Kapitel 25
Nick
Denke nicht nach.
Denke nicht nach.
Denke nicht nach.
Es war das Mantra, das mir geholfen hatte zu überleben, seit Brodys Auto von der Hütte weggefahren war.
Als ich bei Addies angekommen war, hatte sie mich mit offenen Armen empfangen. Wir verbrachten die Nacht und den größten Teil des nächsten Tages damit, uns in unserem Herzschmerz und unserer Wut zu suhlen.
Schließlich entschieden wir uns beide, Brody das tun zu lassen, was er für nötig hielt.
Wir mochten es nicht, real gesehen hassten wir es und die ganze Situation war beschissen, aber er musste etwas beweisen oder eine Lektion lernen oder so. Wenn wir danebenstanden und ihn daran hinderten, das zu tun, was er so verzweifelt für nötig hielt, würde er es uns verübeln.
Ich hatte nicht die Absicht, mit einem anderen Mann in der nahen Zukunft weiterzumachen. Mein Herz war immer noch voll mit Brody beschäftigt, auch wenn er es mir aus der Brust gerissen und zu Brei getreten hatte. Aber das bedeutete nicht, dass ich bei ihm wohnen musste. Ich würde meinen Abschluss machen und es ging mit oder ohne Brody weiter.
»Was?« Addie legte den Kopf zur Seite.
Als mir klar wurde, dass ich etwas laut ausgesprochen haben musste, lächelte ich traurig. »Ich habe nur gesagt, ich muss mit oder ohne Brody weitermachen.«
Addie schenkte mir ihr eigenes trauriges Lächeln und arbeitete weiter an ihrem Haar und Make-up.
Ich war bei ihr geblieben, der Gedanke, allein in unserem Haus zu bleiben, war einfach zu viel. Ich hatte den Vermieter kontaktiert, um ihn wissen zu lassen, dass wir nach dem nächsten Monat nicht mehr da sein würden.
»Addie?« Ich hörte meine Stimme durch den Raum flüstern.
»Ja?« Unsere Blicke trafen sich im Spiegel.
»Ich wünschte wirklich, das Weitermachen hätte mit Brody und nicht ohne ihn stattgefunden, weißt du?«
Ich fühlte mich schwach, weil ich es zugegeben hatte, aber es war die vollkommen ehrliche Wahrheit.
»Ja, ich weiß.« Addie legte das Haarspray hin und ging zu mir, umarmte mich. »Ich weiß.«
»Glaubst du, er wird wiederkommen?«
Ich hasste es, mich das zu fragen. Ich hasste es, das zu wollen. Würde ich ihn einfach, ohne eine Frage zu stellen, zu Hause willkommen heißen? Vergeben und vergessen, wie er mein Herz gebrochen hatte? Tun, als hätte sich nichts geändert?
Ein Teil von mir wollte sich aufbäumen, stark sein und ihn dazu bringen, dafür kämpfen zu müssen, aber ein Teil von mir wusste, dass ich so glücklich und erleichtert sein würde, ihn in mein Leben zurückkommen zu sehen, dass ich wahrscheinlich nur weinen und ihn umarmen würde.
Vergeben und vergessen.
Vergeben. Könnte sein. Ja, vermutlich.
Vergessen? Wie kann man den Mann vergessen, den man liebt, wenn er dich verlässt?
Brody, komm bitte zu mir nach Hause. Zu uns.
Ich wollte das mehr als alles andere. Damit dies jedoch geschehen könnte, müsste Brody zugeben, dass er sich geirrt hatte. Und Addie und ich wussten beide, dass Brody nicht gern zugab, dass er falschlag. Die Chancen, dass er nach Hause kam, waren also gering.
Und würde er bald nach Hause kommen, wenn er das doch tat? Oder würde es erst passieren, nachdem im Herbst der Unterricht begonnen hatte? Wie lange war ich bereit, auf ihn zu warten?
Für immer.
Und da war es. Noch ein Grund, wütend zu sein. Wütend auf Brody wegen seiner Erwartungen und seines Abschieds. Wütend auf Addie, weil sie mir nicht gesagt hatte, was sie wusste – obwohl ich ihr das schon längst vergeben hatte. Ich wusste, dass sie mich damit erst mal nicht hatte belasten wollen.
Sauer auf mich.
Dass ich unsere Liebe wegwarf, auch wenn ich das Recht dazu hatte.
Dass ich mich von ihm so böse zerstören lassen konnte. Es sollte eigentlich doch nur für ein Jahr sein.
Dass ich ihn binnen eines Herzschlags willkommen heißen würde, wenn er durch die Tür käme. Ich schaute wieder zur Tür und schüttelte den Kopf.
»Er kommt heute nicht, Nick. Du weißt das. Er schrieb Renée eine SMS und sagte, dass er heute abfliegt. Hoffe also nicht darauf. Selbst unter den besten Umständen ist Brody ein bisschen ausgeflippt, aber ich bezweifle, dass es ihm überhaupt in den Sinn gekommen ist, dass du deinen Abschluss machst. Er ist wütend und verletzt und denkt gerade jetzt nur an sich.«
Sie tätschelte meine Wange.
»Ich weiß.«
Ich versuchte zu lächeln.
»Ich möchte nur nicht, dass du noch mehr verletzt wirst, als du es bereits bist.«
Wir gingen gemeinsam auf die Abschlussfeier. Mein Herz krampfte wieder und wieder, da ich wusste, dass Renée an der Veranstaltung teilnahm. Meine Schwiegermutter kam zu meinem Abschluss, aber mein Mann nicht! Und wie lange würde ich ihn noch als meinen Mann bezeichnen wollen?
Ich schob den Ring auf meinem Finger auf und ab, drehte ihn herum und herum. Ein Teil von mir wusste, dass ich ihn einfach verkaufen und mein Geld zurückholen sollte, aber ich konnte mich nicht dazu durchringen. Obwohl er ihn nie getragen hatte, war es, als ob der Ring zu Brody gehörte, und ich konnte es nicht ertragen, ihn loszulassen.
Ich steckte ihn wieder in meine Tasche, lächelte tapfer und akzeptierte die Umarmungen und das Händeschütteln von Brodys Eltern. Ich hielt Addies Hand und ging mit ihnen mit, bis wir uns trennen mussten. Sie gingen zu ihren Plätzen und ich zum Treffpunkt für alle Absolventen.
Unbewusst sah ich mich um. Ich wusste, dass er nicht kommen würde, hoffte aber immer noch auf … auf was? Worauf hoffte ich? Eine große Geste? Einen Beleg für sein Eingeständnis eines Fehlers? Beweis seiner Reue und eine aufrichtige Entschuldigung? Ein Wunder?
Ja, ja, ich wollte das alles. Ich wollte, dass er zugab, dass er falschlag, ich wollte, dass er zu mir zurückkehrte. Und ich wollte, dass er es wirklich und wahrhaftig machte, nicht als Show. Aber nichts davon passte zu Brody. Warum sollte ich also weiterhin meine Hoffnungen aufrechterhalten. Nur damit sie zerschlagen wurden?
Ich ging zu meinem Platz. Denke nicht nach.
Als ich meinen Namen und den Beifall von Addie und Frau King hörte. Denke nicht nach.
Ich nahm mein Diplom und posierte für das Foto. Denke nicht nach.
Jetzt war alles vorbei. Er war nicht gekommen. Und ich konnte nicht aufhören, an ihn, an uns zu denken, an das, was ich verloren hatte, egal wie sehr ich mich auch bemühte.
~ * ~ * ~ * ~ * ~
»Vielen Dank, dass Sie uns zum Abendessen mitgenommen haben, Herr und Frau King.« Ich wollte eigentlich nicht feiern, und ich wollte es erst recht nicht mit Brodys Familie ohne Brody feiern. Aber Addie wollte mitgehen, und Renée akzeptierte kein Nein.
Also genossen wir ein etwas schwieriges Abendessen in einem lokalen Steakhouse, unterhielten uns über Addies Unterricht, meine Pläne für beide Heime, das neue schwule Teenie Center und Renées Leidenschaft für Detektivfilme. Wir vermieden das heikle Thema Brody ganz gut, oder auch ziemlich schlecht, je nachdem, wie man es sehen wollte.
Und dann war es an der Zeit, Abschied zu nehmen. So schwierig es auch war, mit den Schwiegereltern meines Tausende Meilen entfernten zukünftigen Ex-Manns zu essen, machte es mich doch traurig, dass ich mich vermutlich zum letzten Mal von ihnen verabschieden würde.
Herr King war sehr ruhig und zurückhaltend, aber ich spürte keine Verurteilung von ihm – verglichen mit dem, was Brody mir von früher von seinem Vater erzählt hatte, war es eine sehr positive Veränderung. Renée war eine begeisternde Mutter. Brody hatte so viel Glück, sie zu haben. Bei meiner Mutter hatte ich das nie gehabt und ich sehnte mich plötzlich danach. Meine eigene Mutter war keine schlechte Mutter, aber sie hatte nie eine solche Verbindung zu mir aufgebaut wie Renée mit Brody.
»Nun, ich weiß, dass wir dort drinnen das Thema Brody wie die Pest vermieden haben.« Renée stand mit ihren Händen auf ihren vollen Hüften und blinzelte mich in der Sonne über ihre große Sonnenbrille am Ende ihrer kecken, kleinen Nase hinweg an. »Aber mit diesem Jungen ist es noch nicht vorbei. Wenn ich etwas will, und ich setze so was normalerweise auch durch, so werden wir uns bald wieder treffen. Vielleicht mit einer Willkommensfeier oder einem Hochzeitsempfang. Auf jeden Fall plane ich, meinem geliebten Sohn den Irrtum seiner Wege zu zeigen.«
»Renée, ich wünschte, das würde passieren, aber wenn Brody das Gefühl hat, dass er weg sein muss, können wir das nicht wirklich verhindern.«
Ich seufzte schwer und nahm Addies Hand, als sich ihre Augen mit Tränen füllten.
»Pah! Dieser Junge weiß nicht, was er braucht. Er hat Angst, er läuft davon, und er ist stur. Gib ihn noch nicht auf. Ich liebe diesen Jungen über alles in der Welt, aber manchmal erschöpft er mich geradewegs.« Renée umarmte uns. »Nun, ihr zwei bleibt zusammen und sorgt dafür, dass ihr nicht vergesst, wie sehr ihr meinen Jungen liebt. Wir bringen ihn dahin zurück, wo er hingehört.«
Mit einem letzten Winken stieg sie in das Auto und wir sahen ihnen nach.
»Glaubst du wirklich, dass sie seine Meinung ändern kann?«, grübelte ich laut zu Addie vor mich hin.
»Mama Renée kann sehr überzeugend sein, wenn sie will.« Addie lächelte. »Außerdem muss sie ihn nur zum Geständnis bringen, dass er einen Fehler gemacht hat. Wenn er das getan hat, sollte er keine Probleme haben, nach Hause zu kommen, wo er weiß, dass die Leute ihn lieben.«
»Jaha, sicher, das ist alles , was sie tun muss: Ihn dazu zu bringen, zuzugeben, dass er falschliegt.« Ich lächelte sie schief an. »Merkst du, dass es fast so ist, als wolle man die Sonne am Aufgehen hindern?«
»Nun, wir können nur hoffen. Ich vermisse ihn so sehr. Es war schon schlimm genug, als er im Ausland war, aber ich hatte fast ständigen Kontakt mit ihm und wusste, dass er zurückkommen würde. Aber das hier ist Scheiße. Kein Kontakt, wütend sein, verletzt werden und nicht wissen, wann oder ob er zurückkommt? Puh, das geht einem auf die Eier.«
Ich erstickte mein Gelächter, wurde schnell nüchtern. »Was würdest du zu ihm sagen, wenn er jetzt anriefe?«
Sie blieb stehen und dachte über die Frage nach. »Ich glaube, ich würde ihm sagen, dass ich ihn liebe, und ich will ihn einfach zu Hause haben. Den Wunsch, ihn in den Arsch zu treten, hebe ich mir dann für seine Rückkehr in Texas auf, wenn er nicht mehr wegrennen kann. Und du?«
Ohne mich zu besinnen, lächelte ich leise. »Ich würde ihm sagen, dass ich ihn liebe. Ich würde ihm sagen, dass wir uns ursprünglich versprochen haben, Partner und Freunde zu sein, einander zu halten, eine Schulter zu bieten, auf die wir uns stützen können … und dass ich meinen Partner vermisse. Ich vermisse meinen Freund. Ich vermisse alles an dem sturen Arsch. Und ich würde ihn bitten, doch zu mir nach Hause zu kommen, zu uns, zu dem, was wir gerade erst zu teilen begonnen hatten.«
Ich zog die Nase hoch und wischte schnell eine Träne ab, zuckte mit den Achseln. »Und wenn er wieder daheim ist, würde ich der verdammt beste Ehemann sein, der ich sein kann. Ich würde ihn binnen eines Herzschlags wieder heiraten.«
»Nick, Süßer, du weißt doch, dass er nicht ging, weil du nicht gut genug bist, oder?«
Als ich nicht antwortete, griff Addie nach meiner Hand.
»Nick, Brody ist gegangen, weil er vor seinen eigenen Unsicherheiten weggelaufen ist, weil er vor der Zukunft Angst hat, vor seiner eigenen Angst, zu versagen bei dem, was er als Nächstes tun möchte. Er ist nicht gegangen, weil du nicht gut genug warst. Ich glaube sogar, dass du als Freund, Partner, Liebhaber und Ehemann einer der wenigen Gründe sein könntest, die ihn hierher zurückbringen. Gib ihn noch nicht auf. Wir müssen darauf vertrauen, dass es klappt.«
»Warum muss es klappen? Viele Leute vermasseln Beziehungen und machen lebensverändernde Fehler. Woher soll ich wissen, dass Brody und ich ein glückliches Ende haben werden?«
Ich führte mich auf wie ein Teenager mit zu großer Klappe.
»Wirklich? Ich meine, erstens hätte diese Ehe von Anfang an zum Scheitern verurteilt sein sollen, aber die Liebe hat alle Hindernisse und Gründe dagegen überwunden. Zweitens sagte ich zu Brody, dass dies von Anfang an eine schlechte Idee war. Es hat geklappt und jetzt kann er mir in die Nase kneifen, weil ich unrecht hatte. Er liebt es, so was zu tun.« Sie küsste meine Wange. »Und ich habe mich noch nie so sehr über etwas gefreut wie damals, als er mich wissen ließ, dass ich falschlag.«
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In der nächsten Woche flutete ich mich selbst bis zum Kragen mit allen möglichen Verpflichtungen in meinen beiden Jobs. Mit meinem Diplom in der Tasche wurde ich in beiden Stellen befördert. Auch wenn die höheren Bezüge und Titel sehr schön waren, so forderten die neu anvertrauten Aufgaben doch eine gewisse Lernkurve und ich verbrachte viele zusätzliche Stunden mit Arbeiten.
Ich begrüßte die zusätzlichen Stunden, die harte Arbeit, die Erschöpfung. Denn wenn ich mich völlig verausgabte, konnte ich nicht an Brody denken.
Nun, zumindest nicht so viel, als dass ich mehr Zeit gehabt hätte, mich noch intensiver damit zu beschäftigen. Ich wollte, dass er nach Hause kam. Zu mir. Zu uns, zu unserem Daheim, zu unserer Ehe, zu unserer Zukunft.
Aber ich wollte ihn auch dazu bringen, dafür zu kämpfen, darum zu betteln. Und ich wollte ihm den ganzen Weg von Kalifornien hierher zurück bei jedem Schritt in den Arsch treten, weil er so gehandelt hatte. Aber zuerst wollte ich ihn nur in meinen Armen haben. Dort, wo er hingehörte.
Doch als mehr und mehr Zeit verging, begann meine Hoffnung, dass er nach Hause zurückkehren würde, zu schrumpfen wie alte Ballons von Geburtstagspartys, die kaum noch auf dem Boden hüpfen können.