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Geschwader Lieutenant Titus Naderw war der Pilot des einzigen Jägers, über den die STERNENKRIEGER verfügte. Im Moment hatte er eine Freischicht – ebenso wie Taktikoffizier Lieutenant Commander Robert Ukasi, der mit nachdenklichem Gesicht vor einem heißen Syntho-Drink saß.

Bruder Guillermo hantierte am Getränkeautomaten herum und kehrte mit einem braunen Gebräu zurück, das ebenfalls recht heiß zu sein schien. Jedenfalls dampfte es.

„Was trinken Sie denn da?“, fragte Titus Naderw.

„Es nennt sich Kaffee und wurde mir vom Captain empfohlen“, antwortete der Angehörige des Wissenschaftlerordens der Olvanorer. „Um ehrlich zu sein, probiere ich das Gebräu heute zum ersten Mal.“

„Ich kenne ehrlich niemanden außer Captain Sunfrost, der dieses antike Getränk mag“, sagte Ukasi. Er zuckte mit den breiten Schultern. „Es muss eben jeder selbst wissen, womit er sich vergiftet, nicht wahr Bruder Guillermo?“

„Sie haben es mal wieder auf den Punkt gebracht“, gab Guillermo zurück.

Naderw seufzte hörbar.

„Es ist schon eigenartig“, murmelte er und nippte nicht sonderlich interessiert an seinem eigenen Getränk.

„Wovon sprechen Sie?“, hakte Bruder Guillermo nach, was nichts anderes, als ein Gesprächsangebot war. Bruder Guillermo hatte  - wie alle Olvanorer – den Ruf, ein sehr guter Beobachter zu sein und Situationen schnell erfassen zu können. Für Guillermo war es vollkommen klar, dass Naderw irgendetwas auf den Nägeln brannte. „Es ist besser, Sie vertrauen sich mir jetzt an, als wenn wir uns erst im Gefechtseinsatz befinden und alles mehr oder weniger drunter und drüber geht!“

„Als Zweiter Offizier der STERNENKRIEGER möchte ich natürlich ganz energisch bestreiten, dass es an Bord dieses Schiffes irgendwann schon drunter und drüber hergegangen ist“, mischte sich Ukasi ein. „Zumindest muss das dann wohl zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort gewesen sein!“

Aber Bruder Guillermo wusste haargenau, wovon er sprach. „Sie können jederzeit unter vier Augen mit mir sprechen, Lieutenant.“

„Ich kann mir auch einen anderen Platz suchen“, sagte Ukasi.“ Robert Ukasi hob sein Glas, kippte dessen Inhalt hinunter und hatte sich bereits halb erhoben.

„Ich habe nichts dagegen, wenn Sie dabei bleiben, Lieutenant Commander Ukasi“, erklärte Titus Naderw im Brustton der Überzeugung. „Im Gegenteil, ich hoffe, dann auch Ihren Standpunkt zur Sache erfahren zu können.“

„Welche Sache?“, fragte Ukasi.

„Ich meine das Aussetzen des Virus auf den ehemaligen Fulirr-Welten“, gestand Titus Naderw.

„Sie werden sicher bemerkt haben, dass ich der Angelegenheit reserviert gegenüberstehe“, sagte Bruder Guillermo.

Naderw lächelte matt. „Das war unübersehbar.“ 

„Denken Sie etwa, dass sich die Humanen Welten aus irgendwelchen prinzipiellen ethischen Bedenken heraus von den Etnord erobern und in ihre sogenannte Neue Ordnung eingliedern lassen sollen?“, fragte Ukasi. „Das kann nicht Ihr Ernst sein, Bruder Guillermo.“

„Das ist auch nicht meine Position“, erklärte der Olvanorer ruhig.

„Ich denke schon, dass es gerechtfertigt ist, gegen die Etnord durch den Einsatz des Virus vorzugehen“, meinte Naderw. „Jedenfalls habe ich keine Lust, eines dieser Implantate eingesetzt zu bekommen und nur noch die Marionette eines Parasiten zu sein...“ 

„Davon würden Sie ohnehin nicht lange etwas bemerken, Mister Naderw“, mischte sich Ukasi erneut ein, den dieses Thema offenbar ebenfalls sehr zu beschäftigen schien. „Schließlich löst sich die Original-Persönlichkeit von jemandem, dem dein Etnord-Implantat eingesetzt wurde, doch innerhalb weniger Tage vollkommen auf.“

„Aber Biowaffen sind grundsätzlich etwa Scheußliches“, sagte Naderw. „Da sträubt sich bei mir alles und es wäre mir sehr viel lieber gewesen, wir hätten die Etnord im Kampf besiegen können.“

„Im Prinzip stimme ich Ihnen zu“, erwiderte der eigentlich gar nicht angesprochene Ukasi, „aber ich frage mich ob Ihre Skrupel in diesem Fall wirklich angemessen sind. Schließlich bekommen die Etnord die Möglichkeit, die von ihnen eroberten Welten rechtzeitig zu verlassen. Die Menschen von Taralon oder die Fulirr hatten diese Chance nicht! Also kann uns niemand einen Mangel an Humanität vorwerfen!“

„Danke, ich wollte eigentlich die Meinung von Bruder Guillermo erfahren – und nicht die offizielle Verlautbarung der Humanity First Bewegung!“ Titus Naderws Tonfall war jetzt schneidend geworden.

Ukasis Züge verhärteten sich. „Ich bin keineswegs ein Propagandist der Humanity First-Bewegung.“

„Für mich klang das so.“

„Ich finde lediglich einige Positionen, die diese Bewegung einnimmt, sehr bedenkenswert und glaube, dass die Menschheit in Zukunft sehr viel offensiver ihren Platz im Universum suchen und verteidigen muss.“

„Das sagen die Rassisten von Humanity First auch!“

„Ist Überlebenswille für Sie schon Rassismus, Mister Naderw?“ Er atmete tief durch und wandte sich an Bruder Guillermo. „Entschuldigen Sie, aber ich glaube Ihre Meinung war gefragt – nicht meine.“

„Es gibt Situationen, in denen man seinen ethischen Grundsätzen nicht treu bleiben kann, ganz gleich, wie man sich auch entscheidet“, sagte Bruder Guillermo.

Ukasi runzelte die Stirn. Weicht er jetzt aus?, fragte er sich. Ausgerechnet er – ein Olvanorer?

Einige Augenblicke lang sagte niemand in Wort, dann fuhr Bruder Guillermo fort: „Den Einsatz des Anti-Etnord-Virus halte ich so, wie er geplant ist, für vertretbar. Ich sage das nicht gerne, aber wir haben wahrscheinlich keine andere Wahl...“

„Und doch sind Sie seinerzeit nicht auf Ambrais VII geblieben, als Professor Reilly und Professor Rollins die biochemische Wechselwirkung des Seelenmooses erforschten, um auf dieser Grundlage einen Virus zu entwickeln.“

„Sich selbst an etwas zu beteiligen ist meiner Ansicht nach noch etwas ganz anderes, als wenn man etwas nur geschehen lässt, ohne laut zu protestieren.“

„Olvanorische Haarspalterei“, sagte Ukasi.

In diesem Moment summte der Kommunikator am Handgelenk des Taktikoffiziers.

Auf dem kleinen Display erschien das Gesicht von Rena Sunfrost.

„Hier spricht der Captain.“

„Ma’am?“

„Es ist erforderlich, dass Sie sich möglichst schnell auf die Brücke begeben, um das Kommando zu übernehmen. Soldo ist soeben mit dem Flaggschiff des Verbandes eingetroffen und ich werde mich mit dem I.O. zu einer Besprechung an Bord der STAR WARRIOR begeben.“

„Ich bin gleich bei Ihnen, Ma’am.“

Die Verbindung wurde unterbrochen. „Vielleicht können wir die Unterhaltung über olvanorische Haarspalterei irgendwann einmal fortsetzen“, sagte Bruder Guillermo.

„Nichts dagegen einzuwenden!“

Ukasi erhob sich, warf seinen Becher in einen Müllschlucker und verließ den Raum.

Auch Naderws Armbandkommunikator summte. Es war Simon E. Erixon, der Leitende Ingenieur der STERNENKRIEGER, der auf dem Display zu sehen war. Die Facettenaugen ließen den für den Einsatz auf Methanplaneten optimierten Genetic wie einen Außerirdischen erscheinen.

„Naderw? Ich möchte gerne mit Ihnen den Einsatz der verbesserten Virusgranaten besprechen. Treffen wir uns im Kontrollraum C?“

„In Ordnung. Wann?“

„Möglichst bald, da ich vor unserem Kampfeinsatz gerne noch eine Alpha-Kontrolle des Mesonentriebwerks durchführen würde.“

„Ich bin gleich bei Ihnen“, versprach Naderw.