Auf dieses Signal hatten die K'aradan-Frauen nur gewartet. Sie stürzten sich jetzt auf Rena, die kaum noch in der Lage war, sich zu wehren. Wieder setzte es Schläge und Tritte. Ein Fußtritt traf sie an der Schläfe. Sie sackte benommen in sich zusammen. Undeutlich nahm sie wahr, wie ihr die Stiefel ausgezogen und die Flottenkombination abgenommen wurde.
Jedes Beutestück löste sofort heftige Streitigkeiten unter den K'aradan-Frauen aus.
Für Rena bedeutete das jeweils eine kurze Verschnaufpause.
Aber sie hatte keine Kraft mehr, den Angriffen etwas entgegen zu setzen. Nach und nach nahmen ihr die K'aradan-Frauen sämtliche Kleidung ab.
Zusammengekrümmt, vollkommen nackt und von blauen Flecken nur so übersät lag sie da.
Zitternd.
Der Puls schlug ihr bis zum Hals und bei jedem Schlag ihres Herzens dröhnte ihr der Kopf. Ihr links Auge war so zu geschwollen, dass sie kaum noch etwas sehen konnte.
Das einzige, was ihr noch geblieben war, war das Amulett.
Sie fasste instinktiv nach dem verbeulten Projektil.
Eine der Frauen wagte sich heran, um ihr auch das auch noch abzunehmen. Konzentriere all deine Kraft und deine Wut auf einen Punkt und einen Augenblick!
Die K'aradan-Frau erwartete wohl kaum noch Gegenwehr.
Jedenfalls war sie ziemlich unvorsichtig und griff einfach nach dem Kettchen um Renas Hals.
Jetzt!
Mit aller Kraft schlug Rena zu.
Ihre Faust landete wie ein Hammerschlag im Gesicht der K'aradan-Frau, die zurücktaumelte und mit einem Schrei der Länge nach zu Boden fiel.
Die anderen Frauen stutzten.
Aber sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich um die Beute zu streiten, als dass sie jetzt besondere Lust gehabt hätten, Rena noch einmal eine Abreibung zu verpassen.
Die niedergeschlagene Angreiferin rappelte sich wieder auf. Sie entriss einer der anderen Frauen einen der Hartplastikstäbe und stürzte sich damit auf Rena. Der erste Schlag traf Rena am Unterarm, den sie schützend über den Kopf gehoben hatte. In einem für menschliche Verhältnisse schier unglaublichen Tempo folgten dann ein Dutzend weiterer Hiebe.
Rena rollte sich über den eiskalten Boden und stand schließlich taumelnd auf. Mit ein paar Schritten legte sie eine Distanz von mehr als drei Metern zwischen sich und die Angreiferin, die sie zu belauern begann.
In Renas Schädel hämmerte es noch immer furchtbar und das Schwindelgefühl war so schlimm, dass sie sich kaum auf den Beinen halten konnte.
Noch immer sickerte Blut aus ihrer Nase.
Aber sie hatte nicht die Absicht, sich einfach totschlagen zu lassen.
Zumindest nicht ohne sich vorher gewehrt zu haben. Davon, dass dieser Morrhm-Barbar der Frau den Hals umdreht, wenn sie sich am Stammeseigentum vergreift und ihre Wut daran auslässt, werde ich wohl nichts mehr haben, überlegte sie.
Die Angreiferin strich sich das lange, etwas verfilzte Haar aus dem Gesicht. Ihre Augen fixierten Sunfrost auf eine Weise, die dieser nicht gefallen konnte. Es war der Blick einer Jägerin auf ihre Beute.
Sie täuschte einen Angriff vor.
Der Hartplastikstock zuckte vor und touchierte Rena Sunfrost leicht am Arm.
Es gab im Augenblick ohnehin kaum noch eine Fläche an ihrem Körper, die größer als eine Handbreit und noch nicht von größeren und kleineren Hämatomen übersät war.
Dann folgte ein weiterer Angriff. Die Treffer kamen so rasch, dass Rena nicht einmal in der Lage war den Kopf zu schützen. Sie bekam ein paar schwere Schläge ab und anschließend einen Stoß in den Bauch.
Ihr wurde schlecht.
Sie klappte zusammen wie ein Taschenmesser, lag erneut auf dem Boden, ihrer Angreiferin nun wehrlos ausgeliefert.
Diese holte bereits zum nächsten Schlag aus.
Okay, dann ist es vielleicht vorbei, dachte Sunfrost.
Ein dröhnender Laut ließ in diesem Moment alle zusammenzucken. Ein Raunen ging durch die Reihen der K'aradan. Sie zogen sich ein paar Meter zurück. Auch die Angreiferin hielt mitten im Schlag noch inne, drehte sich halb herum und stieß anschließend einen Schrei des Entsetzens aus.
Ein Koloss, der es an Größe und Kompaktheit durchaus mit einem Morrhm hätte aufnehmen können, schälte sich aus dem Halbdunkel hervor.
Es handelte sich um einen dreiarmigen Pshagir, dessen schuppenartige Haut extreme Temperaturen auszuhalten vermochte. Der Pshagir öffnete sein lippenloses Maul und ließ ein markerschütterndes Brüllen hören. Seine Augen waren schlecht, aber dafür verfügte er über einen exzellenten Sonar-Sinn, der ihm eine mindestens ebenso gute Orientierung ermöglichte wie jede auf ihre optischen Organe angewiesene Spezies.
Seine beiden linksseitigen ‚zarten’ Greiforgane hatten sich zu Fäusten geballt.
Neben dem Dreiarmigen befand sich ein Humanoide.
Er trug ein Firmenemblem aus dem Bereich der Humanen Welten an seiner Kleidung, wie Sunfrost sofort registrierte. DIT – DOSSELING INTERSTELLAR TRADING – war dort zu lesen und zwar in genau den Buchstaben, die auch Rena irgendwann einmal in der Schule gelernt hatte.
Rena hatte von der Firma schon gehört. DOSSELING war auf New Hope II beheimatet, einer Welt am Rande des Niemandslandes zwischen dem Heiligen Imperium der Qriid und den Humanen Welten der Menschheit. Von dort aus hatte dieses Unternehmen ein weit gespanntes Netz von Handelskontoren errichtet – sowohl innerhalb der Humanen Welten, als auch im näheren Niemandsland sowie im Reich von Aradan, dessen gewaltige Größe so manche Unternehmerfantasie beflügelt hatte, seit die Menschheit mit diesem Sternenreich nicht mehr verfeindet war.
Natürlich musste der Umstand, einem Mann mit dem DIT-Emblem anzutreffen, nicht unbedingt auch bedeuteten, dass es sich um einen Menschen handelte.
Schließlich war genauso denkbar, dass diese Kleidung die Beute eines K'aradan geworden war.
Stille herrschte plötzlich.
Nicht einmal jener K'aradan, der sich den Kommunikator erobert hatte, tönte noch groß herum, so wie noch vor einigen Augenblicken.
Alle Augen waren auf dieses ungleiche Pärchen gerichtet.
Der Humanoide mit dem DIT-Emblem musterte Rena einige Augenblicke lang.
Dann wandte er sich an die K'aradan und rief ihnen ein paar Worte zu, von denen Rena nichts verstand.
Hier und da gab es Erwiderungen einiger Männer, die aber eher schwach ausfielen. Zumindest vom Tonfall her. Inhaltlich konnte Sunfrost sie nicht beurteilen. Die Frauen schwiegen vollkommen.
Schließlich wandte sich der Humanoide an Sunfrost.
„K'erde?“, fragte er.
Rena nickte.
„K'erde“, bestätigte sie.
Welchen Sinn hätte es auch gehabt, diese Tatsache zu leugnen?
„Dann stehen Sie auf und kommen Sie mit mir!“, forderte er sie auf und wechselte dabei in die Verkehrssprache der Humanen Welten.
„Was?“
Also doch ein Mensch, dachte Sunfrost.
„Zögern Sie nicht so lange, ich habe die Bande gerade davon überzeugen können, dass sie einen verdammt großen Ärger bekommt, wenn sie das Sklaveneigentum des Zuur-Stammes mutwillig dezimieren!“
Er streckte ihr die Hand entgegen.
Rena ergriff sie.
Sie stand auf ziemlich wackligen Füßen. Alles drehte sich vor ihren Augen – eine Folge der heftigen Kopftreffer. Im Moment war es ihr vollkommen gleichgültig, dass sie nackt war. Sie war nicht einmal dazu in der Lage sich über die Tatsache zu freuen, dass sie überlebt hatte.
„Wir gehen jetzt. Blicken Sie nicht zurück und gehen Sie möglichst aus eigener Kraft und mit erhobenem Haupt. Ich weiß, dass das viel verlangt ist, aber es ist wichtig. Sonst wird Sie hier niemand jemals respektieren und Sie werden nur Futter für den Unheimlichen.“
„Was meinen Sie damit?“
„Ich erkläre es Ihnen ein anderes Mal.“