Nabman, ehemalige Hauptwelt des Nalhsara...
Admiral Ashton Brown wandte den kahlen Kopf in Richtung des Sichtfensters seiner Fähre. Die Kuppel des Konsensdoms der Fulirr. Man sieht sie bereits aus dem Orbit. Beeindruckend...
Er trug eine hautenge Uniform. Die Ganglien des Etnord in seiner Brust traten an den Handgelenken und Hals hervor.
Wie alle Etnord trug er den Namen seines Wirtskörpers, aus dessen Gehirn er auch ein gewisses rudimentäres Grundwissen übernommen hatte. Aber mit dem Menschen Ashton Brown, der einst in den lokalen Verteidigungsstreitkräften der menschlichen Siedler im Taralon-System diente, hatte das Wesen gleichen Namens nicht das Geringste gemein.
Sein Gehirn war nichts weiter als einem Datenspeicher auf organischer Basis geworden, die Persönlichkeit war ausgelöscht. Regiert wurde dieses aus jener faustgroßen Kugel aus Nervengewebe, die man einst in diesen Wirtskörper implantiert hatte.
Brown – oder besser: der eigentlich namenlose Etnord in ihm – war Befehlshaber des Kampfschiffs TARALON STAR 12 und darüber hinaus Kommandant sämtlicher Raumstreitkräfte der Etnord im ehemaligen Nalhsara der Fulirr.
Ihm gegenüber saß ein Sauroide namens Kapaggrr. Er hatte zu den ersten Fulirr gehört, denen ein Etnord-Implantat eingesetzt worden war. Jetzt bekleidete Kapaggrr einen wichtigen Posten in der Militärverwaltung der sogenannten Neuen Ordnung, die inzwischen im Ex-Nalhsara etabliert worden war.
Für ihre Verständigung brauchten sie einen Translator, da Etnord auch die jeweiligen Kommunikationsformen ihres Wirts zu übernehmen pflegten.
„Es gibt beunruhigende Nachrichten von der Grenze“, sagte Kapaggrr in die Stille hinein. Für ihn war der Anblick des Konsensdoms nichts Besonderes. Sein früheres Ich war des Öfteren dort gewesen. Ein paar Mal sogar persönlich. Zumeist hatte er jedoch sein Hologramm geschickt, um an der Plenumssitzung des Nalhsara teilzunehmen. Für den Etnord, der Kapaggrr regierte, war das Wissen um die radikale Direktdemokratie, wie sie bei den Fulirr traditionellerweise praktiziert worden war, nichts weiter als ein theoretisches Konzept, dem er verständnislos gegenüberstand. Immerhin besaßen die Fulirr einigermaßen robuste Körper, die notfalls auch mit einem geringen Sauerstoffanteil in der Atmosphäre auskamen. Wie dieses Volk angesichts seiner Zerstrittenheit und dauernden politischen Auseinandersetzung mit sich selbst zu derart großen wissenschaftlichen Leistungen wie der Entwicklung von Antimateriewaffen fähig gewesen war, konnte Kapaggrr im Laufe der Zeit immer weniger verstehen.
Ein mattes Lächeln umspielte Ashtons Browns Lippen. Der Gebrauch der Gesichtsmuskulatur zum Zweck des emotionalen Ausdrucks wurde von den meisten Etnord-Menschen einigermaßen beherrscht. Schließlich gehörte dies zu übernommenem Grundwissen und war letztlich nichts weiter, als eine relativ genau kodifizierte Kommunikationsform. Allerdings eine, die nicht durch Translatoren übersetzt werden konnte, was Ashton Brown immer wieder vergaß, wenn er mit Etnord zusammen war, die sich anderer Wirtskörper bedienten.
„Was meinen Sie mit beunruhigenden Nachrichten von der Grenze? Die verdächtigen Flottenkonzentrationen an der Grenze zum K’aradan-Reich?“
„Beispielsweise.“
„Damit war doch zu rechnen, werter Kapaggrr. Die K’aradan wissen genau, dass sie demnächst ebenfalls der Neuen Ordnung einverleibt werden. Sie haben übrigens ein erstaunlich großes Territorium mit einer sehr großen Anzahl an potentiellen Wirtskörpern, die darüber hinaus auch noch um einiges robuster sind als diese Menschenkörper, die wir auf Taralon vorfanden...“ Ashton Brown blickte an sich herab und strich sich mit der Hand über den Brustkorb. Eine Geste, die wohl ausdrücken sollte, dass er mit manchen physiologischen Defiziten seine Wirtskörpers mehr als unzufrieden war.
Aber im Moment waren diese Mängel wohl nicht zu beheben.
Ein Austausch des Wirtskörpers gestatteten die Gesetze der Etnord nur in extremen Notfällen und bei einem ausreichenden Überschuss an potentiellen Wirten.
Außerdem legte der Herr großen Wert auf eine möglichst hohe Anzahl von Etnord-Menschen unter seiner Gefolgschaft. Welche Vorteile dies brachte, war Ashton Brown nicht so recht klar. Schließlich war die Spezies erst vor kurzem auf der Bühne der Weltraummächte erschienen und hatten ein Sternenreich in ihren Besitz gebracht, das verglichen mit den K’aradan oder den Qriid ein Winzling war. Ganz zu schweigen von der Einflusssphäre der Etnord, die sich noch viel weiter erstreckte.
Die Neue Ordnung sollte irgendwann universelle Gültigkeit haben. Aber das war ein utopisches Ziel, das wohl noch viele Zeitalter lang nichts weiter als ein Traum bleiben würde.
Ein Traum, dessen Erfüllung Ashton Brown nicht mehr erleben würde.
„Ich meine auch von den Grenzscharmützeln in Richtung der Humanen Welten, von denen man hört. Und der Brückenkopf der Menschen in Trans-Alpha ist auch noch nicht gefallen.“
„Sie haben erstaunlich viel Widerstandskraft, diese physisch so verwundbaren Säugetierabkömmlinge“, stellte Brown fest. „Eigentlich hatten wir alle - ich eingeschlossen – gedacht, dass es sehr leichter sein würde, die Humanen Welten niederzuringen. Aber das war offensichtlich ein Irrtum.“
Unterdessen senkte sich die Flugbahn der Fähre immer weiter.
In gewaltiger Schönheit erhob sich der Kuppelbau des Konsensdoms vor ihnen.
Die Fähre landete schließlich punktgenau auf einem dafür vorgesehenen Feld, ganz in der Nähe des Doms.
„Ist es richtig, dass die Fulirr die Herrschaft des Volkes durch Abstimmungen für etwas Heiliges hielten?“, fragte Brown.
„Oh, ja! So könnte man das sagen. Ansonsten scheinen sie kaum religiöse Vorstellungen gehabt zu haben und ich bin mir bis heute nicht sicher, ob man das, was die Fulirr unter einer Demokratie verstanden tatsächlich als Religion sehen sollte.“
„Wie auch immer. Seien wir froh in der Neuen Ordnung zu leben, in der jeder Etnord die Aufgabe bekommt, für die er am besten geeignet ist.“
„Es beruhigt ungemein, zu wissen, dass der Geeignetste herrscht – und nicht derjenige, der sich am besten über die Medien zu präsentieren weiß und daher die meisten Stimmen auf sich vereinigen kann.“
Brown seufzte. „Aber das ist alles Vergangenheit. Eine Fußnote der Geschichte. Am Ende wird von der Unkultur der Fulirr nichts weiter bleiben als eine skurrile Fußnote in der geschichtlichen Überlieferung.“
Plötzlich ertönte ein sägendes Geräusch, das von beiden Etnord trotz ihrer sehr unterschiedlichen physischen Voraussetzungen als äußerst unangenehm empfunden wurde.
„Was zum Teufel ist das?“, fragte Brown. Was ein Teufel war hatte der Etnord in Brown in der Zeit, als die Etnord nach und nach Taralon unterwanderten, zumindest gelernt.
„Eine Interferenz unserer Kommunikations- und Ortungssysteme“, erklärte der als Pilot fungierende Etnord, dessen Wirtskörper den Namen Victoria Balombais trug.
„Wodurch verursacht?“, fragte Brown.
„Resonanzen fünfdimensionaler Impulse würde ich sagen, aber sie sind nur sehr schwach, sonst wäre hier ein größerer Schaden entstanden.“
„Solche Resonanzen können unter Umständen den Überlichtantrieb von Raumschiffen lahm legen“, gab Brown zu bedenken.
„Ja, aber das kann man durch ein paar einfache Maßnahmen verhindern. Was diese Fähre betrifft, besteht keinerlei Gefahr.“
„Mich würde interessieren, woher diese Impulse kamen, von denen Sie sprachen“, mischte sich Kapaggrr ein.
Victoria Balombais blickte auf die Anzeigen ihrer Steuerkonsole. Dann drehte sie sich herum und sagte: „Ich würde sagen, es deutet alles darauf hin, dass die Impulse aus dem Dom kamen!“
Brown atmete tief durch.
„Na, dann bin ich hier ja richtig.“