Das Erwachen war schmerzhaft. Der Schädel brummte und jeder Herzschlag erschien Rena wie ein Hammerschlag.
Sie blinzelte und stellte fest, dass man sie gefesselt hatte. Die Hände waren auf dem Rücken mit den Füßen zusammengeschnürt worden, was äußerst unbequem war.
Ein Geräusch ließ sie den Kopf heben und so weit wie möglich drehen.
Weder von den K'aradan noch den Xabo war noch irgendwo eine Spur zu entdecken. Stattdessen lief ihr eines der Spinnenwesen über das Gesicht und huschte anschließend davon. Es verschwand in der Dunkelheit.
Diese Schweine, dachte Rena. Legen mich diesem Unheimlichen wie Zwischenmahlzeit hin...
Ein schabendes Geräusch ließ sie zusammenzucken. Sie rollte sich auf dem Boden herum und sah dann etwa aus dem Schatten treten, das wie ein riesiges Spinnenwesen aussah.
Also doch, durchfuhr es Rena. Der Unheimliche ist Wsssarrr.
Kleinere Spinnen, manchmal nur so groß wie ein Fingernagel, krabbelten über den Boden.
Viel war über die Spezies der Wsssarrr nicht bekannt. Beispielsweise hatte nie jemand die Jungen dieser intelligenten Arachnoiden zu Gesicht bekommen. Sie erschienen Rena überraschend klein zu sein.
An den Enden der acht Beine ließen sich je nach Bedarf Greiforgane ausfahren.
Mit einem dieser Greiforgane betätigte der Wsssarrr ein Gerät, dass ihm mit einem Gürtel um den Körper geschnallt worden war.
Ein Translator, erkannte Rena.
Der Wsssarrr sprach Rena auf K'aradan an. Offenbar war ihm nicht bewusst, einen Menschen vor sich zu haben.
Rena vermochte die Worte des Wsssarrr zunächst nicht zu verstehen. Der Arachnoide kam näher. Mit den Greifern von zwei seiner acht Beine betastete er sie und konzentrierte sich dabei auf ihren Kopf.
Erneut begann der Wsssarrr in einem Idiom aus schrillen Lauten zu sprechen, die sein Translator übersetzte. Rena erkannte die K'aradan-Wörter für Geist, Gehirn und Glauben.
Die Beißorgane rieben gegeneinander und mindestens ein Dutzend Augen betrachteten sie mit einem grausigen Interesse. Zwischen den Beißwerkzeugen wurde ein rohrartiger Stachel ausgefahren.
Die Greifer hielten ihren Kopf wie in einem Schraubstock und verdrehten ihn so, dass der Wsssarrr mit dem Hohlstachel in das Ohr gelangen konnte.
Ein saugender Laut kam zwischen den Beißwerkzeugen des Wsssarrr hervor. Schwere Schritte lenkten den Arachnoiden nun jedoch ab, sodass er Renas Kopf zunächst keine Beachtung mehr schenkte. Der Wsssarrr drehte sich herum, während ein markerschütterndes, tiefes Brüllen den Korridor erfüllte. Aus dem Halbdunkel schälte sich die kompakte Gestalt des Etnord-Pshagir heraus.
Er fasste den Arachnoiden bei einem seiner Beine und riss daran. Es löste sich vom Spinnenkörper und Xygor’an schleuderte es in der Luft herum.
Der Wsssarrr ging zum Gegenangriff über.
Ein schriller Zischlaut ertönte dabei. Außerdem übersetzte der Translator die Laute, die der Wsssarrr ausstieß – allerdings in die K'aradan-Sprache. Er ruft nach seinen Wächtern, wurde es Rena klar.
„Xabo!“, kreischte es schließlich aus dem Lautsprecher des Gerätes heraus.
Er rief offenbar nach seinen geflügelten Paladinen.
Aber es war niemand da, der bereit gewesen wäre, den Unheimlichen zu verteidigen.
Der Wsssarrr stürzte sich auf den angreifenden Pshagir. Aber der rohrartige Stachel zerbrach an der gepanzerten Außenhaut des Dreiarmigen. Mit der starken Pranke packte dieser einen weiteren Spinnenarm und riss ihn heraus. Eine geleeartige Flüssigkeit tropfte aus der Wunde. Der Wsssarrr brüllte schrill auf und schnappte mit den Beißwerkzeugen nach Armen und Beinen seines Gegners. Doch der schien – zumindest gemessen an den Mitteln, die der Wsssarrr einzusetzen vermochte – nahezu unverwundbar zu sein. Die zu Fäusten geballten zarten Hände trommelten auf die zahlreichen Sehorgane des Arachnoiden. Er bekam eines der Beißwerkzeuge zu fassen, brach es aus seiner Verankerung heraus und stieß es dem Wsssarrr durch die Augen ins Hirn.
Einen Moment lang zuckte er noch.
Dann rührte er sich nicht mehr.
Xygor’an erhob sich und wartete einige Augenblicke lang ab.
Dann würgte er einen Schwall von übel riechenden Stoffwechselprodukten aus seiner einzigen Körperöffnung heraus und ergoss sie über dem erschlagenen Feind.
Offenbar eine Geste der Verachtung oder des Triumphs.
Rena konnte angesichts dieses Gestanks nach Fäulnis und Säure kaum atmen.
Der Pshagir wandte sich schließlich Rena zu. Er brach zuvor dem Wsssarrr noch das zweite Beißwerkzeug heraus und durchtrennte damit die Fesseln.
Ein paar Worte in seiner eigenen Sprache folgten. Worte, die Rena nun beim besten Willen nicht verstehen konnte.
„Es ist jedenfalls gut, dass du da ist“, meinte sie. Hättest du je gedacht, dass du so etwas mal über einen leibhaftigen Etnord sagen würdest?, ging es ihr dabei durch den Kopf.
Mit Gesten bedeutete der Pshagir ihr, dass es ratsam wäre, den Kadaver in den Konverter zu werfen.
Rena schnallte dem Arachnoiden jedoch zuvor den Translator ab. Es handelte sich um ein Modell der Firma Sirius Electronic. Ein ziviles Modell, aber brauchbar, dachte Sunfrost. Auf welch verschlungenen Wegen es den Weg auf dieses Sklavenschiff gefunden hatte, darüber konnte man nur spekulieren. Seitdem zwischen der Menschheit und den K'aradan ein Bündnis geschlossen worden war, hatte der Handel zwischen den beiden Sternenreichen explosionsartig zugenommen.
Sunfrost versuchte vergeblich, das Gerät auf die Sprache der Pshagir – oder wenigstens auf Sutrubu - einzustellen. Aber diese Optionen waren nicht im Menue enthalten. Mal sehen, wie lernfähig das Ding ist. Vielleicht übersetzt es nach einiger Zeit sogar Sutrubu und Pshagir, falls es genug Wortmaterial aufgenommen hat!
Xygor’an ließ einen grollenden Laut hören und fasste den Wsssarrr an zwei seiner Beine, um ihn zum Müllkonverter zu schleifen.