10. Kapitel

»Das tut gut.« Reggies Worte formten kleine Wolken in der Abendluft. »Wenn wir weit genug gehen, setzt sich das Essen, und ich kann noch mal bei den Resten zuschlagen.«

Toby, der neben ihr ging, lachte. »Du kannst unmöglich Hunger haben. Wir haben eben die sechsfache Menge eines normalen Abendessens gegessen.«

»Hey, verurteil mich nicht. Ich habe gerade keinen Hunger, ich bin nur nicht mehr so voll. Was ein Fortschritt ist.«

Er klopfte sich auf den Bauch. »Das zweite Stück Kuchen hat mich geschafft.«

»Und du bist ein Mann, der Kuchen in allen Formen zu schätzen weiß.«

Er lachte leise, und Reggie lächelte.

Das ist nett, dachte sie. Angenehm und locker – was nicht schlecht war angesichts ihrer Vergangenheit und des ganzen Geredes während des Essens. Sie und Toby hatten ein Team gebildet und abwechselnd das Thema gewechselt.

»Heute war ein guter Tag«, sagte sie.

»Danke, dass ihr uns eingeladen habt.«

»Danke, dass ihr gekommen seid. Ich habe keine Ahnung, was meine Mutter sich dabei gedacht hat, aber ich bin froh, dass sie es getan hat.«

»Ich auch.«

Reggie behielt ein Auge auf Harrison und Belle, die vor ihnen gingen. Der Junge hatte die Leine fest in der Hand – auch wenn Belle niemals versuchen würde wegzulaufen. Abenteuer waren nicht so ihr Ding, denn in ihrem Kopf lauerte die Gefahr überall. Trotzdem war es süß, wie beschützend er sich ihr gegenüber benahm. Vor allem, wenn man Belles Größe bedachte. Ihr Kopf war ungefähr auf gleicher Höhe mit seiner Brust.

»Sie mag deinen Sohn wirklich«, sagte sie, als Belle einen Schritt näher an Harrison heranrückte.

»Ich muss sagen, sie ist ein erstaunlich süßer Hund. Am Tisch war sie sehr höflich – im Gegensatz zu Burt.«

»Er ist ein Bettler, bleibt aber meistens bei meinem Vater, womit das für uns andere kein allzu großes Problem ist.«

Sie hatten den Hundepark erreicht. Es war kurz vor acht und bitterkalt, sodass außer ihnen niemand da war. Nachdem sie das Tor hinter sich verschlossen hatten, ließ Reggie ihre Hündin von der Leine, woraufhin Belle sie anschaute, als wolle sie fragen, was das bitte sollte.

»Komm, Belle!«, rief Harrison und lief los. Sofort sprang Belle hinterher und holte ihn mit ihren Riesenschritten lässig ein.

»Sie wird ihn im Auge behalten«, versicherte Reggie.

»Sollte es nicht andersherum sein?«

»Ja, vielleicht.«

Reggie war nicht sicher, was sie von diesem Verdauungsspaziergang halten sollte. Sie war davon ausgegangen, dass Toby, nachdem der Tisch abgeräumt war, seine Familie einsammeln und gehen würde. Doch als sie gesagt hatte, dass sie zum Hundepark wollte, hatte er angeboten mitzukommen. Harrison hatte natürlich auch mitgewollt, während Judy sich mit Reggies Mutter unterhielt.

Jetzt, in der kalten Abendluft mit einem Himmel voller Sterne über ihnen, fragte sie sich, warum er den Abend hatte ausdehnen wollen. Nicht dass es wichtig wäre – sie mochte seine Gesellschaft.

»Wie fühlt es sich an, wieder in Wishing Tree zu sein?«, fragte sie ihn.

Toby sah sie an. »Es ist über ein Jahr, also fühlt es sich nicht mehr neu an. Das hier war früher mein Zuhause, und das ist es jetzt wieder.« Er ließ ein Lächeln aufblitzen. »Es ist irgendwie nett, erfolgreich zurückzukommen.«

Sie lachte. »Das kann ich mir vorstellen. Du warst so ein schlimmer Junge. Es muss dir große Befriedigung verschaffen, den Leuten zu zeigen, was du erreicht hast, und zwar ganz allein.«

»So schlimm war ich nun auch wieder nicht.«

»Vielleicht nicht für eine Großstadt, aber für Wishing Tree?« Sie grinste. »Meine Eltern waren sehr nervös.«

»Ich habe sie für mich gewonnen.«

»Das hast du. Und sie waren dankbar, dass du nicht der Anfang eines Trends warst. Du warst mein einziger schlimmer Junge.«

Er lehnte sich an einen Zaun. »Warum wolltest du damals mit mir ausgehen?«

»Ist das eine ernst gemeinte Frage?«

»Ja.«

Sie überlegte, wie er damals gewesen war. So gut aussehend und mit dieser unwiderstehlich lässigen Art. Alle Mädchen wollten mit ihm ausgehen, aber er war nicht viel auf Dates gegangen. Dennoch, als sie bemerkte, dass er sie ab und zu anschaute, entschied sie sich, es zu versuchen.

»Du warst unwiderstehlich«, gab sie zu. »Das musst du doch gewusst haben.«

»Ja, ich war wirklich ziemlich heiß«, bestätigte er grinsend.

Das war er immer noch, was sie ihm aber nicht sagen würde.

»Wir waren beide so jung«, sagte sie stattdessen. »Lustig, wie sich alles entwickelt hat. Ich hätte nie damit gerechnet, dass du zurückkommst.«

»Judy wird langsam älter. Ich konnte sie nicht bitten, woandershin zu ziehen. Sie hat ihr gesamtes Leben hier verbracht.«

Was für ihn spricht, dachte Reggie.

Er sah nach Harrison und Belle, dann wandte er sich wieder Reggie zu. »Aber mal ehrlich, Jake? Mein Erzfeind?«

»Ach bitte. Ihr wart Rivalen im Footballteam, weil ihr beide Captain sein wolltet. Das macht ihn kaum zu deinem Erzfeind.«

»Na gut. Also Jake?«

Sie lachte. »Du lässt nicht locker, oder?«

»In der Schule hast du nie für ihn geschwärmt. Du hast mehr auf die bösen Jungs gestanden.«

»Nein, ich habe auf dich gestanden. Und du hast recht. Damals habe ich ihn kaum bemerkt.« Sobald sie Toby ihr Herz geschenkt hatte, hatte kein anderer sie mehr interessiert. »Unsere Beziehung kam unerwartet. Er war hergezogen, um als Managementassistenz im Resort zu arbeiten. Ich war bei meinen Eltern zu Besuch. Wir sind wortwörtlich ineinandergelaufen. Ich kam aus dem Jingle Café , und er wollte gerade rein. Mein Kaffee und mein Teilchen flogen durch die Luft, wir haben angefangen zu reden, und dann sind wir zusammen ausgegangen.«

»Du wolltest ihn heiraten.«

Es überraschte sie nicht, dass er davon wusste. Das Ganze war zu der Zeit passiert, als Toby nach Wishing Tree zurückgezogen war, also hatte er das Gerede vermutlich mitbekommen.

»Er hat mir an einem Freitag den Antrag gemacht. Am Samstag hatten wir eine Party, um die Verlobung zu feiern. Und am Sonntag hat er Schluss gemacht.« Sie bemühte sich um einen leichten Tonfall. Es war beinahe ein Jahr her und … Sie hielt inne. »Oh, wow. Dieses Wochenende ist es ein Jahr her.«

»Er hat dir am Freitag nach Thanksgiving den Antrag gemacht?«

»Ja. Beim Entzünden des Weihnachtsbaums.«

»Damit bleibt es unvergesslich.«

»Ich glaube nicht, dass der Tag nach all dem anderen Kram wirklich wichtig ist.«

Er schaute sie an. »Bist du über ihn hinweg?«

»Ja. Und das ist schneller passiert, als es sollte. Es hat mich überlegen lassen, ob ich ihn doch nicht so sehr geliebt habe, wie ich dachte. Traurig, aber wahr. Ich wünsche ihm alles Gute, wo auch immer er jetzt ist.«

»Es tut mir leid.«

»Das muss es nicht.«

»Mir kommt es nur schäbig vor, einen Antrag zu machen und am gleichen Wochenende Schluss zu machen.«

»Stimmt. Er hat mir nie gesagt, warum. Er ist einfach am Sonntag bei meinen Eltern aufgetaucht und hat gesagt, dass es ihm leidtut, aber er könne nicht mehr mit mir zusammen sein. Ich war verletzt und verwirrt, aber wir haben nicht geredet. Gar nichts. Er ist einfach gegangen. Und ich bin mit gebrochenem Herzen nach Seattle zurückgefahren.«

Sie schaute zu Toby auf. »Und das ist die traurige Geschichte meiner Beziehung mit Jake.«

»Du solltest dich an die schlimmen Jungs halten.«

Sie lächelte. »Damit könntest du recht haben.«

Toby winkte Harrison zu, doch sein Sohn war bereits damit beschäftigt, seinen Freunden das Fünfzig-Cent-Stück zu zeigen, das er auf dem kurzen Weg zur Geburtstagsparty auf dem Gehsteig gefunden hatte. Für Kinder, die im digitalen Zeitalter aufwuchsen und sahen, wie ihre Eltern beinahe alles mit Karte bezahlten, war eine ungewöhnliche Münze etwas Besonderes.

Die Geburtstagsparty mit Lunch und Spielen würde bis halb vier gehen. Was für mutige Eltern, dachte Toby. Das Einzige, was er mal zustande gebracht hatte, war eine Party im Ist das Leben nicht schön , ein Kino, wo es Hotdogs und Popcorn sowie bevorzugte Sitze in der Samstagnachmittag-Vorführung gegeben hatte.

Harrison war glücklich gewesen, Zeit mit seinen Freunden zu verbringen, und die Kinder schienen alle viel Spaß gehabt zu haben. Toby fragte sich, ob er dieses Jahr etwas mehr versuchen sollte. Das Schlimme war, dass er schrecklich unkreativ war, eher geschäftsorientiert. Er dekorierte nicht, bastelte nicht oder wusste auch nur, welche Farben zusammenpassten.

Er ging den kurzen Weg zurück nach Hause. Vor seinem Haus parkten zwei große Lieferwagen, und ein paar Männer standen auf Leitern und hängten die Weihnachtsbeleuchtung auf. Drinnen waren mehrere Leute damit beschäftigt, die beiden Weihnachtsbäume aufzustellen – einen im Wohnzimmer und einen im Esszimmer. Eine Frau stand auf der Treppe und wickelte eine Girlande ums Geländer. Er ging um die offenen Kisten mit Lichterketten und Baumschmuck herum und suchte sich einen Weg durch das Chaos zum Zimmer seiner Großmutter.

Judy stand an ihrem Schreibtisch und inspizierte den Inhalt der Tüte, die er ihr früher am Tag gebracht hatte. Als sie ihn sah, lächelte sie.

»Die veranstalten da draußen ein schönes Chaos«, sagte sie.

»Aber sie räumen auf, bevor sie gehen. Ist es dir zu viel Lärm? Stören sie dich?«

Sie schnalzte mit der Zunge. »Toby, ich bin alt, aber nicht krank. Alles ist gut. Ich wünschte nur, du würdest mich das Haus schmücken lassen.«

»Sie stellen gerade eine drei Meter hohe Tanne im Wohnzimmer auf. Ich glaube, damit käme keiner von uns klar. In einer Woche oder so werden Harrison und ich einen echten Baum für das Fernsehzimmer oben besorgen, den wir drei dann zusammen schmücken können.«

Sie hielt eine Kette mit altmodischen Glühlampen hoch, die mit einer Flüssigkeit gefüllt waren, die blubberte, wenn die Lichter sich erwärmten.

»Meinst du, die funktioniert noch?«, fragte er.

»Ich hoffe es.«

»Wenn nicht, kaufen wir eine neue.«

»Das musst du nicht tun.« Sie klang ein wenig verzagt.

»Was?«

»Du kaufst mir ständig Sachen. Ich habe genug. Ich brauche keine neuen Lichter.«

Er trat zu ihr und zog sie in die Arme. Dabei versuchte er zu ignorieren, wie zerbrechlich sie sich anfühlte. Er gab ihr einen Kuss auf den Scheitel. »Du bist nicht meine Chefin.«

»Das war ich aber mal.« Sie lachte und ging zum Schrank, wo sie ein paar Kartons vom Regal holte.

»Ich möchte, dass du dir anschaust, was ich für Harrison gekauft habe. Wenn du meinst, dass es ihm gefällt, bringe ich es später bei Schleifchen drum vorbei.«

Er besah sich den Inhalt der Kisten. Es gab ein Baseball-Brettspiel und ein Witzbuch. Im letzten Karton befand sich ein Zauberkasten, mit dem Harrison einfache Zaubertricks lernen konnte.

»Alles Gewinner«, sagte er. »Und mehr als genug. Du musst ihm nicht noch was kaufen.«

Sie winkte ab. »Er ist mein Urenkel. Ich genieße es, ihn zu verwöhnen.«

»Du bist gut zu ihm.«

»Weil ich ihn liebe.«

Eine einfache Aussage mit tiefer Bedeutung. Judy hatte auch ihn geliebt. Im Heranwachsen hatte er gewusst, dass sie die Einzige war. Zumindest bis er Reggie getroffen hatte, aber das war eine andere Form der Liebe gewesen.

»Ich weiß«, sagte er. »Soll ich die Geschenke für dich abgeben?«

»Nein, ich mach das schon. Ich wollte sowieso mal nach Camryn sehen und hören, wie es ihr geht.«

Camryn war ein paar Klassen unter ihm gewesen, deshalb hatte er sie auf der Highschool zwar gekannt, aber nie mit ihr oder ihren Freunden abgehangen. Kürzlich hatte sie ihre Mutter verloren und war nach Wishing Tree zurückgezogen, um das Familiengeschäft zu übernehmen und sich um ihre wesentlich jüngeren Zwillingsschwestern zu kümmern.

»Die Feiertage werden bestimmt hart für sie«, sagte er. »Für sie alle.«

Judy musterte ihn. »Vielleicht solltest du auch mal vorbeischauen. Nur, um nett zu sein.«

»Warum sollte ich das tun? Ich kenne sie ja kaum.«

»Du könntest sie besser kennenlernen.«

Als die wahre Bedeutung ihrer Worte sackte, unterdrückte er ein Stöhnen. »Denk nicht mal daran. Ich bin nicht daran interessiert, mit Camryn auszugehen.«

»Das kannst du nicht wissen. Du hast selbst gesagt, dass du sie kaum kennst. Sie ist hübsch.«

»Da bin ich mir sicher, aber nein.« Das Letzte, was er in seinem Leben brauchte, war, dass seine Großmutter sich in sein Privatleben einmischte. Nicht, dass er eines hatte, aber es ging ihm ums Prinzip.

»Was ist mit Reggie? Ihr beide habt euch gestern beim Essen gut verstanden.«

Das ist schon etwas gefährlicheres Terrain, dachte er. Der Nachmittag und Abend waren schön gewesen, und er hatte es genossen, Zeit mit Reggie zu verbringen und den Menschen kennenzulernen, zu dem sie geworden war. Aber das bedeutete nicht, dass er mit ihr ausgehen wollte.

»Du weißt, dass ich mich nicht mit Frauen treffe.«

»Du kannst nicht jede Frau mit Lori über einen Kamm scheren. Sie war eine schreckliche Person. Reggie ist ganz anders.«

»Ich werde mich auf niemanden einlassen. Nicht, während Harrison noch so jung ist. Ich muss ihn beschützen.«

Seine Großmutter seufzte. »Du solltest nicht allein sein. Das ist nicht richtig.«

»Mir geht es gut.« Er milderte seine Worte mit einem Lächeln ab. »Ich wollte noch im Büro vorbeischauen. Fühlst du dich bereit, die Dekorationsarbeiten zu beaufsichtigen?«

»Da gibt es für mich nicht viel zu tun. Die Leute kümmern sich ja um alles.«

»Dafür bezahle ich sie auch. Ich hole Harrison um halb vier ab. Danach kommen wir direkt nach Hause.«

»Okay. Arbeite nicht zu hart.«

Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und ging dann nach draußen zu seinem Wagen. Judy wollte nur helfen, das wusste er. Und über das, was sie gesagt hatte – dass er nicht allein sein sollte –, dachte er selbst ab und zu nach.

In Wahrheit hätte er gern jemanden in seinem Leben. Er wollte einer Frau sein Herz schenken, wollte lieben und geliebt werden. Die ganzen kleinen Dinge, die eine Beziehung ausmachten, fehlten ihm. Doch im Moment war nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Zweimal in seinem Leben hatte er sich geirrt, was Frauen anging, und beide Entscheidungen hatten ihn bis ins Mark erschüttert. Eine hatte ihm seinen Sohn geschenkt, und die andere hatte bei Harrison solche Narben hinterlassen, dass sie noch auf Jahre hin sichtbar sein würden.

Das Risiko, dass so etwas noch einmal passierte, konnte er nicht eingehen. Und die einfachste Art, die Sicherheit seines Sohns zu gewährleisten, war, sich nicht wieder auf etwas Ernstes einzulassen, bis Harrison alt genug war, um sich selbst zu schützen.

Das ähnelte seiner Erfahrung als Kind eines Alkoholikers. Er wusste nicht, ob er das, was die Krankheit bei seinem Vater ausgelöst hatte, auch in sich trug, doch er wollte auf Nummer sicher gehen. Er trank nur sehr selten Alkohol – und wenn, dann bloß ein Bier oder ein Glas Wein. Vielleicht war er übervorsichtig, aber selbst als Jugendlicher hatte er sich nie betrunken, und so würde er es auch weiterhin halten.

Micah überlegte, dass er besser einen anständigen Beruf gelernt hätte, statt Musiker zu werden. Einen Automechaniker brauchten die Leute immer – vielleicht wäre er darin gut gewesen, denn Songs schreiben konnte er definitiv nicht mehr. Er riss ein weiteres Blatt Papier vom Block und zerknüllte es, bevor er es in den Papierkorb warf.

Den ganzen Morgen hatte er vergeudet, ohne auch nur den geringsten Fortschritt zu machen. Ihm fehlte der Funke, er hatte weder ein Thema noch sonst etwas gefunden, das ihm helfen würde, den Weg zu einem Song zu finden. Wenn er einen vernünftigen Beruf gelernt hätte, wäre er wenigstens in irgendwas gut. So hingegen hatte er …

Ein lautes Krachen riss ihn aus seinen Gedanken. Das Geräusch war von der anderen Seite der Wand gekommen. Dort befand sich kein weiteres Zimmer. Im Kutschenhaus gab es nur zwei Suiten, und die von Dena war über seiner. Schnell nahm er sich seinen Mantel und ging nach draußen und um das Gebäude herum.

Die Garage war offen, Dena stand auf einer Leiter vor einem Regal und zog große Kunststoffkisten heraus. Eine von ihnen lag auf die Seite gekippt auf dem Betonboden.

»Was machen Sie da?«, fragte er und stellte sich an den Fuß der Leiter. »Steigen Sie da sofort runter. Sie sollten nicht auf Leitern klettern.«

Sie lachte. »Sagen Sie bitte nicht ›in Ihrem Zustand‹. Soweit ich weiß, beeinträchtigt eine Schwangerschaft das Gleichgewicht nicht, und die knappen anderthalb Pfund, die ich zusätzlich mit mir herumtrage, bringen mich nicht aus der Balance.«

Sie sah bezaubernd aus. Ihre Nase war von der Kälte gerötet, und sie trug einen dicken roten Pullover und Jeans.

»Bitte, kommen Sie runter«, sagte er sanfter. »Sie können mir sagen, was Sie brauchen, und ich hole es Ihnen.«

»Sie sind seltsam.«

»Ich bin der Gast, also müssen Sie tun, was ich sage.«

»Na gut«, grummelte sie und stieg herunter. »Ich brauche nur noch die drei letzten Kisten. Die anderen habe ich schon reingebracht.«

Er stieg die Leiter hinauf und holte die drei Kisten runter. Sie waren groß, aber leicht und mit Weihnachtsdeko gefüllt.

»Wie viele haben Sie davon?«, fragte er.

»Ungefähr sechzig. Die Gemeinschaftsräume sind ziemlich groß, deshalb stellen wir immer ein halbes Dutzend Bäume auf. Heute Morgen sind ein paar Schüler von der Highschool vorbeigekommen, um dabei zu helfen. Jetzt sind sie alle schon geschmückt, und ich muss nur noch den Rest machen.«

»Sie machen das alles selbst?«

»Ich sagte doch, dass ich heute früh Hilfe hatte.«

»Sie sind schwanger.«

»Habe ich schon erwähnt, dass das Baby die Größe einer Lima-Bohne hat?«

»Sie meinten, Sie hätten Unterstützung.«

Sie lachte. »Ja, wenn das Baby da ist. Micah, es ist süß von Ihnen, dass Sie sich Sorgen machen, aber ich schmücke das B&B schon seit Jahren selbst. Bevor ich es geerbt habe, habe ich hier gejobbt. Selbst als ich schon Lehrerin war, habe ich im Sommer hier gearbeitet.«

Das klang logisch. Aber dennoch, dass sie alles allein machte …

»Jetzt haben Sie mich. Ich bringe die Kisten ins Haus, und dann können Sie die Füße hochlegen und mir sagen, was zu tun ist.«

»Ich glaube nicht. Erinnern Sie sich daran, dass Sie hier Gast sind?« Sie sah ihn an. »Sind Sie absichtlich so schwierig?«

»Ich bin ein Mann mit vielen Talenten. Nutzen Sie das.« Zumindest war er mal ein Mann mit vielen Talenten gewesen. Das Gute war, wenn er ihr beim Schmücken des Hauses half, müsste er sich einen ganzen Nachmittag nicht mit seiner Unfähigkeit zu schreiben herumplagen. Das war Anreiz genug.

»Danke. Das ist ein sehr nettes Angebot.«

»Das ist kein Angebot, sondern ein Fakt.« Er nahm zwei Kisten und ging in Richtung Haupthaus. »Denken Sie nicht mal daran, eine davon zu tragen!«, rief er ihr über die Schulter hinweg zu.

Lachend folgte Dena ihm ins Haus.

Er sah sofort, dass das mit der Anzahl der Kisten kein Witz gewesen war. Sie stapelten sich überall. Ein hoher, geschmückter Baum stand vor dem großen Fenster im Wohnzimmer, und zwei kleinere Bäume flankierten den Kamin. Des Weiteren sah er einen beim Empfang und einen im Esszimmer.

Er stellte die Kisten ab, nahm sich drei leere und ging in die Garage zurück. Innerhalb kürzester Zeit hatte er die vollen Kisten ins Haus und die leeren wieder zurück ins Regal gebracht. Sobald er damit fertig war, zeigte Dena ihm ihren Dekorationsplan.

»Die Kisten sind farblich markiert«, sagte sie und zeigte auf die bunten Punkte auf den Vorderseiten. »Rot fürs Wohnzimmer, Blau fürs Esszimmer, Grün für den Empfang und so weiter.«

Sie schlug eine rote Mappe auf. Die Zeichnung des Kamins im Wohnzimmer war ein wenig ungelenk, aber er sah genau, wo die tanzenden Bären hinsollten, wo die Tannenzapfen und wo die Glaskugeln. Für alle Zimmer gab es mehrere Zeichnungen, dazu ein Diagramm, wo die Weihnachtskränze aufgehängt werden sollten.

»Haben Sie das gemacht?«, fragte er. »Das ist beeindruckend. So übersichtlich und klar. Man kann nichts vertauschen, und wenn im Januar alles wieder weggeräumt wird, muss man alles nur wieder in die entsprechenden Kisten packen.«

Sie lächelte. »Danke. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis ich es perfektioniert hatte. Vorher hat das Schmücken des Hauses immer Wochen gedauert, aber jetzt schaffe ich es an einem Wochenende. Mit den Bäumen lasse ich mir helfen, und um die Beleuchtung für draußen kümmert sich morgen früh ein Profi.«

»Ich bin froh, dass Sie nicht vorhaben, das auch selbst anzugehen.«

Sie lachte. »Ich kenne meine Grenzen.«

»Nein, kennen Sie nicht. Wo soll ich anfangen?«

»Wir fangen im Wohnzimmer an.«

Er wollte widersprechen, wollte sagen, dass er sich darum kümmern würde, aber das wäre albern. Sie hatte recht damit, dass sie kaum schwanger war. Abgesehen von ihrer Übelkeit war sie stark und gesund. Es gab keinen Grund, warum sie sich nicht um den Weihnachtsschmuck kümmern sollte.

»Okay, das Wohnzimmer.« Kurz fiel sein Blick auf ihren Mund, bevor er sich wegdrehte. Er konnte nicht nur sein fehlendes Talent ignorieren, sondern auch den Rest des Tages mit Dena verbringen. Definitiv ein Gewinn.

Ich mag ihre Gesellschaft, gestand er sich ein. Ich mag sie.

Auf ihre Anweisungen hin hängte er Weihnachtskränze auf, wobei sie ihm zeigte, wie er die Bänder am besten über die Haken schlingen sollte. Ihm war vorher nicht aufgefallen, wie viele Fenster das Haus hatte, und für jedes gab es einen eigenen Kranz. Dena kümmerte sich um die Deko des Kamins. Die tanzenden Bären kamen in die Mitte, dann arrangierte sie künstliche Äste und große, mit Glitzer bestreute Glaskugeln darum herum.

Die Beistelltischchen schmückte sie mit kleinen Winterwaldszenen. Die Bäumchen für die Tische hatten verschiedene Themen: Einer war mit Fischen geschmückt – darunter drei glücklich lächelnde Goldfische –, einer war ganz Aschenputtel gewidmet, inklusive der Kutsche, dem gläsernen Schuh und kleinen Aschenputtelfigurinen.

»Sagen Sie mir bitte, dass es auch irgendwo einen Jungsbaum gibt«, bat er.

»Im Esszimmer gibt es einen Cowboybaum. Reicht das?«

»Ja. Nicht dass ich eine Frau in einem blauen Kleid nicht zu schätzen weiß.« Er runzelte die Stirn und berührte einen der Anhänger. »Warum ist ihr Kleid immer blau?«

»Ich glaube nicht, dass es das immer ist. Sie sollten das mal nachlesen.«

Er zuckte zusammen. »Äh, ich glaube nicht, dass ich Aschenputtel in meinem Browserverlauf haben will.«

»Haben Sie Angst, dass die Leute denken, Sie stehen auf Fetisch-Pornos?«

»Ich stehe auf gar keine Pornos. So etwas interessiert mich nicht.«

»Ja. Ich nehme an, in Ihrer Position können Sie jederzeit das Echte haben.«

»Stellen Sie etwa Spekulationen über mein Privatleben an?«, fragte er.

Sie grinste. »O ja. Auch wenn bisher niemand erwähnt hat, dass er Frauen aus Ihrer Suite hat kommen und gehen sehen.« Sie legte den Kopf schief. »Lassen Sie sie einzeln oder in Gruppen kommen?«

»Wo bliebe der Spaß, wenn es nicht mindestens drei oder vier sind?«

»Wie soll das mit vieren überhaupt gehen?«

Er lachte. »Okay, es ist an der Zeit, diese Unterhaltung zu beenden. Wir nähern uns Themen, die selbst für einen ehemaligen Rockstar zu seltsam sind. Und nur fürs Protokoll: Ich habe nie auf Gruppensex gestanden. Auf mehrere schon, aber immer nur eine zurzeit, und als ich das Ende meiner Zwanziger erreicht habe, bin ich wesentlich wählerischer geworden.«

»Danke für die Aufklärung«, zog sie ihn auf, und ihre braunen Augen funkelten amüsiert. »Mein Privatleben war lange nicht so aufregend, aber das ist in Ordnung. Ich wäre kein gutes Groupie.«

»Das ist nichts Schlechtes.«

»Ja, vermutlich nicht.«

Sie lächelten einander an. Er mochte es, wie behaglich er sich mit ihr fühlte. Es war leicht, sich mit Dena zu unterhalten, und sie hatte so eine optimistische Sicht auf das Leben. Dazu war sie sehr fürsorglich. Oder, wie sie es genannt hatte, eine Kümmerin.

»Sie haben es sicher geliebt, in Wishing Tree aufzuwachsen«, sagte er.

»Stimmt.«

»Haben Sie nur die eine Schwester?«

»Ja.« Sie hielt inne, um etwas in der Mappe fürs Wohnzimmer nachzuschlagen. »Ich denke, wir sind hier fertig.«

Er trug die Kisten mit den blauen Punkten ins Wohnzimmer, wo sie mit der Arbeit weitermachten.

»Was ist mit Ihnen?«, fragte sie, während sie schlittschuhlaufende Pinguine auf der Anrichte arrangierte.

»Ich bin Einzelkind. Meine Mutter ist gestorben, als ich noch klein war, und ich kann mich nicht mehr an sie erinnern. Mein Dad war ein Mann, der nie irgendwo sesshaft wurde. Wir sind viel herumgereist. Er hat mich ermutigt, Gitarre zu lernen. Er meinte, ich würde das schon hinkriegen.«

»Er selbst hat nicht gespielt?«

»Nein, aber er hat es geliebt, dass ich mit so viel Enthusiasmus dabei war. Als ich ungefähr zwölf war, wusste ich, dass ich mal Musiker werden will. Damals habe ich angefangen, Songs zu schreiben und zu singen. Mit fünfzehn haben wir in einer Kleinstadt in der Nähe von Los Angeles gewohnt. Da habe ich Steve kennengelernt.«

»Ah, ich habe mich schon gefragt, woher Sie sich kennen.«

»Wir haben uns sofort gut verstanden, was hauptsächlich daran lag, dass wir beide Musik geliebt haben. Steve ist ein großartiger Drummer. Wir haben eine Band gegründet. Als mein Dad weiterziehen wollte, habe ich ihm gesagt, dass ich bleiben will.«

»Und, hat er Sie gelassen?«

»Ja.« Micah erinnerte sich an die Traurigkeit in den Augen seines Vaters. »Er wusste, dass er mir bei der Erfüllung meiner Träume nicht helfen konnte, schon gar nicht, wenn wir ständig umziehen. Erst später ist mir klar geworden, was für ein Opfer er für mich gebracht hat.«

Das war, als sie erfahren hatten, dass Adriana mit einem Sohn schwanger war. In dem Moment hatte er verstanden, was sein Vater für ihn getan hatte.

»Er ist vor zehn Jahren gestorben.«

»Ist er je sesshaft geworden?«

»Nein, aber er hat ein sehr stilvolles Vagabundenleben geführt. Als unsere Band den ersten Plattenvertrag unterschrieben hat, habe ich meinem Dad von meinem Anteil ein Wohnmobil gekauft.« Die Erinnerung ließ ihn lächeln. »Damit hatte er immer ein Zuhause. Er war ein glücklicher Mann.«

»Also hat er noch mitbekommen, wie Sie berühmt geworden sind.«

»Ja. Wenn er bei einem unserer Konzerte in der Nähe war, ist er immer gekommen. Er hat es geliebt, zu sagen, dass er zur Band gehört.«

»Das klingt nach einem wundervollen Mann.«

»Das war er. Manchmal ist das Schwerste, jemanden gehen zu lassen. Das weiß ich jetzt.«

»Das ist eine gute Lektion.«

»Sagt die Lehrerin.«

Er öffnete eine Tüte und sah Teile eines viktorianischen Dorfes, die sorgfältig in Seidenpapier eingepackt waren. Dena zeigte auf die breite Fensterbank.

»Das kommt da hin. Unter dem Sitz in der Fensterbank ist eine Steckdose. Und in der Bank finden Sie ein kleines Loch für das Kabel. Ich glaube, die vier Kisten sind alle für das Dorf.«

Er begann, mehrere Häuser, Bäume und kleine Straßenlaternen auszupacken.

»Sie haben gesagt, dass Sie das B&B geerbt haben, richtig?«, fragte er.

»Richtig. Meine Großmutter Regina hat es mir hinterlassen. Sie wusste, wie sehr ich es liebe. Reggie hat Aktien und Fondsanteile im ungefähr gleichen Wert bekommen, also war alles fair.«

Er grinste. »Fairness ist wichtig.«

»Was Geschwister angeht, definitiv.« Sie schaute sich im Zimmer um. »Ich liebe dieses Haus, und ich genieße es, dass es mir gehört, aber um ehrlich zu sein, ich würde es sofort zurückgeben, wenn ich dafür Großmutter Regina zurückhätte.«

Das glaubte er ihr sofort.

»Sie wäre sehr stolz auf Sie.«

Dena sah ihn an. »Das hoffe ich. Ich glaube, sie wäre besorgt, weil ich allein ein Baby bekomme, aber sie hätte es geliebt, ein Urenkelkind zu haben.«

»Sie haben also nie daran gedacht, zu verkaufen?«

»Das B&B?« Sie riss die Augen auf. »Nein! Warum sollte ich das tun? Was für eine schreckliche Vorstellung.«

Er hob abwehrend beide Hände. »Sorry. Es war nur eine Frage.«

»Tun Sie das nicht. Stellen Sie nie wieder diese Frage. Das B&B verkaufen … also wirklich.«

Er versuchte, sein Lächeln zu verbergen. »Sie haben sehr starke Meinungen zu einigen Themen.«

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, und wurde kreidebleich. Micah legte den kleinen Laden, den er auf die Fensterbank hatte stellen wollen, ab und ging zu ihr. Er nahm ihr Handgelenk, übte auf verschiedene Stellen Druck aus und glich seinen Atem automatisch ihrem an – als ob das helfen würde, ihr Unwohlsein zu vertreiben.

Dena schloss die Augen. Er spürte, wie sie versuchte, sich zu entspannen, während ihre Gesichtsfarbe von weiß zu grünlich wechselte und sie ihre freie Hand auf den Magen drückte.

»Einatmen«, murmelte er, sich ihrer Nähe bewusst werdend. So nah standen sie beieinander, dass er den Duft ihres Shampoos riechen konnte. Ein Zitrusduft, rein und ansprechend. Er betrachtete die Sommersprossen auf ihrer Nase und ihren Wangen und die Form ihres Mundes. Verlangen regte sich in ihm.

»Zählen Sie bis vier«, sagte er und hörte den Anflug einer Melodie im Hinterkopf. Die Noten bewegten sich wie Blätter im Wind – vor und zurück, vor und zurück.

Ich dachte, ich wäre stark, doch ich litt.

Heilung war wichtig. Der Geist der Weihnacht war Hoffnung und Vergebung und …

»Schon besser«, sagte Dena.

Blinzelnd kehrte er in die Gegenwart zurück. Denas Gesicht hatte wieder eine normale Farbe angenommen, und sie öffnete die Augen.

»Sie sind wirklich talentiert. Sie sollten ein YouTube-Video machen oder so.«

Er ließ ihr Handgelenk los. »Ich bin mir sicher, dass es schon unzählige Videos über Akupressurpunkte gibt.«

»Aber Sie wären ein zusätzlicher Magnet. ›Lernen Sie, sich nicht zu übergeben, mit Micah Ruiz‹.« Sie zog die Nase kraus. »Vermutlich bräuchte es einen etwas griffigeren Titel.«

»Ich weiß nicht. Der ist zumindest sehr direkt.«

Sie lächelten einander an. Immer noch standen sie nah zusammen. Er wollte einen halben Schritt vortreten und …

Und was? Sie umarmen? Sie halten? Sie küssen?

Das waren gute Fragen, die er aber nicht beantworten konnte. Doch ihm gefiel, dass er sie sich stellte. Seitdem er Adriana verloren hatte, hatte er keinerlei Verlangen mehr verspürt, keine Lust und definitiv keine Neugierde, was Frauen anging. Während der Reha hatte er auch daran arbeiten müssen, mental wieder gesund zu werden. Ihm war klar, dass seine Gefühle langsamer heilen würden als seine Knochen, aber sie würden heilen.

Eines Tages würde er wieder offen dafür sein, sich auf einen anderen Menschen einzulassen. Körperliche Anziehung ist ein guter erster Schritt, sagte er sich, auch wenn er nicht wusste, wie er damit umgehen sollte. Er hatte keine Ahnung, was er als Nächstes tun sollte – oder ob es überhaupt einen nächsten Schritt geben sollte. Dena war absichtlich allein schwanger geworden – eine Frau, die einen Mann suchte, machte so etwas wohl kaum.

»Gab es wirklich nicht einen einzigen Mann, den Sie als Vater Ihres Babys in Betracht gezogen haben?«, fragte er, bevor er sich zurückhalten konnte.

Sie blinzelte, als versuche sie, mit dem abrupten Themenwechsel Schritt zu halten. »Sie haben Wishing Tree gesehen. Es ist eine kleine Stadt, und ich kann Ihnen versichern, dass es hier nicht viele vom Alter her passende Single-Männer gibt, die nur darauf warten, sich in mich zu verlieben.« Sie lächelte. »Außerdem bin ich nicht wie Sie. Mir fallen nicht jedes Mal, wenn ich die Straße entlanggehe, eine Million Kerle vor die Füße.«

»Sie glauben wirklich, dass das bei mir so ist?«

»So in der Art.«

»Aber ich stehe nicht auf Kerle.«

Sie lachte – ein helles, fröhliches Geräusch, bei dem er einfach mit einfallen musste. Das Bedürfnis, sie zu berühren, wuchs. Er beschloss, das Gefühl für den Moment einfach zu genießen. Wenn es anhielte, würde er vielleicht irgendwann etwas unternehmen.

»Ich meine, ich habe nicht die Auswahl wie Sie«, sagte sie.

»Dieser Typ bin ich nicht mehr. Ich bin wesentlich glücklicher als Mann für nur eine Frau.«

Ihre Miene wurde weich. »Das ist schön. Ich wette, Sie waren ein toller Ehemann.«

»Ich habe mich bemüht.«

»Adriana hatte Glück.« Sie wandte sich wieder den Kisten zu. »Sie haben sie sehr geliebt. Es tut mir leid, dass Sie die Liebe Ihres Lebens verloren haben.«

Er brauchte eine Sekunde, bis der Groschen bei ihm fiel. Dena nahm an, er habe sagen wollen, dass es wegen Adriana keine andere mehr geben könne. Was überhaupt nicht dem entsprach, was er gemeint hatte. Aber angesichts dessen, dass er nur für ein paar Wochen in der Stadt und nicht sicher war, wie sehr seine Wunden schon verheilt waren, korrigierte er sie vermutlich besser nicht – zu seinem wie auch zu ihrem Besten.