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Die Lage im Samtran-System entspannte sich zusehends. Die Schiffe der Etnord verließen fluchtartig den Sektor und beschleunigten, nachdem sie sichergestellt hatten, dass zumindest alle von den verseuchten Samtran-Welten aus gestarteten Raumschiffe mit Überlichtantrieb vernichtet worden waren. Lediglich einige Raumboote und Fähren ohne Sandströmfähige Triebwerke wurden zurückgelassen. Die Funksprüche, die von ihnen ausgesandt wurden, verstummten nach und nach. Die Fulirr-Schiffe, die als erste den eroberten Raum wieder in Besitz nahmen und zum Teil den Schiffen der Etnord-Flüchtlinge nahe genug kamen, um Biozeichen erfassen zu können, registrierten kein ednordisches Leben mehr an Bord.

Bis auf wenige hundert Meter näherten sich einige der Fulirr-Einheiten diesen Schiffen, die ohne erkennbare Manövriertätigkeit mit Geschwindigkeiten unter 0,001 LG durch das All trieben. Die meisten hatten in einem Akt der Verzweiflung die Umlaufbahn ihres jeweiligen Planeten verlassen – wohl wissend, dass keine Hoffnung mehr für ihr eigenes Überleben bestand.

Allenfalls ein paar Stunden konnte ein Etnord getrennt von seinem Wirt überleben. Vermutlich kannten die Etnord auch Konservierungsmöglichkeiten für Angehörige ihrer Art, die vorübergehend ohne Wirt waren. Aber alles hing letztlich davon ab, einen neuen Körper zu finden, der dem Etnord sowohl die Sinne als auch das Vermögen zu handeln gab. Auf sich gestellt war das Implantat allen bisherigen Erkenntnissen menschlicher Wissenschaft nach blind, taub und vollkommen unfähig, mit seiner Umwelt in Kontakt zu treten.

„Was wird mit den Wirtskörpern geschehen?“, fragte Sunfrost an Van Doren gewandt.

„Sie werden größtenteils überleben, fürchte ich.“

„Menschen, deren Bewusstseine ausgelöscht sind, die kaum mehr Persönlichkeit besitzen als eine Pflanze.“

„Man wird sich um sie kümmern müssen“, meinte Van Doren.

Rena dachte an die maulswurfsartigen Nosronen von Ambrais VII, jener Welt, von der das Seelenmoos stammte, das die biochemische Grundlage des von den Genetics entwickelten Anti-Etnord-Virus lieferte. Sie haben die vom Parasiten befreiten seelenlosen Artgenossen wieder in ihre Gemeinschaft aufgenommen, dachte Sunfrost. Aber so viel Menschlichkeit kann man wohl von der Gattung Homo sapiens wohl nur bedingt erwarten...

„Captain, eine Transmission des Admirals.“

„Auf den Schirm!“, verlangte Sunfrost und war froh, aus ihren düsteren Gedanken herausgerissen zu werden.

Das bärtig, breite Gesicht Thorbjörn Soldos erschien auf einem Teilfenster des Panoramaschirms. An einer Einblendung am Bildrand war erkennbar, dass es sich um eine Nachricht im  Konferenzmodus handelte, die außerdem noch an die Schwesterschiffe der STERNENKRIEGER, die Dreadnought LIBERTY sowie an die Kommandanten der Fulirr-Schiffe ging.

„Wie ich Ihnen bereits im persönlichen Gespräch eröffnet habe, brechen wir sofort in Richtung Nabman-System auf. Es liegen ein paar Tage Sandström-Flug vor uns. Das Kommando über die im Samtran-System zurückbleibenden Kräfte übernimmt Captain Vikram Shantijan vom Schweren Kreuzer LISSABON. Sobald die Lage vollkommen unter Kontrolle ist, werden wir einige Einheiten zur Unterstützung des Brückenkopfs in Trans-Alpha abziehen müssen, sodass es derzeit nicht möglich ist, weitere Systeme anzugreifen. Aber wie ich höre, sind sowohl die K’aradan-Verbündeten, als auch der Flottenverband von Commodore Sakur gut vorangekommen, sodass wir das verschmerzen werden. Ich bitte um sofortige Weiterleitung der Schadensberichte. Außerdem haben sämtliche Jäger den Befehl, zu ihren Mutterschiffen zurückzukehren. Soldo Ende.“

Das Gesicht des Admirals verschwand.

Die Mission tritt also in ihre entscheidende Phase, dachte Sunfrost. Ein Zuckerschlecken wird die Durchführung dieses waghalsigen Plans wahrscheinlich nicht – aber angesichts der knappen Ressourcen, die das Space Army Corps derzeit auf Grund der immensen Verluste zur Verfügung hat, ist das Ex-Nalhsara wohl gar nicht anders zu erobern als durch einen kühnen Handstreich.

„Captain! Geschwader Lieutenant Naderw meldet sich über Audiokanal und bittet an Bord kommen zu dürfen“, drang die Stimme der Kommunikationsoffizierin in Sunfrosts Bewusstsein.

„Erlaubnis erteilt“, murmelte sie. „Ruder?“

„Ja, Captain?“, meldete sich Lieutenant John Taranos.

„Bereiten Sie alles für den Sandström-Flug vor und gehen Sie auf maximale Beschleunigung, sobald Naderw an Bord ist.“

„Jawohl, Ma’am.“

Über Interkom meldete sich jetzt Bruder Guillermo auf der Brücke. „Captain, ich habe zusammen mit Nirat-Son versucht, die Ursache des 5-D-Rauscherns herauszufinden, auf das mich der I.O. hinwies.“

„Sind Sie zu einem Ergebnis gekommen, Bruder Guillermo?“

„Ja, Captain. Zumindest zu einem vorläufigen. Wir haben es mit einer sehr schwachen Resonanz von Impulsen zu tun, die auf fünfdimensionaler Ebene abgegeben werden. Diese Resonanz lässt sich auch im Sandström-Raum nachweisen. Ich habe die Daten unserer Sandström-Sonden herangezogen und konnte daher den Zwischenraumvektor bestimmen. Das 5-D-Signal wurde aus dem Nabman-System abgegeben. Plus minus anderthalb Lichtjahre.“

„Danke Bruder Guillermo“, sagte Sunfrost. „Wie es scheint, werden wir in ein paar Tagen genau an der richtigen Position sein, um der Sache weiter auf den Grund zu gehen.“

„Anscheinend haben die Etnord auf Nabman haufenweise Supertechnik der Alten Götter installiert“, mischte sich Taranos ein.

Ukasi tippte hektisch auf den Sensorfeldern seiner Konsole herum. „Ich habe mir Bruder Guillermos Daten auf das Display geholt, Captain“, meldete er sich zu Wort. „Es handelt sich um eine 5-D-Resonanz vom Y-Typ. Zwar sehr schwach ausgeprägt, aber dennoch eindeutig. Es ist dringend erforderlich, dass der Alpha-Faktor bei den Sandström-Aggregaten darauf abgestimmt wird, denn falls diese Resonanz bei der Annäherung an Nabman stärker wird, könnte es passieren, dass der Überlichtantrieb abrupt ausfällt und wir unkontrolliert in den Normalraum stürzen. Außerdem schlage ich vor, den Rest der Flotte ebenfalls auf dieses Phänomen hinzuweisen.“

Sunfrost war überrascht. „Sie scheinen sich in dieser Hinsicht auszukennen!“

Ukasi lächelte verhalten. „In meiner Zeit als Fähnrich gerieten wir in den Einflussbereich eines ähnlichen Phänomens. Ich kann Ihnen sagen, mit einer Austrittsgeschwindigkeit von über 0,7 LG mit einem Schiff in den Normalraum zu stürzen, dass für solche Geschwindigkeiten einfach nicht gebaut ist, gleicht einer Höllenfahrt, die ich ungern wiederholen möchte.“

„Wobei man bei 0,7 LG noch eine Überlebenschance hat, wenn man es schafft, schnell genug auf Werte zu kommen, die deutlich unter 0,6 LG liegen“, erklärte Van Doren.

„Was ist das Problem?“, fragte Taranos. „Die Zeitdilatation?“

„Nein, Lieutenant“, antwortete der Erste Offizier der STERNENKRIEGER. „Deren Auswirkungen erleben Sie dann gar nicht mehr. Es ist die Strahlung. Durch die hohen Geschwindigkeiten wird der Raum gestaucht – und dadurch auch die Wellenlänge des elektromagnetischen Spektrums. Aus der harmlosen Infrarotstrahlung und dem ebenso harmlosen sichtbaren Licht der umliegenden Sterne wird harte Gamma-Strahlung.“ Van Doren wandte sich an Sunfrost. „Ich war damals Kommandant der PLUTO und operierte ebenfalls im betroffenen Triple-Sun-Sektor. Daher bin ich mit dem Phänomen bestens vertraut.“

„Dann machen Sie eine entsprechende Meldung an alle Einheiten und sagen Sie dem L.I., dass er eine Anpassung des Alpha-Faktors vornehm soll“, befahl Sunfrost.

„Aye, aye, Captain.“

Sunfrost sah Van Doren erstaunt an und hob die Augenbrauen. „Sie waren tatsächlich in der Schlacht von Triple Sun dabei, I.O.?“ 

„Erster Qriid-Krieg, jawohl. Wir unterstützen die vor den Qriid geflüchteten Xabo.“

Sunfrost lächelte.

„Ich war damals noch Schülerin im Abschlussjahr und musste im Fach Politische Wissenschaften eine Medienanalyse über das Für und Wider eines Bündnisses mit den Xabo verfassen.“

„Ich vermute, Sie haben damals genauso blendend abgeschlossen wie später auf der Space Army Corps Akademie.“

„Leider nicht. Ich bekam die Note ausreichend, weil ich nicht die Auffassung meiner Lehrerin traf. Das hätte mir unter normalen Umständen sogar die Aufnahme auf die Ganymed-Akademie verhageln können, aber die Personalsituation der Raumstreitkräfte war damals auf Grund der hohen Verluste im Qriid-Krieg sehr angespannt und so wurde ich trotzdem aufgenommen.“

Van Doren schmunzelte verhalten. „Dann ist es also nicht übertrieben, zu behaupten, dass die Ereignisse um Triple Sun für uns beide von schicksalhafter Bedeutung waren.“

„Wenn Sie so wollen...“