Am Ausgang der Sklavenhalle erwarteten sie Morrhm-Krieger mit vorgehaltener Waffe. Jeder Widerspruch war hier sinnlos.
Die Morrhm gaben knappe Befehle, die von den Translatoren übersetzt wurden.
„Den Korridor entlang, dann rechts!“, lautete der Befehl, der für Kelri und seine Gruppe maßgeblich war. „Schneller!“
Im Laufschritt wurde die Gruppe den Korridor entlang geschickt. Rena schmerzte jeder Muskel und jeder Knochen im Leib. Aber nach den furchtbaren Prügeln, die sie bezogen hatte, war das auch nicht weiter verwunderlich.
Sie stellte allerdings fest, dass einige der anderen K'aradan, die zu Kelris Trupp gehörten kaum in der Lage waren, das Tempo mitzuhalten. Eine der Frauen hatte ziemlich große Lücken in ihrem Haar. Es gab kahle Stellen, so groß wie eine halbe Hand, die sich kaum noch durch geschicktes frisieren verdecken ließen.
Sie leiden bereits sehr unter den Folgen der Strahlung, ging es Rena durch den Kopf. Und wahrscheinlich ist das ein Grund gewesen, sie für diese Aufgabe auszuwählen. Ihre Überlebenschancen sind ohnehin gering, da ist es nicht so schlimm, wenn man sie einem Strahlenherd an der Planetenoberfläche aussetzt.
Die Gefangenen erreichten schließlich einen Hangar, in dem sie in kleine Raumtransporter gepfercht wurden, die den Sturm Shuttles der Morrhm ziemlich ähnlich waren. Nur gab es weder Bordgeschütze noch wies die Passagierkabine irgendwelche Sitzmöbel auf. Der Grund dafür war einleuchtend. Man wollte so viele Gefangene wie möglich in einen Transporter pferchen.
Man musste stehen. Sich zu setzten war unmöglich, da der Transporter wirklich bis zum letzten Mann besetzt war. Es gab nicht einmal eine vernünftige Außenschleuse, sondern lediglich ein Schott, von dem man nur hoffen konnte, dass es dicht war und den Luftdruck hielt. Auch diese Maßnahme vergrößerte den Transportraum.
In der abgetrennten Pilotenkabine saßen zwei Morrhm. Mit den Gefangenen kommunizierten sie über Lautsprecher.
Sie machten sich dabei nicht die Mühe, ihre Befehle in die Sprache der Sklaven zu übersetzen. Das galt selbst für das K'aradan-Idiom, das von neunzig Prozent der an Bord befindlichen Gefangenen gesprochen und von den meisten anderen zumindest einigermaßen verstanden wurde.
Im Wesentlichen bestand die Ansprache des Morrhm-Piloten aus einer Ansammlung von Drohungen. Er kündigte an, was er zu tun beabsichtigte, falls irgendjemand an Bord auf die Idee kommen sollte, den Raumtransporter unter seine Kontrolle bringen zu wollen.
„Jeder Fluchtversuch ist zum Scheitern verurteilt“, erklärte der Pilot. „Sowohl hier, als auch auf dem Planeten. Falls auch nur einer von euch so eine Aktion versucht, werden alle anderen darunter zu leiden haben.“ Eine Pause folgte, in der die wenigen Translatoren Gelegenheit hatten, die Worte des Sklavenhalters zu übersetzen.
Schließlich fuhr der Morrhm fort.
„Dieser Transporter verfügt über eine Schleuderfunktion für die Passagierkabine. Wir können euch jederzeit ins All hinausexpedieren, wenn uns danach ist und ihr treibt dann als schockgefrorene Leichen auf ewig im Orbit. Also überlegt euch gut, was ihr tut, Sklaventiere!“
„Du weißt gar nicht wie gerne ich dem Kerl den Hals umdrehen würde“, knurrte Kelri an Rena Sunfrost gewandt. „Vorausgesetzt er hat überhaupt einen Hals. In ihren Rüstungen sehen die Morrhm mit ihren Hauer-Gebissen immer so aus, als wäre der Kopf direkt zwischen den Schultern festgewachsen!“
„Das mit dem Halsumdrehen scheint bei einem Morrhm nicht ganz einfach zu sein“, meinte Rena Sunfrost. „Fast so schwer wie bei einem Pshagir!“
„Ja, nur dass man dem einzigen Pshagir, den es in der Sklavenhalle gibt, nicht gestattet, Projektilwaffen mit sich herumzutragen.“
Ihrer beider Blicke begegneten sich. Sie hatte seinen schwitzigen Geruch in der Nase und wonach sie selbst stank, darüber mochte sie gar nicht weiter nachdenken. Wir können nur froh sein, wenn diese Reise vorbei ist, ehe wir einen akuten Erstickungsanfall bekommen haben!
Auch dann waren die körperlich einfach sehr viel robusteren K'aradan gegenüber einer Menschenfrau im Vorteil.
Aber Sunfrost hatte es sich vorgenommen, durchzuhalten und die Zähne zusammenzubeißen.
Wenn sie erst einmal wieder an Bord eines Space Army Corps Schiffs war, dann standen auch Medikamente bereit, um die Strahlungsschäden zu beseitigen, die sich bis dahin vielleicht in ihrer DNA bereits manifestiert hatten.
Das große Außenschott des Hangars öffnete sich.
Durch die Fenster des Transporters wurde der Weltraum sichtbar. Eine große, bläulich-grüne Scheibe hob sich gegen die Dunkelheit des Alls ab.
Das war offenbar die Zielwelt.
Der Transporter setzte sich in Bewegung. Die enormen G-Kräfte, die bei der Beschleunigung entstanden, drückten die Sklaven förmlich zusammen. Wenn es überhaupt Andruckabsorber gibt, dann aber keine guten, überlegte Sunfrost. Aber wahrscheinlich hat man auch die aus Platzersparnisgründen ausmontiert...
Der Raumtransporter schoss ins All, der großen blaugrünen Kugel entgegen.
In der Ferne waren große Explosionen zu sehen. Raumschiffe der Verteidiger barsten auseinander und vergingen in kleinen Atomsonnen. Ein Geschwader ultraschneller Jäger umschwirrte den Transporter, der mit ungefähr hundert Sklaven voll gestopft war, obwohl die maximale Kapazität wahrscheinlich ähnlich wie bei den Beibooten der STERNENKRIEGER bei dreißig bis vierzig Personen lag.
Der Raumtransporter sank in die Stratosphäre des blaugrünen Planeten. Aus dem Orbit waren nähere Strukturen der Oberfläche zu sehen. Es gab eine zusammenhängende Landfläche, in die mindestens fünf große, untereinander verbundene Binnenmeere eingebettet waren. Am Nordpol gab es eine kleine Eiskappe. Am Südpol fehlte sie.
Es gab nur wenige Wolken. Die Siedlungszentren waren deutlich zu erkennen. Die Atompilze von Wasserstoffbomben, die in einer Höhe von etwa 500 m gezündet worden waren und alles unter ihrer gewaltigen Druckwelle zerquetschten, fraßen sich wie Krebsgeschwüre in den Himmel.
Dutzende dieser strahlenden Pilze waren zu sehen und der Fallout wurde bis in die Stratosphäre geschleudert.
Aber das, was jetzt wie ein schmutziges Inferno wirkte, war in Wahrheit nichts weiter als der Nachhall von Kämpfen, die in den vergangenen Tagen stattgefunden hatten. Zumindest reimte sich Rena Sunfrost das, was sie durch das Sichtfenster des Transporters sah, so zusammen. Je tiefer das Raumfahrzeug sank, desto deutlicher waren die großflächigen Zerstörungen zu sehen.
Quadratkilometergroße Trümmerlandschaften reihten sich aneinander.
Eigenartigerweise gab es aber auch Siedlungen, die vollkommen intakt wirkten. Vielleicht waren das die Gebiete, in denen Sklaven gejagt wurden, so überlegte Sunfrost. Aber als der Transporter noch tiefer sank, wurde erkennbar, dass das offenbar nicht der Fall war. Die unversehrt gebliebenen Siedlungen waren unbewohnt.
Der Transporter landete nach einem langen Tiefflug über die Oberfläche des Planeten schließlich auf einem großen Platz, mitten in einer nahezu unversehrt gebliebenen Stadt.
Das Außenschott wurde geöffnet.
Da die Druckverhältnisse auf der Oberfläche geringfügig über dem Luftdruck auf der Planetenoberfläche lagen, knallte die Atemluft aus dem sich öffnenden Außenschott.
Ein Geräusch, das an eine Explosion erinnerte.
Für einen Moment glaubte Sunfrost, dass sie taub war. Die schrille Stimme des Morrhm aus der Fahrerkabine brüllte die Gefangenen an.
Kelris Translator übersetzte nur einen Bruchteil davon und das meiste ergab noch nicht einmal Sinn. Der Grund dafür lag in dem allgemeinen Stimmengewirr, das unter den Sklaven ausgebrochen war. Die ersten von ihnen stiegen durch das Außenschott ins Freie. Schließlich hatte auch Sunfrost genügend Bewegungsspielraum. Sie hielt sich die ganze Zeit über möglichst in Kelris Nähe, denn schließlich war sie auf dessen Kommunikator angewiesen, wenn irgendwelche Befehle erteilt wurden.
„Wie sind die Strahlungswerte?“, wandte sich Kelri an einen der anderen K'aradan, der das Ortungsgerät mit integriertem Geigerzähler bediente.
Kelris Translator war permanent eingeschaltet. Nur deshalb konnte Sunfrost verstehen, was die beiden K'aradan sagten.
„Die Werte sind deutlich erhöht – besonders gilt das für die Neutronenstrahlung.“
„Habe ich mir gedacht.“
„Wer gesund ist, überlebt hier 24 Stunden.“
„Die meisten in unserer Gruppe sind aber nicht mehr gesund.“
„Dann wird es wohl Verluste geben.“
Kelri zuckte mit Schultern.
„Besser hier als in der Sklavenhalle, wo wir die Todesfälle vor den Morrhm verbergen müssen, damit sie uns nicht dafür bestrafen.“
Den Rest der Unterhaltung verstand Sunfrost nicht mehr, denn Kelri schaltete jetzt den Translator um. Er übersetzte jetzt nicht mehr von K'aradan in die Sprache der K'erde, sondern diente nun dazu die Befehle des Morrhm-Kriegers zu verstehen, der mit großen Gesten und einem durchdringenden Gebrüll dafür sorgte, dass er zur Kenntnis genommen wurde.
Die Gefangenen sahen zu ihm hinüber.
Er gehörte zu einer Truppe von zwei Dutzend Kriegern, die soeben mit einem Sturmshuttle gelandet waren. Ihre Aufgabe war es offenbar, die Gefangenen zu bewachen.
Unter den Sklaven herrschte nun Schweigen. Sie warteten darauf, dass man ihnen sagte, was sie hier zu tun hatten.
Kelri schaltete wenig später den Translator um und fasste die Worte des Morrhm für Sunfrost zusammen.
„Wir werden auf verschiedene Verwaltungseinrichtungen verteilt, um Daten aus Großrechnern abzuzapfen und auf Kristalle zu speichern.“
Stelle ich mir sehr spannend vor – lediglich mit Grundkenntnisse in K'aradan-Sprache und –Schrift, überlegte Sunfrost. Es sieht wohl so aus, als müsstest du ganz schnell dazulernen, sonst wartet irgendeine dieser fantasievollen Grausamkeiten auf dich, mit denen die Morrhm ihre Sklaven zu bestrafen pflegen...
„Hast du das sternförmige Gebäude während des Tiefflugs gesehen?“
„Ja“, nickte Sunfrost.
„Das muss wohl irgendein Forschungszentrum oder so etwas gewesen sein. Jedenfalls glauben die Morrhm, dass sie da etwas finden können, was sie verwenden können.“
Der K'aradan wandte sich zum Gehen.
„Kelri! Hast du mal daran gedacht, zu flüchten?“
„Das ist reine Verschwendung von Hirnaktivität, K'erde!“, erwiderte Kelri. „Wohin willst du denn? In die verstrahlten Gebiete? Beeil dich besser mit deiner Arbeit, dann sind wir weg, bevor der Fallout nieder regnet. Diese Welt scheint ja ziemlich regenarm zu sein. Das könnte für uns die Überlebenschancen erhöhen.“
„Du hast wirklich keine Ahnung, wo wir sind?“
„Mein Volk hat tausende von Welten besiedelt. Glaubst du, die kenne ich alle auswendig?“
„Ach, das ist für deinen überlegenen K'aradan-Geist ein Problem?“
Ironie verstand Kelri offenbar nicht. Oder der Translator war von minderer Qualität. Jedenfalls tippte Kelri mit den Handknöcheln gegen die Oberfläche des Gerätes und meinte: „Ein Billig-Produkt. Vielleicht liegt es an dem Ding, dass ich den Eindruck habe, dass dein Gerede so sinnvoll ist wie das Gequake einer aradanitischen Riesenente.“
Die Sklavenkolonne marschierte los.
Rechts und links wurden sie von Morrhm-Kriegern flankiert.
Offenbar vertrauten die Sklavenhalter keineswegs darauf, dass ihre Gefangenen den Gedanken an eine Flucht schon aufgegeben hatten. Auch wenn sie objektiv betrachtet völlig sinnlos sein mochte.
Die Straßen waren leer.
Fahrzeuge standen überall herum. Zumeist handelte es sich um Gleiter, aber auch ein paar wenige Radfahrzeuge waren zu finden, die in dieser Region des Reichs von Aradan offenbar hin und wieder noch benutzt wurden.
„Eigentlich müssten wir uns in der Randweltenregion befinden“, murmelte Kelri. Er sprach zwar nicht zu Sunfrost, aber da der Translator noch auf ‚K'erde’ geschaltet war, konnte sie verstehen, was gesagt wurde.
„Der Großrechner von Idrasa ist in dem sternförmigen Gebäude untergebracht“, stellte einer der anderen K'aradan fest. „Innerhalb der Randwelten ist das allerdings auch das einzige Zentrum diese Art.“
„Eigentlich spielt es keine Rolle, wo wir sind“ meinte ein anderer Mann. „Eine Chance zu entkommen haben wir ohnehin nicht. Wir werden jämmerlich an Strahlenschäden verrecken, die man eigentlich mit ein paar Medikamenten leicht behandeln könnte...“