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Brückenkopf Trans-Alpha – 0,8 Astronomische Einheiten von der Wurmloch-Porta entfernt...

Commander Nina Singh krallte sich an den Armläufen ihres Kommandantensessels fest, als erneut eine starke Erschütterung die ALEXANDER durchlief.

Das Licht flackerte.

Der Notstrom wurde eingeschaltet, allerdings nur im Energiesparmodus, sodass lediglich abgedämpftes Licht herrschte.

„Der Plasma-Schirm ist weg!“, war die durchdringende Stimme von Lieutenant Commander David Kronstein, dem Ersten Offizier zu hören.

Kronstein sah auf sein Display. Der Schadensbericht war deprimierend. Es wurden Ausfälle bei der künstlichen Schwerkraft angezeigt. Auf ganzen Decks herrschten nur noch zwischen 0 und 0,3 g.

„Teilausfall der Waffensysteme“, meldete Lieutenant Charles Rahmani. Der für Waffen und Taktik zuständige Offizier schaltete hektisch an seiner Konsole herum. Mit atemberaubender Geschwindigkeit tippten seine Finger über den Touchscreen. „Breitseite rechts reagiert nicht mehr. Breitseite unten wird ausgerichtet.“

Augenblicke, in denen wir verwundbar sind, dachte Kronstein. Er spürte, dass auch bei seiner Kommandantin die Nerven blank lagen.

Entgegen jeder Vernunft hatte die NEPTUN unter Commander Wong bei der ALEXANDER ausgeharrt und dafür gesorgt, dass sie nicht völlig schutzlos blieb.

Nur ein Bruchteil der Gauss-Treffer, die von den Breitseiten der beiden Leichten Kreuzern der Scout-Klasse zu Abertausenden ins All gespuckt wurden, trafen auch ihre Gegner. Und davon gelang es wiederum nur sehr wenigen Projektilen, die Gravitationsschirme der Etnord-Raumer zu durchdringen. Manchmal war es nur Glück, wenn ein Projektil gerade im richtigen Auftreffwinkel auf den Schirm knallte  und ihn durchschlug. Oft genug war aber selbst die Auftreffgeschwindigkeit so gemildert, dass der Treffer nicht mehr einen Schusskanal durch die gesamte Einheit fräste, sondern lediglich die Außenpanzerung eindellte.

Auch solche Dellen konnten schwere Schäden verursachen, je nachdem wo und wie stark sie ausgeprägt waren. Durch eine Dellung ausgelöste plötzliche Druckschwankungen konnten unter ungünstigen Bedingungen Schotts sprengen und technische Aggregate in Mitleidenschaft ziehen. Außerdem litt die Stabilität der Außenhaut erheblich.

Aber der zerstörerischen Kraft eines glatten Gauss-Durchschusses waren diese Effekte natürlich nicht zu vergleichen.

Es waren zu wenig Jäger in diesem Abschnitt der Kampfzone im Einsatz. Eine Zone, die von Admiral Nainovel längst aufgegeben worden war.

David Kronstein stellte eine Interkom-Verbindung zum Maschinentrakt her. Montserrat Yukikawa, die Leitende Ingenieurin meldete sich. Es handelte sich um eine zierliche Frau mit hohen Wangenknochen und blauschwarzem, zu einem Knoten gebundenem Haar.

„Wie weit sind Sie, L.I.?“

„Die Kontrollsysteme für die Ionentriebwerke sind komplett ausgefallen und lassen sich auch nicht wieder hochfahren. Die durch die Strahlentreffer verursachten Interferenzen haben wirklich ganze Arbeit geleistet, Sir. Ich habe jetzt das Kontrollsystem einfach überbrückt. In ein paar Minuten versuchen wir eine Triebwerkszündung.“

„Besser Sie beeilen sich damit, L.I. sonst öffnen die unsere Panzerung mit Strahlkanonen wie eine Konserve!“

„Ich tue mein Bestes, Sir!“

„Das weiß ich. I.O., Ende.“

Die Verbindung wurde unterbrochen. Wieder erschütterte ein Treffer die ALEXANDER.

„Ich glaube, die Etnord fangen gerade damit an, I.O“, stellte Commander Singh fest. „Mit dem Aufschneiden der Konserve, meine ich.“

„Captain, eine Staffel mit dreißig Jägern nähert sich von Achtern“, meldete Ortungsoffizier Garcia.

„Na, fein, wir bekommen Unterstützung“, murmelte Singh.

Erneut wurde die ALEXANDER schwer getroffen. Für Sekunden war es stockdunkel auf der Brücke.

Als ein Teil der Beleuchtung wieder aktiviert wurde, zeigte der große Panoramaschirm nichts als einen Pixelsalat.

Das war ein Schlag ins Kontor, dachte Kronstein. Schiffsarzt Dr. McFadden lieferte einen Bericht über Verwundete und Tote. Aber angesichts der verzweifelten Lage, in der sich die ALEXANDER befand, ging das mehr oder minder unter.

Nina Singh gab schließlich den Befehl, dass alle gerade nicht im Dienst befindlichen Mannschaftsteile sich zu den Beiboot-Hangars begeben sollten.

Eine Flut von Gedanken durchraste David Kronstein. Er dachte an Yona Ramesh, seine Dauerfreundin auf dem Mars, der er fest versprochen hatte, zurück zu kehren. Ihr Bild erschien vor seinem inneren Auge, ihr Lächeln, der Blick ihrer dunklen Augen. Dieser Eindruck vermischte sich mit anderen Bildern, Eindrücken, Stimmen. Szenen aus der Kindheit, der Abschluss an der Space Army Corps Akademie, als er zusammen mit ein paar anderen frischgebackenen Fähnrichen mit Gauss-Gewehren auf herabsinkende Methantropfen schossen. Der Kommandoantritt auf der STERNENKRIEGER I – noch unter Captain Reilly – und die gemeinsamen Jahre mit Raphael Wong auf diesem Schiff. Erst als Fähnrich, zwei Jahre später als Lieutenant. Vielleicht ist es wirklich so, dass einem in dem Moment, in dem sich die Möglichkeit des eigenen Todes zur Gewissheit verdichtet, das ganze Leben an einem vorbeizieht, wie man es immer wieder hört. Sekundenschnell.

Ein dumpfes, brummendes Geräusch riss Kronstein aus seinen Gedanken heraus.

Es dauerte eine volle Sekunde, bis er begriffen hatte, was dies wirklich bedeutete.

Lieutenant Stroemfeld, der Rudergänger, fasste es in drei Worten zusammen.

„Der Ionenantrieb funktioniert!“

„Maximale Beschleunigung, Ruder!“, befahl Singh. „Funk?“

„Ja, Ma’am?“, meldete sich Lieutenant Bakir, der Kommunikationsoffizier.

„Stellen Sie eine Verbindung zur NEPTUN her.“

„Ja, Ma’am.“

Wenig später erschien das Gesicht von Commander Raphael Wong auf einem der Nebenbildschirme. Singh fasste den Stand der Dinge rasch zusammen. „Der Antrieb ist wieder einsatzfähig.“ 

„Dann nehmen Sie Kurs auf Rückzugspunkt 234-67-12. Wir müssen dem Feuer der eigenen Schiffe weiträumig ausweichen!“, befahl Wong.

„Aye, aye.“

„Unser Beschleunigungsvermögen liegt bei derzeit 60 Prozent.“

„Ich fürchte, wir können froh sein, wenn wir die überhaupt erreichen“, antwortete Kronstein.

Über Funk meldete sich Geschwader Lieutenant Baruch Davis, der eine Staffel von dreißig Jägern befehligte.

„Hier Davis. Wir hauen Sie raus, Captain Singh!“, war Davis’ Stimme über den Audiokanal zu hören.

„Aber gehen Sie keine unnötigen Risiken ein“, erwiderte Singh.

„Sorry, aber wir stehen nicht unter Ihrem Kommando, Ma’am!“, lautete Davis’ etwas flapsige Entgegnung. Der Audiokanal wurde daraufhin geschlossen. Die Jäger flogen in bewährter Manier einen Bogen und näherten sich den Etnord-Schiffen von hinten, wo sie nach dem freien Schusskanal zwischen den Gravitationsschirmen suchten.

Gleichzeitig flogen die Neptun und die ALEXANDER mit maximaler Beschleunigung ihrem Rückzugspunkt entgegen. Sie waren dabei gezwungen zu wenden und konnten dem Feind nicht mehr die todbringenden Breitseite zuwenden. Ein Nachteil der allerdings durch den koordinierten Einsatz der Jägerstaffel ausgeglichen wurde.

Die ALEXANDER bekam noch einen schweren Treffer in die Mannschaftsdecks, in denen sich zum Glück kaum Personen aufhielten. Eine ganze Sektion musste abgeschottet werden und ein Hüllenbruch mit einem Durchmesser von mehr als fünf Metern klaffte in der Außenpanzerung des Leichten Kreuzers. An eine Reinitialisierung des Plasma-Schirms war im Moment nicht im Traum zu denken, der Energiestatus war dazu schlicht ergreifend zu schwach.

Aber auch die NEPTUN unter Commander Wong hatte einiges abbekommen. Der Plasma-Schirm stand kurz vor dem Zusammenbruch und es gab Ausfälle mehrerer Lebenserhaltungssysteme, deren Funktion durch die Einschaltung von Notaggregaten ersetzt werden mussten. Außerdem hatten die Ionentriebwerke immer noch eine stark geminderte Leistungsfähigkeit.

Eines der Etnord-Schiffe platzte nach einem Volltreffer auseinander. Die glühenden Trümmerteile wurden in alle Richtungen geschleudert. Manche trafen auf die Gravitationsschirme von in der Nähe befindlichen Etnord-Einheiten, die die Teile als Querschläger auf eine ungewisse Reise schickten.

Ein zweites Etnord-Schiff erlitt einen Volltreffer. Es dümpelte als manövrierunfähiges Wrack dahin. Brände brauchen aus. Die Kristallschicht platzte auf der Länge eines Fußballfeldes ab und wenig später brachen auch neunzig Prozent der Gravitationsschirme zusammen. Die Projektoren waren offenbar ausgefallen. Zwei weitere Treffer durch Gauss-Geschosse sorgten für die endgültige Zerstörung.

Endlich erreichten beide Leichten Kreuzer eine Entfernung zum Gegner, die die Trefferhäufigkeit der Strahlenkanonen deutlich herabsetzte.

De Plasma-Schirm der NEPTUN hatte zu diesem Zeitpunkt gerade noch fünf Prozent seiner Wirkung.

Das bedeutete, es war so gut wie nichts von ihm übrig geblieben.

Die Etnord folgten den davonfliegenden Leichten Kreuzern NEPTUN und ALEXANDER jedoch nicht.

Zu sehr setzten ihnen die Jäger zu.

Als die beiden Leichten Kreuzer schließlich den anvisierten Rückzugspunkt erreicht hatte, wandte sich Admiral Nainovel über Funk im Konferenzmodus an beide Schiffe.

„Wir sind froh, dass wir Sie nicht verloren haben“, sagte der Befehlshaber der Brückenkopf-Flottille. „Ziehen Sie sich mit Ihren Schiffen hinter die neuen Verteidigungslinien zurück.“

„Ja, Sir“, murmelte Commander Singh.

Der Rudergänger programmierte den Kurs.

David Kronstein holte sich die Ortungsdaten auf die eigene Konsole und ließ sich eine taktische Positionsübersicht vom Bordrechner erstellen. Es ist kam zu glauben, die Space Army Corps Einheiten haben Ihren Stand stabilisieren können, durchfuhr es ihn.

Derweil ging eine Audiomeldung von Geschwader Lieutenant Baruch Davis an die LEVIATHAN.

Vier Jäger wurden vermisst. Von dreien wusste man definitiv, dass sie bei dem Einsatz zerstört worden waren. Ob der vierte Pilot überlebt hatte war ungewiss.