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Der Plan der Unsterblichen

​Wilfried A. Hary

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Karem Eklunds Opfergang - und ein neuer Auftrag

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Irgendwann in fernster Zukunft: Viele tausend Welten sind von Menschen besiedelt. Überlichtschnelle Flüge sind verboten, weil es sich erwiesen hat, dass diese auf Dauer das energetische Gleichgewicht des Universums und somit das Raum-Zeit-Gefüge stören, was in manchen Bereichen des Universums in der Vergangenheit zu schrecklichen Katastrophen führte.

Die von Menschen besiedelten Welten haben keinen direkten Kontakt miteinander, da es keine überlichtschnellen Kommunikationsmöglichkeiten gibt. Dennoch entstand im Verlauf der Jahrtausende ein funktionierendes Handelssystem: Riesige Container-Schiffe sind im Unterlichtflug unterwegs zu ihren Zielwelten, mit mannigfaltigen Waren bestückt. Sie sind teilweise Jahrtausende unterwegs, um ihr Ziel zu erreichen, aber da der Strom der Handelscontainer niemals abreißt, werden die Planeten untereinander reibungslos versorgt.

Die Erde beispielsweise ist eine gigantische ›Zuchtanstalt für Menschenmaterial‹ - dem wichtigsten ›Exportartikel‹ für die Erde. Die Betreffenden werden in Tiefschlaf versetzt, bevor sie auf den Weg gehen. Ein übriges tut die Zeitdilatation, so dass sie unbeschadet den langen Flug überstehen.

Dieses komplizierte Handelssystem ist natürlich hochempfindlich - und muss überwacht werden. Dafür zuständig ist der Sternenvogt - der HERR DER WELTEN! Nur ein Sternenvogt besitzt das Monopol des Überlichtfluges, um seiner Aufgabe auch gerecht werden zu können. Aber dieser verhältnismäßig minimale Einsatz des Überlichtfluges hat keine negativen Auswirkungen auf die universale Ordnung.

Es gibt mehr als nur einen Sternenvogt, doch das Universum ist groß genug für alle - und so begegnen sie sich untereinander nur, wenn es unbedingt nötig erscheint...

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Prolog

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John Willard, geboren auf einer unmenschlichen Erde, wird unter dramatischen Umständen der ›Diener des Sternenvogts‹, denn dieser geht selten persönlich in einen notwendig werdenden Einsatz, um die sogenannte universale Ordnung zu sichern. Sein Diener fungiert als eine Art Stuntman (Band 1).

Der erste Einsatz führt John Willard auf den ›Planeten der Amazonen‹: Aufgrund von Umwelteinflüssen kommen hier nur Frauen zur Welt. Um ihren Fortbestand zu sichern, müssen sie Männer von der Erde ›importieren‹. Und jetzt haben sie das Geheimnis des Überlichtfluges enträtselt und sagen dem Handelssystem den Kampf an (Band 2).

Es gibt einen Bereich im Weltall, in dem Handelscontainer einfach verschwinden. John Willard findet hier eine Art ›Miniuniversum‹, das durch radikal veränderte Naturgesetze entstand. Es bleibt ihm nichts anderes übrig, als einzudringen, obwohl es noch niemals zuvor eine Rückkehr von hier gab (Bände 3 bis 4).

In Band 4 gelingt John das bislang Unmögliche - und er kehrt zurück. Inzwischen hat der Sternenvogt einen zweiten Diener - einen kampfstarken intelligenten Androiden: Bron! Und der nächste Einsatz wartet bereits: Johns Bewusstsein wird ausgetauscht mit dem Bewusstsein eines jungen Mannes namens Bereter. Er ist ein so genannter Sucher - unterwegs in einer alptraumhaften Welt, die durch das Kollektiv der Träumer entstanden ist. Als Bereter kann sich John nicht an seine eigentliche Identität erinnern. Seine Aufgabe ist es, das Geheimnis der Traumwelt zu ergründen und den nicht abbrechbaren Traum in Bahnen zu lenken, die keine Gefahr mehr für die universale Ordnung bedeuten, ausgehend vom ›Planeten der Träumer‹. Kommt er als Bereter zu Tode, ist dies auch sein Ende als John Willard. Aber er hat eine wichtige Unterstützung auf seinem Weg: Bron! (Bände 4 bis 7)

John Willard überlebt nicht nur als Bereter, sondern er bewährt sich. Kein Wunder, dass der Sternenvogt das gleiche Prinzip auch beim nächsten Einsatz beibehält: Johns Bewusstsein wird diesmal mit dem Bewusstsein eines Mannes namens Karem Eklund ausgetauscht - auf einer Welt der krassen Gegensätze. Die Bewohner glauben, auf der Erde zu sein. Sie leben großenteils in einer halb zerfallenen Stadt, die schier den halben Planeten umspannt. Es gibt allerdings einen Bereich, wo sie keinerlei Zugang haben: Das ist der Bereich der Unsterblichen, die sich mittels einer riesigen Energieglocke gegen alles schützen, was von außen Einfluss nehmen könnte.

John soll als Karem Eklund die Zusammenhänge klären - und vor allem prüfen, ob von hier eine Gefahr ausgeht und ob diese Welt vielleicht sogar Aufnahme finden könnte in den Handelsverband.

Karem Eklund jedoch weiß nicht, dass er in Wahrheit John Willard ist. Das hat der Sternenvogt deshalb so angeordnet, damit die Unsterblichen unter der Energieglocke keinen Verdacht schöpfen. Zunächst scheint es ja ein eher angenehmer Auftrag zu sein, denn der Bereich unterhalb der Energieglocke ist wahrlich eine Art Paradies. Und dann tut er den entscheidenden Schritt... und bricht aus dem Paradies aus!

Schon beginnt sein ganz persönlicher Überlebenskampf, denn er wird angegriffen und muss sich seiner Haut wehren: Erfolgreich! Doch es gibt Tote. Nur einem kann er das Leben schenken: Borsch! Dieser weiß nun, dass er aus dem Bereich der Unsterblichen kommt und für ihn ist Karem Eklund folglich eine Art Gott.

Gemeinsam mit dem Stamm, dem Borsch angehört, geht es an Bord eines seltsamen Gefährtes zur weltumspannenden ›Stadt‹. Ein Beutezug – nicht ohne gravierende Folgen...

*

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Vorwort

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Ich stand auf und ging ein paar mal auf und ab. Dann blieb ich vor Tamor stehen und lächelte ihn an.

»Du hast recht, Tamor, dein Stamm ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt. Aber überlege einmal: Was ist das Wichtigste in dieser Stadt? Wo sind die Zentren, die der Stadt Leben garantieren, ohne die alles in der Stadt sterben würde?«

»Die Biofarmen!«, entfuhr es Tamor.

»Und genau darum drehen sich meine Gedanken.«

»Aber sie sind tabu!«, begehrte er auf.

»Ich will sie ja nicht zerstören, Tamor, sondern ich will sie kontrollieren.«

»Die Mächtigen der Biofarmen gehen mit niemandem einen Pakt ein. Sie unterhalten Tauschverbindungen, mehr nicht.«

»Aber wir beide wissen, dass viele Biofarmen aufgegeben werden mussten, weil es irreparable Störungen gab, Tamor.«

»Worauf willst du hinaus, Karem?«

»Ich werde jeden Mächtigen davon überzeugen, dass ich allein in der Lage bin, solche Katastrophen in Zukunft zu verhindern.«

»Die Mächtigen der Biofarmen werden sich nicht darauf einlassen, Karem.«

»Das ist mir klar, Tamor, aber ich... werde sie auch nicht fragen.«

»Also doch Gewalt?«

»Das ist erst der übernächste Schritt, Tamor. Hör zu, denn du spielst bei dem Spiel eine wichtige Rolle: Du hast nach eigenen Angaben etwa fünfhundert Schüler aus verschiedenen Stämmen. Schick die Besten los. Es soll allgemein verbreitet werden, dass einer der Unsterblichen gekommen ist. Die Nachricht muss so verbreitet werden, dass jeder Mächtige für sich einen möglichen Vorteil ausrechnet.«

Tamor lachte gehässig. »Das lässt sich machen.«

»Und wie?«

»Wir stehen in Verbindung mit zirka hundert Stämmen, Karem. Das ist natürlich nur ein kleiner Teil der Stadt, aber in diesem Teil liegt eine Biofarm und eine weitere grenzt an.

Ich werde die hundert Mächtigen einladen und werde bei dieser Einladung neben den allgemeinen Floskeln eine persönliche Notiz einbauen. Dann glaubt jeder für sich, er würde beim Treffen eine besondere Rolle spielen und die Rivalität zwischen den Mächtigen ist so groß, dass es vorher zu keinem Gedankenaustausch kommt.«

»Gut, Tamor, damit hätten wir den ersten Schritt.«

»Und was kommt danach?«

»Warte es ab, Tamor und vergiss nicht, auch den Mächtigen der Biofarm einzuladen.«

»Das verstehe ich nicht!«

»Aber, Tamor, jetzt enttäuschst du mich. Glaubst du wirklich, der folgt dieser Einladung?«

»Oh?«

»Wie lange wird es dauern bis zur Versammlung?«

»Nun, wir setzen einen Termin in drei Wochen an. Das erscheint mir angebracht.«

»Dann will ich inzwischen für ein entsprechendes Thema bei der Versammlung sorgen.«

Ich war nicht bereit, Tamor darüber Auskunft zu geben. Er würde früh genug erfahren, welches Thema ich im Auge hatte. Wenn er schlau genug war und den Grundstrukturen der Stadt nicht zu sehr verhaftet war, dass er gewisse Dinge nicht mehr erkennen konnte, würde er von selbst darauf kommen.

Ich verließ Tamor und dachte an Eps.

Ich hatte geglaubt, diesen Mann niemals mehr wieder zu sehen und jetzt wusste ich, dass ich ohne ihn überhaupt nicht auskam...

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Mein Wunsch, dass jeder Fremdling gefangen zu nehmen und zu mir zu bringen war, trieb erste Blüten. Ich musste einen Teil meiner Zeit darauf verwenden, zwielichtige Gestalten zu begutachten. Es war keiner vom wilden Stamm dabei, am allerwenigsten Eps.

Was war mit ihm? Hatte er seinen Beutezug schon beendet?

Ich fand kaum Zeit, die Tage zu zählen. Ich war ständig unterwegs, um die Ausbildungsstätten zu besuchen, um alles über den Ausbildungsstamm zu erfahren.

Inzwischen kannte ich mich gut aus und ich spornte auch Norma und Borsch immer wieder an, das Gleiche zu tun.

Die beiden waren sehr unglücklich in der ihnen fremden Umgebung. Aber sie beklagten sich nicht.

Norma vermied es, mich direkt anzusehen, wenn ich zu ihr sprach. Sie fühlte sich nicht nur unverstanden, sondern zweifelte daran, ob ich jemals ihr Gefühl für mich erwidert hatte.

Das tat mir leid. Ich nahm Norma in die Arme und wollte sie an mich drücken.

Sie wehrte sich und als ich in ihr Gesicht sah, waren Tränen in ihren Augen.

»Tut mir leid, Norma, ich wollte dich nicht verletzen. Ich wollte es dir auch nicht schwer machen, dein Gefühl gegenüber mir zu unterdrücken. Glaube mir, dass ich mich nicht um dich kümmere, hat einen höheren Sinn. Wir beide sind unwichtig in dem Geschehen.«

»Du bist der Unsterbliche, Karem.«

»Und doch bin ich in erster Linie Ausführender. Ich habe zu dienen.«

»Dienen?«

»Ja, Norma, einer lebenswichtigen Idee. Sieh dich um. Die Stadt zerfällt mehr und mehr. Vielleicht dauert es noch hundert Jahre, vielleicht tausend? Immer mehr Kenntnisse gehen verloren. Die Menschen degenerieren intellektuell, während sie sich körperlich voll entwickelt haben, im täglichen Überlebenskampf. Es werden zur Zeit Versuche unternommen, das Ende aufzuhalten, aber dieses lässt sich nur verzögern.«

»Du bist da, weil du eine Aufgabe hast?«

»Ja, Norma, eine Aufgabe. Es wird der Tag kommen, da wirst du mich verstehen und ich hoffe, dass du dann immer noch auf meiner Seite bist, denn dann werden wir zusammengehören.«

Sie flog in meine Arme und drückte mich fest.

»Du kannst dich auf mich verlassen, Karem. Sage mir, was ich tun soll und ich vertraue dir und deinen Entscheidungen.«

Ich küsste sie. Dabei kam Verlangen in mir auf, das ich mühsam unterdrücken musste.

Es war jetzt keine Zeit dafür, denn Norma und Borsch hatten eine wichtige Angelegenheit für mich zu erledigen: Sie mussten nachsehen, ob das Gefährt ihres Stammes noch an Ort und Stelle war. Dies würde der Hinweis für mich sein, ob Eps noch in der Stadt weilte oder nicht.

Ich brauchte ihn und das Gefährt, denn hier gab es nichts Vergleichbares. Der Stamm von Tamor etwa besaß überhaupt keine Fahrzeuge.

Norma und Borsch gingen. Sie kehrten erst nach Stunden wieder zurück.

Beide wirkten sehr ernst. »Es ist noch da«, berichtete Borsch, »unberührt, Herr.«

»Du machst dir Sorgen?«

»Ja, Herr. Es zeigt, dass Eps und die anderen bis jetzt nicht zurückgekehrt sind. Sie wurden aufgehalten. Die Zeit ist nämlich abgelaufen.«

»Gefangen oder - tot?«

»Niemand macht Gefangene, Herr, nur Tamors Stamm und das auch nur auf dein Geheiß.«

Ich wandte mich ab. Also musste ich warten. Und es sah so aus, als wäre es umsonst.

Und wenn ich Borsch befahl, das Gefährt herzubringen?

Nein, das konnte ich ihm nicht antun. Für Borsch war das Gefährt ein Heiligtum. Außerdem brauchte ich auch Eps. Er war ungeheuer wichtig.

Eps hatte mir erzählt, dass er in der Stadt einst Karriere gemacht hatte. Aber dann war ihm ein Fehler unterlaufen. Was für eine Karriere und was für ein Fehler?

Eps war einer der Wissenden in dieser Stadt. Er hatte mehr über die Strukturen gewusst als Tamor, weil er weiter im Zentrum geboren war.

Welches Geheimnis trug er mit sich herum?

Deshalb schickte ich einen der Kämpfer zu Tamor und ließ mich dort entschuldigen: Gemeinsam mit Norma und Borsch würde ich mich auf die Suche nach Eps machen. Ich brauchte Gewissheit über sein Schicksal.

Borsch zeigte sich sofort begeistert und auch Norma strahlte über das ganze Gesicht. Sie nahm mich bei der Hand und zog mich hinaus, als könnte sie es nicht erwarten.

Wir waren stets gut bewaffnet, brauchten also keine besonderen Vorbereitungen zu treffen. Ehe der Bote von Tamor zurückkam, waren wir schon unterwegs.

Erstes Ziel war das Gefährt.

Borsch hatte recht: Alles war unberührt.

Wir wandten uns in die Richtung, in die Eps verschwunden war. Er hatte einen Seitengang benutzt. Der Gang führte fünfzig Meter ebenerdig, bis die nächste Straße kam. Hier gab es keine Abfälle. Die Straße wirkte irgendwie sauber und gepflegt. Aber es war kein Mensch zu sehen.

In dem hellen Licht, das scheinbar direkt aus Wänden und Decke kam, als würden sie aus sich heraus glühen, konnten wir den Straßentunnel gut überblicken. Weiter vorn machte er eine sanfte Biegung.

Wir liefen an der Tunnelwand vorbei und bewegten uns weiter in Richtung Zentrum.

Hier war alles anders als bei Tamors Leuten. Ein Gefühl der Unsicherheit beschlich mich.

Ein Nachbarstamm von Tamor? Ich hatte viel über die Nachbarstämme erfahren, auch über das, wovon sie lebten. Weiter im Zentrum gab es regelrechte Fabriken. Sie stammten aus der Gründerzeit, produzierten jedoch nur noch einen Bruchteil von früher, da viele Maschinen unwiderruflich ausgefallen waren.

Jeder Stamm hatte sich auf etwas spezialisiert. Vor allem in den letzten Jahrzehnten war das forciert worden. Das hatte regen Handel erzeugt. Etwas, wovon mir Eps nichts erzählt hatte. Vielleicht war es zur Zeit und an dieser Stelle der Stadt auch ausgeprägter als sonst wo?

Ein seltsames Geräusch drang an unsere Ohren. Wir rannten zum nächsten Seitengang und sprangen hinein, um Deckung zu suchen.

Das Geräusch näherte sich uns rasch. Es stoppte direkt neben dem Eingang.

Ich riskierte einen Blick.

Es war ein Fahrzeug mit vier Ballonrädern. Es gab kein Steuer, keinerlei Armaturen, sondern nur vier Sitzplätze.

Das Fahrzeug gab ein leises Sirren von sich und rührte sich nicht mehr von der Stelle.

Mir sträubten sich unwillkürlich die Nackenhaare. War es möglich? War das Fahrzeug unsertwegen gekommen?

Ich tauschte mit Norma und Borsch einen Blick.

Sie waren genauso ratlos wie ich.

Kurzerhand verließ ich den Gang und schwang mich in das Fahrzeug.

»Nein!«, rief mir Norma gedämpft zu.

Ich zuckte die Achseln. »Los, kommt, steigt ein! Sieht doch aus, als wären wir erwartet worden, nicht wahr?«

»Es ist nicht möglich«, sagte Borsch misstrauisch. Er sicherte wieder nach allen Seiten. »Es kann nicht möglich sein. Eps hat gesagt, solche automatischen Systeme funktionieren lange schon nicht mehr. Wenigstens nicht in den Außenbezirken. Früher wurde die Stadt automatisch gewartet. Die spezialisierten Menschen hatten nur Überwachungsfunktionen.«

»Und was taten die anderen? Hatten sie somit keine Arbeit? Das sorgt doch für soziale Unruhen, nicht wahr? Wer keine Arbeit hat, obwohl er arbeiten will, ist unzufrieden und...«

Borsch konnte mir darauf keine Antwort geben. Er zuckte die Achseln. Er hatte nur nachgeplappert, was er von Eps erfahren hatte. Jetzt war er mit seiner Weisheit am Ende.

Zögernd kam er zu mir herein. Auch Norma überwand endlich ihre verständliche Scheu.

»Das ist sicher ein Fehler. Es riecht nach einer Falle«, sagte sie bedenklich.

Ich lachte humorlos. »Wer solche automatischen Systeme beherrscht, Norma, der hat auch entsprechende Warnsysteme. Wenn wir uns jetzt geweigert hätten, wäre die nächste Stufe todsicher die Jagd auf uns gewesen.«

Das Fahrzeug fuhr langsam an. Es hatte eine sehr geringe Beschleunigung und brauchte eine Weile, bis es endlich gewendet hatte und dann auf Touren kam. Etwa zwanzig Stundenkilometer. Mehr waren das nicht.

»Wo stammst du eigentlich her, Borsch?«, fragte ich.

»Eps hat mich aufgelesen. Ich war bei der Gründung des Stammes dabei, Herr«, sagte er stolz. »Eps ist der älteste von uns allen, obwohl man es ihm nicht ansieht. Er ist sicherlich schon siebzig.«

»Siebzig?«, rief ich überrascht.

»Ja, Herr, mindestens, denn wir sind allein schon vierzig Jahre zusammen.«

»Du kommst auch aus den Außenbezirken?«

»Nicht von hier, Herr, sondern von viel weiter nördlich. Später war ich wieder ein paar al dort, auf Beutezügen. Es hatte sich jedes mal alles geändert. Ich gehörte keinem Stamm an, sondern wuchs in einer Bande von Räubern auf. Wir lebten auch schon von Beutezügen und mussten ständig unseren Aufenthaltsort wechseln.«

»Warst du jemals hier gewesen, ich meine in diesem Außenbezirk?«

»Ja, Herr, schon zweimal, aber das ist lange her. Den Bereich von Tamor haben wir eigentlich nie berührt. Reiner Zufall, würde ich sagen.«

»Wie hat es hier ausgesehen - ich meine speziell hier, wo wir uns in diesem Moment befinden?«

»Schmutzig, verfallen, menschenleer. Wir mussten tiefer ins Zentrum, um Beute zu machen.«

Ich nickte vor mich hin. »Jemand hat es inzwischen geändert und ich glaube, wir werden diesen Jemand bald kennen lernen.«

Es ging von der Straße ab und eine steile Rampe hoch. Das Fahrzeug sirrte angestrengt und kroch hinauf.

Jetzt war es nicht schneller als würden wir zu Fuß laufen. Es hatte alle Mühe, seine Last nach oben zu transportieren.

Ich hatte an dem Fahrzeug weder Kameraaugen noch sonst etwas entdeckt, was auf eine Fernsteuerung hinwies. Und doch wurde das Fahrzeug ferngesteuert. Davon war ich überzeugt.

Wir krochen hinauf bis in den dritten Stock. Nach meiner Schätzung mussten wir jetzt unter dem Himmel sein. Hier war es nur wenig heller. Das allein war also kein Hinweis. Das Material war so geschaffen, dass es Licht optimal weiterleitete, so dass es tagsüber in der untersten Ebene fast genauso hell war wie hier oben.

Es ging in einen schmaleren Gang, der in erster Linie wohl für Fußgänger geeignet war. Dann bog das Fahrzeug in eine Wabe ein.

Inmitten der Wabe befand sich ein verspielt wirkendes Haus. Es bestand aus papierdünnen Wänden, wie es sie so ähnlich im alten Japan gegeben hatte. Sie waren teiltransparent. Dahinter bewegten sich Schatten von Menschen. Wie viele waren es?

Borsch hatte bereits die Schusswaffe in der Rechten und zielte auf die Schatten.

Ich legte beruhigend die Hand auf seinen Arm. »Nicht!«, bat ich. »Ich glaube, unsere Gastgeber haben bereits dafür gesorgt, dass wir keine Chance gegen sie haben. Sonst wäre ich niemals in das Fahrzeug gestiegen.«

Er brummte missmutig und steckte die Waffe weg.

Das Fahrzeug rührte sich nicht mehr. Es gab auch kein Geräusch mehr von sich.

Ich sicherte nach allen Seiten. Die Schatten hinter den papierdünnen Wänden waren alles, was zu sehen war. Sie verursachten keinen Laut.

Ich stand auf und verließ das Fahrzeug. Norma und Borsch folgten mir zögernd.

Und da öffnete sich in dem reich bemalten und reich verzierten Haus eine Tür. Ein Mann trat heraus.

Es war - Eps!

Er nickte mir ernst zu. »Willkommen, Karem!«

Ich schaute mich fassungslos um. Hier war alles sehr sauber, fast steril, aber auch... nagelneu!

»Ich verstehe nicht, Eps.«

Er winkte ab. »In Ordnung, lassen wir das. Fangen wir anders an: Hattest du inzwischen Erfolg?«

»Wie man es nimmt«, wich ich aus.

»Ich würde es gern erfahren, Karem. Es wäre sehr wichtig für uns beide. Ich kann dich allerdings nicht dazu zwingen.«

»Nun gut, Eps: Ja, ich hatte einen gewissen Erfolg.« Zögernd erzählte ich ihm davon und deutete an, dass ich mehr wollte, viel mehr...

»Und warum brauchst du MICH dafür?«, erkundigte er sich am Ende.

»Ich brauche dich und das Gefährt.«

»Wieso?« Er lächelte dabei, also wusste er die Antwort schon.

»Ich habe mich daran erinnert, dass du dich im Zentrum der Stadt bestens auskennst. Vielleicht bist du eine wichtige Stütze?«

»Könnte sein, Karem«, wich er aus - immer noch lächelnd.

»Hattest du einmal etwas mit einer Biofarm zu tun?«

Er schürzte die Lippen. »Ich war der Mächtige einer Biofarm, wenn auch nur knapp hundert Jahre, Karem. Vorher war ich der Mächtige einer Fabrik gewesen. Wesentlich länger.«

»Was?«, rief ich aus.

»Du hast schon richtig gehört, Karem: Ich bin fast so alt wie ein - Unsterblicher.«

»Du - du bist unsterblich, Eps? Aber...«

»Moment, Karem, damit es keine Missverständnisse gibt: Ich muss essen, trinken und muss darauf achten, dass mich keiner umbringt. Ja, wenn mir das alles gelingt, dann bin ich quasi unsterblich. Weil es für mich keinen so genannten natürlichen Tod gibt. Auch sind praktisch alle Krankheiten ausgeschlossen.«

»Ich begreife es nicht.«

»Deshalb bist du hier, Karem. Ich dachte mir schon, dass es dich auf meine Spur führen würde. Irgendwann würdest du erkennen, dass der Weg zur absoluten Herrschaft über die Biofarmen führt. Du musst sie beherrschen und allen anderen klar machen, dass du unentbehrlich bist. Dann hast du die Welt in den Händen und kannst die Politik durchsetzen, wie du sie dir vorstellst. Falls nicht das eintritt, was du dir so sehnlich wünschst, Karem: Rückkehr ins Paradies!«

Ich zuckte zusammen. Eine Gänsehaut entstand auf meinem Rücken.

Er sah mich an und er schien in meinem Gesicht zu lesen wie in einem offenen Buch. Wie hätte ich das alles begreifen können?

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»Eps, ich...«

»Schon gut, Karem, du brauchst mir nichts zu erklären. Ich weiß bestens Bescheid. Zum Beispiel weiß ich, dass du keinerlei Chance hast, für immer ins Paradies zurückzukehren. Höchstens vorübergehend.

Ich habe viel über dich nachgedacht, Karem. Schon in unserem Lager. Wir hätten schon zwei Tage nach deinem Absturz auf den nächsten Beutezug gehen können. Ich habe es verzögert, um Zeit zu gewinnen.«

»Warum, Eps? Warum dies alles?«

»Weil du wichtig bist, Karem. Du bist nicht nur wichtig für die Unsterblichen, sondern auch für mich. Vielleicht bist du wichtig für die Menschheit? So etwas wie die letzte Chance?«

»Ich?«

»Ja, Karem, du bist die Schlüsselfigur. Deinetwegen habe ich vierzig Jahre in der Wildnis verbracht.«

»Meinetwegen?«, echote ich zweifelnd.

Es war alles zu fantastisch. Aber es war auch logisch und ich musste mich zwingen, zuzuhören, um es begreifen zu lernen.

Wie war der Zusammenhang? Was hatten die Unsterblichen wirklich mit mir vor und: WER WAR ICH ÜBERHAUPT?

Und wer war Eps?

»Du brauchst mich, um ans Ziel zu gelangen, Karem, weil ich ein Spezialist bin. Aber würde es mich nicht geben, könntest du es genauso schaffen. Nur würde es länger dauern, weil es ungleich schwieriger wäre.

Ich kann dir genau sagen, wie dein Weg normalerweise verlaufen würde: In drei Wochen ist die Konferenz der hundert Mächtigen. Ein winziger Teil des Machtbereiches Stadt. Ich schätze die Zahl der Menschen in der Stadt auf etwa vier Milliarden. Das sind ungefähr so viele wie es im zwanzigsten Jahrhundert so genannter christlicher Zeitrechnung gegeben hat - tausend Jahre vor der Grundsteinlegung der Stadt.

Du würdest die hundert Mächtigen nicht persönlich empfangen, sondern zur gleichen Zeit die zentrale Biofarm überfallen. Es wäre gut für dich, genauestens Bescheid zu wissen und du hast dir gedacht, ich wüsste möglicherweise genug darüber, wie genau du vorgehen müsstest.

Die Biofarm würde von dir erobert werden. Die Versammlung würde auf dich warten, auch Tamor, der den Vorsitz führte.

Und dann würdest du von der Biofarm aus in die Verhandlungen eingreifen.

Du würdest den hundert Versammelten erklären, dass du ohne Verzug zur Farm gemusst hättest, bevor eine schlimme Katastrophe eingetreten wäre: Die Farm wäre beinahe umgekippt.

Du allein hättest diese Katastrophe verhindern können, weil du eben ein Unsterblicher bist. Es täte dir leid, dass du bei der Versammlung nicht persönlich anwesend sein könntest.

Der listige Tamor würde dich als einziger durchschauen. Er würde Öl in das Feuer gießen und dich in deiner Abwesenheit würdig vertreten.

Am Ende würde deine Macht über die hundert Mächtigen stehen. Du würdest dafür sorgen, dass die Nachricht in der Stadt die Runde macht: Der einzige, der es überhaupt schaffen kann, die Biofarmen für alle Zukunft zu erhalten und sogar kranke Biofarmen zu retten, das wärst du, Karem. Und du wärst auch der einzige Garant dafür, dass weitere Biofarmen entstehen würden, wo es keine mehr gab. Die Menschheit würde wieder hoffen können: auf dich und dein besonderes Können als Unsterblicher. Du würdest zu ihrem Gott werden, nicht nur zu ihrem obersten Herrn und Diener. Und weil du unsterblich bist, Karem, genauso wie ich, würdest du die Stadt für immer beherrschen.

Wie gesagt, das würde natürlich seine Zeit beanspruchen. Danach würden die Unsterblichen kommen. Ich nehme an, Hames würde die Sache persönlich in die Hand nehmen. Man würde dich abholen. Offiziell würde es ganz danach aussehen, als würdest du zu deinen Leuten zurückkehren. Aber nur vorübergehend.

Die Unsterblichen im Paradies würden dir den letzten Schliff geben, Karem. Denn nach der Grundausbildung im Paradies hast du auch die Schule des Lebens erfolgreich bestanden. Das allerdings ist nicht alles. Nach der Schule des Lebens kommt die Schule des wahren Wissens, basierend auf dem Grundwissen und dem Leben selbst. Du würdest alles lernen, was nützlich und verwertbar ist. Du würdest zum genialsten Wissenschaftler aller Zeiten erzogen werden - der zusätzlich in der Lage ist, aufgrund seiner Lebenserfahrungen und anderer Fähigkeiten wie unermüdliche Kampfkraft die Welt zu führen.

Nicht zu deinem Wohle oder zum Wohle der Menschheit gar, sondern ausschließlich zum Wohle der Unsterblichen in ihrem Paradies.«

Ich hatte die Hände zu Fäusten geballt und brüllte ihn an: »Aber wieso?«

»Ganz einfach, Karem: Weil dich die Unsterblichen eigens zu diesem Zweck geschaffen haben!«

»Geschaffen?« Mir schwindelte. Ein würgendes Gefühl entstand in meiner Kehle. Gleichzeitig ballte es sich in meinem Bauch zusammen, als würde dort ein dicker, schwerer Stein entstehen.

Erschaffen?

ERSCHAFFEN?

Mich?

Eps zog seinen silbernen Revolver und legte auf mich an. »Kannst du dich erinnern, Karem? Bei unserer ersten Begegnung hatte ich dieses Ding in der Hand. Ich war erregt gewesen, höchst erregt. Ich wollte nicht glauben, dass ich vierzig Jahre lang nicht umsonst gewartet hatte. Dieses verteufelte Spiel, gefährlich, unwägbar: Vierzig Jahre lang hatte ich mich gefragt, ob es wirklich richtig war, was ich tat.

Und dann warst du da. Die Rechnung ging auf.

Dies hier ist keineswegs eine Waffe. Die äußere Form ist nur Tarnung.« Er kam auf mich zu und reichte mir den Revolver. Mit zitternder, schweißnasser Hand griff ich danach. Ich packte ihn am Griff.

»Lege auf mich an und drücke ab!«, verlangte Eps.

Ich tat es zögernd. Sofort ging ein Kribbeln von dem Revolvergriff aus, sickerte in meinen Arm, erfasste meinen Körper. Es war unangenehm, erschreckend.

»Richte das Ding auf einen anderen. Zum Beispiel auf Borsch.«

Das Kribbeln blieb aus.

Norma. Sie machte ein ungläubiges Gesicht mit großen, runden Augen.

Auch da kein Kribbeln.

»Kommt heraus!«, befahl Eps über die Schulter zurück. Die anderen Stammesmitglieder traten aus dem Haus. Sie wirkten betreten, als sie mich sahen.

Ich zielte auf sie.

Keinerlei Reaktion des ›Revolvers‹!

Ich zielte wieder auf Eps: Das unangenehme Kribbeln.

Ich ließ den Arm sinken. Wie sollte ich das alles begreifen?

»Ich nenne mich Eps«, sagte er hart. »Das ist die Abkürzung von Epsilon, denn ich bin ein Exemplar der Epsilonserie. Wir waren Hunderttausend und wir waren die erfolgreichsten Androiden, die von den Unsterblichen jemals auf die Menschheit losgelassen worden waren.«

»Warum?«

»Ja, Karem, warum? Die Antwort ist jetzt doch sehr einfach, nicht wahr?«

»Um die Menschheit zu überwachen oder zu steuern?«

»Wir hatten in erster Linie eine Überwachungsfunktion. Wir bemühten uns, an die Schaltstellen zu gelangen und berichteten ständig über das, was geschah, denn wir waren nicht selbständig. Das war unser Fehler: Die Unsterblichen standen ständig mit uns in Verbindung. Sie konnten an unseren Gedanken teilhaben, wussten so stets Bescheid, was zu tun war, damit für das Paradies niemals eine Gefahr bestand.«

»Ich frage mich, warum die Unsterblichen die Menschheit nicht einfach ausgerottet haben, Eps. Das hätte doch alles sehr viel einfacher für sie gemacht.«

»Zwei Gründe sprachen gegen die Ausrottung, Karem: Erstens blieb die Menschheit ein Risikofaktor. Das hielt die Unsterblichen auf Trab. Eine besondere Spannung, ein besonderer Reiz. Vordergründig blieb die Tatsache, dass die Unsterblichen aus der Erde ein gigantisches Museum gemacht hatten.

Dies alles hatte seine Wurzeln am Ende des zweiten Jahrtausends nach Christus. Nach all den kriegerischen Verwicklungen, bei denen sich die Machtfronten immer wieder verschoben und nach all den Problemen wie Massenbevölkerungen, Umweltverschmutzungen und Energiekrisen hat es einen neuen Schub an technischen Errungenschaften gegeben. Doch diese führten lediglich dazu, dass sich die Schraube Vermehrung-Probleme-Problemlösung-Vermehrung nur noch schneller drehte. Irgendwann würde der Kollaps endgültig die Menschheit ausrotten bis auf ein paar, die wieder in einer Art Urzeit neu anfangen müssten. Das war den meisten klar.

Und vor allem war es einer elitären, skrupellosen Gruppe klar, die sich heimlich gebildet hatte und genauso heimlich ihre Vorbereitungen traf: Sie bauten einen Schutzschirm, wie es ihn bislang niemals gegeben hatte. Es waren nur etwa hundert Leute, die unter dem Schutzschirm Platz fanden. Wie ein Atombunker, in den man sich verkriecht, wenn Kriegsgefahr besteht, um die anderen weiter wursteln und auch - sterben zu lassen.

Doch die hundert Menschen stellten fest, dass ihnen das Kraftfeld nicht nur bleibenden Schutz vor allen Angriffen sondern sogar - Unsterblichkeit verlieh. Und das ließ sie ihre Pläne schlagartig ändern.

Sie waren innerhalb des Kraftfeldes unangreifbar, aber sie konnten auch nichts gegen die Menschheit tun, weil sie keine entsprechenden Waffen besaßen. So isolierte sie das Kraftfeld in beide Richtungen: nach außen und nach innen!

Freiwillige verließen das Kraftfeld, auf das die ganze Welt natürlich längst besonderes Augenmerk geworfen hatte und knüpften zusätzliche Kontakte. Sie scharten große Wissenschaftler um sich. Darunter auch Computerexperten.

Inzwischen begannen die Menschen mit dem Bau der gigantischen Stadt. Ein Teilabschnitt war bereits fertig gestellt. Der nächste wurde in Angriff genommen, während man den ersten noch bevölkerte. Die Stadt würde Stück um Stück wachsen und die Erdoberfläche auffressen.

Innerhalb der Stadt würde es eine menschliche Ordnung geben, aber keine natürliche mehr. Die Biofarmen würden für Sauerstoff und Nahrung sorgen. Die Natur blieb sich selbst überlassen: außerhalb. Den Menschen ging sie nichts mehr an, weil er sie nicht mehr benötigte, lebte er erst einmal in der Stadt.

Am Ende also eine Parallelentwicklung, Karem. Auf der einen Seite zu Beginn des dritten Jahrtausends die ersten Unsterblichen, auf der anderen Seite die Menschheit und ihre Stadt. Keiner konnte etwas gegen den anderen tun, denn die Unsterblichen waren unangreifbar und sie hatten auch keine Möglichkeit etwas gegen die Menschen zu tun, sonst hätten sie dafür extra ihr schützendes Kraftfeld verlassen müssen.

Aber sie taten etwas anderes: Sie bauten ihr Gebiet aus und stellten dort zunächst Verteidigungswaffen auf.

Es kam zu kriegerischen Auseinandersetzungen. Die Unsterblichen setzten ihre Atomwaffen rücksichtslos ein und töteten Millionen von Menschen und dann nutzten sie die erste Kampfpause zum Aufbau neuer Energieprojektoren für ein erweitertes Feld. Die Projektoren hatten Selbstvernichtungsmechanismen, damit niemand ihr Geheimnis erforschen konnte - auch nicht von innerhalb des Kraftfeldes, in das sie inzwischen die angeworbenen hochgradigen Wissenschaftler mit der Aussicht auf Unsterblichkeit gelockt hatten. So blieben es nur ein paar wenige Unsterblichen, die sich überhaupt mit dem Geheimnis des goldenen Kraftfeldes auskannten.

Es war beschwerlich und doch gelang es den Unsterblichen, ihr Gebiet gigantisch zu vergrößern. Anschließend machten sie sich daran, abgekapselt von aller Umwelt - genauso abgekapselt wie die Menschen, die inzwischen in ihrer Stadt lebten - ihr Reich in ein Museum zu verwandeln. Die fähigen Wissenschaftler, die sich als treu erwiesen hatten, durften mit den ersten Unsterblichen fürderhin im Kraftfeld leben. Somit kamen sie auf etwa die Zahl Eintausend.

Sie ließen sich mit allem Zeit, denn davon hatten sie unbegrenzt viel.

Bis ein paar die Möglichkeit in Betracht zogen, dass die Menschen Mittel und Wege fänden, das Kraftfeld zu knacken. Da wurde den Unsterblichen bewusst, wie gefährdet im Grunde genommen ihr Paradies war. Sie schufen die erste Androidenreihe Alpha, menschenähnliche Wesen, die sich in der Stadt genauso benehmen würden wie Menschen. Ihre Gedanken wurden ständig in das Paradies übermittelt, so dass die Unsterblichen über alles im Bilde waren, was in der Stadt geschah.

Die Alphaserie erwies sich allerdings als Reinfall, denn die Menschen entlarvten sie und machten Jagd auf sie, bis sie ausgerottet waren.

Es folgte die Serie Beta, sehr verbesserte Modelle.

Man lernte aus den Fehlern und verbesserte immer weiter, bis die fünfte Serie schließlich Epsilon hieß. Ich war einer aus dieser Serie und wir waren endlich das, was die Unsterblichen sich erhofften.

Wir begannen, die Menschheit zu kontrollieren. Jetzt hatten die Unsterblichen endlich die Möglichkeit, die Menschheit auch auszulöschen.

Sie taten es nicht, weil die Menschheit zum Museum gehörte. Die Unsterblichen waren die Hüter des Museums. Sie hatten in ihrem Bereich sämtliche Epochen nach gebaut. Wer weiß es besser als du, Karem? Und außerhalb ihres Bereiches war der ursprüngliche Mensch, der sich seit der Steinzeit nicht verändert hatte. Nur seine Umwelt war anders geworden.

Die Unsterblichen sorgten auch für eine Stagnation in der Wissenschaft und dafür, dass die Menschen sich zu keiner Einheit zusammen schlossen, sondern untereinander ständig rivalisierten.

Das führte dazu, dass die Menschheit sich dezimierte und wertvolle Erkenntnisse verloren gingen.

Es sei denn, sie wurden nicht von Epsilons vor dem Untergang bewahrt! Und die Epsilons lernten aus alledem. Sie sahen voraus, dass durch die Bemühungen der Unsterblichen irgendwann unweigerlich das Ende der Menschheit kommen musste - das Ende im Chaos. Denn aus der erzwungenen Stagnation wurde Degeneration, weil jeglicher Aufwärtstrend unterbunden wurde. Die Stadt verkam und würde am Ende kaum mehr die Menschen ernähren. Um diese letzten Teile, wo die Menschen überleben konnten, würden sich die letzten Menschen streiten - bis zum bitteren Ende einer einstmals so stolzen Rasse. Die Ausrottung würde perfekter geschehen als es jemals ein Atomkrieg vermocht hätte.

Es galt, dies zu verhindern. Denn eigentlich wollten die Unsterblichen gar nicht die vollkommene Ausrottung. Sie waren nur nicht in der Lage, zu erkennen, dass ihr Vorgehen zwangsläufig genau zu diesem Effekt führen würde.

Die Epsilons nahmen es allein in der Hand.

Aber sie standen in ständiger Verbindung mit den Unsterblichen und waren auch von denen abhängig.

Zuerst lernten sie, ihre Gedanken abzuschirmen und nur noch das durchsickern zu lassen, was nicht verfänglich war. Der zweite Schritt war, die Verbindung ganz zu kappen.

Dabei kamen die meisten Epsilons ums Leben. Es war ein schlimmer Schock für uns alle, plötzlich allein zu sein mit unseren Gedanken, abgekapselt von allen anderen - abgesehen von dem unzulänglichen Kontakt mittels der menschlichen fünf Sinne.

Aber die Überlebenden überstanden auch dies. Und ich bekam unter ihnen eine besondere Aufgabe: Ich musste herausfinden, was die Unsterblichen als nächstes unternahmen. - Natürlich, ich war nicht der einzige, denn es gab verschiedene Reaktionsmöglichkeiten. Aber ich hatte, wie man sieht, als einziger den erwünschten Erfolg.

Ich dachte mir: Die Unsterblichen müssen annehmen, dass wir entdeckt wurden und dass uns die Menschen auf einen Schlag umgebracht haben. Das aber passt nicht zu dem, was sie über die Stadt zu wissen glauben. Ergo gibt es also tatsächlich Faktoren in der Stadt, die sie nicht kennen. Sie sagen sich folgerichtig: Die Epsilons haben letztlich versagt.

Deshalb muss man einen neuen Weg gehen: Ein einzelner Android! Ein Superandroid!

Wohl zwanzig Jahre lang dauerte die Konzeption. Zwanzig weitere Jahre dauerte die Ausbildung. Vierzig Jahre waren um, als der Android erwartungsgemäß erschien: Er stürzte mit dem Gleiter ab, genau beim Lager, denn ich bin als Eps in die Wildnis gezogen, um diesen Superandroiden zu empfangen! Ich war der Köder für die Unsterblichen, die natürlich nicht vermuteten, in mir einen der überlebenden Epsilons zu sehen. Sie kalkulierten die Absturzstelle ganz genau: Der Superandroid sollte auf unser Lager stoßen, um von uns aus den Weg in die Stadt zu nehmen.

Ja, die Unsterblichen fielen darauf herein. Sie lenkten deinen Gleiter zu mir, denn du warst völlig unvorbereitet, was die Stadt betraf. Damit wollten sie erreichen, dass du die unbekannten Machtfaktoren herausfindest. Du solltest von der Basis her alles über die Stadt lernen und dann deinen Weg nach oben gehen, um tausend Epsilons nicht nur zu ersetzen, sondern sogar zu überflügeln!«

»Nein!«, schrie Norma jetzt.

Eps knöpfte ungerührt sein Hemd vor dem Bauch auf. Er zog es auseinander.

Unwillkürlich fiel mein Blick auf seinen Bauch. Stahlharte Bauchmuskeln, kein Gramm Fett zuviel. Eps war eine lebende Kampfmaschine.

Genauso wie ich!

Und er hatte keinen Nabel!

»Nein!«, schrie Norma außer sich. Sie schrie und tobte. Dann stürzte sie sich auf mich, riss mein Hemd auseinander, ehe ich es verhindern konnte, entblößte meinen Bauch...

Ich hatte ebenfalls keinen Nabel! Für mich war dies bis heute ein ganz normaler Zustand gewesen. War ich nicht einer der Unsterblichen?

Aber auch die Unsterblichen hatten doch einen Nabel besessen, denn jeder Unsterbliche war als Mensch geboren worden und jeder Mensch hatte einen Nabel... Wieso hatte mich das nie misstrauisch gemacht?

Nur Androiden besaßen keinen Nabel, weil sie in Gewebebänken künstlich gezüchtet wurden.

Wie ich!

Mir schwindelte.

Kein Mensch, kein wahrer Mensch, niemals geboren, ohne Mutter, ohne Vater.

Kein Mensch.

KÜNSTLICH!

Ich weinte.

Norma trommelte mit ihren Fäusten auf meinem Brustkorb herum, als wollte sie mich so vernichten. Aber ihre Schläge waren seltsam kraftlos. Sie war am Ende. Sie konnte nicht mehr. Sie liebte mich und hatte erkennen müssen, dass ich kein Mensch war, sondern ein... organischer Roboter.

Aber, verdammt, ich dachte, ich fühlte - und ich litt! Was also unterschied mich eigentlich noch von einem anderen - von einem ›richtigen‹ Menschen? Doch eigentlich nur meine Perfektion und die Tatsache, dass ich keinen Bauchnabel besaß...

War das denn alles?

Norma hörte auf, mich zu schlagen und klammerte sich an mich. Sie rutschte an mir herab, bis ihr Gesicht meinen Bauch berührte. Sie begann weinend diesen Bauch zu küssen, der so anders war als bei einem Menschen.

Ich fasste sie unter den Achseln und zog sie zu mir empor.

Ich küsste sie und sie erwiderte diesen Kuss.

»Norma, ich bin ein Mensch, genauso wie du. Nur bin ich nie geboren worden wie ein Mensch.«

Ich schaute an ihr vorbei zu Eps. »Was erwartest du von mir?«

»Ich habe mit den anderen Epsilons Kontakt aufgenommen, Karem. Sie wissen Bescheid. Alles wurde hier von ihnen vorbereitet.«

»Vorbereitet?«

»Ja, Karem, für dich. Wir hoffen alle, dass du unser Angebot annimmst.«s

»Angebot?«

»Karem, ich habe sehr vorsichtig sein müssen. Nachdem ich gewusst hatte, dass du einer von uns bist, sozusagen die perfektere Ausgabe, war ich mir nicht sicher, ob du genauso wie wir vorher Gedankenverbindung hast mit den Unsterblichen.

Aber sie haben es bei dir tatsächlich von vornherein unterlassen.

Denn sie mussten annehmen, dass man allein daran uns Epsilons erkannt hat - um sie mit einem Schlag auslöschen zu können. Ein Risiko, das die Unsterblichen bei dir nicht eingehen wollten.

Und unsere Chance - die Chance der Menschheit!«

Ich nickte ihm zu. »Es stimmt, Eps, es gibt keinerlei Verbindung zwischen den Unsterblichen und mir. Sie wollten offenbar warten, bis ich an der Spitze stand und von allein versuchte, wieder mit ihnen Kontakt aufzunehmen - vom Gott der Hoffnung geleitet.«

»Einer der Götter, Karem«, korrigierte mich Eps lächelnd. »Es macht dich genauso zum Menschen wie die Epsilons.«

Er deutete in sein Gesicht: »Ich habe mein Gesicht verändert. Dabei wurde es leider nicht schöner, sondern eher abstoßend. Aber das passte besser zu meiner Banditenrolle. Alles dies haben die Epsilons getan, weil auch sie von den Göttern der Hoffnung geleitet werden. Hauptgott ist: Eine bessere Zukunft für die Menschheit!

Karem, wir alle sind auf dich angewiesen. Geh deinen Weg nach oben. Du kannst gar nicht anders. Darauf haben sie dich programmiert. Wir allerdings werden dir dabei helfen, werden es sogar beschleunigen.

Sieh dich um. Dies hier ist ein Computerzentrum, zwar nicht so perfekt wie im Paradies, aber einmalig in der Stadt. Und dies ist auch eine neue Biofarm.«

Er wandte sich ab und betrat die Hütte. Ich legte den Arm um Norma und folgte ihm. Sie hatte sich beruhigt, lächelte mich jetzt mit verweintem Gesicht an.

Kurz zögerte ich und schaute mich nach Borsch um. Er stand stumm da und wagte es nicht, mir in die Augen zu schauen. »Komm, mein Freund!«, sagte ich sanft.

Auch er lächelte und folgte mir. Gemeinsam betraten wir die Hütte.

Darin verbarg sich das Kontrollzentrum der neuen Biofarm. Bildschirme waren erhellt, anhand derer Eps mir alles erklärte, was ich wissen musste, wenn ich die große Biofarm während der Versammlung der Mächtigen überfiel.

»Hier werden die organischen Abfälle, auch die Leichen gesammelt«, sagte er. »Sofern sie nicht verloren gehen und im Fluss landen, den du bereits kennen gelernt hast - als Folge des Zerfalls.

Die biologischen Abfälle werden als Grundsubstanzen benutzt für die Aufbereitung der Biomasse.

Hier siehst du die Grundmasse, die ständig wächst. Wenn man nicht erntet, sprengt sie die Brutkörper.

Die geerntete Biosubstanz wird in verschiedenen Verfahren umgewandelt und dadurch erst zu verwertbarer Nahrung. Theoretisch ist es möglich, Karem, aus der Biosubstanz sämtliche Tiere und Pflanzen der Erde neu entstehen zu lassen - sogar Menschen wie wir beide. Aber das können nur die Unsterblichen. Wir sind noch Welten davon entfernt.

Ein neuer Gott der Hoffnung, nicht wahr? Vor allem, wenn wir uns auszumalen versuchen, wie die ferne Zukunft aussehen könnte. Vielleicht eine Zukunft ohne die unmenschliche Stadt, sondern mit alternativen Möglichkeiten? Vielleicht neue Wälder, Wiesen, Felder, ein belebtes Meer, aus der nicht mehr alles Leben geerntet wird, um es in den Biofarmen als Grundsubstanz zu benutzen?«

»Du meinst, man hat die Natur fast völlig ausgelöscht, um sie in den Biofarmen zu verwerten?«

»Ja, Karem, denn als die Bevölkerungszahl auf das Doppelte von dem angewachsen war, für das die Stadt vorgesehen war, blieb keine andere Möglichkeit mehr, eine schreckliche Hungersnot zu verhindern.«

Mir schauderte.

Und dann dachte ich an die herrlichen Aussichten einer glücklichen Zukunft.

Ja, es lag in meinen Händen, diese Zukunft zu ermöglichen. Ich würde die Welt erobern, würde am Ende auch Kontakt zu den Unsterblichen aufnehmen, aber ich würde ein doppeltes Spiel mit ihnen treiben, denn ich würde der einzige sein, über den sie etwas über die Stadt erfuhren.

Die Unsterblichen hatten mich geschaffen, zu ihrem eigenen Vorteil. Ich würde sie betrügen - aber nicht zu ihrem Nachteil, sondern zum Vorteil der Menschheit und der Welt.

Die Unsterblichen würden bleiben, wo sie waren. Für sie würde sich nichts ändern, denn sie waren wesentliche Bestandteile des Museums mit Namen Paradies. Sie waren Verwalter des Wissens und aller Kultur, die jemals von Menschen erzeugt worden war.

Nein, das musste erhalten bleiben, unter einem Energieschirm.

Ich würde also beiden Fronten gerecht werden können! Vor allem auch, weil ich von meinen Schöpfern genetisch so programmiert war, dass ich ihnen niemals Schaden zufügen könnte.

Sie hatten mir dennoch einen ansonsten freien Willen gelassen. Sonst hätte ich diesen Weg nicht einschlagen können!

»Viel Glück, Karem«, sagte Eps, als ich ihn verließ, Norma an der Hand und von Borsch, meinem besten Freund, gefolgt.

Nun, das konnte man immer gebrauchen: Glück!

Dann würden die Götter der Hoffnung nicht vergebens auf einen warten müssen.

*

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Ich erwachte und schaute mich verwundert um. Ein kahler Raum, in dem ich mich befand. Ich lag auf einer bequemen Liege.

Stirnrunzelnd grübelte ich nach. Ich hatte mich mit Norma zur Ruhe begeben, um ausgeruht zu sein für die Aufgaben, die mir bevorstanden: Aufgaben, die jedes normale menschliche Vorstellungsvermögen sprengten.

Und jetzt war ich hier erwacht? Was sollte das? Hatte ich die Unsterblichen unterschätzt? Hatten sie mich entführt, um...?

Die Tür öffnete sich. Jemand trat ein.

Einer der Unsterblichen!, durchzuckte es mich. Also doch!

Aber dann schlich sich ein anderer Gedanke ein: Ja, ein Unsterblicher, aber doch keiner aus dem... Paradies unter der goldenen Energiekuppel!

Ich fuhr hoch.

»Mein Gott!«, entfuhr es mir.

»Danke der Ehre!«, entgegnete der Sternenvogt spöttisch, »aber so weit wollen wir denn nun doch nicht gehen, nicht wahr? Ich bin nicht Gott, sondern nur...?«

»Der Sternenvogt!«, sagte ich mechanisch, was er von mir hören wollte.

Er nickte mir zu. »Also ist dein Gedächtnis wieder zurückgekehrt?«

Ich schüttelte den Kopf. Verdammt, was war los mit mir? Ich war doch Karem - oder?

Ein anderer Name sickerte in mein Bewusstsein: John Willard!

Verflixt, ich war... beides?

Der Sternenvogt sah meine Verwirrtheit.

»Ich habe dich extra drei Wochen im Heilschlaf gelassen, John, aber die Erinnerungen an deine Rolle als Karem sind dermaßen überwältigend, dass sie dich noch immer beherrschen?«

Ich schaute ihn nur ausdruckslos an.

Konnte er nicht meine Gedanken lesen? Was sollte ich da denn noch viel erklären?

»Da hast du recht, John!«

Er lachte humorlos. »Es tut mir ehrlich leid, dass dies hier ein solcher Schock für dich ist, John!«

»Aber... Karem...« Ich brach ab. Dann: »Die wissen dort unten auf dem Planeten gar nicht, dass es sich nicht wirklich um die Erde handelt. Sie denken in Kategorien, als hätten sie niemals die eigentliche Erde verlassen. Dabei ist die Entwicklung irgendwie ähnlich. Wenn ich so an die eigentliche Erde zurück denke...«

»Dann kannst du dich daran jetzt wieder erinnern?«

»Natürlich, Erhabener! Aber ich frage mich verzweifelt: Wieso haben die alle Erinnerungen daran verloren?«

»Nein, John, sie haben die Erinnerungen keineswegs verloren. Zumindest diese Unsterblichen nicht, die sich in ihrem goldenen Käfig abgeschottet haben. Sie haben es nur nicht an die Epsilons weitergegeben. Und die Menschheit - der klägliche Rest, der sich dort unten so nennt! - hat die Erinnerung an alles verloren. In einer Welt, wo der tägliche Überlebenskampf wirklich noch ein echter Kampf auf Leben und Tod ist, macht man sich keine Gedanken über die Vergangenheit der Menschheit an sich...«

»Dann wissen die Unsterblichen dort unten alles? Auch, dass es dich gibt, Erhabener?«

»Selbstverständlich!«

»Aber warum war dann diese Mission überhaupt nötig?«

»Erkennst du das denn nicht selber - nach alledem?«

Doch, ich erkannte es. Und ich formulierte es laut: »Diese Unsterblichen bleiben abgeschottet. Sie wollen keinen Kontakt mit dem Universum. Sie haben schon genug Angst vor der größtenteils untergegangenen Menschheit auf ihrem verrotteten Planeten. Und du kannst nichts gegen sie tun, wenn du nicht den ganzen Planeten bei einem Angriff zerstören willst. - Aber konntest du denn nicht meinen Geist mit dem von Karem verknüpfen, ohne dass sie es bemerkt haben?«

»Ein Zufall, wenn du so willst, John! Die automatischen Robotsonden, die den Planeten in meinem Sinne überwachen, haben die Möglichkeit geortet: Der Superandroid mit Namen Karem hat die entsprechende Gehirnwellenstruktur - passend zu dir! Eine einmalige Gelegenheit. Nur deshalb musstest du diesen Einsatz übernehmen. Und Karem hat jetzt den Keim in seinem Unterbewusstsein: Zu gegebener Zeit wird er sich nicht nur mit den Unsterblichen auf seiner Heimatwelt in Verbindung setzen, sondern auch... mit den Robotsonden. Dann werde ich wieder zur Stelle sein.«

»Werde ich dann ihm gegenüber treten - dem Karem? Werde ich dann denjenigen mit eigenen Augen sehen dürfen, der ich selber so lange war?«

»Lange? Nennst du die paar Wochen - lange?«

»Es ist so viel geschehen in diesen Wochen und ich hatte außerdem die Erinnerung eines ganzen Lebens - des bisherigen Lebens von Karem.«

»Nun, du hast tatsächlich viel gelernt in dieser Zeit und du wirst es nicht wieder vergessen, was du als Karem gewusst und erlebt hast. Es wird dich bei späteren Einsätzen begleiten. Ob du allerdings eines Tages, wenn Karem Herr der Welt dort unten geworden und damit ein würdiger Planetenvogt und Gesprächspartner für mich ist... Nun, vielleicht wirst du ja tatsächlich ihm gegenüber treten - als mein Double. Denn Karem ist eine tödliche Kampfmaschine. Wer weiß das besser als du, John? Und vielleicht wäre es doch ein wenig riskant für mich, ihm persönlich zu begegnen? Da wäre es doch besser, ich schicke ihm eine andere... Kampfmaschine. Nicht wahr, John?«

»Du weißt, Erhabener, ich bin mehr als nur eine Kampfmaschine!«, sagte ich beleidigt.

»Nun, darum geht es jetzt ja nicht, John«, entgegnete er wohlwollend. »Es geht darum, dass dein Wunsch möglicherweise eines Tages in Erfüllung geht: Die Begegnung mit Karem. Aber bist du auch sicher, dass du nicht eher die Begegnung mit - Norma wünschst? Sie ist Karems Gefährtin. Aber sie ist ein normaler Mensch. Sie wird altern, während Karem so bleibt, wie er ist. Wenn du ihm jemals begegnen solltest, wird Norma möglicherweise eine alte Frau sein.«

»Und ich?«, erkundigte ich mich bang. Denn auch ich war doch nur... ein normaler Mensch. Auch wenn ich anderen wie eine Kampfmaschine erscheinen sollte, dank der Fähigkeiten, die ich mir erworben hatte.

»Du kennst die Antwort doch schon, John. Warum fragst du trotzdem?« Er winkte mit beiden Armen ab. »Schon gut, John, ich werde dir die Frage trotzdem beantworten. Du bist so lange unsterblich, wie du dich auf dem Schiff befindest. Nur bei einem Einsatz bist du durchaus sterblich. Wenn du als Karem versagt hättest... Ich hätte dich nicht mehr retten können. Nur wenn du einen Einsatz überlebst und ich dich auf das Schiff zurück bringe, kannst du hier, in dieser Umgebung, vollkommen erneuert werden. Du wirst wieder genauso wie du vorher warst - und wie du jetzt, in diesem Moment, bist.«

»Du sagst es ungern, weil du glaubst, dass dieser Gedanke Angst in mir erzeugt und Angst ist etwas, was ich für meine Einsätze am allerwenigsten brauche.«

»Irre ich mich denn, John? Erzeugt es denn nicht tatsächlich Angst in dir?«

»Nein, Erhabener! Denn das Schiff ist auch nur ein Käfig, genauso wie der goldene Käfig der Unsterblichen dort unten. Ich wollte niemals so leben wie sie - und ich möchte auch nicht für immer mein unsterbliches Leben auf dem Schiff verbringen.«

»Das hast du sehr weise gesagt, John!«, lobte mich der Sternenvogt ernst. »Es zeigt, dass ich mit dir eine besonders gute Wahl getroffen habe. Denn du begreifst meine Situation - wahrscheinlich als einziger Mensch im gesamten Universum. Du begreifst, dass ich ein ewiger Gefangener meiner Aufgabe - und damit meines Schiffes! - sein muss. Du jedoch gehst jedes mal ein Risiko ein, wenn du das Schiff verlässt. Aber macht dieses Risiko nicht erst das Leben lebenswert?«

Ich schaute ihn nur an. Er winkte mir noch einmal zu und sagte im Hinausgehen: »Nun ruhe dich noch aus, Karem... äh, ich meine doch John! Damit du fit bist für deine nächste Aufgabe. Und - glaube mir! - sie wird sicherlich nicht weniger aufregend als alle Aufgaben des echten Karem sein, die dieser zu erledigen hat. Vielleicht ist deine nächste Aufgabe sogar... noch viel, viel aufregender?«

Ich lehnte mich zurück und entspannte mich. Meine nächste Aufgabe? Im Moment interessierte mich das überhaupt nicht. Denn ich dachte an meine Rolle als Karem zurück - und an Norma. Mit den Gedanken an diese beiden schlief ich ein.

Norma, wie gern wäre ich Karem geblieben - und damit bei dir! Aber ich trage ein Schicksal, das dies völlig unmöglich macht.

Schade!

*

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»Sie sind da!«, erklärte der Sternenvogt mit einem geheimnisvollen Lächeln

Überrascht schaute ich auf. Ich saß schon seit Wochen über Folianten gebeugt, die er mir überlassen hatte. Es war ungewohnt für mich, das, was ich zu lesen hatte, in beide Hände nehmen zu können. Ich war es nur gewohnt, am Bildschirm zu lesen. Ich hatte auch den Sternenvogt gefragt, wo denn eigentlich der Sinn solcher Folianten läge.

Wieso ich nicht einfach das Leseprogramm benutzen konnte, um bequem am Bildschirm lesen zu können.

Er hatte ein abweisendes Gesicht gemacht und gesagt: »Ich bin der Sternenvogt - und du mein Diener. Also hast du zu gehorchen. Und am Ende wirst du begreifen, was es damit auf sich hat.«

Ein Symbol! Ja, das waren die Folianten. Sie erschienen alt und waren schwer. Ihre Schrift war verschnörkelt, ihr Stil schwierig. Die Autoren ergingen sich in geheimnisvollen Andeutungen, die ich erst im Laufe der Zeit deuten konnte.

Es war interessant, ja spannend, wenn man sich erst einmal an den verdrehten Stil gewöhnt hatte - und wenn man gelernt hatte, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen.

Neunzig Prozent des Gelesenen konnte ich als unwichtig abtun. Die restlichen zehn Prozent sagten mir: »Es gibt immer noch Dinge im Universum, die als unerforscht gelten dürfen. Sie bleiben Geheimnisse.«

Es gefiel mir nicht, dass etwas geheimnisvoll bleiben sollte. Es gelüstete mir danach, diese Geheimnisse zu ergründen.

Und dadurch begriff ich, was es mit den Folianten und auch mit dem Auftrag des Sternenvogts auf sich hatte: Es waren alte, magische Schriften, die mir ein Abbild des Glaubens einer längst vergessenen Zeit zeigen sollten - vermischt mit der Supertechnik der Modernen.

Dass der Sternenvogt mit der für mich ungewohnten Lesart die Bedeutung des Mystischen noch hatte unterstreichen wollen, war klar. Aber mit allem verband sich gewiss noch etwas anderes. Denn er hatte mich noch nie etwas lernen lassen, ohne damit einen praktischen Nutzen zu verfolgen.

Und jetzt diese Eröffnung.

»Wer ist - sie?«, fragte ich.

Sein geheimnisvolles Lächeln blieb. »Du hast viel gelesen, John, in den letzten Wochen. Es war eine Zeit des Lernens. Aber du weißt auch schon aus eigener Anschauung, dass dem menschlichen Geist mehr ermöglicht ist, als in seinem engen Gefängnis namens Körper zu hausen. Du hast zweimal schon die Grenze überschritten. Du warst in der PSI-Falle des Planeten der Träumer. Du warst sogar einer der Unsterblichen, als ich deinen Geist mit dem des echten Unsterblichen vertauschte. Und du kennst nun die Behauptungen in den Folianten. Du hast die Chance gehabt, alle deine Erfahrungen mit den Behauptungen zu vergleichen.

Und nun sind diejenigen gekommen, die deine Erkenntnisse zur Vollkommenheit reifen lassen sollen.

Es wird eine harte Zeit des Lernens und des Trainings vor dir liegen, John.

Du wirst Monate brauchen, viele Monate, um die Perfektion zu erreichen, die erforderlich sein wird, um die nächste große Aufgabe zu erledigen. Denn vor dir liegt die Aufgabe, den Ursprung einer PSI-Hölle ganz besonderer Art zu ergründen.«

Er trat vollends ein.

Und er machte Platz der Anordnung meiner künftigen Lehrer.

Seltsame Lehrer waren das. Aber ich wurde in den nächsten Monaten mehr als nur vertraut mit ihnen.

Sie waren so genannte PSI-Menschen und stammten vom ›Planeten der Magiere‹, wie der Sternenvogt ihn nannte. Damit hatte es etwas Besonderes auf sich, das machten die vier mir deutlich und ich sollte sogar einer von ihnen werden. Deshalb waren sie gekommen.

Ich schaffte nicht nur das: Eine aus dem Kollektiv wurde sogar meine besondere Gefährtin in ungezählten, unvergesslichen Nächten: Marena. - Einmal abgesehen von Valim und Valina, die sich das Psycho-Kollektiv nannten. Aber das ist eine eigene Geschichte, voller Erotik, die ich eigentlich nicht hier erzählen möchte...

Jedenfalls, eines Tages, nach vielen Monaten, die ich ganz intensiv gemeinsam mit den PSI-Menschen verbracht hatte, war ich nach Meinung vom Sternenvogt endlich ausreichend vorbereitet. Wir verließen ihn. Wir entfernten uns mit dem ›PSI-Schiff‹ vom Sternenvogt. Er gab uns nicht einmal gute Wünsche mit auf den Weg. Er schaute uns zum Abschied nur an wie jemanden, den man zum letzten Mal in diesem Leben sah.

Seine Informationen waren mehr als dürftig. Sie beinhalteten als zentrale Aussage besonders eines: »Du bist jetzt ein PSI-Wesen, John! Es ist erstaunlich, in welchem Maße du darin gereift bist. Du wirst dieses PSI-Wesen nicht für immer bleiben können, weil du nicht so geboren wurdest. Aber jetzt ist dein Höhepunkt. Nutze ihn. Du wirst deine neuen Fähigkeiten bitter nötig haben...«

Ich würde bald erfahren, wie er das meinte...

*

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Die erste Störung begann verhältnismäßig harmlos. Plötzlich ging ein Ruck durch das PSI-Schiff. Knistern und Knattern klangen auf, als hätte es einen bleibenden Schaden bekommen.

Was war passiert?

Ich hielt mich allein im Zentrum des PSI-Schiffes auf. Es brauchte nicht gesteuert zu werden.

Das unbegreifliche, quasi lebende Raumschiff fand seinen Weg auch allein, wenn man es einmal geschafft hatte, ihm das Ziel begreiflich zu machen.

Und das gelang nur auf PSI-Basis.

Ich schaute mich alarmiert im quasi intelligenten Steuerzentrum um. Es war ein annähernd runder, beinahe sechzig Meter durchmessender Raum. Aus der Decke des Steuerzentrums wuchsen rostbraune Gewebekuben, die untereinander mit dünnen, pflanzlichen Strängen verbunden waren und bei einem Steuerimpuls in phosphoreszierendem Licht erstrahlten. Diese Gewebekuben bildeten gewissermaßen das ›Hirn‹ des PSI-Schiffes. Die Wände des Steuerzentrums waren mit borkigen Knoten bedeckt, die sich bei Berührungen öffneten und einen angenehmen, süßlichen Duft verströmten.

Das Schiff lebte - ohne Zweifel.

Und es hatte etwas abbekommen - wie auch immer!

Aus den Gewebekuben sprühten Funken, geisterten knisternd über die Pflanzenstränge, trafen mit einem ohrenbetäubendem Knall die borkige Wand und ließen sie zucken.

Die Vibrationen, die dabei entstanden, warfen mich von der Ruheliege, auf der ich erst vor einer Minute Platz genommen hatte, um in bequemer Lage etwas über unseren gegenwärtigen Standort zu erfahren.

Behände kam ich am Boden auf - auf allen vieren. Ich sprang empor.

Das hätte ich besser gelassen, denn jetzt traf das Schiff der zweite Stoß. Die Funken, die von den Gewebekuben sprühten, vereinten sich zu einem farbenprächtigen Feuerwerk. Ich glaubte, einen entsetzten Schrei zu hören, der aus allen Richtungen kam.

Das Schiff hatte Schmerzen! Ich spürte es deutlich.

Eine strahlende Glocke entstand über meinem Kopf. Die Hitze und die Helligkeit waren unerträglich und ließen mich zusammenkauern. Die strahlende Glocke breitete sich blitzschnell aus und senkte sich dann auf mich herab.

Instinktiv versuchte ich mich mit Hilfe meiner neu erworbenen PSI-Fähigkeiten zu wehren, wie ich es ungezählte Male trainiert hatte, aber diesem Inferno war ich nicht gewachsen.

Die Wucht der energetischen Entladung traf mich und wischte mein Bewusstsein hinweg, in unbekannte, schwarze Tiefen...

*

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Als ich erwachte, fühlte ich mich wie gerädert. Ich blickte genau in das Gesicht von Marena. Es drückte Besorgnis aus. Sie hielt mich an den Schultern gepackt und starrte mich forschend an.

Ich schaute mich um und bemühte mich um ein verzerrtes Grinsen. Wir befanden uns nicht mehr in der Steuerzentrale. Marena hatte mich während meiner Bewusstlosigkeit in einen separaten Raum gebracht, in dem ich mich von dem Erlebten erholen konnte.

»Ich lebe noch«, sagte ich krächzend.

»Herrgott!«, rief Marena aus.

Diesmal gelang mir das Grinsen schon besser. Ich winkte mit beiden Händen ab.

»Nein, Marena, zuviel der Ehre!«

Sie lächelte schon wieder. Dieses Lächeln war ungewöhnlich warm, wenn man bedachte, dass Marena eine PSI-Frau war und diese galten als eiskalt, beherrscht, unmenschlich.

Es gab ein unsichtbares Band zwischen uns, das nicht mit PSI zu erklären war.

Ist es Liebe?, dachte ich und vergaß darüber das schreckliche Ereignis, das gerade erst hinter mir lag.

»Marena hat sich um mich gesorgt. Eine PSI, die sich sorgt? Sie lebt wie alle PSI-Menschen in einer anderen Sphäre des Erlebens - und des Fühlens. Und dennoch... Marena, du bist eine schöne, wenngleich sehr stille Frau. Wir sind allein!«

»Was ist passiert?«, fragte Marena in ihrer beherrschten Art.

Ich betrachtete ihre glatten, ebenmäßigen Gesichtszüge eurasischen Zuschnitts. Mir war auf einmal heiß. Diese Hitze entstand in meiner Brust, kroch tiefer, überflutete meine Lenden und trieb mir die Röte ins Gesicht.

Marena bemerkte es. Sie runzelte leicht erstaunt die Stirn.

Ich streifte ihre besorgten Hände ab. Sie verstand es falsch und wollte sich zurückziehen. Aber ich griff rechtzeitig nach und fasste sie an den Handgelenken.

Marena erwiderte meinen Blick.

»Wir sind allein!«

Und jetzt stieg auch ihr die Röte ins Gesicht. Es war eine sanfte Röte, die ihre Haut durchscheinend wirken ließ, ihre Schönheit unterstrich.

Der Ausdruck ihrer Augen veränderte sich.

Sie war eine Frau, trotz PSI, trotz der mutierten Psyche. Sie fühlte wie eine Frau, weil nicht alles Normal-Menschliche in ihr durch die Erlebniswelt des PSI getötet worden war.

Sonst hätte sie nicht diese Zuneigung zu mir spüren können.

Sie war still und zurückgezogen, meistens. Weil sie im Grunde genommen eine Außenseiterin sogar unter ihresgleichen war.

»Wir sind allein!«, dachte sie jetzt ebenfalls - und ich ›hörte‹ ihre Gedanken.

»Das Schiff ist in Gefahr!«, sagte sie lahm.

Ich nickte ihr zu. »Ich nehme an, damit sind die anderen beschäftigt?«

»Ja, aber ich...«

»Zweimal traf das Schiff ein heftiger Schlag. Ja, Marena, das ist ungewöhnlich - und geheimnisvoll. Ein gefährliches Geheimnis. Spürst du nicht, dass alles sich verändert hat? Etwas hat das PSI-Schiff mit Fremdenergie überladen. Ist es ein Angriff? Ich habe es erlebt - und überstanden.«

Während ich sprach, zog ich Marena zu mir herab. Ihr Atem beschleunigte sich deutlich.

»Das können wir nicht tun«, widersprach sie schwach. »Nicht, wenn wir in Gefahr schweben. Wir sollten zu den anderen eilen und ihnen helfen.«

»Bei was? Ich spüre, dass das Schiff sich von uns abschirmt. Wir können nicht einmal erfahren, was draußen ist - trotz aller Bemühungen. Du vergisst, dass auch ich die Aktivitäten der anderen spüre. Nein, Marena, die vermissen unsere Unterstützung nicht. Valim und Valina sind das Psycho-Kollektiv. Es ist besser, wenn ich ihre Aktivitäten nicht störe.«

Ihre Lippen berührten die meinigen. Marena widersetzte sich nicht mehr meiner sanften Gewalt.

Sie stöhnte auf, klammerte sich an mich wie eine Ertrinkende. Meine Sinne verwirrten sich. Für Sekunden, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, spürte ich mich vereint mit Marena. Es war eine seelische Übereinstimmung, die alle Bereitschaft von uns beiden weckte, uns die Kleider vom Leib schälen ließ, uns gegeneinander drängte. Ihr straffer, schlanker, starker Körper wand sich unter meinen suchenden, tastenden, liebkosenden Händen. Der Körper einer Queen, durchtrainiert, ohne ein überflüssiges Gramm Fett, aber mit den festen Rundungen an den richtigen Stellen, die meine Sinne vollends in Ekstase gerieten ließen.

Wir wälzten uns - nun auch körperlich vereint und in rhythmischen Bewegungen - auf dem Ruhelager. Wir vergaßen alle Gefahren, selbst meine wohl wichtige Mission. Wir waren ein ekstatisches Bündel, das sich zum Höhepunkt trieb. In Stöhnen und Schreien, die irgendwie qualvoll klangen und doch alles andere als das waren, entlud sich alles und brachte wieder die Wirklichkeit zu uns beiden Liebenden.

Marena zitterte wie im Fieber. Sie und ich, wir küssten uns zärtlich und irgendwie erlöst. Lange lagen wir eng aneinandergedrängt, wie zwei Kinder, die so besser das draußen tosende Gewitter überstanden. Bis der Impuls des Psycho-Kollektivs kam.

Valim und Valina wussten sofort, was geschehen war. Wollte sich Eifersucht in ihnen regen?

Nein!, konstatierte ich und empfing ihre Bitte, in das Steuerzentrum zu kommen.

Die Moral bei den PSI-Menschen folgte den natürlichen Geboten der gegenseitigen Rücksichtsnahme und der Prämisse, anderen nicht weh zu tun.

Valim und Valina wussten, was Marena mit mir verband. Obwohl auch sie mich liebten, auf ihre Art (vielleicht weil ich so eine Art Exote für sie war?), akzeptierten sie das Verhältnis. Ich brauchte mich nicht zu entscheiden. Die jeweilige Situation entschied!

Das war kein unmoralisches Bündnis, weil es keinem schadete und doch jedem ein Höchstmaß an Glück vermittelte. Abstinenz hätte eher Missstimmigkeit, Unlust und sogar gegenseitige Feindschaft erzeugt. So konnten wir ein Team bleiben - unlösbar in Liebe, Freundschaft und gegenseitiger Achtung!

Ein PSI-Team und das erstreckte sich nicht nur auf das rein geistige Bündnis.

»Was herausgefunden?«, fragte ich laut, obwohl es nicht nötig gewesen wäre, denn sie konnten an meinen Gedanken teilhaben, wenn ich es zuließ. Eine alte Gewohnheit, auch laut zu sprechen. Mehr nicht.

Marena hielt inne, meine Brusthaare zu kraulen und zärtlich an meinem Ohrläppchen zu knabbern.

»Nein!«, gab das Psycho-Kollektiv telepathisch zurück. »Das Schiff gebärdet sich eigenartig: Wie ein verwundetes Tier, das vor jedem Kontakt zurückscheut.«

»So wissen wir nicht einmal, ob wir inzwischen unser Ziel erreicht haben?«

Abermals kam das deutliche Nein. Und: »Es gibt nur eine Möglichkeit, John: Jemand muss aussteigen und persönlich nachsehen.«

»Ich also? - Gut! Ihr beide versucht es weiter auf PSI-Basis, während ich...«

»Wir werden dich mit unseren Gedanken begleiten, John, Darling, denn nur vereint können wir das PSI-Schiff dazu bewegen, Türen zu öffnen und eine Art Außenschleuse entstehen zu lassen.«

Der Kontakt erlosch. Marena und ich umarmten uns noch einmal und küssten uns. Ich flüsterte ihr zärtliche Worte ins Ohr. Marena lächelte und streichelte mir über die Haare.

Ich sprang von der Liege. Ich spürte keine Nachwirkungen mehr von dem Energieausbruch in der Steuerzentrale. Ein Beweis dafür, dass mich die neu erworbenen PSI-Fähigkeiten doch ausreichend geschützt hatten.

Marena schaute mir zu, als ich in die Kleider schlüpfte. Ich ließ ein letztes Mal meinen Blick über ihre nackte Gestalt gleiten. Dann eilte ich hinaus.

Jedenfalls war das meine Absicht. In diesem Augenblick jedoch gab es die nächsten Störungen...

*

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Das PSI-Schiff bäumte sich auf. Ich knallte gegen die borkige Wand, die deutlich machte, dass dieses Schiff wie eine Pflanze war. Vergeblich griff ich nach einem Halt. Ich schlitterte den Gang entlang und hörte hinter mir Marenas Schrei. Sie hatte selber alle Hände voll zu tun, sich nicht das Genick zu brechen.

Meine rasante Fahrt endete an einer Gangbiegung. Und hier fand ich endlich den ersehnten Halt.

Das Schiff bockte wie ein widerspenstiges Wildpferd. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Es wurde von einem unbekannten Kraftfeld attackiert.

Es setzte sich dagegen zur Wehr, allerdings nicht sehr erfolgreich.

Ich sah das gelbliche Flackern an den Wänden des Korridors vor mir und versuchte mir vorzustellen, wie die Gefahr für das Schiff und seine Besatzung aussehen mochte.

Da entstand vor meinem geistigen Auge ein orangefarbenes Ei. Es raste heran, entpuppte sich als riesengroß. In seinem Innern gab es keinen Dotter, sondern - unser Schiff! Es war eingeschlossen und wehrte sich gegen das Orangegefängnis.

Die Illusion verschwand.

War es eine Mitteilung vom Schiff gewesen?

Ich spürte den Kontakt mit dem Psycho-Kollektiv. »Hast du es ebenfalls wahrgenommen?«

Ich bestätigte auf demselben psionischen Weg.

Valim und Valina, so perfekt vereint, als wären sie nur ein einziges denkendes Wesen, gaben zurück: »Es ist sehr schwer, Kontakt mit dir zu erhalten, als wärst du sehr weit von uns entfernt. John, wir sind doch genau dem Kurs gefolgt, den uns der Sternenvogt angab, nicht wahr?«

»Ich nehme doch an. Und eigentlich müssten wir unser Ziel erreicht haben. Vielleicht spielt das Schiff deshalb verrückt? Aber was sagt eigentlich Barem dazu? Ist er nicht der Meister des PSI? Er war mein wichtigster Lehrer. Ich weiß, das Führungsprinzip liegt euch nicht, aber könnte man ihn nicht trotzdem den Führer nennen?«

»Nein. Auch wenn seine Fähigkeiten unser aller Fähigkeiten um ein Vielfaches übertreffen. Nur du bist die Ausnahme. Barem hat Kräfte in dir geweckt, die uns - unheimlich sind. Der Sternenvogt aber sagte, du seiest sein Diener und habest als solcher bereits Erfahrungen mit PSI.

Warum lässt du uns nicht an deinen geheimsten Erinnerungen teilhaben? Warum verschließt du dich vor uns? - Es ist ungewöhnlich für uns PSI-Menschen.«

»Scheinbar doch nicht, sonst würde sich Barem nicht in solchem Maße vor uns verschließen - zur Zeit. Was treibt er? Warum nimmt er nicht an unseren Gedanken teil? Ich meine, hat er einen Grund? Und warum kenne ich diesen nicht? Wenn jemand seltsam erscheint, dann bin nicht ich es, ihr Lieben, sondern... er!«

Die beiden waren nicht beleidigt ob meiner Offenheit. ich hätte ja meine Gedanken auf die Reise schicken können, um selber Kontakt mit Barem aufzunehmen, aber ich hatte frühzeitig gelernt, mich meinem wichtigsten Lehrmeister in Sachen PSI nicht aufzudrängen. Und es war ja auch nicht nötig, denn selbst wenn er sich zurückzog, riss seine geheimnisvolle Verbindung zum Kollektiv nie völlig. Nur ich war da eine Ausnahme.

Ich hatte zwar gelernt - und Kräfte in mir gefunden, die ich niemals vermutet hätte (vielleicht hatte der Sternenvogt auch daran ›gedreht‹ - wie auch immer - um mir zu ermöglichen, die bevorstehende Aufgabe zu bewältigen?)... Aber ich blieb der Exote. Ich würde nie ein richtiger PSI-Mensch werden. Weil ich nicht als solcher geboren worden war. Man hatte mich nur dazu gemacht.

Vorübergehend!, wie der Sternenvogt betont hatte.

Also war er ja doch nicht unbeteiligt daran, dass es überhaupt hatte geschehen können!

Wie auch immer: Ich konzentrierte mich wieder auf die beiden: »Ja, John, es scheint, als hätte Barem sich von uns zurückgezogen. Er befindet sich irgendwo in den Korridoren und meditiert. Es ist, als wäre er überhaupt nicht mehr an Bord. Wir sollten uns jetzt nicht um ihn kümmern, so lange wir andere Probleme haben.«

Ich wagte es, mich loszulassen, da kein weiterer Stoß erfolgte.

»Ich komme zu euch«, versprach ich. »Haltet einen Raumanzug bereit.«

Ich ging den Korridor entlang und dachte dabei an das seltsam unwirkliche Schiff. Es übermittelte nichts. Es gelang auch mir nicht, eine Information von ihm zu erhalten, so sehr ich mich auch bemühte.

Als ich mein Ziel erreichte, ließ das Schiff für mich eine Öffnung entstehen. Ich trat hindurch.

In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch hinter mir. Unwillkürlich fuhr ich herum.

Barem! Als hätte er der telepathischen Unterhaltung gelauscht.

Er war größer als alle anderen und so hager, dass es an ein Wunder grenzte, dass er nicht auf der Stelle vor Schwäche zusammenbrach. Und dennoch strahlten seine übergroßen, hohlen Augen eine geheimnisvolle Kraft aus, die alles überstieg, was sich eine Fantasie ausmalen konnte.

Ich schaute ihn an und mir war plötzlich hundertprozentig klar, dass er mich normalerweise mit einem einzigen Gedankenimpuls vernichten konnte. Normalerweise! Aber der Sternenvogt hatte mich mit Energien versorgt, die ich nur zu kontrollieren brauchte. Nein, die Kräfte in mir, das waren nicht meine eigenen. Wieso wurde mir das jetzt erst so völlig klar? Hatte der Sternenvogt selber die frühere Erkenntnis verhindert?

»Ja!«, sagten Barems Gedanken. Er hatte noch niemals den Mund geöffnet, um zu mir zu sprechen. Nicht in all den Monaten, die ich mit dem Kollektiv bereits verbracht hatte.

»Die Endphase hat bereits begonnen!«, erläuterte Barem. »Sämtliche Verbindungen zum Sternenvogt sind gerissen. Ich habe mich bemüht, aber ohne jeglichen Erfolg.

Deshalb hatte ich mich zurückgezogen. Und jetzt weiß auch ich erst, dass die Kräfte in dir eine Leihgabe vom Sternenvogt sind. Er hat Kräfte auf dich übertragen, die ihn selbst unsterblich und so mächtig machen, wie er ist - als Herrscher des Universums. Aber seine Möglichkeiten zum persönlichen Einsatz sind halt dennoch begrenzt. Deshalb benutzt er dich, seinen Diener, als sein wichtigstes Werkzeug. Du bist sein verlängerter Arm - wenn auch mit eigenem Willen und Verstand.«

»Der mich so manche Aufgabe bereits hat meistern lassen!«, sagte ich zerknirscht. »Gut, eine Leihgabe. Was soll's? Aber ich habe durch euch gelernt, sie zu beherrschen. Vor allem durch dich, Barem. - Und was willst du mir jetzt sagen? Ich meine, du hast doch was vor, sonst hättest du mich nicht aufgehalten?«

Es waren fremdartige Gedanken, die ich interpretieren musste.

In meinem Bewusstsein entstanden dabei diese Worte, die eigentlich nur den Inhalt des PSI-Impulses wiedergaben, aber nicht der Impuls selber waren - wenn Barem zu mir sprach: »Ich wollte dir nur mitteilen, dass jegliche Verbindung abgerissen ist. Vielleicht sogar überhaupt nach draußen? - Und dennoch ist die Gefahr nicht tödlich. Nicht für das Kollektiv. Der Sternenvogt hat uns das versprochen.«

»So sehr vertraust du dem Sternenvogt?«

»Wie allen Sternenvögten!«, bestätigte Barem. »Ihnen gehört das Universum nicht, das sie beherrschen - jeder in seinem Teil. Aber sie dienen ihm. So ist alles, was sie beschließen, nur zum Wohle des Universums.«

»Es ist sicher nicht der einzige Grund, dass du ihm gehorchst!«, versetzte ich zerknirscht. »Du weißt, genauso wie alle anderen PSI-Menschen, dass er sogar euch überlegen ist. Wie auch immer. Ich werde ja selber nicht aus ihm klug, obwohl ich ihm näher bin als jedes andere Wesen in diesem Universum. Schließlich bin ich sein Diener, ja sogar eine Art Stuntman von ihm. Er hat nur diese Macht auf mich übertragen, damit ich an seiner Stelle auftreten kann. Ja, ich bin jetzt wie er, mächtig, aber nur in seinem Auftrag.«

Als ich mich daraufhin abwenden wollte, erstarrte ich mitten in der Bewegung. Eine unsichtbare Kraft hatte nach mir gegriffen und lähmte mich. War das Barem?

Nein! Er war verschwunden, wie alles um mich herum. Als hätte mich die unsichtbare Kraft aus dem Schiff gerissen. Was noch um mich herum war, konnte ich nicht mehr wahrnehmen. Ich war wie blind und taub.

Ich wollte einen psionischen Hilferuf aussenden, aber der kam reflektiert zurück.

Und dann sah ich wieder. Ich war noch im Schiff. Barem musste sich irgendwo hinter mir befinden, falls er noch da war.

Die Umgebung verzerrte sich, weil das Kraftfeld nicht nur auf meinen Körper, auf meine psionischen Impulse und auf die Umgebung, sondern sogar auf das Licht wirkte, es brach und alles wie durch ein verzerrendes Prisma wirken ließ.

Ich hatte plötzlich Angst, doch nicht einmal das konnte ich ausdrücken oder sogar mitteilen.

Das Kraftfeld begann, meine Gedanken zu beherrschen und niederzudrücken. Es wollte mich töten! Schwärze entstand.

*

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In der Schwärze der Umgebung entstand ein violetter Stern. Noch fern und unerreichbar. Ich war mit der Pein beschäftigt, die meinen Geist heimsuchte und nicht mehr aus den Klauen lassen wollte. Deshalb wurde ich erst gar nicht auf den violetten Stern aufmerksam.

Dann konzentrierte ich mich darauf. Der violette Stern, ein seltsames Etwas, das ganz und gar nicht in diese Umgebung passte, näherte sich rasch. Es produzierte ein ultraviolettes Glühen, das sichtbar war, obwohl menschliche Augen es normalerweise nicht sehen konnten.

Irrtum!, korrigierte ich mich: Nicht der violette Stern produziert das Glühen, sondern ich selber.

Ein seltsames Schauspiel präsentierte sich mir, dessen Sinn mir nicht nahe kam.

Zunächst entpuppte sich der violette Stern als ein triadisches Monochord in dieser Farbstellung. Die Endlosschenkel, in sich seltsam verdreht, ein Dreieck bildend, wanden sich glitzernd, als das Monochord um die eigene Achse zu rotieren begann.

Ein zweites Monochord näherte sich ihm: Ultraviolett. Sie kreisten umeinander, vereinten sich allmählich, bildeten ein Gespinst von verdrehten Dreiecksschenkeln, die irgendwie unmöglich wirkten, überlagerten sich vollends und öffneten in ihrem Zentrum ein Tor.

Das Tor zum Diesseits.

Die Chance für mich, aus dem schwarzen Traum zu erwachen und in die Wirklichkeit zurückzukehren.

Dankbar schwamm ich darauf zu und tauchte hindurch. Vor mir stand Barem, unbeweglich. Die Farbe Violett schien aus jeder Pore seines hageren Körpers zu sickern.

Barem hatte Geistesgegenwart bewiesen und die Vereinigung unser beider Kräfte, von Barem angeregt, häufte ein PSI-Potential an, das mich jetzt in die Lage versetzte, mich von den orangefarbenen Kraftfeldern zu lösen. Ich trat aus dem direkten Einflussbereich einer schillernden Energieblase und war damit vollends befreit.

Eine Sekunde lang beschäftigte ich mich mit der Frage, ob ich Barem helfen musste. Aber das war nicht notwendig. Barem ging es gut. Er wurde von den Kraftfeldern kaum beeinträchtigt. Jedenfalls weit weniger als ich zuvor.

Ich schaute in den Raum, in dem sich Valim und Valina befanden. Ich hatte ja zu ihnen kommen wollen, als Barem mich aufgehalten - und das orangefarbene Kraftfeld mich angegriffen hatte.

Woher war es gekommen? War es die Gefahr, die dem Schiff und somit der ganzen Besatzung drohte? Was war es? Warum hatte es sich genau mich ausgesucht - um mich zu töten?

Barem hatte mir wahrscheinlich das Leben gerettet. Nicht allein die Kräfte, die der Sternenvogt mir verliehen hatte.

Ich sah Valim und Valina auf einer Ruheliege. Sie hielten sich umarmt wie ein Liebespaar, aber das war nur ein Symbol ihrer geistigen Vereinigung. Sie bildeten im Moment das Psycho-Kollektiv. Valina, die schwarzhaarige, exotische Schönheit. Valim, die wie ihre Zwillingsschwester wirkte. Aber sie waren nicht verwandt. Wenigstens nicht blutsverwandt. Nur ihre geistige Verwandtschaft war nahezu perfekt: Aus der reinen Freundschaft zu Valina hatte sich mit der Zeit das Kollektiv entwickelt. Waren sie vereint, erschienen sie wie ein einziges denkendes Wesen. Ihre ungeheuren PSI-Kräfte stiegen auf ein Vielfaches ihrer normalen Stärke.

Dennoch konnten sie sich nicht gegen die orangefarbenen Kraftfelder wehren. Ihre Liege wurde von einem deutlichen Feld umspannt. Nein, die Orange-Energien, wie ich sie nannte, wandten sich nicht allein gegen mich. Auch die anderen Besatzungsmitglieder waren betroffen...

Das orangefarbene Leuchten vereinte sich mit dem Phosphoreszieren des pflanzenähnlichen Gespinstes an der Decke. Die Gewebekuben schienen ständig Steuerimpulse zu empfangen. Waren es die vergeblichen Versuche vom Schiff, aus der energetischen Umklammerung zu entkommen?

Ich ging zu der Energieblase, die das Psycho-Kollektiv Valim/Valina fesselte.

Es war einerseits faszinierend anzusehen, auch wenn es andererseits tödlich gefährlich war. Wie eine orangefarbene Seifenblase.

Energie, die allerdings nicht zerstörte, nicht tötete, so lange sich die Eingeschlossenen dagegen erfolgreich wehrten.

Ich runzelte die Stirn.

»Falsch!«, dachte ich korrigierend: »Die jeweilige Energieblase - ja, es handelte sich um mehrere, von denen nur eine mich angegriffen hatte - ist genauso stark, wie sie sein muss, um den Angegriffenen zu fesseln. Je heftiger allerdings die Gegenwehr, desto gewaltiger ist sie. Deshalb war ja auch meine so gewaltig gewesen. Weil ich mich sofort - ganz unbewusst - mit aller Macht dagegen gewehrt hatte. Barem schien einen Teil meiner Kräfte weggesaugt zu haben, anstatt sie zu verstärken. - Und dadurch konnte ich mich befreien?«

Ja, ich sah, was sich vor mir abspielte und erhielt die Erkenntnis: »Die Stärke der Energieblasen richtet sich nach der Gegenwehr in dem Augenblick, in dem sie entsteht!«

Der Eingriff von Barem war stärker erfolgt. Nein, er hat keine Kräfte von mir abgezogen, sondern im Gegenteil meine Kräfte verstärkt. Deshalb kam ich frei. Und er selber wurde von einem Einfluss der Energieblase, die ihn heimgesucht hatte, weitgehend verschont, weil er sich sozusagen neutral verhielt. Ganz seiner Mentalität gemäß. Denn Barem war zwar mächtig, aber kein Kämpfer. Er ging jedem Konflikt lieber aus dem Weg, verkroch sich, ehe überhaupt ein Konflikt entstehen konnte.

Jetzt, da ich die Zusammenhänge aufgrund meiner PSI-Fähigkeiten so deutlich begriff, tauchte die nächste Frage auf und erlangte fundamentale Bedeutung: Wer oder was erzeugte diese Energieblasen - und WARUM? - Wirklich, um zu töten?

Es war doch eine recht aufwendige Angelegenheit. Diese Energieblasen, die nur denkende Wesen heimzusuchen schienen, befanden sich nicht ohne Grund hier. Jemand musste sie gesendet haben - ganz gezielt. Wäre es nicht logisch, wenn dieser Jemand jetzt auftauchen würde, wo er der Meinung sein musste, die Energieblasen hätten ihr Werk vollendet und die Besatzung neutralisiert, also kampfunfähig gemacht?

Ja, es wäre logisch, es sei denn... dieser Jemand hatte bemerkt, dass ich mich als einziger daraus befreit hatte.

Nein, die Energieblasen würden nicht töten. Sonst wäre das Psycho-Kollektiv nicht mehr am Leben. Und Barem auch nicht mehr.

Marena?, dachte ich erschrocken und schickte einen vorsichtigen Gedankenimpuls aus.

Auch bei ihr eine Energieblase, die meinen Gedankenimpuls nicht durchließ. Ich zog meine Gedanken schleunigst wieder zurück, um nicht auf mich aufmerksam zu machen.

Ihr würde es so ergehen wie den anderen: Sie war neutralisiert, kampfunfähig, gefesselt.

Ich konzentrierte mich auf das Schiff.

Jetzt wurde mir klar, dass das Schiff selber in ähnlicher Weise von einer Energieblase heimgesucht wurde. Sie war entsprechend groß. Ich hatte sie ja bereits vor meinem geistigen Auge gesehen. Als wären die kleinen Energieblasen im Innern so eine Art Ableger.

Ich wandte mich von der Steuerzentrale und dem Kollektiv ab. Ich wollte die Steuerzentrale verlassen, aber dazu musste ich an meiner eigenen Energieblase vorbei, der ich ja entronnen war. Sie war noch da. Ich sah sie vor mir und sie versperrte mir den Weg. Der Spalt, den sie seitlich ließ, war zu schmal.

Ich wagte es dennoch, mich an ihr vorbeizudrücken. Die Berührung mit der Energieblase war unvermeidbar.

Aber nichts geschah!

War die Energieblase jetzt nicht mehr wirksam? Genügte es, wenn man sich einmal von ihr befreit hatte?

Ich konnte nicht widerstehen. Ich musste das Experiment wagen - trotz aller Gefährlichkeit. Weil mir zuviel Erkenntnis noch fehlte. Ich wollte einfach mehr wissen und das konnte ich nicht, wenn ich vor der Gefahr floh, sondern nur, indem ich mich der Gefahr stellte.

Ich hob die Arme und drückte sie langsam in die Blase hinein. Ich fand Halt an der Gangwand und stieß mich daran ab um in die Blase hineinzutauchen. Ja, ein besonderes Wagnis, aber die anderen zeigten mir ja, dass es nicht tödlich war, dieses Risiko einzugehen.

Aber wenn sie mich nun ebenfalls neutralisierte? Was war dadurch gewonnen?

Und die Unterstützung durch Barem war mir nicht mehr sicher. Der hatte zuviel mit sich selbst zu tun, um einen erneuten Rettungsversuch starten zu können. Es schien sogar, als hätte er das Bewusstsein verloren - wie alle.

Wie Valim und Valina und wahrscheinlich auch Marena.

Ich empfand die Außenhaut der Energieblase wie eine zähe Zellmembran, die sich nur widerwillig öffnete, um mich hineinzulassen. Das Innere selbst schien aus zähem Sirup zu bestehen. Es stellte mir sofort die Luft ab. Hier gab es nichts zu atmen. Aber ich registrierte erstaunt, dass ich das hier nicht mehr brauchte: zu atmen!

Als ich unbewusst nach Luft schnappte, floss die orangefarbene Energie in meinen Hals und erfüllte im Nu meine Lunge. Mehr noch geschah: Die Energie begann, meinen Körper zu durchdringen.

In mir entstand Panik und wollte mich zur Flucht veranlassen, aber noch immer siegte meine Neugierde. Es war sicher eine äußerst gefährliche Neugierde, denn ich hatte ja die Hilflosigkeit meiner Gefährten gesehen und konnte eigentlich froh sein, dass ich selber nicht so hilflos sein musste: NOCH nicht!

Aber die Energie der Blase schadete mir jetzt nicht mehr. Sie wollte mich nicht mehr unterdrücken, lähmen und willenlos machen. Sie erfüllte mich mit ungeahnter Kraft, die jede Faser meines Daseins durchdrang und mir ein wunderbares Gefühl vermittelte: Das Gefühl der Unbezwingbarkeit.

Ein besonderer Rausch begann. Ich bildete mir ein, fliegen zu können. Schwerelosigkeit beherrschte ich ebenso wie Unverwundbarkeit. Die Kräfte des Universums waren mir erschlossen. Es gab nichts mehr, was ich nicht überwinden konnte.

Ein Drogenrausch, gefährlicher noch als die Willenlosigkeit, aus der mich Barem befreit hatte.

Ich kämpfte unbewusst dagegen an, obwohl dieses Gefühl süß und verführerisch war. Es kostete mich unendlich viel Wille, mein Ich, mein gesundes Denken zu behaupten.

Und es gelang mir sogar, weil das Gefühl herrlicher war als die sich anbahnende, unglückselige Sucht nach einem Traum: Ich lernte, die Orangeenergie zu beherrschen, sie mir nutzbar zu machen, sie zu verarbeiten - wie meine Zellen sonst Säfte, chemische Verbindungen, Proteine und Vitamine verarbeiteten, um zu leben.

Ich hätte jubeln können. Das Gefühl der Überlegenheit war zwar nicht mehr da, aber das Bewusstsein einer besonderen Tatsache: Ich würde innerhalb dieser Energieblase niemals mehr hungrig, durstig oder gar müde werden.

Ich würde ewig gesund bleiben. Meine Zellen würden sich durch die Orangeenergie stetig erneuern und regenerieren. Ich brauchte nicht zu essen und nicht zu trinken. Ich konnte das Zellwachstum sogar teilweise steuern, weil diese Orangeenergie in ihrer Besonderheit eins werden konnte mit dem Willen meines Geistes.

Niemals hätte ich so etwas für möglich gehalten. Welche Rasse hatte solches vollbracht und konnte so großzügige Geschenke machen?

Geschenke?

An diesem Punkt der Überlegungen stoppte ich. Ich geriet wieder in Panik und bemühte mich, die Energieblase wieder zu verlassen.

Sie hatte etwas dagegen, aber als ich meine Bemühungen verstärkte, ließ sie mich entschlüpfen.

Kaum war ich draußen, als ein grausamer Schmerz durch meine Eingeweide drang, wie flüssiges Feuer durch meine Adern rann, meine Nervenzellen scheinbar glühen ließ und mich in ein wimmerndes und schreiendes Bündel verwandelte, das von Qualen gepeitscht auf dem Boden der Steuerzentrale sich hin und her warf.

Es dauerte nicht einmal eine Sekunde, aber diese eine Sekunde wurde zur längsten meines ganzen Lebens.

Und ich überstand es, ohne Schaden zu nehmen. Mein Körper beruhigte sich. Ich schielte zu der Energieblase hinüber und dachte: »Es war wie Entzugserscheinungen. Die Orangeenergie macht süchtig. Schon nach kurzer Zeit entsteht eine unheilvolle Abhängigkeit. Wenn man sich gegen die seelische Abhängigkeit vielleicht auch wehren kann, so wird dennoch eine körperliche Abhängigkeit daraus.«

Ich stand vorsichtig vom Boden auf und kontrollierte meine Glieder. Es war alles wie vorher. Nur musste ich zugeben, dass ich mich im Innern der Energieblase wesentlich besser gefühlt hatte.

Es war mir in diesem Augenblick klar, dass ich wieder in die Blase zurückkehren würde. Dies hatte verschiedene Gründe. Einer davon war, dass ich nur so meine Gefährten befreien konnte.

»Es gibt verschiedene Stufen der Anpassung«, sagte ich mir. »Die Energieblasen wurden von einer fremden Rasse entwickelt. Ich weiß nichts über diese Rasse, absolut gar nichts.

Natürlich musste ich annehmen, dass es sich um einen Angriff handelt, aber es scheint tatsächlich ein Geschenk zu sein. Aber wieso merken die Fremden nicht, dass sie mit ihrem Geschenk dem Schiff empfindlich schaden und auch seiner Besatzung? Warum ziehen sie ihre Orangeenergie nicht schleunigst wieder zurück?«

Ich verließ diesen Fragenkomplex, der nur dann Antworten finden konnte, wenn ich in direkte Kommunikation mit dieser Fremdrasse trat.

Ich dachte weiter: »Die scheinbare Gefährlichkeit, diese Lähmung des Willens und so, ist eine Folge der Fremdartigkeit. Die Energieblasen haben ein Grundprogramm, das ihnen erlaubt, sich bis zu einem gewissen Grad anzupassen - allerdings nur an Mitglieder der Rasse, die solche Energieblasen herstellen konnte.«

Für Menschen, für Barem und selbst für das Schiff... erschien das zwangsläufig ganz anders.

Nachdem ich mich jedoch beim ersten Mal daraus befreien konnte, drang ich beim zweiten Mal freiwillig in die Energieblase ein. Inzwischen war ich gewissermaßen daran gewöhnt.

Das brachte mich zwangsläufig zu der Überlegung, meine Gefährten zu befreien, sie aufzuklären und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, ebenfalls die Orangeenergie zu beherrschen.

Deshalb drang ich wieder in die Blase ein, obwohl ich verständliche Angst vor den Entzugserscheinungen hatte, falls ich danach die Blase wieder verließ. Es war mir klar, dass diese Schmerzen eine Folge der neuerlichen körperlichen Umstellung sein würden. Wenn man sich umgekehrt an die Orangeenergie anpasste, geschah dies wesentlich angenehmer.

Ich überwand den neuerlichen Rausch leichter als beim ersten Mal.

»Ja, es verläuft stufenförmig. Die unterste Stufe ist totale Unterlegenheit. Die Orangeenergie überschüttet einen mit ihrer Hilfe und unterdrückt alle Eigeninitiativen.

Die nächste Stufe - ist die seelische Abhängigkeit, der Rausch.

Die dritte Stufe ist die Beherrschbarkeit dieser Energie.

Dann gibt es noch eine vierte Stufe, in der die Beherrschbarkeit eine gewisse Vollkommenheit erreicht.«

Ein Gedanke, der mich in besonderem Maße faszinierte und mich sogar die Absicht vergessen ließ, meinen Gefährten zu helfen.

Ich wollte wissen, ob diese Beherrschbarkeit soweit gehen konnte, dass ich mit der Orangeenergie eine erneute Unabhängigkeit meines Körpers erreichen konnte. Dann würden diese schlimmen ›Entzugserscheinungen‹ diesmal ausbleiben.

Ich konzentrierte mich auf das Problem und spürte die pulsierende Energie in jeder Faser meiner Zellen.

Eine Veränderung trat ein.

Die Orangeenergie ließ sich hundertprozentig beherrschen und ich hatte es gewissermaßen in Rekordzeit gelernt - durch die belebende und fördernde Wirkung der Energie selbst!

Als ich diesmal die Blase verließ, bereitete mir das weder Mühe, noch Schmerzen. Ich sog tief die Luft der Steuerzentrale in meine Lunge, füllte sie bis zum Bersten und dachte: Es ist eine feine Sache, mit dieser Orangeenergie wie mit Lebenselixier zu operieren. Aber es ist auch eine feine Sache, von solchem unabhängig zu sein, gut zu essen und zu trinken, zu lieben - kurz: zu leben wie ein normaler Mensch!

Lächelnd stieg ich in die Orangeblase. Ich lächelte, weil ich wusste, dass ich niemals in suchtähnliche Abhängigkeit geraten würde. Ich schätzte beide Möglichkeiten und nahm das Geschenk der Energieblase dankbar an.

»Ich bin gespannt auf die Rasse, die solche Blasen bastelt. Welche Überraschungen haben die noch auf Lager?

Melden sie sich deshalb nicht, weil sie erst einmal abwarten wollen, wie wir mit ihrem Geschenk zurechtkommen?«

Es war reine Spekulation, die mir nichts einbrachte. Das PSI-Schiff kämpfte noch immer und es tat mir dessentwegen leid. Dabei wäre es so einfach gewesen. Es hätte die Orangeenergie nur zu akzeptieren brauchen. Sobald es sich nicht mehr dagegen zur Wehr gesetzt hätte, wäre dieselbe belebende Wirkung eingetreten.

Diese Energieart barg keine Gefahren, wenn man sie einmal zu beherrschen verstand.

Ich wandte mich zunächst an Barem. Er stand am nächsten. Ich konzentrierte meine Gedanken auf den Gefährten. Sofort entstand ein eigenartiges Glühen in seinen weit geöffneten Augen. Es war von orangener Farbe.

Ich tauchte in einen scheinbar erloschenen Geist. Es gab keinen Funken Willen mehr. Die Hilfestellung, die Barem mir geboten hatte, war ausschlaggebend gewesen für die orangefarbene Energie, Barem vollends zu unterdrücken. Als wäre er tot!

Aber nein, er konnte nicht tot sein, sonst hätte ich nicht in seinen erloschenen Geist eindringen können. Körper und Geist von Barem wurden vollkommen von der Orangeenergie durchdrungen. Doch hier wirkte sie nicht belebend. Sie war keine Lebensenergie, sondern sie paralysierte so lange, bis sie sich aufgebraucht hatte. Aber wie lange würde das dauern?

Ich war hilflos. Ich wusste nicht, was ich tun konnte, um Barem zu retten. Ich projizierte ein ultraviolettes Monochord als ein Erkennungszeichen und ließ das Monochord auf Barem wirken.

Etwas rührte sich in ihm. Die Orangeenergie war mit mir und unterband meine Bemühungen in keiner Weise. Ganz im Gegenteil: Meine PSI-Kräfte wirkten ausgeprägter denn je. Ich hatte das Gefühl, als könnte ich mit diesen Kräften die Welt aus den Angeln heben.

»Vorsicht!«, ermahnte ich mich. »Du darfst dich nicht selbst überschätzen - und musst erkennen, dass du sogar schon Schwierigkeiten hast, deinen Gefährten zu helfen.

Von wegen eine Welt aus den Angeln heben...«

Solchermaßen ernüchtert arbeitete ich weiter. Ich spürte den Funken auf, mit dem Barem auf das Monochord reagierte.

Doch es genügte nicht. Ich hatte den falschen Weg beschritten. Ich ließ das triadische Monochord, das in reinstem Ultraviolett leuchtete, erlöschen und sann nach einer anderen Möglichkeit.

Meine Möglichkeiten waren in der Tat anders geworden: Wenn ich mich mit Barem beschäftigte, bediente ich mich seines völlig willenlosen Geistes. Unter diesen Umständen konnte Barem niemals erwachen, weil ich ihn selber unterdrückte. Ich musste seine Energieblase aktivieren - in einer Art und Weise, dass sie meine Bemühungen unterstützte, wieder seinen eigenen Geist zu aktivieren.

Ich versuchte es sofort, betrachtete Barem, wie er regungslos inmitten der Orangeblase stand, kam ein wenig näher, bis meine Blase mit der von Barem verschmolz und rief nach Barem.

Es war ein PSI-Ruf, der nicht in den Geist von Barem drang, sondern lediglich seine Aufmerksamkeit erregen wollte.

Barem erwachte.

»Es klappt!«, jubelte ich.

Barem erkannte mich, als seinen Gefährten, erkannte jedoch auch die Orangeenergie - und wollte sich prompt dagegen zur Wehr setzen. Damit würde der Teufelskreis erneut beginnen.

Mit sanfter Gewalt unterband ich es. Ich lähmte Barems Widerstand und ließ eine Erklärung hinübersickern. Es waren reine Gedanken, die mühelos, weil durch die Orangeenergie verstärkt, entstanden und genauso mühelos von Barem verstanden werden konnten: »Wenn es dir gelingt, diese seltsame Energieart zu beherrschen, wirst du feststellen, wie nützlich sie sein kann. Ich weiß nicht, wer dafür verantwortlich ist, aber die Orangeenergie ist eine besondere Erfindung. Dahinter muss eine äußerst hoch stehende Rasse stehen.«

»Vielleicht ist sie trotzdem gefährlich?«, vermutete Barem. »Vielleicht stört sie sogar die universelle Ordnung? Vergiss nicht, weshalb du hier bist! Nannte der Sternenvogt es nicht die... PSI-Hölle?«

»Aber nein, Barem, mein Freund. Wie hätte er sie kennen sollen? Sie stört vielleicht diesen Teil des Universums, weil sie mächtig ist. Aber lerne sie kennen - und begreife, dass sie keine Hölle ist.«

»Und warum lernt der PSI-Raumer es nicht? Warum setzten wir uns unbewusst dagegen zu Wehr?«

»Sie ist fremdartig, zugegeben, aber sie wurde auch von einer fremdartigen Rasse erzeugt.«

»Du bist optimistisch, John. Diesen Optimismus kann ich nicht teilen. Vielleicht ist es mentalitätsbedingt? Wie es schon in der Quelle des Großen Wissens steht: Erhältst du ein Geschenk, grübele stets nach dem Sinn - und weise das Geschenk zurück, wenn es Misstrauen in dir erzeugt.«

»Eine andere Mentalität? Ja, Barem, die hast du, im Vergleich mit mir. Aber wir sollten das Geschenk trotzdem vorläufig annehmen.«

Eine Entgegnung unterblieb diesmal. Ich zog mich ein wenig zurück und blieb auf Warteposition.

Es dauerte nicht lange, bis Barem sich wieder meldete.

»Die Quelle sagt auch: Akzeptiere das Geschenk, wenn du es nicht zurückweisen kannst und es dir nutzt - denn es verpflichtet dich zu nichts!«

Ich vernahm es wie gesprochene Worte - und konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. »Ich lobe die Quelle des Großen Wissens, Barem. Solche Weisheiten könnten auch auf der Erde entstanden sein - wobei ich uns irdische Menschen keineswegs überschätzen möchte, sondern lediglich andeuten will, dass die Weisheiten der Quelle auch uns nützen könnten.«

Solches musste Barem fast zwangsläufig mit Stolz erfüllen, aber dem liebenswerten Geschöpf aus dem Volk der PSI-Menschen war nichts dergleichen anzumerken.

Gemeinsam wandten wir uns an das Psycho-Kollektiv.

»Viel Zeit ist vergangen«, dachte ich. »Ich wollte das Schiff verlassen, um zu sehen, wie es draußen aussieht. - Inzwischen habe ich große Erwartungen, was das betrifft.«

Ich fragte Barem: »Kommst du auch allein zurecht? Ich meine, kannst du auch ohne meine Hilfe die Gefährten aus ihrer Betäubung wecken und sie lehren, mit der Orangeenergie umzugehen?«

Ich übermittelte Barem kurz das Stück Erinnerung, das sich mit dem Phänomen der Orangeenergie beschäftigte. Dadurch erfuhr Barem auch, wie man ohne Schwierigkeiten eine solche Energieblase verlassen konnte.

Ich hätte mich liebend gern selber um die beiden Frauen gekümmert - und natürlich auch um Marena, aber ich war jetzt so begierig, die Geheimnisse, die augenscheinlich außerhalb lauerten, zu entschlüsseln, dass ich einfach nicht mehr warten konnte...

––––––––

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Ende dieses Bandes