Admiral Ned Nainovel suchte vier Stunden später, als seine Dienstschicht zu Ende war, einen der großen Aufenthaltsräume auf. Sie glichen großen Restaurants auf der Erde, auch wenn die Innendekoration etwas spröde wirkte und eher an praktischen Erfordernissen orientiert war. Die LEVIATHAN war eine fliegende Kleinstadt und es gab hier fast alles, was man dort auch hätte finden können. Nainovel nahm sich ein Getränk und setzte sich an einen der Tische. Dann ließ er den Blick schweifen. Mit der drangvollen Enge an Bord eines Leichten Kreuzers hatte all das nichts zu tun. Wenn er da an seine Zeit als Captain des Leichten Kreuzers CATALINA zurückdachte, dann war er dankbar dafür, dass es offenbar doch so etwas wie Fortschritt im Raumschiffbau gab.
Jedenfalls waren die Begleitumstände des Dienstes an Bord eines Carriers sicher komfortabler als auf allen anderen Einheiten des Space Army Corps, die neuen Sondereinsatzkreuzer eingeschlossen.
In einiger Entfernung sah Nainovel Commander Tama Donson, die Chefin der Reparatur-Crews für die Jäger-Geschwader in ein intensives Gespräch mit Dr. Sun Zhabao, den Chef der LEVIATHAN-Klinik, verwickelt. Beide bemerkten den Admiral nicht und nahmen daher auch keine militärische Haltung an.
Nainovel war das nur recht.
Er hatte zu den äußeren Formen seines Dienstes im Space Army Corps von jeher ein etwas zwiespältiges Verhältnis gehabt.
Daran hatte auch die Tatsache nichts geändert, dass er eine relativ steile Karriere gemacht hatte.
„Admiral, darf ich mich zu Ihnen setzen?“, ertönte neben ihm eine Stimme. Nainovel drehte sich herum. Vor ihm stand Professor Dr. Miles Rollins, der Inhaber des ersten Lehrstuhls für Exo-Medizin an der Far Galaxy Akademie auf Sedna, einem marsroten Trabanten im Kuiper-Gürtel des Sol-Systems.
„Natürlich, Professor Rollins! Nehmen Sie Platz!“
Nach der Rückkehr der STERNENKRIEGER aus dem Ambrais-System, bei der Rollins und Eric Reilly II sowie die Marines Levoiseur und DiStefano aus den Katakomben der Nosronen geholt worden waren, hatten die beiden Wissenschaftler es vorgezogen, die STERNENKRIEGER zu verlassen und an Bord der LEVIATHAN zu bleiben. Sie hatten mit ihren Forschungen am Seelenmoos der Nosronen die Grundlagen für den Anti-Etnord-Virus der Genetics gelegt und nun wollten sie verfolgen, was aus dem Projekt wurde.
Eigentlich war ein Carrier kein Ort für Zivilisten. Schon gar nicht, wenn der Carrier sich in einem quasi permanenten Gefechtseinsatz befand. Konnte man bei Rollins noch argumentieren, dass er als ehemaliger Schiffsarzt der STERNENKRIEGER I ja selbst dem Space Army Corps gedient hatte und man dieses Dienstverhältnis auch jederzeit reaktivieren konnte, wenn dazu die Voraussetzungen vorhanden waren. Aber bei Professor Eric Reilly II lag der Fall vollkommen anders. Er war nie im Space Army Corps gewesen, auch wenn er jetzt an der Akademie der Raumstreitkräfte auf Ganymed lehrte. Aber trotz aller Vorschriften hatte niemand wirklich gewagt, den beiden Wissenschaftlern diese Bitte abzuschlagen. Schließlich verdankte die Menschheit ihnen womöglich ihr Überleben.
Nainovel neigte ohnehin dazu, in der einen oder anderen Situation fünf gerade sein zulassen, anstatt den Vorschriften oder Befehlen sklavisch zu gehorchen.
Bis jetzt war das gut gegangen.
Steven Van Doren hat dafür teuer mit einer Degradierung zahlen müssen, wusste Nainovel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch mir eines Tages etwas Ähnliches blüht. Dass es nicht geschehen ist, ist mehr eine Folge des Zufalls als meiner Rechtschaffenheit und Befehlstreue.
Und vielleicht lag eine ähnliche Situation schon sehr bald vor ihm, wenn es darum ging, zu entscheiden, ob ein Vorstoß der Space Army Corps Einheiten ins Taralon-System – und somit ins Herz des Feindes – gewagt werden sollte oder nicht.
„Admiral, die Lage hier im Brückenkopf scheint sich ja etwas zu entspannen“, sagte Rollins.
Nainovel nickte. „Das ist richtig.“
„Werden Sie in Kürze einen Vorstoß ins Taralon-System unternehmen?“
„Das habe ich nicht allein zu entscheiden.“
„Falls Sie das tun sollten, wäre es eigentlich auch angemessen, unsere nosronischen Verbündeten nicht zu vergessen und ihnen bei der Rückeroberung ihres Planeten zu helfen.“
Nainovel nippte an seinem Becher mit Syntho-Drink. „Sie meinen, wir sollten ein Schiff ins Ambrais-System schicken, um auf den dortigen Planeten den Anti-Etnord-Virus zu verbreiten?“
„Ohne die Nosronen besäßen wir diese Waffe gar nicht.“
„Das ist wahr.“ Nainovel hob die Schultern und fuhr nach einer kurzen Pause fort: „Ich werde in Kürze entscheiden, was wir als nächstes tun, Professor Rollins. Ich sehe die Sache im Prinzip genauso wie Sie. Aber das heißt nicht, dass ich in jedem Fall so handeln kann, wie ich gerne möchte.“