Die Fähre der Fulirr setzte sanft auf dem Vorplatz des Doms auf, nur hundert Meter vom Standpunkt der L-1 und dem Haupteingang entfernt.
Soldaten der Fulirr kamen durch die Außenschleuse. Sie trugen Antigravaggregate, Kampfanzüge und Projektilwaffen verschiedener Größe und Ausführung, deren Schussstärke mit denen der irdischen Gauss-Gewehre vergleichbar war.
Die Fulirr gingen auf breiter Front in Stellung.
Sergeant Ray Kelleney beobachtete ihre Aktivitäten misstrauisch. Er schaltete einen Teil seines Helmvisiers auf einen Zoom von dreihundert Prozent, sodass er Einzelheiten erkennen konnte.
In seiner unmittelbaren Nähe befanden sich die Marines Lester Ramirez und Sören Münch.
„Wer sagt’s denn, die scheinen wirklich Ernst zu machen“, meinte Münch.
„Ich sehe keine Anzüge, die mit unseren vergleichbar wären“, stellte Lester Ramirez fest.
„Die haben Sie auch nicht“, erklärte Kelleney. „Uns ist kein einziger Fall bekannt, dass die Fulirr Landetruppe eingesetzt hätten, die mit uns Marines vergleichbar wären, Ramirez. Und wenn es so etwas früher im Nalhsara gegeben haben sollte, dann aber offensichtlich nicht an Bord von Gimsharrrs Flaggschiff oder irgendeiner anderen Einheit, die zu seiner Flottille gehört.“
„Die Fulirr haben wohl immer auf den großen Antimaterie-Hammer gesetzt“, schloss Sören Münch.
Kelleney stimmte zu. „Sieht ganz so aus. Aber dieser Hammer hat ja einen Großteil seines Schreckens für die Etnord verloren, seit sie diese Technologie erstens selbst adaptiert haben und zweitens ein Gegenmittel zur Anwendung bekamen...“ Kelleney blickte sich um. Seine Marines waren gut postiert. „Gehen Sie etwa weiter nach links, Ramirez und nehmen Sie hinter dem Steinquader Deckung.“
„Ja, Sir.“
Ramirez aktivierte sein Antigrav-Pak und schwebte zu einem Steinquader, über dessen Funktion nichts bekannt war. Er befand sich fünfzig Meter vom Haupteingang entfernt, und hatte eine Höhe von fünf Metern. Ramirez landete auf der Oberseite und ging dort in Stellung.
„Lassen Sie mich mal sehen, Ramirez!“, forderte Kelleney über Helmfunk.
„Aye, Sir!“, gab dieser zurück.
Ramirez schaltete die Helmkamera in den Konferenzmodus, sodass jeder andere Marines sehen konnte, was sich in Ramirez’ Gesichtsfeld so abspielte.
Die Fulirr-Einheiten schwärmten aus.
Zwei Offiziere verließen das Beiboot, das ebenso wie sein Mutterschiff eine keilförmige Form aufwies. Es war wesentlich größer als die Landefähren der STERNENKRIEGER II. Kelleney schätze, dass ungefähr doppelt so viele Personen an Bord genommen werden konnten – selbst wenn es sich um Menschen handelte, deren Körpervolumen etwas größer war als das Volumen der durchschnittlich 1,60m großen Sauroiden.
„Ich hoffe, dass sich die Brüder noch mal überlegen, ob sie gegen uns kämpfen wollen. Sie haben nämlich so keine Chance“, meinte Ramirez.
Kelleney verständigte Sunfrost.
„Wie schätzen Sie die Lage ein, Sergeant?“
„Die haben gegen uns keine Chance. Und ich glaube, das wissen sie, Captain. Wie soll ich mich ausdrücken? Sie sind einfach nicht passend ausgerüstet und was die hier veranstalten ähnelt eher einem Manöver, bei dem nur so getan wird, als ob man wirklich angreifen will.“
„Reden Sie mit ihnen, Kelleney.“
„Auch das noch“, murmelte der Marine-Infanterist und hoffte im nächsten Moment, dass sein Captain das nicht mitbekommen hatte.
„Sehen Sie zu, dass die Fulirr uns nicht zu schnell folgen. Ich glaube nämlich nicht, dass sie tatsächlich kooperieren wollen.“
„Auf die Dauer werden wir natürlich nicht verhindern können, dass sie durch irgendeinen anderen Eingang in den Dom gelangen“, gab der Sergeant zu bedenken.
„Das ist mir bewusst“, gab Sunfrost zurück. „Aber wenn wir einen Vorsprung haben, gelingt es uns vielleicht bereits etwas von dem herauszufinden, was immer auch die Fulirr vor uns geheim halten wollen.“
„Ich tue mein Bestes, Captain.“
Die Verbindung wurde unterbrochen.
„Einer der Offizier und sein Adjutant bewegen sich in die Luft“, stellte Ramirez über Helmfunk fest. „Sie fliegen auf unsere Position zu.“
„Die wollen offenbar verhandeln“, meinte Kelleney. „Darf ich Sie bei der Gelegenheit mal was Persönliches fragen, Ramirez?“
„Sicher, Sir.“
„Es gibt ja einige Ramirez’ bei den Raumstreitkräften. Aber sind Sie zufällig verwandt mit Commander Clifford Ramirez, dem Captain der NEREIDE?“
„Er ist mein Vater“, gab Lester Ramirez zu.
„Ah, ja...“ Da wollte sich also jemand bei den Raumstreitkräften beweisen und doch eine Laufbahn einschlagen, die verhindert, dass man ihn mit seinem Vater vergleicht, ging es Kelleney durch den Kopf.
Mit ruhigem Blick sah er den beiden Sauroiden zu, die den Marines entgegen schwebten.
Sie landeten mit ihren Antigravaggregaten punktgenau zwei Meter vor Kelleney.
„Ich bin Oberbefehlshaber Harrrharrr“, sagte der Ranghöhere der beiden, was Kelleney sofort an den zahlreichen Orden erkennen konnte, die an Harrrharrrs Uniform hingen. Seine prankenartige Reptilienhand ruhte auf dem nach vorne zeigenden Griff einer Projektilwaffe.
Sein Adjutant stand neben ihm und machte zumindest seiner Körpersprache nach, einen wesentlich unsicheren Eindruck.
Allerdings wusste Kelleney aus eigener Erfahrung, dass man bei der Interpretation nonverbaler Signale immer sehr vorsichtig sein musste, wenn es sich um die Angehörigen einer so fremden Kultur handelte.
„Ich bin Sergeant Kelleney“, stellte sich der Befehlshaber der dreißigköpfigen Marines-Truppe an Bord der STERNENKRIEGER vor.
„Wo ist Commander Sunfrost?“, erkundigte sich Harrrharrr. „Sie soll hier das Sagen haben.“
„Commander Sunfrost ist leider im Augenblick nicht zu sprechen“, erwiderte Kelleney leicht gereizt.
„Sergeant, ein paar der Fulirr besetzen die oberen Balkone“, meldete Lester Ramirez über Helmfunk an alle anderen Marines, die an diesem Einsatz beteiligt waren.
„Das können wir leider wohl kaum verhindern“, erwiderte Kelleney über Helmfunk – allerdings so, dass der Translator seines Fulirr’schen Gegenübers davon nichts mitbekommen konnte.
Harrrharrr straffte seine Körperhaltung. Er trat noch etwas näher an Kelleney heran. Seine beiden Zungen zuckten kurz aus dem Echsenmaul heraus. Die Riechzunge blieb etwas länger im Freien.
Ein zischender Laut entstand dabei.
„Ich verlange ultimativ, dass Sie dieses Gelände räumen. Und wie ich von meinen Vorgesetzten weiß, ist Ihrem Captain auch mitgeteilt worden, dass wir es als Akt der Souveränitätsverletzung ansehen, wenn Sie das Zentrum unserer Kultur und unserer demokratischen Ordnung besetzen. Wir können das unmöglich hinnehmen.“
„Wir besetzen den Dom keinesfalls“, korrigierte Kelleney. Sollte ich mal zu dick werden, um in den Panzeranzug hineinzupassen, könnte ich vielleicht auf meine alten Tage noch Diplomat werden, ging es dem Sergeant leicht amüsiert durch den Kopf. Er fuhr fort: „Es gibt hier militärische Geheimnisse der Etnord, die vielleicht kriegsentscheidend sein können.“
„Was sollen das für Geheimnisse sein?“
„Vielleicht wissen Sie sogar mehr darüber als wir“, gab Kelleney mit einer wohldosierten Prise Gift zurück.
„Räumen Sie den Haupteingang! Oder Sie müssen mit der Anwendung von Gewalt rechnen.“
„Dem sehen wir gelassen entgegen, Harrrharrr. Ihre Leute haben keine Panzeranzüge, die mit unseren vergleichbar wären. Es wäre Selbstmord gegen uns antreten zu wollen, zumal wir in Kürze vielleicht sogar damit rechnen müssen, dass die Etnord zurückkehren...“
„Das können Sie nicht.“
„Seien Sie da nicht zu sicher. Sie kehren mit einer so gewaltigen Flotte ins Nabman-System zurück, dass man an der Tatsache einfach nicht vorbeigehen kann, dass Ihnen an diesem Planeten noch etwas liegt...“
„Geben Sie mir Ihren Captain!“
Kelleney seufzte. Dein diplomatisches Geschick ist vielleicht doch nicht so umwerfend. Er aktivierte seine Armbandkommunikator, trat an Harrrharrr heran und hielt das Display so, dass der Fulirr sehen konnte, was sich dort tat.
„Hier Sunfrost.“
„Captain, Harrrharrr, der Befehlshaber des Fulirr-Landekommandos möchte mit Ihnen persönlich reden.“
„Sie sollten mit uns kooperieren, Harrrharrr“, schlug Sunfrost vor. „Es gibt eine 5-D-Impulsverbindung zwischen Wurmloch Beta und dem Dom. Das bedeutet, der Dom hat vielleicht etwas mit der Entstehung und der Manipulation der Wurmlöcher zu tun, über die die Etnord in diesen Sektor gelangten.“
„Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.“
„Geben Sie uns die Zugangscodes der Dom-Behörde. Ich bin überzeugt davon, dass man dort sehr viel mehr über diese Anlage wusste.“
„Das ist reine Spekulation. Ich werde mich von Ihnen nicht hinhalten lassen. Sagen Sie später nicht, dass wir Sie nicht gewarnt hätten!“
Harrrharrr aktivierte sein Antigravaggregat und flog zusammen mit seinem Adjutanten zurück zu seinen Einsatzkräften.