Kapitel 18
Nick
Ich hatte die ganze Zeit gewusst, dass Brody zu mir kommen würde. Ich hasste es, wenn er sich Sorgen machte, aber sobald ich merkte, dass ich in Schwierigkeiten steckte, wusste ich, dass er da sein würde.
Als ich im Krankenwagen aufwachte, hatte seine Gegenwart an meiner Seite ein warmes Gefühl in mir ausgelöst, bevor die Dunkelheit und die Kopfschmerzen wieder einsetzten.
Die Nahtstiche fühlten sich nicht gerade toll an, aber mein Kopf tat eh schon so weh, dass es nicht so schlimm war. Jetzt wollte ich nur noch schlafen, aber diese verdammten Krankenschwestern ließen mich nicht. Brody und Addie als Gesellschaft zu haben half, aber ich wollte mich eigentlich nur zusammenrollen und eine Woche lang schlafen.
Ich sah Addie gehen und fühlte, wie Brody zu mir kam.
»Hey.« Seine warmen Hände legten sich um meine und ich verlor mich fast in seinen Augen.
»Selbst hey.« Mein Lächeln fühlte sich an wie nach einer intensiven Zahnbehandlung, wackelig und unsicher.
»Du hast mich so was von Scheiße erschreckt.«
Ich konnte nicht anders und musste lachen.
»Jaha, ich fühlte mich selbst irgendwie verängstigt. Entschuldigung, dass du mich so finden musstest. Ich glaube, ich weiß nicht wirklich, wie du mich gefunden hast, aber wenn die Erinnerung daran und der Schmerz in meinem Kopf ein Hinweis
sind, schätze ich, dass es ziemlich hässlich war.«
»Richtig. Du lagst am Boden und hast geblutet wie ein Schwein. Sah aus wie eine verrückte Mordszene. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, als du mir keine SMS geschrieben hattest. Dann war die Tür nicht abgeschlossen, die Tiere drehten am Rad, das viele zerbrochene Glas. Das Bild, als ich um diese Ecke ging und dich in einer Blutlache fand, das geht mir mein Lebtag nicht mehr aus dem Kopf.«
Brody verzog das Gesicht und schüttelte den Kopf, während er meine Hand fest umklammerte.
»Also, erinnerst du dich, was passiert ist?«
Gerade als Brody seine Frage stellte, klopfte es an der Tür. Hinter einer Krankenschwester standen zwei uniformierte Polizisten.
»Herr Ferguson, die Polizei hofft auf Ihre Aussage. Wenn Sie sich zu müde fühlen oder zu starke Schmerzen haben, können die Herren auch zu einem anderen Zeitpunkt wiederkommen.«
Ich spürte, dass sie die Männer, die viel größer waren als sie, problemlos hinausjagen würde, aber ich lächelte sie müde an.
»Nein, es ist okay, sie können reinkommen.«
»Herr Ferguson, ich bin Polizist Stansick und das ist mein Partner, Polizist Patton. Könnten wir mit Ihnen privat über den Vorfall im Tierheim sprechen?«
»Dies ist mein Ehemann, Army-Specialist Brody King. Ich wollte ihm gerade erzählen, woran ich mich erinnerte. Nehmen Sie sich einen Stuhl, dann können Sie es auch hören.«
Ich war mir ziemlich sicher, dass ich wusste, was passiert war. Ich wollte es nicht zugeben, aber ich dachte mir, dass der Vorfall ziemlich klar war. Und ich wusste leider, wer mein Angreifer war.
»Ich hatte Spätschicht im Obdachlosenheim. Ich arbeite dort und im Tierheim zwischen den Unterrichtsstunden. In ein paar
Monaten werde ich meinen Abschluss machen. Jedenfalls verließ ich das Obdachlosenheim zur geplanten Zeit, als einer unserer neuen Stammgäste hereinkam. Ich weiß nicht, wie er wirklich heißt, aber ich werde ihn Timmy nennen, weil das der Name ist, den andere benutzt haben, wenn er früher hereinkam. Er sah ziemlich wild aus, verzweifelt, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen. Er bekam eine heiße Dusche, etwas zu essen und einen guten, starken Kaffee. Ich ging etwa dreißig Minuten später zu meiner Nachtschicht im Tierheim. Ich sollte bis 2:00 Uhr morgens arbeiten.«
Ich sah Brody nervös an und wusste, dass er den nächsten Teil nicht mögen würde. Ich drückte seine Hand und fuhr fort. »Normalerweise nehme ich eine Abkürzung durch einige Gassen, um von einem Heim zum anderen zu gelangen. Heute Nacht wurde ich unruhig, weil ich spürte, dass mir jemand folgte. Ich verließ die Abkürzung und kam unter den Straßenlaternen vor einigen Geschäften raus. Es schien, als hätte ich meinen Verfolger verloren. Aber als ich das Tierheim erreichte und zum Hintereingang für die Mitarbeiter ging, hörte ich Schritte hinter mir. Ich dachte, ich könnte schnell hinein und die Polizei rufen, aber da legte sich schon ein Arm um meinen Hals und hielt meinen Mund mit einer behandschuhten Hand zu.«
»Hat Ihr Angreifer gesprochen?«, fragte Polizist Stansick.
»Ja, er sagte etwas in der Richtung: ›Hol mir einfach, wonach ich suche, und du wirst nicht verletzt werden.‹ Er roch nach Seife, als hätte er gerade geduscht. Ich wusste sofort, dass Timmy mir gefolgt war und er nach Drogen suchte.«
»Was geschah dann? Gab es einen Kampf?« Polizist Patton machte eine kurze Pause und notierte sich die Aussage.
»Nein, ich sagte ihm, dass ich kooperieren würde. Er brachte mich dazu, ihn zu dem verschlossenen Schrank zu führen, wo wir die Medikamente für die Tiere aufbewahren. Ich wusste, dass er
nach Drogen suchte, die er verwenden konnte, um hochzukommen, oder welche, die er auf der Straße verkaufen konnte. Wir haben normalerweise Ketamin und Codein da. Als ich nach dem Schlüssel griff, schlug er mich mit etwas sehr Hartem auf den Hinterkopf. Ich kann mich an nichts Weiteres erinnern, bis ich im Krankenwagen aufgewacht bin.«
Brodys Hände hatten meine im Todesgriff umklammert und seine Nasenflügel flatterten vor Wut und einer weiteren Emotion, auf die ich nicht den Finger legen konnte. Ich lächelte ihn an. »Hey, es geht mir gut. Kein ernsthafter Schaden angerichtet.«
Da ich Brody offenbar nicht beruhigen konnte, schaute er weg, konzentrierte sich auf die Polizisten, ließ aber meine Hand nicht los.
»Können Sie uns eine Beschreibung von Timmy geben? Wir haben einige Leute, die sich die Sicherheitskameras im Tierheim ansehen. Wir werden wahrscheinlich eine Wache vor dem Obdachlosenheim aufstellen und ihn festnehmen, wenn er das nächste Mal hingeht und die Leute, die ihn kennen, auch nicht wissen, wo er ist. Ich gehe davon aus, dass Sie eine Anzeige erstatten wollen?«
»Natürlich will er Anzeige erstatten!« Brody sprach etwas zu laut.
»Brody, hör auf.« Ich sah die Polizeibeamten an. »Timmy braucht Hilfe. Ich möchte, dass er diese Hilfe bekommt. Wenn ich ihn anzeige, kommt er dann in ein Rehazentrum zur Entwöhnung?«
»Wir können Ihre Anfrage beim Pflichtverteidiger einreichen. Wenn der sich mit Ihnen in Verbindung setzt, können Sie Ihr Anliegen äußern. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass er an der Reha teilnehmen oder sie gar durchhalten wird.«
»Es scheint, dass das momentan seine beste Chance ist. Timmy ist größer als Brody, sehr knochig, wahrscheinlich etwa 1,90. Er
hat braune Haare, aber ich habe ihn auch in den warmen Monaten nur mit einer grünen Mütze auf dem Kopf gesehen. Heute Abend gaben wir ihm im Heim schwarze Basketball-Shorts, ein rotes T-Shirt und ein paar markenlose, weiße Tennisschuhe. Ich kenne seine Augenfarbe nicht, weil er einem nie wirklich in die Augen sieht. Seine Haut ist sehr blass, eine ungesunde Blässe. Er ist drogenabhängig und hungrig. Er kommt jetzt seit ungefähr einem Monat zweimal in der Woche ins Heim.«
Ich hasste es, darüber nachzudenken, dass Timmy verhaftet wurde, denn was er wirklich brauchte, war ein Entzug. Aber er hatte mich angegriffen und Drogen aus dem Tierheim gestohlen; mir war klar, dass das Konsequenzen haben musste. Ich wünschte nur, ich könnte ihn von der Straße und vor den Drogen retten.
»Nick, stopp, du kannst sie nicht alle retten«, mahnte Brody neben mir, als er meine Hand drückte.
Ich sah ihn an und lächelte traurig, er hatte ja recht, aber es berührte mich, dass er meine Gedanken so gut lesen konnte.
»Okay, ich denke, wir haben jetzt genug Informationen. Wenn Ihnen noch etwas einfällt oder Sie Fragen haben, können Sie sich gerne an uns wenden. Wir melden uns, wenn wir noch etwas brauchen. Vielen Dank für Ihre Zeit.«
Die Polizisten gaben uns die Hände, bevor sie gingen. Die Nachtschwester kam zurück, als sie gingen.
»Nun, jetzt wo sie weg sind, lassen Sie mich meine Arbeit machen und dann können Sie sich ein wenig ausruhen. Herr King, möchten Sie, dass ich Ihnen ein Zustellbett hole?«
Ich fing Brodys Blick auf und schüttelte vorsichtig den Kopf.
»Äh, nein danke, der Stuhl ist gut«, antwortete Brody ihr und sah mich verwirrt an.
Nachdem ich nichts Stärkeres geschluckt hatte als ein paar
einfache Schmerzpillen, Blutdruck, Temperatur und Puls überprüft waren und an meiner Infusionsstange ein neuer Beutel mit Flüssigkeit hing, reichte die Krankenschwester Brody eine Decke.
»Hier. Weiß Gott, wie er glaubt, dass Sie mit ihm in dieses Bett passen und es trotzdem bequem ist, aber das ist nicht das Hanebüchenste, was ich je gesehen habe. Nehmen Sie wenigstens die Decke, damit Sie sich warm halten können.« Sie schüttelte den Kopf und versuchte ihr Grinsen zu verbergen. An der Tür blieb sie stehen. »Und kein Herumfummeln! Kopfverletzungen, Krankenhausbetten, störende Krankenschwestern und Sex passen nicht gut zusammen. Glauben Sie mir. Lassen wir ihn
für heute Nacht einfach mal in unseren Hosen, okay?« Mit einem Augenzwinkern und einem bestimmenden Nicken verließ sie den Raum.
Ich lachte und testete vorsichtig, wie es sich anfühlen würde, meinen Kopf wieder auf das Kissen zu legen.
»Verdammt, das tut weh. Ich denke, ich muss auf meiner linken Seite liegen.«
»Oder flach auf deinem Gesicht«, witzelte Brody.
»Ich nehme die linke Seite.« Ich streckte ihm die Zunge heraus.
»Dann werde ich mich hinter dich kuscheln. Mach es dir bequem. Warte mal, musst du noch pinkeln? Muss die Krankenschwester dir dabei helfen?«
»Ich sollte wahrscheinlich pinkeln, aber dafür muss sie nicht reinkommen. Du kannst mich ins Bad und zurück bringen.«
Das Aufstehen aus dem Bett verursachte viel mehr Beschwerden, als ich erwartet hatte. Ich ging mit hämmerndem Kopf, navigierte mit meiner Infusionsstange, kämpfte gegen einen Schwindelanfall und erreichte schließlich das Badezimmer. Brody neben mir stehen zu haben, der mich in einem so persönlichen
Moment unterstützte, kam mir sehr intim vor. Wir waren uns so nahe gewesen, kannten unsere Körper in- und auswendig, und doch, ihn in so einer privaten Situation an meiner Seite zu sehen ließ mein Herz vor Freude extra schlagen.
Als er mich wieder im Bett hatte, hatte ich das Gefühl, ich wäre eine Meile gelaufen. Ich rollte mich auf die linke Seite und rutschte so an den Rand, dass Brody hinter mich krabbeln konnte.
Der Stress der Nacht und die Gehirnerschütterung hatten mich schläfrig gemacht, bevor er überhaupt richtig lag. »Danke, dass du mit mir hier bist, Brody.« Die Worte fühlten sich träge auf meiner Zunge an.
»Nirgendwo sonst wäre ich lieber, außer vielleicht zusammengerollt in unserem eigenen Bett. Aber das wird vorerst reichen. Du ruhst dich besser aus, bevor Schwester Betty zurückkommt und dich wieder weckt.«
Seine Stimme schwebte sanft um mein Ohr. Er umging sorgfältig die Wunde an meinem Hinterkopf und die schmerzhaftere von beiden an meiner rechten Schläfe.
Kaum in der Lage, meine Worte zu formen, hörte ich sie in meinem Kopf, aber ich war nicht sicher, ob sie es noch aus meinem Mund schafften. »Ich liebe dich, Brody.«
Ich wusste, dass ich ins Traumland geraten war, als er seine Worte zurückflüsterte: »Ich liebe dich auch, Nick.«