Kapitel 22
Brody
Montag nach der Arbeit, einem Tag erfüllt von üblichen Wartungsroutinen, lächelte und pfiff ich immer noch, als ich die Einfahrt hinaufschritt. Ich nahm schnell die Post und ließ Gus aus der Hintertür, als ich mich daran erinnerte, wie perfekt unser Wochenende in der Hütte gewesen war.
Ich wusste, dass wir einige Dinge zu planen hatten, aber ich wusste auch, dass ich Nick in meinem Leben behalten wollte. Wir hatten zu viele gute Zeiten geteilt, hatten zu viel gemeinsam, um ihn einfach gehen zu lassen. Ich hatte ihn zwar aus Bequemlichkeit geheiratet, aber es hatte als Freundschaft angefangen und war viel mehr als das geworden.
Er machte bald seinen Abschluss. Ich hatte noch eine Woche Zeit, bevor ich meine Schlusspapiere unterschrieb, die mich von der Armee befreien würden, und dann konnten wir unsere Pläne machen.
Als Gus sich zurück ins Haus trollte und froh war, eine Pinkelpause zu bekommen, und bereit, sein Faulenzen in der Sonne wieder aufzunehmen, blätterte ich durch die Post. Der große, dicke Umschlag fiel mir sofort auf. Stanford war in die obere linke Ecke geprägt.
Stanford.
Ein dicker Umschlag.
Meine Hände zitterten, als ich mit dem Finger unter die Klappe fuhr.
Sehr geehrter Herr Brody King,
die Fakultät, Mitarbeiter und Studenten der Stanford University freuen sich, Ihnen mit dem bevorstehenden Herbstsemester Ihre Aufnahme in unser prestigeträchtiges Bachelorstudium bekannt geben zu können.
Der Rest der Wörter verschwamm, aber ich las den ersten Satz ungefähr zehn Mal, um sicher zu sein, dass ich ihn richtig las.
Ich war drin.
Ich war von Stanford angenommen worden.
Vor allem wollte ich Nick anrufen und es ihm sagen. Aber ich wusste, ich musste vorsichtig sein. Er war nervös wegen seines Abschlusses, er hatte in dieser Woche noch eine Menge Projekte, bevor er offiziell fertig war. Ich musste ihn seine Ausbildung beenden lassen, ohne ihn auch noch damit zu belasten.
Ich rief Addie an, verabredete mich mit ihr nach ihrer letzten Schulstunde in der Bar und steckte den Umschlag ganz hinten in meine Sockenschublade. Schwindelig vor Aufregung schickte ich Nick eine SMS, um ihn wissen zu lassen, wo ich sein würde.
Ich : Hey, ich treffe mich mit Addie an der Bar, nachdem sie die Schule fertig hat. Treffen wir uns dort, wenn du kannst ?
Ich lächelte bei Nicks fast sofortiger Antwort.
Nick : Ich werde es versuchen, aber ich habe ein großes Projekt, das ich zu Ende bringen sollte. Wir sehen uns zu Hause, wenn ich nicht vorbeikommen kann.
Nachdem ich Gus Futter und Wasser nachgefüllt hatte, sprang ich fast vor Aufregung zum Wagen. Ich platzte fast, würde ich die guten Nachrichten nicht irgendjemand erzählen können.
~ * ~ * ~ * ~ * ~
»Was ist los, Butterblümchen?«, neckte mich Addie, als sie sich mir gegenüber in die Nische fallen ließ.
Ich hatte uns jeweils ein Glas Wasser und einen Wodka-Tonic geordert, mit extra Limette, so wie Addie es bevorzugte.
»Nicht viel.«
Ich nippte an meinem Drink und versuchte meine Kinnlade vor lauter Grinsen nicht auszuhängen.
»Lüg nicht! Ich sehe deutlich, dass dich etwas glücklich gemacht hat. Was ist los?«
Addie lächelte mich an, wirklich interessiert an dem, was ich zu sagen hatte.
»Nun, zuerst haben Nick und ich es uns endlich gegenseitig gesagt: ›Ich liebe dich‹. Und diesmal wirklich. Nicht in der Schläfrigkeit einer Kopfverletzung geflüstert, nicht am Telefon geblubbert, wir sagten es uns live, direkt und wahrhaftig. Wir hatten ein tolles Wochenende in der Hütte.«
Ich konnte einfach nichts anderes machen, als darüber zu lächeln.
»Awww, das ist großartig, Brody! Ich bin so froh, dass ihr beide zur Besinnung gekommen seid und darüber gesprochen habt.« Addie legte den Kopf schief und musterte mich aufmerksam. »Aber es gibt noch etwas, was ist das?«
Dass ich nicht auf meinem Sitz hin und her hüpfte, war alles und ich versuchte zu verhindern, dass meine Stimme quietschte. »Du siehst den Typen, der gerade in Stanford aufgenommen wurde!«
Addies große Augen blinzelten mehrmals schnell.
»Stanford? Wie die Universität in Kalifornien? Wie über Tausende von Meilen entfernt? Dieses Stanford?« Ihre Stimme zitterte.
»Jepp! Ich habe heute den Brief bekommen.«
»Und du gehst? Einfach so?« Tränen erschienen.
»Nun, ich wollte warten, mit Nick reden, nachdem er alle seine Projekte eingereicht hat. Aber ich gehe. Warum sollte ich nicht?«
Addie holte tief Luft und sagte leise: »Oh, ich kann es dir auch nicht direkt sagen. Vielleicht möchtest du in der Nähe von Nick bleiben, von deiner Familie, von mir. Ich verstehe dich, Bro, das tue ich. Ich bin so sehr stolz auf dich, dass du dort reingekommen bist. Aber du wirst so weit weg sein. Es hatte mich fast umgebracht, als du weg warst, als du im Ausland eingesetzt wurdest, und jetzt sprichst du von vier oder mehr Jahren? Und was ist mit Nick? Er hat gesagt, er kann und wird hier nicht weggehen, wo er sich so sehr bemüht hat, sich hier einen Namen zu machen und in den Beruf wechseln zu können, für den er seit Jahren arbeitet. Wie kannst du ihn bitten, das alles für eine deiner Launen aufzugeben?«
»Es ist keine Laune. Tut mir leid, dass dich das ärgert. Ich dachte, du wärst begeisterter.«
Ich fühlte mich schuldig, weil ich sauer war, aber ich hatte wirklich gedacht, dass Addie sich für mich freuen würde.
»Brody, in all den Jahren, in denen ich dich kenne, hast du auch nicht ein einziges Mal darüber gesprochen, nach Stanford zu gehen. In der Tat scheint mir, dass du diese verrückte Idee erst bekommen hast, als es zwischen dir und Nick ernster wurde. Ich dachte, du liebst ihn? Und jetzt wirst du ihn verlassen? Du sollst wissen, ich möchte, dass du glücklich bist, deinen Träumen folgst. Aber wenn dein Glück und deine Träume als zufällige Auswege erscheinen, um der Ernsthaftigkeit und der Angst zu entfliehen, denen du dich gegenübersiehst, wenn du die Armee verlässt und mit Nick verheiratet bleibst, nun, dann kann ich dir nicht versprechen, dass ich das unterstützen werde.«
»Wenn Nick nicht mitkommt, wenn er mir nicht für kurze Zeit bei meinen Träumen helfen will, dann sind wir vielleicht nicht so, wie wir angefangen haben, es uns vorzustellen. Ich musste mein ganzes Leben für die Armee aufgeben. Ich musste alles aufgeben, was ich wollte, weil meine Eltern sich weigerten, das College nach meinem Coming-out zu bezahlen. Ich habe das Gefühl, dass es an der Zeit ist, mal etwas für mich zu tun. Ich hoffe, dass du und er sich für mich freuen und ich hoffe, er kommt mit mir. Wenn nicht, denke ich, dass es an der Zeit ist zu beweisen, dass ich das allein schaffen kann.«
Ich trank den Rest meines Getränks aus, Ärger überkam mich.
Ich wusste, dass Nick sich wehren würde, aber wenn er mich liebte, würde er sehen, dass vier Jahre in Kalifornien gar nichts waren, verglichen mit dem Rest unseres Lebens. Und ich musste das tun. Ich musste weg, neu anfangen, ein neues Ich finden. Ich wollte ihn an meiner Seite, aber ich würde es auch allein durchstehen, wenn ich musste.
»Brody, du wirst verletzt werden. Nick wird es zerbrechen. Ich verstehe nicht, warum du davonläufst. Ich weiß nicht, ob du überhaupt weißt, warum du wegrennst. Ich weiß, dass du Angst vor der Zukunft hast, aber nach Kalifornien wegzulaufen und mich und Nick hier zu lassen, damit wir dich vermissen und unser Leben fortzusetzen, während du dir ein neues schaffst, ist nicht der Weg, der Zukunft entgegenzusehen. Wovor hast du so viel Angst?« Tränen liefen über ihr Gesicht. »Nein, überleg dir jetzt keine tolle Antwort, sag es einfach ehrlich heraus. Wovor hast du so viel Angst?«
»Dass ich nicht gut genug bin, um mehr als ein Fake-Ehemann zu sein. Dass ich es im College nicht schaffen werde. Dass mein Mann ein Collegeabsolvent sein wird, meine beste Freundin ist eine Collegeabsolventin und ich werde ein Collegeversager sein, weil ich nicht mit dem Unterricht und den Studienzeiten mithalten kann. Wenn das alles hier passiert, habe ich Freunde und Familie, die mich bei meinem Sturz beobachten. Wenn es in Kalifornien passiert, kann ich meine Fehler kaschieren, irgendeinen Job bekommen und mein Leben leben. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, vor dir oder Nick oder meiner Familie erneut zu versagen.«
»Nick liebt dich. Ich liebe dich. Deine Familie liebt dich. Wir wären für dich da, wenn du es nicht schaffst. Aber wenn du weggehst, wirst du allein sein. Und wir todunglücklich.«
»Ich werde Nick bitten, mit mir zu kommen. Er kann sicherstellen, dass ich nicht allein bin, wenn er es will.«
»Das ist nicht fair, Brody, und das weißt du.« Addie flüsterte ihre Worte voller Schmerz.
»Ist es fair, von mir zu verlangen, die Chance auszuschlagen, meine Flügel auszubreiten, neu zu beginnen und herauszufinden, wer ich wirklich bin?«
Ich fühlte mich wie ein gereiztes Kind, aber Schuld und Angst rasten wie ein Lauffeuer durch mich.
»Wenn du wirklich einen Neustart benötigen oder herausfinden müsstest , wer du bist, dann sage ich, auf, hopp, Marsch-Marsch und helfe dir beim Packen. Aber du hast hier einen guten Start. Du hast Freunde, Nick, deine Familie und mich. Und was das anbelangt, herauszufinden, wer du bist? Das musst du nicht machen. Du und ich wissen, wer du bist. Du bist ein verängstigter Junge, der sich davor in die Hosen scheißt, das einzige Leben, das er in den letzten Jahren gekannt hat, zu verlassen. Du bist ein liebender Ehemann, der nie dachte, diese Chance zu bekommen. Du bist ein großartiger Mensch, der jedes verdammte Ding machen kann, das du dir in den Kopf gesetzt hast. Du bist Sohn, Bruder, bester Freund, Liebhaber, Ehemann. Aber jetzt bist du ein verängstigtes Kind, das glaubt, dass Weglaufen alles reparieren wird. Nun, das wird es nicht, Brody. Wenn du vor dieser Unterstützung wegläufst, werden am Ende nur eine Menge Leute verletzt sein.«
»Ich werde sehen, was Nick zu sagen hat.« Ich atmete tief aus und wusste in meinem Herzen, dass er nicht mit mir gehen würde. Und dann was? »Tu mir einen Gefallen, sag es ihm noch nicht, okay?«
»Sicherlich nicht. Ich werde nicht diejenige sein, die ihm diese Scheiße beibringt.« Addie nahm den letzten Schluck Wodka. »Ich bin weg. Ich habe zu arbeiten. Und jetzt bin ich stinkig mit dir. Ich bezweifle, dass ich noch eine gute Gesellschaft wäre.«
Addie beugte sich runter, küsste meine Wange und wischte sich eine Träne ab. »Ich liebe dich, Brody King, aber im Moment möchte ich dich links und rechts ohrfeigen.«