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Bron

Wilfried A. Hary

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––––––––

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1

Ich spürte die Gefahr genauso deutlich wie Kara. Wir klammerten uns aneinander. Die Bedrohung kam aus der Finsternis.

Wir sahen zwar uns selbst, durften uns jedoch nicht einmal über Armlänge voneinander entfernen, um uns nicht aus den Augen zu verlieren, denn die einzige Lichtquelle hier draußen, das waren unsere eigenen Körper.

Nebel zogen an uns vorüber. Die Strömung schickte sich an, uns wieder wegzuziehen.

Aber wir kämpften dagegen an.

Trotz der Angst.

Es war die Nähe des anderen Universums mit seiner in unserem gegenwärtigen Zustand tödlichen Gesetzesmäßigkeit.

Es war die Ahnung davon, dass unsere Leiber bei der ungeschützten Berührung mit ihm auseinanderplatzen mussten.

Vielleicht hätte ich doch besser meinen ›Tropfen‹ mitgenommen? Aber es hätte die Reise hierher zu beschwerlich gemacht.

Und jetzt waren wir am Ziel. Ich war sicher: An dieser Stelle war ich in das Miniuniversum eingedrungen.

Ich öffnete noch einmal meinen Geist und ließ Kara an meiner Erinnerung teilhaben.

Damals: Ich befürchtete, dem Wahnsinn zu verfallen. Die Energien, die dafür sorgten, dass sich das Miniuniversum noch nicht mit dem großen Universum vereinigte... die dafür sorgten, dass es abgekapselt blieb... dieselben Energien verbanden sich mit den energetischen Vorgängen im Körper auf wundersame Weise. Vielleicht verbanden sie sich auch mit den Energien meines Raumschiffs, aber dort war kein denkender Geist vorhanden, der dies spüren und nutzen konnte.

Das Glücksgefühl, dieses losgelöst sein von der Wirklichkeit, war wie ein Rausch, weil sich dem Geist scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten eröffneten.

Ich machte die Beschädigung des ›Tropfen‹ rückgängig, was mir spielend gelang. Ich versetzte mich zurück an Bord.

Ich ließ sogar den völlig zerstörten Raumanzug neu entstehen. Nur mit der Kraft meiner mächtigen Gedanken - hier im Zwischenbereich.

Ich bewegte mich auf das Sternenschiff zu und stoppte, weil ich rechtzeitig einsah, dass ich bei solch ungezügelter Vorgehensweise eine große Gefahr war. Darum kehrte ich in den Grenzbereich zurück, in die Nähe des Tropfens.

Der Strom lockte. Der Tropfen geriet hinein. Ich wehrte mich nicht dagegen und ließ mich ebenfalls tiefer in das Innere des Miniuniversums ziehen.

Damit verließ ich den Grenzbereich, jenen Zwischenbezirk mit seinen ungeahnten Chancen für den menschlichen Geist - oder sollte man eher sagen: Gefahren?

Jedenfalls hatte der Aufenthalt genügt, meinen Körper optimal an das Miniuniversum anzupassen. Sonst hätte ich beim Übertritt den Tod gefunden.

Bei mir war der Übergang sowieso anders erfolgt als bei den Vorfahren der Creeks. Bei mir war es sogar anders als bei allen Menschen, die je in die Sphäre des Miniuniversums gelangt waren. Denn ich war als einziger während des Übergangs bei vollem Bewusstsein gewesen! Alle anderen befanden sich beim Übergang nämlich an Bord eines Raumcontainers im absoluten Tiefschlaf. Erst im Grenzbereich war jähes Erwachen erfolgt. Deshalb waren von vornherein zwei Drittel zum Tode verurteilt und der Rest schaffte es auch nur mit Mühe, wenigstens den eigenen Körper anzupassen, ehe der Container mitsamt Inhalt tiefer gesaugt wurde.

Was wunder, dass sie sich später kaum noch an den Grenzbereich erinnerten. Sonst hätten sie diesem mehr Raum bei den Aufzeichnungen zugebilligt. Für sie war das lediglich ein kurzer Alptraum gewesen, wie bei einem, der aus tiefem Schlaf erwacht und Schwierigkeiten hat, zu sich selbst zu finden.

Ich war allen gegenüber im Vorteil mit meinen speziellen Erinnerungen.

Kara kannte sie jetzt ganz detailliert - und mit Kara alle anderen Creeks, die mit uns in geistiger Verbindung standen - über alle Entfernung hinweg.

2

Vor uns - das war wie eine stabile Mauer, durch die man mit dem blanken Schädel rennen will. Wir hatten Angst vor dem, was dahinter verborgen lag, obwohl ich es so genau zu kennen glaubte.

Gemeinsam schwammen wir dagegen an. Wir wollten das Hindernis überwinden und fühlten uns trotz der anhaltenden Todesangst stark genug - so in Gedanken vereint, als wären wir nicht zwei, sondern zu einem einzigen Wesen zusammengeschmolzen.

Die Gemeinsamkeit unserer Gedanken potenzierte unsere Stärke in ein Vielfaches. Nur so schafften wir es, die Ketten des Miniuniversums zu sprengen und in den Grenzbereich hinaus zu geraten.

Grausamer Schmerz fraß sich in unsere Leiber. Hier waren wir Fremdkörper. Unsere Gedanken wurden hinweggefegt, stürzten in einen wesenlosen Abgrund, um in der Tiefe zu zerschellen.

Unwillkürlich klammerten wir uns fester aneinander, um uns ja nicht zu verlieren.

Oh, es war völlig anders als beim ersten Mal. Denn da war ich auch aus der umgekehrten Richtung gekommen. Jetzt aber wollte ich der Sphäre des Miniuniversums wieder entrinnen und das drohte uns gründlich zu missglücken...

Der Sturz nahm immer noch kein Ende. Es gab keinen Boden. Es gab nur das Nichts - und ich begann zu begreifen, woher dieses Gefühl stammte: FREIER FALL! Es war das Gefühl der Schwerelosigkeit, das uns den Sturz in einen Abgrund vorgaukelte. Es war so unendlich fremd, wenn man sich lange im Miniuniversum aufgehalten hatte. Denn dort war dieses Gefühl völlig undenkbar.

Kara, die an meinen Überlegungen teilhatte, beruhigte sich wieder. Gemeinsam schüttelten wir unsere Angst ab und ordneten unsere Gedanken.

Wir schickten unsere geistigen Fühler aus, um den Grenzbereich zu erforschen, doch es erfolgte keinerlei Resonanz. Als wäre diese Sphäre nichtexistent - genauso wie das ›große‹ Universum. Es schien sowieso nichts mehr zu geben - außer uns beiden und unseren gemeinsamen Gedanken.

Sogar das Gefühl für unsere Körper verschwand.

»So war es auch beim ersten Mal, Kara, erinnere dich mit mir: Ich spürte und erfuhr. Ich dachte und wirkte.

Nicht ich war es, der sich bewegte, sondern es war die Fülle meiner ungebändigten Gedanken, nicht mehr gebunden an die Windungen des Gehirns, sondern frei und in einem Maße unabhängig, dass der Wahnsinn drohte...«

Ich brauchte jetzt nur zu vollziehen, was ich auch damals vollzogen hatte. Ich brauchte den gesamten Prozess nur umzukehren, wenn ich soweit war - und hatte damit die Chance, ins ›alte‹ Universum zurückzukehren.

Meine aufkeimende Euphorie riss Kara mit, ob sie nun wollte oder nicht. Wir ließen zwei neue Körper entstehen und wurden wieder zu Menschen, obwohl diese Körper nur aus unserer Gedankenenergie bestanden. Die Energien des Grenzbereichs reagierten auf uns und trugen uns, unterstützten uns.

Wir wurden mächtig.

Wir spürten und erfuhren.

Wir spürten, dass der Grenzbereich sich nicht sehr weit ausdehnte, in kosmischen Maßstäben gerechnet. Wir spürten, dass wir in diesem Grenzbereich allein waren, denn alles, was hineingeriet, wurde zwangsläufig tiefer gezogen.

Die Sphäre des Miniuniversums erschien uns wie ein unersättlicher Moloch. Er würde sich immer mehr voll saugen mit fremden Dingen aus dem umgebenden All. So würde er weiterwandern, würde seinen Weg durch die Unendlichkeit nehmen, vom Zufall gelenkt. Er würde Sonnen und Planeten verschlingen.

Irgendwann war die Route der Raumcontainer auch nicht mehr gefährdet. Dafür herrschte die Gefahr dann anderswo.

Die Sphäre des Miniuniversums blieb niemals konstant.

Sie pulsierte wie ein schlagendes Herz, dehnte sich aus, schrumpfte wieder. Dadurch wurde die Route der Raumcontainer nur von Fall zu Fall heimgesucht.

Das Pulsieren erfolgte unregelmäßig, unberechenbar.

Die Container der Route. Wir versuchten, welche ausfindig zu machen. Es gab gegenwärtig keine. Der nächste Containerpulk war noch zu weit entfernt - und der letzte hatte diese Stelle längst hinter sich gebracht.

Die Raumcontainer waren das billigste Transportmittel, das man sich im All denken konnte. Sie brauchten, einmal auf ihre Höchstgeschwindigkeit beschleunigt, im freien Fall mindestens Jahrzehnte, um an ihr Ziel zu gelangen. Je nach Entfernung waren es sogar Jahrhunderte und - Jahrtausende!

Das spielte keine Rolle. Der Zeitfaktor war voll berücksichtigt. Seit das System von den Sternenvögten stabil gehalten wurde, funktionierte es. Selbst wenn die Reise tausend Jahre dauerte, brauchte niemand am Zielpunkt zu warten, denn während dieser tausend Jahre kamen andere Container - die eben tausend Jahre früher abgeschickt worden waren.

Ein faszinierendes System, das wir in diesem Zustand, unterstützt von den Energien im Grenzbereich, gut überschauen konnten.

Wir fanden, dass dieses System ideal war, obwohl es seine Tücken hatte: Die geringste Störung der Transportwege - ließ die Versorgung abreißen!

Aber dafür waren die Sternenvögte gut...

Oder sollte man doch besser versuchen, die Planeten mit der Zeit immer unabhängiger vom interplanetarischen Handel zu machen? Eine Grundabhängigkeit konnte ja durchaus bestehen bleiben, denn das sorgte für die friedliche Kommunikation zwischen den Welten und es blieb eine Binsenweisheit, dass kriegerische Verwicklungen zwischen guten Handelspartnern praktisch ausgeschlossen waren: Nur so ließe sich auf Dauer der universale Frieden sichern.

Es sollten allerdings anstelle des Raumcontainer-Betriebes auch andere Schiffe die Reise machen können, ohne unbedingt mit dem bestehenden Transportsystem direkt zu konkurrieren: Neue Sternenschiffe mit Passagieren, die fremde Welten besuchten.

Obwohl dies natürlich das Monopol der Sternenvögte ankratzen würde: Nur sie durften Sternenschiffe besitzen, weil das allein schon ihre Überlegenheit sicherte!

Das System war starr, aber nicht starr genug, um ein Weiterwachsen aus dem gegenwärtigen Status heraus zu verhindern.

Das System war empfindsam, aber nicht empfindsam genug, als dass gezielte Nadelstiche im Rahmen meiner ›heimlichen Revolution‹ mehr Schaden all Nutzen anrichten könnten...

Ich hatte die letzten Gedanken vor Kara abgeschirmt, wollte aber nicht ihr Misstrauen erregen, weshalb ich mich rasch wieder öffnete.

Sie hatte grenzenloses Vertrauen in mich - ein Vertrauen, das ich in einem bestimmten Punkt leider missbrauchen musste.

Denn ich hatte längst einen fest umrissenen Plan, von dem sie nicht einmal etwas ahnte.

Wichtig war vor allem, dass Kara niemals erfuhr, dass ich nicht der echte Sternenvogt war, sondern lediglich sein Diener. Sonst barg das tödliche Gefahren für meinen Plan.

Dieser war nämlich einer jener Nadelstiche, die man ganz dosiert ansetzen musste und bei denen nicht die geringste Panne passieren durfte...

3

Die Sphäre des Miniuniversums würde sich immer weiter ausdehnen, je mehr Substanz sie verschlang. Und je weiter sie sich ausdehnte, desto näher rückte der Zeitpunkt, an dem sich die Naturgesetze innerhalb und außerhalb einander anglichen.

Dieser Zeitpunkt war jedoch unendlich weit entfernt - nach menschlichem Ermessen. Ich spürte es deutlich.

Gemeinsam mit Kara wandte ich mich dem All zu. Ich verließ den Grenzbereich nicht völlig, sondern beließ eine Brücke, um mir den Rückweg nicht abzuschneiden. Außerdem sorgte ich für eine schützende Hülle, um im Vakuum des Weltalls nicht gefährdet zu sein.

Wir rasten dahin, von den Energien des Grenzbereichs gestützt.

Hier hätte das Sternenschiff auf mich warten müssen, aber es fehlte! Stattdessen wartete eine Boje.

Kara wunderte sich über diesen Umstand. Ich suggerierte ihr, dass mein Schiff nach Ablauf einer bestimmten Frist automatisch davongeflogen sei, um Verstärkung zu holen. Das beruhigte sie wieder und sie schöpfte keinen Verdacht, meine Person betreffend.

Ich war sowieso froh darüber, dass der Sternenvogt nicht anwesend war und sich lieber von einer primitiven Computerboje vertreten ließ. So konnte ich ungestört meinen Plan in Angriff nehmen.

Wir kehrten in den Grenzbereich zurück. Kara und ich konzentrierten uns als nächstes auf den ›Tropfen‹, der in einer der größeren Höhlen auf dem Planeten der Creeks stand. Prompt kam die Verbindung zustande. Wir tasteten die Umgebung ab und riefen nach Groa und Sahr. Erleichterung allerorten, als wir sie und das Volk der Creeks an unseren jüngsten Erfahrungen teilhaben ließen.

Kara und ich stellten die entscheidende Frage nach Freiwilligen, die gewillt waren, ihre Welt für immer zu verlassen - mit zunächst unbestimmbarem Ziel.

Es meldeten sich weit über tausend, also doch mehr, als Kara ursprünglich angenommen hatte. Es waren überwiegend Pärchen.

Ich bat sie, meinen ›Tropfen‹ aus der Höhle zu bergen und in unsere Nähe zu bringen.

Zwanzig kräftige Männer genügten für diese Aufgabe.

Sahr meldete ihre Bedenken an: »Was ist eigentlich mit dem Container? Er ist wesentlich größer. Das können selbst tausend nicht schaffen. Wie sollten wir in bewegen?«

Ich hatte bereits die Lösung parat und teilte sie allen mit: Die zwanzig Helfer, die meinen ›Tropfen‹ brachten, würden zu uns in den Grenzbereich kommen, von uns angeleitet. Für sie würde keine Gefahr dadurch entstehen, weil sie an unseren Erfahrungen teilhaben konnten.

Und dann waren wir zweiundzwanzig, die ihre Gedanken wirken ließen. Es würde mindestens die tausendfache Stärke bedeuten!

Damit konnte es uns gelingen, den Container aus der Sphäre des Miniuniversums zu befreien. Nicht nur das: Wir würden alle Freiwilligen an Bord bringen, würden den Container sogar wieder vollständig intakt setzen können.

Im Sinne meines - wie ich fand - grandiosen Planes: Mehr als tausend Männer und Frauen für das System Aaron, um wahr werden zu lassen, was ich dem Sternenvogt frevlerisch vorgeschlagen hatte!

All diese Männer und Frauen würden ganz besonders sein, denn sie waren hundertprozentig gegen Strahlung und Krankheiten immun, es sei denn, die Anforderungen würden wesentlich höher sein als im System Aaron.

Ich selbst würde für diese Immunität sorgen - gemeinsam mit meinen einundzwanzig Helfern, sobald die über tausend Männer und Frauen an Bord des Raumcontainers gebracht wurden.

Die gesunden Pärchen würden sich dereinst mit den Aaronern vermischen und dadurch die Chance für eine größere Selbständigkeit der Aaroner bereiten, damit sie vom Mineralienexport unabhängiger wurden. Das wäre ihre Überlebensgarantie für eine Zeit, in der die Mineralienressourcen zur Neige gingen.

Denn irgendwann würde es soweit sein, obwohl es heute noch so erschien, als wären die Lager an wertvollen Mineralien grenzenlos.

Mein Nadelstich! Behutsam genug, um keine Katastrophe zu erzeugen, denn bis die Maßnahme wirklich so fruchtete, wie ich es mir wünschte, würde sehr, sehr viel Zeit vergehen. Abgesehen davon, wie lange es überhaupt dauerte, bis der Container mit der Menschenfracht sein Ziel erreichte...

Und wenn dann der Absatz an Männern auf der Erde irgendwann zurückging, würde sich auch dort etwas ändern müssen - im Laufe der Zeit. Der Teil einer Kettenreaktion, die sozusagen in Zeitlupe ablief und somit kein Verderben bedeutete, weil sie jedem Beteiligten genügend Zeit ließ, sich umzustellen.

Drei Welten hatte ich bisher kennen gelernt: Die Erde, Aaron und die Sphäre des Miniuniversums. Mir würde es gelingen, die Entwicklung von allen drei Welten nachhaltig zu beeinflussen, denn auch die zurückbleibenden Creeks würden ihre Erfahrungen an andere weitergeben können. Darum würde ich sie bitten, wenn der Abschied kam. Die Menschen der ganzen Sphäre sollten erfahren, dass es eine Chance gab, die Sphäre zu verlassen. Sie brauchten nur zusammenzuhalten und sich zu bemühen, eines Tages denselben Weg zu gehen wie die über tausend freiwilligen Creeks.

Ja, wenn erst einmal der Abschied kam... Noch war es nicht soweit, denn es gab bis dahin unendlich viel zu tun...

4

Eine schier endlose Arbeit, bis alle an Bord des Containers waren. Der Container schwebte im All, außerhalb des Grenzbereichs. Wir hatten ihn Kraft unserer Gedanken dorthin gebracht, hatten ihn durchdrungen, hatten gespürt und erfahren, hatten die Technik erfasst und begriffen, denn wir waren zweiundzwanzig, vereint zu einem einzigen, mächtigen Geistwesen.

Die Kammern waren vorbereitet. Die Technik war intakt.

Die Freiwilligen nahmen ihre Plätze ein.

Mit der Kraft aller Gedanken sprach ich zu ihnen: »Wenn ihr nach Aaron kommt, sagt, ihr seid das Geschenk des Sternenvogts. Und nennt meinen Namen: John Willard. Man wird den Namen im System Aaron gut kennen.

Laut unserer Berechnungen werdet ihr rund fünfzig Jahre unterwegs sein müssen. Für euch jedoch werden nur Minuten vergehen, weil ihr diese Zeit im Tiefschlaf verbringt.

Vergesst es niemals: Ein Geschenk des Sternenvogts!

Dient den Frauen von Aaron. Helft den Aaronern, ihr Erbgut gesunden zu lassen. Erklärt ihnen, dass die Schädlichkeit der Strahlung mit großer Wahrscheinlichkeit durch den schon seit Jahrtausenden betriebenen Abbau auf Scheinwelt weit zurückgegangen ist.

Vielleicht ist sie gar nicht mehr gefährlich? Obwohl es nach wie vor angebracht erscheint, Vorsicht walten zu lassen. Und sagt ihnen, dass ihr praktisch gegen Strahlung immun seid.

Eine vererbbare Fähigkeit!«

Der Einschlafprozess begann. Wir kümmerten uns indessen um die Computerprogrammierung, damit der Container sicher seinen Weg fand.

Ich war zwar kein Experte in Computerprogrammen, genauso wenig wie die anderen, aber wir spürten mit den Energien des Grenzbereichs und - verstanden. Wir fanden in den restaurierten Speichern die Koordinaten von Aaron - weil dort sowieso alle wichtigen Zielkoordinaten gespeichert waren - und übertrugen sie in das Steuerprogramm.

Als alles vollbracht war, hatten wir nur noch dieses zu tun: Wir mussten die Gemeinschaft der zweiundzwanzig beenden, denn einundzwanzig von ihnen wollten den Flug nach Aaron mitmachen.

Unter ihnen - Kara!

Ja, der Abschied. Man kann ihn vor sich herschieben, so oft und so lange man wollte. Er kam trotzdem, weil er unumgänglich war.

Wir schickten die zwanzig vor und blieben allein zurück, als Gedanken, vereint in einer Weise, wie es sonst zwischen Liebenden niemals möglich sein kann.

So genossen wir die letzten Minuten bis zum Ende - bis zur Trennung.

Schließlich ging auch sie.

»Fünfzig Jahre unterwegs!«, vernahm ich ihre verwehenden Gedanken.

Ihr Einschlafprogramm an Bord des Containers begann.

Ich sah sie deutlich vor mir. Jetzt war sie ein Mensch, eine junge Frau - aus Fleisch und Blut. Sie wirkte nicht mehr wie eine Gummipuppe. Die Anpassung ihrer Vorfahren an das Miniuniversum - jetzt war sie umgekehrt worden.

»Fünfzig Jahre, mein Sternenvogt! Aber du, John, du bist unsterblich. So das Schicksal es will, gibt es nach diesen fünfzig Jahren ein Wiedersehen. Wir werden beide nicht älter erscheinen. Beide...«

Es war vorbei. Der Schmerz trieb mich zurück.

Und ich musste daran denken, dass Kara auf Maara treffen würde - im System Aaron. Falls Maara dann noch lebte, denn sie würde immerhin fünfzig Jahre älter sein als jetzt.

Seltsam: Ich sehnte mich nicht nur nach Kara, sondern - nach beiden!

5

Ich gab mir alle Mühe, die Erinnerungen und den Schmerz zu verdrängen, als sich der Raumcontainer in Marsch setzte. Es gelang nur sehr unvollständig.

Als Menschenfrau war Kara eine schöne Brünette gewesen, schlank, mit einem spitzbübischen Lächeln um den Mundwinkeln - wie es zu ihr passte.

Ich hätte mich auch in sie verliebt, wäre ich ihr unter anderen Umständen begegnet. Das war mir klar.

Und dann musste ich mich der nächsten Phase des Abschieds zuwenden, denn nun musste auch noch der Abschied mit dem zurückbleibenden Volk der Creeks erfolgen.

Sie dankten mir überschwänglich, aber ich nahm ihren Dank nicht an, sondern hatte selber genug zu danken.

Schließlich hatten sie mich freundschaftlich wie einen der ihrigen aufgenommen, hatten mich lange in ihren Reihen glücklich sein lassen.

Ich gab ihnen letzte Instruktionen und bat sie ein weiteres Mal, Mittel und Wege zu suchen, um mit anderen Völkern der Sphäre Kontakt aufzunehmen.

Jeder Creek hatte schließlich den Vorgang in Gedanken miterlebt, war gewissermaßen mit zugegen gewesen. Deshalb konnte auch jeder diesen Vorgang wiederholen, konnte einen Container wieder flottmachen und zur Flucht aus der Sphäre benutzen.

Ich glaubte trotzdem nicht, dass es häufig geschehen würde, denn die Creeks hatten auch das Weltall erlebt, das ihre Vorfahren hervorgebracht hatte und diese hier hatten nicht die geringste Lust, diese Erfahrung so schnell zu wiederholen. Sonst hätten sie schließlich zu den Freiwilligen gehört, die mit dem Frachtcontainer unterwegs zum System Aaron waren.

Die Verbindung zu ihnen riss erst, als ich mich bereits auf den Weg zur Boje machte.

Ich grübelte über dem Bericht, den ich machen musste.

Ich musste ihn so abfassen, dass nicht noch mehr Container von der Sphäre verschlungen wurden. Das war einfach zu unmenschlich. Ich konnte es nicht zulassen. Es sollte mir möglich sein, mit diesem Bericht den Sternenvögten zu suggerieren, dass die universale Ordnung dadurch zusätzlich gefährdet wurde. Aber wie?

Ich würde ihnen abenteuerliche Erlebnisse schildern, die ihnen klarmachten, dass die Völker der Sphäre allein schon durch mein Erscheinen auf den Geschmack gekommen waren, alles zu tun, um die Sphäre zu verlassen. Dass es möglich war, hatte ich ihnen ja bewiesen. Und wenn dann noch weiteres Strandgut zu ihnen kam, würde sie das erst recht auf die Spur locken, um den begehrten Weg zu finden.

Nur, um das Universum als blutrünstige Invasoren zu überfallen.

Das würde genügen, den Bereich des Miniuniversums zu umschiffen. Und wenn dann wirklich einmal ein Container daraus auftauchte, würde es nicht einmal bemerkt werden. Die Geflohenen würden ihr ursprüngliches Ziel ansteuern, das Ziel, das ihr Container ursprünglich gehabt hatte, bevor er verschlungen worden war. Jetzt würde er verspätet eintreffen. Das war alles. Es würde zumindest dort nichts verändern.

Aber es würde keine weiteren Container mehr geben, die von der Sphäre verschlungen wurden...

Ich freute mich ganz außerordentlich darauf, war dies doch ein Nadelstich, der sofort Wirkung zeitigte. Ich konnte die Früchte davon innerhalb kürzester Frist ernten.

Diener des Sternenvogts?

Das Schicksal hatte mich das werden lassen. Ich dankte diesem Schicksal und bat es gleichzeitig, mich stets mit der nötigen Umsicht handeln zu lassen - damit ich nicht doch noch eines Tages so enden musste wie mein früher Namensvetter.

Die Beschäftigung mit dem nötigen Bericht jedenfalls erzeugte ein starkes Hochgefühl, das viele Tage lang anhielt, während denen ich neben der Boje Stellung bezog, um auf die Rückkehr meines Herrn und Meisters zu harren.

Er war von der Boje längst in Kenntnis gesetzt worden, aber er stellte meine Geduld noch auf eine harte Probe.

Laut Computerboje war ich übrigens über ein Jahr im Miniuniversum gewesen. Selbst wenn die Zeit innerhalb der Sphäre anders ablief als hier, konnte ich sagen, dass dieses eine Jahr zu den glücklichsten meines Lebens zählte.

Übrigens hatte der Sternenvogt schon nach zwei Wochen die Boje ausgesetzt und war verschwunden - mit folgender Nachricht: »Ich muss nunmehr davon ausgehen, John Willard, dass du die Sache leider nicht überlebt hast. Ich habe alles genauestens beobachtet und registriert. Du warst nicht von einem Augenblick zum anderen verschwunden, sondern wurdest zunächst durchscheinend und dann gewissermaßen unsichtbar.

Ich vertrete die Theorie, dass die besonderen Energiefelder das Licht ablenken und dadurch die Illusion der Unsichtbarkeit ermöglichen.

Nach Stunden tauchte der Tropfen wieder auf. Er raste mit unvorstellbarer Beschleunigung auf das Schiff zu, stoppte davor. Ich versuchte, mit dir Funkverbindung aufzunehmen. Vergeblich. Dann drehte der Tropfen wieder ab und wurde endgültig von dem Gebilde verschlungen. Ohne die geringsten Nebeneffekte.

Jetzt setze ich also die Boje aus - nach zwei Wochen Wartezeit.

Ich werde auf den Weg gehen. Eine Reise zum Ausbildungsplaneten, den wir Sternenvögte ›SCHULE DES UNIVERSUMS‹ nennen. Dort werde ich einen Ersatz für dich suchen. Aber wisse, dass du damit nicht abgeschrieben bist, John Willard. Ersatz bleibt Ersatz. Solltest du jemals wieder auftauchen, wird alles so sein wie vorher. Genügt dir das als Garantie?

Nun, ich mache mir ernstlich Sorgen um dich, auch wenn es mir schwer fällt, es zuzugeben. Aber es gibt auch noch mehr Missionen, die es zu erfüllen gilt, klar?«

Er hätte es nicht extra betonen müssen. Es war auch so schon klar.

Und jetzt brauchte ich nur noch eines zu tun, nämlich geduldig zu warten.

Obwohl: Langeweile kam für mich keine auf, denn ich dachte an Kara und an ihr Volk - das Volk der Creeks. Jetzt hatte ich wenigstens die Muse, mich in Gedanken gründlicher mit ihnen zu beschäftigen, denn ungeklärt blieb nach wie vor die Frage, wo sie ihre Kinder versteckt hielten - und warum dieses Thema ein so großes Tabu war.

Es fiel mir gewissermaßen wie Schuppen von den Augen: Die Lösung des Geheimnisses hatte ich die ganze Zeit über in Händen gehalten, nur hatte ich es nicht sehen wollen. Dieses nette Volk der Creeks... Sie waren - Kannibalen!

Anders konnte man es nicht nennen: Groa hatte gesagt, dass die Haut undurchlässig war und die Körperflüssigkeit lebenslang hielt. Diese Körperflüssigkeit war ihr Leben.

Wer sie verlor, war des Todes. Eine Wunde genügte bereits, wenn man sie nicht rechtzeitig verschließen konnte.

Alle tödlich Verletzten, auch alle Alten, deren Haut durch das Alter porös wurde, verschwanden im Inneren des Planeten. Dort befanden sich die Kinder der Creeks. Sie wurden genährt von der Strahlung des Planeten, genauso wie die Erwachsenen. Aber diese Strahlung reichte allein nicht aus, die Kinder zu Erwachsenen heranreifen zu lassen. Sie würden Kinder bleiben, ohne die Chance, sich fortzupflanzen.

Das Volk wäre vom Aussterben bedroht.

Deshalb wurde vollzogen, was auf allen anderen Festkörpern ebenfalls vollzogen wurde. Sie hatten keine Wahl.

Alle, die nicht mehr lebensfähig waren, wurden von den Kindern verzehrt, damit sie durch die Aufnahme von zusätzlicher Körpersubstanz und vor allem zusätzlicher Körperflüssigkeit größer werden konnten.

Ich hatte zwar während meines Aufenthaltes im Miniuniversum niemals auch nur ein Sterbenswörtchen über die Vorgänge im Innern des Planeten gehört, aber alles lag klar auf der Hand. Und auch die Reaktionen von Kara waren verständlich, wenn ich sie darauf angesprochen hatte.

Die Wahrheit hatte ich einfach nicht sehen wollen.

Übrigens hatte ich niemals eine Schwangere gesehen - während meines ganzen Aufenthaltes nicht. Und hatte Kara nicht von mir ein Kind haben wollen? Es war niemals mehr darüber gesprochen worden. Falls ich tatsächlich ein ganzes Jahr mit ihr zusammen gewesen war...

Jetzt begriff ich das, auch ohne dass es mir von jemandem erklärt worden war: Der Fötus im Mutterleib blieb einfach zu klein, als dass man ihn hätte bemerken können. Es sei denn, die schwangere Frau zog sich zurück - ins Innere des Planeten. Denn nur dann konnte der Fötus wachsen, wenn sie so handelte wie die Kinder, die dies ebenfalls brauchten, um wachsen zu können...

Ich schüttelte mich.

Kein Wunder, dass sich Kara davor gedrückt hatte - war ich doch der einzige Creek gewesen, der um dieses Geheimnis nicht gewusst hatte! Sie hatte sich nur deshalb nicht in das Innere des Planeten zurückgezogen - meinetwegen! Denn damit hätte ich zwangsläufig die Wahrheit erfahren. Und ich hatte es nicht wissen sollen, dass meine Gastgeber von den Naturgesetzen des Miniuniversums zum Kannibalismus gezwungen waren!

»Arme Kara«, murmelte ich. »Du hast mich geliebt und hast meine Verachtung gefürchtet. Deshalb ließest du mich im Ungewissen. Arme Kara. Dabei haben die Creeks wirklich keine andere Wahl - sofern sie in ihrem Universum bleiben. Jetzt ist es für dich anders. Wenn du erwachst, kann unser Baby heranreifen, ganz normal und unser gemeinsames Kind wird ein Kind von Aaron werden.

Junge oder Mädchen? Schade, ich werde dies wohl nie erfahren, denn du irrst, wenn du glaubst, ich sei wirklich unsterblich!«

Denn unsterblich, das war nur der Sternenvogt selber - und ich war eben nur sein Diener...

DER DIENER DES STERNENVOGTS!

6

Der Traum.

Dieses innige Erleben.

Dieses übermächtige Empfinden.

Diese vollkommene Einheit -

MIT ALLEM...

Und dann - das Erwachen,

das einen aus dem Traum verstößt.

Die erschreckende Leere,

wenn nichts mehr davon bleibt.

Man kann und will es nicht begreifen.

Aber man beginnt bereits zu - vergessen.

Die Gedanken an das Leben füllen die Leere auf.

Lange noch klingt eine geheime Sehnsucht nach...

Doch gleich einem Traum,

so spürbar und nah,

so tief in uns selbst,

beherrschend die Sinne,

das Denken,

das Fühlen,

das Erleben

- und fliehend beim Erwachen

in das Nichts des Vergessens:

»DER PLANET DER TRÄUMER!«

(Bereter, alias John Willard)

*

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Ich wurde schon misstrauisch, als mich der STERNENVOGT vom Bildschirm herab anlächelte. Dabei bleckte er nämlich die Zähne wie ein Raubtier, das ein willkommenes Opfer entdeckt hatte.

»Äh, verzeih, dass ich dich so lange habe warten lassen - da draußen in der Einsamkeit des Weltraums, gewissermaßen ausgesetzt. Hoffentlich ist es dir in der Zwischenzeit nicht langweilig geworden? Aber ich hatte wichtige Gründe, so zu handeln. Äh ja, du kannst jetzt kommen, John Willard. Ich habe gewissermaßen eine mehrfache Überraschung für dich parat. Obwohl alle Überraschungen sich um ein einziges Objekt drehen.«

Der Tropfen, wie ich das Beiboot wegen seiner Form nannte, wurde vom Computer des Schiffes übernommen. Er war für die letzten Wochen mein enges Zuhause gewesen. So lange hatte mich der STERNENVOGT, mein Herr und Meister, warten lassen. Aus welchem Grund?

Ich brauchte nichts zu tun, als weiter abzuwarten. Alles ging vollautomatisch. Der Tropfen landete sicher im Hangar des Schiffes. Der Ausgang öffnete sich selbsttätig.

Ich stand auf, zupfte unnötigerweise an meinem leichten Bordanzug herum, als würde er schlecht sitzen und trat hinaus.

Der Sternenvogt stand im Durchgang. Aber er war nicht allein.

»Die Überraschung!«, sagte er lächelnd und deutete auf den Mann an seiner Seite: Sein neuer Diener!, dachte ich bestürzt und hatte dabei ein Gefühl, als würde sich der Boden unter meinen Füßen öffnen.

7

»Schnuckelig!«, kommentierte ich respektlos. Aber ich sagte es nicht zum Erhabenen, also brauchte ich nicht auf seinen Titel oder so Rücksicht zu nehmen. Ich sagte es zu meinem Rivalen direkt.

Der lächelte genauso wie mein Herr.

Es warnte mich.

Ich betrachtete den Burschen. Er war ein wenig größer noch als ich, ein wenig breiter sogar und vor allem muskulöser. Er hatte die perfekte Symmetrie der Gliedmaßen und der Muskulatur überhaupt. Kein Gramm Fett zuviel am Körper. Sein Oberkörper war nackt und - prächtig, überaus prächtig! Da kam ich nicht mit. Massive Brustmuskeln. Er ließ sie mir zu Ehren kurz spielen. Er beherrschte sie so, dass er einzelne Muskelfasern anscheinend willkürlich bewegen konnte. Eindrucksvoll und - vor allem bedrohlich. Wie Klaviersaiten, auf und ab...

Die Bauchmuskeln waren hart und geformt wie das sprichwörtliche Waschbrett.

Die Schultern waren wie aus goldfarbenem Marmor gemeißelt.

Perfekter hätte sie auch das größte Künstlergenie nicht hinbekommen.

Ich betrachtete die Arme. Die Oberarme schienen einmal ursprünglich als Oberschenkel geplant gewesen zu sein. So dick waren sie jedenfalls. Aber sie störten die Harmonie der Gesamterscheinung keineswegs. Sie passten vollkommen ins Bild.

Wenn dieser Kerl mich zu fassen kriegte, riss er mir Arme und Beine aus wie einem Brathähnchen...

Am wichtigsten für mich war allerdings die Frage: War der Kerl bewaffnet?

»Willkommen!«, sagte er salbungsvoll. Oh, diese volltönende Stimme. Wer hatte die denn gestimmt?

»Schon gut, du kannst ja nichts dafür!«, sagte ich beklommen.

Der Sternenvogt runzelte die Stirn. »He, du scheinst dich ja gar nicht zu freuen!?«

»Doch, Erhabener, mit Verlaub gesagt, aber es gelingt mir leider nicht, es mir auch anmerken zu lassen.«

»Du bist ein Lügner und Spötter, Willard. So kenne ich dich gar nicht. Begrüße endlich meinen neuen Diener, wie es sich gehört!«

»Wie Sie wünschen, Erhabener!«

Ich setzte mich in Marsch und ging auf dieses Prachtexemplar von einem Menschen zu. Unbewaffnet!, hämmerte es hinter meinen Schläfen. Du aber doch auch, John!

Mein Gesicht war eine starre Maske. Das konnte ich nicht verhindern. Ich sah den Sternenvogt überhaupt nicht mehr, sondern nur noch seinen neuen Diener.

Der neue Diener!

Verdammte Ironie. Nein, so schnell lasse ich mich nicht abservieren. Ich weiß nicht, was sich dein erhabener Kopf da ausgedacht hat, aber John Willard schaut nicht tatenlos zu. Er gibt niemals auf. Es sei denn, wenn er tot ist!

Dem Burschen war es nicht entgangen, dass ich ihn nicht sonderlich mochte und er konnte sich gewiss denken, dass ich mich nicht auf den Weg zu ihm gemacht hatte, um ihm herzlich für seinen neuen Job zu gratulieren.

Du oder ich!, dachte ich zu allem entschlossen - und griff an: Ich riss mein rechtes Bein blitzschnell hoch und täuschte somit einen Tritt vor, auf den der Bronzene auch prompt reagierte: Er machte eine entsprechende Abwehrbewegung. Das hieß, er riss die Arme hoch.

Dank des Täuschungsmanövers hatte ich genügend Schwung, auch das linke Bein vom Boden zu lösen. Ich flog unter der Deckung des Gegners hindurch und trat mit aller Kraft zu.

Mein Fuß traf den Unterleib des Bronzenen. Für einen normal gewachsenen Mann wäre der Tritt zwar nicht tödlich gewesen, aber er wäre vorübergehend kampfunfähig geworden.

Mein Gegner jedoch klappte lediglich zusammen und prallte mit einem dumpfen Laut gegen die Wand des Hangars.

Ich landete auf allen vieren am Boden und wirbelte herum.

Natürlich nach links, denn erfahrungsgemäß erwarteten die meisten Gegner, dass man sich nach rechts, über den rechten Arm also, abrollte.

Der Bronzene lachte belustigt.

Ja: BELUSTIGT!

Er trat nach mir, verfehlte mich allerdings.

Wieder lachte er.

Es klang nicht etwa hämisch, auch nicht brutal. Nein, er amüsierte sich einfach nur über mein Tun!

Und dann stürzte er sich auf mich.

Sein Pech, dass ich dort nicht mehr war, wo er sich hinwandte, denn ich entzog mich ihm rechtzeitig, landete auf den Beinen und sprang ihm mit beiden Füßen gleichzeitig in die Nieren.

Wieder dieser dumpfe Laut.

Er lag am Boden, drehte sich auf den Rücken.

Kurz spiegelte sein Gesicht Schmerz wieder.

Wenigstens lachte er nicht mehr über mich!

»Aufhören!«, befahl der Sternenvogt.

Aber es war zu spät, ihm zu gehorchen: Wir waren Todfeinde. Der Sternenvogt hatte einen neuen Diener, weil er mich abgeschrieben hatte. Es war also eine Frage meines Überlebens, keine Frage eventueller Sympathien oder Antipathien. Ob der Bursche nun seinerseits gut auf mich zu sprechen war oder nicht, auch das interessierte überhaupt nicht. Allein seine Existenz nämlich bedeutete praktisch meinen Tod.

Und ich wollte keineswegs sterben, denn ich hatte noch eine Menge Pläne...

Ich wollte leben und sah darin einen besonderen Sinn. Nicht nur für mich selber, sondern gewissermaßen für das ganze Universum.

Ich war der Diener des mächtigsten Mannes des gesamten Universums und ich war fest überzeugt davon, dass das gnädige Schicksal mir damit eine Rolle verschafft hatte, in der ich nützlich sein konnte wie noch niemals ein Mensch zuvor in der gesamten Menschheitsgeschichte. Denn ich war John Willard. Ich war nicht der Revolutionär der Gewalt, sondern ich sah mich als ein Revolutionär der Vernunft: Ich revolutionierte die universale Ordnung sozusagen von oben!

Ja, so sah ich mich selber. Und in dieser Rolle wollte ich die einzige Existenz auslöschen, die mir im Moment im wahrsten Sinne des Wortes im Weg stand: den Bronzenen!

Ich tänzelte um ihn herum.

»John Willard, hörst du nicht?«, rief der Vogt.

Nein, ich hörte nicht!

Der Bronzene riss die Beine hoch, stemmte sich allein mit den Schultern hoch, flog empor und landete auf den Füßen. Eine wahrhaft gekonnte ›Kippe‹. Aber er blieb nicht stehen wie ein Klotz, sondern duckte sich und wirbelte herum.

Mein Glück, dass ich nicht sofort angegriffen hatte.

Ich schnellte vor, ließ die Fäuste fliegen.

Damit hatte ich nicht treffen wollen. Es ist nämlich immer wichtig, den Gegner aus der Reserve zu locken. Das uralte Sprichwort, dass Angriff die beste Verteidigung sei, war nichts weiter als grober Unfug. Zumindest in einem Zweikampf Mann gegen Mann. Man muss nämlich jeden Angriff in die eigene Verteidigung einbauen. Dafür muss er natürlich erst einmal erfolgen...

Wie beim Bronzenen: Der reagierte auf meinen Scheinangriff. Dadurch war sein Unterleib ungeschützt. Nun schon zum zweiten Mal.

Ich trat ohne Zögern zu, tänzelte blitzschnell zur Seite.

Er vollführte den Gegenangriff, auf den ich so sehr gewartet hatte: Eine Folge von Schlägen und Tritten, die mich rückwärts trieben, ohne mich jedoch zu treffen.

Ich sah dies alles wie in Zeitlupe. Ich erkannte den Bewegungsablauf, analysierte ihn und wusste genau, dass er mich an der Hangarwand fixieren wollte. Ich wusste nur noch nicht, mit welchem Schlag er mich dort fertig machen wollte.

Bis es soweit war.

Es gibt physikalische Grundvoraussetzungen. Bei jedem Schlag musste der Körper entsprechend ausbalanciert werden. Strebte man einem Höhepunkt zu, dann musste darin alle Kraft münden. Das ging aber nur, wenn man die Balance sozusagen ausschaukelte. Wer einen Blick dafür besaß, konnte allein an der Körperhaltung erkennen, mit was zu rechnen war - bis in die kleinsten Nuancen sogar!

Er leitete mit einem Tritt ein. Ich wich nicht aus, sondern ließ den Tritt an meinem Körper enden. Er berührte nämlich nur flüchtig meine Haut, obwohl es für einen Laien ausgesehen hätte, als wollte er mich so voll treffen.

Aber es gehörte nur zum Bewegungsablauf, der einem völlig anderen Höhepunkt zustrebte. Deshalb zog er sein Bein rechtzeitig an und hatte nun den entscheidenden Schwung für den tödlichen Schlag: Er wollte mich am Hals treffen. Das war mir jetzt klar.

Das hätte mich auf der Stelle getötet.

Es war egal, ob ich jetzt nach links oder rechts auszuweichen versuchte, denn er legte alle Kraft in diesen einen Schlag und hatte dabei noch die Linke in Reserve, um zuzupacken und mich festzuhalten.

Seine Reflexe waren bestens. Er würde meinen Hals so oder so finden. Wenn nicht mit der rechten Faust, dann mit der zupackenden Linken. Und dann würde er den Bewegungsablauf entsprechend korrigieren.

Und selbst wenn ich so lange wartete, bis der Bewegungsablauf nicht mehr korrigiert werden konnte, würde er sich zwar die eigene Faust an der Hangarwand zerschmettern, aber mit der unverletzten Linken würde er mit einem einzigen Griff meinen Kehlkopf zerquetschen.

Mein Ende würde nur um Sekundenbruchteile verschoben sein. Mehr würde nicht dabei herauskommen.

Und dennoch gab es eine winzige Chance für mich und genau diese erkannte der Bronzene bei all seiner Überlegenheit einen Sekundenbruchteil zu spät.

Er sah zwar, dass sich mein Körper im entscheidenden Moment spannte, aber er konnte nichts mehr tun, weil der eigene Schlag ihn vorwärts trieb: Ich riss beide Beine hoch, zog sie gleichzeitig an die Brust.

Mein eigenes Körpergewicht zog mich an der Wand herunter. Nicht sehr tief, denn das Ganze verlief so schnell, dass meine Füße schon an dem bronzenen Hals waren, ehe ich so tief gerutscht war, um seinem Schlag auszuweichen.

Aber das brauchte ich auch gar nicht mehr - auszuweichen! Schließlich waren meine Füße an seinem Hals und ich trat gleichzeitig mit aller Kraft zu.

Sein eigener Körperschwung verstärkte enorm die Wirkung: Ich sah, wie sein Kopf in den Nacken flog. Das konnte er nicht verhindern. Ich hörte das hässliche Krachen, als sein Genick brach.

Aber der Schwung trieb ihn weiter gegen mich.

Seine tödliche Faust wurde nach oben abgelenkt - weit genug, um mich zu verfehlen und an der Hangarwand zu zerschmettern.

Seine übermenschliche Kraft und der Schwung des Schlages reichten allerdings aus, um die Kraft meiner Oberschenkelmuskulatur spielend zu überwinden und mir beide Beine und mehrere Rippen zu brechen.

Ein bisschen mehr noch und es wäre ihm gelungen, noch im Tode mich zu zermalmen.

Ich spürte den grausamen Schmerz und fiel kraftlos zu Boden. Eine gnädige Bewusstlosigkeit ließ mich das Weitere nicht mehr miterleben...

8

Ich kam zu mir und war schmerzfrei.

Wie durch ein Wunder!

Mein erster Gedanke war dennoch: Ein ungleicher Kampf zwar, aber ich habe ihn gewonnen!

»Du verdammter Narr, du!«, schimpfte jemand am meiner Seite.

Ich wandte den Kopf.

Der Sternenvogt stand neben meiner Liege. Er war außer sich vor Zorn.

»Und nicht nur ein Narr, John Willard, sondern der geborene Ungehorsam! Ich hatte befohlen, aufzuhören. Hast du das denn nicht gehört?«

»Mit Verlaub, Erhabener, mir war nicht nach kämpfen zumute, weil mir nie danach ist. Aber mir war nach überleben... Denn das ist es mir - immer!«

»Du unverschämter...«, stotterte der Sternenvogt verdattert.

Ich kontrollierte automatisch meine Glieder. Alles wieder in Ordnung. Die Medoeinheit hatte das Wunder vollbracht, aber auch sie schaffte es schließlich nicht, Tote zum Leben zu erwecken...

Eigentlich schade um dich, Bronzener. Aber mir blieb leider keine andere Wahl. Würdest du noch leben - du müsstest es einsehen...

Ich schwang mich empor und ließ die Beine von der Liege baumeln.

Der Sternenvogt schnappte nach Luft und dann war er auf einmal ganz ruhig. Ich dachte daran, dass er solche Gefühle willkürlich erzeugte. Erfahrungsgemäß fiel es ihm anschließend schwer, sie zu zügeln. Aber diesmal gelang es ihm in bewundernswerter Weise.

Wieso?

Er betrachtete mich ruhig.

»Dann hast du also tatsächlich geglaubt, ich hätte absichtlich diese Situation heraufbeschworen? Wie kann ein Mann wie du, mit deiner Intelligenz und deiner Begabung... Wie kann ein Mann wie du solche Irrtümer begehen? Ein Philosoph sagte einmal: ›Die Dummheit ist eine Störung, die jeden einmal befällt. Sie ist kein Privileg wie das Genie, weil das Genie eben nur Genies befällt, die Dummheit aber niemals nur auf die Dummen beschränkt bleibt. Darum hüte dich vor einem Anfall von Dummheit. Bleibe selbstkritisch, vor allem, wenn du etwa glaubst, immun zu sein, denn die Dummheit bleibt, wenn man zu dumm ist, sie zu bemerken. Sie kommt ohne jegliche Vorwarnung über jeden!‹«

Ich kannte dieses ironische Philosophenwort. Der Philosoph selber hatte sich nicht einmal davon ausgeschlossen.

Dummheit?

War ICH etwa damit gemeint?

»Jede Existenz, die meine Existenz überflüssig macht, muss beseitigt werden, Erhabener!«, verteidigte ich mich. »Das ist doch nur logisch!«

Er lachte hell.

»Selbst wenn diese Existenz unter meinem Schutz steht?«

Diese Antwort musste ich ihm schuldig bleiben.

Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken und beugte sich leicht vor.

»Ich hatte von mehreren Überraschungen gesprochen, dir zugedacht, John Willard. Und dann hast du selber für eine Überraschung gesorgt. Ehrlich gesagt...«, er wippte auf den Zehenspitzen auf und ab, »... ich hatte mit einer solch heftigen Reaktion eigentlich gar nicht gerechnet. Ein Kampf auf Leben und Tod?« Er schürzte die Lippen. »Den hast du gewonnen, gegen einen Gegner, der dir faktisch überlegen war. Das heißt, wenn man deine und seine körperlichen Fähigkeiten gegeneinander aufrechnet, hast du keinerlei Chancen...«

Worauf wollte er eigentlich hinaus, um alles in der Welt?

Er lächelte nachsichtig.

»Weißt du, John Willard, ich habe die Zeit genutzt. Ich habe deine ganzen Berichte - von allen Einsätzen, die du in meinem Namen gefahren hast... Nun, ich habe sie sorgfältig ausgewertet. Zum Beispiel den von Aaron: ausgewertet und mir daraus ein Testprogramm gefertigt. Dem fügte ich sämtliche Daten von Aaron hinzu, die ich selber herausbekommen habe. Es ließ sich ein künstliches Gesamtbild erstellen, eine regelrechte Testwelt.

Gewissermaßen Aaron in künstlich. Und weißt du, was ich damit gemacht habe?«

Ich wollte es wissen und hielt unwillkürlich den Atem an...

»Ich habe den guten Bron damit konfrontiert. Das heißt, ich habe ihm dieselbe Aufgabe gestellt, die du so erfolgreich gelöst hast. Ich schickte ihn sozusagen nach Aaron, damit er dieselbe Mission erfüllt wie du...«

»Ein Versager, Erhabener!«, sagte ich im Brustton der Überzeugung.

»Du bist nicht nur sehr von dir eingenommen, John Willard, sondern auch reichlich vorlaut!«, tadelte er mich gutmütig. »Zugegeben, es ist nicht zu leugnen: Bron hätte die Aufgabe nicht mit solcher Bravour lösen können. Das hat der Test eindeutig bewiesen. Er hätte einen Krieg ausgelöst. Und dann dein Bericht aus dem Miniuniversum, also vom Sternenmoloch. Ich habe deine Erfahrungen vom ersten Mal - vom ersten Test meine ich - in die Waagschale geworfen und bin sehr gut damit zurechtgekommen, um einen neuen Test zu erstellen. Deshalb habe ich dich auch so lange warten lassen. Testergebnis?«

»Versager, schätze ich, bei allem Respekt, Erhabener!«

»Auch zugegeben. Bron wäre niemals wieder zurückgekehrt. Sicherlich hätte er es geschafft, sich die Creeks nachhaltig zu Feinden zu machen. Bis zu seinem Tode, vermutlich, denn auch so ein überragender Kämpfer wie er findet einmal seinen Meister.«

»Was ja nicht mehr zu leugnen ist. Äh, ich bitte untertänigst um Vergebung, Erhabener.«

»Ich weiß: John Willard, der Schelm! Manchmal lache ich sogar gern über deine Scherze, John Willard, aber im Moment ist mir nicht danach. Vielleicht vergeht auch dir das Lachen bald?«

Ich zweifelte nicht daran, denn es war klar, dass er noch eine weitere Überraschung parat hatte - mindestens eine hieß das.

»Ich habe nämlich beide Tests noch einmal durchspielen lassen, bevor ich dich empfing, John Willard. Und zwar habe ich nicht nur Bron auf die Reise geschickt, sondern - euch beide!«

»ZWEI Diener?«, entfuhr es mir. Ich war in der Tat böse überrascht.

»Kannst du dir nicht vorstellen, dass ein Sternenvogt auch einmal zwei Diener besitzen könnte?«

»Ehrlich gesagt, nein, Erhabener, denn zwei könnten unmöglich sich als der Sternenvogt ausgeben. Sie könnten also nicht in Eurem Auftrag tätig werden, Erhabener.«

»Es sei denn, der eine ist der Sternenvogt und der andere - spielt halt eben den Diener, nicht wahr?«

Ich schüttelte verwirrt den Kopf.

»Wenn ihr mir eine Frage erlaubt, Erhabener?«

»Nur zu!« Er lächelte erwartungsvoll.

»Wer wäre denn der Herr und wer der Diener gewesen - im Test, meine ich?«

»Im ersten Test dieser Art war Bron der Herr und du der Diener. Im Fall Aaron totales Scheitern. Im Fall Miniuniversum entstand eine Art Unentschieden. Aber die Chancen ohne Bron wären immer noch größer geblieben. Ich ließ die Tests also noch einmal machen. Diesmal warst du der Herr, John Willard. In einem solchen Fall - bei beiden Aufgabenstellungen... Nun, was schätzt du diesmal?«

»Gelingen?«, fragte ich vorsichtig und fügte eilig hinzu: »Erhabener!«

»Gewiss, mein Lieber.« Er strahlte über das ganze Gesicht. »Genau so, John Willard. Und das ist sozusagen die Hauptüberraschung, die ich dir zugedacht hatte. Ursprünglich wenigstens. Denn ich habe herausgefunden, dass du als Sternenvogt und Bron als dein gehorsamer Diener ein sehr erfolgreiches Gespann abgeben würdet.«

Ich konnte mich allerdings überhaupt nicht darüber freuen. Ganz im Gegenteil. Nicht etwa, weil der gepriesene Bron sowieso nicht mehr unter den Lebenden weilte... Das focht mich nicht mehr an. Das war ein Stück Vergangenheit, weil man Tote bekanntlich nicht mehr zum Leben erwecken konnte. Ich war auch recht gelassen, was die Reaktion meines Herrn in dieser Sache betraf. Ich glaubte nicht, dass ich mit Bestrafung rechnen musste. Es leuchtete ihm ein, dass ich glauben musste, um mein Leben kämpfen zu müssen. Und ich hatte ihm schließlich bewiesen, dass ich ein besserer Mann war als dieser Bron. Sonst hätte ich nicht gewonnen.

Die Tests hatten das nur noch untermauert.

Das Fehlen jeglicher Freude über den Vorschlag, den der Sternenvogt so großartig fand, hatte andere Gründe. Er nannte sie selbst: »Ja, John Willard, ein gutes Gespann, ihr beide und außerdem hättest du nicht mehr so viele Alleingänge wagen können. Bron wäre immer hübsch an deiner Seite geblieben und hätte mich vertreten. Zwar als Diener, aber in erster Linie als der treue Diener von MIR, versteht sich! Eine Art Wachhund, mein Lieber, denn ich traue dir nicht einmal soweit, wie ich dich sehe - trotz oder vielleicht gerade wegen deiner so hohen Erfolgsquote!«

Er klatschte in die Hände.

Im frühen Altertum hatte man so wohl seine Diener gerufen.

Ich hielt unwillkürlich den Atem an. Was hatte das denn nun wieder zu bedeuten?

Meines Wissens konnte außer ihm und mir niemand mehr an Bord sein...

Die Tür öffnete sich. Jemand betrat die Medostation: Es war BRON!

Tatsächlich!

9

Bron begrüßte mich mit einem feindseligen Blick und machte in Richtung Sternenvogt eine untertänige Verbeugung.

»Bron!«, stellte der Sternenvogt spöttisch vor - und völlig überflüssig, weil ich ihn sowieso auf Anhieb erkannte. Obwohl es völlig unmöglich erschien...

»Klapp deinen Mund wieder zu, John Willard, ehe du dir die Mandeln erkältest. Wie du siehst, Bron ist keineswegs tot. Und ich kann dir auch erklären wieso.«

»Wieso?«, fragte ich dümmlich und schüttelte den Kopf.

»Er ist kein Mensch, wenigstens keiner, wie die Natur ihn hat entstehen lassen. Er ist ein Android, also ein künstlicher Mensch. In ihm stecken alle Erfahrungen und alles Wissen vom Planeten der Ausbildung. Das heißt, was den Diener eines Vogts betrifft. Er ist ein wahres Wunderwerk an körperlichen und geistigen Fähigkeiten.«

»Ich hab's bemerkt!«, sagte ich respektlos und betrachtete das unversehrt erscheinende Genick.

»Bron hat viele Vorteile und jeder für sich ist schließlich eine Überraschung für dich, nicht wahr, John Willard? Zählen wir doch mal auf: Er ist hundertprozentig loyal mir gegenüber. Er ist weniger anfällig als ein Mensch, das heißt, man kann ihn eigentlich nicht töten, indem man ihm das Genick bricht, wie du siehst. Außerdem ist er ein idealer Partner für dich in Einsätzen. Er holt dich dort heraus, wo du aus eigener Kraft nicht mehr herauskommen könntest.«

»Ich - ich bin also wirklich nicht mehr ganz allein auf mich gestellt?« Ich zeigte darüber gespielt Freude und sprang von der Liege. Ich lief zu Bron hinüber und reichte ihm die Hand. »Dann bitte ich dich um Vergebung, mein Freund!«

Er zögerte, aber als ihm der Sternenvogt aufmunternd zunickte, ergriff er die dargebotene Hand und schüttelte sie.

»Er ist intelligenter als ein Mensch, einfach besser als ein Mensch, in jeglicher Beziehung, John Willard. Das kannst du mir glauben. Schließlich hat man ihn nach den neuesten Erkenntnissen herangezüchtet. Und selbst das, bis er fertig war, hat sehr lange gedauert. Er ist der beste Diener, den ein Sternenvogt jemals hatte. Und wenn du mich auf einer Mission vertrittst, wirst du heilfroh sein über ihn.«

Ich wandte Bron den Rücken zu und sagte lächelnd: »Ich weiß diese Ehre sehr wohl zu schätzen, Erhabener. Es ist auch gut, dass ich dann einen Zeugen haben werde, wenn ich meine Berichte verfasse, aber es gibt Situationen, da muss man allein sein. Beispielsweise, wenn es um die Liebe geht wie im System Aaron, aber auch wie im Miniuniversum. Wenn Ihr eine Bitte erlaubt: Ich bin selbstverständlich mit allem einverstanden, was einer Mission zum Erfolg verhilft, aber...«

»Aber?«, echote der Sternenvogt alarmiert.

»Meine Bitte wäre äußerst bescheiden, Erhabener, gewiss: Wisst ihr, bei der Begegnung mit seinem Sternenvolk stünde es seinem Sternenvogt wirklich sehr schlecht zu Gesicht, wenn er zunächst persönlich kommen würde, während sein Diener im sicheren Schiff verbleibt. Insofern habt ihr vollkommen recht. Anders, wenn er gemeinsam mit Diener erscheint, der wie ein Aufpasser wirkt... Das würde sein Position ebenfalls entscheidend schwächen. Glaubt mir, es wäre in beiden so erfolgreich gelösten Fällen so negativ verlaufen. Andererseits, wenn man zunächst nur den Diener schickt... und wenn der Sternenvogt danach kommt, um nach dem Rechten zu sehen und zurechtzurücken, was falsch geraten ist... Das hätte die Position des Sternenvogts jedes mal gewiss erheblich gestärkt, wie Ihr zugeben müsst, Erhabener!«

Bron knurrte angriffslustig, der Sternenvogt jedoch lachte herzhaft, wie über einen gelungenen Scherz.

Im Moment glaubte er tatsächlich, ich wollte Bron dazu benutzen, die Kastanien aus dem Feuer zu holen, nicht nur für den Vogt, sondern auch für mich. Das war es, was ihn so amüsierte.

Aber er würde sicherlich meiner Bitte Folge leisten, denn die Logik meiner Argumente war einleuchtend - letztlich. Ich würde also nur dann auftreten, wenn es nicht mehr anders ging. Beispielsweise, wenn ich eine Möglichkeit sah für meine ganz persönlichen Pläne, von denen der Sternenvogt niemals auch nur etwas ahnen durfte. So hoffte ich.

Es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht Bron zusätzlich dazu einsetzen konnte. Möglichst so, dass er es selber niemals bemerkte. Genauso wenig wie der Erhabene. Sonst würde es schlimm enden für mich.

Ich verbeugte mich tief.

Und dann tat mir Bron nachgerade leid. Ich nahm mir ehrlich vor, Freundschaft mit ihm zu schließen. Ja, das wollte ich wirklich. Denn niemand sollte mir nachsagen können, ich sei etwa nachtragend.

Man musste sich mit den Partnern der Revolution halten, auch wenn die selber überhaupt nichts von ihrer eigentlichen Rolle bemerkten.

Und der Sternenvogt war dabei mein Pilot, der mich von einem Brennpunkt zum anderen flog, als der wahrhaft Erhabene, als der er sich dünkte.

Bron war dabei mein Diener und Freund.

Und er würde es so lange bleiben - bis einer von uns nicht mehr am Leben war...

So dachte ich es mir jedenfalls. Aber mein Herr und Meister, der STERNENVOGT, hatte ganz anderes im Sinn. Denn ich kannte noch nicht alle Überraschungen, die er mir zugedacht hatte. Und so kam alles ganz anders...

10

In den folgenden Tagen gingen Bron und ich uns lieber aus dem Weg. Wir taten es sozusagen unbewusst. Aber das Schiff war groß genug dazu. Es war eine Welt für sich, die sich vollkommen an die Bedürfnisse ihrer Mitreisenden anpassen konnte. Als wäre sie selber ein denkendes und fühlendes Lebewesen.

Ich war sogar überzeugt davon, dass das Schiff nach Bedarf auch wachsen oder schrumpfen konnte! Auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie das denn hätte funktionieren sollen.

Jedenfalls war die Technik des Raumschiffs allem überlegen, was es in diesem Universum sonst noch gab. Und der STERNENVOGT wollte es mir sogar beweisen: »Ein neuer Auftrag für dich!«, eröffnete er mir nach etwa einer Woche. Er hatte auch Bron zu sich gerufen. Wir saßen vor ihm, wie befohlen, immer noch auf Abstand bedacht. Er war genauso misstrauisch mir gegenüber wie umgekehrt.

Der STERNENVOGT ließ seinen Blick zwischen uns beiden hin und her wandern.

»Der Planet liegt uns sozusagen zu Füßen. Wir sind allerdings unsichtbar für sein automatische Überwachungssystem. Ansonsten gibt es keine Annäherung. Für niemanden. Trotz der überlegenen Technik, die uns zur Verfügung steht, wäre selbst die Annäherung mit einem unserer Beiboote unmöglich.«

»Und wie soll ich dann meinen Auftrag auf diesem Planeten erfüllen?«, fragte ich. Rasch fügte ich hinzu: »Erhabener!«

»Du bist mal wieder recht vorlaut, John!«, tadelte er mich. Aber er lächelte dabei gutmütig. Und dann fuhr er fort: »Du brauchst nicht auf dem Planeten zu landen. Du bleibst hier auf diesem Schiff. Zumindest körperlich!«, schränkte er ein.

Ich wechselte mit Bron einen Blick. Aber auch der wusste anscheinend nicht Bescheid. Oder tat er nur so?

Ich fühlte mich verhöhnt und konnte es nicht verhindern, dass ich eine Grimasse zu den Worten des STERNENVOGTS schnitt, als er sagte: »Genauso wie Bron übrigens! Deshalb heißt er ja auch so: Bron! Weil er die Rolle eines Kriegers namens Bron übernimmt und zwar ohne Einschränkungen. Er übernimmt seine Erinnerungen, einfach alles. Obwohl Bron in Wirklichkeit gar nicht mehr lebt.«

»Nicht mehr lebt?«, echote ich ungläubig.

Der STERNENVOGT deutete mit dem Daumen auf den Hauptbildschirm, auf dem der Planet übergroß zu sehen war. »Ich nenne ihn PLANET DER TRÄUMER und das hat seinen Grund: Die irdischen Siedler, die ihn einst besiedelten, mutierten mit der Zeit, aus welchen Gründen auch immer. Sie entwickelten parapsychische Fähigkeiten. Der Preis, den sie dafür zahlen mussten, war das Aussterben ihrer neuen Rasse. Je mehr sie sich veränderten, desto unfruchtbarer wurden sie gleichzeitig. Bis nur noch eine Handvoll von ihnen übrig war. Auch sie widersetzten sich allerdings erfolgreich meinem Rat, den Planeten rechtzeitig zu verlassen und umzusiedeln. Ich hätte eben rechtzeitig neue Siedler herbringen können, die den Planeten als Handelswelt für das große Handelssystem und die universale Ordnung erhalten hätten...«

»Mit Verlaub, Erhabener, aber darf ich Euch an diesem Punkt unterbrechen - zu einer bescheidenen Frage?«

»Bescheiden?« Er lachte schallend. »Das Wort aus deinem Munde hörte ich wohl, allein, es fehlt mir der Glaube!«

Ich fasste es als Aufforderung auf, die Frage zu stellen: »Warum haben Sie das überhaupt zugelassen, Erhabener? Ihr hättet die doch dazu zwingen können?«

»Ja, gewiss, das hätte ich, aber es war für mich nicht so wichtig. Weil diese Welt als Handelspartner nicht so wichtig war. Sie war noch zu sehr Kolonialwelt und mein Vorgehen wäre höchstens eine teure Investition für eine ferne Zukunft gewesen. Außerdem wären wohl die Menschen immer wieder mutiert und hätten erneuert werden müssen. Es wäre sehr fraglich gewesen, ob diese Welt dort unten überhaupt jemals eine Bedeutung als Handelswelt erhalten hätte, die den Einsatz lohnend gemacht hätte. So sah ich das Ganze lieber als ein interessantes Experiment an, denn der kümmerliche Rest der neuen Menschenrasse dort unten hatte beschlossen, das Beste aus der Situation zu machen. Und das Beste war für sie der Einsatz ihrer neuen, parapsychischen Kräfte, um Unsterblichkeit zu erlangen.«

»Unsterblichkeit?« Ich schaute zum Hauptschirm hinüber und versuchte, mir vorzustellen, was dort unten passiert war.

»Es ist lange her, sehr lange.« Der STERNENVOGT sagte es sehr nachdenklich. Auch er schaute jetzt hinüber. »Da schlossen sie sich also zu einem Kollektiv zusammen. Sie nannten es DAS KOLLEKTIV DER TRÄUMER. Und sie begannen... zu träumen: Sie träumten sich ihre eigene Welt. Und ich griff nicht ein. Ich wollte einfach wissen, wie sich so etwas entwickelte. Und ich schaute so lange zu, bis es zu spät war. Der Traum wurde sozusagen Wirklichkeit!«

Er schaute mich an. Es war wie in alten Zeiten, als ich sein einziger Diener war. Er ignorierte Bron und ich konnte nicht sagen, dass ich dies etwa als unangenehm empfunden hätte.

»Auf diesem Planeten ist jegliches anderes Leben erstorben. Die automatischen Überwachungssysteme halten alles fern, was sich ihm nähern will. Selbst die automatische Überwachungsstation, die ich zurückgelassen habe und die alles genauestens beobachtet, muss vorsichtig bleiben. Sie wird abgeschossen, falls sie entdeckt wird. - Nun könnte ich natürlich mit meinen überlegenen Waffen alles auslöschen, um damit das Problem zu lösen. Aber genau das will ich nicht: Weil die Folgen unabsehbar sind.«

Er schöpfte tief Atem. Dann: »Weil der Traum inzwischen längst eine Macht erreicht hat, die mir unheimlich geworden ist. Der Traum wurde zu einem eigenen Universum. Es ist klein und auf die Oberfläche dieses Planeten beschränkt, aber sie ist nicht so einfach auszulöschen. Nicht mit Waffengewalt jedenfalls. Ich habe alles genauestens berechnen lassen. Immer wieder. Alle Berechnungen beweisen, dass es keine Chance gibt. Ganz im Gegenteil: Sobald das System des Traumes angegriffen wird, könnte er sich wehren.«

»Das Kollektiv könnte sich wehren, nicht wahr?« Ich vergaß diesmal sogar, ›Erhabener‹ hinzuzufügen.

Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe es schon richtig formuliert: Der Traum selbst! Denn er hat sich längst verselbständigt, John. Wie ein Traum, den du zur Schlafenszeit erlebst: Kannst du ihn denn in allen Details willkürlich steuern? Neigt nicht jeder Traum dazu, sich zu verselbständigen?«

Ich hätte ihm jetzt erklären können, dass ich darin vielleicht eine kleine Ausnahme war. Ich konnte meine Gefühle steuern, genauso wie meine bewussten Gedanken. Sonst hätte ich in seiner Anwesenheit keine zehn Minuten überlebt. Denn er war Telepath und konnte Gedanken lesen. Und trotzdem entlarvte er mich nicht als der, der ich unter Ausnutzung seiner Macht wirklich sein wollte: ein Revolutionär der universalen Ordnung.

Aber ich sagte gar nichts. Ich wartete vielmehr darauf, dass er mir mehr Informationen bot.

»Nein«, fuhr er endlich fort, »es gibt keine andere Möglichkeit: Du musst hinein, in diesen Traum und musst es schaffen, ihn soweit zu beeinflussen, dass dem Kollektiv der Träumer wieder bewusst wird, dass sie alles nur träumen. Das klingt verrückt, nicht wahr? Aber ist nicht die ganze Angelegenheit - verrückt?« Er schaute zum Hauptbildschirm. »Und dennoch ist sie gefährliche Wirklichkeit. Der Traum eskaliert mehr und mehr. Es ist höchste Zeit, Bereter.«

Sein Blick fand mich wieder. »Du wirst Bereter sein, John Willard. Er ist ein Sucher, losgeschickt vom Rat der Weisen in dieser fremdartigen, grausamen Welt. Der Rat der Weisen, das ist sozusagen das Unterbewusstsein des Kollektives. Aber vergiss nicht: Dies ist zwar ein Traum, aber einer, der sozusagen Wirklichkeit geworden ist. Du wirst die Rolle von Bereter übernehmen. Das heißt, dein Geist wird es tun. Denn Bereter selbst ist nicht wirklich körperlich, weil er Bestandteil dieses Traumes ist. Und du wirst deine Aufgabe erfüllen, Bereter - weitergehend als die Aufgabe des echten Bereter: Rückführung vom PLANET DER TRÄUMER in die WIRKLICHKEIT! Denn um die Gefahr zu bannen, muss letztendlich das Kollektiv wieder erwachen. Der Zeitpunkt hierfür erscheint mir ideal. Ich habe darauf gewartet, lange, viel zu lange.« Er grübelte sichtlich darüber nach. »Tausend Jahre?«, fragte er sich laut. »Nun, ich könnte es in Erfahrung bringen, aber es ist eigentlich uninteressant.«

Sein Blick ging zu Bron hinüber. »Du weißt nicht, warum ich dich Bron genannt habe. Aber jetzt sollst du es erfahren. Es hängt mit deiner besonderen Rolle zusammen: Einst machte sich ein Sucher auf den Weg, um den sich innerhalb des realen Traums heute noch die wundersamsten Geschichten spinnen. Dieser Sucher war ein mächtiger und überlegener Krieger namens Bron. Er fand Zuflucht in den Bergen. Damit schaffte er etwas, was keiner vor ihm geschafft hatte. Aber auch ihm gelang es letztlich nicht, die ursprüngliche Aufgabe zu erfüllen: Jeder Sucher wird vom Rat der Weisen ausgeschickt, um wieder mehr Macht über den Traum zu erhalten. Aber das ist nicht möglich, sobald der Kontakt zwischen den Weisen und dem Sucher abbricht.

Dies geschah auch bei Bron, obwohl er als einziger überlebte. Und in der Zuflucht der Berge wurde er alt. Bis er eines Tages starb - wie jeder Mensch.

Doch im entscheidenden Moment griff ich ein, von meiner Überwachungsstation alarmiert. Ich speicherte seine gesamte Persönlichkeit in meiner Datenbank. Dort befindet sie sich, sozusagen unsterblich geworden. Und du heißt Bron, weil du seine Rolle übernehmen wirst: Du bist Bron und wirst alle seine Erinnerungen übernehmen. Gleichzeitig aber wirst du tief im Unterbewusstsein die Wahrheit wissen. Für alle Fälle!«

Er schaute wieder zu mir. »Im Gegensatz zu John Willard. Er wird nur noch wissen, dass er Bereter ist, um nicht das Misstrauen des Kollektives zu wecken. Wer er wirklich ist, wird er erst erfahren, wenn es zum Überlebensfaktor wird. Diese Information wird aus Brons Unterbewusstsein rechtzeitig aufsteigen und er wird dich informieren, Bereter. Es ist der eigentliche Grund, Bereter, warum Bron mein zweiter Diener geworden ist. Begreifst du das jetzt endlich? Denn allein wärst selbst du des Todes - dort unten. Denn wenn du in diesem verrückten Traum stirbst, dann ist dieser Tod endgültig, weil ich diesmal nicht eingreifen kann. Es darf keine Verbindung zwischen euch und dem Schiff geben, während dem ganzen Einsatz nicht. Ich darf kein Risiko mehr eingehen. Ich werde hier sein und abwarten, wie sich der Traum entwickelt. Bis zum Erwachen des Kollektives. Möge es euch gelingen, denn wenn nicht... Ich weiß nicht, was noch wird, denn der Traum schickt sich inzwischen an, die Grenzen des Planeten zu sprengen. Er will sich ausbreiten, um das reale Universum zu fressen...«

Ich sagte überhaupt nichts mehr. Was hätte es denn schon genutzt? Die Würfel waren gefallen. Der STERNENVOGT hatte die Aktion offensichtlich auf lange Hand vorbereitet - auf unvorstellbar lange Hand. Was waren für ihn schon tausend Jahre oder mehr? Schließlich war er unsterblich.

Ich hingegen...

Mein Blick fiel auf Bron. Er erwiderte diesen Blick ruhig. Nein, jetzt waren wir keine Feinde mehr. Wir würden Freunde sein müssen - oder untergehen, bei dem verrücktesten Auftrag, den ich mir jemals denken konnte...

Und dann war es soweit: Die überlegene Technik des Schiffes ließ mich vergessen, dass ich in Wirklichkeit John Willard war, der Diener des STERNENVOGTS. Ich wurde zu Bereter, dem SUCHER und der steckte bereits mittendrin in einer tödlichen Falle, aus dem es kein Entrinnen geben würde, falls er keine Hilfe bekam. Zum Beispiel von - Bron...

11

»Komm zum Himmel, SUCHER!«, klang die Stimme des Orakels in mir nach. »Steige hoch hinauf, willst du den Gipfel als den Höhepunkt deines Lebens erreichen. Steige, SUCHER!«

Und ich stieg, denn ich dachte mir insgeheim, das Orakel könnte eigentlich nur die BERGE gemeint haben...

Die Worte des Orakels begleiten jeden SUCHER auf seinem Weg, wenn er den Stamm verlässt, um die höchste Reife zu erlangen. Und nur gereift darf er schließlich zurückkehren - falls er nicht für immer verschollen bleibt.

Die Weisen warnten mich zwar vor den unbekannten Gefahren der Berge, aber war es nicht ihre Pflicht, JEDEN zur größten Besonnenheit zu ermahnen?

Ich blieb stehen und ballte die vor Kälte klamm gewordenen Hände zu Fäusten. Mein Atem ging keuchend. Die Dampffahne stand nur kurz vor meinem Mund, ehe sie der kräftige Höhenwind zerfetzte.

Trotz des Windes hielt sich der Hochnebel sehr hartnäckig. Er hatte die Farbe von Blei, machte jeden Atemzug zur Qual und ließ mich nur wenige Schritte weit sehen.

Mehrmals war ich inzwischen zu einem Abgrund gekommen. Dank meiner Vorsicht hatte ich jedes mal rechtzeitig stoppen können. Und dann hatten mich die bodenlosen Abgründe auf immer größere Umwege gezwungen, so dass ich längst die Orientierung verloren hatte.

Ich wusste nur noch eines: höher, immer höher, wie es das Orakel empfahl...

Der Aufstieg gestaltete sich zunehmend mühselig. Ja, lohnte sich das Ziel denn überhaupt?

Erste Zweifel wurden wach. Außerdem: Hatten die Weisen nicht auch die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es in den Bergen unbekannte Wesen gab, die ihr Terrain gegen jeden Eindringling blutig verteidigten? Sie wären die HERREN DER BERGE und zwängen jeden SUCHER, in den hellen Tälern und weiten Ebenen zu bleiben, falls ihm sein Leben lieb war.

Und ich Narr war trotzdem der Empfehlung des Orakels gefolgt. Oder hatte ich es nur falsch interpretiert? Ich hatte alle Warnungen in den Wind geschlagen, im stolzen Selbstbewusstsein, dass jeder SUCHER schließlich seinen eigenen Weg zu gehen hatte, selbst wenn es davon keine Rückkehr geben sollte...

Überhaupt durften ja nur die Besten zurückkehren und das waren meines Erachtens eben die mit dem größeren Mut.

Ich ballte erneut die Hände zu Fäusten und sah mich um.

Mut oder eher - tödlicher Leichtsinn?

Aber ich war nun mal hier und nichts und niemand konnte mich zur Rückkehr bewegen: Ich würde jeden Tod dem Bewusstsein der furchtbaren Schande vorziehen, versagt zu haben!

Ich schleppte mich weiter. Der Dunst lastete wie Blei auf mir und ließ jeden Schritt jetzt zum reinen Martyrium werden. Funken tanzten vor meinen Augen - wie die Sterne, von denen die Weisen so gern erzählten und die es in unserer Welt nicht gab.

Noch ein paar Schritte und dann ging es wirklich nicht mehr: Ich fiel auf die Knie, ließ meinen Oberkörper weiter nach vorn kippen und stützte mich schwer atmend auf die Arme.

Eigenartig, mir war, als würde sich der Boden bewegen. Waren es nur die Schwindel? Ja, doch, ich spürte das KRIECHEN des Bodens unter meinen Händen.

Erschrocken wollte ich mich aufrichten, aber der Boden ließ die Hände nicht mehr los. Er saugte sie fest, wie mit tausend Saugnäpfen.

Zitternd vor Angst schloss ich die Augen. Ich rang um Beherrschung, um nicht vollends in Panik zu geraten.

Aber wie hätte mir das gelingen können, wo sich mein Verstand vergeblich bemühte, zu begreifen, was mir widerfuhr?

Die ganze verdammte Bergwelt hatte sich als Falle erwiesen und für mich gab es kein Entrinnen mehr. Ach, sie war ja so völlig anders als die Umgebung, die mir vertraut war. Dort herrschten Wärme und Freundlichkeit. Die klare Luft erfrischte...

Vorher war ich ein trainierter Kämpfer gewesen und jetzt warf mich die Schwäche um. Ich kam auf den Rücken zu liegen und betrachtete stirnrunzelnd die Hände über dem Gesicht. Wie hatten sie sich denn lösen können?

Ich ließ sie sinken und schaute zum Himmel, der wie ein Bleivorhang aussah. Jetzt entstanden darin silberne Streifen, die sich zu einem verwirrenden Muster gliederten. Dicke Knoten platzten im Funkenregen und ballten sich erneut zusammen: Fratzen entstanden auf diese Weise, die bedrohlich auf mich nieder starrten.

Ich sah sie, obwohl ich die Augen zukniff!

In der eisigen Luft entstand ein unheimliches Raunen und ich zweifelte nicht mehr daran, dass sie gekommen waren - die legendären HERREN DER BERGE. Sie hatten mich offensichtlich kampfunfähig gemacht, damit ich ihnen hilflos ausgeliefert war. Und jetzt verhängten sie das Todesurteil über den fremden Frevler: Unsichtbare Hände trugen mich empor. Sie wirbelten mich in der Luft herum, über schwarzen Abgründen.

Schadenfroh lachend rasten ihre Fratzen davon, als sie mich fallen ließen.

Ich wollte schreien, aber meine Kehle war wie zugeschnürt in Erwartung des erlösenden Todes...

Tief aus der Erinnerung entstanden die letzten Worte der Weisen, gesprochen, als ich den Schutz des Dorfes verlassen wollte: »Willst du hoch hinauf, Bereter? Von dort kannst du umso tiefer fallen!«

12

Das grollende Gelächter war noch da, als ich in Erwartung des Aufpralls krampfartig zusammenzuckte.

Der Aufprall erfolgte überhaupt nicht - und ich spürte harten Boden unter mir.

Verwirrt blinzelte ich. Der bleierne Himmel über mir war unverändert: Dieselben Schattengebilde, die vorhin meine Phantasie angeregt und mir grässliche Fratzen vorgegaukelt hatten.

Da schob sich jemand in mein Blickfeld - ein gewaltiger Kerl. Er war es, der dieses grollende Gelächter ausstieß.

Ich war fest überzeugt davon, dass er einer der HERREN DER BERGE höchstpersönlich war.

Was für üble Scherze wollten sie denn noch mit mir treiben?

Ich wagte es nicht, mich zu bewegen. Die mächtigen Muskeln des Kerls spielten beeindruckend. Er war über und über grün befellt, hatte ansonsten keinerlei Bekleidung und wirkte irgendwie - geschlechtslos in seiner tierhaften Nacktheit.

Aber da erkannte ich, dass es kein natürliches Fell war, sondern eher eine Art enges Trikot. War es denn ausreichend, die Eiseskälte der Berge überleben zu helfen?

Andererseits - als einer der echten ›HERREN DER BERGE‹...?

Ich schüttelte den Kopf. Nein, das mit den Bergherren... War es nicht vielmehr ein Märchen? Denn trotz seiner Erscheinung schien der gewaltige Kerl doch nur ein sterblicher Mensch zu sein. Vielleicht wollte er mich mit seiner ungewöhnlichen Maskerade und seinem furcht erregenden Gelächter nur einschüchtern?

Jetzt war ich ärgerlich ob der vermeintlichen Täuschung und richtete mich auf. Ich hatte keinerlei Mühe mehr dabei. Der Schwächeanfall war überwunden. Neue Kräfte durchpulsten mich.

Der Muskelmann stemmte die Arme in die Seite. Angriffslustig schob er sein kantiges Kinn vor. Seine Augen schienen zu glühen.

Aber ich hatte keine Furcht mehr, zumal der Kerl völlig unbewaffnet zu sein schien. Verstohlen tastete ich nach meinem Schwert... Wo war es? Hatte der Fremde meinen Schwächeanfall genutzt, um mich zu entwaffnen?

Ich entspannte mich wieder. Nein, ohne Waffe hatte ich nicht die geringste Chance. Das musste ich einsehen.

»Bist du - bist du - ein HERR DER BERGE?«, fragte ich gespielt kleinlaut.

»So könnte man mich sicher nennen!«, prahlte er aus tiefer Brust. »Und wer bist DU?«

»Ich bin Bereter, der SUCHER!«, antwortete ich mit fester Stimme und nicht ohne Stolz.

Ich belauerte den Riesen: Eine zwar imposante Erscheinung, ein Kerl, wie er mir noch niemals begegnet war... Dennoch, ich war ein geübter Kämpfer und wusste auch in extremen Situationen meinen Mann zu stehen.

Außerdem schien er sowieso ein elender Angeber zu sein: HERR DER BERGE?

Er schniefte verächtlich: »Ein SUCHER also!«

Wusste er denn überhaupt, was das bedeutete?

Er sah, dass ich zu einer Erklärung anhub und winkte mit beiden Händen ab: »Erspare es mir, Bereter, denn ich weiß nur zu genau, was das ist. Schließlich war ich einst selber einer. Obwohl ich nicht die Absicht habe, jemals wieder zurückzukehren.«

»Nicht zurückkehren?« Wahrlich unvorstellbar für mich. Denn war es nicht die eigentliche Bestimmung eines rechtschaffenen, im Kampf ausgebildeten Mannes, in die Hölle der Welt außerhalb des sicheren Dorfes zu ziehen - um sich später als RÜCKKEHRER feiern lassen zu können? Welchen Sinn hätte das Leben eines Mannes denn sonst gehabt?

»Du hast schon richtig gehört, Bereter. Ich bin nämlich viel herumgekommen und habe dabei mehr gelernt als jeder andere vor mir. Wie könntest du also begreifen, wo du erst am Anfang deiner Reise stehst? Aber mach dir keine Gedanken darüber, Bereter. Überlasse es mir. Und ich werde in Zukunft sowieso für dich mitdenken!«

Seine Augen blitzten.

Ich sprang auf und machte Anstalten, mich auf ihn zu stürzen.

Gelassen verschränkte er die Arme vor der mächtigen Brust und musterte mich.

»Nur zu, Bereter, gehe gegen deinen Lebensretter an! Ich warte darauf. Vielleicht sollte ich dir tatsächlich erst mal ordentlich das Fell gerben, ehe du begreifst, dass dein Leben - und damit du selber - mir gehört! Denn ohne mich wärst du nicht mehr.«

Ich glaubte ihm kein Wort - und konnte mich nicht länger beherrschen. Mit einem Wutschrei griff ich an.

Ich benutzte zunächst eine Finte, um ihn aus der Reserve zu locken und gleichzeitig der vorausberechenbaren Abwehrbewegung des Muskelriesen zu begegnen. Allein, er rührte sich überhaupt nicht, zuckte nicht einmal mit der Wimper.

Irritiert fuhr ich zurück, aber nicht zu weit. Blitzschnell und meines Erachtens für den Riesen völlig unerwartet sprang ich hoch in die Luft und trat mit beiden Beinen gleichzeitig zu.

Dabei brachte ich das Kunststück fertig, den Riesen nicht aus den Augen zu verlieren und so würde ich seine Reaktionen gleichsam in Zeitlupe sehen.

Ich traf ihn an der Nasenwurzel und am Kehlkopf. Ein tödlicher Tritt, falls keine Abwehr erfolgte.

Und die Abwehr kam trotzdem nicht. Der Riese stand da wie ein Fels und meine Füße schienen statt einen lebenden Menschen härtestes Gestein zu treffen. Ein greller Schmerz entstand in den Fußwurzeln und zuckte die Beine empor. Schwer kam ich am Boden auf.

Da erst bewegte sich der Muskelriese. Er beugte sich zu mir herab. Im Moment vor Schmerz wie gelähmt, konnte ich nichts gegen ihn tun. So hob er mich wie eine zu groß geratene Spielzeugpuppe frei schwebend empor und warf mich meterweit durch die Luft.

Rechtzeitig vor dem harten Aufprall krümmte ich mich zusammen. Keuchend blieb ich auf dem Bauch liegen.

Der Muskelriese stand breitbeinig über mir. Sein Gelächter war mir unerträglich. Ich fühlte mich gedemütigt wie nie zuvor in meinem Leben und erhoffte seinen tödlichen Streich, der mich von meinen mehr seelischen Qualen befreit hätte.

»Du gehörst mir, Bereter, begreifst du es jetzt? Und ich allein bestimme, was mit dir geschieht. Bin ich mit dir zufrieden, bleibst du am Leben - als mein Sklave.«

»Nein!«, schrie ich.

»Das mit dem Sucher kannst du vorläufig vergessen. Und jetzt steh' auf!« Als ich zögerte, fügte er grollend hinzu: »Sofort!«

Mit gesenktem Haupt stellte ich mich vor ihn hin. Ich hielt die Augen geschlossen.

Er packte mich unsanft unter das Kinn und hob meinen Kopf.

»Schau dort drüben!«, befahl er.

Ich folgte der Richtung, in die er zeigte. Dort lag - meine gesamte Ausrüstung, einschließlich sämtlicher Kleidung, wie sie in dieser Kälte unentbehrlich war.

Meine Kleidung?

Mit schreckgeweiteten Augen schaute ich an mir hinab: Ich war SELBER zu einem GRÜNEN geworden!

»Äußerst praktisch, Bereter, glaube mir!« Er klopfte mir auf die Schulter, dass ich in die Knie ging. »Der einzige Nachteil: Du kriegst den grünen Symbionten nie mehr los. Ja, du hörst richtig: Das ist kein fellartiges Trikot, sondern ein lebendes Tier, das normalerweise nur Pflanzen befällt. Bis jetzt hat außer mir noch keiner herausgefunden, was das für ein wirksamer Schutz in lebensfeindlicher Umgebung sein kann. Ein großes Glück also, dass du auf mich getroffen bist, Bereter. In mehrfacher Hinsicht sogar: Was weißt du schon von den Bergen? Sie sind tödlich! Es gibt nicht einmal wilde Tiere, sondern lediglich vereinzelt niedrige Pflanzenarten. Schuld sind in erster Linie die giftigen Nebel, die einen in den Wahnsinn treiben - bis zum Tode. Ich kam gerade noch rechtzeitig zu dir und mein Symbiont durfte sich endlich vermehren. Das ist eine sehr langwierige Sache, glaube mir. Es hat tagelang gedauert, während denen er außerdem deinen Körper weitgehend entgiften konnte. Ja, weitgehend, denn noch bist du natürlich geschwächt. Und da wolltest du tatsächlich den Kampf gegen mich aufnehmen?«

»Tagelang?«

Das grüne, lebendige ›Felltrikot‹ war also Fluch und Segen zugleich?

Er hieb mir wieder auf die Schulter und amüsierte sich köstlich darüber, dass mich dieser ›kameradschaftliche Klaps‹ beinahe zu Boden schickte.

»Tut mir leid, dass ich so lachen musste. Mag sein, weil ich so lange einsam war und du beim Erwachen so ein unbeschreiblich dummes Gesicht gemacht hast. Und dann brauchte ich mir nur noch vorzustellen, dass du überhaupt nichts von deinem Symbionten ahntest...«

Das reizte abermals seine grollende Heiterkeit.

»Wie - wie heißt du eigentlich?«, fragte ich zähneknirschend, nur um endlich einmal etwas anderes zu hören.

»Mein Name ist Bron!«

Ich erschrak: Bron? Den Namen kannte ich. Den kannte jeder. Im Stamm war er Inbegriff für Mut und Kampfkraft geworden. Ungezählte Geschichten rankten um diesen legendären Helden: Der mächtige, der unbesiegbare Bron! Der stärkste der Starken! Der gigantischste Sucher aller Zeiten! Der Mann, der die Welt erzittern ließ, allein schon mit seinem Wort...

Ich schüttelte den Kopf und bemühte mich verzweifelt, geringschätzig zu lachen - wie ich es sonst immer tat, angesichts soviel naiver Übertreibung.

Aber wie hätte es mir gelingen können, wo Bron leibhaftig vor mir stand? Und selbst wenn das meiste dazugedichtet war...

»Bron!«, ächzte ich.

Ja, war er es denn wirklich? Und wenn schon: Wieso war er eigentlich dem Stamm ferngeblieben? Freiwillig? Weil er seinem Ruf nicht gerecht geworden war und die Legende nicht zerstören wollte? Oder nur wegen dem Symbionten...?

Bron ahnte, was in mir vorging. Er schnaubte verächtlich und verschränkte wieder die Arme vor der Brust.

Seine Bizeps waren so dick wie die Oberschenkel eines stark trainierten Mannes.

Gewiss, er konnte es sein - obwohl ich ihn stets für die Ausgeburt wirrer Phantasien gehalten hatte.

»Mach dir nicht schon wieder unnötig Gedanken, Bereter. Ich bin Bron und bleibe es, auch wenn es dir nicht passt. Und dass ich nicht zurückgekehrt bin... Der Symbiont wäre kein Hindernis, denn er ist eher ein Segen als ein Fluch. Das wirst du schon noch selber herausfinden. Er hat mir damals das Leben gerettet, indem er mich befiel: Tagelang lag ich im Fieber, vor meinen Verfolgern im Dschungel versteckt - Zeit genug für ihn, sich meiner anzunehmen, denn ich war so regungslos wie es sonst nur Pflanzen sind. Eine glückliche Fügung des Schicksal, die mich aus dem Dahinvegetieren zurück zum Leben geführt hat. Sonst würde ich nicht hier sein können und du hättest deine Unvorsichtigkeit, in die Berge heraufzusteigen, mit dem Leben bezahlt. So hat der Symbiont im Grunde nicht eins, sondern sogar zwei Menschenleben gerettet.

Siehst du nun endlich ein, dass es das Schicksal selber war, das uns zusammenführte?«

»Und du bestimmst, dass es von Dauer sein wird? Sag, warum bliebst du dem Stamm fern?«

»Das ist allein MEINE Angelegenheit!«, entgegnete er barsch und wandte sich ab. Damit war für ihn das Thema anscheinend ein für allemal erledigt.

13

Wir stiegen von den Bergen hinab ins Tal. Ein beschwerlicher Marsch von einigen Tagen Dauer. Wie mussten das gesamte Gebirgsmassiv überqueren, denn Bron wollte mich dort hinunterführen, wo wir weit weg vom Dorf waren.

»Du willst mich wirklich auf meinem Weg als Sucher begleiten?«, fragte ich ihn.

»Wer begleitet hier wen, Bereter?«

Ich sagte nichts mehr in dieser Richtung. Stattdessen erzählte ich ihm vom Orakel.

Er lachte leise: »Du hast danach wirklich geglaubt, dein eigentliches Ziel in den Bergen zu finden, Bereter? Aber vielleicht stimmt es sogar und das Orakel ist von dir nicht falsch ausgelegt worden? Ich denke mir, vielleicht bist du gerade erst jetzt in der Lage, deine Mission zu erfüllen? Weil du auf deinem Weg auf mich getroffen bist, auf den mächtigen Bron. Deshalb bist du der erste Sucher in der Geschichte, der die Berge überlebt hat und kommst in Gegenden, die vordem kein Fuß eines Suchers je betreten hat.«

Ich nickte zu seinen Worten. Gewiss glänzten meine Augen dabei. Ich sah meinen Wunsch erfüllbar werden, doch noch der erfolgreichste aller Sucher zu werden.

Oder war das zu naiv?

Ich überlegte dennoch, ob es wirklich zu verantworten war, dass ich als Sucher meinen Weg nicht allein verfolgte. Aber wer hatte jemals das Gegenteil behauptet?

»Komm zum Himmel, Erhabener. Steig hoch hinauf, willst du den Gipfel, den Höhepunkt des Lebens erreichen. Steige, Erhabener!«

Dieses Orakelwort musste man auch bildhaft verstehen. Ich war hinaufgestiegen und hatte auf der ersten Etappe einen Sieg errungen. Auf dem Höhepunkt hatte sich mein Schicksalsweg mit dem von Bron verknüpft.

Und nun, da ich zu Tal stieg, geriet ich bildlich gesehen vielleicht sogar noch höher, weil ich in eine Gegend kam, von der niemand etwas wusste. Weil es niemals einen Sucher gegeben hatte, der je davon hätte berichten können.

Ich würde die Lücke füllen können, die es in der Beschreibung der Welt gab!

Ja, gewiss, ich steige, Orakel! Ich steige!

Der Dunst, der in den Bergen eine unheimliche, bleierne Welt erzeugte, wurde allmählich lichter. Die Helligkeit, die uns darunter erwartete, erschien mir ungewöhnlich blendend.

»Das täuscht«, belehrte mich Bron. »Hier ist es nicht heller als auf der anderen Seite der Berge, dort, wo das Dorf liegt. Ich muss es wissen, denn ich kenne diese Seite hier genauso gut. Zumindest soweit ich mich vorgewagt habe.«

Ich folgte weiter seiner Führung.

Zwar hatte er behauptet, ich stünde in seiner Schuld und müsste ihm daher ergeben sein, aber wenn er sich dabei bloß nicht gewaltig irrte! Ich würde meinen eigenen Weg verfolgen und blieb nur so lange mit ihm zusammen, wie ich darin einen Vorteil sah.

Wir passierten tückische Geröllhalden, wanderten auf schmalen Graten über drohendem Abgrund. Ja, es war beschwerlich. Wenn man glaubte, nur noch wenige Schritte würden einen vom endgültigen Ende des Dunstes trennen, stand man wieder vor unüberwindlichen Hindernissen und musste neue Umwege beschreiten.

Das bewies, dass sich Bron bei weitem nicht so gut hier auskannte, wie er vorgab.

»Es ändert sich immer wieder!«, redete er sich heraus.

Ich sagte nichts mehr dazu, denn Brons Laune war inzwischen auf dem Nullpunkt angelangt.

Einen Teil der Kleidungsstücke hatten wir mitgenommen, um nicht schon auf Anhieb als geschlechtslose Monster zu erscheinen und außerdem in den dürftigen Kleidungsstücken Ausrüstungsgegenstände tragen zu können.

Natürlich hatte ich auch all meine Waffen mitgenommen.

Ehe wir aufgebrochen waren, hatte sich Bron aus seinem Bergversteck ebenfalls mit Waffen versorgt.

Endlich war die Dunstglocke hinter und über uns. Ein schmaler Felsgrat, eine natürlich entstandene Rampe, führte weiter zu Tal. Sie war sehr glatt. Wir mussten vorsichtig sein, um nicht abzurutschen und in den Tod zu schlittern.

Zunächst jedoch blieben wir hier oben stehen und genossen die Aussicht.

Der leichte Dunst, der über dem Tal lag, war nicht vergleichbar mit dem Dunst, den wir hinter uns gelassen hatten. Er ließ den Blick mehrere Kilometer weit gehen. Doch was dahinter lag, war nur noch zu ahnen.

Gab es wieder Berge?

War es andererseits weites Land, das vor uns lag - über den Horizont hinaus weit?

Ich sah von hier oben blühende Oasen in der ansonsten kahlen Steinwüste. Vielleicht fünf Kilometer weiter befand sich das Ufer eines Sandmeeres, besser gesagt seine ersten Ausläufer.

»Ja, die Wüste!«, sagte Bron neben mir zähneknirschend. Er schien damit recht negative Erfahrungen gemacht zu haben.

Aber auch zwischen den Ausläufern gab es Grünoasen.

Nur eines vermisste ich: Häuser!

Lebte hier denn überhaupt niemand?

Bron gab seine Erklärungen auch ohne Fragen ab: »Sieht menschenleer aus, nicht wahr? Aber das Tal ist gefährlich. Es wird von der Wüste begrenzt, die sich zwischen zwei Gebirgsmassiven hindurchzwängt. Sie sind wie die Hände zweier mächtiger Arme, mit denen das Massiv, das wir hinter uns haben, dieses Tal hier umschlingt. Wir sehen von hier oben nur einen Teil davon, Bereter, aber ich rate dir, stets die Waffen bereitzuhalten.«

»Wie sehen diese Gefahren aus, Bron?«

»Mannigfaltig!«, antwortete er ausweichend.

Wir betraten die Rampe. Über mehrere hundert Meter führte sie ins Tal hinab.

Während der zurückliegenden Kletterpartien hatte sich bereits der große Vorteil des grünen Symbionten gezeigt. Er saugte sich an dem Gestein regelrecht fest und verlieh einem den nötigen Halt. Und er ließ sofort los, sobald es erforderlich war.

Jetzt bewährte er sich auch auf der schmalen, rutschigen Rampe.

Trotz aller Anstrengung vergoss ich keinen Tropfen Schweiß mehr. Das hieß, der Symbiont nahm den Schweiß sofort auf und kühlte selbständig den erhitzten Körper.

In der blendenden Helligkeit und Wärme des Tales änderte das Symbiont seine Farbe. Jetzt war er nicht mehr dunkelgrün wie vorher, sondern sehr hell. Das Grün würde hier wie eine Tarnfarbe wirken.

Wärme?

Ich schaute über das Stück Steinwüste, das sich vor uns ausbreitete. Darüber lag vielmehr flirrende Hitze.

Nur dank des Symbionten spürte ich nicht mehr als eine für mich angenehme Temperatur.

Bron nickte mir aufmunternd zu.

Ich sicherte indessen nach allen Seiten. Hatte er mir nicht von Gefahren erzählt, die hier unten auf uns lauerten? Dass ich keine sah, machte mich nur noch misstrauischer.

Bron ging voraus. Ich folgte ihm aufmerksam.

Schon nach wenigen Schritten blieb er abrupt stehen. Seine rechte Hand fuhr an den Schwertgriff, die linke in eine Art Hüftwickel, wo ich sein Wurfmesser wusste.

Was hatte er entdeckt?

Ich wagte ihn nicht zu fragen, hielt vielmehr den Atem an und versuchte, es ebenfalls zu entdecken.

Da war meines Erachtens überhaupt nichts.

»Lauf um dein Leben!«, brüllte Bron und zog das Messer mit der Linken. Die Rechte führte das Schwert.

Bron war Beidhänder. Er konnte mit beiden Händen gleichzeitig kämpfen und das sogar mit unterschiedlichen Waffen.

Wir rannten los.

Er warf dabei das Messer. Es zischte durch die Luft und bohrte sich - in einen Felsbrocken, der keine zwanzig Schritte entfernt lag.

Felsbrocken?

Das Ding bewegte sich quiekend. Wo sich das Messer hineingebohrt hatte, quoll eine gelbliche, gallertartige Flüssigkeit hervor.

Und dann klappte das Ding auseinander. Es zuckte und quiekte und wollte das Messer wieder loswerden.

Wo es auseinandergeklappt war, sah ich Hunderte von fingerlangen Zäpfchen, unregelmäßig angeordnet und mit kleinen Saugnäpfen an den Enden. Von ihnen tropfte es glasklar.

In der Tiefe der keilförmigen Öffnung entstand das Quieken, das sich jetzt in ein Gurgeln verwandelte.

Bron kümmerte sich nicht mehr darum. Das Ding verendete und bildete somit keine Gefahr mehr.

Und die anderen Felsbrocken, von denen wir umzingelt waren?

Waren das ebenfalls diese getarnten Lebewesen?

Ich rannte an dem gurgelnden, verendenden Ungeheuer vorbei.

»Nein!«, warnte mich Bron.

Ich begriff den Sinn dieser Warnung nicht. Denn hinter dem Ding sah ich keine gefährlichen ›Felsbrocken‹ mehr.

Aber ich gehorchte ihm dennoch und blieb abrupt stehen.

Etwas peitschte durch die Luft und verfehlte mich nur deshalb, weil ich so unvermittelt stehen geblieben war. Es klatschte mir vor die Füße. Ich sah ein lianenförmiges Gebilde, das sofort zurückgezogen wurde. Am Ende hatte sich eine Schlaufe gebildet, die sich jetzt auflöste.

Die Liane endete in einem ›Felsbrocken‹, der anscheinend wieder anders geartet war als das Ding, dem Bron den Garaus gemacht hatte.

Mit zwei mächtigen Sprüngen erreichte ich das Monstrum, hatte mein Schwert gezogen und schlug mit aller Kraft darauf ein.

Die Liane, mit der mich das Ding hatte einfangen wollen, verschwand an der Unterseite. Mit hellem Klang prallte das Schwert oben ab. Funken sprühten. Es wurde mir aus der Hand geprellt.

Ich konnte nicht begreifen, wieso geschehen war.

Wieso hatte sich Brons Messer mit solcher Leichtigkeit in das Monster gebohrt und das Ding hier vor mir war hingegen hart wie ein echter Felsbrocken?

Da zuckte die Liane unvermittelt wieder unter dem Brocken hervor und wickelte sich um meine Beine.

Sie war klebrig. Handelte es sich nicht vielmehr um die Zunge des Monsters?

Ich verlor den Boden unter den Füßen und wurde unaufhaltsam angezogen.

Knapp über der Öffnung, aus der die Zunge geschnellt war, entdeckte ich ein kleines Auge, das mich tückisch anstarrte.

Ich hatte schon ein Messer in den schmerzenden Händen und krümmte mich zusammen, um die Zunge zu durchtrennen, ehe es zu spät war.

Das Ungeheuer zog mich unaufhaltsam an. Es würde mich verschlingen. Dabei hob sich der Felsbrocken an.

Ja, der hier war zum größten Teil echt. Das Ungeheuer hatte ihn anscheinend nur ausgehöhlt, um darin Deckung zu nehmen.

Ich würde in dieser fremden Umgebung noch eine ganze Menge zu lernen haben, wenn ich überleben wollte.

Falls ich es schaffen sollte, diese Zunge zu durchtrennen.

Ich schaffte es nicht! Die Zeit reichte einfach nicht aus.

Schon verschwanden meine Füße in dem säurenassen Schlund.

Ein furchtbarer Schmerz. Meine Füße wurden regelrecht verdaut.

Auch der Symbiont konnte das nicht verhindern. Er verfärbte sich bis zu den Knien braun, während er vergeblich versuchte, die Säure zu neutralisieren.

Ich wurde noch tiefer in den Schlund gezogen und schrie verzweifelt.

Hinter mir hörte ich Kampfgeräusche und das wütende Knurren von Bron. Er konnte mir nicht mehr helfen, sondern hätte eher noch Hilfe von mir benötigt.

Das Auge war in Reichweite meines Messers. Ich rammte es mitten hinein, bis zum Schaft.

Sofort stoppte die Bewegung. Die Zunge zuckte.

Und dann spuckte mich das geblendete Untier wieder aus. Ich war für es zu einem recht unverdaulichen Brocken geworden.

Meine Beine blieben bis über die Knie mit schillerndem Säureschaum bedeckt. Der Symbiont indessen hatte sich bis zur Brust hinauf braun verfärbt, als würde er absterben. Und die Säure verätzte schmerzhaft mein Fleisch, obwohl der Symbiont bereits das Schlimmste verhindert hatte.

Ohne ihn hätte ich unwiderruflich beide Beine verloren. Das war sicher. Die Säure hätte mir regelrecht das Fleisch von den Knochen geschält.

Aus dem Schlund des Untiers kamen quakende Laute. Gelber Gallert quoll aus dem ausgestochenen Auge.

Ich lag in Reichweite meines Schwertes, packte es und hieb auf die Zunge ein, die mich noch nicht wieder losgelassen hatte. Schon begann sie sich wieder zu straffen. Das Untier hatte es sich anders überlegt und wollte mich aus Rache doch noch verschlingen.

Erst nach dem dritten Hieb wurde die Zunge gekappt.

Auf allen vieren kroch ich außer Reichweite.

Aber das bedeutete noch längst keine Sicherheit für mich!

Gehetzt schaute ich umher. Wie sollte ich sicher sein, dass der felsige Boden unter mir wirklich nichts anderes war als eben - felsiger Boden?

Die Zungenschlaufe fesselte immer noch meine Füße. Ich hatte sie unterhalb gekappt.

Ich konnte nicht aufstehen, rollte mich auf den Bauch und hielt nach der nächsten Bedrohung Ausschau.

»Lauf um dein Leben!«, brüllte Bron.

In meinen Ohren klang das wie reinste Ironie. Sah er denn nicht, in welchem Zustand ich mich befand?

Das Braun des Symbionten färbte sich wieder schwach grünlich. Ein sehr fleckiges Grün. An verschiedenen Stellen zuckte der Symbiont. Es war das erste Mal, dass ich seine Anwesenheit wirklich als die eines lebendigen Wesens so deutlich spürte.

Ich setzte vorsichtig das Schwert an der Schlaufe an und versuchte, sie durchzusäbeln.

Es hatte wenig Sinn. Ich musste sie zerschlagen. Doch wenn ich dabei nicht gut genug zielte, hackte ich mir die eigenen Füße in Stücke.

Aus den Augenwinkeln sah ich zwei der ›Felsbrocken‹, die sich in meine Richtung auf den Weg machten. Sie hatten mich anscheinend als willkommenes Opfer auserkoren.

Mir blieb nichts anderes übrig, als das Risiko einzugehen.

Ich hob das Schwert und hackte zu.

Die scharfe Klinge traf genau - die Schlinge.

Noch einmal, mit aller Kraft, ehe die beiden Ungeheuer nahe genug heran waren, dass ich mich ihrer nicht mehr erwehren konnte.

Ich traf wie durch ein Wunder das zweite Mal und konnte den Rest der Schlinge mit der Schwertklinge abstreifen.

Die Beine schmerzten höllisch. Ich sprang dennoch auf. Es gelang mir angesichts der tödlichen Gefahr sogar.

Der eine ›Felsbrocken‹ öffnete sich spaltbreit. Geifer tropfte heraus.

Ich griff nach dem Messer, das im Auge des anderen Untiers steckte und wollte vor den beiden ›Felsbrocken‹ fliehen, aber zwei weitere versperrten mir den Weg.

Ich sah die tückischen Augen und erkannte daran, dass es wieder solche mit Lianenzungen waren.

Ich warf mein Messer. Es bohrte sich in das tückische Auge des einen Untiers.

Es ließ dennoch die Zunge vorschnellen, aber da ich darauf bereits gefasst war, konnte ich ausweichen.

Ich sprang herbei und zog mein Messer wieder heraus.

Das Untier ließ die Zunge abermals vorschnellen, aber in die falsche Richtung, weil es nichts mehr sehen konnte. Dadurch kollidierte die Zunge mit der des zweiten ›Felsbrockens‹.

Mein Glück.

Ich rammte dem zweiten Untier ebenfalls das Messer ins Auge und lief weiter. Dabei wunderte ich mich, dass meine Beine dies überhaupt noch mitmachten.

»Nicht zu weit!«, warnte mich Bron.

Ich blieb wieder abrupt stehen. Mein Atem ging keuchend. Mir war übel vor lauter Ekel und vor allem vor Schmerz.

Bron kämpfte um sein Leben. So etwas wie ihn hatte ich noch nie zuvor gesehen. Er schien überhaupt nicht müde werden zu können. Sein Schwert zuckte einmal hierhin und einmal dahin. Es traf immer. Es durchtrennte peitschende Lianenzungen und spaltete die weichen Biester.

Sein Messer hatte er längst wieder an sich genommen.

Und jetzt übersprang er ohne Anlauf drei neue Angreifer mit einem einzigen Satz und rannte in meine Richtung.

Keuchend erreichte er mich. Er steckte sein Schwert weg und behielt das Wurfmesser in der Hand.

»Komm, Bereter, wir müssen nach links, um dieser Falle zu entrinnen.«

Die Brocken begannen sich schon zu formieren. Zwei verschiedene Wesenarten, die sich ihre Opfer gemeinsam suchten und nicht einsehen wollten, dass wir ihnen entkamen.

Mir war, als würden sie sich kurz untereinander beraten. Hatten sie denn wirklich auf geheimnisvolle Weise Kontakt untereinander?

Augen sah ich nur an den Wesen mit den Lianenzungen. Die anderen waren blind.

Konnte es sein, dass die Sehenden für die anderen gewissermaßen ›mit sahen‹?

»Gott, wie viele sind das denn eigentlich?«

»Viel zu viele, als dass wir eine Chance hätten. Bloß weg von hier. Sie müssen sich seit meinem letzten Besuch versammelt haben. Vielleicht haben sie meine Spur aufgenommen und warteten hier auf mich? Es würde mich nicht überraschen. Es kann kein Zufall sein, dass es inzwischen so viele geworden sind.«

Er deutete auf meine Beine.

»Geht es eigentlich mit dir?«

Ich knirschte mit den Zähnen. Der Symbiont hatte sich weiter verändert. Das hieß, das Braun war größtenteils gewichen und hatte dem hellen Grün Platz gemacht. Bis zu den Knien hinunter. Meine Unterschenkel sahen schlimm aus. Aber der Schmerz war tatsächlich zurückgegangen. Ein wahres Wunder.

»Es muss!«, gab ich Antwort.

Obwohl die Säure regelrecht Löcher in mein Fleisch gefressen hatte, ermöglichte es mir der Symbiont, gemeinsam mit Bron weiter zu fliehen.

Dabei war mir, als würde ich auf glühenden Kohlen laufen.

Bron lief vor mir her und ich hoffte, dass er einen Weg gefunden hatte, der sicherer war.

Die Tatsache, dass ich ohne ihn nun schon zum zweiten Mal des Todes gewesen wäre, ließ mich insgeheim ein wenig über den Sinn eines SUCHERS nachdenken.

Bei allem, was ich bisher erlebt hatte, erschien es wie ein Wunder, dass es immer wieder so viele Rückkehrer gab.

Es wurde behauptet, dass nur jeder dritte Sucher lebend zurückkehrte. Von Bron wusste ich indessen, dass es auch Sucher gab, die freiwillig auf die Rückkehr verzichteten.

Ich konnte mir nämlich nicht vorstellen, dass er der einzige war.

Ja, es erschien unglaublich und konnte nur dadurch erklärt werden, dass die meisten Sucher sich sozusagen lieber auf ausgetretenen Pfaden bewegten und völlig fremdes Land lieber vermieden.

Obwohl genau das ihre Aufgabe gewesen wäre: Erkundung von Neuland.

Ich war ehrgeiziger als sie gewesen und war deshalb in die gefährlichen Berge vorgedrungen, wo noch niemals zuvor ein Sucher den Rückweg gefunden hatte. Das war mir sinnvoll erschienen.

Und dann waren meine Zweifel wieder wie weggeblasen.

Ich war in völlig fremder Umgebung. Ich war der wahre Sucher. Ich konnte irgendwann zurückkehren und die Wissenslücken schließen.

Denn die Weisen hatten gesagt: »Wir müssen die Welt vollständig kennen, um nicht zu verlernen, ihr zu begegnen. Gefahren, die nicht als solche von uns erkannt werden, könnten uns sonst eines Tages heimsuchen und uns vernichten. Seid erfolgreiche Sucher! Kehrt zurück mit neuen Erkenntnissen, um unser aller Überleben sichern zu helfen!«

Ja, damit war der Sinn der Sucher für jeden klar...

ENDE