurde114: In Mathematik und den Naturwissenschaften fühlen sich Mädchen durch die Vorgehensweise und Wahrnehmungen der Lehrer und die De-facto-Dominanz der Jungen entmutigt, ziehen sich zurück und wählen die Fächer ab; sie besetzen »mädchengemäße« Fächer, die anderen überlassen sie den Jungen. Sie übernehmen im Unterricht die Rolle des sozialen Kitts, der Raum schafft für Aufmerksamkeit zugunsten von auffälligeren Jungen. Sie sind geduldig, leistungswillig und kooperativ – und ernten dafür zwar gute Noten, aber gleichzeitig auch die unterschwellige Klassifizierung als weniger interessant, kritisch, begabt, kreativ. Diese Ergebnisse wurden zwar in Expertenkreisen und von Feministinnen zur Kenntnis genommen, aber meist eher ratlos beiseitegelegt, sie waren damals zu weit außerhalb des »mainstream« der Kultusministerien, um Wirkung zu zeigen.
Das Dilemma liest sich schwierig: In unserem gemischten Schulbetrieb, in dessen Bilanz die Mädchen statistisch als die großen Gewinnerinnen auftauchen, kommen sie gleichzeitig weiterhin in vieler Hinsicht zu kurz. Einerseits in Mathematik und in den Naturwissenschaften, vor allem aber, und das ist folgenschwerer, in der Würdigung und Entfaltung ihrer Gesamtpersönlichkeit und ihres Führungspotenzials. Gerade dieser Aspekt – das Unsichtbarbleiben trotz aller Talente – legt die Grundlage für den geringeren Aufstiegsmut von Frauen später in der Wirtschaft!
Der normale Schulbetrieb konzentriert sich stärker auf Jungen, sie sind die aktiveren und auffälligeren. Sie verfügen, unabhängig von ihren realen Leistungen, über ein wesentlich größeres Selbstvertrauen als Mädchen – was sich bis in die Arbeitswelt hinein fortsetzt. Ihnen wird deshalb in der Schule auch mehr Beachtung geschenkt, sie werden häufiger gelobt oder auch getadelt, ihre Leistungen oft überbewertet. Im naturwissenschaftlichen Unterricht gelten Jungen automatisch als begabter, man rechnet ihnen ein klareres analytisches und abstrakt-logisches Denkvermögen zu – Fähigkeiten, die den Mädchen eher abgesprochen werden. An letzteren schätzen die Lehrkräfte eher die sprachliche Begabung und den Fleiß, die naturwissenschaftlichen Leistungen der Mädchen gelten meist bestenfalls als »ordentlich«. Energie und Aufmerksamkeit der Lehrkräfte für die Potenziale, die dahinter noch verborgen sein könnten, fehlen. Ihnen ist häufig auch gar nicht bewusst, wie sehr bestimmte Unterrichtsstile Mädchen oder Jungen begünstigen.
Mädchen etwa wünschen sich gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern vor allem, dass sie gründlich nachfragen können, dass alles so lange erklärt wird, bis sie es wirklich verstanden haben – dies gilt selbst für leistungsstarke Mädchen. Sie bitten um Übungsmöglichkeiten und Rechenbeispiele zur Vertiefung. Ihr Explorationsverhalten hinein in neue Fragestellungen beruht meist auf einer sicher erworbenen Kompetenz. Jungen dagegen langweilen sich bei dieser Art des Unterrichts schnell – die einen, weil sie es wirklich schon verstanden haben oder dies zumindest glauben, die anderen, weil sie es nicht verstanden haben. Sie möchten dann einfach einen anderen Stoffbereich ausprobieren, in dem sie vielleicht mehr Erfolg haben, während Mädchen das Bisherige erst verstehen wollen.115 Gerade das Fach Mathematik ist bei ihnen oft mit Angst besetzt, sodass sie sich viele Rückversicherungen wünschen. In gemischten Klassen wird darauf eher selten eingegangen, und die Mädchen rechnen sich ohnehin eine geringere Kompetenz in den Naturwissenschaften zu.116 Die Folge ist, dass sie das Interesse an den Naturwissenschaften entweder gar nicht erst entwickeln oder schnell wieder verlieren und sich auf das sichere Terrain der Sprach- und Geisteswissenschaften zurückziehen.
Das ist das Tückische, Vertrackte und Widersprüchliche an der gegenwärtigen Lage: Jungen werden oft zu Schulverlierern oder zeigen unnötig schlechte Leistungen, gelten aber trotzdem »irgendwie« als interessanter und begabter. Mädchen erzielen fast durchgängig die besseren Noten, bleiben dabei aber oft weit unter ihren Möglichkeiten und gelten meist als eher durchschnittlich. Das gleiche Bild finden wir später in der Arbeitswelt vor.
Wie aber die »verlorenen« oder gefährdeten Jungen einfangen, ohne Mädchen noch mehr in die Rolle von braven unsichtbaren und biederen Arbeitsmäusen zu drängen, was ihre Ambitionen und ihre Zielsetzungen für die Zukunft bremst? Wie die Potenziale von Jungen und Mädchen gleichzeitig besser ausschöpfen und Exzellenz auf beiden Seiten zum Leuchten bringen? Die Frage nach möglichen Antworten wird immer dringlicher. In Berlin etwa stellt sich inzwischen heraus, dass für die Gymnasien nach den Übergangszeugnissen fast nur noch Mädchen zugelassen werden könnten. Was aber geschieht dann mit den Jungen? Und was bedeutet das für das höhere Schulwesen – außer dass es dann sicher entwertet wird?
Exkurs: Modernisierung auf Iranisch
Bevor wir zu irgendwelchen Schlüssen über mögliche Lösungen für das Dilemma von Koedukation und Monoedukation kommen, sei ein kurzer Ausflug in den modernen Iran gestattet. Ich sympathisiere in keiner Weise mit dem iranischen System. Aber das sollte uns nicht daran hindern, paradoxe Entwicklungen zur Kenntnis zu nehmen, die uns möglicherweise etwas über Zukunftsfragen auch westlicher Gesellschaften lehren können.
»Trotz Begleiterscheinungen wie Ungleichbehandlung und Zementierung von Stereotypen«, schreibt die Schweizer Zeitung Der Bund, »hat die islamische Revolution von 1979 paradoxerweise dazu geführt, dass es heute relativ viele Professorinnen gibt. Weil Mädchen und Jungen seither getrennt unterrichtet werden, schicken auch konservative Eltern ihre Töchter zur Schule.«117 Und auch hier ziehen die Mädchen den Jungen davon: An der Azad-Universität in Teheran sind 65 Prozent aller Studierenden weiblich; in der angewandten Physik besetzen die Frauen 70 Prozent der Studienplätze, und dementsprechend gibt es auch immer mehr Professorinnen an der Universität. Die Regierung hat deshalb kürzlich Quoten für Männer eingeführt: 30 Prozent der Studienplätze in Medizin, Ingenieurswissenschaften und Humanwissenschaften sollen künftig an männliche Bewerber vergeben werden. Wie rasant muss sich die Explosion der weiblichen Bildung, offensichtlich insbesondere in den Naturwissenschaften, vollzogen haben, wenn der Staat sich genötigt sieht, jetzt Männer-Quoten einzuführen?
Zwar dürfen Frauen nach wie vor nicht Luftfahrttechnik oder Rettungsmedizin studieren, ebenso wenig wie Männer Frauenärzte werden können.118 Aber insgesamt scheint sich hier eine neue Form der Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zu entwickeln: Frauen lernen und studieren, sie üben wichtige Funktionen in Banken, Technik und Forschung aus. Immer mehr hoch qualifizierte Bereiche der Gesellschaft funktionieren nur noch mit der Kompetenz und Tüchtigkeit von Frauen, während es immer weniger Männer schaffen, die Bildungshürden zu überwinden. Die iranischen Männer scheinen den Anschluss verloren zu haben. Was auch immer die Ursachen dafür sein mögen, diese Entwicklung wird die gesellschaftlichen Normen verändern. Männer der Oberschicht verdienen oft zwar nach wie vor – trotz ihres geringeren Wissensstandards – viel Geld in Handel und Spekulationsgeschäften. Aber Irans gebildete Frauen zögern, nicht anders als ihre deutschen Geschlechtsgenossinnen, immer zahlreicher, sich mit solchen Männern zu verheiraten, deren Bildungsstand ihnen zu niedrig ist und bei denen sie befürchten müssen, dass sie nur mit männlicher Zustimmung erwerbstätig sein dürfen.
An der Spitze und in der Mitte der Gesellschaft findet eine Neuordnung der Hierarchien statt, wobei die von Frauen eroberten, mit Bildung gekoppelten Felder relativ an Einfluss und Status verlieren. Im unteren Bereich der Gesellschaft dagegen versammeln sich männliche Bildungsverlierer, aggressiv, arbeitslos und ressentimentgeladen, ein deutlich stärker ausgeprägtes Phänomen als bei uns, da die Geburtenraten viel höher und die Arbeitslosigkeit viel verbreiteter ist. Der Ökonom und Soziologe Gunnar Heinsohn hat in seinen Publikationen schon mehrfach darauf verwiesen, dass hohe Geburtenzahlen, gekoppelt mit hoher Arbeitslosigkeit besonders der jüngeren Männer, in vielen Ländern ein starkes Unruhepotenzial darstellen – die Revolutionen in den arabischen Ländern 2011 zeugten davon.119
Was sich auch in westlichen Ländern abzeichnet, dass Männer sich aus der Bildung teilweise zurückziehen oder verdrängt werden, ist in solchen Gesellschaften schon auf eine viel extremere Art wahr geworden. Das moderne Wissen ist auch in der arabischen Gesellschaft unverzichtbar, aber es ist nicht gleichbedeutend mit dem Zugang Macht oder Geld – es ist eine notwendige bezahlte Dienstleistung, gewissermaßen ein Handwerk. Während die Frauen also in ihrer modernen Tüchtigkeit den Zugang zu dieser Domäne erobern, einschließlich der technischen Berufe und der Mathematik, ziehen sich die Männer zunehmend in die Welt des reinen Geldes, der Politik und religiösen Kontrolle zurück. An diesen Welten haben die Frauen praktisch keinen Anteil. Das ist im Iran Realität, für uns bisher noch schwarze Utopie – doch bisweilen scheinen solche Lichter am Horizont auch bei uns aufzuleuchten.
Es geht also für die Zukunft moderner Gesellschaften keineswegs nur um den Zugang zu Wissen und damit um die Verteilung von qualifizierter Arbeit, sondern letztlich immer um die Verteilung von Macht – auch jenseits des Wissens. Wer vermutet, dass Macht sich in modernen Gesellschaften generell vor allem auf Wissen oder intensiver Arbeit gründet, wer also an eine Meritokratie glaubt, wo Privilegien sich auf Leistung stützen, irrt sich oft. Arbeitsleistung und Kompetenz sollten nach Vorstellung der meisten Menschen in westlichen Ländern den Zugang zu Macht und Spitzenpositionen begründen – wir sind aber weiter davon entfernt als wir wahrhaben möchten. In Osteuropa wurde dieser Zusammenhang nach dem Systemwechsel ohnehin gründlich aufgebrochen, wie die russischen Oligarchien zeigen. Dabei sind nicht nur Geschlechtermechanismen am Werk, sondern zunehmend auch verfestigte Elitestrukturen, selbst in der in der Nachkriegszeit noch recht durchlässigen bundesrepublikanischen Gesellschaft.120
Gleichstellung und Mathematik-Noten
Aktive Ingenieurinnen und Mathematikerinnen finden sich heute also eher im Iran als bei uns, und sie fanden sich besonders in den vormals sozialistischen Staaten. Gute Mathematiknoten von Mädchen in der Schule finden sich auch in nordischen Ländern. Gesellschaftlich handelt es sich dabei offensichtlich um entgegengesetzte Pole. Doch was im Iran durch eine Trennung der Geschlechter erreicht wird, nämlich das notwendige Selbstvertrauen von Frauen und Mädchen in ihre mathematische Kompetenzen, wurde und wird in den sozialistischen und modernen sozialdemokratischen Staaten eher politisch erreicht: durch die stärker praktizierte reale Gleichberechtigung von Frauen und Männern, durch Erwerbstätigkeit, Kinderbetreuung und finanzielle Unabhängigkeit von Frauen. In diesen Ländern ist die höhere mathematische Kompetenz von Mädchen und Frauen Ausdruck ihres generellen Selbstbewusstseins – gewonnen auch durch das Vorbild ihrer Mütter und anderer Frauen.
Island und Finnland, gemeinsam mit einigen Ländern der russischen Föderation, zeigen im OECD-Vergleich gerade in diesen Fächern einen deutlichen Vorsprung der Mädchen – was nicht zuletzt als Resultat der übergreifenden Kompetenzzuschreibungen an Frauen interpretiert wird. Diese Länder haben eine Kultur starker Frauen, geformt durch eine jahrzehntelange Ideologie und Praxis der Gleichstellung. Island beispielsweise kann auf seine europaweit höchste Frauenerwerbsquote (über 80 Prozent) verweisen sowie auf eine der höchsten Geburtenraten – mit etwa 2,14 Kindern pro Frau121, und pflegt ein Frauenbild, das niemals auf Abhängigkeit vom Mann zugeschnitten war. »Isländische Frauen mussten seit jeher hart arbeiten. Aufgrund der kargen Öden und des rauen Klimas konnten die Familien der Bauern und Fischer über Jahrhunderte nur unter großer Anstrengung überleben. Die Frauen mussten oft alleine zurechtkommen, weil sie früh Witwen wurden oder die Männer zur See fuhren. (…) Das Land entwickelte sich (…) von einer archaischen Agrarkultur direkt in eine moderne, emanzipierte Gesellschaft. Das bürgerliche Zeitalter, das die Frau als treu sorgende Mutter idealisierte, wurde übersprungen.«122
Es ist gerade in mathematischen Fächern also weniger die Variable des Geschlechts an sich, die die Leistungen beeinflusst, sondern die des Selbstvertrauens der Frauen und die positive oder negative Erwartungshaltung der Lehrer gegenüber den Mädchen.123 Allerdings führen auch die besseren Mathematiknoten in sozialdemokratischen Ländern meist nicht dazu, dass Frauen verstärkt in technische Berufe strömen. Es mag wichtig und sinnvoll sein, dass Frauen mehr technische Kompetenzen erwerben – einen Automatismus im Zugang zu wirklich hoch bezahlten Berufen und Top-Positionen in Wirtschaft oder Politik gibt es dadurch aber nicht.
Fest steht: Gemessen an der Gleichstellung in den skandinavischen Ländern hängen Deutschland, die Schweiz oder auch Österreich gewissermaßen in der Mitte fest. Ihr Frauenbild ist generell ambivalent, die Kultur ist nicht konsequent auf Gleichstellung ausgerichtet, das koedukative Bildungswesen vermag es nicht, die alten Bilder grundsätzlich zu lockern. Der Weg zurück in eine stärker getrennte Bildung von Mädchen und Frauen aber ist angesichts dieses halbierten Fortschritts ebenfalls versperrt. Was also tun?
Die Defizit-Pädagogik
Es gibt inzwischen eine umfassende Literatur, aber nur wenig eindrucksvolle und überzeugende Praxisbeispiele für einen geschlechtergerechten oder geschlechtersensiblen Unterricht. Die Sozialwissenschaftlerin Hannelore Faulstich-Wieland prägte in den 1980er-Jahren den Begriff der reflexiven Koedukation, bei der der Unterricht kontinuierlich auf mögliche Geschlechterstereotypen hin überprüft werden soll. Reflexive Koedukation bedeutet aus ihrer Sicht, dass alle pädagogischen Gestaltungen dahingehend beleuchtet werden sollen, ob sie die bestehenden Geschlechterverhältnisse eher stabilisieren, oder ob sie eine kritische Auseinandersetzung und damit Veränderung fördern.124 Er zielt nicht auf die Rückkehr zu einem Unterricht in getrennten Gruppen oder gar getrennten Schulen, sondern auf die bewusste Verbesserung des koedukativen Unterrichts durch geschlechtshomogene Gruppen in spezifischen Lernsituationen. So kann es sinnvoll sein, im Sport oder Sexualkundeunterricht wie auch in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächern, nach Geschlechtern getrennte Unterrichtsgruppen anzubieten, wie das in Nordrhein-Westfalen beabsichtigt ist.125 Das ist kein Abschied von der Koedukation, denn sie ist und bleibt ein Ergebnis der Bildungsreform, wohl aber ihre Weiterentwicklung und Ergänzung durch einen zeitlich begrenzten getrenntgeschlechtlichen Unterricht. Noch aber fehlt der Beweis in der Praxis. Denn Mädchen empfinden ein speziell auf sie ausgerichtetes Angebot in Mathematik oder Physik als eine Form der Sonderbehandlung, die mit einer Zuschreibung von Schwächen verbunden ist – Mathe für Dumme, so wie viele Frauen ja auch eine Quote als negativ bewerten.
Das Dilemma einer reflexiven Koedukation ist dem der Frauenförderung nicht unähnlich: Wenn sie unter Verdacht steht, dass damit eine Botschaft verbunden ist, der Zielgruppe fehle es an Entscheidendem, dann wird sie auf keine positive Resonanz stoßen. Korrekturansätze, die Defizite und »Fehler« von Menschen in den Mittelpunkt stellen, zeigen in allen Bereichen von Therapie und Pädagogik wenig Wirkung, doch in der Geschlechterpädagogik lebt das Korrekturmodell munter fort. Dass Jungen einen größeren Bewegungsdrang haben, dass sie kompetitiver und auf Rang und Status erpicht sind, aber sprachlich später reifen – solche Geschlechtermuster werden aus Angst vor falschen Festlegungen oder Klischeebildungen nicht angesprochen, schon gar nicht werden sie erklärt; ebenso wenig, warum Mädchen zu kleineren Gruppen neigen, enge Freundschaften bilden, den Wettbewerb weniger schätzen, sprachlich den Jungen voraus sind. Stattdessen wird ausführlich beschrieben, dass es auch »andere« Jungen und Mädchen gibt: Jungen als Köche und Pfleger, Mädchen als Torwartfrauen und Polizistinnen.
Die damit verbundene inhärente Botschaft lautet: Das »Normalverhalten« von Jungen oder Mädchen ist eigentlich immer problematisch. Jungen, die laut, dominant und wettbewerbsorientiert sind, die sich lieber mit Helden- und Tatsachengeschehnissen befassen möchten, und Mädchen, die eher schüchtern oder an ihren Freundschaften interessiert sind, gerne malen, nicht gern Fußball oder Computer spielen, gelten tendenziell als »reparaturbedürftig«. Bei Jungen wird immer wieder betont, sie müssten vor allem lernen, ihr zu großes Selbstbewusstsein zurückzunehmen und sich realistisch einzuschätzen – bei Mädchen dagegen, sie müssten lernen, selbstbewusster aufzutreten und sich zu behaupten! Es ist selbstverständlich sinnvoll und wichtig, deutlich zu machen, dass es für Mädchen und Jungen, Frauen und Männer viele Optionen gibt, mehr, als sie selbst kennen. Es ist auch wichtig, solche Optionen ganz praktisch anzubieten. Doch das allein reicht nicht aus.
Die Geschlechterpädagogik gerät angesichts der verwirrenden Debatten über Geschlechteridentitäten in einen unproduktiven Teufelskreis. Im Rahmen »dekonstruktivistischer« Theorien wird oft argumentiert, es gebe gar keine Geschlechteridentitäten, oder gleich sieben – wie die Feministin Judith Butler einst meinte.126 Sehr beliebt ist auch die Argumentationsfigur, alle Menschen hätten weibliche und männliche Anteile, und deswegen seien Zuordnungen zu Gruppen von vornherein problematisch. Es gehe darum, das Geschlechterthema zu entdramatisieren, damit es keine Rolle mehr spielt in den Interaktionen. Damit aber wird, wie wir gesehen haben, der unbeabsichtigten Stereotypisierung Tür und Tor geöffnet.
Die Frage, die sich in der Schule vordringlich stellt, lautet doch: Wie können Mädchen und Jungen am besten und effektivsten lernen, wie können sie gute Noten erzielen, erfolgreich sein und produktive Erwachsene werden, möglichst gemeinsam und möglichst ohne einander zu schaden oder behindern? Diese Frage ist nicht identisch mit der Frage nach der Überwindung der Geschlechteridentität. Eine Identität als Mädchen oder Junge zu haben, als Frau oder Mann steht nicht im Gegensatz dazu, ehrgeizig oder fürsorglich zu sein. Im Gegenteil: Aus einer inneren Geschlechtssicherheit heraus lässt sich neues Terrain besser erkunden.
Die Pfade zur Erschließung der geistigen und körperlichen Kompetenzen sind bei Jungen und Mädchen nun einmal anders gelegt, sie sind individuell unterschiedlich, aber eben auch je nach Geschlecht. Es ist viel leichter, sich zu orientieren, wenn das allen bewusst ist und zugleich zu lernen, dass man experimentieren darf. So werden Grenzen geöffnet. Niemand soll in einem engen Rahmen stecken bleiben, aber alle Menschen kommen mit einer Grundausstattung, die tief mit ihrem biologischen und sozialen Geschlecht verwoben ist. Sie können sich viel leichter ändern, wenn sie erst einmal verstehen, warum sie sich so verhalten, wie sie es gerade tun. Das gilt im Übrigen auch für Paarbeziehungen.
Paradigmenwechsel: Der Gummibärchenansatz
Für die Geschlechterpädagogik, gerade wenn sie im koedukativen Rahmen stattfindet, brauchen wir einen Paradigmenwechsel. Es geht zunächst und vor allem darum, die Kinder mit ihren Stärken zu akzeptieren und zu schätzen, diese zu fördern und alles Weitere darauf aufzubauen.
Dieser Stärke-Ansatz, auch Respektansatz, wird heute bei der Frage von Religionen viel eher berücksichtigt. Kindergärten und Schulen, Krankenhäuser und auch Unternehmen haben sich darauf eingestellt, dass Muslime andere Kost essen und andere Feiertage haben. Eine Grenze wird oft beim Kopftuch gezogen – oder bei der Nichtteilnahme von Mädchen am Sportunterricht. Das ist diskutierenswert. Aber niemand erwartet, dass Muslime Schweinefleisch essen, um sich dadurch in eine Lern- oder Arbeitskultur einzufügen.
In unserer Familienservice-Schule in Berlin127 wussten die nicht muslimischen Kinder genau, dass ihre muslimischen Klassenkameraden nach ihrem Glauben keine Gummibärchen essen dürfen, weil die Gelatine aus Schweineknochen hergestellt wird. Wir wollten die Gummibärchen deshalb gerade nicht grundsätzlich aus der Schule verbannen und für alle verbieten. Wir hatten uns für den anspruchsvolleren Weg entschieden: Die einen aßen (manchmal) Gummibärchen, die anderen nicht, und beide wussten um die Gründe. Wir wollten den eigenverantwortlichen Umgang mit Kulturtechniken und Versuchungen fördern. Wenn ein muslimisches Kind nun trotzdem Gummibärchen essen wollte, durfte es das selbstverständlich tun! Dieses Konzept erforderte das Mitdenken der Kinder.128
Analog stellt sich die Frage der Geschlechtergerechtigkeit im Unterricht. Wenn Lehrer wissen, dass die meisten Jungen viel Bewegung brauchen, so sollte ihnen dies auch ermöglicht werden, natürlich nicht nur Jungen, sondern auch Mädchen, aber mit dem Wissen darum, dass der Bewegungsdrang der meisten Jungen noch größer ist und spezifische Mittel braucht, um ihn kanalisieren zu können. Wenn Jungen ein (zu) großes Selbstvertrauen haben, so sollte man sie nicht kleinmachen, sondern eher humorvoll die Grenzen ihres Tuns herausarbeiten. Das größere Selbstvertrauen von Jungen ist ja nicht a priori gegen Mädchen gerichtet, sondern es ist eine Grundhaltung, die sie aus den Zeiten des Kampfes mitbringen und die ihnen auch in vielen Lebenslagen nützlich ist. Es geht auch nicht darum, ihre Heldenbilder zu zerstören, sondern gezielt daran anzusetzen. Auch ein kleiner Cowboy, Pirat, Ritter, Fußballer, Eroberer kann ein großer Liebhaber oder ein empfindsamer Vater werden; auch ein Junge, der als Kind vom heroischen Kampf geträumt hat, kann den Beruf eines Altenpflegers ergreifen. Ein Junge, der im Kindergartenalter Bleistifte in Gewehre verwandelt – statt Schwerter zu Pflugscharen – ist kein späterer Gewaltmensch, wie manche Kindergärtnerinnen fürchten. Kürzlich wurde meine Schwiegertochter zu einem Elterngespräch gebeten, weil ihr dreijähriger Sohn alle möglichen Objekte als Schusswaffen verwendet – womöglich würde dies damit enden, dass er in der U-Bahn später Leute niedermacht. Der Vater hatte dann die gute Idee, dem Sohn eine Schaffnerkelle zu geben, mit der er jetzt als vermeintlicher Polizist den Verkehr regelt. Ihm eine Puppe anzubieten, wäre sicherlich keine erfolgreiche Strategie der Umlenkung von Energien gewesen.
Bei Mädchen hängt, wie wir wissen, ihr geringeres Mathematikinteresse nicht zuletzt damit zusammen, was ihnen die Lehrer zutrauen.129 Um Mädchen zu befähigen, müssen vor allem die Lehrpersonen mit ihren falschen Einschätzungen konfrontiert werden und nicht die Mädchen zurechtgebogen, ihre Denkansätze abgewertet werden. Es dürfte auch kaum helfen, die Treppenhäuser einer Grundschule, die ich kürzlich in einer neu erbauten Hamburger Stadtteilschule besucht habe, ganz in der Farbe rosa zu halten, die in unserer Kultur ein eindeutiges Bekenntnis zum Mädchenhaften ist – denn welches Signal sendet eine solche Maßnahme an die Jungen?
Ein geschlechtergerechter Ansatz, der die Stärken der Kinder respektiert, verlangt ein neues Verständnis der Lehrkräfte für die unterschiedlichen geschlechtsspezifischen Bedürfnisse. Lehrerinnen und Lehrer müssen sich darüber im Klaren sein, dass jede koedukative Klasse nicht nur aus lauter verschiedenen Individuen mit ihren jeweiligen Besonderheiten besteht – Kindern aus wohlhabendem Hause oder aus Hartz-IV-Familien, sportlichen oder übergewichtigen Kindern, Computerjunkies oder musikalischen Talenten. Sie müssen auch Gruppen mit ihren Besonderheiten wahrnehmen, zum Beispiel Ethnien, die teilweise eine ganz andere Sozialisation kennzeichnet, und Religionen, die ihren Gläubigen möglicherweise andere Gepflogenheiten abverlangt.
In jedem Fall aber gibt es noch jeweils vier besondere Untergruppen im Hinblick auf das Geschlecht: die »typischen« Mädchen – meist eher die Mehrheit, ergänzt durch eine meist eher kleine Gruppe »atypischer« Mädchen. Die »typischen« Jungen, meist wiederum eher die Mehrheit, ergänzt durch eine Gruppe eher untypischer Jungen. Natürlich sind die Grenzen willkürlich und im Einzelnen fließend, aber sie helfen, das Unterrichtsangebot und den Stil bewusst zu reflektieren. Untypische Jungen sind meist weniger dominant als die Mehrheit; sie sind oft eher Einzelgänger, nicht sehr beliebt, bisweilen mit ausgeprägten literarischen oder künstlerischen Interessen, eher mit guten Noten. Unter ihnen finden sich auch problematische Fälle, bis hin zu Jungen, die anonym andere Kinder im Internet bloßstellen, um so ihre fehlende Anerkennung zu kompensieren.130 »Untypische« Mädchen dagegen sind oft recht angesehen, wenngleich dominanter und risikofreudiger als ihre Geschlechtsgenossinnen. Sie schätzen den Wettbewerb. Sie sind auch durchaus erfolgreich im späteren Leben. Sie sind aber dennoch keine Jungen, lernen auch anders als Jungen. Die typischen Mädchen dagegen, oft die schweigende Mehrheit in ihrer Klasse, sind die am stärksten benachteiligte Gruppe. Lehrer sollten sich bewusst sein, dass sie selbst dazu neigen, diese Kinder nicht sonderlich zu fördern, ihre brachliegenden sozialen Begabungen und Führungstalente zu vernachlässigen, weil sie genug mit den anderen beschäftigt sind und letztlich auch andere mehr wertschätzen. Hier liegt eine große Talentreserve für die Zukunft – denn die hübschen und tüchtigen Schülerinnen von heute, mit ihren Freundinnen kichernd, mit Modefragen und dem Ausprobieren ihrer erotischen Reize beschäftigt, sind bei etwas gezielterer Ermunterung oft die Fach- und Führungskräfte von morgen. Sie werden nur nicht so wahrgenommen und bleiben in ihrem »Aspirationsniveau« deshalb unter ihren Möglichkeiten. Gerade diese Normalmädchen sollten mit anspruchsvollen Projekten herausgefordert werden.
Wenn Lehrer und Schüler wissen, dass im Klassenverband solche ganz unterschiedlichen Profile bestehen, können die Kinder entsprechend wahrgenommen, gewürdigt, abgeholt und gefördert werden. So wenig die dominanten Gruppen als alleiniger Maßstab gelten sollten, so wenig macht es Sinn, sich primär an den jeweils untypischen Kindern als Verhaltensnorm oder Vorbild zu orientieren. Es gilt, alle, auch die Mehrheiten zu begeistern, zu motivieren, zu interessieren. Mit wechselnden Methoden, an denen alle Spaß haben: visuell, in Bewegung, frontal, einzeln, in Gruppen, im Wettbewerb. Das mag aufwendig klingen – es ist aber viel frustrierender für Lehrer, an den Kindern hartnäckig vorbei zu unterrichten, viele Jungen zu verlieren und viele Mädchen unterhalb ihrer wirklichen Möglichkeiten verharren zu lassen.
Die anspruchsvollste und für das spätere Arbeitsleben wichtigste Aufgabe dabei ist es, positive Kanäle für das Dominanzverhalten von Jungen zu finden und Mädchen darin zu unterstützen, dass sie sich Jungen nicht automatisch unterordnen. Das ist nicht leicht in einem Alter, in dem Jugendliche sich neben dem Lehrplan stark mit ihrer sexuellen Attraktivität und ihrem Marktwert auf dem Geschlechtermarkt befassen – eine existenzielle Erfahrung!
Eine Geschlechterdidaktik fehlt in Deutschland. Die allgemeine Hilflosigkeit zeigt sich besonders im Bereich der Sportpädagogik. Die Lehrpläne der meisten Bundesländer sehen inzwischen für alle Jahrgänge einen koedukativen Sportunterricht vor. Dies wird mit dem Ziel der Chancengleichheit und der Rücksichtnahme der Geschlechter aufeinander begründet. Außerdem diene es dem Abbau von geschlechtsspezifischen Vorurteilen. In Wirklichkeit verhindert es jedoch, dass die Kinder und Jugendlichen tatsächlich ihre eigene Leistungsfähigkeit gezielt erkennen und stärken. Häufig kommt es zu Notlösungen, wie Fußball spielen der Jungen und unsystematische Aerobic bei Mädchen, um die Freude am Sport nicht völlig zu untergraben. Peinlichkeiten, pubertäre Schamgefühle und körperliche Unsicherheit gegenüber dem anderen Geschlecht sind unvermeidliche Begleiterscheinungen und Hemmnisse für einen wirkungsvollen Unterricht. Solche Kritikargumente wurden 1983 vom Verband der katholischen Sportlehrerinnen angeführt und haben bis heute kaum an Aktualität verloren. Geschlechtsgemischte Fußballteams bewähren sich bei Kindern allenfalls bis zur Vorpubertät. Eine Geschlechterdidaktik fehlt aus Angst vor dem Vorwurf des Biologismus. Dabei geht es darum, weibliche oder männliche Verhaltensweisen von Kindern nicht zu ignorieren, sondern sie anzunehmen und nicht als peinliche Verirrungen abzuwerten, sie den Kindern bewusst zu machen und sie selbst daran zu beteiligen, die alten Fallen zu vermeiden. Das kann grandiose Lerneffekte und ein produktives Miteinander erzeugen. Es gilt, einen neuen Lehrplan zu entwickeln: mit Liebe, Respekt und Humor gegenüber dem, was wir als Erwachsene und als Kinder jeweils mitbringen und was uns auszeichnet.
45 Lenzen, Dieter: »Mädchen gewinnen, Jungen verlieren?«, in: F.A.Z.net (Stand: 19. Mai 2009), www.faz.net/s/RubF3CE08B362D24486 9BE7984590CB6AC1/Doc~E5C45E1D79F17454CBCEDC015A73E07F9~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zugriff: 03. Mai 2011); und: »Deutschland liegt im EU-Vergleich bei Akademikeranteil weit hinten«, in: karriereführer.de, www.karrierefuehrer.de/newsletter/studie-akademikeranteil.html (Zugriff: 09. März 2011)
46 »Deutschland liegt im EU-Vergleich bei Akademikeranteil weit hinten«, in: karriereführer.de, www.karrierefuehrer.de/newsletter/studie-akademikeranteil.html; und: Stürzer, Monika: »Geschlechtsspezifische Schulleitungen«, in: Monika Stürzer; Henrike Roisch; Annette Hunze; Waltraud Cornelißen: Geschlechterverhältnisse in der Schule (DJI-Reihe Gender 20), Opladen 2003, S. 83–121; Jessen, Elisabeth; Mikuteit, Hanna-Lotte und Ulrich, Friederike: »Langzeitvergleich: Mädchen hängen die Jungs ab«, in: Abendblatt.de (Stand: 16. April 2010), www.abendblatt.de/hamburg/schule/article1460234/Langzeitvergleich-Maedchen-haengen-die-Jungs-ab.html (Zugriff: 17. Februar 2011)
47 An den Colleges und Universitäten der USA ist ihr Anteil auf 35 Prozent geschrumpft. Coates, Julie; Draves, William A.: Smart Boys, Bad Grades. Why Boys Get worse Grades than Girls and are only 35 % of Graduates in higher Education, River Falls 2006
48 Ein niedriger Akademikeranteil wird nicht von allen Bildungspolitikern als Menetekel der ökonomischen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands gesehen. Vor allem in den süddeutschen Bundesländern glaubt man an die Stärke eines hochwertigen dualen Systems, über das oft »nützlichere« Qualifikationen für den Arbeitsmarkt erworben werden könnten. Unbestritten ist, dass mit dem dualen System die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland weit niedriger gehalten werden konnte als in vielen anderen Ländern. Seine praxisorientierten Qualifizierungspfade entsprechen den Lernstrategien und -interessen gerade junger Männer oft besser als der verbale Lehrbetrieb eines Studiums. Die manchen so rückwärtsgewandt erscheinende »Handwerksideologie« darf nicht unterschätzt werden in ihrer Fähigkeit, »jungengerechte« Talente aufzuschließen und vor dem Ausstieg aus der Bildung zu bewahren. Das duale System funktioniert so gewissermaßen als Schutzraum, als »Bildungsbypass«, der manchen Jungen eine berufliche Zukunft sichert, die sonst mit schlechten Schulabgangszeugnissen große Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt hätten. Allerdings gilt ein nicht unerheblicher Teil junger Männer als gar nicht ausbildungsfähig, die entweder die Schule nicht abschließen oder deren Grundkenntnisse trotz Schulabschluss zu gering, ihre sozialen Fähigkeiten zu unterentwickelt sind.
49 Helbig, Marcel: »Sind Lehrerinnen für den geringeren Schulerfolg von Jungen verantwortlich?«, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Nr. 62 (2010), S. 93–111
50 Siehe dazu im Kapitel »Das moderne Geschlechterparadox« den Abschnitt »Der männliche Diskurs in Unternehmen«
51 Eine der noch kaum thematisierten Auswirkungen unseres sozial gegliederten Schulsystems ist der weniger ausgefeilte Sprachcode, über den Schulabgänger von Haupt- und Realschulen verfügen. In der ehemaligen DDR mit ihrem längeren gemeinsamen Schulverlauf waren die Sprachbarrieren zwischen den Schichten deutlich weniger ausgeprägt, und nicht zuletzt wohl deswegen waren auch »Mischehen« unter Partnern unterschiedlicher Bildung kulturell leichter möglich.
52 Junge Mädchen wünschen sich, ganz dem Klischee entsprechend, immer noch – oder wieder – häufiger hübsch als klug zu sein. Das ist das Thema des britischen Bestsellers Living Dolls – The Return of Sexism, London 2010, von Natasha Walter, ein Buch, das die frauenpolitisch engagierten Mütter jüngerer Frauen deprimiert und zu heftigen Kontroversen Anlass gibt. Das sind natürlich falsche Alternativen, aber mit einem Kern trauriger Wahrheit.
53 Brumbaugh, Claudia: »Rating Attractiveness: Consensus Among Men, Not Women«, in: Journal of Personality and Social Psychology (Juni 2009)
54 Stevenson, Betsey; Wolfers, Justin: »The Paradox of Declining Female Happiness«, in: American Economic Journal: Economic Policy, Vol. 1, Nr. 2 (2009), S. 190–225
55 In Ostdeutschland ist dies übrigens, im Rahmen einer generell gleichberechtigteren Kultur, weniger ausgeprägt. Die partielle Familienfeindlichkeit des Sozialismus begünstigte in der Summe eher die Familienbildung und den Familienzusammenhalt, wenn auch nicht in der klassischen Form – wie die verblüffte Familienforschung nach der Wende von 1990 herausfand. Die intensive ideologische Familienorientierung des westdeutschen Modells dagegen blockierte die Familiengründung und die Geburtenrate – ein weiteres Paradox.
56 Holst, Elke; Trzcinski, Eileen: Why Men Might »Have It All« While Women Still Have to Choose between Career and Family in Germany, Berlin 2011
57 In den USA und England tobte vor kurzer Zeit ebenfalls eine große Debatte, als die Forschung herausfand, dass die Glücksgefühle und Zufriedenheit der Frauen nach 30 Jahren Feminismus insgesamt niedriger ausfallen als vor Beginn dieses Aufbruchs.
58 Erler, Daniel; Dähner, Susanne: Frauen machen Neue Länder: Lebenssituationen und Perspektiven junger Frauen in den neuen Bundesländern – Forschungsstand, Berlin 2008
59 Mein Schulfreund Karl Mohrenstein hat dies dankenswerterweise von seinen Kollegen am Bismarck-Gymnasium in Karlsruhe für die letzten Jahre genau errechnen lassen – solche Zahlen liegen sonst nicht offiziell vor.
60 Dass in den neuen Bundesländern der Anteil der Jungen an den Abiturienten und Studenten noch niedriger ist als in Westdeutschland, lässt sich damit erklären, dass die Länder der ehemaligen DDR der gleichberechtigtere Teil der Bundesrepublik sind. Dies schlägt sich auch im Schulsystem mit einem höheren Lehrerinnenanteil nieder. Die neuen Bundesländer sind in dieser Hinsicht, wie in so vielem, eher den skandinavischen Ländern verwandt.
61 Beispielsweise soll das Modellprogramm »MEHR Männer in Kitas« den Anteil von derzeit 3 Prozent männlicher Erzieher aufstocken helfen.
62 Helbig, Marcel: Sind Lehrerinnen für den geringeren Schulerfolg von Jungen verantwortlich?, a. a. O.
63 Neugebauer, Martin: A teacher like me: Can teacher’s gender explain the ›boy crisis‹ in educational attainment?, Mannheim 2010
64 Gurian, Michael: Boys and Girls Learn Differently!, a. a. O., und Birkenbihl, Vera F.: Jungen und Mädchen: wie sie lernen, 4. Auflage, Regensburg 2009
65 Sax, Leonard: Jungs im Abseits. Die aufrüttelnde Analyse eines Kinderarztes: 5 Gründe, warum unsere Söhne immer antriebsloser werden. Mit einem Vorwort von Wolfgang Bergmann, München 2009
66 Vgl. allgemein: Hüther, Gerald: Männer. Das schwache Geschlecht und sein Gehirn, a. a. O.
67 Lenroot, Roshel; Gogtay, Nitin; Greenstein, Deanna u.a.: »Sexual Dimorphism of Brain Development Trajectories during Childhood and Adolescence«, in: Neurolmage, Band 36 (2007), S. 1065–1073
68 Siehe dazu Tannen, Deborah: Du kannst mich einfach nicht verstehen. Warum Männer und Frauen aneinander vorbeireden, München 2004
69 Kleine Jungen sollten nicht unbedingt still sitzen müssen. An einigen amerikanischen Schulen wird im Unterricht der ersten Klassen für Jungen weitgehend ohne Stühle gearbeitet. Es bewährt sich auch, Jungen Objekte in die Hand zu geben, mit denen sie ihre innere Bewegungsenergie kanalisieren können.
70 Siehe dazu Sax, Leonard: Jungs im Abseits, a. a. O.; ich kann hier keine detaillierten Empfehlungen für jungen- und mädchengerechte Bildung in Kindergarten und Schule vorlegen. Es gibt aber inzwischen vielfältige Materialien, vor allem aus den USA, zu diesem Thema und auch verbreitete Schulversuche aus dem Umfeld von Michael Gurian in einigen US-Staaten. In Deutschland hat anstelle der offiziellen Pädagogik die Ratgeberliteratur für Eltern dieses Thema in Ansätzen entdeckt. Die offizielle Pädagogik ist dagegen noch immer vorwiegend damit befasst, die Geschlechteridentitäten gerade von Jungen im Hinblick auf deren Aggressionen abzurüsten, anstatt das Thema unterschiedlicher Lernstile und -motivationen systematisch aufzugreifen und zu integrieren.
71 Sax, Leonard: Jungen im Abseits, a. a. O., S. 109ff
72 Hüther, Gerald; Bonney, Helmut: Neues vom Zappelphilipp: ADS verstehen, vorbeugen und behandeln, Ostfildern 2010
73 »Interview: Alm statt Ritalin!«, in: GEO.de (Stand: 28. März 2010), www.geo.de/GEO/mensch/medizin/62250.html (Zugriff: 23. Juni 2011)
74 Siehe dazu Beck, Günter: »Forderung nach besseren Bedingungen im Schulsport«, in: Badische Zeitung (Stand: 27. Februar 2009), www.badische-zeitung.de/sportpolitik/forderung-nach-besseren-bedingun gen-im-schulsport--12061247.html (Zugriff: 23. Juni 2011)
75 Gurian, Michael: Boys and Girls Learn Differently, a. a. O., S. 12; und: Corso, John: »Age and Sex Differences in Pure-Tone Thresholds«, in: Journal of the Acoustical Society of America, Vol. 31 (1959), S. 489–507
76 Caine, Janel: »The Effects of Music on the Selected Stress Behaviors, Weight, Caloric and Formula Intake, and Length of Hospital Stay of Premature and Low Birth Weight Neonates in a Newborn Intensive Care Unit«, in: Journal of Music Therapy, Vol. 28 (1991), S. 180–192
77 Sax, Leonard: Why Gender Matters, a. a. O.
78 Die sogenannte Lese-Rechtschreib-Schwäche trifft überwiegend Jungen, und auch sie liegt darin begründet, dass die spezifischen Lernstrategien von Jungen nicht erkannt werden. Der seit vielen Jahren mit unserem Unternehmen kooperierende Lerntherapeut Nicolay (Nicolay, H.D.: Das Legasthenie-Märchen. Jedes Kind hat die Fähigkeit, fehlerfrei lesen und schreiben zu lernen, München 2010) führt diese spezielle Störung, die in Deutschland Hunderttausende von Kindern betrifft, auf einen simplen Fehler zurück: die vor allem phonetische Unterrichtsform im Lese- und Schreibunterricht. Kinder, die heute erfolgreich lesen und schreiben lernen, meist Mädchen, prägen sich die Wortbilder im Wesentlichen als Ganzes ein, die phonetischen Elemente sind für sie nur Hilfsmittel der Analyse und des Verständnisses. Jungen, die Hauptbetroffenen der Lese-Rechtschreib-Schwäche, werden dagegen – nach Nicolay – gerade durch die primär phonetisch zerlegenden Unterrichtsmethoden des ersten Schreib- und Leseunterrichts in ihrem Lernprozess behindert, denn eigentlich sind sie primär visuell orientiert.
79 Salyer, David; Lephart, Edwin: »Sexual Dimorphism and Aromatase in the Rat Retina«, in: Developmental Brain Research, Vol. 126 (2001), S. 131–136; und: Tuman, Donna: »Sing a Song of Sixpence: An Examination of Sex Differences in the Subject Preference of Childrens Drawings«, in: Visual Arts Research, Vol. 25 (1999), S. 51–62
80 Iijima, Megumi; Arisaka Osamu; Minamoto, Fumie; Arai, Yasumasa: »Sex Differences in Childrens Free Drawings«, in: Hormones and Behavior, Vol. 40 (2011), S. 99–104
81 Sax, Leonard: Why Gender Matters, a. a. O.; und Tuman, Donna: »Sing a Song of Sixpence«, a. a. O.
82 Johnston, Sue: Does PowerPoint Make Us Stupid? A »minifesto« on Using the Software that Changed Meetings forever (Stand: 2004), www.itsunderstood.com/docs/PowerPointMinifesto.pdf (Zugriff: 15. Juli 2011)
83 Mechtenberg, Lydia: »Warum Mädchen besser schreiben und Jungen besser rechnen können. Lob und Tadel wirken je nach Geschlecht unterschiedlich«, in: WZB-Mitteilungen, Nr. 129 (2010), S. 20–23; und: PISA 2009 Ergebnisse: Was Schülerinnen und Schüler wissen und können. Schülerleistungen in Lesekompetenz, Mathematik und Naturwissenschaften (Band I), Berlin 2010, S. 63–65
84 »Warum lesen Frauen überwiegend Bücher, Männer hingegen Zeitung?«, in: P.M.de, www.pm-magazin.de/r/gute-frage/warum-lesen-frauen-überwiegend-bücher-männer-hingegen-zeitung (Zugriff: 15. Juli 2011)
85 Mayer, Susanne: »Siri Hustvedt: ›Warum lieben sich Menschen? Ich habe keine Ahnung‹«, in: Zeit Online (Stand: 20. März 2011) www.zeit.de/2011/12/Interview-Siri-Hustvedt (Zugriff: 17. Juli 2011)
86 Bettelheim, Bruno: Kinder brauchen Märchen, München 1993
87 Oberhuber, Nadine: »Lächle und herrsche«, in: Zeit Online (Stand: 03. Juni 2004), www.zeit.de/2004/24/Frauen (Zugriff: 17. Juni 2011)
88 Berg, Detlef; Scherer, Lukas; Oakland, Thomas; Tisdale, Timothy: Verhaltensauffälligkeiten und schwache Leistungen von Jungen in der Schule – die Bedeutung des Temperaments, Bamberg 2006
89 Horx, Matthias: »Die Reise mit den Söhnen. Das Computerspiel World of Warcraft und sein pädagogischer Nutzen«, in: Psychologie heute, Nr. 12 (2007), S. 44–50
90 Kegel, Sandra: »Computerspiele: Wenn Kinder Mörder spielen«, in: F.A.Z., Nr. 295 (2007), www.faz.net/artikel/C30351/computer spiele-wenn-kinder-moerder-spielen-30090102.html295 (Zugriff: 17. Juli 2011)
91 Mündlicher Bericht Regine Pfeiffer
92 Diverse Skandale und Rechtsstreitigkeiten ranken sich beispielsweise um das Internetportal »I share gossip«, das besonders häufig von Schülern frequentiert wird und in den Schulen zahlreiche dramatische »Beziehungskrisen« auslöst.
93 Nur selten noch schafft es ein »natürliches Spiel«, dem etwas entgegenzusetzen – wie im Moment die »Bayblades«, merkwürdig geformte metallene Kampfkreisel, mit denen Jungen in vielen Ländern gegenwärtig Wettkämpfe austragen. Jauer, Marcus: »Der große Dreh«, in: F.A.Z.net (Stand: 15. Februar 2011), www.faz.net/artikel/C31435/spielzeug-der-grosse-dreh-30327745.html (Zugriff: 17. Februar 2011)
94 Es gibt nur wenige Studien, die Hinweise darauf enthalten, dass Mädchen und Frauen sich unter veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in Wettbewerbssituationen ähnlich stark einbringen wie Jungen und Männer. Eine neuere Studie aus Schweden zeigte, dass Mädchen ihre Leistung steigerten, wenn sie sich im Laufen, Seilhüpfen oder Tanzen an anderen messen konnten. Das ist ein wichtiges Ergebnis. Es könnte darauf hinweisen, dass in modernen Umgebungen, wo Mädchen sehr lange und konsequent gleichbehandelt werden, sich auch ihre Bereitschaft zum Eintritt in den Wettbewerb positiv verändert. Doch selbst damit ist noch nicht ausgesagt, dass sie den direkten Vergleich in dem Umfang suchen und genießen, wie Jungen dies tun.
Das Gros der aktuellen und älteren Untersuchungen spricht dagegen. So auch eine neue Studie aus Österreich mit 1035 Kindern zwischen 3 und 18 Jahren, die das Ziel hatte, herauszufinden, ab welchem Alter Geschlechtsunterschiede im Wettbewerbsverhalten sich deutlich zeigen (Sutter, Matthias; Rützler, Daniela: Gender Differences in Competition Emerge Early in Life, a. a. O.). Im Versuchsaufbau wurden den Kindern und Jugendlichen einfache Rechenaufgaben und Laufspiele angeboten. Nun ist Österreich weder eine Gesellschaft mit schwedischer Gleichstellungspolitik noch ein muslimisches Land mit starker Geschlechtertrennung. Vielmehr zeichnet sich das reiche Österreich durch hohe Frauenerwerbstätigkeit aus. Somit sind die verblüffend eindeutigen Ergebnisse der Studie für viele westliche Industriegesellschaften mit einem mittleren Emanzipationsniveau von Frauen aussagefähig: Bereits im Alter von drei Jahren zeigte sich ein deutlicher Unterschied zwischen Jungen und Mädchen. Jungen sind schon in diesem jungen Alter viel eher bereit, sich an einem Wettbewerb zu beteiligen. Der Abstand zu den Mädchen beträgt 14 bis 20 Prozent und bleibt stabil über alle Altersgruppen hinweg.
95 Dazu ein kleines Beispiel aus der Welt des Schülersports: Völkerball ist unter Mädchen sehr beliebt, obwohl es als militärisches Ertüchtigungsspiel erfunden wurde. Wer von einem Ball getroffen wird, muss vom Spielfeld; wer am Schluss übrig bleibt, der gewinnt. In einschlägigen Jugendforen im Internet habe ich gelesen, dass viele in diesem Spiel erfolgreiche Mädchen dadurch gewinnen, dass sie sich einfach im Hintergrund halten und darauf achten, nicht in der Wurflinie zu stehen (»Völkerball-›Zombieball‹-Tipps?«, in: Mädchen.de (Stand: 23. November 2010). www.maedchen.de/forum/sport-fitness/87766-voelkerball-zombieball-tipps.html (Zugriff: 17. Juni 2011). Gewinnerin kann damit gerade diejenige werden, die am geschicktesten im Hintergrund geblieben ist – eine sehr, sehr aussagekräftige Abweichung vom Fußball und vielleicht mit eine Erklärung, warum Völkerball spontan bei Mädchen recht beliebt ist.
96 Das ist einer der Gründe, weshalb Hausaufgaben von Jungen besonders ungern erledigt werden, die ja oft nicht dem Neuen, sondern dem Einüben von bereits Bekanntem dienen – eine Unlust, die in vielen Schulen zu ihrer negativen Beurteilung beiträgt. Dabei weisen viele empirische Studien darauf hin, dass die Wirkung von Hausaufgaben für den Lernerfolg eher gering ist (Gängler, Hans: »Hausaufgaben haben oft nicht den gewünschten Effekt«, in: Deutschlandradio Kultur (Stand: 13. Februar 2008), www.dradio.de/dkultur/sendungen/thema/738959/ (Zugriff am 15. Juni 2011)
97 Siehe dazu Sax, Leonard: Why Gender Matters, a. a. O.
98 Kröger, Michael: »Warum Egoismus im Geschäftsleben schadet«, in: Spiegel Online (Stand: 12. November 2009), www.spiegel.de/wirt schaft/soziales/0,1518,655217,00.html (Zugriff: 12. Februar 2011)
99 Heim, Pat; Murphy, Susan A.: In the Company of Women, a. a. O., S. 68–83
100 Campbell, Anne: »Female competition: Causes, Constraints, Content and Contexts«, in: The Journal of Sex Research (Februar 2004)
101 Kleinau, Elke; Opitz, Claudia: Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Band 2: Vom Vormärz bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M., New York 1996
102 Zum Beispiel von dem Mädchengymnasium Borbeck in NordrheinWestfalen
103 Baumert, Jürgen: »Koedukation oder Geschlechtertrennung«, in: Zeitschrift für Pädagogik, Vol. 38 (1992), S. 83–110
104 Picht, Georg: Die deutsche Bildungskatastrophe, Freiburg i. Brsg. 1964
105 Die »Volksschulen«, vor allem auf dem Land, standen von Anfang sowohl Jungen wie Mädchen offen, vor allem, da es im Dorf meist nur einen Lehrer gab. Doch auf ihnen ging es schließlich ja auch nur um die Vermittlung elementarer Kenntnisse in Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion – wie sie für alle Bürger notwendig schienen und auch für Mädchen als unschädlich galten.
106 Holzmüller, Maria: »Unterricht mit Mädchen: Dauerstress für Jungen«, in: Sueddeutsche.de (Stand: 07. April 2011). www.sueddeutsche.de/karriere/jungenforscher-im-gespraech-unterricht-mit-maedchendauerstress-fuer-jungen-1.1081989 (Zugriff: 08. April 2011)
107 www.mgbessen.de
108 Die amerikanischen Frauen-Eliteuniversitäten mit so klangvollen Namen wie Vassar und Wellesley oder jenes Radcliffe, das einst an Harvard angeschlossen war, haben Unschätzbares für Frauen geleistet, und viele prominente Frauen hervorgebracht (zum Beispiel die Dichterin Elizabeth Bishop und Pulitzerpreisträgerin Jane Smiley). Doch der Trend, die noch vorhandenen Frauen-Universitäten von Mono- auf Koedukation umzustellen, bleibt auch in den angelsächsischen Ländern ungebrochen.
109 Schmidt, Birte: »Studieren ohne Männer«, in: Karrierewelt (4./6. Juni 2011), S. 9
110 Jackson, C.; Smith, I. D.: »Poles apart? An Exploration of Single-Sex and Mixed Sex educational Environments in Australia and England«, in: Educational Studies, Vol. 26, Nr. 4 (2000)
111 www.dulwich.org.uk. Vgl. auch: Dweck, C.S.; Davidson, W.; Nelson, S.; Enna, B.: »Sex Differences in learned Helplessness, II: The Contingencies of Evaluative Feedback in the Classroom and III: An Experimental Analysis«, in: Developmental Psychology, Vol. 14, Nr. 3 (1978), S. 268–276
112 Single-Sex Education for Boys, www.ericcholis.com/single_sex_education/ psychological_impact_of_single-sex_schools.htm (Zugriff: 08. April 2011)
113 Younger, M.; Warrington, M.: »Single-Sex Classes in co-educational comprehensive Schools in England: an Evaluation based upon students’ performance and classroom interactions«, in: British Educational Research Journal, 28, Nr. 3 (2002), S. 353–374, hier S. 366–367
114 Metz-Göckel, Sigrid: »Signifikante Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen«, in: Zweiwochendienst, Nr. 09–10 (2002), S. 1f.; und: Giest, Hartmut : »Mädchenschule – Jungenschule … oder doch gemeinsam? Koedukation oder Monoedukation – was ist besser für mein Kind?«, in: Das Familienhandbuch des Staatsinstituts für Frühpädagogik (IFP), München 2004
115 Martignon, Laura; Niederdrenk-Felgner, Cornelia; Vogel, Rose (Hg.): »Soziale Bezüge beim mathematischen Beweisen sehen – Verschiedene Akzente bei Mädchen und Jungen«, in: Mathematik und Gender, Hildesheim 2006
116 Mechtenberg, Lydia: »Warum Mädchen besser schreiben und Jungen besser rechnen können. Lob und Tadel wirken je nach Geschlecht unterschiedlich«, a. a. O., S. 20–23
117 Nowotny, Sarah: »Was Iran der Uni Bern voraushat«, in: Der Bund.de (Stand 05. März 2009), www.derbund.ch/zeitungen/ausland/Was-Iran-der-Uni-Bern-voraushat/story/13679489 (Zugriff: 18. Juli 2011)
118 www.derbund.ch/bern/dossier/175-jahre-uni-bern/Was-Iran-der-Uni-Bern-voraushat/story/13679489
119 So beispielsweise in: Heinsohn, Gunnar: Söhne und Weltmacht: Terror und Aufstieg im Fall der Nationen, erw. Auflage, Zürich 2006; auch: Klingholz, Reiner: »Machen junge Männer Krieg?«, in: Die Zeit, Nr. 10 (26. Februar 2004)
120 Hartmann, Michael: Der Mythos von den Leistungseliten: Spitzenkarrieren und soziale Herkunft in Wirtschaft, Politik, Justiz und Wissenschaft, Frankfurt a. M. 2002
121 »Trotz Krise: Island erreicht höchste Geburtenrate in Europa«, in: Wirtschaft.ch (Stand: 20. März 2009), www.wirtschaft.ch/Trotz+Krise+ Island+erreicht+hoechste+Geburtenrate+in+Europa/378320/detail.htm (Zugriff: 16. Juli 2011)
122 Jahnke-Klein, Sylvia: »Chancengleichheit für Mädchen und Jungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht«, in: Frank Hellmich (Hg.): Lehren und Lernen nach IGLU – Grundschulunterricht heute, Oldenburg 2005, S. 125f.
123 Prenzel, Manfred; Burba, Desiree: »PISA-Befunde zum Umgang mit Heterogenität«, in: Günther Opp; Theodor Hellbrügge; Luc Stevens (Hg.): Kindern gerecht werden, Bad Heilbrunn 2006. Und: Burba, Desiree; Rost, Jürgen: »Mädchen und Jungen – unterschiedliche Fertigkeiten trotz gleicher Fähigkeiten?«, Ergebnisse aus PISA 2003
124 Faulstich-Wieland, Hannelore (Hg.): Abschied von der Koedukation? (Materialien zur Sozialarbeit und Sozialpolitik 18), Frankfurt a. M. 1987
125 www.muc.kobis.de/index.php?id
126 Ullrich, Charlotte: »Wer ist Judith Butler und was macht sie? ›Undoing gender‹«, Butlerlesenachmittag der AG feministischen Theorie und Praxis (Stand: 15. Mai 2005), www.ruhr-uni-bochum.de/fwu/texte/tp_butler.pdf (Zugriff: 10. Februar 2010)
127 Die Schule musste vor allem aufgrund von veränderten Rahmenbedingungen für die Elternbeiträge in Berlin im Sommer 2011 leider geschlossen werden.
128 In den USA habe ich im Schulbetrieb einer privaten Reformschule erlebt, dass Kinder niemals ihr mitgebrachtes Essen mit anderen teilen durften – streng jüdisch-orthodoxe Kinder hatten andere Tabus als Katholiken oder Muslime und der Tabuverletzung wurde mit einem strengen Tauschverbot begegnet. Das ist jedoch ein eher mechanisches Konzept von Vielfalt, vielleicht nur bei sehr kleinen Kindern angemessen.
129 Jahnke-Klein, Sylvia: »Chancengleichheit für Mädchen und Jungen im mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht«, a. a. O., S. 3
130 Lundgren, Manuela: »Virtuelle Belästigung mit realen Folgen«, in: Deutschlandradio.de (Stand: 31. Oktober 2010). www.dradio.de/dlf/ sendungen/hintergrundpolitik/1307104/ (Zugriff: 22. Juli 2011)