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„Hier Geschwader Lieutenant Clay Schrader, Jägerstaffel LEVIATHAN 01. Wir sind mit dreißig Maschinen zwanzig Grad achtern“, kam es über den Lautsprecher auf der Brücke des Leichten Kreuzers NEPTUN.
Commander Raphael Wong erhob sich aus seinem Sessel. Eine Bildübertragung aus dem engen Cockpit des Jägerpiloten gab es nicht. Sie war zwar prinzipiell möglich, allerdings war auf den Bildern zumeist außer dem spiegelnden Helmvisier des Piloten nichts zu sehen.
„Verstanden, Lieutenant Schrader“, gab Commander Wong zurück. „Austrittspunkt des Gegners liegt bei den Koordinaten 23-6-45. Austrittszeitpunkt in genau fünf Minuten. Wir beginnen bei Austrittszeitpunkt minus drei Minuten mit dem Beschuss, um sicherzugehen.“
„Da sind wir ja wohl gerade noch rechtzeitig gekommen!“, meinte Lieutenant Schrader. „Aber selbst der Mesonenantrieb lässt uns keine Wunder vollbringen.“
Drei der zylinderförmigen Leichten Kreuzer bildeten eine Formation – die NEPTUN, die ALEXANDER und die TAJ MAHAL. Letztere hatte mit Selma McKeith eine neue Kommandantin, nachdem Commander Rajiv befördert worden war und das Kommando des gerade fertig gestellten Sondereinsatzkreuzers AMSTERDAM bekommen hatte.
Als Dienstältester der drei Kommandanten hatte Raphael Wong das Kommando über den Teilverband.
„Wir wenden die taktische Variante AA-12 an“, gab er an Lieutenant Schrader durch.
„Aye, aye, Sir!“
„Funk!“, wandte sich Wong an Lieutenant Pemmo Nebbson, den Kommunikationsoffizier der NEPTUN. „Geben Sie diese Order an alle Maschinen der Jägerstaffel LEVIATHAN 01 sowie an die TAJ MAHAL und die ALEXANDER durch.“
„Jawohl“, bestätigte Nebbson.
Die Jäger folgten der taktischen Anweisung. Sie flogen einen Bogen und verteilten sich in Positionen rund um den Austrittspunkt, ließen dabei aber den Schussbereich der Leichten Kreuzer frei. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein so kleines Objekt auf eine Entfernung von mehr als zwanzigtausend Kilometer durch Friendly Fire der eigenen Gauss-Breitseiten getroffen wurde, war zwar sehr gering, aber nicht ausgeschlossen und so blieb man vorsichtig.
Die Zeit verstrich mit angespanntem Warten.
Schließlich wurde auf allen drei Leichten Kreuzern die Schiffskontrolle an den Waffenoffizier übergeben.
Wenig später erfolgte die Feuerfreigabe durch Commander Wong.
Hundertzwanzig Gauss-Geschütze der drei Space Army Corps Raumer spuckten Abertausende von Geschossen heraus, die auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigt wurden. Noch feuerten sie ins Nichts.
Nach und nach materialisierten mehrere, von einer kristallinen, fluoreszierenden Schicht überzogene Raumschiffe unterschiedlichster Bauart. Es waren umgerüstete Beuteschiffe der Fulirr darunter, aber auch Nachbauten und Weiterentwicklungen verschiedener Schiffstypen wie das Space Army Corps verwendete. Gemeinsam hatten sie alle, dass sie mit äußerst effektiven Strahlenwaffen ausgerüstet waren, deren Wirksamkeit die qriidischen Traser noch um einiges übertraf.
Am gefürchtetsten aber waren auf Seiten der Humanen Welten nach wie vor die Antimateriesprengköpfe der ehemaligen Fulirr-Schiffe.
Doch jetzt flogen die Etnord-Schiffe mit vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit daher – der normalen Austrittsgeschwindigkeit eines Raumschiffs, das aus dem Sandström-Raum materialisierte.
Die ersten dieser Schiffe zerplatzten bereits und verwandelten sich in kleine Kunstsonnen. Die Gravitationsschirme, mit deren Hilfe sich die Etnord ansonsten sehr wirkungsvoll gegen den Beschuss mit Gauss-Projektilen zu schützen vermochten, konnten offensichtlich während des Sandström-Fluges nicht aktiviert werden. Die Etnord waren gezwungen, sie erst nach dem Austritt hochzufahren, was für viele dieser Einheiten zu spät war. Der Hagel aus Gauss-Geschossen durchlöcherte sie mit zehn Zentimeter durchmessendenden Schusskanälen.
Die auseinanderplatzenden Wracks beschädigten nachfolgende Etnord-Einheiten zum Teil erheblich.
Auch die Jäger feuerten.
Nur wenigen Etnord-Schiffen gelang es, die Gravitationsschirme rechtzeitig hochzufahren.
Sie rasten förmlich an den drei Leichten Kreuzern vorbei. Zwar gaben sie einige Schüsse mit Strahlengeschützen ab, aber die Wahrscheinlichkeit, dabei etwas zu treffen war bei Geschwindigkeiten oberhalb von 0,35 LG nahezu bei Null.
Sie flogen zwar zunächst direkt in den Geschosshagel der Space Army Corps Schiffe hinein, aber die nun eingeschalteten Gravitationsschirme der Etnord-Raumer ließen diesen Hagelschauer an Gauss-Projektilen einfach abprallen.
Da war die Stunde der Jäger.
Sie hefteten sich an die Spur dieser Einheiten. Die Gravitationsschirme deckten maximal 270 Grad eines Etnord-Schiffs ab, da es ansonsten durch die G-Kräfte seiner eigenen Schirme förmlich zerquetscht worden wäre. Immer dann, wenn ein Etnord-Raumer aus verschiedenen Richtungen beschossen wurde, bestand also die Chance, dass ein Projektil durch den verwundbaren Bereich drang und für die Zerstörung des Schiffs sorgte. Nur in ganz seltenen Fällen, wenn das Gauss-Projektil in einem bestimmten Winkel auf den Schirm traf, konnte es diesen durchdringen. Auch dafür standen bei den Jägern die Chancen besser als bei den Geschützen der größeren Schiffe, da erstere ihre Position sehr genau justieren und vergleichsweise genau zielen konnten.
Dennoch schafften es mit der Zeit immer mehr Etnord-Schiffe, einfach durchzubrechen. Für die Jäger, die sich an die Fersen eines Etnord-Schiffs hefteten, bedeutete die hohe Geschwindigkeit des Gegners eine erhebliche Minderung der Durchschlagskraft für die eigenen Geschosse. Wenn die Etnord-Schiffe nicht gerade schon beim Eintritt so schwere Beschädigungen hatten hinnehmen müssen, dass sie möglichst gleich wieder 0,4 LG zu erreichen versuchten, um in den Zwischenraum zu flüchten, leiteten sie ein Bremsmanöver ein, die sie innerhalb der ersten Stunde nach dem Austritt auf unter 0,35 LG herunterbremsten. Trotzdem waren sie damit immer noch so schnell, dass die relative Auftreffgeschwindigkeit der von den Verfolgern abgeschossenen Projektile manchmal nur noch 0,1 LG betrug. Damit war den Gauss-Geschossen bis zu vier Fünftel Ihrer Durchschlagskraft genommen, was dazu führte, dass manche Treffer sogar von der Außenpanzerung aufgehalten wurden und nur Beulen hinterließen.
Die enorme Beschleunigungsfähigkeit der Mesonentriebwerke, mit denen die Jäger ausgestattet waren, änderte daran zumindest auf den ersten 400 000 Kilometern nur wenig.
Auf jene Etnord-Verbände, die nicht durch Verfolger zerstört werden konnten, warteten weitere Jäger-Staffeln, die zurückgezogen postiert waren.
Geschwader-Commodore Moss Triffler hatte sie weitläufig in der 1 AE-Zone rund um die Wurmloch-Porta verteilt. Für die abbremsenden Etnord-Schiffe waren sie auf Grund ihrer geringen Größe oft erst zu orten, wenn es bereits zu spät war. Bei abgeschaltetem Antrieb war es nahezu unmöglich für den Gegner, eine einzelne Maschine zu erkennen.
Und nach den Abschusszahlen schien das selbst für die hochentwickelte Sensortechnik der Etnord zu gelten, die in der Vergangenheit die technologischen Errungenschaften zahlloser Völker assimiliert und für ihre eigenen Zwecke weiterentwickelt hatten.
„Captain, wir erhalten einen Notruf der DARIUS aus Battlefield Sector 023, Abschnitt 3. Sie sendet auf allen Frequenzen“, meldete Lieutenant Nebbson.
„Lassen Sie sehen!“, verlangte Wong.
„Die Ortung registriert in der Gegend starke Detonationen und ein erhöhtes Strahlungsniveau.“
„Das klingt nicht gerade besonders ermutigend“, murmelte Lieutenant Commander Brian Mayer. Der Erste Offizier der NEPTUN, hatte sich die Ortungsdaten ebenfalls auf seine Konsole geholt.
Waffenoffizierin Celine Al-Malik sorgte unterdessen dafür, dass sich die NEPTUN drehte und die nächste Breitseite in Richtung der immer zahlreicher aus dem Zwischenraum hervortretenden Feindeinheiten ausgerichtet werden konnten.
Pemmo Nebbson sorgte mit ein paar Schaltungen dafür, dass sich die Bildanzeige des Panoramaschirms teilte. In einem Teilfenster war die Transmission von der DARIUS zu sehen.
„An alle Space Army Corps Einheiten! Hier spricht Lieutenant Commander Joskan Gunther, Erster Offizier der DARIUS. Wir haben schwere Treffer erlitten. Die Energieversorgung ist zusammengebrochen, das Notstromaggregat steht kurz vor dem Kollaps. Etwa die Hälfte der Mannschaft ist tot oder schwer verletzt...“ Eine Erschütterung durchlief das Schiff. Schlieren erschienen auf dem Bild. Pixelfehler fraßen sich durch den ins Stocken geratenen Videostream.
Dann brach die Übertragung ab.
„Captain, die DARIUS ist soeben explodiert“, meldete Lieutenant Derek Batista, der Ortungsoffizier der NEPTUN. „Außerdem nähern sich fünf Etnord-Einheiten aus dreißig Grad Backbord mit einer Geschwindigkeit von nur 0,15 LG.“
„Das müssen Einheiten sein, die in Battlefield Sector 023 durchgebrochen sind“, kommentierte Mayer.
„Jedenfalls wird es jetzt gefährlich für uns“, murmelte Wong.