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Der Sternenvogt hatte mir seine Infothek zugänglich gemacht - wenigstens einen Teil davon. Das hieß, er führte mich zunächst in verschiedene Grundprogramme ein, damit ich mich anschließend für den Rest selber bedienen konnte.
So nutzte ich die Dauer der Reise, mir Kenntnisse anzueignen, die für mich so aufregend und phantastisch waren, dass die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes im Flug verging.
Der Sternenvogt kümmerte sich indessen wenig um mich. Zuweilen nur stand er da, die Arme vor der Brust verschränkt, regungslos, schweigend. Er beobachtete mich - manchmal aus schmal zusammengekniffenen Augen. Und dann verschwand er so plötzlich wie er aufgetaucht war. Kommentarlos und irgendwie - unheimlich. Mich störte es allerdings nicht. Ich hatte meine phantastische Beschäftigung und wurde niemals müde, die Programme durchzuarbeiten. Die einzigen Unterbrechungen waren kurze Mahlzeiten und der nötige Schlaf.
Bis mich der Vogt zwang, ein spezielles Trainingsprogramm durchzuführen, um meine körperliche Fitness nicht zu verlieren.
War es bald soweit?
Was für ein Einsatz? Gefährlich? Kämpferisch?
Ich lernte viel - und wusste dennoch so wenig...
Einmal legte er mir schwer die Hand auf die Schulter und sagte ernst: »Niemals die Summe des Wissens darf dein Ziel sein, John Willard, sondern immer nur sein Verständnis!«
Ich sah zu ihm auf, weil ich es nicht begriff.
Er schöpfte tief Atem und philosophierte laut: »Die Kapazität des menschlichen Gehirns reicht nicht aus, alles Wissen zu erfassen. Und weil die Kapazität des Gehirns begrenzt ist, bleibt auch das Verständnis begrenzt. Deshalb hat der Mensch Computer entwickelt und zur Perfektion reifen lassen. Der Computer ist ein Wissensspeicher gewesen und avancierte allmählich zum WISSENSSKLAVEN: Vergiss alle Schulen mit ihrem sturen Pauken. Sie hatten ihre Berechtigung, zugegeben. Weil sie die Aufnahmefähigkeit trainierten.
Aber sie vernachlässigen etwas anderes, was mindestens genauso wichtig ist: DIE FÄHIGKEIT ZU ÜBERLEGEN, also im Sinne des Wortes NACHZUDENKEN! Sie behindern damit die Kreativität und Flexibilität. Das birgt gewisse Gefahren in sich: Je größer das vermeintliche Wissen wird, desto weniger kann der Wissende damit anfangen. Das ist wie bei einem prächtigen Haus ohne Außentüren: Man ist darin gefangen wie in einem Labyrinth und findet nicht mehr hinaus... Denn merke dir eines, John Willard: Die wahrlich Großen in der Geschichte waren niemals diejenigen, die in der Lage waren, möglichst viel Wissen zu speichern, sondern es waren ausnahmslos diejenigen, die vorhandenes Wissen gut verarbeiten und vor allem auch ANWENDEN konnten.
Es ist wie bei einem Supercomputer: Er leistet immer nur soviel wie sein Anwender von ihm abverlangt! Was nutzt schon ungeheures Wissen, das tot bleibt, nicht aktiviert werden kann, weil dazu die Fähigkeit fehlt. Weil diese Fähigkeit im Verlaufe des Lernprozesses zu sehr vernachlässigt wurde und deshalb auf der Strecke blieb?
Kapierst du das, John Willard? Begreifst du, was ich damit sagen will?«
Er erwartete in Wahrheit gar keine Antwort, sondern fuhr gleich fort: »Ja, die Großen in der Geschichte... Am größten werden immer nur diejenigen, die es verstehen, das Wissen anderer sinnvoll zu verwenden - ohne selber tief greifendes Wissen zu besitzen...«
Er sagte es wie im Selbstgespräch, als wäre es gar nicht mehr an meine Adresse gerichtet.
Sein Blick, der wie in weite Ferne gerichtet erschien, klärte sich. Er schaute zu mir herab: »Na, was denkst du, John?«
»Ich - äh - ich dachte gerade, wie viel Wissen ein Mensch haben muss, der unsterblich ist!«
»Ein - unsterblicher - MENSCH?«
Ich ahnte, dass ich etwas Falsches gesagt hatte und stotterte: »Ja, ich - ich meine, dass... dass die Sternenvögte... äh...«
Er sprang zurück und schüttelte die Faust. Auf einmal war er völlig außer sich.
»Ein Mensch? Das hast du gesagt? Ich, ein Sternenvogt... ich sei ein - Mensch? Sag das niemals wieder, John Willard! Ich werde dich sonst...«
»Ein - Gott?«, warf ich rasch ein, in dem hilfslosen Versuch, meinen Fehler wieder wettzumachen, obwohl ich immer noch nicht wusste, wieso der Vogt so reagierte...
»Ich - ich habe dich gewarnt!« Zitternd schlug er die Hände vor das Gesicht. Als er sie nach Sekunden wieder herunterzog, wirkte dieses Gesicht mehr denn je wie eine Maske.
»Ja, ich habe dich gewarnt!«
Ich wusste mir keinen anderen Rat mehr: Instinktiv sprang ich auf und warf mich vor ihm auf den Boden. Das erschien mir das einzig richtige zu sein - in dieser für mich so unverständlichen Situation.
Ich beugte mein Kreuz, bis ich mit der Stirn den Boden berührte.
»Ich bitte um gerechte Strafe für mein Vergehen!«
Da hörte ich ihn heiser lachen: »Nein, Willard, ein Mensch bin ich tatsächlich nicht - beim heiligen Universum und seiner Ordnung! Natürlich bin ich auch kein Gott. Welches Wesen dürfte schon so anmaßend sein? Nur in einem hast du recht, Willard: Ich bin unsterblich! In der Tat!«
Ich wagte es, langsam den Kopf zu heben.
Der Sternenvogt stand breitbeinig über mir, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Sein Blick war jetzt irgendwie mitleidig.
Er schaute hinüber zu den blinkenden Kontrollen und den Bildschirmen, die für mich unlesbare Abbilder des Sternenmeeres dort draußen zeigten.
Er wippte auf den Zehenspitzen - irgendwie lässig. Deshalb wagte ich, mich wieder vom Boden zu erheben und verkroch mich in meinem Sessel.
»Aber es wäre falsch anzunehmen, meine Unsterblichkeit hätte mein Schädel zum Bersten voll mit Wissen werden lassen...«
Sein Blick suchte mich. Jetzt wirkte er tieftraurig.
»Wisse, John Willard, auch meine Gehirnkapazität ist begrenzt. Aber ich habe gelernt, Wissen schnell aufzunehmen, schnell verwertbar zu machen - aber nach Verwendung wieder zu löschen.«
Er kam zu mir und legte mir wieder die Hand auf die Schulter, genauso wie vorher, als wäre überhaupt nichts geschehen inzwischen.
»Das will ich dir kurz erläutern, John: Wenn du einen Sachverhalt von hohem Schwierigkeitsgrad erlernst, muss alles andere zurücktreten. Du konzentrierst dich voll und ganz auf den Sachverhalt. Sonst kannst du ihn nicht aufnehmen. Und soll es nicht ein rein reproduzierfähiges Wissen sein, abrufbereit wie zur Prüfung in der Schule, sondern soll es ein echt VERWERTBARES Wissen werden, musst du es nicht nur einfach aufnehmen, sondern in allen wesentlichen Zügen VERSTEHEN! Du musst Querverbindungen knüpfen können, du musst diesem Wissen in deinem Gehirn die Chance geben, sich gewissermaßen zu verselbständigen, dass du vollkommen damit verwächst... Wie bei der Bedienung einer Maschine, die du am Ende so beherrschst, als sei sie ein verlängerter Teil deines Körpers. Und wenn dir dies gelingt, bist du jedem Musterschüler haushoch überlegen. Bringst du es gar zur Perfektion, gewinnst du die Fähigkeit, immer schneller neues Wissen verarbeitungsfähig aufzunehmen - und anzuwenden.
Doch kehren wir zur Schule zurück, wie du sie kennst, Willard: Du erreichst dort nur ein so genanntes reproduzierbares Wissen und wenn es sitzt, bekommst du eine Auszeichnung für gutes Lernen, also gute Noten - und am Ende sogar ein Diplom. Um dieses Wissen zu behalten, musst du es in deinem Gedächtnis immer wieder reproduzieren, auch ohne Abfragen. Du musst es in deinem Kopf immer wieder kreisen lassen.
Du musst ständig dort flicken, wo Lücken entstehen. Du musst dieses Wissen ständig auffrischen, wie man dies auch nennt. Sonst kannst du die diplomierte Reife schon gar nicht erlangen.
Und damit bist du so sehr beschäftigt, dass du das Denken verlernst - die wichtigste Fähigkeit, um Wissen nicht nur zu behalten, sondern auch nutzbringend anzuwenden - und aus den rein theoretischen Fakten endlich den praktischen Nutzen zu ziehen...
Das sind dann Genies besonderer Art. Wandelnde Computer. Alles ist stets abrufbereit. Sie sind Quizmaschinen und verblüffen mit ihren vermeintlichen Kenntnissen. Aber anwenden - das muss ein anderer, der sich solcher organischen Computer zu bedienen weiß. Ja, man braucht solche Menschen auch in der Praxis. Sie sind stets die Ausführenden - auf Spezialgebieten sogar elektronischen Computern überlegen.
Doch das Rad der Geschichte - das wird stets von anderen gedreht.«
Er schloss die Augen.
»Wenn ich das so sage, dann denke ich in der Vergangenheit, John Willard. Jahrhunderte, Jahrtausende... Damals... Ja, damals, da war ich noch kein Sternenvogt gewesen. Ich war einer der Macher, nie einer der Wissenden. Und ich habe das Höchste erreicht, was ein Mensch je erreichen könnte. Aber ich war... ich war... ich war - EIN MENSCH!«
Er brüllte es hinaus: »DAMALS - DA WAR ICH NOCH EIN MENSCH GEWESEN!«
Tränen erstickten seine Stimme und ich begann, sein vorangegangenes Verhalten zu verstehen.
»Damals ein Mensch - kein unsterblicher Sternenvogt...«
Fluchtartig verließ er den Raum.
Ich blieb zurück und fühlte mich leer und ausgelaugt.
Ich hatte von ihm soeben mal wieder mehr erfahren, als ich auf Anhieb verkraften konnte. Es würde eine Weile dauern - eine Welt zu verstehen, die das Universum ausmachte. In all ihrer Tragweite. Und mit einem unfassbaren Phänomen - den Sternenvögten.
Sie waren keine Menschen mehr, sondern unsterbliche Wesen.
Ungeheuer?
Ich wandte mich der Infothek zu. Hier war alles gespeichert, was für mich wichtig war - aber nicht das, was ich soeben vom Sternenvogt erfahren hatte. Und ich wusste auf einmal, was er damit gemeint hatte, als er mir die beiden so grundsätzlich voneinander verschiedenen Arten von Wissen erläuterte.
Meine Finger berührten die Tastatur.
Ob ich es wirklich jemals schaffte, nicht nur ein Wissender zu werden, sondern ein - Anwender?
Wie ein - Sternenvogt?
Ein - MACHER?
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2
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»Wir sind da!«, verkündete der Sternenvogt.
Ich fühlte mich reichlich verschlafen. Er hatte mich mit dem Schrillen der Alarmsirene geweckt. Es klang unangenehm in meinen Ohren nach.
Aber als ich endlich begriff, was er gesagt hatte, war mein Missmut wie weggeblasen und ich fühlte mich voller Tatendrang.
Er stand vor dem Hauptschirm, vornüber gebeugt, beide Arme auf die Konsole gestützt.
Mit dem Kinn deutete er.
»Sieh es dir an, John Willard. Du kannst jetzt lesen, was der Bildschirm dir zeigt. Das heißt, du weißt die Zeichen zu deuten, weißt, dass dies nicht eine Abbildung des realen Universums ist, sondern ein interpretiertes Bild. Würdest du mit unbewaffneten Augen nach draußen sehen, hättest du nichts davon. Menschliche Augen sind für solche Räume nicht geeignet. Der menschliche Verstand kapituliert. Normale Vorstellungskraft ist völlig unzureichend, geschaffen für die Winzigkeiten einer planetaren Welt. Der Bildschirm hingegen zeigt alles so, wie du es verkraften kannst. Du verstehst und vor allem, du verwertest es in der richtigen Weise.«
Der Sternenvogt wirkte sehr gelöst bei diesen Worten und keineswegs schulmeisterhaft. Als hätten wir ein besonders aufregendes, wenngleich harmloses Abenteuer vor uns, dass es sich lohnte, sich darauf zu freuen.
»Scheinwelt!«, murmelte er fast andächtig.
Ich bezog es zunächst auf das Bild auf dem Schirm.
»Scheinwelt?«, echote ich.
Er richtete sich auf und blinzelte verwirrt.
»Äh, ja, John Willard, ich habe gesehen, du hast dich mit dem astronomischen Programm beschäftigt. Jetzt bist du gut vorbereitet.
Wir haben noch genügend Zeit, dass du dich in das System in seinem speziellen Teil einarbeiten kannst, doch vorab ein paar wichtige Informationen direkt von mir...«
Er deutete mit dem Zeigefinger auf einen der kräftigen Lichtpunkte.
»Das hier ist SCHEINWELT. Als sie entdeckt wurde, wirkte sie wie ein Paradies. Eine Welt voller Blumen, herrlicher Landschaften, grün und bunt, schneebedeckte Berge, hart und unbarmherzig in diese Landschaft eingemeiselte Schluchten... Ja, für menschliche Begriffe ein Paradies. Die Entdecker waren zunächst überwältigt davon. Den Messdaten indessen mochten sie ob dieses Anblicks überhaupt nicht vertrauen. Am liebsten wären sie auf der Stelle gelandet und wären ausgeschwärmt, ohne Schutzanzüge, dem Paradies in die offenen Arme laufend, es mit wachen Sinnen begrüßend...
Gottlob war der Kommandant des Expeditionsschiffes eine starke Persönlichkeit und gelang es ihm, diese Narren von ihrem Vorhaben abzubringen. Seine eiserne Hand war vonnöten, um die Besatzung wieder zu Sinnen zu bringen. Sonst hätte es keiner von ihnen überlebt...«
Er schöpfte tief Atem.
»Ein altes Sprichwort der Erde lautet: Es ist nicht alles Gold was glänzt! - Scheinwelt, mein lieber Willard: eine gefährliche Laune der Natur. Sie hat diese Welt so gestaltet, dass ein Mensch annehmen musste, es sei ein Paradies für ihn.
Die Wahrheit jedoch: Es gab keine Blumen, kein Blattgrün, überhaupt keine lebendige Natur - ja, nicht einmal den Schnee, der die Gipfel der Berge bedeckte! Dies alles waren nichts weiter als seltene Mineralien, in allen Farben des Spektrums und vom Zufall so angeordnet, dass dieser optische Eindruck entstand. Der ganze Planet war wie ein einziger kostbarer Juwel, aber absolut lebensfeindlich...
SCHEINWELT, ja, diesen Namen hat sie verdient. Tja, die Enttäuschung damals war entsprechend groß. Trotzdem wurde dieser Juwel kartographiert, vermessen, registriert, wie es Aufgabe der Expedition war. Obwohl man sich diese Mühe eigentlich nur machte, falls es sich um besiedelbare Welten handelte. Doch der Kommandant des Schiffes bewies Weitblick: Er dachte sich nämlich, dass diese unvorstellbare Fülle unterschiedlicher und großenteils vollkommen unbekannter Mineralien irgendwann einmal nutzbringend sein könnte...
Er irrte sich nicht, John Willard.
Du siehst hier die beiden anderen Punkte, die relativ nahe erscheinen, nicht wahr? Tja, sie sind sehr nahe sogar. Eine Dreierkonstellation, wenn man Scheinwelt mit einbezieht. Ähnlich wie Erde und Mond. Nur dass sich diese Planeten hier in ihrer Masse ziemlich ähnlich sind.
Natürlich hat eine solche Konstellation enorme geophysikalische Folgen wie Erdbeben, Springfluten und eine äußerst komplizierte Wechselwirkung von Ebbe und Flut. Das macht für die Bewohner der beiden bewohnbaren und später auch besiedelten Nachbarplaneten eine hohe Anpassungsfähigkeit erforderlich.
Zwei Umstände machten damals die besondere Auslese der irdischen Kolonisten nötig: Sie mussten sehr flexibel sein, um sich den ständig wechselnden Bedingungen optimal anpassen zu können.
Zweitens, sie mussten körperlich weit über dem Durchschnitt widerstandsfähig sein.
Schon damals war es recht leicht, aus der Fülle von Menschenmaterial, wie die Erde es darbot, die geeigneten Exemplare für die Besiedelung herauszufiltern.«
Er lachte heiser. Klang es verächtlich?
»Das menschliche Leben fasste Fuß auf den bewohnbaren Nachbarwelten von Scheinwelt. Die Männer und Frauen des Kolonisationsprogramms waren froh, der Hexenküche namens Erde entronnen zu sein, obwohl sie das sehr früh bereuten: Die Anforderungen in der neuen Welt waren sehr hoch und es gab viele Tote, bis man die entsprechenden Materialien und Methoden entwickelt hatte, aus denen man beispielsweise geeignete Behausungen fertigen konnte.
Mit der Zeit wurden sie perfekt. Sie sind längst Baumeister, wie es sie nicht einmal annähernd sonst wo im Universum gibt.
Doch diese Kunst können sie leider nicht exportieren, weil ihre besondere Bauweise eben nur auf Planeten gebraucht wird, wo es ähnliche Bedingungen gibt und das ist so gut wie nirgendwo der Fall.
Sie leben von etwas anderem: Dieses Juwel namens Scheinwelt... Sie studierten die Mineralien und fanden ihre mannigfaltige Verwendbarkeit heraus. Aus einem wunderschönen Juwel wurde die größte Kostbarkeit des ganzen Universums - zum Reichtum ihrer Besitzer, den Kolonisten!«
Er wandte sich jetzt erst mir zu.
»Du wirst es sehen und erleben, John Willard. Genauso wie viele Männer vor dir. Denn die bewohnten Planeten ALPHA und BETA sind reine Frauenwelten. Es gibt dort praktisch keine Männer - außer den importierten. Das hängt mit Scheinwelt zusammen und deren Mineralien: Sie setzen Strahlung frei. Die Männerarmut besorgt also schon der bloße Umgang mit den Mineralien.«
Ich war sprachlos.
»Ja, du wirst es sehen und erleben, John Willard, weil dich meine Mission dorthin führt. Eine gefährliche Mission, sehr gefährlich sogar, denn die besondere Situation in diesem System AARON, wie es nach seinem Entdecker genannt wird...«
Er lächelte fast entschuldigend.
»Es gibt selbstverständlich Raumfahrt in diesem System und man hat es gewagt, damit das Monopol der Sternenvögte zu verletzen!«
Jetzt war es also heraus.
Sein Gesichtsausdruck wurde hart. Seine Lippen pressten sich zu schmalen Strichen zusammen.
»Um meine Strafe zu unterwandern, schickten sie sogar ein Schiff zur Erde. Dieses Schiff soll von dort Männer kaufen. Denn die Aaroner wollen schließlich überleben. Ohne Fortpflanzung geht das schlecht.«
Ein zynisches Lächeln.
»Ein unerhörter Frevel, Willard. Ich wollte, du hättest meinen Diener James nicht umgebracht. Ihm hätte ich die Lösung des Problems zugetraut. Indessen... Das Schiff der Aarons ist unterwegs. Wir sind zwar schneller, klar und die Zeit muss reichen, das Problem zu lösen, bevor es zu einem ausgewachsenen Konflikt kommt... Denn das Schiff der Aaroner wird von der Erde aus abgeschossen, sobald es sich dort meldet. So ist es mit dem Planetenvogt vereinbart. Er ist loyal und wird das auch bleiben. Zuviel hängt für ihn davon ab.«
»Krieg?«, entfuhr es mir.
»Ja, John Willard, das bedeutet Krieg zwischen der Erde und AARON! Es sei denn, deine Mission hat Erfolg und der Konflikt kann friedlich beigelegt werden, ehe der Abschuss erfolgt.«
»Ich - als - Sternenvogt?« Erst jetzt kam mir die ganze Tragweite dessen so richtig zu Bewusstsein...
»Selten verlasse ich persönlich das Schiff!«, bestätigte der Sternenvogt meine Gedanken. »Vielleicht, John Willard, weil wir Unsterbliche feiger sind als ihr Sterblichen? Denn auch wenn ich unsterblich bin: Leider bin ich nicht völlig unverwundbar und wenn man mich atomisiert, ist es auch für mich vorbei!«
Er schüttelte sich bei diesen Worten.
Nur auf der Erde, bei diesen verweichlichten Vögten, da kannst du dich frei bewegen, ohne etwas fürchten zu müssen, Feigling!, dachte ich ketzerisch.
An diesen Gedanken konnte er allerdings nicht teilhaben, denn ich war seinem guten Rat gefolgt und hatte inzwischen gelernt, meine geheimsten Gedanken gut genug abzuschirmen.
Ein wichtiger Überlebensfaktor für mich...
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3
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Ich hatte viel gelernt.
Gott, ich hatte soviel gelernt, wie überhaupt in meinen Schädel gehen konnte, ohne dass er platzte.
Und jetzt war ich fit - im wahrsten Sinne des Wortes.
Ich war bereit für meinen Besuch.
Angekündigt war ich längst, natürlich mit dem üblichen Symbol und den üblichen Floskeln, wie es einem echten Sternenvogt gebührte...
Die Aaroner hatten sich mit meinem Besuch einverstanden erklärt.
Das war allerdings zu erwarten gewesen. Sternenvogt, das war nach wie vor Mystik, Geheimnisvolles, Unwägbares. Niemand wusste so recht Bescheid. Kunststück, wenn sogar ich immer noch nur so wenig wusste...
Die Führer der Planeten waren zwar darüber informiert, dass die Sternenvögte die Handelsflotten kontrollierten und allein daraus praktisch ihre unumschränkte Macht bezogen, aber Einzelheiten blieben ihnen verborgen.
Außerdem hatten die Sternenvögte den Nimbus des Unsterblichen und Unbesiegbaren.
Die Aaroner waren viel zu gespannt auf mein Erscheinen, als dass sie sich meinem Besuch allzu offen widersetzt hätten. Außerdem mussten sie einen Angriff befürchten und wer wusste schon, über welche Vernichtungsmittel ein Sternenvogt verfügte?
Ich Narr hatte geglaubt, ab sofort abstinent leben zu müssen und war nun unterwegs zu einem Planeten, der nur von FRAUEN bevölkert wurde...
Ich hatte meine Instruktionen und war eben gewissermaßen fit, doch mein Herr war in Wirklichkeit eher sparsam mit den Informationen umgegangen - wie ich leider erst bei näherer Betrachtung herausfand.
Anscheinend wollte er mir selber überlassen, die Lücken vor Ort zu füllen. Ich sollte mein Urteil selber fällen, eigene Eindrücke sammeln und eigene Erfahrungen machen - möglichst ›unbeeinflusst‹.
Ob ich eine Chance hatte, dies zu überleben?
Mein Herr setzte auf mich. Ein Krieg musste unter allen Umständen verhindert werden, denn die Mineralien wurden andernorts dringend benötigt. Und wenn AARON einmal zerstört war... Dann fiel dieses System auch als Handelspartner und Absatzmarkt für andere Produkte aus - zum Beispiel auch für Männer der Erde, die laut Sternenvogt in diesem System die begehrteste »Importware« überhaupt bildeten...
Die Regeln hatte ich begriffen und - ich war bereit!
Auf den Weg ging ich in der Pose eines Siegers. Schließlich hatte ich als HERR DER STRAßE einiges gelernt. Obwohl es mir längst erschien, als gehörte es zu einem vergangenen Alptraum...
Ich hatte mich geschickt angezogen, wie ich fand: Kleidung, die mich in keiner Weise behinderte und die außerdem meine Figur voll unterstrich: Mein muskulöser Oberkörper war halb entblößt - gerade so, dass man annehmen musste, ich sei in Wahrheit noch weitaus muskulöser...
Das hatte ich ebenfalls von der Straße: Es war wichtig, seine Gegner zu beeindrucken. Damit vermied man meistens unnötige, kräfteraubende Kämpfe und hatte genügend Energie für Wichtiges übrig.
Meine Haltung flößte Respekt ein. Normalerweise. Auch wenn der Sternenvogt beim Abschied breit grinste.
Ich war jedenfalls in jeder Faser meines Leibes durchtrainiert, was mich zu einer Kampfmaschine ohnegleichen machte.
Aber: genügte das wirklich? War es das Richtige?
Denn: Welche Situation würde ich eigentlich antreffen? Wie würde sich die Begegnung gestalten?
Wenn man mich bereits vor der Landung abschießt, nutzt die beste Pose nichts!
»Man wird sehen, Weiber von ALPHA, der Hauptwelt! Sonnengeborene!«, knurrte ich.
Ja, so nannten sie sich hochtrabend: Sonnengeborene!
»Hochtrabend!«, murmelte ich verächtlich - um mir noch mehr Mut zu machen.
»Wartet's bloß ab, ihr Weiber!« Ich sprach es drohend aus - um meinen Mut zusätzlich zu forcieren.
Und dann tauchte mein tropfenähnliches Raumfahrzeug in die Atmosphäre ein. ALPHA, die Hauptwelt, befand sich direkt zu meinen Füßen.
Aber man ließ mir nicht lange die Illusion der Macht: Wie aus einem Hinterhalt stürzten sich silberne Pfeile auf mich. Es mochten mindestens hundert sein, schnell wie Gedanken. Aus allen Himmelsrichtungen kamen sie und drangen auf mich ein, wie um mich zu durchbohren.
Ich hatte trotzdem den Nerv, das Abwehrsystem inaktiviert zu lassen. Nicht einmal den Schutzschirm schaltete ich ein.
So sank ich tiefer, ungeschützt.
Die ›Pfeile‹ erreichten mich fast und stoppten wie vor einer plötzlichen, unsichtbaren Mauer.
Es waren doch sicherlich Raumschiffe - ihrer Größe nach zu urteilen? Waren sie denn ›bemannt‹? Dann mussten sie enorm starke Andruckneutralisatoren besitzen, sonst hätte dieses abrupte Stoppen alles Leben an Bord zermalmt...
Oder sie besaßen einen Schwerkraftantrieb. Da gab es überhaupt keine Andruckkräfte, weder beim Beschleunigen noch beim Abbremsen.
Man konnte theoretisch von Null auf volle Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, aus dem Stand. Theoretisch! Andruckkräfte würden jedenfalls niemals auftreten...
Ich wiegte bedenklich den Kopf.
Falls es so war, wie ich vermutete, waren die Bedenken meines Sternenvogtes sogar doppelt und dreifach zu verstehen: Zum ersten Mal ging mir auf, dass die Informationen - MEINE Informationen - längst nicht mehr auf ›dem neuesten Stand‹ waren.
Es würde jedenfalls nicht mehr lange dauern, meiner momentanen Einschätzung nach und die Weiber von AARON würden das Monopol der Sternenvögte nicht nur partiell unterwandern, sondern völlig ausräumen. Es würde zu einem Handelskrieg ohnegleichen kommen. Die Ordnung des Universums wurde von hier aus nachhaltig gefährdet. Das ganze komplizierte und höchst sensible System würde zusammenbrechen und das Leben auf allen Welten tödlich gefährden!
Eigenartig, dass ich ausgerechnet in diesem Augenblick an meinen Namensvorgänger, den Sozialisten und Revolutionär John Willard denken musste...
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Den Funk ließ ich ausgeschaltet. Ich war schließlich angemeldet. Das genügte.
So sah ich es auch nicht als notwendig an, mit den Piloten der ›Silberpfeile‹ zu verhandeln. Wenn ich schon als der ›wahre‹ Sternenvogt auftrat, dann gab es nur einen Gesprächspartner für mich: Der SYSTEMVOGT! Vielleicht auch der zuständige PLANETENVOGT - zumindest jedoch eine würdige Abordnung.
Ich schmunzelte unwillkürlich: Wie nannte sich der Planetenvogt hier eigentlich? Vogtin vielleicht? Schließlich war es mit Bestimmtheit ein weibliches Wesen...
»Amazonen...« Ich schnalzte mit der Zunge.
Derweil sank mein ›Tropfen‹ sanft hinab, wie vom Wind getragen. Scheinbar federleicht und grenzenlos der Übermacht der Silberpfeile unterlegen, deren scharfe Spitzen unentwegt auf mich zeigten.
Scheinbar gelassen kontrollierte ich die Bildschirme.
Das Auge meines Herrn ruhte auf allem, was ich tat. Auch das war ich inzwischen leidlich gewöhnt: Sollte er ruhig Zeuge sein.
Zielsicher fand der Flugautomat den Palast des Systemvogts. Er oder sie war Herrscherin über ALPHA, BETA und über Scheinwelt. Das Trio war in ihrer Hand.
Wenn alle per Funk abgegebenen Versprechungen stimmten, befanden sich die drei zuständigen Planetenvögte bei ihr - inzwischen eingeflogen.
Ich ließ mir viel Zeit, um damit Überlegenheit zu postulieren.
Hoffentlich wurde es von den Aaronern auch so verstanden?
Mir war klar, dass mich bisher nur der Nimbus des Sternenvogts am Leben erhalten hatte. Es wäre für sie so einfach gewesen, mich von ihrem Himmel wegzupusten. Denn ich lieferte mich ihnen ganz offensichtlich schutzlos aus, sozusagen auf einem silbernen Tablett.
»Ich finde das falsch!«, murmelte mein Herr aus dem Lautsprecher.
»Nun, ihr habt mir freie Hand gelassen, Erhabener!«, erinnerte ich ihn kühl.
»Aber nicht zu so einem bodenlosen Leichtsinn. Was, wenn ich dich jetzt schon verliere, bevor die ganze Angelegenheit so richtig begonnen hat? Also... James wäre niemals so vorgegangen. Er hätte zumindest den Schutzschirm eingeschaltet gelassen. Die Aaroner hätten sich daran zunächst einmal die Zähne ausbeißen können.«
»Und wenn die Aaroner ihren technischen Fortschritt nicht allein auf die Raumfahrt beschränkten, sondern auch noch andere Überraschungen auf Lager haben? Zum Beispiel waffentechnische? Sie hätten den Schutzschirm anmessen können. Sie hätten seine Stärke berechnet - und vielleicht danach erst den Beschuss gewagt? So aber...
Sie müssen annehmen, dass niemand so leichtsinnig sein kann, falls er normal angreifbar ist.«
»Ein Bluff, eh?« Ich konnte mir vorstellen, dass er über mich den Kopf schüttelte.
»Wenn ihr so wollt, Erhabener: Ja!«
»Ich hoffe, dass deine Rechnung aufgeht - nicht für dich, denn wer sich freiwillig in Gefahr begibt, die nicht zu sein braucht, ist selber schuld. Aber für die Sache. Sie ist viel zu wichtig, als sie in die Hände eines Mannes wie dich zu legen. Ich bereue es tausendfach, James nicht mehr zu haben. - HERR DER STRAßE!« Er sagte es abfällig und schaltete den Lautsprecher wieder aus.
Ich hütete mich, auf seine Abfälligkeit zu reagieren. Er war schließlich der Sternenvogt - und ich nur sein Diener.
Ich leistete mir nicht einmal einen Seufzer: Nicht nur, dass ich für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen sollte, jetzt nörgelte er auch noch ständig an mir herum...
Es war mein erster Einsatz.
»Amazonen, ich komme!«
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5
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Der ›Tropfen‹ landete auf dem Dach des Palastes. Hier ging man verschwenderisch mit Platz um. Ganz im Gegensatz zur Erde.
Kein Wunder: Es gab auf drei Planeten verteilt nicht einmal eine Milliarde Aaroner.
Kaum war ich gelandet, als ein furchtbares Erdbeben den Boden erzittern ließ. Das Dach des Palastes war eine weite Fläche, aus der immer wieder, scheinbar willkürlich versetzt, Türme und Türmchen emporwuchsen. Der Boden war nicht glatt, sondern von unregelmäßigen Mustern durchzogen, die manchmal wie Risse aussahen.
Ich bückte mich neugierig, um mir den Boden genauer zu betrachten.
Die gegenwärtige Bebenwelle hätte ›daheim‹ auf der Erde völlig genügt, mindestens so viele Menschen umzubringen, wie auf allen drei Planeten insgesamt lebten. Hier waren sie anscheinend eine eher alltägliche Erscheinung, die man gewissermaßen am Rande registrierte und auch ich musste lernen, sie gelassen hinzunehmen. Je schneller, desto besser.
Der Boden war elastisch, wie aus einer Gummimasse gefertigt. Es grenzte an ein Wunder, dass ein solches Gebäude überhaupt existieren konnte, ohne in sich zusammenzusacken wie das sprichwörtliche Kartenhaus.
Ich hatte mich zu wenig mit dem Thema Materialkunde beschäftigt, auf dem Sternenflug hierher, doch es genügte eigentlich schon, dass die Aaroner im gesamten bekannten Universum als unerreichbare Meister der Baukunst galten.
Ich richtete mich wieder auf und ging auf den nächsten Turm zu, der eine Öffnung zeigte.
Das Beben dauerte an, wurde sogar noch heftiger und versetzte das Dach des Palastes in wellenförmige Schwingungen.
Das waren ja tatsächlich Risse, wie ich jetzt deutlich erkannte!
Waren die denn gewollt? Sie klafften millimeterweit auseinander und schlossen sich nach kurzer Mahlbewegung wieder.
Anscheinend war der gesamte Palast aus unterschiedlich großen Einzelteilen gefertigt, bei denen das kleinste nicht größer als ein Kieselstein sein mochte. Alle Teile waren miteinander verbunden, aber wie ich sah, konnte diese Verbindung auch mal reißen. Teile konnten sich gegeneinander sogar verschieben. Was brachte sie dann dazu, unverzüglich wieder ihren ›rechtmäßigen‹ Platz einzunehmen?
Eine fantastische Idee: Bestand der Palast etwa aus LEBENDEM Gewebe?
Ich schüttelte den Kopf und ging weiter. Natürlich nicht, sonst wäre es in den Bordinformationen gewiss enthalten gewesen.
Ich war noch auf halbem Wege zum Turm, der in Wirklichkeit viel weiter weg stand als ich ursprünglich angenommen hatte, als die Delegation aus der Öffnung trat.
Das Beben verebbte schlagartig - als sei das Erscheinen der Delegation dafür eine Aufforderung gewesen. Meine Nervosität verschwand gleichzeitig damit. Wenigstens nach außen hin. Ja, ich brachte sogar ein Lächeln zustande.
Es war das zweite Mal in meinem Leben, da ich mich unter freiem Himmel befand und dann auch noch zur Zeit eines Erdbebens, wie es die Erde gottlob niemals erlebte. Das kam als erschwerender Umstand auch noch hinzu.
Ich wunderte mich selber, dass er mir anscheinend nichts mehr ausmachte - dieser ›verdammt freie Himmel‹ über mir. War es, weil ich sowieso alle Kraft darauf verwendete, all meine Ängste und Befürchtungen möglichst vollständig zu verdrängen?
Die Damen der Delegation durften jedenfalls nichts davon merken.
Deshalb war ich froh darüber, dass die äußerliche Ruhe wieder so vollkommen erschien.
Ich blieb stehen. Wie weit waren sie noch? Gewöhnt an die beengten Verhältnisse meiner Straße war es wirklich schwierig für mich, Entfernungen im Freien zu schätzen. Das musste ich erst noch lernen.
Sie kamen auf mich zu und verteilten sich dabei.
Der Systemvogt schritt vorweg, die drei Planetenvögte hielten gebührenden Abstand. UNTERSCHIEDLICHEN Abstand sogar, wie ich erstaunt sah: Dann war die zunächst Gehende offenbar Planetenvogt von ALPHA? Oder erschien Scheinwelt den Aaronern wichtiger?
Ich schüttelte den Kopf und setzte mich wieder in Bewegung. Kurz ordnete ich meine Oberbekleidung. Geübte Griffe, wie zufällig. Die glitzernden, geschmeidigen Stoffe umschmiegten Teile von Brust und Schultern.
Die beabsichtigte Wirkung blieb nicht aus: Ich spürte prompt die Blicke der vier Damen auf meinem Oberkörper. Einer dieser Blicke glitt sogar frech tiefer: Der Blick des Systemvogts.
Ein Lächeln entstand prompt in meinem Gesicht.
Auch das kam an, denn die Damen erwiderten dieses Lächeln!
Wir trafen uns und blieben stehen.
Der Systemvogt war eine Frau unbestimmbaren Alters. Sie war groß und hatte einen durchtrainierten Körper.
Eine Amazone, wie sie im Buche steht!, dachte ich gehässig, konnte jedoch nicht verhindern, dass mein Herz unwillkürlich höher schlug.
Denn ich mochte so durchtrainierte Frauen, die trotzdem nichts von ihrer Weiblichkeit verloren hatten und keineswegs maskulin wirkten.
Solche Frauen waren in der Straße die begehrtesten. In einer Welt wie die, aus der ich kam, da war Kampfesmut und körperliche Einsatzfähigkeit eine Lebensversicherung. Wir waren wie Raubtiere in unserer Straße und die Frauen durften keine Nesthäkchen sein, sondern sie waren soweit gleichberechtigt, wie sie körperlich mitkamen. Das hatte unser Frauengeschlecht im Laufe der Jahrtausende verändert: Eine durchaus beabsichtigte Evolution, wie ich inzwischen wusste: ZÜCHTUNGSERFOLGE! Denn man legte es darauf an, Menschen zu züchten, die sich in feindlicher Umgebung behaupten und sogar fortpflanzen konnten - in einer Umgebung, in der Mann und Frau im gleichen Maße gefordert wurden.
Und wenn eine Frau dann auch noch nichts von ihrer Weiblichkeit eingebüßt hatte...
Wenn ihr straffer, durchtrainierter Körper diese Weiblichkeit dann auch noch in aufregender Weise unterstrich...
Ich hätte niemals eine weiche Frau mit - wie ich fand - ›schwammigen‹ Formen begehrt!
Der Anblick des Systemvogts schnürte mir jetzt die Kehle zu... Ich betrachtete sie scheinbar ungeniert und konnte es nicht verhindern, obwohl sie es gewiss als Unschicklichkeit sonders gleichen empfinden musste.
Aber sie war eine Aaroner und keine gewöhnliche Frau: eine Amazone eben! Den begehrlichen Blick eines Mannes konnte sie unmöglich als Beleidigung empfinden, wo sie Männer doch für gewöhnlich als Ware betrachtete: Man benutzte sie, so lange sie eben als Männer funktionierten...
Sie lächelte mich an, stolz, hocherhobenen Hauptes.
Noch einmal betrachtete sie mich von Kopf bis Fuß, dass mir heiß und kalt zugleich wurde.
War es die Abstinenz während der Reise, die sich jetzt zusätzlich bemerkbar machte?
Ich verfluchte es, dass es mir nicht gelang, mich besser in den Griff zu bekommen.
Der Systemvogt hatte große, ausdrucksvolle Augen. Ihre Wangenknochen lagen hoch, waren sehr ausgeprägt. Sie hatte eine fein geschnittene Nase, einen vollen Mund und wenn sie die Zähne zum Lächeln bleckte, waren sie schneeweiß und makellos.
Das dichte Haar war halblang gehalten. Das Gesicht war nur leicht geschminkt.
Ich wusste aus den Informationsspeichern an Bord des Sternenschiffes, dass die Sitte des Schminkens auch auf AARON gepflegt wurde. Die Frauen wollten allerdings nicht den Männern damit besser gefallen - sondern lediglich SICH SELBST!
Sie hatte ein weites Gewand übergeworfen. Ich hegte den berechtigten Verdacht, dass sie darunter splitternackt war.
Das Gewand ließ eine Schulter frei, fiel locker herab und streichelte beim Ausschreiten wie zärtlich den schlanken Körper.
Die nackte Schulter! Sie war nicht eckig wie bei einer untrainierten, mageren Frau, wie es sie auf der Erde höchstens unter den Privilegierten gab. Sie war auch nicht in meinem Sinne ›schwammig‹. Sie war wohl gerundet und das waren Muskeln. Nicht faserig, etwa fast entblößt vom Bindegewebe wie bei einem Mann, deshalb auch nicht zu hart erscheinend... Nein, dies war die anmutigste Schulter, die je meine männlichen Augen gesehen hatten und ich spürte den unbändigen Wunsch, diese Schulter mit meinen Händen zu berühren, sie sanft zu streicheln, mit meinen Lippen zu...
»Verwirrt, Erhabener?«, fragte sie.
Oh, diese Stimme...
Warum ging ihr Klang so tief in meine Brust, durchbohrte mich unbarmherzig, breitete sich aus und ergoss sich heiß in meine Lenden?
Ich fuhr unwillkürlich zusammen, pochte mit der geballten Rechten gegen die linke Brustseite und deutete eine knappe Verbeugung an.
»Ihr Diener, Erlauchte! Ich kam, um mich persönlich davon zu überzeugen!«
»Wovon?«, fragte sie alarmiert.
Ich lächelte entwaffnend: »Von Ihrer Schönheit!«
Sie lachte glockenhell.
»Ein wahrer Sternenvogt!«, rief sie aus.
»Ein - Mann!«, flüsterte eine hinter ihr.
Damit wollte sie nicht etwa widersprechen... Ich begegnete den Blicken der drei. Diese Frauen waren hingerissen von mir. Nein, das war wahrlich nicht zu übersehen.
Aber sie waren tödlich gefährlich. Das durfte ich nicht vergessen.
Und endlich erinnerte ich mich wieder meines Auftrages, der mich hergeführt hatte.
Und ich legte den Kopf in den Nacken, um die mindestens hundert schwer bewaffneten ›Silberpfeile‹ zu betrachten, die sich bedrohlich nahe über mir befanden. Aus jeder dieser Spitzen konnte tausendfach der Tod sprechen...
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6
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Ich lächelte die drei an - natürlich ein wenig unverbindlicher als ich es beim Systemvogt tat.
»Ich bedaure zutiefst, dass Sie mit einem Mann als Verhandlungspartner vorlieb nehmen müssen. Ich kann mir vorstellen, dass es Sie große Überwindung kostet, aber ich verspreche Ihnen, dass ich mich durchaus zu benehmen weiß. Ich verspreche Ihnen außerdem, dass ich mich Ihnen würdig erweise, nicht wie ein Mann, sondern gerade so wie eine - Frau.«
Vor dem Wort Frau zögerte ich nur kurz. Eigentlich wollte ich Aaroner sagen, aber das ließ ich dann doch bleiben, denn ich fand, dass ich auch so schon genug übertrieb.
Die eine, die hingebungsvoll geflüstert hatte: »Ein Mann!«, fuhr erschrocken zusammen: »Oh, Erhabener, ich bitte vielmals um Vergebung, aber so war das wahrlich nicht gemeint! Eine ungehörige Bemerkung, die mir so herausrutschte, die aber keine negative Bedeutung hatte: Wir sind hier im System AARON durchaus in der Lage, auch gegenüber Männern Gleichberechtigung walten zu lassen und niemand vergisst auch nur für eine Sekunde, wen wir in Ihrer Person vor uns haben, Erhabener!« Sie verbeugte sich tief.
Während ich noch überlegte, ob ich das nun wirklich als eine Entschuldigung ansehen konnte, zischte der Systemvogt: »Ja, so ist es recht!«
Ich winkte mit beiden Händen ab und lächelte mein charmantestes Lächeln, ehe die Situation noch peinlicher geriet.
»Ich nehme die Entschuldigung selbstverständlich an. Ja, wie könnte ich dies einem Aaroner ablehnen? Die Schuld liegt einzig bei mir. Vielleicht hatte ich dort Ironie herausgehört, wo sicherlich keine beabsichtigt war?«
So, jetzt konnten sie darüber nachgrübeln, wie ICH das meinte: Das Lächeln fiel mir zunehmend leichter.
Der Systemvogt riss die Arme zum Himmel.
Eine gebieterische Geste, die mich wieder an die bedrohliche Macht der hundert Silberpfeile erinnerte.
Aber zunächst achtete ich gar nicht darauf, was diese Geste bewirkte, sondern bewunderte die nun völlig entblößten Arme des in diesem Universum gewiss anmutigsten Systemvogts überhaupt...
Langsam legte ich den Kopf in den Nacken.
Die Silberpfeile lauerten. Alle Spitzen waren anscheinend haargenau auf mich gerichtet.
Also doch Schwerkraftantrieb, sonst hätten sie dieses Kunststück nicht fertig gebracht.
Die Geste der Gebieterin genügte, um die Silberpfeile auseinander fliegen zu lassen, als hätte es im Zentrum ihrer engen Formation eine Detonation gegeben.
»Ich befürchte das Schlimmste!«, flüsterte der kleine Ohrring links.
Die Stimme meines Herrn. Ich hätte sie gern abgeschaltet, aber das ging nicht. Ich hätte den Ohrring abziehen und wegwerfen müssen. Doch wie konnte ich das wagen?
»Ich wollte, James wäre am Leben. Ich wollte, ich hätte nicht einen solchen Narren an die Front geschickt. Lüstert nach dem schlimmsten Feind der Sternenvögte. Wahrhaft widerlich, das. Du machst in der Tat Geschichte - aber nicht mit dem Kopf, sondern mit der Kraft deiner Lenden.«
Liebend gern hätte ich darauf erwidert: »Das ist noch gar nicht entschieden!«, aber das wäre nicht möglich gewesen, ohne die Aufmerksamkeit der Vögte zu erregen.
Sie schaute mich wieder an, die eine, die Gebieterin über drei Planeten. Eine Augenbraue war leicht nach oben verrutscht. Das ließ sie energisch erscheinen - und überlegen. Über Leben und Tod. Ein wenig auch - über mich.
Sie ist die absolute Herrscherin!, dachte ich und mir war ungewöhnlich heiß bei diesem Gedanken.
Eines ließ ich dabei völlig außer acht (vielleicht, weil mein Herr nicht ganz unrecht hatte, wenn er annahm, dass mein Kopf nicht hundertprozentig bei der Sache war?): Möglicherweise hatte sich nicht nur die Raumfahrttechnik im System AARON weiterentwickelt, sondern sogar die Kultur und vielleicht über allem - das Gesellschaftssystem?
Ich hätte es gleich berücksichtigen müssen, aber ich kam einfach nicht darauf - nicht von allein jedenfalls...
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7
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Die Delegation geleitete mich zur Öffnung im Turm. Um meinen ›Tropfen‹ brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Der stand gut da oben auf dem Dach. Er würde sich durchaus zu verteidigen wissen, falls sich jemand unbefugt daran zu schaffen machte.
Im Turm befand sich eine Art Fahrstuhl. Wir hatten genügend Platz darin, denn er hatte einen Durchmesser von schätzungsweise fünf Metern.
Ich war ein wenig stolz darauf, dass ich das so gut schätzen konnte, nachdem ich mich auf dem Dach des Palastes so sehr in der Entfernung geirrt hatte.
Der Fahrstuhl sank so rasch, dass ich glaubte, die letzte Mahlzeit wollte wieder aus meinem Magen heraufkommen. Trotzdem war ich froh, der Dachfläche unter freiem Himmel endlich entronnen zu sein und in das Innere des Gebäudes zu kommen.
Je tiefer, desto besser!
Die Delegierten beobachteten mich aufmerksam. Ich tat ganz so, als würde ich es nicht bemerken und heuchelte starkes Interesse für den Fahrstuhl.
Er war fast kreisrund und bestand aus dem gleichen Material wie das Dach, schien mir. Manchmal bewegten sich die Wände, als wäre draußen etwas, was sie eifrig massierte.
Seltsam...
Der Systemvogt lächelte über mein Interesse. »Die Kabine ist selbstverständlich nicht aufgehängt, wie es auf anderen Welten oftmals üblich ist. Sie wird auch nicht von einem Kraftfeld getragen.
Stellt Euch vor, bei einem kurzfristigen Energieausfall...
Außerdem erschien es uns zu aufwendig. Deshalb wird die Kabine von den Wänden selbst gehalten. Versteht Ihr, Erhabener? Es ist wie in einer Speiseröhre, in die etwas hineingleitet - oder noch besser in einem Darm!«
Ein Vergleich, der mich unwillkürlich schlucken ließ.
Sie lachte ihr glockenhelles Lachen.
Ich strahlte sie prompt an und ihr Lachen verstummte. Sie leckte sich blitzschnell über die vollen Lippen. Glut sah ich in ihren Augen und das brachte mein Inneres erneut in Wallung. Ich konnte diesem verzehrenden Blick nicht mehr ausweichen.
Dich hat es genauso erwischt wie mich, Mädchen!, dachte ich in einem kurzen Anflug von Schadenfreude, obwohl ich dafür weiß Gott keinen Grund hatte.
Sie löste ihren Blick von mir und ich atmete dankbar auf.
Wir rutschten immer tiefer in die ›Speiseröhre‹ hinein, bis die Abwärtsfahrt rucklos stoppte.
»Wie wird das System eigentlich gesteuert?«, erkundigte ich mich scheinbar interessiert.
Lächelnd erläuterte sie: »Durch Rezeptoren, ähnlich dem Nervensystem. Das Gebäude ist völlig durchdrungen von ihnen.
Selbständig leiten sie alle Impulse weiter. Sie reagieren auf Zug, Druck, Temperaturveränderungen und sind nicht durch Kabel miteinander verbunden, sondern übermitteln Daten unmittelbar: Immer wenn die Rezeptoren voneinander getrennt werden, streben sie wieder zusammen, denn sie nehmen impulsartig Energie auf und geben Energie ab. Die Energie, die sie untereinander austauschen, enthält in den messbaren Schwankungen die Information.«
Ich hatte zwar kaum etwas davon verstanden, aber es beeindruckte mich dennoch.
»Und dann sind es also diese Rezeptoren, die es schaffen, die einzelnen Teile des Gebäudes zusammenzuhalten?«, erkundigte ich mich - mir Mühe gebend, Verständnis zu heucheln.
»Selbstverständlich nicht!«, konterte sie nachsichtig. »Das wäre viel zu energieintensiv, die reinste Verschwendung. Unser System verbraucht in Wirklichkeit ein Minimum an Energie, weil die Rezeptoren nur dann einen Verbrauch haben, wenn sie melden oder eine andere Arbeitsleistung erbringen. Die Teile an sich sind so geformt, dass sie MECHANISCH ihre richtige Lage einnehmen. Wir bauen nämlich nach dem Prinzip des so genannten Zyklopenmauerwerks, wie man es vom ersten Altertum der Menschheit her kennt: Die einzelnen Steine waren schon damals passend zueinander zurecht geschliffen worden. Sie fügten sich somit fugenlos aufeinander und aneinander und waren dabei stets von unterschiedlicher Gestalt und auch unterschiedlicher Größe. Nur so werden alle auftretenden Kräfte auch unterschiedlich verteilt. Ein berechenbares Kräftemuster entsteht.
Das Zyklopenmauerwerk des ersten Altertums trotzte praktisch jedem Erdbeben, egal welcher Stärke, obwohl es keinerlei Mörtel zwischen den Steinen gab. Aber gerade das Fehlen einer festen Verbindung machte das aus! Denn bei jeder Störung, die stark genug war, das Grundmuster zu verändern, entstand dieses Grundmuster danach automatisch neu.
Ohne zusätzlichen Energieaufwand, einfach mit Hilfe der Schwerkraft den Gesetzen der Mechanik folgend. Deshalb wogen die einzelnen Brocken auch soviel.
Noch im zwanzigsten Jahrhundert der damaligen Zeitrechnung rätselten irdische Wissenschaftler über den Sinn und Zweck dieser Bauweise, weil das Wissen darum verloren gegangen war.
Wir hier haben es neu kultiviert, nach all den Jahrtausenden seit damals.«
Ich war jetzt so beeindruckt, dass ich es nicht mehr länger leugnen konnte. Nicht nur, weil diese Damen anscheinend sehr gut informiert waren: Das eben geschilderte Grundprinzip der Bauweise war von den Aaronern erheblich weiterentwickelt worden, sonst hätte man nicht solche Paläste im System AARON bauen können.
Sie las mir die Gedanken gewissermaßen von der Stirn ab und lächelte stumm dazu. Wahrscheinlich würde sie außer dem Grundprinzip nichts über ihre Baukunst verraten, denn das war einmalig im gesamten Universum und machte die Aaroner auch als Baumeister so berühmt.
Nur schade für sie, dass sie es interplanetarisch wohl kaum vermarkten konnten, weil solche extremen Bedingungen nirgendwo sonst herrschten.
Um nicht gar zu dumm zu erscheinen, beschloss ich eine letzte Bemerkung: »Also sind es letztlich die Rezeptoren, die über die rein mechanisch erfolgende Selbstkorrektur hinaus den entscheidenden Anstoß geben, falls es doch nicht so ganz von allein klappt - und in Gang gesetzt werden sie durch die auftretenden Veränderungskräfte, denn in einem Erdstoß steckt genügend Energie, die man auf diese Weise gleich mehrfach nutzen kann. Stimmt's?«
Sie war ehrlich überrascht. Anscheinend hätte sie soviel Scharfsinnigkeit einem Mann niemals zugetraut.
Jedenfalls schien es mir gelungen zu sein, das Image des Sternenvogts wieder zurechtzurücken. Mein Herr und Meister war derselben Meinung, denn ich hörte seinen ergebenen Seufzer aus dem Ohrring links.
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Brust vor Stolz schwoll.
Prompt richteten sich aller Blicke darauf.
Ach, das ewig Männliche ziehet euch hinan?, dachte ich ketzerisch.
Die Damen schienen noch zu überlegen, ob sie mich nun eher als Sternenvogt oder doch lieber mehr als ein Wesen mit männlichem Geschlecht ansehen sollten. Neutral ordneten sie mich zur Zeit auf jeden Fall NICHT ein. Das war schon von der ersten Sekunde unserer Begegnung an klar gewesen.
Obwohl - mein Herz gehörte längst dem Systemvogt allein.
Ich hätte niemals für möglich gehalten, dass ein so kalter und eigentlich geschlechtsloser Begriff so sexy wirken könnte.
Zärtlich klang er in meinem Kopf nach...
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8
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Wir traten ein.
»Mein Büro!«, erläuterte sie. Wieso tat sie das mit solchem Nachdruck? »Ehe die Versammlung komplett ist, vergeht noch eine Weile. Wir sollten diese Zeit nutzen - schlage ich vor, Erhabener, ganz mit Verlaub...«
»Nur zu!«, sagte ich stirnrunzelnd. »Versammlung?«
»Gewiss, Erhabener. Seid Ihr nicht mit unserem Gesellschaftssystem vertraut?«
»Nun, ich dachte, ich wäre es... bis zur Landung.«
Sie räusperte sich verhalten.
»Die Vögte sind nicht mehr von Geburt an für ihre Aufgabe bestimmt, sondern sie werden aus dem Volk vom Volk gewählt.«
»Was?« Ich konnte mir überhaupt nicht vorstellen, wie ein solches System denn funktionieren sollte.
»Demokratie, Erhabener!« Für meinen Geschmack hörte es sich zu belehrend an. »Es hat in den letzten Jahrhunderten nach und nach eine gesellschaftliche Umstrukturierung gegeben. Auslöser dafür war letztlich die wachsende Dekadenz der Vögteklasse gewesen. Die Vögte und Untervögte waren nicht mehr in der Lage, die Staatsgeschäfte zur vollkommenen Zufriedenheit des Volkes wahrzunehmen. Sie wurden schließlich ganz abgelöst. Eine Weile wurden sie als Relikt der Vergangenheit gepflegt, ohne Befugnisse, lediglich aus Gründen der Repräsentation. Allerdings - wie kann man gerade diejenigen als Repräsentanten pflegen, die so total verweichlicht und dekadent sind, dass es einem graust, wenn man sie nur ansehen muss?« Sie rief es richtig erbost aus. »Wir haben sie gänzlich abgeschafft und pflegen seitdem konsequent die Demokratie!«
»So, so?«, machte ich. Es klang ein wenig kläglich.
Sie überging es einfach.
»Der Staat ist bei uns in Zellen aufgebaut. Dabei hat jede Zelle ihren eigenen Führer.«
MAFIA-Methode!, durchzuckte es mich. Ja, geradewegs wie auf der guten, alten Mutter Erde. Die Straße war dort die kleinste Zelle. Ich war HERR DER STRAßE gewesen...
»Nur die Führer einer Zelle können Delegierte wählen. Die Delegierten wiederum wählen in der Delegiertenversammlung ihre Abgeordneten. Die Abgeordneten bilden in einem weiteren Wahlgang das Abgeordnetenhaus mit ihren wichtigsten Vertretern und das Abgeordnetenhaus wiederum ist zuständig zur Bildung des Parlaments.
Seine Mitglieder nennen wir Parlamentarier. Sie erst sind befugt, die Gebietsregierung zusammenzustellen...«
»Und - und die Vögte?«, warf ich ein.
»Jeder Chef einer Gebietsregierung ist gewählter Untervogt oder Subvogt - je nach Größe des Gebietes, über das er regiert. Den Titel erhält er lebenslänglich, auch wenn er einmal abgewählt werden sollte. Solche abgewählten Vögte erhalten anschließend Aufgaben in Verwaltung, Wirtschaft und Industrie.«
Sie war anscheinend ganz besonders stolz auf ihr System, denn sie schöpfte tief Atem und fügte erfreut hinzu: »Die Unter- beziehungsweise Subvögte bilden die Hauptversammlung, aus der ein Planetenvogt hervorgehen kann. Er bestimmt die Kandidaten für die Planetenregierung und diese Kandidaten müssen einzeln mehrheitlich von der Hauptversammlung der Vögte bestätigt werden.«
»Und Ihr seid der Systemvogt? Wurdet Ihr gewählt von den Planetenvögten?«
»Nein, nicht direkt, sondern nur indirekt: Die Planetenvögte von ALPHA und BETA schlagen nur vor und beide Regierungen müssen bestätigen. Dies gilt nicht allein für den Systemvogt, sondern auch für den Vogt von Scheinwelt, denn dort leben zu wenige Menschen und diese sind auch nur vorübergehend dort, mit Zeitverträgen. Sie haben die Aufgabe, die vollautomatischen Förderungs- und Vorfertigungsanlagen zu überwachen.«
»Dann möchte ich eigentlich nur noch eines wissen, Systemvogt: Wie findet eine solche Wahl statt? Ich nehme an, jeder will dieses Amt erreichen. Und - wie habt Ihr es geschafft? Wie ist übrigens die Stellung des Vogtes von Scheinwelt?«
»Die einfachste, Sternenvogt. Eine Stufe höher ist BETA, dann kommt ALPHA und schließlich - ich.«
»Und wie...?«
Sie musterte die anderen drei feindselig. Ja, ich glaubte, echte Feindseligkeit in ihrem Blick zu sehen.
Sie waren harte Konkurrentinnen, wie ich es bereits geahnt hatte.
Demokratie?
»Und...?«
Sie gab sich sichtbar einen Ruck. »Nun, es ist eine Wahl... sagen wir: ganz besonderer Art.« Sie schürzte die Lippen wie zum Kuss. »Es ist eher ein Kampf der Stärke - und Stärke gewinnt auf jeden Fall.
Ich bin die Stärkste im System AARON und diese Stärke wird von den Wahlberechtigten anerkannt und durch ihr Votum bestätigt. Das ist alles.«
Demokratie?, ging es mir wieder durch den Kopf. Ich gab mir selbst die Antwort - ohne es jedoch laut auszusprechen: Eine Konkurrenzgesellschaft. Eine künstlich geschaffene Gesellschaftsevolution, wenn man so will - mit dem Recht des Stärkeren. In einer jungen Demokratie nutzen die Starken ihre Macht nicht so rigoros, freundlich Gesinnte zu protektieren, um durch sie weitere Unterstützung zu bekommen. Das wäre der frühe Tod einer jeden Demokratie, denn zu schnell würden zementierte Monopole entstehen. Zu früh würde man wieder dort sein, wo alles begonnen hatte: Bei genau festgelegten Machtstrukturen und somit beim Recht auf Macht durch Geburt, um niemals das Zepter an ›Fremde‹ übergeben zu müssen.
Im System AARON schien die Sache namens Demokratie noch zu funktionieren, sonst wäre die Feindseligkeit der Rivalinnen nicht so offensichtlich gewesen: Man hätte sich arrangiert, zum gegenseitigen Nutzen und zur gemeinsamen Bevormundung (und damit Verdummung!) des Volkes, das in einer Mitbestimmung schwelgte, wie sie fadenscheiniger gar nicht sein konnte...
Das ist normalerweise der Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur!, dachte ich zerknirscht: In der Demokratie darf man glauben, frei zu sein und in der Diktatur weiß man definitiv, dass dem nicht so ist!
Wenn ihr die Feindseligkeit nicht nur gespielt habt... Ja, dann klappt es bei euch noch. Und das nach Jahrhunderten?
Ich war ehrlich gespannt auf die Versammlung, die anscheinend extra meinetwegen anberaumt worden war.
Ich richtete mich hoch auf und sagte kühl: »Es ist im Grunde genommen der Systemvogt, der für einen Sternenvogt als Gesprächspartner infrage kommt - und nicht eine anonyme Versammlung!«
Alle wandten sich mir zu - und zeigten offene Missbilligung.
»Jetzt ist dein Spiel aus!«, drang es gehässig aus dem linken Ohrring.
Ich blieb ruhig, ja äußerlich sogar gelassen.
»Der Systemvogt ist nicht befugt, alleinige Entscheidungen zu treffen!«, belehrte mich eine der Damen.
»Aber der Sternenvogt!«, entgegnete ich lächelnd, »und die teilt er dem Systemvogt mit - allgemeingültig für alle!«
Der Systemvogt schüttelte heftig den Kopf. »Dann müsste ich Eure Entscheidungen nicht nur rechtfertigen, sondern auch - persönlich durchsetzen!«
Mein Lächeln gefror. »Aha, ich verstehe: Der Systemvogt ist nicht stark genug dafür! Nun gut, ich nehme die Herausforderung an!«
»James, wo bist du?«, rief es im Ohrring verzweifelt.
Ich blieb unerschütterlich: »Wenn der Systemvogt die stärkste Macht im System ist, dann ist der Sternenvogt mehr als das. Und dort, wo der Systemvogt sich durchzusetzen weiß, fällt es dem Sternenvogt umso leichter. Sonst ist er es nicht wert, ein Sternenvogt zu sein...«
»Nein!«, schrie mein Herr und Meister. Ich sah ihn förmlich vor meinem geistigen Auge, wie er vor den Kontrollen saß, händeringend, mit Tränen in den Augen, völlig am Ende mit seinen Nerven - und mit seiner Geduld...
Die vier Damen schauten mich beeindruckt an.
»Die Demokratie ist eine zarte Pflanze, an der die Kräfte nagen und sie kann nicht schnell genug nachwachsen, um ihr Verschwinden letztlich zu verhindern - und Platz zu machen einer Papierblume als Attrappe. Es sei denn...« Ich atmete einmal tief durch. »Es sei denn, es gibt Kontrollmechanismen - ähnlich der Rezeptoren, die im Ernstfall nachhelfen, damit alles wieder ins rechte Lot gerät.«
In ihren Augen blitzte es.
Ich fuhr fort: »Der Systemvogt kann also niemals unumschränkter Herrscher sein. Es gibt Kontrollorgane und diese Kontrolle erfolgt stets von unten nach oben und niemals umgekehrt.
Einer der Kontrollmechanismen ist die Versammlung und in einer wirklich funktionierenden Demokratie siegt nicht allein die Reklame, sondern vor allem die Überzeugung durch Taten!«
Sie zeigten sich auf einmal sehr zuversichtlich.
Ich war es selber, obwohl mein Herr und Meister es anscheinend nicht verstehen konnte.
Ich dachte: Jetzt habe ich nur noch einen einzigen Gegner, bevor ich vor die Versammlung trete. Und wenn ich diese Hürde genommen habe, trete ich mit der stärksten Lobby auf, die in einem solchen System möglich ist - für einen im Grunde genommen völlig Fremden (und dann auch noch für einen Mann).
Der Systemvogt gab mir ungewollt recht, als er mit einer gebieterischen Geste die anderen hinausschickte - aus seinem Büro.
Sie gehorchten zögernd, aber es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich dem Wunsch ihres Systemvogts zu beugen.
Der Kampf beginnt!, dachte ich - und freute mich unbändig darauf, während es in meinem linken Ohrring unaufhörlich haderte...
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9
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»Hast du eine Ahnung, wie einsam ein Sternenvogt ist?«, fragte ich brüchig, sobald wir allein waren. »Und wie einsam ist - ein Systemvogt?«
Kurz warf sie einen Blick zur Tür hinüber. Nicht hilfesuchend etwa, sondern eher nachdenklich.
Dann schaute sie mir voll ins Gesicht.
»Wir sind Feinde!«
Ihre Augen glitzerten kalt, abweisend.
»Nein!«, widersprach ich. »Wenn schon, dann sind wir - Rivalen!«
Sie betrachtete mich wie eine Schlange, die ihr Opfer belauert - auf Gelegenheit für den tödlichen Biss.
»Wir...«, begann sie, unterbrach sich jedoch.
Ich wandte mich einfach ab von ihr, drehte ihr den Rücken zu und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.
Mit geschlossenen Augen legte ich den Kopf in den Nacken.
»Glaubst du wirklich, es muss so sein, wie es dir erscheint?«
Mein Ohrring: »Was ist das: Theater oder Politik? Das Maß ist übervoll, mein Freundchen!«
Ich hätte ihm gern gesagt: »Theater oder Politik - wo liegt da der Unterschied?« Aber ich versagte es mir, sondern konzentrierte mich auf meine Rolle.
»Du siehst im Sternenvogt ein Monopol, nicht wahr? Du glaubst, wir wären vergleichbar mit den alten Vögten, wir würden das Universum unterdrücken, ausbeuten, knechten - durch künstlich geförderte Abhängigkeit von uns.«
Ich machte wieder auf dem Absatz kehrt, wandte mich ihr voll zu und begegnete ihrem kalten Blick.
»Du irrst! Ein Sternenvogt ist niemals ein Herrscher, sondern ein Verwalter. Wir verwalten das Universum und hüten die Ordnung. Wir sind nicht die Ordnung selber. Auch wenn wir dir als Monopolisten erscheinen: Das System ist überaus empfindlich, ungleich empfindlicher noch als eure Demokratie und bedarf der ungebrochenen Aufmerksamkeit eines verlässlichen, unbestechlichen Hüters. Sobald diese Ordnung gestört wird, beispielsweise durch Konkurrenz, richtet sich aller Kraft auf den Konkurrenzkampf und nicht mehr auf das Stillen notwendiger Bedürfnisse aller Handelspartner. Was also im System AARON zu einer großartig funktionierenden Demokratie geführt hat - würde das Universum vernichten. Denn nirgendwo...« Jetzt kam die entscheidende Stelle! »... nirgendwo ist der Mensch so reif für eine Demokratie wie im System AARON und diese Reife wäre nötig, eine Institution wie den Sternenvogt völlig zu entmonopolisieren! Ja, richtig gehört, diesmal benutze ich das Wort Monopol, aber nur in Abgrenzung zu der Alternative WAHLFREIHEIT! Denn nur in einem Universum, das die Reife etwa wie im System AARON erreicht hat, wäre es sinnvoll, die Sternenvögte durch Wahl zu bestimmen. Und ich bin hier, um zu beweisen, dass jeder Sternenvogt zu Recht sein Amt verwaltet - obwohl ihn niemand da rein gewählt hat. Kannst du dir das vorstellen: Jemand, der seit Jahrtausenden mit ungebrochener Gewissenhaftigkeit vorgeht, als wäre er der ständigen Kontrolle von unten ausgesetzt? Denn es gibt eine Kontrolle, die ist noch wirksamer: Erfolg oder Misserfolg! Und jede Art von Misserfolg lässt das Universum brennen!«
Sie schüttelte den Kopf.
»Du verstehst nichts!«, behauptete sie. »Nicht dein Amt macht uns zu Feinden, denn was du zu erklären versuchst, habe ich längst begriffen...«
Ich runzelte irritiert die Stirn. Auf einmal war ich gar nicht mehr so selbstsicher wie noch vor Sekunden. Was war falsch?
Gottlob blieb mein Herr und Gebieter stumm. Der hätte mir gerade noch gefehlt.
»Ich will es dir sagen und verzeih mir meine Respektlosigkeit, Sternenvogt: Du bist kein Mann!«
»Wie bitte?«, entfuhr es mir.
»Nicht einmal ein richtiger Mensch!«
»Ein Sternenvogt...«, krächzte ich. Was war aus meinem so großartigen Erfolgsrezept geworden? Hatte ich nicht noch vor Sekunden so getan, als hätte ich ganz AARON längst in der Tasche?
Und jetzt?
Sie ergänzte: »... ein Sternenvogt ist ein Neutrum, auch wenn er aussieht wie ein Mann. Das ist eine sehr ungleiche Verhandlungsbasis, findest du nicht auch? Menschen haben Gefühle, von denen du nicht einmal etwas ahnst. Denn du - funktionierst ganz einfach nur!«
Ich lachte laut auf.
»Menschen? Männer und Frauen!«
»Ja, Männer und Frauen!«, rief sie ärgerlich. »Wie könntest du den Unterschied zwischen dir und uns verstehen? Eine Frau kann unter Umständen kälter sein als ein Mann. Eine Frau hat ein weniger stark ausgeprägtes Gefühlsleben als ein Mann. Sie erträgt Schicksalsschläge leichter und kann logischer Entscheidungen treffen, falls sie es gelernt hat, mit ihren Gefühlen umzugehen - wie es in anderen Gesellschaften, also auf anderen Welten, für gewöhnlich nur die Männer lernen müssen. Aber da es uns Frauen leichter fällt, sind wir den Männern bei gleichen Voraussetzungen überlegen. Wie könntest du allein dieses begreifen...?«
»So ganz als Neutrum, nicht wahr?« Ich grinste sie breit an. Das missfiel ihr erheblich.
»Ein Problem, das man nicht sachlich und nüchtern beleuchten kann, entgleitet einem ins Emotionale. Man beginnt, Fehler zu machen. Man verlernt Selbstkritik, wo das Herz mit im Spiel ist.«
»Probleme, die ein rechtes Neutrum sowieso niemals anfechten, wie?«, spottete ich.
Ich näherte mich ihr, während sie sich immer mehr in Eifer redete.
»Es macht uns zu Todfeinden, Sternenvogt! Ich muss dich hassen, um mich zu schützen. Wir alle müssen dich hassen und müssen dir den Tod wünschen, weil du keiner von uns bist und niemals sein kannst und weil du deshalb unsere Belange nicht wahrnehmen darfst. Einfach, weil du sie nicht verstehst! Denn unsere Belange, das können niemals deine Belange sein! Dies ist...«
Ich war jetzt so nahe, dass ich sie leicht in die Arme hätte nehmen können. Aber ich tat es nicht - NOCH nicht!
Ihren Redeschwall unterbrechend sagte ich: »... dies ist ein Vorurteil! Aber du könntest dich sehr leicht vom Gegenteil überzeugen - hier und heute. Ich bin da, stehe dafür zur Verfügung. Voll und ganz!«
Ihr Blick glitt unwillkürlich tiefer. Mir wurde mit jedem Zentimeter heißer.
Ihr Blick blieb hängen. Ihre Augen weiteten sich. Ihre Nasenflügel bebten.
Sie wollte nicht glauben, was sie sah. Ihre rechte Hand schwebte auf mich zu. Mein Atem wurde schwer. Ich zitterte leicht, ohne es verhindern zu wollen.
Und dann berührte sie mich und es war wie ein gewaltiger Stromstoß, der durch meinen erhitzten Körper raste.
Diese Göttin von einem Systemvogt: Was für eine geschickte Hand!
Und jetzt auch mit der Linken.
Sie hob den Kopf, damit ich ihr glühendes Gesicht sehen konnte.
Ihre Brust hob und senkte sich in tiefen Atemzügen. Sie streifte mein Gewand auf, entblößte mich, senkte wieder die Augen.
Und auch ich schickte meine Hände auf die Wanderschaft, schob das Gewand von ihrer Schulter.
Als ich den nackten Busen sah...
»Natürlich bin ich - ein Mann!«, ächzte ich. »Und du? Ein Systemvogt? Keine Frau?«
»Doch, eine Frau!«, flüsterte sie und drängte sich fordernd an mich.
Ich streichelte ihre straffen Brüste, schickte die Hände tiefer und öffnete mir ihre Schenkel.
Wir sanken nieder...
*
»Turdelnder, sexbesessener Narr!«, schimpfte die Stimme meines Herrn und störte damit brutal dieses abklingende Wonnegefühl, das mich tief durchatmen ließ.
Ich spürte den Körper dieser berauschenden Frau. Aber sie erregte mich nicht mehr. Es tat einfach gut, sie zu spüren - nur zu spüren.
»Was hast du uns da bloß eingebrockt!«
Ich hatte das Gekeife endgültig satt. Wütend griff ich nach dem Ohrring, nahm ihn mit flinken Fingern ab und warf ihn weit von mir.
Irgendwo traf er gegen die elastische Wand und fiel zu Boden.
Zufriedener schmiegte ich mich wieder an die Schönste der Schönen.
»Was war denn das?«, erkundigte sie sich schnurrend.
»Ein lästiger Ohrring, der mich zwickte«, behauptete ich. »Weg damit. Kannst ihn meinetwegen haben, als Andenken. Kannst ihn aber auch in den Müll werfen, falls dir das sinnvoller erscheint.«
Das hörte der Sternenvogt mit absoluter Sicherheit, denn der Ohrring beherbergte ein wahres Wunderwerk der modernen Mikrotechnik.
Er musste es nicht nur hören, sondern vielleicht auch sehen, denn der Ohrring erzeugte ein winziges Feld, das auf Lichtschwingungen reagierte. Diese Lichtschwingungen wurden in Hyperimpulse umgewandelt und zum ›Tropfen‹ übertragen und von dort zum Raumschiff, das im sicheren Abstand vom Trio abwartete. Dort wurden die Schwingungsreize zu einem recht brauchbaren Bild verarbeitet.
»Lass ihn liegen«, flüsterte sie zärtlich und knabberte an meinem Ohrläppchen.
Wozu so ein Büro eines Systemvogts alles gut sein konnte...
Plötzlich schreckte sie zusammen.
»He, die Versammlung! Man darf sie nicht warten lassen!«
Missmutig runzelte ich die Stirn. Sie aber sprang auf und raffte ihr Gewand am Boden zusammen. Das Gewand warf sie über einen Sessel, der eigens zu diesem Zweck vor ihr aus dem Boden wuchs. Dann betätigte sie für mich unsichtbare Kontakte - Rezeptoren? - und ließ damit ein breites Becken entstehend. Fröhlich herüberlachend stellte sie sich mitten hinein. Schon schoss ein harter Wasserstrahl auf sie nieder. Sie drehte sich darunter und genoss das Wasser auf ihrer nackten Haut.
Ich beobachtete sie fasziniert und spürte prompt wieder ein verräterisches Ziehen in der Lendengegend.
Dem gebot ich energisch Ruhe, obwohl es nicht viel nutzte.
Resignierend stand ich ebenfalls auf und ging zur Dusche hinüber.
›Mein‹ Systemvogt umarmte mich stürmisch und zog mich unter den harten Wasserstrahl.
Ich hatte erwartet, dass er wenigstens wohltemperiert sei, aber das war er nicht, sondern vielmehr eiskalt.
Sie sorgte dafür, dass mir warm genug wurde und so turdelten wir, wie es mein Sternenvogt auszudrücken beliebte, lachten und scherzten und genossen diese letzten Minuten des gemeinsamen Zusammenseins.
Ich begann die vermaledeite Versammlung, die uns bevorstand, aus tiefstem Herzen zu hassen. Aber es führte kein Weg daran vorbei: Ich hatte schließlich einen Auftrag zu erfüllen und ungezählte Menschenleben hingen vom Erfolg oder Misserfolg dieser Mission ab.
Endlich strich ein warmer Luftstrom über uns hinweg, um uns zu trocknen. Wir rieben uns gegenseitig, um den Trocknungsvorgang zu beschleunigen.
Stundenlang hätte ich das tun können, ohne im geringsten zu ermüden. Es war mir überhaupt nicht recht, dass es so schnell ging.
»Los jetzt!«, drängte der so aufregend weibliche Systemvogt und stieg als erste in ihr Gewand. Ich folgte missmutig ihrem Beispiel und dann liefen wir Hand in Hand, wie zwei verliebte Teenager, zur Tür.
Bevor wir das Büro verließen, nahm sie meinen Kopf in beide Hände.
»Feinde?«, fragte ich.
Sie lächelte, schüttelte den Kopf, dass die Haare flogen und küsste mich auf den Mund.
»Mein verliebter Sternenvogt!«, flüsterte sie und öffnete die Tür.
Ja, ab sofort war ich hier wieder der offizielle Sternenvogt.
Nebeneinander, auf den schicklichen Abstand achtend, schritten wir den Gang entlang.
Jetzt lächelte sie auch nicht mehr, sondern trug die starre Maske ihres Standes würdig zur Schau.
Oder war es die Sorge um das, was uns erwartete?
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Die Versammlung.
Ich verhielt unwillkürlich im Schritt, um den Anblick zu verarbeiten.
Niemand hatte mir erzählt, was mich wirklich erwartete, was es wirklich bedeutete, dieser Versammlung gegenüberzutreten.
Es war die Versammlung aller Subvögte der drei Planeten, denn auch für Scheinwelt waren Vögte zuständig, selbst wenn sie sich überwiegend auf ALPHA oder BETA aufhielten und sozusagen aus sicherem Abstand ihre Geschäfte führten.
Ich schätzte die Versammlung auf insgesamt zweitausend Vögte. Als wir eintraten, empfing uns zunächst eine tiefe Grabesstille. Jeder Vogt hielt sich streng an die Etikette. Wir wurden erwartet. Es war das erste Mal im Leben der Aaroner, dass ein Sternenvogt persönlich erschien, um hier teilzunehmen.
Ich überwand meine Erstarrung und schritt vor dem Systemvogt weiter.
Da erst wurde mir bewusst, dass ich nicht einmal ihren Namen kannte.
Liebe auf den ersten Blick?, dachte ich. Hoffentlich hatte sie mich nicht zu sehr ›erblinden‹ lassen...
Die Brisanz meiner Mission kam mir erneut zu Bewusstsein und ließ mich das wunderbare Erlebnis im Büro des Systemvogts verdrängen.
Ich trat an den Kopf der Versammlung. Dort unten saßen sie alle: Die Sitzreihen waren halbkreisförmig angeordnet. Dazwischen, gleich den Strahlen eines Sterns, gab es schmale Durchgänge.
Wie in einem altertümlichen irdischen Parlament, wo die Gänge gemeinhin die Parteien optisch voneinander trennten.
Aber hier existierten keine Parteien. Sie waren nicht notwendig, weil es kein Direktwahlsystem gab. Die Masse konnte nur indirekt ihre Parlamente wählen.
»Die Sitzordnung wird jedes mal neu durch das Los bestimmt«, erläuterte der Systemvogt im Flüsterton, aber ich hätte schwören können, dass man es bis in die letzte Ecke hörte. »Die Versammlung wird jeden Monat neu einberufen. Normalerweise sind die Sitze höchstens zur Hälfte besetzt. Nur bei außerordentlichen Sitzungen kommt die komplette Versammlung zustande.«
Dies ist offensichtlich eine ganz besonders außerordentliche Sitzung!, dachte ich, während der kalte Schweiß auf meine Stirn trat.
»Wir groß ist deine Macht - über diese Frauen?«
»Nein, nicht Frauen«, belehrte sie mich prompt: »Aaroner!«
Die Antwort auf meine Frage blieb allerdings aus.
Ich trat nicht ans Rednerpult, sondern ganz nach vorn an die Kante der Bühne. Jetzt konnten sie mich in voller Lebensgröße sehen. Alle. Ausnahmslos.
Sie schienen den Atem anzuhalten, denn ich hörte kaum ein Geräusch.
Ich verzichtete auf die Lautsprecheranlage, schöpfte tief Atem und sagte mit donnernder Stimme: »Ich grüße euch, Aaroner - Subvögte des Systems AARON!«
Die perfekte Akustik der Versammlungshalle trug meine Worte auch ohne die Lautsprecheranlage bis in den kleinsten Winkel.
Danach blieb es still.
Ich wiederholte: »Ich grüße euch!«
Da antworteten sie mit zweitausend Stimmen gleichzeitig: »Wir grüßen dich, Sternenvogt!«
Es war möglicherweise eine Ungeheuerlichkeit, dass sie mich einfach duzten: Ich musste sie lehren, die nötige Ehrerbietung zu erbringen - wie es einem echten Sternenvogt gebührte!
Der ›gerechte Zorn‹ ließ mich erröten. Ich ballte die Hände zu Fäusten und hob sie langsam.
Fünftausend Menschen hatte ich mit eiserner Hand regiert - in meiner Straße. Ich war Herr über Leben und Tod eines jeden von ihnen gewesen. Eine solche Situation wie hier war mir also nicht ganz fremd.
Außerdem: hier waren es lediglich ZWEITAUSEND, also DREITAUSEND WENIGER!
Ich wollte ihnen zeigen, mit wem sie es zu tun hatten...
»Vorsicht!«, zischte der Systemvogt.
Allein, bei mir nutzte eine solche Warnung nichts, wenn ich mir einmal etwas vorgenommen hatte. Das würde sie auch noch lernen müssen.
Diese hier hielten mich für ein Neutrum. Für sie war ein Neutrum ein Nichts. Für sie zählten nur Frauen - und Männer wurden lediglich als Spielgefährten und notwendige Zeugungspartner angesehen. Mehr galten sie gemeinhin nicht.
Das hatte ich längst begriffen.
Und diese hier wiederum mussten begreifen, was es hieß, den Sternenvogt persönlich vor sich zu haben!
Ich donnerte: »Wie heißt das, Subvögte von AARON?«
»Wir grüßen dich, Sternenvogt!«, brauste der zweitausendköpfige Chor.
»Wie heißt das? Heißt das vielleicht: Ich grüße euch, ihr Weiber von AARON? Oder heißt es nicht vielmehr: Ich grüße euch, Subvögte des Systems AARON? Und so heißt es auch nicht... Na?«
Dieses ›Na?‹ schnitt energisch in ihre Reihen und erreichte jede von ihnen.
Ich würde ihnen zeigen, wer der HERR DER STRAßE war, jawohl, ich würde es ihnen ein für allemal zeigen!
»Wie heißt das?«, brüllte ich.
»Wir grüßen dich...«, begannen sie.
»Wie heißt das?« Ich überstimmte sie glatt. Das hatten sie noch niemals erlebt. Ich tat es ohne diesen technischen Schnickschnack, sondern ausschließlich mit meiner eigenen Stimme - obwohl ich dabei Gefahr lief, sie für immer zu verlieren. Aber eine solche Stimmgewalt - das war für sie unvorstellbar gewesen - bis zum jetzigen Zeitpunkt!
»Wie?«, brüllte ich.
»Wir grüßen Euch, Erhabener!«, brauste der Chor herauf - wie eine Sturmflut.
Ich schwang die Fäuste deutlich sichtbar im Takt: »Wir grüßen Euch, erhabener Sternenvogt! Wir grüßen Euch, erhabener Sternenvogt!«
Das war es! Das hatte ich von ihnen hören wollen. Ich ließ die Fäuste niedersausen, als wollte ich jemanden damit erschlagen.
Sie verstummten im gleichen Atemzug.
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›Mein‹ Systemvogt hinter mir keuchte.
Jetzt konnte ich mich ihr nicht widmen. Ich musste die Zweitausend im Auge behalten. Nichts durfte mir entgehen, nicht dir geringste Regung.
Ich musste bei jeder einzelnen das Gefühl erzeugen, mein durchdringender Blick würde genau auf ihr lasten. Nur so konnte man die Masse beherrschen.
Ich hatte meine Mission zu erfüllen. Schutzlos stand ich hier oben.
Wenn sie kamen, konnten sie mich ohne weiteres in Stücke reißen.
Auch der Systemvogt konnte das nicht verhindern. Selbst wenn sie es darauf angelegt hätte.
Aber wenn ich unterlag, würde es nicht nur mein eigenes Leben kosten.
Krieg war Völkermord und dieser hier würde wie ein Flächenbrand um sich greifen: Zuerst würde das Raumschiff über der Erde zerstrahlt werden. Weitere Schiffe würden sie losschicken. Mein Herr würde inzwischen eine Kampfflotte herbeordern. Denn ganz allein würde er den Kampf niemals aufnehmen.
Er hatte zwar die Möglichkeiten, von seinem Schiff aus die drei Planeten des Trios zu zerstrahlen, dafür waren ihm allerdings die Mineralien von Scheinwelt zu schade: Der einzige Grund, warum er das noch nicht offen angedroht hatte.
Die Flotte würde die Schiffe der Aaroner aufreiben und alles Leben auslöschen. Anschließend würde der Sternenvogt neue Erdfrauen einkaufen und hier einsetzen.
Aber die Aaroner hatten selber Sternenschiffe: Inzwischen würde der Kampf an anderer Stelle weitergehen.
Außerdem würde es recht lange dauern, bis Scheinwelt wieder im vollen Umfang wie heute ausgebeutet werden könnte. Der Handel zwischen den Sternen würde in dieser Zeit empfindlich gestört bleiben. Dieses komplizierte System war einfach zu empfindlich.
Nachteile für alle Handelspartner und dadurch wiederum für deren Handelpartner... Viele würden in dieser Krise zu Tode kommen, bevor die letzte Frau von AARON ausgelöscht war - mitsamt ihrem Sternenschiff.
Ich stand hier, um es zu verhindern und vielleicht ahnten einige von ihnen, wie ernst es wirklich stand? Wenn nicht, musste ich es ihnen klarmachen - allein mit meiner Person.
»Ich grüße euch!«, sagte ich ernst und längst nicht mehr so donnernd. Aber die perfekte Akustik der Halle unterstützte mich und außerdem war es leise genug geworden, dass mich jede verstand.
Ich dankte insgeheim meinem Schicksal, dass nicht ausgerechnet jetzt ein Erdbeben begann und alles verpatzte. Oder war es vielmehr so, dass man die Versammlungshalle besonders geschützt hatte?
»Ich - grüße - euch!«, wiederholte ich, jedes Wort einzeln betonend.
»Und - ich frage...« Ich hob den rechten Arm, streckte den Zeigefinger nach oben. Meine Stimme wurde wieder lauter: »... ich frage: Habe ich ein Sternenschiff von AARON gesehen - unterwegs zur Erde?«
Natürlich keine Antwort. Stille.
Ich ließ den Arm oben. Sekundenlang.
Während ich ihn danach langsam sinken ließ: »Ich danke euch. Ich danke dafür, dass ihr euch weiterentwickelt habt. Ihr habt ein neues Gesellschaftssystem, das sich längst bewährt hat, eine demokratische Ordnung. Ich sehe, dass sie funktioniert. Ich sehe eure Freiheit, die Freiheit des Trios, die Freiheit eurer Welten, deren Natur ihr euch zu nutzen gemacht habt - durch perfekte gegenseitige Anpassung. Freiheit, die kostbar ist, weil mühevoll erkämpft. Freiheit, die es zu erhalten gilt.«
Meine Stimme wurde von nun an von Wort zu Wort um winzige Nuancen lauter: »Eine unersetzliche Freiheit in freiheitlicher, funktionstüchtiger Demokratie. Ohne Protektion, weil die Kontrolle von unten nach oben erfolgt, weil der Vogt nur in seinem Amt funktionieren muss und darüber hinaus keinerlei Rechte besitzt, auch keine Befugnisse, auch keine Anordnungsgewalt. Jeder Posten wird von unten nach oben besetzt und niemals von oben nach unten vorgeschrieben. Demokratie in Politik, in Wirtschaft und im...« Ich machte eine Kunstpause. »Und im Handel!« Abermals eine Pause, danach wie Donnerhall: »Freiheit des Handels, ohne Monopol? Das ist die wahre Freiheit des Systems AARON!«
Ich breitete die Arme aus, als wollte ich sie alle gleichzeitig umarmen.
»Ich aber sage euch, dass es andere Welten gibt, andere Planeten, andere Systeme. Ich habe sie gesehen. Ich habe sie besucht. Ich habe sie erlebt. Ich kenne sie genauestens. Andere Welten - andere Ordnungen.«
Ich stieß eine Faust nach oben.
»Mit welchem Recht, frage ich euch, pflegt ihr hier die Freiheit und setzt euch gleichzeitig über die Freiheit innerhalb der universalen Ordnung aller anderen Welten hinweg? Mit welchem Recht erwartet ihr, dass alle anderen eurer Meinung seien müssen? Mit welchem Recht sprecht ihr von einem Monopol der Sternenvögte, das es zu brechen gilt, indem ihr ein eigenes Monopol, das Monopol eurer eigenen Freiheit, der Freiheit einzig und allein für AARON und für sonst niemanden... indem ihr dieses selbstherrliche Monopol beansprucht? Ein Monopol, das ihr ungefragt allen anderen aufdrängen wollt - wenn nötig sogar mit Gewalt?«
Sie schwiegen, aber ich spürte, dass ich sie nicht mehr alle erreichte: Sie begannen, sich aufzulehnen. Ich hatte mit meiner Taktik das Problem erläutert, aber ich hatte dabei einen rhetorischen Grundsatz verletzt: Um wahrlich zu überzeugen, darfst du niemals das krasse Gegenteil von dem propagieren, das man anstrebt!
Aber es war mir keine andere Wahl geblieben, als diesen Grundsatz so leichtfertig zu missachten. Denn ich konnte es mir einfach nicht leisten, vor dieser Versammlung um den heißen Brei herumzureden.
Diplomatie war ein gutes Mittel, aber dafür brauchte man Zeit. Und die hatte ich nicht. Denn das machte einfach meine Stimme nicht mit!
Ich hatte sie zunächst beeindruckt und mir dabei die Gelegenheit erkämpft, ihnen das bestehende Problem deutlich zu machen. Ohne dabei unterbrochen zu werden! Jedes meiner Worte hatte die Ohren der Versammelten erreicht. Auch den Verstand.
Das war zunächst entscheidend gewesen.
Und jetzt musste ich wieder stark sein, musste sie alle übertrumpfen, ihnen vorgaukeln, ich sei ein Superwesen, unangreifbar, eben ein - Sternenvogt. Nicht einer, der sich auf sein Monopol berief, sondern einer, wie er genauso als so eine Art Superbursche aus der Masse ihres Volkes hätte herauswachsen können.
Wie es im Grunde genommen jede Einzelne von ihnen erreicht hatte.
Letztlich auch der Systemvogt.
Doch ich musste besser sein als alle - konnte sie einzig damit erobern. Denn in der Demokratie von AARON ging es nicht allein um Wahlen und das Gewinnen dieser. Da ging es um körperlichen und intellektuellen Einsatz aller Möglichkeiten. Da ging es schlichtweg um Kampf in allen Erscheinungsformen.
Das hatte der Systemvogt angedeutet und allein diese Andeutung genügte, mich handeln zu lassen - so und nicht anders...
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12
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Ich war jetzt HERR DER STRAßE. Ich hatte eine ähnliche Karriere beschritten - daheim auf der Erde, innerhalb der weltumspannenden Organisation mit dem überkommenen Namen MAFIA.
Eine ganz besondere Art von Demokratie, zugegeben: härter, brutaler, gnadenloser, kompromissloser noch als hier. Die Demokratie der MAFIA war die Demokratie der Gewalt, mit dem verbrieften Recht des Stärkeren. Faust und Gnadenlosigkeit ließen einen zum Herrn aufsteigen.
Im System AARON jedoch zählte in erster Linie die Kraft des Geistes, persönliche Ausstrahlung, Führungseigenschaften, die man unter Beweis stellen musste - für Entscheidungen, die für andere lebenswichtig, ja sogar lebensentscheidend sein konnten!
Ich musste diese hier überzeugen, dass ich nicht nur den Weg eines Systemvogts geschafft hätte, sondern dass ich nach ihrer Ordnung zu allem in der Lage gewesen wäre - auch zum HERRN DES UNIVERSUMS!
Nur so waren sie auch zu überzeugen, dass ich zu Recht der Sternenvogt war. Denn erst dann bekamen all meine Erklärungen zur Sache das nötige Gewicht.
Ich sprang von der Bühne hinab und landete zu Füßen der zweitausend Versammelten.
Ein Schrei hallte durch die Reihen. Ich schritt auf sie zu, zeigte ihnen die Fäuste.
»Ich bin bereit zu kämpfen. Ich sehe zweitausend Subvögte vor mir. Ich sehe die Elite des Volkes von AARON. Und nur derjenige hat das Recht, sich über die Elite zu erheben, der dieser Elite gewachsen, ja sogar überlegen ist!«
Damit hatte ich genau den Nerv des Systems getroffen.
Ich deutete in die Reihen.
»Da, da und da! Jede von euch. Ich kämpfe. Kommt. Ich besiege euch. ICH BESIEGE EUCH!«
Ich wählte den mittleren Durchgang und schritt ihn entlang. Sie folgten mir mit den Blicken. Ich schaute in einzelne Gesichter. Sie hielten mir stand. Sie wichen nicht aus. Sie hatten keine Angst vor mir, aber sie respektierten mich in ihrer Art. Obwohl: Keine machte Anstalten, meinem Aufruf zum Kampf zu folgen.
Sie schätzten mich ab.
Ich zeigte ihnen im wahrsten Sinne des Wortes Muskeln.
Ich zeigte ihnen Überlegenheit des Körpers und vorher hatte ich Überlegenheit der Stimmgewalt - und letztlich auch die Überlegenheit von Argumenten bewiesen...
Genügte es immer noch nicht?
Ich hatte die Hälfte des Weges hinter mir und blieb stehen. Ich drehte mich halb um die eigene Achse und spürte Unsicherheit, die sich auf leisen Sohlen anschlich. Sie würde mich töten.
Unsicherheit, weil es mir nur halbwegs gelungen war, die Versammlung zu überzeugen.
Was fehlte noch? Was war mit der zweiten Hälfte? Warum blieben die Frauen von AARON - so verdammt abwartend?
Wieso diese zur Schau gestellte Neutralität?
Ich fühlte mich wie ein Dirigent, dessen Taktstock zerbrochen war. Es musste jetzt etwas geschehen, sonst war doch noch alles verloren und ich war vom erträumten Sieg weiter entfernt als zu Beginn...
Neutralität?
Ich dachte an die Worte des Systemvogts: »Du bist kein Mann!« und: »Nicht einmal ein Mensch!« und: »Ein Sternenvogt ist ein Neutrum, auch wenn er aussieht wie ein Mann. Das macht uns zu Todfeinden, Sternenvogt. Ich muss dich hassen, um mich zu schützen. Wir alle müssen dich hassen und müssen dir den Tod wünschen.«
Es war der reinste Irrwitz. Es war - das Ende, falls kein Wunder geschah. Denn es nutzte überhaupt nichts, Überlegenheit zu beweisen, wenn ich ihnen nicht beweisen konnte, dass ich trotz allem ein Mensch war - gerade so wie sie. Denn nur als Mensch hätte ich ein Bürger von AARON sein können. Und nur als Bürger von AARON konnte man innerhalb einer solchen Ordnung zum höchsten Amt des Universums aufsteigen - von allen akzeptiert.
Dabei war es geradewegs von sekundärer Bedeutung, dass ich keine Frau war - so wie sie. Sogar als Mann hätten sie mich akzeptiert, aber keineswegs als geschlechtsloses - Neutrum!
Und das war und blieb der Sternenvogt für sie. Und deshalb war ich nach wie vor einer, der sein Monopol verwaltete - ohne seine Berechtigung nachgewiesen zu haben.
Noch verhielten sie schweigend, beeindruckt von meiner überlegenen Stärke. Aber jetzt erschien es mir, als wäre ich die Maus, die von zweitausend hungrigen Katzen taxiert wird.
Das Neutrum...
Keine von ihnen würde unter diesen Umständen gegenüber dem Volk je vertreten können, alles hätte seine Richtigkeit. Ich hatte mir so sehr gewünscht, zu siegen, um meinem Herrn zu beweisen, dass er richtig gewählt hatte. Und wäre ich dann zum Schiff zurückgekehrt, hätten die Aaroner stolz gesagt: »Seht, dort zieht er wieder hin, der Sternenvogt. Er ist geradewegs wie einer von uns. Er vertritt nicht einfach nur ein Monopol, sondern unsere ureigenen Interessen. Und unsere Interessen - das sind auch die Interessen aller anderen Menschen auf allen anderen Planeten des Universums...«
Glücklich hätten sie sein sollen, meine Bekanntschaft gemacht zu haben.
Was für ein träumerischer Narr ich doch gewesen war: Jetzt wurde es mir bewusst und ich erlebte noch etwas: Meine erste und gleichzeitig größte und deshalb auch allerletzte Niederlage...
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Mit den Wundern ist das so eine Sache. Meistens wartet man vergeblich auf sie. Wenn sie dann wirklich einmal eintreten, stellen wir bei näherer Betrachtung fest, dass es eigentlich gar keine echten Wunder sind, sondern die logische Konsequenz in einer natürlichen Situation, das zwangsläufige Einmünden allen Geschehens in ein bestimmtes Ereignis - und sei es auch noch so spektakulär.
Wie jetzt: Meine Befürchtungen und Ängste erwiesen sich mit einem einzigen Schlag als nicht nur übertrieben, sondern auch als - völlig unbegründet!
Nein, ich hatte in Wahrheit keinen Fehler begangen. Nicht den geringsten. Es sei denn, man sieht es als Fehler an, sich zu verlieben und in dieser Hinsicht war ich durchaus - schuldig.
Wann hatte man denn schon einmal gehört, dass einem ein solcher ›Fehler‹ das Leben retten konnte? Dass man sich nur zu verlieben braucht, um einen Krieg zu verhindern, der Milliarden das Leben gekostet hätte?
In der Geschichte der Menschheit war es eher umgekehrt gewesen, immer wieder: Wenn sich da Menschen verliebt hatten, war es in der Regel der Auslöser für schreckliche Kriege gewesen - nicht nur seit dem Kampf um Troja...
Ich war hier die Ausnahme und alles stimmte.
Auch ›mein‹ Systemvogt war - goldrichtig: Sie stand am Rednerpult, sah zu uns herab und - weinte. Jeder konnte ihre Tränen sehen und sie schämte sich dieser Tränen keineswegs, obwohl sie damit doch eigentlich Schwäche zeigte. Aber: Schwäche gegenüber wem?
Denn diese Schwäche zeigte sie keineswegs gegenüber der Versammlung oder vor den Planetenvögten im Hintergrund, sondern damit unterstrich sie einzig und allein ihre Aussage: »Er ist ein Mann, ein wahrer Mann! Er ist nicht nur der Sternenvogt. Er hat mich erobert - im Sturm. Er hat mich besiegt. Ich bin sein. Er ist ein Mann und er ist mehr als das, sonst wäre es ihm nicht gelungen.« Sie rief es laut hinaus: »MEIN STERNENVOGT!«
Das war's dann wohl!, dachte ich erleichtert.
Ich konnte diese Erleichterung nicht verbergen, aber das brauchte ich auch gar nicht, denn die Versammlung verwandelte sich von einer Sekunde zur anderen in ein Tollhaus.
Ich war froh, dass niemand von mir erwartete, jetzt wieder meine Stimmgewalt unter Beweis zu stellen, denn gegenüber diesem Inferno wäre sie nicht mehr als das heisere Krächzen eines Raben gewesen, das man höchsten fünf Sitze weit gehört hätte.
Die Aaroner zeigten mir, zu welchen Begeisterungsstürmen sie fähig waren - wenn sie nur erst einen triftigen Grund dafür sahen! Von Disziplin oder so war keine Rede mehr. So etwas hatte ich noch nicht einmal andeutungsweise erlebt. Auf der Erde war die individuelle Konkurrenz viel zu groß dafür.
Aber keine der Subvögte berührte mich auch nur. Sie hatten viel zu viel Respekt vor meiner Person.
Ich war glücklich darüber, denn wenn sie mir ihre Begeisterung auch noch handgreiflich unter Beweis gestellt hätten... Ich bin überzeugt davon, es wäre kaum noch etwas von mir übrig geblieben: Mitten im Zentrum einer gewaltigen Detonation wäre nichts dagegen gewesen!
Unter den ohrenbetäubenden Ovationen schritt ich den Gang entlang in Richtung Rednerbühne. Der Bühnenrand war fast drei Meter hoch. Ich nutzte den Rest des Weges zu einem kurzen Anlauf. Ich flog empor, erwischte programmgemäß die Kante und schwang mich hinauf.
War es denn wirklich möglich, dass sich dieser Beifall sogar noch steigern konnte?
Es war!
Sie sprangen von ihren Sitzen und strömten herbei, die Subvögte aus dem System AARON, die weibliche Elite eines Milliardenvolkes.
Ich war der einzige Mann in der großen Versammlungshalle, aber ich hätte es niemals gewagt, in den Aaronern etwas anderes zu sehen als eben - Aaroner. Denn da war mein Systemvogt. Sie nahm ich in meine Arme. Nur sie sah ich als Frau an, denn genauso wie ich sie erobert hatte, war es auch ihr bei mir gelungen.
Welch ein Glück, dass nur die Amtsbezeichnung so etwas irgendwie Männliches hat!, dachte ich und wir umarmten und küssten uns unter Applaus, begeisterten Pfiffen und ständigen Zurufen.
Dass in diesem Augenblick eines der größten Erdbeben aller Zeiten auf ALPHA begann, war wie ein besonderes Zeichen Gottes - sein ›persönlicher Beifall‹. Jedenfalls wurde es so gewertet. Obwohl: Ich schwöre bei allem, was mir heilig ist, das war purer Zufall und weder ich, noch der echte Sternenvogt war in irgendeiner Weise daran beteiligt...
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14
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Es gibt Dinge, die bringen nicht nur einfach Freude. Es gibt Dinge, die machen einen nicht nur einfach glücklich. Es gibt eben Dinge, die bringen ein Glück, von dem man zu anderen Zeiten nicht einmal zu träumen wagt, weil man sich nicht vorstellen kann, dass es solches Glück überhaupt geben könnte - für einen.
Es ist grausam, dass dies dieselben Dinge sind, die uns die Hölle bescheren, uns unendliche Qualen bereiten, wie sie schlimmer nicht sein können, uns manchmal sogar in den Tod treiben wollen - falls ihr Ende naht.
Zu diesen Dingen gehört die Liebe zu einer Frau.
Seit ich ›meinen‹ Systemvogt kennen gelernt hatte und mir wieder klar wurde, dass ich sie zwangsläufig irgendwann verlassen musste, war ich in der Lage, in solchen Angelegenheiten mitzureden.
Obwohl - wir verdrängten alle Gedanken an den unumgänglichen Abschied nach Kräften. Wir reisten Seite an Seite, Hand in Hand, über die Planeten des Trios. Wir besuchten auch Scheinwelt und berauschten uns an seiner Schönheit, die doch so gefährlich für einen Mann sein konnte.
Ich lernte auch Männer kennen. Meine schlimmsten Befürchtungen in dieser Beziehung bewahrheiteten sich gottlob nicht: Die Männer waren gewissermaßen voll integriert. Sie hatten zwar niemals die Chance, ein Amt zu bekleiden, aber sie wurden auch nicht behandelt wie Sklaven - eher wie eine Art Playboys.
Wie hatte sie mein Herr noch genannt: Menschenware!
Mit ihnen wurde gehandelt. Männer gegen Mineralien. Genauso wie Nahrungskonzentrate gegen Mineralien. Oder wie exotische Tiere gegen Mineralien.
Sternenhandel.
Die Männer von AARON waren Gefährten der Aaroner. Trotz der regelmäßigen Importe blieben sie Mangelware. So war es keine Seltenheit, dass sich viele Frauen gemeinsam nur einen Gefährten leisten konnten.
Ein Los, das die Männer für gewöhnlich nicht nur gelassen, sondern in der Regel mit Freuden trugen, wie ich immer wieder lächelnd feststellen musste.
Mich selbst behandelte man überall als den, der ich für alle war: Der Sternenvogt - berechtigter Herr des Universums!
Eine große Ehre, aber ich hatte nichts dagegen einzuwenden.
Schließlich hatte ich so meine Mission erfüllen können.
Ich begrüßte jedes Fest, das mir zu Ehren gestiftet wurde. Und so gelangte ich von einem rauschenden Fest zum anderen, erlebte eine Zeit wie im Himmel, war verliebt, war Tag und Nacht mit meiner Geliebten zusammen...
Jetzt kannte ich natürlich auch ihren Namen - endlich. Sie hatte ihn mir in einer unvergesslichen Nacht ins Ohr gehaucht: »Maara!«
»Ich werde ihn nie mehr vergessen!«, hatte ich versprochen - ein Versprechen, das ich leicht einhalten konnte.
Nie mehr vergessen!
Viel lieber wäre ich nie wieder von ihr fort gegangen, aber ich hatte nicht nur diese eine Mission: Am Rande des Systems von AARON wartete ein Sternenschiff und darauf wartete mein Herr.
Der Ohrring, mit dem er mich hatte überwachen wollen, war spurlos verschwunden. Bestimmt hatte ihn eine der Aaroner als Andenken an sich genommen.
Maara nicht, denn das hätte ich irgendwann bemerkt.
Mir war es egal. Auf jeden Fall sicherte es, dass der Sternenvogt vom Erfolg meiner Mission erfuhr.
Maara hatte mir auch mitgeteilt, dass das Schiff in Richtung Erde wieder umgedreht wäre.
Erfolg auf der ganzen Linie.
»Wann folgt der - Abschied?«, fragte mich Maara einmal.
Diese Frage kam überraschend für mich und kündigte das Ende der Glückseligkeit an. Ich drückte sie fest an mich und antwortete traurig: »Dann, bevor die nächste Handelsflotte turnusmäßig hier auftaucht. Es ist der Beginn des neuen Alltags.« Diesen Aufschub gönnte ich uns noch.
»Die Erforschung und Erprobung neuer Antriebssysteme für Sternenschiffe wurde eingestellt!«, verkündete sie zu einem anderen Zeitpunkt.
Ich lächelte. »Warum?«
»Das fragst DU?«
»Ja, das frage ich, Maara.«
»Du hättest also nichts dagegen, wenn wir die Forschung und Erprobung...?«
»Warum sollte ich?«
»Aber dann bleibt doch die Gefahr der - Konkurrenz!«
Ich drückte ihre Schultern und blickte ihr tief in die Augen.
»Konkurrenz?« Ich schüttelte den Kopf. »Hast du eine Ahnung von der Weite des Universums? Hast du eine Ahnung davon, wie viele Welten von unseren Handelsflotten besucht werden? Es gibt nicht nur mich. Es gibt andere Sternenvögte. Alles, was wir tun, tun wir für die anderen und alles, was die anderen tun, tun sie für jeden in diesem Universum.
Ich werde das System AARON verlassen im Bewusstsein, ein Aaroner zu sein. Aber dann sind alle anderen Sternenvögte ebenfalls Aaroner.
Keiner ist, was nicht auch die anderen sind. Wir sind viele und doch sind wir viel zu wenige. Wir sind ständig da und doch begegnen wir uns nie. Es sei denn, wir würden darin einen Sinn sehen - zum Beispiel für eine Art Konferenz. Doch dazu fehlt es uns an Zeit. Es gilt, in der Unendlichkeit zu wachen. Sternenvögte sind keine Herren, sondern sie sind Hüter oder - wenn du so willst - Verwalter der Sterne.«
»Keine leichte Aufgabe«, sagte sie nachdenklich. »Aber wir werden die Forschungen nicht weiter betreiben, weil sie unnötig Kraft vergeuden, mein Sternenvogt. Denn was nutzt uns ein Antrieb, wenn wir ihn nicht einsetzen können, weil er uns keinen Vorteil bringt? Wir haben einen Sternenvogt - und damit haben wir alle. Es gibt nichts, was wichtiger wäre, als dies für immer zu erhalten.«
Wir umarmten uns wieder.
Nur ein einziges Mal vor meinem Abschied zeigte mir Maara eine Entbindungsstation. Sie zeigte mir, dass nicht nur Mädchen geboren wurden, sondern auch Jungen!
Das hätte ich nicht erwartet.
Doch die Jungen waren nicht lebensfähig. Man versuchte alles. Man isolierte sie in völlig strahlengeschützter, steriler Umgebung. Aber sie starben.
»Es ist die veränderte Erbmasse von uns Aaronern«, erläuterte Maara tonlos. »Es gibt keine Möglichkeit. Kommt ein ausgereifter Mann in unser System, darf er ganz normal leben. Er darf nur nicht ungeschützt Scheinwelt aufsuchen.«
Ich hatte einen Verdacht. »Bist du dessen sicher?«
»Wieso nicht?«
»Ich meine, Maara, dies ist vielleicht nur ein Vorurteil? Wie könnt ihr wissen, dass ein Mann auf Scheinwelt stirbt, wenn es nicht erprobt ist?«
»Erproben?«, rief sie erschrocken.
Ich winkte mit beiden Händen ab.
»Ich weiß, Maara, eine schlimme Vorstellung, aber ich werde noch einmal Scheinwelt aufsuchen, völlig ungeschützt!«
»Nein!«
»Keine Bange, Maara. Wenn ich wieder auf meinem Schiff bin, werde ich mich komplett analysieren lassen. Mein Schiff wird herausfinden, ob sich mein Körper verändert hat und wenn ja inwieweit.«
»Warum willst du das tun, mein Sternenvogt?«
»Weil ich einen Verdacht habe: Die Strahlung wirkt auf die Erbmasse von Mann und Frau gleichermaßen. Sie wirkt nicht allein auf den Körper und das Wohlbefinden eines Mannes. Eure Babys sind deshalb nicht lebensfähig, weil die Erbmasse entsprechend verändert ist. Es hat sich von Generation zu Generation allmählich verstärkt.«
»Und was könnte man dagegen tun?«, fragte sie alarmiert.
»Ich fürchte: gar nichts!«
»Bist du sicher?«
»Bedenke, Maara: Es ist in Jahrtausenden so entstanden. Die Rasse der Aaroner hat sich ideal angepasst und es ist ihr Schicksal, dass sie dabei gewissermaßen eingeschlechtlich geworden ist.«
»Das sagst du so - eigenartig!«
Ich lächelte sie an. »Bedenke, dass es zu meinen Aufgaben gehört, Störungen des Handels zu verhindern.«
»Worauf willst du hinaus, Sternenvogt?«
»So lange alles bleibt, wie es ist, gibt es Dinge, die mir nicht passen, aber die...« Ich brach ab. Was redete ich denn da? Wie kam ich dazu, ein solches Thema anzuschneiden?
Aber ich konnte nicht mehr zurück: »Ein Sternenvogt müsste eigentlich zufrieden damit sein, wenn die Ordnung gewahrt bleibt. Das ist schließlich seine ureigene Aufgabe. Aber ein Sternenvogt hat Gefühle und einen Kopf zum Denken. Er ist kein Neutrum, denn wäre er eins, würde er nicht auf die Gedanken kommen, wie ich sie hege...«
Sie klammerte sich an mich.
»Du zweifelst? Du, der Sternenvogt?«
Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse. Irgendwie begann ich es zu hassen, dass sie mich stets mit Sternenvogt anredete, als hätte ich keinen richtigen Namen. Und deshalb beging ich in diesem Moment einen weiteren entscheidenden Fehler: »Bitte, sage nicht immer Sternenvogt zu mir, sondern nenne mich beim Namen: John Willard!«
Sie fuhr erschrocken vor mir zurück.
»John Willard?«, echote sie bestürzt. »Das - das war doch - der Erz-Sozialist. Er hat Milliarden Tod und Verderben gebracht. Er ist das Sinnbild der Gefahr für alle Demokratie.«
»Nicht nur das, sondern er ist auch derjenige, dessen Namen ich trage. Aber ich bin ein anderer John Willard. Ich bin gewissermaßen das gesunde Gegenstück von ihm.«
Sie atmete erleichtert auf und floh wieder in meine Arme.
»John Willard«, flüsterte sie an meinem Ohr. »Du hast Probleme? Die Probleme eines Sternenvogts?«
»Die wären leichter zu lösen.«
»Die des John Willard?«
»Ja, Maara und die sind wesentlich komplizierter, weil... ihre Lösung würde mich in echte Konflikte stürzen.«
»Erkläre es mir, John - auch auf die Gefahr hin, dass ich es nicht begreifen kann.«
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15
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»Ich nenne dir die Erde als Beispiel. Wusstest du, dass es auf dieser Welt vierzig Milliarden Menschen gibt - Männer und Frauen? Wusstest du, dass der ganze Planet eine einzige Zuchtanstalt für Menschenmaterial ist, das dann nach anderen Welten exportiert wird? Wusstest du, dass die Vögte der Erde verweichlichte Bastarde sind, dekadente Affen, unbarmherzige Dreckskerle?«
Sie machte große, runde Augen - Maara, die Herrscherin von AARON.
»So spricht John Willard! Aber - was sagt der Sternenvogt dazu?«
Sie hatte anscheinend die Symbolik begriffen - auch wenn sie nicht einmal ahnte, dass John Willard und Sternenvogt in Wirklichkeit - tatsächlich zwei verschiedene Personen waren.
»Er findet alles ganz in Ordnung - so, wie es ist - der Sternenvogt.
Es ist schließlich die Sternenordnung, die ihm anvertraute Ordnung also, die es zu hüten gilt, um größeren Schaden abzuwenden.«
»Und John Willard möchte es trotzdem ändern?«
»Ja, Maara.«
»Was aber ist mit - AARON? Was mit den nötigen Gefährten der Aaroner, die es nicht geben würde, wäre es auf der Erde nicht so, wie es ist?«
»Du hast mein Problem erkannt, Maara.«
»Ich verstehe, John: Du leidest unter den schlimmen Begleiterscheinungen der universalen Ordnung, kannst aber nichts ändern, weil alles dadurch nur noch schlimmer werden würde. Wie der John Willard der Vergangenheit: Er sah all diese schreienden Ungerechtigkeiten, wählte jedoch den falschen Weg, um sie zu ändern - und erzeugte dadurch schlimmstes Chaos. Alles wurde hernach nur noch ärger.«
Ich packte sie, als müsste ich mich an ihr festhalten.
»Es ist das erste Mal, dass ich mit jemandem darüber spreche. Das Amt des Sternenvogts macht wahrlich einsam.«
»Ich liebe dich, John und deshalb habe ich Verständnis. Ich denke aber auch an deine Verantwortung und mir schaudert bei diesem Gedanken. Was sind dagegen die Probleme des Systemvogts von AARON?
Es - es ist dem Sternenvogt nicht erlaubt, eine Gefährtin zu haben. Er ist gezwungen, wie ein Neutrum zu existieren - als Preis für seine unsterbliche Macht.
Das ist ein Missstand wie der Missstand auf der Erde. Wie auch das Leid von AARON, weil es hier keine Männer gibt. So hat jeder sein Schicksal zu tragen. Und auch die Vögte der Erde, denn sie leiden darunter, vierzig Milliarden Menschen zu regieren, von denen jeder einzelne ihnen überlegen wäre.«
Ihre weisen Worte überzeugten und erleichterten mich zugleich.
»Du hast recht, Maara: Es gibt keine Möglichkeit, Leid an sich zu verhindern. Es ist das Wesen des Lebens, dass es wird und vergeht und dass es das Glück wie das Unglück ertragen muss. Wenn man das eine Unglück verhindert, entsteht anderes Unglück. Wenn man Unglück überhaupt abschafft, verliert das Leben an Sinn. Denn dann gibt es keine Ziele mehr.«
»Gewiss, John Willard, aber du wirst weitersuchen, nach der Lösung deiner Probleme. Und du wirst sie finden. Und du wirst lernen, zu verändern, ohne die Ordnung zu gefährden. Denn du bist der Sternenvogt John Willard und nicht der Revolutionär John Willard.«
»Doch, Maara, denn es ist eine Revolution ganz besonderer Art! Somit bin ich - beides!«
Ich streichelte zärtlich ihr Haar und in der folgenden Nacht liebten wir uns so intensiv, als wäre es unsere letzte Nacht überhaupt.
Dabei hatten wir noch zwei weitere Nächte vor uns.
Indessen machte ich mein Versprechen wahr und besuchte noch einmal Scheinwelt - sogar ohne Strahlenschutzanzug.
Und dann nahte das Ende des Glücks - unwiderruflich, denn die letzte Nacht war die Nacht vor dem Kommen der nächsten Handelsflotte. Sie würde so pünktlich sein wie eine Atomuhr, dank der universalen Organisation, für die alle Sternenvögte verantwortlich zeichneten.
Und ich musste rechtzeitig zum Schiff zurückkehren, denn die Sicherheitsbestimmungen verlangten es. Wenn ich es nicht tat, würde die Flotte nicht entladen werden und die Mineralien würden auf Scheinwelt bleiben.
Weil mein Herr annehmen müsste, ich wäre mit meiner Mission doch noch gescheitert.
Und dann würde der Krieg doch noch beginnen - ungeachtet meines Erfolges.
Ja, der Abschied, die Hölle aller Liebenden, ihre Strafe für das, was sie fühlen.
Aber letztlich auch - der Preis, den ich für meinen großen Erfolg im System AARON bezahlte...