Mehr als nur einmal hatte ich die verteidigt, die sich nicht dem Gruppendruck beugen wollten oder konnten, wenn sie wieder mal blöd angemacht wurden.
Ich trug zwar oft selbst Markenklamotten, weil ich die Qualität schätzte und mich gerne stylte, doch ich musste mir die Mehrkosten in der Boutique meiner Mutter verdienen, was ich völlig in Ordnung fand. Trotz des vielen Geldes, welches Dad als Schauspieler in Hollywood verdiente, wurden mein Bruder Scott und ich nicht verwöhnt. Dad konnte nämlich die selbstverliebten Kids mancher Schauspielerkollegen nicht ausstehen.
Seit ein paar Monaten war ich zum Pessimisten mutiert. Manchmal lag ich den ganzen Nachmittag auf dem Bett und grübelte vor mich hin. Es war schleichend passiert und das Gefühl, das alles beschissen war und nervte, wurde immer stärker. Ich konnte mich nicht dagegen wehren, was mich wiederum noch mehr verunsicherte.
Meiner Familie erzählte ich nichts davon. Auch nicht meiner besten Freundin Luana, mit der ich sonst über alles sprach. Ich wollte niemanden mit meinen Problemen belasten. Das war nicht mein Stil.
Auch Julie, die sich mir jetzt fröhlich näherte, während ich bei meinem Spind der internationalen Schule wartete und gelangweilt die Schüler beobachtete, konnte mich nicht aufmuntern. Als ich sie kennengelernt hatte, war sie viel natürlicher und etwas scheu gewesen, was auch der Grund war, sie anziehend zu finden. Sie war ein angenehmer Lichtblick in der Menge der vielen Modepüppchen gewesen. Doch seit Lina, ihre frühere Freundin aus Paris, die Schule besuchte, hatte sie sich verändert.
Stirnrunzelt musterte ich Julie nun. Hatten wir noch etwas vor? Welchen Termin hatte ich verpasst? Sie war noch stärker geschminkt als üblich. Ihre Kleidung zu körperbetont und ihre weißblonden Haare auf dem Kopf zu einem Knoten gedreht.
Vor ein paar Tagen hatte sie sie bleichen lassen, was ich nicht verstehen konnte. Warum hatte ihr das natürliche Blond nicht mehr gereicht? Mir hatte es viel besser gefallen, aber weil ich sie nicht kränken wollte, hatte ich mich mit Kritik zurückgehalten.
Als sie nun vor mir stand, wollte ich sie wie üblich in den Arm nehmen und küssen, doch sie wich mir geschickt aus.
Gekränkt lehnte ich mich wieder an den Spind und verschränkte die Arme vor der Brust, damit sie meine Unsicherheit nicht bemerkte. »Gibt es ein Problem?«, fragte ich kühl. Sämtliche Muskeln spannten sich in meinem Körper an.
»Nein, alles in Butter. Gehen wir heute zu dir nach Hause? Dein Dad ist doch heimgekommen?« Ihre Stimme klang aufgeregt und ich ahnte bereits, was mich erwartete.
»Warum? Was willst du von ihm?«, fragte ich. Noch hoffte ich, mich zu täuschen.
In mir begann sich Wut zu regen, als sie mich nun doch an sich ziehen wollte, und ich wehrte sie ab. Ich war doch kein Spielzeug, zu dem sie greifen konnte, wann es ihr beliebte.
»Bist du nur mit mir zusammen, um mit ihm ein Selfie zu schießen, das du danach bei Instagram posten kannst?« Den Sarkasmus konnte ich nicht aus meinen Worten halten.
»Mason, natürlich nicht«, sagte sie mit ihrem französischen Akzent - und lächelte gekünstelt, was mich endgültig auf die Palme brachte. »Es hat doch nichts mit dir zu tun. Ich mag dich und möchte dich nicht verlieren, aber warum sollte ich die Situation nicht ausnutzen, wenn sie mir auf dem Silbertablett präsentiert wird?« Sie klimperte mit ihren getuschten Wimpern. »Rouven hat viele Kontakte und er sieht superheiß aus. Ich wäre nicht abgeneigt, mich ihm erkenntlich zu zeigen, sollte er mir eine Rolle vermitteln.«
Wie bitte? Ich löste mich vom Spind und trat einen Schritt auf sie zu. »Verstehe ich dich richtig? Du willst mit meinem Vater ficken, damit er dir eine Rolle besorgt und danach wieder zu mir zurückkommen?", fragte ich und blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an. Hitze begann sich vor Wut in meinem Körper breit zu machen. Entweder war sie vollkommen kaltblütig oder unfassbar dumm und naiv.
»Mason, wirklich. Musst du so ordinär sein?«, fragte sie zickig. Ihre perfekt gezupfte Augenbraue hob sich.
Ich verdrehte die Augen. Es war nicht meine Art, aufbrausend zu werden, was sie auch wusste.
»Wie soll ich es denn nennen?«, fragte ich sie ironisch. »Genauso ist es doch. Leider kennst du meinen Vater schlecht. Er würde sich niemals an solchen Spielchen beteiligen. Dafür liebt er Mom zu sehr. Bist du selbst auf diese glorreiche Idee gekommen?« Ich hatte so eine Ahnung, auf welchem Mist das Ganze gewachsen war.
»Nein, es war meine«, antwortete ihre Freundin Lina, die gerade in diesem Moment in ihren Pumps auf uns zu gestöckelt kam. Topgestylt und geschminkt, als käme sie direkt vom Laufsteg. Wir konnten uns gegenseitig nicht leiden. Sie verkörperte alles, was ich hasste. Vor allem Arroganz und Falschheit. Was ihr Problem mit mir war, konnte ich noch nicht herausfinden. Ich tippte aber auf Eifersucht.
»Deine Freundin hat das Zeug zu einer großartigen Schauspielerin. Wieso sollte sie die Situation nicht zu ihrem Besten ausnutzen?«
»Du bist das Letzte!«, zischte ich und wandte mich an Julie. »Verpiss dich. Ich kann dich nicht mehr ansehen. Du ekelst mich an.« Ich spürte dabei, wie mir die Hitze in die Wangen stieg. Hoffentlich war mein Kopf nicht rot geworden.
Ich war ein Idiot. Wieso hatte ich es nicht wahrhaben wollen, dass sie sich immer mehr von Lina beeinflussen ließ?
Julie zog mich am Arm. »Bitte, sei doch nicht gleich eingeschnappt«, bettelte sie, »wir können doch darüber sprechen.«
Eingeschnappt? Ich konnte es nicht fassen. Sie verhielt sich so egoistisch.
»Lass mich los. Ich bin fertig mit dir«, erklärte ich ihr kalt und entriss ihr meinen Arm.
Als ich dann auch noch vereinzelt Handykameras der Mitschüler klicken hörte, verließ ich rasch das alte Schulgebäude. Diese Idioten sollten mir die Demütigung nicht anmerken. Wir hatten ihnen ein wahres Schauspiel geboten, das ich in meiner Wut nicht realisiert hatte und mir nun zuwider war.
Ich eilte durch die Altstadt zur Münsterplattform, unter den Bäumen entlang, an den grünen Holzbänken vorbei und lehnte mich kurze Zeit später über die tiefe Mauer, dessen rauer Stein sich, trotz des warmen Herbsttages, ganz kalt unter meinen Handflächen anfühlte.
Das war mein Lieblingsplatz hier in Bern. Die Aussicht auf die Flussschwellen, die Gärten des Münsters und die Häuserreihen des ältesten Quartiers von Bern – der Matte – war ein wunderbarer Anblick.
Ich beobachtete, wie die Aare, die unter der Altstadt durchfloss, entlang des Wehrs aufspritzte. Das leise Geräusch des rauschenden Wassers, das bis hier hinaufdrang, beruhigte mich etwas.
Die Tränen drängte ich zurück, auch wenn das Brennen in den Augen unerträglich war. Mein Stolz ließ es nicht zu, in der Öffentlichkeit zu weinen.
Ich war vieles gewohnt. Angebliche Freunde, die sich bei mir einschleimten, um an Selfies mit Dad heranzukommen, Autogrammwünsche oder Schwärmereien für ihn. Doch Julies heutiger Auftritt toppte sogar das Horror-Date, das ich im Frühjahr gehabt hatte.
Wir saßen damals in der Spaghettifactory, einem Italiener am Kornhausplatz. Den ganzen Abend hatte das Mädel mich mit Fragen über meinen Vater gelöchert. Erst war ich höflich geblieben und antwortete ihr, aber schließlich reichte es. So stellte ich mir kein Date vor – sicherlich nicht. Ich hatte das Handy gezückt und ihr die Wikipedia-Seite meines Dads gezeigt.
»Schau, hier und auf seiner Webseite findest du jede Menge Infos. Dazu brauchst du kein Date mit mir. Ich kann Besseres mit meiner Zeit anfangen.«
Ohne ein weiteres Wort hatte ich das Restaurant verlassen, gedemütigt und verletzt. Durch die Scheibe hatte ich noch das feuerrote Gesicht des Fangirls gesehen, was mich etwas über das unmögliche Date hinweggetröstet hatte.
»Hey Kleiner. Du siehst traurig aus. Alles klar bei dir?« Die rauchige Stimme mit osteuropäischem Akzent unterbrach meine Gedanken.
Irritiert sah ich auf und erkannte ein Pärchen, das sich direkt neben mir an die Mauer lehnte, ohne dass ich es bemerkt hatte. Die giftgrünen und streichholzkurzen Haare der Frau standen ihr wirr vom Kopf ab. Der Mann dagegen hatte eine Glatze. Beide waren in abgewetzten Hosen, Bikerstiefeln und Lederjacken unterwegs.
Sie musterten mich ebenso unverhohlen wie ich sie. Ein amüsiertes Lächeln überzog ihre schmalen Lippen. Ich fragte mich, was ihr durch den Kopf ging, aber ich hatte keinen Bock auf ein Gespräch und murmelte nur: »Ich bin okay, danke.« Dann wandte ich mich wieder von ihnen ab.
Die beiden schienen zu spüren, dass ich keinen Bock hatte, über meine Sorgen zu sprechen, und stellten keine weiteren Fragen. Als wäre nichts gewesen, holten sie je ein Bier aus einer mitgebrachten Kartonschachtel und tranken dieses unbekümmert. Die Blicke der Passanten, die sie abfällig musterten, interessierten sie nicht. Hier war ein solches Verhalten unerwünscht, nicht nur der vielen Touristen wegen.
Als die fremde Frau mir auch eins anbot, nahm ich es trotzdem dankend an. Sollte doch die Presse schreiben, was immer sie wollte. Langsam hatte ich die Schnauze voll, ewig der brave Mason zu sein, auf dem alle herumtrampelten.
Während ich das erste Bier trank, war ich noch zurückhaltend, doch durch den Alkohol lockerte sich meine Verkrampfung etwas und wir kamen ins Gespräch.
Erst einmal stellten wir uns mit Vornamen vor. Meinen Nachnamen brauchten sie nicht zu wissen. Sie sollten mich als die Person wahrnehmen, die ich war. Nicht als Sohn meines berühmten Vaters. Sollten sie mich erkannt haben, erwähnten sie es nicht.
»Wir setzen uns auf die Bank dort hinten. Willst du dich uns anschließen?«, fragte mich Natascha auf einmal.
»Klar. Warum auch nicht?« Ich folgte Silvio und ihr mit dem zweiten Bier, das er mir vorher in die Hand gedrückt hatte. Unterdessen pfiff ich ebenso auf die kritischen Blicke der Plattformbesucher wie sie.
Natascha setzte sich neben mich und fragte: »Geht es dir jetzt besser? Du wirkst etwas entspannter.«
Silvio schubste sie. »Lass Mase doch in Ruhe. Du würdest einer Wildfremden auch keine Geheimnisse anvertrauen. Wahrscheinlich hat er Liebeskummer?« Dabei blinzelte er mir verschwörerisch zu.
»Ja, ich hatte Stress, aber das ist mein Problem. Ich möchte nicht darüber sprechen«, blockte ich ab.
»Kein Problem. Wir verstehen das«, antwortete Silvio.
»Seid ihr oft hier?«, fragte ich etwas freundlicher.
»Unsere Clique trifft sich mal hier, mal dort.«
Genauere Angaben machte er nicht, was ich verstand. Ich war nicht mitteilsamer. Wir genossen einfach das schöne Wetter und saßen faul auf der Bank herum. Ich fühlte mich wohl in ihrer Gegenwart, obwohl sie nicht zu den Leuten gehörten, die ich sonst in meinem Umfeld hatte. Vielleicht mochte ich sie gerade deshalb.
Als ich mich nach einer Stunde verabschiedete, war ich etwas wackelig auf den Beinen. Normalerweise trank ich kaum Alkohol.
Glücklicherweise war niemand zu Hause, als ich heimkam, und ich konnte mich ins Zimmer verkrümeln.
Am nächsten Morgen hatte ich starke Kopfschmerzen, besuchte aber wie immer die Schule, damit niemand Fragen stellte.
Es wurde ein Spießrutenlaufen wegen meiner Sache mit Julie. Hämische und mitleidige Blicke folgten mir. Sobald ich einen Raum betrat, stoppten die Mitschüler ihre Gespräche, sodass mir klar war, über wen sie herzogen.
Als zu alledem auch noch Julie persönlich auftauchte, um mit mir über den gestrigen Streit zu sprechen, reichte es mir.
»Was willst du noch?«, pflaumte ich sie an.
»Ich möchte mich entschuldigen. Gib mir bitte noch eine Chance.«
»Wie bitte?« Ungläubig starrte ich in ihre blauen großen Augen. Glaubte sie wirklich, aus uns könnte noch etwas werden? »Dein Verhalten ist unentschuldbar. Lass mich zukünftig in Frieden.«
Wie gestern versuchte sie mich am Arm zurückzuhalten, als ich weggehen wollte. »Mason, du kannst mich nicht verlassen. Bitte. Es hat doch sonst zwischen uns gestimmt«, flehte sie.
»Lass mich los!«, herrschte ich sie an.
Mein bedrohlicher Tonfall ließ sie sofort handeln. Dann drückte sie auf die Tränendrüsen, um mich umzustimmen.
»Spar dir das für einen Dümmeren auf und verzieh dich. Zwischen uns ist es aus«, stoppte ich das Geheule in energischem Tonfall.
Weil sie stehenblieb und mich traurig ansah, ging ich einfach davon.
Erneut flüchtete ich nach der Schule zur Aussichtsplattform. Auch Natascha und Silvio hielten sich wieder dort auf.
»Hey. Du siehst aber wütend aus. Hast du immer noch dasselbe Problem?«
»Ja, ich habe echt keinen Bock mehr. Meine Mitschüler und meine Ex gingen mir den ganzen Tag auf den Wecker.« Mehr brauchten sie nicht zu wissen. Sie fragten auch nicht weiter, was ich an ihnen schätzte. Die beiden respektierten meine Zurückhaltung.
»Lass dich nicht verrückt machen. Wir gehen zur Aare herunter. Auf der anderen Seite gibt es ein paar Plätze, bei denen wir ungestörter sind. Komm doch mit.«
Ich folgte ihnen also die Fricktreppe hinunter zu einem versteckten Platz am Ufer, wo wir uns auf einen Stein setzten.
Natascha hielt mir ihren Joint hin, den sie kurz zuvor angezündet hatte. »Möchtest du einen Zug nehmen? Das wird dich etwas beruhigen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich steh nicht drauf.« Das Bier, das mir Silvio stattdessen anbot, nahm ich hingegen gerne an. Ich war noch immer wütend. Vor allem auf die Abgebrühtheit von Julie. Werde ich je an eine Frau geraten, die nicht auf meinen Dad aus ist?
»Wie du willst. Du kannst es dir ja überlegen.«
»Ne, schon gut. Das Bier reicht mir völlig.«
Silvio lachte. »Er hat seine Prinzipien. Das finde ich gut.«
Auch heute reichte es ihnen aus, mit mir abzuhängen, ohne viel zu quatschen. Sie drängten mir kein Gespräch auf.
Nach mehreren Flaschen Bier machte ich mich wackelig auf den Heimweg. Es waren doch eine oder zwei zu viel gewesen.
Zu Hause gab es Zoff. Dad roch an mir. »Hast du getrunken? Du stinkst wie ein Bierfass.«
»Hey mach doch keinen Stress. Es war nur eine Flasche. Oder zwei.« Während des Schuhausziehens musste ich mich am Garderobenschrank festhalten, um nicht über meine eigenen Füße zu stolpern. Mir drehte sich der Kopf vom vielen Alkohol.
»Das glaubst du doch selbst nicht.« Dad durchbohrte mich mit einem strengen Blick aus seinen stahlblauen Augen. »Es scheint auch nicht das erste Mal zu sein. Die Presse schreibt bereits über dich.«
Was? Dad hielt mir eine Zeitschrift unter die Nase. Auf dem Bild sah man mich mit einem Bier in der Hand.
Mason Gardner betrunken auf der Münsterplattform .
Bereits sein Vater, der Hollywoodstar Rouven Gardner, hatte früher ein Alkoholproblem. Schlägt der bisher unauffällige Mason nach seinem Dad?
Ich runzelte die Stirn und wollte über die verleumderische Presse lästern, als mir Dad das Wort abschnitt.
»Bist du verrückt, Mase? Du ruinierst deinen guten Ruf.« Sein Tonfall war lauter geworden. Seine Stirn hatte sich gerunzelt.
»Es wird nicht mehr vorkommen«, erwiderte ich genervt. Ich meinte damit nicht den Alkohol, sondern, dass ich mich nicht mehr beim Trinken ertappen lassen würde. Die ewigen Vorschriften reichten mir.
»Na hoffentlich«, motzte Dad, bevor ich gereizt in meinem Zimmer verschwand und die Tür hinter mir zuschlug, denn ich wusste, er konnte das auf den Tod nicht ausstehen.
Am darauffolgenden Freitag fuhr ich nach einem heftigen Streit mit Luana und dem dadurch abgebrochenen Filmabend erneut zur Aare hinunter, wo ich diesmal nur Natascha antraf.
»Hey Mase. Alles cool?« Sie klang aufrichtig interessiert, zog mich an der Hand zu sich herunter und umarmte mich, ehe ich mich neben sie auf den Stein setzte.
»Nö.« Ich erzählte ihr von dem Streit mit meiner besten Freundin. »Das macht mich gerade richtig fertig.« Tief in meinem Inneren war mir klar, dass ich am Streit schuld war, aber weshalb musste Luana denn so überreagieren?
»Och, die wird sich bestimmt wieder beruhigen. Sonst hast du immer noch mich«, versuchte mich Natascha aufzumuntern. Sie hielt mir den Joint hin, den sie rauchte. »Komm schon. Nimm einen Zug. Das Bisschen wird dich nicht gleich süchtig machen, aber ungemein entspannen.«
Nach einigem Zögern gab ich nach. Scheiß auf meine Bedenken. Ich wollte nur einmal das ganze Elend vergessen. Ich brauchte diesen Kick jetzt. Es würde kein zweites Mal vorkommen. Das schwor ich mir.
Langsam zog ich an der Tüte und bekam natürlich postwendend einen Hustenanfall. Natascha schmunzelte und streichelte mir zärtlich mit dem Handrücken über die Wangen, ehe sie ihre Lippen plötzlich fest auf meine drückte. Etwas überrascht, aber trotzdem freudig, erwiderte ich den Kuss. In meinem Magen entstand ein warmes Gefühl. Es breitete sich in mir aus und vertrieb für wenige Minuten die Wut, die sonst in mir herrschte.
Wir trafen uns ab da regelmäßig zu zweit oder zu dritt. Ich merkte, dass mich das Kiffen vom Grübeln abhielt, und steckte mein ganzes Taschengeld in das Marihuana oder in Bier, statt ins Mittagessen oder in Markenklamotten. Wer brauchte die schon?
Je öfter mich die Mitschüler nervten und meine Familie mich wegen meines neuen Lebenswandels ausschimpfte, desto sturer blieb ich dabei. Sie konnten mich alle kreuzweise.