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Dutzende von Einheiten durchbrachen inzwischen im Nahbereich der NEPTUN die Abwehr der Space Army Corps-Schiffe.

Sie rasten einfach an den Leichten Kreuzern der Scout-Klasse vorbei.

Aber jetzt war inzwischen auch das halbe Dutzend langsamerer Etnord-Schiffe auf Schussweite herangekommen, das in einem benachbarten Sektor materialisiert war.

Strahlenfeuer sorgte für die ersten Treffer.

Die NEPTUN wurde von einer schweren Erschütterung erfasst.

„Schwere Strahlentreffer!“, meldete Mayer. „Plasma-Schirm hält aber stand und ist jetzt noch bei 78 Prozent seiner normalen Stabilität.“ 

Drei solcher Treffer können wir uns leisten, dann sieht es düster aus, dachte Wong.

Celine Al-Malik sorgte dafür, dass das Schiff und damit seine Geschütze neu ausgerichtet wurden.

Die anderen Leichten Kreuzer taten dasselbe.

Noch konnten die Etnord die größere Reichweite und Treffsicherheit ihrer Strahlengeschütze als taktischen Vorteil ausnutzen.

Und das taten sie.

Sie veränderten den Kurs und flogen einen Bogen Richtung Backbord, sodass sie seitlich an den Space Army Corps Schiffen vorbeizogen. Einige Jäger kamen ihnen jedoch gefährlich nahe. Zielgenau feuerten sie durch die Lücken der Gravitationsschirme, die zumeist nach vorne ausgerichtet waren, sodass für den Jäger freie Schussbahn bestand, wenn er einen Bogen flog und sich von hinten näherte. Die Gravitationsschirme des Gegners wirkten dabei auch noch als Schutz gegen das Feuer der eigenen Einheiten.

Zwei dieser langsamen Etnord-Schiffe wurden bereits nach kurzer Zeit von den Jägern vernichtet. Lieutenant Clay Schrader persönlich sorgte für einen der beiden Abschüsse.

Unter den Jägern waren die Verluste bislang noch erträglich. Von den 30 Einheiten aus Schraders Staffel waren noch 24 im Einsatz. Fünf waren zerstört worden, ein weiterer vermisst. Möglicherweise geisterte er manövrierunfähig durch das All, sodass der Pilot noch gerettet werden konnte, wenn es irgendwann einmal eine Kampfpause gab.

Aber danach sah es im Augenblick nicht aus.

Die verbliebenen Etnord-Schiffe näherten sich vorsichtig. Eines von ihnen änderte den Kurs und flog einen Frontalangriff auf die Phalanx der drei Leichten Kreuzer. Da sich im Moment keine Jäger in der Nähe befanden, konnte es sich auf den Schutz seiner nach vorn ausgerichteten Gravitationsschirme verlassen. Wie eine feuersprühende Wunderkerze schossen die grünlichen Energiestrahlen aus den Strahlgeschützen hervor. Die ALEXANDER bekam einen schweren Treffer, wenig später auch die die TAJ MAHAL.

„Die TAJ MAHAL meldet Zusammenbruch des Plasma-Schirms!“, rief Pemmo Nebbson.

Im nächsten Moment wurde auch die NEPTUN getroffen.

„Unser Plasma-Schirm hat noch eine Stabilität von 40 Prozent!“, stellte Batista fest.

Eine Interkom-Verbindung zum Captain wurde aktiviert. Das Gesicht von Lieutenant Edna Kwon, der Leitenden Ingenieurin der NEPTUN, erschien auf dem Display von Commander Wongs Konsole.

„Was gibt es, L.I.?“, fragte Wong gereizter, als es ansonsten auch in kritischen Situationen für ihn typisch war.

„Es ist zu Interferenzen durch den Strahlerbeschuss gekommen!“, meldete Lieutenant Kwon. „Die Sandström-Aggregate fallen für mindestens drei Stunden aus und die Ionentriebwerke haben maximal halbe Leistung.“

Wong ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Dass es für die nächsten drei Stunden keine Möglichkeit gab, den Sandström-Antrieb zu aktivieren, war nicht so schlimm. Schließlich brauchte die NEPTUN ohnehin mindestens acht Stunden, um die zum Eintritt in den Sandström-Raum notwendige Geschwindigkeit von 0,4 LG zu erreichen. Aber die reduzierte Leistung der Ionentriebwerke konnte für die Besatzung des Leichten Kreuzers lebensgefährlich werden. Schließlich bedeutete dies eine erhebliche Einschränkung der Manövrierfähigkeit und damit auch der taktischen Optionen.

„Wie schnell bekommen Sie das wieder hin, L.I.?“, fragte Wong.

„Es könnte ein paar Stunden dauern, bis wir auf mehr als 80 Prozent unseres Beschleunigungsvermögens kommen. Ich weiß noch nicht genau, wie schlimm es wirklich ist, aber wenn das Hauptsystem durch die Interferenz zum Absturz gebracht wurde, wird das eine haarige Sache.“

„Wie lange?“, beharrte Wong.

„Mindestens vier Stunden. Und dass ist schon optimistisch geschätzt.“

„Halten Sie mich auf dem Laufenden, L.I.“

„Ja, Captain.“

Die Interkom-Verbindung wurde unterbrochen.

„Ich schätze, wir haben vier schwere Stunden vor uns“, sagte Mayer.

Erneut durchlief die NEPTUN eine Erschütterung.

„Schirmstabilität bei 14 Prozent!“, meldete Batista.

Das heißt, der ist so gut wie weg, ging es Wong durch den Kopf.

„Notruf der TAJ MAHAL!“, rief Nebbson. „Schwerer Hüllenbruch. Plasma-Schirm auf 0 Prozent. Commander McKeith hat die Evakuierung des Schiffes befohlen.“

Augenblicke später versuchte Selma McKeith Kontakt aufzunehmen. Das Gesicht der frisch gebackenen Kommmandantin der TAJ MAHAL erschien für Sekunden auf einem der Nebenbildschirme. Die Züge der dunkelhaarigen Frau von Anfang dreißig waren eine Maske des Schreckens. Sie versuchte etwas zu sagen, aber der Audiostream war bereits abgerissen.

„Kontakt abgebrochen“, stellte Nebbson klar.

Die Außenhülle der TAJ MAHAL war von dem angreifenden Etnord-Schiff auf einer Länge von zwanzig Metern förmlich aufgeschweißt worden. Atemluft, Wasser, Kühlgase und Ausrüstungsteile wurden ins All geschleudert. Dazu auch mindestens zwei Dutzend Besatzungsmitglieder, die sich dem durch den plötzlichen Druckabfall entstehenden Sog nicht mehr hatten entziehen können. Ihre Körper erstarrten zu schockgefrorenen Eisstatuen.

Der menschliche Körper besteht zu siebzig Prozent aus Wasser, erinnerte sich Wong schaudernd.

Jetzt wurden weiterer Explosionen aus dem Inneren der TAJ MAHAL geortet.

Gleichzeitig hatten es zwei Jäger-Piloten geschafft, sich von hinten an das angreifende Schiff heranzumachen.

Es waren die Maschinen von Clay Schrader und Filip van Dekkers.

Der Dauerbeschuss mit Gauss-Projektilen zeigte sehr deutlich, wohin die Gravitationsschirme ausgerichtet waren.

Van Dekkers und Schrader näherten sich bis auf wenige hundert Meter dem Etnord-Schiff. Zielsicher schossen sie durch die Lücke. Die Projektile gingen glatt durch das Schiff  und zogen ihre gefürchteten Schusskanäle. An mehreren Stellen platzte die kristalline Außenschicht ab. Auf der gegenüberliegenden Seite, wo die Projektile wieder austraten, wurden sie durch den Gravitationsschirm eingefangen und abgelenkt. Manche trafen dann erneut – wenn auch mit reduzierter Energie auf die Außenhaut des Etnord-Raumers und dellten sie ein. Innerhalb weniger Augenblicke verwandelten sich sowohl das Etnord-Schiff, als auch die TAJ MAHAL in expandierende Feuerbälle. Ein Beiboot, das die Besatzung unter Commander Selma McKeith gerade ausgeschleust hatte, wurde von dieser Explosion eingeholt und verschlungen.

Unter normalen Umständen dürfte es nicht eine einzige Rettungskapsel geben, deren Insasse überlebt hat, überlegte Wong.

Die Meldungen seines Ortungsoffiziers bestätigten dies wenig später.

„Nebbson! Eine Verbindung zur ALEXANDER!“, befahl Wong.

„Kanal ist frei! Sie können sprechen!“

„Sofortiger Rückzug! Wir können unsere Position hier nicht halten.“

Lieutenant Commander David Kronstein, der Erste Offizier der ALEXANDER meldete sich.

„Wir haben verstanden. Rückzug ist für die ALEXANDER im Moment nicht möglich. Wir haben nach einem Treffer in den Maschinentrakt einen Systemabsturz des Ionentriebwerks vorliegen. O Prozent Beschleunigung.“

Und du beschwerst dich bei deinem L.I. über die 80 Prozent der NEPTUN, überlegte Wong.

„Bis wann werden Sie einen Start mit auf die Reihe bekommen?“, fragte Wong.

„Unser L.I. sagt in zwanzig Minuten frühestens“, erklärte Kronstein.

Wong atmete tief durch.

Zwanzig Minuten. Bis dahin gibt es die ALEXANDER nicht mehr.