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​Ein Kampf um Galaxis Nyroo

von Alfred Bekker

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In der Galaxis Nyroo tobt ein grausamer Kampf zwischen den letzten Nugrou und den Qalaak.

Martin Takener und die Crew des Fernraumschiffs NOVA GALACTICA versuchen zusammen mit der Flotte der 31 Raumschiffe das Yope-System zu retten, in dem sich Nugrou und Qalaak erbitterte Kämpfe liefern. Die Nugrou versuchen ihre Gegner mit Sporen zu töten, während die Qalaak Giftgas zum Einsatz bringen. Inmitten dieser Auseinandersetzung entwickelt die KI der NOVA GALACTICA ein Eigenleben

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Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© by Author /COVER WOLFGANG SIGL

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekkerde

postmaster@alfredbekkerde

1

Martin Takener saß im Pilotensitz der NOVA GALACTICA. Er stand immer noch unter dem Eindruck der Neuigkeiten, die Losig ihm soeben übermittelt hatte. Die Qalaak haben mit dem Völkermord an den letzten Nugrou begonnen, ging es Takener durch den Kopf. Vielleicht ist es schon zu spät, wenn wir Yope erreichen.

Auf der Holo-Projektion in der Mitte der Zentrale waren andere Schiffe der sogenannten Flotte der 31 zu sehen. Losigs YOPE und Josephs WHEELAN fielen Takener besonders auf. Am weitesten entfernt war die BONDAVA unter Kommandant Charlie Pandajana. Im Hintergrund leuchtete die Sonne des untergegangenen Planeten Nutshell.

„Das gesamte System ist jetzt dabei zu kollabieren“, meldete Leutnant Tino Arrazolan, der Chef der Ortung. „Wir müssen hier schleunigst weg, sonst bekommen wir Probleme allererster Ordnung!“

„Dazu werden wir es nicht kommen lassen“, sagte Takener und stellte eine Verbindung zur Funk-Z her.

„Hier Leutnant Sirrom“, meldete sich der Erste Funkoffizier der NOVA GALACTICA.

„Schalten Sie eine Phase frei, die mich mit allen Einheiten verbindet.“

„Phase ist freigeschaltet. Sie können sprechen.“

Takeners Gesicht wirkte angespannt. „Hier Takener an alle. Wir werden das System umgehend verlassen und einen Raumsprung von drei Lichtjahren durchführen. Der Treffpunkt liegt im freien Raum. Die Koordinaten werden übermittelt. Danach entscheiden wir, wie es weitergeht.“

Von allen 30 Schiffen erhielt Takener ein einfaches Bestätigungssignal.

Lediglich Losig meldete sich von seiner YOPE aus zu Wort.

„Ich bin dafür, dass wir umgehend nach Yope fliegen“, sagte der Nugrou. „Vielleicht gelingt es uns, das Schlimmste zu verhindern!“

„Natürlich“, stimmte Takener zu. „Aber ich möchte erst Kontakt mit Terra Nuova aufgenommen haben. Eventuell können wir Unterstützung bekommen.“

„Die Zeit drängt, Martin.“

„Trotzdem sollten wir überlegt handeln. Niemandem nützt es, wenn wir blindlings in unseren Untergang transistieren.“

Takener unterbrach die Verbindung.

„Alles klar zur Transition“, erklärte Hen Coolidge. Der Erste Offizier der NOVA GALACTICA blickte angestrengt auf die Anzeigen seiner Konsole.

„Sind die Koordinaten des Zielpunktes übermittelt?“, erkundigte sich Takener bei Glenn Sirrom in der Funk-Z.

„Daten übermittelt“, bestätigte der Erste Funker.

„Dann nichts wie los“, murmelte Takener.

Er war mit dem Schiff über die Gedankensteuerung verbunden.

Die NOVA GALACTICA beschleunigte.

Wenig später trat das Raumschiff in den Hyperraum ein. Ohne messbaren Zeitverlust tauchte es an dem zuvor bestimmten Ort wieder in das Normaluniversum.

Zielkoordinaten erreicht, meldete ihm der KI-Master.

Die anderen Schiffe der 31er-Flotte folgten.

Mit geringfügiger Verzögerung von zumeist kaum mehr als ein paar Sekunden tauchten sämtliche Einheiten auf der Holo-Projektion auf. Innerhalb dieser Zeit verschwand auch das flaue Gefühl in der Magengegend, das Takener als Folge eines Transitionssprungs nur allzu bekannt war.

Er wandte sich erneut an Glenn Sirrom in der Funk-Z.

„Stellen Sie mir eine Überlicht-Richtfunkverbindung nach Terra Nuova her“, forderte er.

„Sofort.“

Einen Augenblick später war die Verbindung hergestellt. Auf einem Nebenbildschirm erschien das Gesicht von Admiral Uriens.

Ein angestrengtes Lächeln umspielte die Lippen des neu-römischen Befehlshabers.

„Es freut mich, von Ihnen zu hören, Takener“, sagte er.

„Die Freude ist ganz meinerseits“, gab Takener zurück. Er gab einen knappen Bericht über die Ereignisse, die zum Untergang von Nutshell geführt hatten und kam anschließend auf die Situation auf Yope zu sprechen. „Wir müssen damit rechnen, dass sich starke Qalaak-Verbände im Yope-System befinden. Es wäre gut, wenn wir Unterstützung hätten, um die letzten Nugrou vor dem Untergang zu bewahren.“

„Sie wissen, wie sehr wir Neu-Römer von Terra Nuova die Nugrou verehren. Schließlich verdanken wir ihnen viel. Aber im Moment, fürchte ich, ist eine Abordnung von Flotteneinheiten nicht möglich.“

„Nicht wenigstens ein paar kampfstarke Einheiten? Schließlich läuft doch die Produktion der neuen Orbis-Raumer auf Hochtouren.“

„Das ist wahr“, bestätigte der neu-römische Admiral, der in seiner schneeweißen Toga wie ein lebendiger Anachronismus wirkte. „Die Lage lässt es einfach nicht zu. Ich will Ihnen das näher erläutern. Unsere Flotte ist in Abwehrkämpfe mit zahlenmäßig weit überlegenen Qalaak-Verbänden verwickelt worden. Ich mache mir keine übertriebenen Sorgen. Schließlich wird Terra Nuova durch die Materiewolke Sadrag vor den Invasoren wirksam geschützt. Aber zur Zeit können wir andererseits diese Wolke auch unmöglich verlassen, ohne sofort angegriffen zu werden. Und die Qalaak sind hartnäckige Kämpfer ... Doch wem sage ich das, Takener.“

Takener atmete tief durch.

Er wechselte einen kurzen Blick mit Don Ryder und Hen Coolidge.

Slimane, der römische Verbindungsoffizier an Bord der NOVA GALACTICA war ebenfalls in der Zentrale anwesend.

Der Neu-Römer schaltete sich jetzt in das Gespräch ein.

Auch er trug eine schneeweiße Toga, an deren Spange sich ein Kommunikator befand. In der Hand hielt er ein Datenmodul für seine persönlichen Aufzeichnungen. All das hatte Takener immer wie eine Mixtur aus verschiedenen Zeitaltern gewirkt. Und in gewisser Weise war es das auch, hatten doch die Nachkommen der seinerzeit von Nugrou nach Terra Nuova entführten 48. Legion des Römischen Imperiums in ihrer Kultur viele Elemente der Antike bewahrt, die auf der Erde längst verloren gegangen waren.

„Verbindungsoffizier Slimane hier“, sagte der Römer. „Ich bitte Sie zu bedenken, in welch ernster Lage sich die Nugrou auf Yope befinden müssen. Unsere Kräfte sind für ein Eingreifen vollkommen unzureichend.“

„Es tut mir leid. Aber uns geht es im Moment nicht besser als Ihrem Flottenverband. Bedenken Sie die Ausdehnung der Wolke Sadrag! Sie hat einen mittleren Durchmesser von über 370 Lichtjahren! Die Raumschlacht, die hier im Gang ist, hat selbst für unsere Verhältnisse gigantische Ausmaße. Wir brauchen zur Zeit jede Einheit, um die Qalaak abwehren und zurückschlagen zu können. Sobald es möglich ist, Einheiten zu entbehren, werden wir Ihnen Hilfe senden.“

Takener nickte niedergeschlagen.

„An dieser Lage lässt sich im Moment wohl nichts ändern“, gestand er zu.

„Es tut mir leid“, betonte Admiral Uriens noch einmal. Der Befehlshaber der neu-römischen Flotte wandte sich nun noch einmal ausdrücklich an den Commander. „Takener, Sie wissen, was es bedeuten würde, wenn Terra Nuova tatsächlich in ernsthafte Schwierigkeiten geraten würde. Sadrag ist die letzte Bastion in der Galaxis Nyroo, die die Qalaak nicht einnehmen konnten.“

„Ja, ich weiß“, sagte Takener.

Sie verabschiedeten sich. Die Verbindung wurde unterbrochen.

„Und was jetzt?“, fragte Don Ryder an Takener gewandt.

Takener zuckte die Achseln.

Der Terraner erhob sich aus dem Pilotensitz.

„Ich denke, wir können unmöglich tatenlos zusehen, wie die Nugrou von den Qalaak abgeschlachtet werden“, sagte er.

„Also fliegen wir nach Yope“, schloss Don Ryder.

Takener nickte. „Ja, aber nicht blindlings. Wir werden uns vorsichtig nähern und die Lage peilen.“

„Einverstanden“, sagte Ryder. „Vor allem auch im Hinblick darauf, dass Losig möglicherweise ganz eigene Interessen verfolgt.“

„Du meinst, dass seine Angaben falsch sind?“

„Ich meine damit, dass es nicht das erste Mal wäre, dass er nicht ganz mit offenen Karten spielt und nicht nur eigenmächtig handelt, sondern auch versucht, unsere Entscheidungen in eine Richtung zu manipulieren, die ihm und seiner Sache nützt.“

Takener wusste, dass sein alter Freund und Weggefährte Ryder die Wahrheit sagte. Zwar war Takener weit davon entfernt, Losig zu misstrauen, aber gesunde Skepsis war im Hinblick auf den Nugrou-Rebellen durchaus angebracht. Das hatte die Vergangenheit mehr als deutlich gezeigt.

Takener rief die Funk-Z.

Sirrom meldete sich.

„Stellen Sie Kontakt zu den anderen Schiffen her. Ich brauche eine Konferenzschaltung aller Kommandanten.“

„In Ordnung, Sir! Ist schon so gut wie erledigt.“

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2

Über die weitere Vorgehensweise war man sich schnell einig. Insbesondere Losig begrüßte es, dass der Weg der 31er-Flotte zum Heimatplaneten der Nugrou führen sollte.

Er konnte kaum erwarten, endlich nach Yope zurückzukehren.

In mehreren Transitionen näherte sich die Flotte der 31 dem Yope-System. Schließlich transistierte sie in einen Raumsektor, der nur wenige Lichtjahre von Yope entfernt war.

Alle Einheiten hatten den vollen Tarnschutz aktiviert.

Die Abtaster der NOVA GALACTICA und der anderen zum Verband gehörenden Schiffe arbeiteten auf Hochtouren.

Tino Arrazolan meldete sich. „Es zeigen sich starke energetische Aktivitäten rund um Yope. Außerdem konnten wir Transitionen von Raumschiffen anmessen. Ich würde sagen, da findet ein heftiges Gefecht statt, an dem mindestens hundert Einheiten beteiligt sein müssen.“

Slimane hob die Augenbrauen. „Wer kämpft da gegen wen?“ fragte er.

Neu-römische Verbände – soviel stand fest – konnten es jedenfalls nicht sein.

„Wir gehen näher heran“, bestimmte Takener.

Er übernahm jetzt die Position des Piloten Hen Coolidge, der sie auf dem bisherigen Flug innegehabt hatte. Mit aktiviertem Sternenstrom näherten sich die Raumschiffe der 31er-Flotte. Das Hyperraumfeld der NOVA GALACTICA war eingeschaltet.

Die Ortungssensoren lieferten Sekunde für Sekunde neuere Daten. Arrazolan aktivierte eine Projektion, die die Erkenntnisse veranschaulichte. Die Positionen der einzelnen Raumschiffe waren zu sehen.

„Zwei Flotten von Orbis-Raumern scheinen sich da gegenüberzustehen“, erklärte Arrazolan. „Eine Gruppe von fünfzig Raumschiffen kämpft gegen eine Flotte von etwa hundertfünfzig Einheiten.“

Don Ryder betrachtete nachdenklich die Projektion.

„Die kleinere Gruppe scheint den Planeten gegen die größere verteidigen zu wollen“, stellte er fest.

„Sie haben kaum eine Chance“, mischte sich Slimane ein. „Die Übermacht ist zu groß.“

Die Schlacht schien mit äußerster Verbissenheit geführt zu werden. Shake-4 und Spicastrahlen wurden ebenso eingesetzt wie der Defender. Die Anzeige der Holo-Projektion zoomte an das Geschehen heran. Ein greller Lichtpunkt blitzte auf. Es hatte eines der Verteidiger-Schiffe erwischt. Es war nach intensivem Beschuss explodiert. Ein Blick auf die Anzeigen verriet, dass Trümmerteile durch das All geschleudert wurden.

Wer kämpft da gegen wen?, fragte sich Martin Takener.

Beide Gruppen verfügten jedenfalls über Orbis-Raumer.

Tino Arrazolan lieferte wenig später ein weiteres interessantes Detail.

„Sir, die Verteidiger-Schiffe senden nicht das vorgeschriebene ID-Signal der Qalaak aus“, erklärte er.

Takener atmete schwer.

„Dann sind sie entweder Narren oder ...“

„Rebellen“, vollendete Don Ryder den Satz seines alten Freundes.

Die Übermacht der Angreifer war erdrückend.

Zwar schafften es die Verteidiger, ihnen immer wieder Verluste zuzufügen. Aber es war nur eine Frage der Zeit, wann die Waffen gestreckt werden mussten. Lange kann es nicht mehr dauern, überlegte Takener. Der Vormarsch der Angreifer ist kaum aufzuhalten.

Der KI-Master, mit dem Takener zur Zeit über die Gedankensteuerung verbunden war, bestätigte die taktische Analyse des Commanders der Planeten,.

Sämtliche Schiffe befanden sich im Vollbetriebsmodus. Die Verteidiger kämpften mit dem Mut der Verzweiflung. Aber immer wieder wurden Schiffe aus ihren Reihen zerstört. Jeder Verlust zählte für die zahlenmäßig weit Unterlegenen natürlich doppelt und dreifach.

„Was jetzt?“, fragte Ryder. „Greifen wir auf Seiten der Verteidiger ein, ohne zu wissen, um wen es sich da in Wahrheit handelt?“

„Ich möchte eine Verbindung zu Losigs YOPE“, erklärte Takener und wandte sich damit an Glenn Sirrom von der Funk-Z.

„Einen Augenblick“, sagte Sirrom.

Der Augenblick verstrich, aber die Phase wurde nicht freigeschaltet.

„Was ist los?“, fragte Takener.

„Die YOPE hat einen offenen Kanal geöffnet und versucht Kontakt mit den kämpfenden Raumern aufzunehmen.“

„Was?“, entfuhr es Takener.

Innerlich verwünschte er den Nugrou.

Die Tarnung der Flotte war damit hinfällig. Eine Botschaft in einem offenen Kanal! Fällt dir wirklich nichts Besseres ein, Losig?, überlegte der Commander.

„Was habe ich dir gesagt, Martin“, knurrte Ryder. „Der Kerl neigt zu Eigenmächtigkeiten!“

Zähneknirschend musste Takener ihm Recht geben.

Andererseits hatte Losigs Handlungsweise immer einen rational nachvollziehbaren Grund gehabt, auch wenn Takener nicht die Vorgehensweisen des Nugrou-Rebellen gutheißen mochte. Aber der lange Kampf gegen die Herrschaft der Qalaak hatte Losig offenbar mit einer nicht zu unterschätzenden Portion Hass geimpft. Hass, der sich ab und zu einfach Bahn brechen musste.

Darüber hinaus waren natürlich hin und wieder auch schlichte Interessengegensätze zwischen dem Nugrou-Rebellen und den Terranern zu Tage getreten. Im Großen und Ganzen waren diese Interessen zwar deckungsgleich, aber es gab auch Unterschiede.

„Was glaubst du, das er vorhat?“, fragte Don Ryder an Takener gewandt.

Der Commander zuckte die Achseln.

„Hören wir es uns einfach mal an. Schließlich sendet Losig ja über eine offen zugängliche Phase.“

„Hier spricht Losig, der Kommandant der YOPE. Wir orten Orbis-Raumer ohne die vorgeschriebene Qalaak-Identifizierung und erbitten Kontakt“, meldete sich die Stimme des Gestaltwandlers.

Die Antwort erfolgte prompt.

Für Martin Takener und alle anderen Anwesenden in der Zentrale der NOVA GALACTICA war sie eine Überraschung.

„Hier spricht Kulam, Oberkommandierender der Verteidiger von Yope ...“

Ein guter alter Bekannter also!, ging es Takener durch den Kopf. Er hatte Kulam bei ihrem letzten Aufenthalt auf Yope kennengelernt, als er mit Losig unterwegs gewesen war, um die Lage auf dem Planeten zu erkunden. Kulam war einer der Köpfe des Widerstandes, den die Nugrou seit Langem auf kleiner Flamme gegen die verhassten Invasoren organisierten. Martin Takener erinnerte sich noch gut an die Versammlung der Widerständler, die er gemeinsam mit Losig besucht hatte und auf der die Gestaltwandler ihre verzweifelte Lage geschildert hatten.

Takener hatte auch damals schon gespürt, dass der Nugrou jemand mit weitreichenden Verbindungen war. Zumindest für die Verhältnisse eines eigentlich Unterprivilegierten und so gut wie rechtlosen Nugrou. Dass er jedoch zusammen mit seiner spärlichen Schar Widerstandskämpfer offenbar in der Lage war, immerhin gut fünfzig Orbis-Raumer aufzubieten, erstaunte den Terraner.

Damit hatte er nicht gerechnet.

Offenbar war der Widerstand weitaus besser organisiert als erwartet.

„Losig! Wir brauchen dringend Hilfe“, erklärte Kulam. „Du siehst ja, wie es um uns steht! Früher oder später wird uns die überlegene Flottenstärke unserer Feinde erdrücken. Außerdem sind die Nugrou auf der Oberfläche in einer verzweifelten Lage. Die Qalaak haben damit begonnen, sie systematisch umzubringen, und wir besitzen nicht genügend Kräfte, um dagegen etwas ausrichten zu können.“

„Ich habe nicht vor, euch im Stich zu lassen“, kündigte Losig an.

Martin Takener erinnerte sich an die Gespräche, die er damals mit Kulam geführt hatte. Der Widerstandskämpfer hatte immer wieder versucht, Takener davon zu überzeugen, dass die Terraner unbedingt gemeinsam mit den Neu-Römern und den Widerstandskämpfern gegen die Qalaak vorgehen sollten. Schließlich stellten die Qalaak nach Kulams Darstellung eine Gefahr für das gesamte bewohnte Universum dar.

Damals hatte Takener noch gezögert, sich in die inneren Angelegenheit der Galaxis Nyroo einzumischen, auch wenn sowohl Nugrou als auch Neu-Römer seine volle Sympathie genossen.

Inzwischen war genau jenes Szenario Wirklichkeit geworden, das Kulam – und auch Losig! – von Anfang an angestrebt hatte.

Tino Arrazolan meldete sich. „Unsere Ortung zeigt an, dass sich zehn Raumjäger von der YOPE gelöst haben.“

„Losig verliert keine Sekunde“, stellte Ryder fest. „Offenbar hat er wirklich vor, gegen die Qalaak zu kämpfen.“

„Die Raumjäger fliegen automatisch. Es befindet sich niemand an Bord“, ergänzte Arrazolan seine Angaben.

Auch auf der Holo-Projektion waren jetzt Veränderungen erkennbar.

Die YOPE und Losigs restliche Flotte von zehn Orbis-Raumern, lösten sich aus der Formation der 31er-Flotte. Für Martin Takener war sofort klar, dass sie in Kampfformation gegangen waren und nun offenbar zum Angriff übergingen.

„Losigs Orbis-Raumer befinden sich im Vollbetriebsmodus. Hyperraumfelder sind aktiviert“, meldete Arrazolan. „Die Energiesignaturen lassen eine Aktivierung der Waffensysteme vermuten.“

Takener nickte düster.

„So etwas hatte ich mir schon gedacht“, murmelte er.

Leon Riber, der Zweite Offizier der NOVA GALACTICA, meldete sich zu Wort. „Jemand aktiviert einen der Transmitter ... Hier auf der Brücke der NOVA GALACTICA!“, stieß er hervor.

Alle Blicke waren auf den Transmitter gerichtet. Augenblicke später erschien Losig.

Er hatte seine menschliche Ronald-Smith-Gestalt angenommen.

Takener erhob sich aus dem Pilotensitz.

Er trat Losig entgegen.

„Ich habe das Kommando über meine zehn Schiffe an Livius Primus übergeben“, sagte Losig, so als ob dies seine Vorgehensweise erklären konnte.

„Was soll diese Eigenmächtigkeit?“, fragte Takener aufgebracht.

„Primus ist ein fähiger Mann! Einer der talentiertesten Neu-Römer, die ich kennengelernt habe! Ich weiß nicht, was du dagegen einzuwenden hast.“

„Ich habe etwas gegen Alleingänge einzuwenden, Losig. Ich dachte, wir wären Verbündete. Das setzt allerdings gegenseitige Offenheit und die Einhaltung von Absprachen voraus.“

Das Ronald-Smith-Gesicht des Gestaltwandlers wirkte genervt. In seinen langen Jahren auf der Erde hatte er sich die menschliche Mimik perfekt zu Eigen gemacht.

„Jetzt ist keine Zeit mehr für Spielchen“, erklärte er. „Es geht um das nackte Überleben der Nugrou.“ Er deutete auf die Holo-Projektion, die unter anderem den Planeten Yope zeigte. „Dort unten, auf der Oberfläche unserer Heimatwelt, findet eine grässliche Massenschlächterei statt. Unser Volk ist dabei nichts weiter als Schlachtvieh, das dahingemetzelt wird. Die Nugrou haben keine Chance, und ich werde nicht zögern, alles zu tun, um die Pläne der Qalaak-Bestien zu durchkreuzen!“ Losig atmete tief durch. Das Ronald-Smith-Gesicht war rot angelaufen. Im nächsten Moment zerfloss es. Losig verwandelte sich und nahm seine eigentliche Gestalt an. Er wurde zu einer riesenhaften, ca. sechzig Kilogramm schweren Amöbe.

Selten zuvor hatte Martin Takener den Nugrou derart emotional erlebt.

Angesichts der Situation, in der sich sein Volk befand, war das jedoch nur allzu verständlich.

Es war bekannt, dass ein Nugrou bei starker emotionaler Belastung die Kontrolle über seine körperliche Gestalt verlieren und in die amöbenhafte Ursprungsform zurückfallen konnte. Aber Martin Takener glaubte Losig inzwischen gut genug zu kennen, um eine andere Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Wahrscheinlich will er uns seine Gefühle nicht in dieser offenen Weise zeigen, überlegte der Commander. Zweifellos waren für menschliche Beobachter Losigs Emotionen sehr viel leichter einzuschätzen, wenn er seine Ronald-Smith-Gestalt angenommen hatte.

„Was ist?“, fragte der Nugrou schließlich, während auf der Holo-Projektion erkennbar war, dass sich Losigs zehn Schiffe inzwischen ins Kampfgetümmel geworfen hatten. Energieblitze zuckten. Einer der Qalaak-Raumer explodierte unter intensivem Beschuss. Eine Kombination aus Shake-4 und Spicastrahlen zerstörte das Schiff der käferartigen Herren von Nyroo.

„Wollen wir abseits bleiben? Die Qalaak werden keinen Unterschied zwischen meinen Schiffen und der NOVA GALACTICA machen“, gab Losig seiner Überzeugung Ausdruck.

Martin Takener wusste, dass ihm gar keine Alternative blieb.

Natürlich musste den Nugrou geholfen werden.

Was ihn ärgerte war die Tatsache, dass Losig diese Entscheidung mehr oder minder erzwungen hatte.

Takener setzte sich wieder in den Pilotensitz. Er stellte eine Verbindung der Funk-Z her. Sirrom meldete sich.

„Sir?“

„Schalten Sie eine Phase frei, die mich mit sämtlichen Einheiten unserer Flotte verbindet.“

„Schon geschehen“, sagte Sirrom einen Augenblick später.

Takener wandte sich an die Kommandanten der anderen Schiffe.

„Wir nehmen Angriffsformation ein und unterstützen die Nugrou-Rebellen“, bestimmte er. „Hoffen wir, dass das Morden bald ein Ende hat.“

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3

Die Raumschlacht war im vollen Gang. Shake-4 und Spicastrahlen waren die bevorzugten Waffen der Qalaak-Raumer, die mit eingeschaltetem Hyperraumfeld flogen. Durch das silbergraue, fluoreszierende Strahlenfeld, das durch Shake-4 erzeugt wurde, konnten die Hyperraumschirme der Nugrou-Verteidiger aufgeweicht werden. Ein nachträglicher Beschuss mit einem Shake-2-Strahlengemisch und gezielten Spicastrahlen führte häufig zum Erfolg.

Martin Takener und die anderen Anwesenden im Leitstand der NOVA GALACTICA konnten beobachteten, wie innerhalb weniger Sekunden gleich mehrere Orbis-Raumer der Nugrou-Verteidiger sich in Fusionsblitze verwandelten. Mit greller Lichterscheinung barsten sie auseinander. Sofern überhaupt Trümmerteile zurückblieben, wurden sie weit auseinander geschleudert. Manche von ihnen glühten kurz auf wie Sternschnuppen.

Ungefähr 80 Schiffe zählten die Verteidiger zusammen mit Takeners Flotte sowie Losigs Schiffen. 80 Schiffe gegen 150 Qalaak-Raumer.

Takeners Schiffe hatten dabei ebenso wie Losigs Einheiten den neu eingebauten Kompaktfeldschirm aktiviert. Die auf Terra Nuova installierten Destroyerkanonen kamen nun zum Einsatz.

Takener gab den Befehl, den Verband weiter auseinanderzuziehen, um die Trefferwahrscheinlichkeit zu verringern.

Die NOVA GALACTICA feuerte eine erste Salve mit ihren Destroyerkanonen ab. Für die anderen Raumer war dies das Signal, ebenfalls das Feuer zu eröffnen.

Die ersten Treffer wurden gelandet. Mehrere Qalaak-Raumer explodierten. Es gab keine Überlebenden. Mühelos durchschlugen die Schüsse mit der Destroyerkanone die Schutzschirme der Feind-Einheiten. Projektile aus Fotirit zwischen einem und fünf Zentimetern im Durchmesser wurden von den Terranern eingesetzt. In einem Gravitationsbeschleuniger wurde der Masse dieser Projektile die Trägheit geraubt. Sobald dieses Projektil aus dem Beschleunigungsfeld heraustrat, gewann diese Masse ihre Trägheit zurück. Die Geschwindigkeit wurde dabei beibehalten. Auf diese Weise wurden die mit der Destroyerkanone verschossenen Fotirit-Projektile zu einer Waffe, die jegliche bekannten Schutzschirme durchschlagen konnte.

Die Orbis-Raumer der Qalaak bekamen das jetzt grausam zu spüren.

Mehrere ihrer Raumer zerbarsten unter dem Beschuss der 31er-Flotte. Losigs Schiffe bildeten dabei die Vorhut. Livius Primus führte sie mitten in die Formation der Qalaak hinein und trieb einen regelrechten Keil in die Masse der angreifenden Orbis-Raumer.

Allerdings blieb deren zahlenmäßige Überlegenheit immer noch erdrückend.

Die Angriffswelle der Insektoiden konnte durch die Unterstützung, die Takeners Flotte den Nugrou bot, nicht wirklich gebrochen werden.

Die anfangs recht hohen Verluste, die die Qalaak zu beklagen hatten, schienen ihr Flottenkommando in keiner Weise zu beeindrucken.

Eine Erschütterung durchlief die NOVA GALACTICA.

Mehrere der Qalaak-Raumer griffen das Schiff an.

Sie schienen erkannt zu haben, dass sich hier die Befehlszentrale befand.

Leon Riber, der zweite Offizier meldete sich zu Wort. „Die Angreifer versuchen, uns mit Defender-Feldern den Garaus zu machen.“

„Schadensbericht“, forderte Martin Takener.

„Nur geringfügige Schwächung des Schutzschirms.“

„Das heißt, dass die neuen Schwerkraftgeneratoren, die uns die Neu-Römer installiert haben, halten, was versprochen wurde“, sagte Don Ryder.

Auch andernorts versuchten die Qalaak ihre bislang wirkungsvollste Waffe einzusetzen. Aber die Defender-Attacken der Insektoiden zeigten nur geringfügige Wirkungen, während auf der anderen Seite der Beschuss mit den Destroyerkanonen immer dann zum Erfolg führte, wenn das Feuer konzentriert und stark genug war, um den Schutzschild des Gegners zu knacken.

Immer wieder waren derartige Szenen auf der Holo-Projektion zu verfolgen.

Die Defender-Angriffe der Qalaak verebbten.

Die Insektoiden merkten schnell, dass diese Waffe offenbar nur gegen die ursprünglichen Verteidiger wirksam war, nicht aber gegen jene neu hinzugekommene Unterstützerflotte, deren Herkunft die Qalaak zunächst rätselhaft erscheinen musste.

Die Qalaak-Raumer konzentrierten sich auf den Einsatz von Shake-2 und Shake-4 sowie gezieltem Spicastrahlen-Beschuss, während Defender-Felder nur gegen Kulams Schiffe eingesetzt wurden. Jedoch geschah auch das nur relativ selten.

Takener ahnte, woran das lag.

Es war der chronische Fotirit-Mangel in Nyroo, der die Qalaak zum sparsamen Einsatz dieser sehr energieaufwendigen Waffe zwang.

Immer wieder wurden Schiffe auf Kulams Verteidiger-Flotte in Defender-Felder gehüllt, die sie in den Hyperraum rissen, wo sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden.

„Wir müssen unsere größeren Energiereserven ausnutzen“, sagte Losig an Takener gewandt. „Ziehen wir unsere Formation weiter auseinander. Jedes unserer Schiffe ist aufgrund seiner besseren Ausstattung mit Fotirit in der Lage, einen größeren Raumsektor für die Angreifer zu blockieren.“

Takener hatte diesen Gedanken auch schon gehabt.

Es war ein gewisses Risiko bei dieser taktischen Vorgehensweise. Wenn es irgendwo einen Durchbruch gab, waren die Folgen verheerend. Andererseits war es wohl nur so möglich, die größere Zahl der angreifenden Raumschiffe auszugleichen.

Der Faktor, der für den Ausgleich sorgte, war neben den Destroyerkanonen die größere Beweglichkeit.

Takener gab entsprechende Befehle an die anderen Einheiten weiter, deren Formation sich daraufhin weiter auseinanderzog.

Auf der großen Holo-Projektion in der Zentrale der NOVA GALACTICA war der Verlauf der Schlacht gut zu verfolgen. Hen Coolidge, der die Position des Copiloten eingenommen hatte, aktivierte eine Projektion, die eine schematische Darstellung des Geschehens zeigte. Deutlich erkennbar war der Planet Yope, seine blau schimmernde Sonne Urfo sowie die sich immer mehr auseinanderziehende Formation der Verteidiger. Die Schiffe bewegten sich durch den Sternenstrom-Antrieb und waren auf diese Weise in der Lage, sehr schnell zu manövrieren. Wo immer sich in einem Sektor eine zahlenmäßige Überlegenheit der Qalaak-Schiffe einzustellen drohte, musste rasch Unterstützung erfolgen.

Die NOVA GALACTICA kämpfte dabei in vorderster Front.

Bei den Einheiten, die am nächsten zu Martin Takeners Schiff positioniert waren, handelte sich um die CALAIS unter dem Kommando von John Martell und die BONDAVA, die von Captain Charlie Pandajana befehligt wurde.

Ein paar Qalaak-Raumer wagten einen Vorstoß.

Sie näherten sich rasch.

„Feindeinheiten beschießen uns mit einer Kombination aus Shake-2 und Shake-4“, meldete Tino Arrazolan. Leichte Erschütterungen gingen durch die NOVA GALACTICA. Offenbar hatten die Angreifer Treffer gelandet.

„Stärke des Kompaktfeldschirms ist nur leicht reduziert“, sagte Leon Riber. „Könnte bei weiterem Beschuss aber weiter absinken.“

Martin Takener flog ein Ausweichmanöver, so dass der Großteil des feindlichen Beschusses zunächst einmal ins Leere ging.

Ein paar interplanetare Gesteinsbrocken und kleinere Asteroiden gerieten in die Shake-Strahlenfelder und glühten auf.

Die CALAIS unter Kommandant John Martell kam der NOVA GALACTICA zu Hilfe und nahm die herannahenden Orbis-Raumer Qalaak unter Feuer. Dasselbe galt für Charlie Pandajanas BONDAVA, die sich von der anderen Seite näherte.

Einer der Qalaak-Raumer verlor an Fahrt, begann ins Trudeln zu geraten, nachdem er mehrere Treffer durch die Destroyerkanonen der BONDAVA erhalten hatte.

Das Hyperraumfeld des Qalaak-Raumers brach zusammen.

Offenbar hatten Captain Pandajanas Waffenoffiziere den Feldgenerator für das Hyperraumfeld getroffen.

Konzentrierter Beschuss mit Spicastrahlen und Destroyerprojektilen von der CALAIS aus ließen den Qalaak-Raumer wenig später explodieren.

Trümmerteile wurden durch das All geschleudert.

Auf der Holo-Projektion in der NOVA GALACTICA-Zentrale wirkten sie wie Glühwürmchen.

Die anderen Qalaak-Raumer versuchten währenddessen durchzubrechen. Sie nahmen die NOVA GALACTICA erneut unter Dauerfeuer.

„KFS auf unter siebzig Prozent“, meldete Leon Riber.

„Es müsste doch möglich sein, den Kompaktfeldschirm neu zu konfigurieren und dadurch zu stabilisieren“, mischte sich Losig ein. Die Ungeduld war dem Nugrou deutlich anzumerken.

„Bin schon dabei“, erklärte Leon Riber. Der Sibirier behielt die Ruhe.

Am Liebsten würde Losig jetzt wohl selbst das Kommando führen, überlegte Martin Takener.

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4

Die Destroyerkanonen der NOVA GALACTICA feuerten auf einige Qalaak-Einheiten, die durchzubrechen drohten. Der erste Qalaak-Raumer zerplatzte, der zweite trudelte nach kurzem, intensivem Beschuss manövrierunfähig durch das All. Aber Qalaak-Raumer Nummer drei und vier kamen durch.

Der Raumsektor, den jedes einzelne Verteidiger-Schiff – und damit auch die NOVA GALACTICA – zu kontrollieren hatte, war bei einem massierten Angriff einer zahlenmäßig überlegenen Gruppe von Raumern einfach zu groß.

„Wir wenden“, erklärte Martin Takener.

Die NOVA GALACTICA flog einen Halbkreis und setzte den beiden Qalaak-Raumern nach.

Diese feuerten sofort in Richtung des Verfolgers.

Eine Mischung aus Shake- und Spicastrahlen traf die NOVA GALACTICA. Aber der KFS konnte den Großteil der Wirkung absorbieren.

„Die Schiffe werden Yope erreichen!“, rief Losig.

„Sie driften auseinander, um nicht so leicht getroffen werden zu können“, stellte Tino Arrazolan fest.

„Beide Schiffe gleichzeitig anvisieren“, befahl Takener. Er stellte eine Verbindung zur Waffensteuerung her.

Takener gab den Befehl, dass die Waffensteuerung West unter Bud Clifton sowie die Waffensteuerung Ost unter Jean Rochard jeweils einen der Qalaak-Raumer anvisierten.

Es blieben nur wenige Augenblicke Zeit, um die Qalaak-Raumer auszuschalten, denn danach waren sie zu weit auseinandergedriftet, als dass die NOVA GALACTICA sie noch beide gleichzeitig hätte bekämpfen können.

Das Dauerfeuer der Destroyerkanonen zeigte Wirkung.

Mehrere Treffer durchdrangen zunächst den Hyperraumschirm des nach links ausbrechenden Raumers. Nahezu ungehindert drangen die nächsten Treffer durch die Außenhülle. Das Hyperraumfeld brach zusammen. Bislang hatte es den Orbis-Raumer in einer Art eigenem Kontinuum gehalten, aus dem er nun herausfiel. Das Schiff bremste zunächst stark ab. Explosionen brachen von innen durch die Außenhülle, sprengten ganze Teile davon heraus. Offenbar waren einige der mit den Destroyerkanonen der NOVA GALACTICA verschossenen Projektile in die Triebwerkssektion eingedrungen und hatte dort für den Ausbruch einer Kernreaktion gesorgt.

Augenblicke lang schwebte der Qalaak-Raumer im Raum, während sich die Explosionen von Deck zu Deck weiterfraßen und immer größere Stücke aus der Außenhülle weggesprengt wurden.

Sie hätten Zeit genug, zumindest einen Teil der Mannschaft mit Beibooten zu retten, ging es Martin Takener durch den Kopf. Aber sie tun es nicht.

Der Grund dafür lag auf der Hand.

Der Einzelne galt nichts in der Kultur der Qalaak. Ihre Vermehrungsrate war so enorm, dass auch größte Verluste relativ schnell wieder ausgeglichen werden konnten. Ihrer eigenen Existenz als Individuum maßen die käferartigen Herren der Galaxis Nyroo nicht viel Bedeutung zu. Jeder von ihnen schien sich als ein kleines Teil in einem gewaltigen Räderwerk zu empfinden, nicht als einzigartiges Wesen.

Doch dann lösten sich mehrere Beiboote von dem Qalaak-Raumer. Sie schossen auf die NOVA GALACTICA zu, die inzwischen den Kurs geändert hatte, um dem zweiten Qalaak-Raumer zu folgen, der Yope zu erreichen drohte.

„Seit wann denken die Qalaak an ihr persönliches Überleben?“, fragte Losig skeptisch, während er den Kurs der Beiboote auf der Holo-Projektion verfolgte.

„Sie sind auf Kollisionskurs“, erklärte Tino Arrazolan. „Ihre Hyperraumfelder sind eingeschaltet.“

„Ich bin schon auf einem Ausweichkurs“, stellte Takener klar.

„Was haben die vor?“, fragte Ryder.

„Die Beiboote sind unbemannt“, erklärte Arrazolan.

„Kein Zweifel?“, fragte Takener.

„Nein.“

„Dann sind sie offenbar darauf programmiert, uns zu folgen. Sie machen jede Ausweichbewegung mit.“

„Sie beabsichtigen, uns zu rammen“, erkannte Losig plötzlich. „Wenn sie mit eingeschaltetem Hyperraumfeld in die NOVA GALACTICA hineinfliegen und es dann deaktiviert wird ...“ Der Nugrou sprach nicht weiter.

Jeder konnte sich die Katastrophe ausmalen.

Die NOVA GALACTICA feuerte. Ein Beiboot nach dem anderen wurde getroffen. Eine Kombination von Shake-2 und Shake-4 sorgten dafür, dass die Hyperraumfelder aufgeweicht wurden, ehe präziser Beschuss durch die der Waffensteuerung West unter Jean Rochard unterstehenden Spicastrahler die Beiboote eines nach dem anderen vernichteten.

Nur zwei von ihnen kamen durch.

Einem wich Martin Takener durch ein Ausweichmanöver im letzten Augenblick aus. Das Beiboot schoss dicht an der NOVA GALACTICA vorbei, schrammte sogar durch die Energiehülle des Kompaktfeldschirms. Dadurch entstand eine elektromagnetische Entladung, die sich in einer grellen Lichterscheinung zeigte. Der Bordrechner des Beiboots war aufgrund der freigewordenen elektromagnetischen Abstrahlungen wohl unfreiwillig einer Art Formatierungsprozess unterworfen worden. Ziel- und steuerlos trudelte das Beiboot durch das All. Die Programmierung funktionierte ganz offensichtlich nicht mehr.

Aber das zweite Beiboot hatte seinen Kurs geändert und schoss erneut auf die NOVA GALACTICA zu.

„Kollision in zehn Sekunden“, meldete Arrazolan. „Ausweichkurs nicht mehr möglich.“

Bud Clifton, Kommandant der Waffensteuerung West an Bord des Orbis-Raumers meldete sich auf der Brücke bei Takener. Sein gerötetes Gesicht erschien auf einem Nebenbildschirm. „Dauerbeschuss durch Shake-2 und Shake-4 wird das Hyperraumfeld des Beibootes nicht schnell genug aufweichen!“

Takener atmete schwer.

Für einen Beschuss mit den Destroyerkanonen war das Beiboot zu nahe herangekommen. Die Gefahr, dass die NOVA GALACTICA durch eine Detonation in Mitleidenschaft gezogen wurde, war beträchtlich. Daher blieb nur noch eine Möglichkeit.

„Hyperraumfeld deaktivieren. Nottransition!“, sagte Martin Takener klar und deutlich, ohne irgendeinen Anflug von Panik.

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5

Die NOVA GALACTICA verschwand im Hyperraum und führte einen Raumsprung von etwa einem halben Lichtjahr durch, während das Beiboot ins Leere stieß und direkt in das Feuer der herbeigeeilten BONDAVA unter Captain Charlie Pandajana geriet. Das Hyperraumfeld des Beibootes war innerhalb kurzer Zeit so aufgeweicht, dass die Spicastrahlen ungehindert ihr Ziel erreichen konnten.

Der Qalaak-Raumer wurde vernichtet.

Nur glühende Trümmerteile blieben von ihm.

Die NOVA GALACTICA war inzwischen an einen Punkt weit außerhalb der rund um Yope tobenden Raumschlacht gesprungen. Schließlich war eine Transition nur bei deaktiviertem Hyperraumschirm möglich, und so stand Martin Takeners Flaggschiff relativ ungeschützt da.

Im Sternenstrom, der einen Überlichtflug bei aktiviertem Hyperraumschirm erlaubte, kehrte die NOVA GALACTICA zum Schlachtgeschehen zurück.

„Das war ganz schön knapp“, meinte Don Ryder.

„Aber eine taktisch meisterhafte Reaktion“, lobte Losig.

Takener lächelte matt.

„Ein Lob aus deinem Mund weiß ich wohl zu schätzen“, sagte er.

Auf der Holo-Projektion war unterdessen eine Explosion zu sehen. Eines der nugrouischen Verteidiger-Schiffe war vernichtet worden. Zwei Qalaak-Raumern gelang dadurch der Durchbruch durch die weit auseinandergezogenen Reihen der Rebellen. In enger Formation schnellten die Qalaak-Schiffe auf Yope zu.

Das, was die NOVA GALACTICA unter größtem Risiko verhindert hatte, war den Angreifern nun an anderer Stelle gelungen.

Eines der Verteidiger-Schiffe brach im selben Moment aus der Abwehrformation aus und jagte mit eingeschaltetem Sternenstrom-Antrieb und Hyperraumfeld auf die beiden Angreifer zu, um ihnen den Weg abzuschneiden.

Tino Arrazolan zoomte das Geschehen auf der Holo-Projektion näher heran.

„Sind die wahnsinnig?“, murmelte Martin Takener.

„Es sind Qalaak“, erwiderte Losig voller Geringschätzung.

„Ich spreche nicht von den Qalaak, sondern von den Nugrou, die sich auf Kollisionskurs befinden.“

Tino Arrazolan meldete sich zu Wort. „Die Abtaster liefern ein paar Besonderheiten, was das Hyperraumfeld des Rebellenschiffs angeht“, sagte er. „Scheint so, als hätten sie das Feld auf eine ganz spezielle Weise moduliert, um ...“

Arrazolan brach ab.

Die Angreifer hatten bereits die äußerste Schicht der Atmosphäre von Yope gestreift, als das Nugrou-Schiff ihren Weg kreuzte.

Es kam zur Kollision.

Das Nugrou-Schiff rammte zuerst einen, Sekunden später auch den zweiten Qalaak-Raumer. Die Hyperraumfelder aller drei Schiffe reagierten zuerst mit einer grellen, blitzartigen Leuchterscheinung, bevor es zu einer gewaltigen Detonation kam. Ein Feuerball verschlang alle drei Raumer. Große Trümmerteile stürzten glühend in die Atmosphäre.

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6

„Die Ortung zeigt einige schwere Einschläge von Trümmerteilen auf der Planetenoberfläche an“, berichtete Tino Arrazolan etwas später.

„Sind besiedelte Gebiete betroffen?“, fragte Losig.

„Ja“, bestätige Arrazolan. „Die Trümmerteile haben große Verwüstungen angerichtet. Mehrere Wohnpyramiden sind vollkommen zerstört worden. Ich messe außerdem hohe Werte an harten Gamma-Strahlen.“

„Schlimmer, als das Schicksal, dass die Qalaak diesen Nugrou zugedachten, ist das, was sie jetzt erleiden, auch nicht“, meinte Losig düster.

Er hatte inzwischen wieder seine Ronald-Smith-Gestalt angenommen. An einer der im Leitstand befindlichen Konsolen verfolgte der Nugrou-Rebell den Verlauf der Schlacht.

Die NOVA GALACTICA war im Moment aus der Schusslinie.

Aber das würde sich ändern, sobald der Orbis-Raumer sich dem Kampfgeschehen wieder genähert hatte.

Martin Takener bemerkte zunächst eher beiläufig, dass drei Nugrou-Schiffe von einer Qalaak-Übermacht aus dem Verband der Verteidiger herausgedrängt worden waren. Die Qalaak hatten die Abgedrängten eingekreist. Sie nahmen die Nugrou-Schiffe unter intensiven Beschuss.

Losig hatte diese, ganz am Rand der Schlacht stattfindende Entwicklung ebenfalls bemerkt.

Niemand sprach es aus, aber die Nugrou-Schiffe standen kurz vor der Vernichtung. Sie verfügten weder über KFS noch über Destroyerkanonen, um sich zu wehren. Die sie umgebenden Hyperraumfelder sanken innerhalb kurzer Zeit auf weniger als 50 % ihrer eigentlichen Feldstärke, und es gelang den Angreifern immer öfter, mit konzentrierten Spicastrahlen empfindliche Treffer zu landen.

Einige der in der Nähe befindlichen Nugrou-Schiffe eilten zu Hilfe. Eine unkoordinierte Aktion, die mehr Schaden anzurichten drohte, als dass sie den Bedrängten half. Die Gefahr eines Durchbruchs der Angreifer auf breiter Front rückte in bedrohliche Nähe. Schon bekam einer der zu Hilfe geeilten Nugrou-Raumer ein paar empfindliche Treffer, nachdem die von den Qalaak angewandte Kombination aus Shake-2 und Shake-4 für eine erhebliche Schwächung des Hyperraumfeldes gesorgt hatte.

Offenbar fehlte den Nugrou einfach die taktisch-militärische Erfahrung.

Ein Umstand, der sie blindlings in ihr Verderben fliegen ließ.

Schon nutzten mehrere Qalaak-Schiffe die Situation aus und versuchten, einen Keil in die ausgedünnte Formation der Verteidiger zu schlagen.

Ein dumpfes, vibrierendes Summen erfüllte auf einmal die NOVA GALACTICA. Der Orbis-Raumer beschleunigte.

Don Ryder und Losig sahen Martin Takener fragend an.

„Der KI-Master hat die Kontrolle über das Schiff übernommen“, stellte Takener fest.

Über die Gedankenkontrolle versuchte er, die künstliche Schiffsintelligenz zu einer Stellungnahme zu bewegen. Vergeblich. Der KI-Master handelte einfach. Er ließ die NOVA GALACTICA in den Krisensektor fliegen. Gleichzeitig bewegten sich auch acht weitere Nugrou-Orbis-Raumer. Die Art und Weise, in der sie sich formierten, war bemerkenswert koordiniert.

„Ist es möglich, dass der KI-Master auch die Kontrolle über einige Einheiten der Verteidiger-Flotte übernommen hat?“, wunderte sich Hen Coolidge.

Der erste Offizier der NOVA GALACTICA blickte ebenso erstaunt auf seine Konsole wie alle anderen Offiziere im Leitstand des Orbis-Raumers.

„Immerhin versteht der KI-Master offenbar weitaus mehr von koordinierter militärischer Vorgehensweise, als die Nugrou-Rebellen“, stellte Leon Riber fest, der die Arme verschränkte und ebenso untätig wie die anderen Offiziere zusehen musste, was geschah. Sie starrten allesamt auf die Holo-Projektion oder verfolgten, was sich auf den Anzeigen der Terminals so tat.

Die acht Orbis-Raumer, die ebenfalls unter Kontrolle des KI-Masters zu stehen schienen, griffen die Qalaak-Verbände, die die drei Nugrou-Schiffe abgedrängt hatten, mit konzentriertem Feuer an.

Dabei blieben die Nugrou-Schiffe in ständiger Bewegung. Offenbar sollten sie kein leicht erfassbares Ziel bieten.

Sie flogen eine komplizierte Wechselformation, bei der allerdings immer sichergestellt war, dass die Qalaak von verschiedenen Seiten beschossen werden konnten.

Einige der Qalaak-Schiffe zogen sich zurück, nachdem ihre Hyperraumfelder bereits deutlich geschwächt worden waren.

Dann traf die NOVA GALACTICA am Ort des Geschehens ein.

Die Mannschaften in den Gefechtsleitständen hatten jetzt ebenso wenig zu tun wie die Offiziere in der Zentrale. Sie konnten nur zusehen, wie die Waffen, die sonst von ihnen bedient wurden, jetzt unter der Regie des nach wie vor mysteriösen Bordrechners agierten.

Es ist nicht das erste Mal, dass der KI-Master eigenmächtig handelt, rief Martin Takener sich in Erinnerung.

Die Tatsache, dass die Terraner letztlich nicht die volle Herrschaft über das Schiff hatte, beunruhigte ihn. Wer oder was hatte den KI-Master dazu veranlasst einzugreifen? Lief hier irgendein jahrtausendealtes Programm ab, das möglicherweise von Margun und Sola, den legendären Erbauern der NOVA GALACTICA eingespeist worden war?

Ein heftiges Gefecht tobte.

Die Rebellenschiffe verzichteten so gut wie völlig auf den Einsatz von Spicastrahlen. Sie konzentrierten ihre gesamte Energie darauf, mit Hilfe der Shake-Waffen die Hyperraumschirme der Gegner zu schwächen.

Als die NOVA GALACTICA sich noch etwas weiter genähert hatte, stoben die Unterstützer-Einheiten blitzartig auseinander.

Unmittelbar danach begann die NOVA GALACTICA aus vollen Rohren zu schießen. Die Destroyerkanonen kamen unablässig zum Einsatz. Eine regelrechte Salve nach der anderen wurde in Richtung der Qalaak-Schiffe gefeuert, ohne, dass auch nur ein Befehl dazu gegeben worden wäre oder die Mannschaften der Waffenleitstände unter Bud Clifton und Jean Rochard auch nur einen Finger krumm gemacht hätten. Das erste Qalaak-Schiff explodierte unter dem gezielten Dauerfeuer der Destroyerkanonen. Lebenswichtige Sektoren des Schiffes waren getroffen worden. Mehrere kleinere Explosionen waren dem großen Knall vorausgegangen.

Als wenig später das zweite Qalaak-Schiff in einer Feuerkugel verging, begannen die in der Nähe befindlichen Qalaak-Einheiten, sich zurückzuziehen. Sie begriffen, dass sie es mit einem koordiniert handelnden, ihnen waffentechnisch überlegenen Gegner zu tun hatten. Mehrere Treffer aus Spicastrahlen-Beschuss trafen die NOVA GALACTICA, wurden aber vom KFS absorbiert.

Die Qalaak zogen sich einige hunderttausend Kilometer zurück, um sich erneut formieren zu können. Die von ihrem Verband abgetrennten Rebellenschiffe waren aus ihrer tödlichen Umklammerung befreit worden und konnten wieder frei und unbedrängt manövrieren.

Der KI-Master wandte sich auf Gedankenbasis an Martin Takener.

Das Schiff steht dir wieder zur Verfügung, teilte der Bordrechner der NOVA GALACTICA mit. Hen Coolidges Hände glitten ebenso wieder über die Tastatur seines Terminals wie das auch bei Arrazolan oder den Männern in den Waffenleitständen und der Funk-Z der Fall war.

„Scheint so, als hätten wir die Kontrolle über das Schiff wiedererlangt“, stellte Hen Coolidge fest.

Don Ryder lachte heiser. „Wiedererlangt?“, höhnte er. „Das ist wohl das falsche Wort. Sie wurde uns wiedergegeben.“

„Spielt das eine Rolle?“, fragte Losig.

Don Ryder hob die Augenbrauen.

„Und ob das eine Rolle spielt. Wir befinden uns auf einem Schiff, das uns Millionen Lichtjahre von der heimatlichen Milchstraße entfernt in eine Galaxis gebracht hat, in der ein furchtbarer Krieg tobt und ...“

„... Sie können es nicht ertragen, dass der Bordrechner ein paar in Bedrängnis geratenen Verbündeten unter die Arme gegriffen hat?“, schnitt Losig ihm das Wort ab.

Ein harscher, unversöhnlicher Unterton lag in seiner Stimme. Sein Ronald-Smith-Gesicht wirkte angespannt.

Martin Takener wandte sich an den Nugrou.

„Niemand kritisiert das Eingreifen an sich“, stellte Takener klar. „Und die taktische und koordinatorische Leistung war meisterhaft. Aber es müsste doch auch dich interessieren, weshalb der KI-Master ganz offensichtlich für gewisse Zeit die Herrschaft über das Schiff übernehmen konnte.“

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen.

Martin Takener erhob sich von seinem Pilotensitz.

Er übergab diese Position an Hen Coolidge, während Riber jetzt den Posten eines Kopiloten übernahm.

Noch immer wurde gekämpft. Noch immer näherten sich weitere feindliche Schiffe der Qalaak der NOVA GALACTICA, die aber durch gezielten Beschuss in Schach und auf Abstand gehalten werden konnten.

Sirrom, der diensthabende Offizier in der Funk-Z, meldete sich. Seine Züge spiegelten deutlich die Verwirrung wider, die der Funker empfand.

„Was gibt es, Sirrom?“, fragte Martin Takener.

„Sir, soeben erhielten wir eine Anfrage von Kulam.“

„Dann schalten Sie in Gottes Namen die Phase frei, damit ich mit ihm reden kann!“, erwiderte Takener leicht gereizt. Sirrom kann nichts dafür, rief er sich ins Gedächtnis.

„Die Anfrage wurde bereits beantwortet.“

„Dreimal dürfen wir raten, von wem“, meinte Don Ryder ziemlich spitz.

Takener nickte. Der KI-Master. Er hatte wohl auch hier seiner Finger im Spiel. Die entscheidende Frage ist, wer oder was dieses Verhalten der Künstlichen Bordintelligenz ausgelöst hat, ging es dem Commander durch den Kopf.

„Worum ging es bei dieser Anfrage?“, wollte Takener wissen.

„Kulam äußerte die Vermutung, dass es sich bei der NOVA GALACTICA um die legendäre MASOL handeln könnte. Das wurde vom KI-Master bestätigt, der außerdem den gegenwärtigen Namen des Schiffes übermittelte.“

Takener atmete tief durch.

Er lehnte sich in seinem Schalensitz zurück.

„Ich danke Ihnen, Sirrom. Überprüfen Sie bitte sämtliche Kommunikationssignale, die das Schiff seit unserem Auftauchen im Yope-System empfangen hat. Seien Sie sehr gründlich dabei.“

„Du kannst dir nicht vorstellen, dass der KI-Master aus eigenem Antrieb gehandelt hat“, stellte Losig fest.

Takener wandte sich zu seinem nugrouischen Verbündeten herum.

„Was ist hier soeben geschehen, Losig?“, sagte Takener sehr ernst. „Ich finde, so langsam wäre es an der Zeit, reinen Wein einzuschenken.“

Erneut meldete sich Sirrom von der Funk-Z, so dass Losig nicht in die Verlegenheit kam, antworten zu müssen.

„Es ist noch einmal Kulam“, erklärte der Funker. „Diesmal möchte er mit Ihnen reden, Sir.“

„Ich kann es kaum erwarten“, murmelte Takener.

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7

Ein Transmitter in der Zentrale der NOVA GALACTICA wurde selbsttätig aktiviert.

„Ich glaube, Kulam will nicht nur mit dir sprechen“, meinte Ryder.

Takener nickte nur.

Der Rebellenführer war offenbar per Transmitter auf dem Weg an Bord der NOVA GALACTICA.

Augenblicke später war er vollständig materialisiert.

Der Nugrou hatte seine amöbenartige Standardgestalt angenommen. Ein Umstand, der es für einen Menschen immer etwas schwierig machte, die emotionale Verfassung des Gegenübers einzuschätzen. Schließlich fehlten dazu sämtliche sichtbaren Ausdrucksformen, angefangen vom Gesichtsausdruck, bis hin zur Körpersprache. Aber da Kulam nicht wie Losig Jahre auf der Erde verbracht hatte, war er vermutlich auch kaum in der Lage, diese Ausdrucksformen auch nur annähernd überzeugend zu imitieren, wie Losig dies ganz bewusst tat.

Der Nugrou bewegte sich auf Takener und Losig zu.

„Es freut mich, euch wiederzusehen“, sagte er. „Seit unserem letzten Zusammentreffen auf Yope hat sich die Lage außerordentlich zugespitzt, wie ihr inzwischen erfahren habt.“

„Das kann man wohl sagen!“, stieß Losig hervor.

Kulam wandte sich nun ausdrücklich an Takener.

„Wir danken dir für euren Beistand, Terraner. Als du zuletzt auf Yope weiltest, zweifeltest du noch, inwiefern ihr in diesen Konflikt eingreifen solltet ... Ich bin froh, dass du offenbar die richtige Entscheidung getroffen hast.“

„Was ist geschehen?“, fragte Takener.„Woher habt ihr eure Orbis-Raumer?“

Kulam machte eine kurze Pause, ehe er weiter sprach.

„Wir dürfen keine Zeit verlieren“, forderte er. „Dein Schiff ist die legendäre MASOL, das Schiff der genialen Konstrukteure Margun und Sola ...“

„Das Schiff selbst hat es mir bereits bestätigt“, erwiderte Takener sachlich.

„Mir war das nach dem Abwehrmanöver, das zur Rettung unserer Abgedrängten und vom Verband getrennten Freunde, klar. Nur die künstliche Intelligenz der MASOL wäre dazu in der Lage gewesen, die Kontrolle über die anderen Schiffe einfach zu übernehmen und diese koordinierte Aktion durchzuführen.“

„Es wäre nicht schlecht gewesen, wenn die MASOL auch die Kontrolle über sämtliche Qalaak-Raumer übernommen und sie zur Selbstzerstörung gezwungen hätte“, meinte Losig mit bitterem Unterton.

„Du weißt, wie lange die Zeiten eines Margun oder eines Sola her sind. Wir haben keine Ahnung, nach welchen Kriterien die KI des Schiffes entscheidet und weshalb sie offenbar in der Lage war, unsere Einheiten zu übernehmen, die der Qalaak aber nicht.“

Die einzigen, die diese Fragen beantworten könnten, wären wohl die Erbauer des Schiffes selbst, dachte Takener. Technisch gesehen gab es nämlich keine Unterschiede zwischen den Qalaak-Raumern und jenen, die die Nugrou benutzten. Außerdem war Takener aufgefallen, dass die äußerlich sichtbaren Kennungen an der Außenhülle, die nur sichtbar wurden, wenn die Anzeige der Holo-Projektion sehr nahe an einer Einheit heranzoomte, denen der Qalaak-Raumer in jedem Detail entsprachen. Ob das Tarnung war oder die Nugrou-Schiffe aus den Beständen der Qalaak stammten, würde Kulam noch erklären müssen.

„Vor zwei Tagen begannen die Qalaak auf uns Nugrou regelrecht Jagd zu machen. Die Bevölkerungen ganzer Wohnpyramiden wurden einfach dahingemetzelt. Ein systematischer Völkermord begann, der mit vereinzelten Übergriffen nichts mehr zu tun hatte. Uns war klar, dass dies das Ende unseres Volkes bedeutete, wenn wir nichts unternahmen. Wir setzten einen Verzweiflungsplan in die Tat um, der nur für schwerste Notlagen gedacht war. Unserem Widerstands-Netz gelang es, insgesamt fünfzig Orbis-Raumer zu erobern, die sich auf Yope befanden. Vierzehn weitere Raumschiffe wurden bei dem Versuch, sie zu übernehmen, zerstört. Es kam dabei zu Kämpfen am Boden, die für beide Seiten äußerst verlustreich waren.“

„Und warum seid ihr hier im Weltraum und überlasst unser Volk der Vernichtung?“, hakte Losig nach.

Kulam blieb gelassen und sachlich.

„Unsere ursprüngliche Absicht war es, die Orbis-Raumer für den Bodenkampf einzusetzen und die Qalaak daran zu hindern, unsere Wohnpyramiden zu vernichten. Aber in dem Augenblick, als es uns gelang, die Schiffe in unsere Gewalt zu bringen, griffen sämtliche noch im Weltraum befindlichen Qalaak-Raumer, die sich in der Nähe des Systems befanden, den Planeten an.“

„Aber bedeutete das nicht ein erhebliches Risiko für die Angehörigen Ihres eigenen Volkes?“, fragte Takener.

„Die Qalaak scheinen auf die Millionen Verwaltungsbeamte und Militärs auf Yope keinerlei Rücksicht zu nehmen. Sie haben definitiv versucht, den gesamten Planeten zu zerstören. “

Losig alias Ronald Smith ballte die Hände zu Fäusten. Sein Gesicht wirkte grimmig. „Das ist typisch für diese Käferbrut“, zischte er. „Die Vernichtung der letzten Nugrou ist ihnen wichtiger als Millionen von Qalaak-Leben.“

„Der Einzelne bedeutet ihnen nichts“, stellte Kulam fest. „Das gilt auch für die Angehörigen ihrer eigenen Spezies. Uns blieb nichts anderes übrig, als die Raumschiffe dafür einzusetzen, die Attacke der Qalaak-Schiffe abzuwehren. Wie ihr gesehen habt, sind wir keine geübten Raumfahrer, die etwas von Kampftaktik verstehen, aber glücklicherweise seid ihr genau im richtigen Moment aufgetaucht.“

„Die Schlacht kann unter diesen Umständen wohl kaum gewonnen werden“, sagte Losig.

„Wir hatten auf größere Hilfe gehofft“, sagte Kulam. Ein gewisser, unausgesprochener Vorwurf schwang in seinen Worten mit. „Aber die wird wohl nicht eintreffen.“

„Ich hatte um Unterstützung durch weitere Kräfte der Neu-Römer von Terra Nuova gebeten“, erklärte Takener. „Leider vergeblich. Um Sadrag tobt eine heftige Abwehrschlacht, in die die Qalaak einen Großteil ihrer Kräfte zu werfen scheinen.“

„Vielleicht haben sie deswegen bislang nicht bereits eine noch viel erdrückendere Übermacht gegen unseren schwachen Verband aufbieten können“, vermutete Losig.

Er hat von UNSEREM Verband gesprochen und damit Kulams Schiffe gemeint, ging es Takener durch den Kopf. Diese Formulierung zeigt, wem sich der Nugrou im Zweifelsfall verbunden fühlt. Für diese Priorität hatte Takener durchaus Verständnis. Was ihn störte, war der Hang zu eigenmächtigem Handeln, das der Rebell in letzter Zeit immer häufiger an den Tag legte.

Kulam wandte sich an Martin Takener.

„Die MASOL ist die letzte Hoffnung für mein Volk“, sagte er sehr ernst. „Wir müssen mit ihr auf Yope landen. Für weitere Erklärungen ist jetzt keine Zeit – aber andernfalls wären die Nugrou dort endgültig verloren.“

„Selbstverständlich kommen wir deiner Bitte nach“, sagte Losig. Das Ronald-Smith-Gesicht wandte sich in Takeners Richtung. „Oder gibt es irgendeinen schwerwiegenden Einwand dagegen?“

Selbst wenn es ihn gäbe, so würden die beiden Nugrou vermutlich ohnehin tun, was ihnen beliebt, ging es dem Commander etwas ärgerlich durch den Kopf. Schließlich hatten sie auch ohne irgendeine Autorisation den Transmitter im Leitstand der NOVA GALACTICA/MASOL benutzt.

„Also gut“, stimmte Takener nach kurzem Zögern zu. „Kursänderung. Wir landen auf Yope. Sirrom?“

„Ja, Sir?“, meldete sich der Funkoffizier.

„Senden Sie eine entsprechende Mitteilung an die anderen Schiffe.“

„Jawohl.“

Takener wandte sich an die beiden Nugrou. „Ich kann nur hoffen, dass die Lücke, die wir hier hinterlassen, nicht allzu groß ist. Sonst wird es kritisch.“

„Das Überleben der Nugrou hängt ohnehin an einem seidenen Faden“, erklärte Kulam,. „Aber die Tatsache, dass unsere Seite im Besitz der MASOL ist, gibt uns vielleicht eine Chance.“

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8

Die NOVA GALACTICA tauchte in die blau schimmernde Atmosphäre Yopes ein.

„An der Oberfläche sind zahlreiche Kämpfe zu verzeichnen“, sagte Arrazolan mit einem ernsten Blick auf die Ortungsanzeigen. „Die Qalaak scheinen tatsächlich wild entschlossen, die Nugrou auszurotten.“

„Und sie sind in der Übermacht“, stellte Losig klar. „Fünf Milliarden dieser Bestien haben sich auf unserer Heimatwelt eingenistet ... Aber das wird sich bald ändern.“

Losig wandte sich einer der Konsolen im Leitstand der NOVA GALACTICA zu. Seine Finger glitten über die Tastatur des Terminals. Er ließ sich die von Arrazolan gemeldeten Ergebnisse der Ortung mit einer Projektion veranschaulichen und aktivierte zu diesem Zweck eine Sphäre.

Danach gab es in allen von Nugrou besiedelten Gebieten schwere Kämpfe.

Der Ronald-Smith-Körper atmete schwer.

Eine tiefe Furche hatte sich auf der Stirn gebildet.

Irgend etwas scheint anders zu verlaufen, als Losig es erwartet hat, dachte Martin Takener intuitiv.

Es blieb allerdings keine Zeit, um der Sache weiter nachzugehen.

„Landeposition?“, fragte Hen Coolidge an Takener gewandt.

Ehe einer der Nugrou die Initiative ergreifen konnte, sagte der Commander ruhig: „Wählen Sie eine der Zonen mit besonders hohen Energieentladungen aus. Ich möchte, dass wir uns ein Bild der Lage verschaffen.“

„In Ordnung, Sir.“

Die NOVA GALACTICA sank tiefer.

Auf der Holo-Projektion waren jetzt erste Eindrücke von der Situation auf der Planetenoberfläche zu sehen. Wohnpyramiden, die bis zu den Grundmauern zerstört waren. Tausende von toten Nugrou-Körpern – aber mindestens ebenso viele Qalaak. Hier und da fanden sich Wracks von Kampfgleitern, die offenbar von Widerständlern zum Absturz gebracht worden waren. Noch bei ihrem letzten Besuch hatte die Oberfläche Yopes eher einer großen, von Besiedlung unterbrochenen Parklandschaft geähnelt. Jetzt war daraus ein Schlachtfeld geworden. Krater von mehreren hundert Metern Durchmesser wiesen auf den Einsatz von großkalibrigen Explosionsgeschossen hin. Die Vegetation war teilweise flächendeckend mit Energiestrahlen weggesengt worden. Nichts als Reste verkohlter organischer Substanz war zurückgeblieben. Substanz, bei der wohl auch eine eingehende chemische Analyse kaum noch hätte feststellen können, ob es sich um die Asche von Pflanzen, Tieren oder ermordeten Nugrou handelte.

Losigs Ronald-Smith-Gesicht wurde zu einer Maske blanken Hasses, als er diese Bilder sah.

Die NOVA GALACTICA flog jetzt im Tiefflug über die Oberfläche von Yope.

Einige Kampfgleiter der planetaren Qalaak-Streitkräfte kamen über den Horizont.

Sie näherten sich rasch und eröffneten sofort das Feuer.

Ihre im Vergleich zur Ausstattung eines Orbis-Raumers schwachen Strahlwaffen vermochten den KFS nur geringfügig zu schwächen. Der Großteil der Energiestrahlen wurde einfach absorbiert.

Takener gab den Befehl zum Gegenfeuer.

Kurz nacheinander explodierten die Qalaak-Gleiter unter dem gezielten Strahlenfeuer der NOVA GALACTICA. Die Trümmerteile wurden zu Boden geschleudert. Hier und da flackerten noch kleinere Brände auf. Aber sie erloschen bald. Nicht einmal das Feuer fand angesichts der Verwüstungen, die die Qalaak hier angerichtet hatten, noch genug Nahrung.

„Es wundert mich, dass überhaupt noch welche von diesen Käferbestien herumlaufen“, stieß Losig hervor, der sich nicht einmal über den Abschuss der Kampfgleiter zu freuen schien.

Irgend etwas beschäftigte ihn.

Und das hatte zweifellos mit der Lage zu tun, die sie auf dem Planeten vorfanden.

Wieder gingen seine Finger geradezu hektisch über das Terminal seiner Konsole.

Wie kommt er dazu, größere militärische Erfolge der Nugrou zu erwarten?, ging es Takener etwas verwirrt durch den Kopf. Schließlich waren die Nugrou ihren Qalaak-Gegnern haushoch unterlegen. Nicht nur der Anzahl nach, sondern auch waffentechnisch. Die wenigen bewaffneten Widerstandskämpfer standen letztlich doch auf verlorenem Posten, wenn sie keine Hilfe bekamen. Aber mit wirkungsvoller Unterstützung war so lange nicht zu rechnen, wie rund um Yope und das gesamte System seiner blauen Sonne Urfo eine furchtbare, gnadenlose Raumschlacht tobte, deren Ausgang mehr als ungewiss war.

Eine Wohnpyramide tauchte am Horizont auf.

Kurze Zeit später war erkennbar, dass rund um die Pyramide herum hart gekämpft wurde. Energieblitze zuckten. Kampfgleiter kreisten um das Gebäude herum und feuerten immer wieder ihre Strahlwaffen ab, während eine kleine Schar sich verzweifelt wehrender Nugrou von den Balkonen der Pyramide aus versuchte, sich zu verteidigen. Die Bewaffnung der Verteidiger war jener der Angreifer natürlich an Feuerkraft und technischem Niveau weit unterlegen.

Von allen Seiten näherten sich Qalaak-Truppen. Sowohl zu Lande als auch in der Luft.

Nicht mehr lange, und die Angreifer hatten sich zum Haupteingang der Pyramide vorgearbeitet, der bislang noch von den Nugrou mit allen Mitteln zu halten versucht wurde.

Takener gab den Befehl, in das Gefecht einzugreifen. Sofort wurden die Feuerleitstände unter Bud Clifton und Jean Rochard aktiv. Vor allem Spicastrahl-Feuer wurde gezielt eingesetzt. Innerhalb weniger Augenblicke waren die in der Luft befindlichen Kampfgleiter der Qalaak zerstört. Ihre Gegenwehr war fast wirkungslos geblieben.

Nur wenigen Einheiten gelang der Rückzug. Sie flogen davon.

Am Boden fielen als erstes die Transportgleiter der Qalaak den Attacken der NOVA GALACTICA zum Opfer.

Ein heillos chaotischer Rückzug der Insektoiden setzte ein.

Die meisten der käferartigen Angreifer wurden dabei entweder von den Bordwaffen der NOVA GALACTICA oder dem Energiefeuer der Nugrou-Verteidiger getötet.

Überall bedeckten die Körper getöteter Qalaak den Boden.

„Wir landen“, bestimmte Takener an Hen Coolidge gerichtet.

Der Erste Offizier der NOVA GALACTICA ließ das Schiff auf den großen Vorplatz der Pyramide sinken. Die Teleskopbeine wurden ausgefahren. Sanft setzte der Orbis-Raumer dort auf.

„Es wundert mich, dass überhaupt noch so viele dieser käferartigen Missgeburten auf den Beinen sind“, sagte Losig grimmig. „Eigentlich müssten sie längst tot sein ...“

„Was soll das heißen?“, hakte Takener nach.

Losig wandte den Kopf seines Ronald-Smith-Körpers.

Er verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.

„Sicher wirst du bemerkt haben, dass die YOPE einige Raumjäger ausgeschleust hat.“

„Unbemannte Raumjäger“, erwiderte Takener.

Der Nugrou nickte.

„Du wirst dich an die Pilzsporen erinnern, die wir auf einer namenlosen Welt fanden.“

„Allerdings!“

„Ich habe in meinem Labor an Bord der YOPE einige dieser Sporen vermehrt. Die Aufgabe der Raumjäger war es, diese Sporen auf den Planeten zu bringen, um die Qalaak zu vernichten.“

Takener war fassungslos.

„Du wolltest Milliarden von Qalaak umbringen?“

„Hatten die Qalaak nicht mit meinem Volk dasselbe vor? Sieh dir an, wie es auf der Oberfläche Yopes aussieht! Sieh dir an, wie viel die Käferbestien von ihren Genozid-Plänen bereits in die Tat umgesetzt haben, und sag mir ins Gesicht, dass es nicht legitim wäre, diese Waffe gegen diese Ungeheuer einzusetzen!“

„Diese Vorgehensweise ist unmenschlich.“

„Ich bin kein Mensch, Martin Takener. Ich bin ein Nugrou. Angehöriger eines Volkes, das mit einem Tentakel bereits in den Abgrund getreten ist und sich nur noch mit Mühe überhaupt am Leben erhalten kann.“

Der Ronald-Smith-Körper atmete tief durch.

Angespanntes Schweigen herrschte in der Zentrale der NOVA GALACTICA.

Einerseits konnte Martin Takener die von äußerster Rücksichtslosigkeit und Härte geprägte Vorgehensweise Losigs verstehen. Andererseits war dieses Vorgehen einer zivilisierten Spezies unwürdig und grausam.

„Was unterscheidet uns denn von den Qalaak, wenn wir derartige Methoden anwenden?“, fragte Takener.

„Der Unterschied ist, dass sie eine Wahl haben – wir aber nicht.“

„So einfach ist das also für dich?“

„Wer hat gesagt, dass es einfach ist?“, ereiferte sich Losig. „Aber in einem Krieg wird man immer auch durch die Mittel und Methoden seiner Gegner geprägt. Das ist nicht zu vermeiden, Martin! Ob das einem Moralisten wie dir nun passt oder nicht.“ Er sprach zunächst nicht weiter.

Takener sah ihn an. Losig wich dem Blick des Commanders aus. „Ich denke nicht, dass wir es uns leisten konnten, auf diese Waffe zu verzichten. Und wenn du ehrlich bist, Martin, dann gibt mir die Situation, die wir hier vorgefunden haben, Recht.“

„Nur, dass du die Sporen bereits auf den Weg geschickt hattest, bevor du einen Fuß oder was auch immer auf den Planeten gesetzt hattest.“

„Ich musste es nicht erst mit eigenen Augen sehen“, verteidigte sich Losig jetzt in wesentlich sanfterem Tonfall. „Alle maßgeblichen Fakten lagen doch auf dem Tisch. Die reichten aus, um sich die Situation lebhaft vorstellen zu können.“

Takener nickte.

Auch wenn er Losigs Vorgehensweise nicht billigen konnte, so war jetzt daran nichts mehr zu ändern. Die Sporen hatten ihren Weg auf den Planeten gefunden und würden dort ihre mörderische Wirkung unter Beweis stellen. Es sei denn, da ist etwas nicht planmäßig gelaufen, ging es dem Commander durch den Kopf. Die Tatsache, dass offenbar noch wesentlich mehr Qalaak am Leben waren, als Losig angenommen hatte, konnte unter Umständen ein Indiz dafür sein.

Arrazolans Stimme mischte sich in das Schweigen.

„Ich bekomme hier Daten herein, die darauf schließen lassen, dass die Qalaak eine neue Vernichtungsoffensive starten. Mehrere Wohnpyramiden wurden mit Hilfe nuklearer Sprengsätze einfach in die Luft gesprengt. Ich verzeichne einen starken Ausbruch von Gamma-Strahlung in nordwestlicher Richtung ...“

„Da siehst du es, Martin“, fühlte sich Losig bestätigt. ,Die Qalaak versuchen genau dasselbe mit uns. Das ist ein Kampf auf Leben und Tod. Es geht nur darum, wer am Ende noch existiert. Dein Mitleid ist vollkommen fehl am Platz, Martin.“

„Zumindest in einem Punkt gebe ich dir Recht“, sagte Martin Takener. „Hier ist ein Gemetzel im Gang, das gestoppt werden muss.“ Takener wandte sich an den zweiten Offizier Leo Riber. „Lassen Sie sämtliche Raumjäger sofort starten. Sie sollen die Nugrou bei ihrer Verteidigung unterstützen.“

„Jawohl, Sir“, war Ribers knappe Antwort.

„Arrazolan?“, fragte Takener.

„Ja?“

„Wir fliegen die NOVA GALACTICA in eine Zone, die besonders hart umkämpft ist, damit die Nugrou Entlastung bekommen.“

Jetzt ergriff Kulam das Wort und widersprach dem Commander.

„Ich würde vorschlagen, die NOVA GALACTICA aus den direkten Kampfhandlungen so weit wie möglich herauszuhalten.“

Takener runzelte verwirrt die Stirn. „Um ehrlich zu sein, bin ich von deinem Anliegen etwas überrascht“, musste der Terraner gestehen.

„Die NOVA GALACTICA könnte innerhalb kürzester Zeit dafür sorgen, dass sich die Lage an mehreren Krisenpunkten entspannt“, warf Losig ein, der ebenso verwundert schien wie Takener. „Ich verstehe dich nicht, Kulam. Wir können doch nicht unsere stärkste Einheit zurückhalten!“

„Losig ...“

„In jedem Augenblick sterben auf diesem Planeten Tausende von Nugrou. Du wirst mir doch nicht erzählen wollen, dass dich das kalt lässt, Kulam!“

„Wie könnte es das!“

„Na also! Für taktische Spielchen ist jetzt einfach nicht der richtige Zeitpunkt. Jetzt geht es ums Ganze!“

„Hört mir zu“, forderte Kulam. Der amöbenartige Körper des Nugrou bildete dabei zwei längere Tentakel aus. Sie vollführten eine Bewegung, die an eine beschwörende Geste erinnerte. „Vor einigen Wochen fand ich per Zufall eine alte Kultstätte der Nerudalben. Dort gab es Hinweise auf ein sogenanntes Machtzentrum, das dazu dienen soll, den Nugrou in höchster Not zu helfen.“

„Die Legende einer religiösen Splittergruppe“, unterbrach Losig. „Du weißt doch, dass die Hochphase der Nerudalben-Religion seit 800 000 Jahren vorbei ist und sich nur noch Außenseiter zum Glauben an die angeblichen Schöpfer der Nugrou bekennen. Kulam, ich sage es nicht gern, aber das alles ist doch nur Lyrik für Verzweifelte. Was wir brauchen, sind aber Taten. Keine tröstenden Legenden!“

„Ich bin überzeugt davon, dass mehr daran ist“, widersprach Kulam. „Es heißt, dass nur die legendäre MASOL Zugang zu diesem Machtzentrum hätte. Wenn die MASOL ihren Weg nicht zurück nach Yope findet, habe sich das Volk der Nugrou in den Augen ihrer nerudalbischen Schöpfer als unwürdig erwiesen und müsste endgültig sterben.“

Takener wandte sich an Losig.

„Ich möchte dich unter vier Augen sprechen“, sagte der Terraner.

„Jetzt?“

„Sofort!“

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9

Takener und Losig verließen die Zentrale. Sie gingen in einen Konferenzraum. Losigs Ronald-Smith-Körper setzte sich in einen der zur Verfügung stehenden Schalensitze, wirkte aber nach wie vor angespannt.

Takener blieb stehen und verschränkte die Arme.

Die Rücksichtslosigkeit des Nugrou entsetzte ihn.

„Für dich scheint der Zweck alle Mittel zu heiligen“, sagte Takener. „Aber nicht für mich!“

„Geht es um die Sporen?“, fragte Losig. „Ich übernehme die volle Verantwortung dafür und stehe dazu, dass ich sie auf Yope freigesetzt habe. Vielleicht haben wir zu diesem Problem unterschiedliche Auffassungen, aber genauso wie ich deine Ansicht dazu respektiere, möchte ich, dass du die meine achtest.“

„Darum geht es nicht“, erwiderte Takener. „Im Übrigen habe ich durchaus ein gewisses Verständnis für deine Handlungsweise.“

„Worum geht es dann? Wir haben die Nugrou vor dem Genozid zu bewahren und sollten keine Zeit verlieren.“

Takener atmete schwer. Er hob die Augenbrauen. Sein Blick musterte Losig eindringlich. „Niemand auf Yope wusste von dem Schiff Marguns und Solas!“, stellte er fest.

„Mag sein.“

„Und wie konnte der Name dann hier bekannt werden?“

„Ich habe nicht die geringste Ahnung, Martin.“

„Wirklich nicht?“

„Du glaubst, dass ich dafür verantwortlich bin!“

„Wäre das so abwegig?“

„Bei meiner Ehre, Martin – oder bei allem, was mir heilig ist, wie man bei euch auf Terra zu sagen pflegt. Ich habe damit nichts zu tun.“

Takener zuckte die Achseln. „Ich werde dich jetzt nicht fragen, was dem Angehörigen einer Spezies heilig sein könnte, die seit Jahrhunderttausenden auf jede Religion verzichtet!“

„Abgesehen von einigen Splittergruppen wie den Nerudalben-Anhängern.“

„Womit wir wieder beim Thema wären.“

„Martin, was spielt es für eine Rolle, woher der Name der MASOL hier bekannt ist?“

„Überlege mal, ob es irgendeine andere Verbindung geben könnte.“

„Wenn es dir so wichtig ist!“

„Wenn ich nicht nur mein Leben, sondern auch das vieler anderer riskiere, weiß ich gerne Bescheid, anstatt blind in irgend etwas hinein zu tappen.“

„Du hast keinen Grund, Kulam nicht zu vertrauen.“

„Sei ehrlich, Losig. Auch du warst überrascht!“

Losig zögerte.

„Ja“, gab er schließlich zu.

Beide schwiegen einige Augenblicke lang.

Dann nannte Martin Takener einen Namen.

„Landor!“, stieß er hervor. „Er muss die Verbindung sein!“

„Der Bote der Nugrou-Mutanten?“, fragte Losig zurück.

„Er wusste von dem Schiff.“

„Das stimmt. Aber dann müsste Landor etwas mit dem Nerudalben-Kult zu tun haben. Unmöglich wäre das nicht, aber ...“

Losig sprach nicht weiter.

„Nicht gerade naheliegend, oder?“, erriet Martin Takener die Gedanken des Nugrou.

Dessen Ronald-Smith-Gestalt zuckte die Schultern.

„Sagen wir so: Ein Grund, um zu stutzen.“

„Es gibt noch etwas anderes, was mich stutzen lässt.“

„Und das wäre?“

„Haben die Nerudalben wirklich Artefakte hinterlassen, die so gut erhalten sind, wie Kulam uns gerade weiszumachen versuchte?“

Das Ronald-Smith-Gesicht lächelte nachsichtig. „Kann es sein, dass du etwas übertrieben misstrauisch bist?“

„Der letzte einigermaßen belegte Kontakt mit den Nerudalben fand vor einer Million Jahren statt, als Nugrou-Astronomen einen Planeten entdeckt zu haben glaubten, der sich wie ein Raumschiff bewegte ...“

Losig schwieg.

Takeners Worte schienen jetzt auch ihn nachdenklich gemacht zu haben. „Von einem regelrechten Kontakt können da wohl nur die gläubigen Anhänger des Nerudalben-Kultes sprechen“, meinte er. „Ich würde noch nicht einmal ein echtes Lebenszeichen darin sehen.“

„Und eine Million Terra-Jahre sind selbst für Nugrou eine lange Zeit“, ergänzte Takener. „Auf jeden Fall sollten wir die Augen offen halten.“

„Du denkst, dass irgend etwas faul ist?“

„Ich halte es zumindest nicht für ausgeschlossen.“

„Gehen wir zurück zu den anderen, Martin.“

Takener nickte.

„Ich werde den KI-Master kontaktieren. Vielleicht kann der mir weiterhelfen.“

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10

Sämtliche 28 Raumjäger, die sich in den Doppelhangars der NOVA GALACTICA befunden hatten, waren jetzt im Einsatz. Sie waren völlig baugleich, etwa drei Meter lang, anderthalb Meter breit, wiesen sechs dünne Ausleger auf und verfügten über die gleiche Bewaffnung wie das Mutterschiff.

Larry Fongheiser flog die Raumjäger 027 über eine Hochebene.

In seinem Schlepptau befanden sich die Einheiten 025, 026 und 028, die von den Piloten Ed Marlette, Mike Randor und Jack Stout geflogen wurden.

„Die Ortung zeigt Energiesignaturen, die auf Kämpfe hier ganz in der Nähe deuten“, meldete Ray Dafner, Fongheisers Copilot. „Wir müssten es gleich sehen können.“

Fongheiser starrte auf die Sichtsphäre vor ihm.

Sein Raumjäger jagte mit RMD-Antrieb und eingeschaltetem Hyperraum durch ein paar schroffe Felsmassive hindurch.

Dahinter tauchten die Trümmer einer Wohnpyramide auf. Es waren kaum mehr als die Grundmauern des Bauwerkes übrig geblieben.

„Starke Gamma-Strahlenwerte“, meldete Dafner. „Vereinzelt gibt es noch Bio-Impulse von überlebenden Nugrou.“

Fongheiser schluckte.

Die kompromisslose, außerordentlich grausame Vorgehensweise der Qalaak erfüllte ihn mit Wut. Den Überlebenden konnte nicht geholfen werden. Es gab keine Möglichkeit, ihnen zu helfen. Die meisten von ihnen würden auf Grund der hohen Strahlenwerte ohnehin in den nächsten Stunden zu Grunde gehen.

Die Wracks einiger abgeschossener Qalaak-Gleiter zeigten, dass sich die Nugrou so gut es ging gewehrt hatten. Aber natürlich waren sie ihren Kontrahenten in jeder Beziehung unterlegen gewesen.

Vor allem natürlich, was die Ausstattung mit Waffen anging.

„Dies ist kein Kampf“, stellte Fongheiser bitter fest.

„Ich würde es ein Gemetzel nennen“, meinte Dafner.

Eine Staffel von Kampfgleitern der Qalaak tauchte am Horizont auf. Schwere Transporteinheiten befanden sich darunter. Offenbar fanden größere Truppenverlegungen statt. Einige kleinere Einheiten eröffneten sofort das Feuer auf die Raumjäger.

Energiestrahlen zuckten durch die Luft.

Fongheiser ging ebenso auf Ausweichkurs wie die anderen Raumjäger. Im Hyperraumflug tauchte er in den Boden ein, so dass sein Beiboot für Augenblicke nicht mehr optisch zu orten war.

Unter der Gleiterflotte tauchten die Raumjäger dann wieder auf, stießen fast senkrecht nach oben und feuerten konzentrierte Spicastrahlen ab. Einer der großen Transporter sowie mehrere kleinere Begleiteinheiten wurden getroffen. Die Trümmer flogen durcheinander, was den Raumjägern durch das Hyperraumfeld nichts anhaben konnte. Fongheiser lenkte seine 027 mit eingeschaltetem Brennkreis mitten durch die Triebwerkssektion eines weiteren großen Transporters, der daraufhin ebenfalls explodierte.

Erfolglos versuchten die kleineren Gleiter, die Raumjäger mit ihren Strahlschüssen so zu treffen, dass der Schutzschirm zusammenbrach.

Die Raumjäger waren einfach zu schnell, die Piloten taktisch mit zu viel Erfahrung ausgestattet, als dass sie sich so einfach ins Boxhorn hätten jagen lassen.

„Hier Stout“, meldete sich der Pilot von Raumjäger 026 über Funk. „Bislang hatten diese feigen Mörder keine richtigen Gegner, aber das wird sich jetzt wohl ändern!“

Die Raumjäger jagten davon, flogen einen Ausweichkurs und hatten sich innerhalb weniger Augenblicke bis zum Horizont entfernt.

Einige der kleineren Gleiter aus dem Qalaak-Verband nahmen die Verfolgung auf.

Außerdem wurden mehrere Lenkwaffen abgefeuert, die dem Wärmebild und der Energiesignatur der Raumjäger folgten.

Immer wieder blitzten Energiestrahlen hin und her. Die Gleiter der Qalaak zogen dabei jedoch den Kürzeren. Immer wieder gelang es den Raumjäger-Besatzungen, Gleiter durch gezielten und konzentrierten Beschuss zum Absturz zu bringen. Manchmal jagten sie getroffenen Einheiten einfach mit voller Geschwindigkeit – aber keineswegs im Hyperraumflug wie Raumjäger! – in den Boden hinein, wo sie explodierten. Manche der Qalaak-Gleiter detonierten auch bereits in der Luft, wenn ihr Schutzschirm unter konzentriertem Beschuss zusammenbrach und es zu einem Treffer im Bereich der Triebwerksaggregate kam.

Dafner meldete sich zu Wort.

„Ich habe mich die ganze Zeit schon gewundert, weshalb es in den Transport-Gleitern so wenig Bio-Impulse von Qalaak gibt ...“

„Und? Woran liegt das?“, fragte Fongheiser mäßig interessiert zurück. „Dann bringen sie wahrscheinlich Waffen und Geräte an einen Ort, an dem gekämpft wird.“

„Irrtum“, sagte Dafner.

„Was?“

„Diese Gleiter wurden zu etwas anderem umfunktioniert. Sie transportieren ein Gasgemisch, das toxischer wirkt, als alles, was du dir aus der irdischen Vergangenheit in dieser Hinsicht so vorstellen kannst!“

Fongheiser war nur mäßig überrascht.

„Die Qalaak wollen die Nugrou-Bevölkerung Yopes tatsächlich ausrotten, und ich persönlich habe nie daran gezweifelt, dass sie das mit aller Konsequenz durchzuziehen versuchen.“

„Drehen wir um und schalten auch die restlichen Transporter aus!“, schlug Mike Randor vor, der Pilot von Raumjäger 025.

„Nichts dagegen!“, gab Fongheiser zurück.

Die Raumjäger stießen senkrecht in den Himmel empor, flogen einen Looping. Ihre Flugbahnen strebten auseinander. Breitgefächerter Beschuss mit verschiedenen Energiestrahlen schaltete die Lenkwaffen sowie die Verfolger-Gleiter der Qalaak aus.

Von mehreren Seiten näherten sich die Raumjäger nun den Transportern.

Die kleineren Begleiteinheiten leisteten verzweifelte Gegenwehr, aber der größeren Feuerkraft der Raumjäger waren sie ebenso wenig gewachsen, wie deren Defensivbewaffnung.

Kurz hintereinander explodierten beide noch verbliebenen Transporteinheiten. Die blau schimmernde Atmosphäre Yopes mischte sich mit Anteilen von rot, braun und schwarz. Rauch stieg in einer gewaltigen schwarzen Säule empor.

„Na seht ihr, wir können’s doch noch!“, meinte Mike Randor gutgelaunt.

Larry Fongheiser konnte diese Euphorie nicht teilen. Diesmal kamen wir rechtzeitig, überlegte er, aber es befinden sich mit Sicherheit in diesem Moment noch Tausende weiterer Transporter auf dem Weg zu den Wohnpyramiden der Nugrou!

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11

Losig und Takener kehrten in die Zentrale der NOVA GALACTICA zurück. Gespannte Blicke ruhten auf ihnen.

„Was ist?“, fragte Kulam. „Wirst du meiner Bitte entsprechen? Die MASOL – oder NOVA GALACTICA, wie ihr sie nennt – darf auf keinen Fall dem Risiko der Zerstörung ausgeliefert werden.“

„Ich möchte zunächst dem KI-Master ein paar Fragen stellen.“

„Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber wie du weißt, drängt die Zeit.“

„Es wird nicht lange dauern.“

Martin Takener trat über ein gedankliches Passwort mit dem KI-Master in Kontakt.

Insbesondere wollte Takener wissen, ob der Bordrechner über die bisher vorliegenden und sehr spärlichen Informationen hinaus irgendwelche Erkenntnisse über die Nerudalben hatte.

Weiteres Datenmaterial ist nicht verfügbar, war die mehr als lapidare Antwort der Schiffs-KI.

Das bedeutet, es gibt bislang nicht einmal einen klaren Beweis für die Existenz dieses Volkes, stellte Martin Takener fest.

Der KI-Master bestätigte dies.

Den mir vorliegenden Daten nach trifft diese Feststellung zu, erklärte er.

„Und?“, fragte Hen Coolidge.

„Was die Nerudalben angeht, hat der KI-Master keinerlei zusätzliche Informationen und kann uns daher wohl nicht weiterhelfen.“

„Zu dumm.“

„Hier kommt eine Meldung unseres Raumjägerpiloten Larry Fongheiser herein“, sagte Sirrom, der Erste Funker.

„Geben Sie durch“, befahl Takener.

Sirrom schaltete die Funkphase frei. Die Stimme des Raumjägerpiloten war zu hören. „Hier Fongheiser. Wir sind in schwere Bodenkämpfe verwickelt. Die Qalaak beginnen damit, großflächig Giftgas gegen die Nugrou einzusetzen. Tausende sind schon erstickt. Offenbar trauen sich die Nugrou nicht, ihre ID-Dämpfer abzunehmen und die Gestalt kurzfristig so zu ändern, dass sie nicht atmen brauchen. Jedenfalls geschieht das nur vereinzelt.“

„Geben Sie uns Ihre gegenwärtige Position durch, Fongheiser. Wir sind gleich bei Ihnen!“, kündigte Takener an. Seine Hände hatten sich zu Fäusten geballt. Angesichts dieser Schreckensmeldungen gab es nun für ihn kein Halten mehr.

Es ging darum, die Leben möglichst vieler Nugrou zu retten.

Auch Kulams Einwände konnten ihn davon nicht abbringen.

„Fongheiser hat die Positionsdaten übermittelt“, meldete unterdessen Hen Coolidge.

„Worauf warten Sie dann noch? Starten Sie!“, befahl Takener.

„Ja, Sir!“, bestätigte Coolidge.

Ein dumpfes Summen dröhnte durch das Schiff, als die Impulstriebwerke aktiviert wurden. Die NOVA GALACTICA hob vom Boden ab und zog ihre Teleskopbeine ein.

Im Tiefflug schnellte sie auf die angegebene Position zu.

Kulam wirkte unruhig, zumindest soweit Martin Takener die Körpersprache eines Nugrou in Amöbengestalt zu deuten vermochte.

Wenig später erreichte die NOVA GALACTICA jene Koordinaten, die Fongheiser angegeben hatte.

Eine große Wohnpyramide tauchte hinter einer Anhöhe auf. Das Gelände um die Pyramide herum war übersät mit toten Nugrou und Qalaak. Viele von ihnen waren verkohlt und kaum noch identifizierbar. Andere – vor allem Nugrou-Leichen – wirkten äußerlich unverletzt. Sie schienen dem Gas zum Opfer gefallen zu sein.

„Die Abtaster zeigen hohe Giftgaskonzentrationen an“, meldete Tino Arrazolan. „Für Menschen ist hier ein Aufenthalt ohne Schutzanzug nicht möglich.“

Auf der Westseite der Wohnpyramide war ein heftiges Gefecht im Gang.

Strahlschüsse blitzten durch die bläulich schimmernde Luft. Schweres Blasterfeuer ging hin und her. Drei Raumjäger von der NOVA GALACTICA bekämpften von der Luft aus eine Schar von Robotern.

Es handelte sich um Modelle des Tower-Typs, wie er üblicherweise von den Qalaak eingesetzt wurde.

„Seht euch das an! Nicht einmal auf ihre eigenen Kämpfer haben die Qalaak bei dem Giftgasangriff Rücksicht genommen“, stellte Kulam grimmig fest.

Losig schüttelte den Kopf seines Ronald-Smith-Körpers.

„Ich glaube nicht, dass die Qalaak an den Folgen des Giftgases gestorben sind“, sagte er.

Die Holo-Projektion zoomte näher heran. Zahlreiche Qalaak-Leichen begannen bereits zu zerfallen und hatten ihre Form schon beinahe verloren.

„Die Sporen“, murmelte Takener.

„Ja“, bestätigte Losig. „Aber den Robotern können die natürlich nichts anhaben.“

Die Tower-Roboter versuchten einerseits die Raumjäger zu treffen, andererseits zielten sie mit ihrem Blasterfeuer immer wieder auf bestimmte Stellen an der Außenwand der Pyramide.

„Sieht fast so aus, als versuchen die Roboter, Löcher in die Außenwand zu brennen“, stellte Hen Coolidge fest.

„Natürlich!“, entfuhr es Kulam. „Sie wollen, dass das Gift ins Innere der Pyramide dringen kann.“

Die NOVA GALACTICA setzte etwa hundert Meter abseits der Wohnpyramide auf der Oberfläche auf. Die Teleskopbeine sorgten für einen stabilen Stand des Orbis-Raumers. Für die Tower-Roboter war es unmöglich, mit ihren vergleichsweise leichten Waffen einen nennenswerten Schaden an dem Orbis-Raumer anzurichten. Umgekehrt war ein Beschuss der Roboter mit den relativ groben Waffensystemen der NOVA GALACTICA nicht sonderlich effektiv.

Es wäre wie mit Kanonen auf Spatzen zu schießen, ging es Martin Takener durch den Kopf.

Takener ließ über die Funk-Z eine Verbindung zu Fongheiser herstellen.

„Hier Takener. Wie schätzen Sie die Situation ein?“, fragte er.

„Aus der Luft sind diese Kampfmaschinen schwer zu besiegen. Sie suchen immer wieder Deckung. Ich weiß nicht, ob wir sie schnell genug erledigen können, um zu verhindern, dass sie ihr Ziel erreichen und ein Loch in die Pyramidenwand gesprengt wird! Das wäre das Ende von Tausenden Nugrou!“

„Sie werden Unterstützung am Boden bekommen“, versprach Takener.

„Es ist ein ziemlich großes Risiko, Männer dort hinauszuschicken“, gab Don Ryder zu bedenken.

Takener lächelte dünn.

„Daran habe ich auch nicht gedacht“, erwiderte er.

Ryder hob die Augenbrauen. „Kampfroboter?“

„Ja. Ihnen kann das Giftgas der Qalaak nichts anhaben.“

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12

Takener gab den Befehl, zwei Dutzend Kampfroboter vom Kegeltyp auszuschleusen. Wenig später erreichte Takener ein Gespräch über eine schiffsinterne Interkomverbindung.

Auf einem Nebenbildschirm erschien das Gesicht eines Roboters – wenn man es denn so nennen wollte. Die Optik in der Mitte des Kopfes blickte Takener scheinbar an.

„Gilead!“, stieß Martin verwundert hervor.

„Ich muss Sie sprechen.“

Takener verdrehte die Augen. Das, was er jetzt am wenigsten gebrauchen konnte, war eine umständliche Diskussion mit Gilead, dem sogenannten Roboter mit Seele, wie er vielfach genannt worden war. Ursprünglich war Gilead ein einfacher, namenloser Billig-Butler der Firma Sillaw gewesen. Durch die Verknüpfung von 24 Cyborg-Programmgehirnen mit dem eigenen Kristallsensor war es bei Gilead allerdings zum sogenannten Turing-Sprung gekommen. Er hatte eine echte künstliche Intelligenz entwickelt und war eigenen Angaben nach zu Emotionen fähig. Im Februar 2059 hatte er die vollen Bürgerrechte verliehen bekommen und war seitdem juristisch gesehen eine voll geschäftsfähige Person mit allen dazugehörenden Rechten und Pflichten.

Martin seufzte.

„Mach es kurz.“

„Ein Trupp Roboter passiert gerade die Luftschleuse. Ich nehme an, er wird eingesetzt, um die Roboter der Qalaak zu bekämpfen, die gegenwärtig die Wohnpyramide beschießen.“

„Das ist richtig, Gilead.“

„Ich weise ungern auf meine körperliche und geistige Überlegenheit hin, weil es oft als Angeberei ausgelegt wird. Andererseits denke ich, dass in dieser Situation ein Hinweis auf meine Fähigkeiten durchaus angebracht ist, schließlich ...“

„Gilead, wir unterhalten uns ein anderes Mal“, brach Takener den Dialog einfach ab.

„Moment!“, beharrte der Roboter. Und noch ehe Takener die Verbindung unterbrechen konnte, war der geschwätzige, wenn auch seelenvolle Roboter zur Sache gekommen. „Ich bestehe darauf, das Kommando über diese Operation zu übernehmen.“

Takener überlegte einen Moment.

Noch ehe er antworten konnte, fuhr der wortgewandte Gilead fort: „Sie können mir das nicht verweigern, Takener. Ich bin am besten für diese Aufgabe qualifiziert. Das nötige taktische Wissen habe ich längst in meine Datenspeicher meines Kristallsensors geladen.“

„Okay“, stimmte Takener zu. „Ich bin einverstanden. Unter einer Bedingung.“

„Wie lautet diese Bedingung?“

„Nach der hoffentlich erfolgreichen Beendigung dieser Aktion möchte ich nicht über die Überlegenheit robotischer Intelligenz über die Fähigkeiten der Menschen belehrt werden.“

„Wie schade“, bedauerte Gilead. „Gerade diesen Beweis zu führen war eine meiner Intentionen.“

„Hatte ich mir schon gedacht.“

Eine kurze Pause folgte.

„Ich gebe Ihnen das geforderte Versprechen“, erklärte Gilead anschließend. „Wenn auch schweren Herzens.“ Die wohlmodulierte Robotstimme hatte dabei einen beinahe feierlichen Klang.

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13

Gilead verließ die Schleuse und trat ins Freie. Das Gas, das die Umgebung verseuchte, war unsichtbar. Ob es auch geruchslos war, vermochte Gilead nicht zu sagen. Über einen Geruchssinn verfügte er nicht. Einer der wenigen Nachteile, die ich gegenüber der Ausstattung eines durchschnittlich begabten Bewohners des Planeten Erde habe, überlegte der Roboter, während er den Blick seiner Optik schweifen ließ. Ab und zu zoomte er verschiedene Punkte näher heran, um sie genauer betrachten zu können. Das Bildmaterial wurde in seiner Kristallsensorik aufgezeichnet und gegebenenfalls unter bestimmten Gesichtspunkten weiterverarbeitet.

Mit den anderen an dieser Operation beteiligten Robotern war Gilead über Funksignale direkt verbunden.

Kommunikation war ein wichtiger Faktor im Gefecht.

Zumindest hatte Gilead das dem Datenmaterial entnommen, das er sich einverleibt hatte. Der Roboter zweifelte nicht einen Augenblick daran, dass diese Behauptung auch der Wahrheit entsprach.

Gilead und seine Truppe von gut zwei Dutzend schweren Kampfrobotern umrundeten die Wohnpyramiden und gelangten schließlich auf jene Seite des großen Bauwerks, auf der nach wie vor erbittert gekämpft wurde. Immer wieder konzentrierten die angreifenden Roboter ihre Attacken auf ganz bestimmte Punkte in der Außenwand der Pyramide.

Hin und wieder wurden Explosivgeschosse abgefeuert. Sobald sie auf die Pyramidenwand auftrafen, detonierten sie und sprengten ganze Mauerstücke heraus.

Aber noch gab es keine Öffnung.

Er befahl den kegelförmigen Kampfrobotern, sich zu verteilen.

Das Risiko eines Treffers sollte auf diese Weise minimiert werden.

Einer der Raumjäger jagte im Tiefflug über jene Punkte hinweg, an denen die feindlichen Kampfmaschinen in Stellung gegangen waren. Geschickt nutzten die Roboter der Qalaak die Deckung durch Vegetation und Bodenunebenheiten. Zwei der Roboter wurden durch Strahlentreffer des Raumjäger ausgeschaltet.

Die Antwort der Qalaak-Roboter am Boden ließ jedoch nicht lange auf sich warten.

Sie nahmen den ultraschnellen Raumjäger sofort unter Beschuss. Ein Treffer erwischte ihn am Heck. Aber der Raumjäger flog mit eingeschaltetem Hyperraum. Sein Schutzschirm absorbierte die Attacken der Kampfroboter.

Der Raumjägerpilot zog seine Maschine herum.

„Keine Sorge, es ist alle in Ordnung!“, verkündete der Pilot etwas großspurig über Funk.

„Machen Sie keinen Unsinn, Scott!“, rief Martin Takener etwas irritiert ob der Sorglosigkeit, mit der der Raumjäger-Pilot vorging.

„Keine Sorge“, funkte Arly Scott zurück. „Wer mich abschießen will, muss erheblich früher aufstehen!“

Gilead erreichte in diesem Augenblick die Funkmeldung, dass die Außenwand der Pyramide jetzt an einer Stelle bedenklich zu bröckeln begann. Es konnte nur noch wenige Augenblicke dauern, bis die Angreifer den Durchbruch geschafft hatten und das Giftgas ungehindert ins Innere der Pyramide dringen konnte.

Die Bewohner der Pyramide selbst waren nicht in der Lage, ihre Wohnstätte zu verteidigen. Einige von ihnen hatten es versucht und waren auf den Balkonen in Stellung gegangen.

Sie hatten es allesamt mit dem Leben bezahlt. Ihre Körper waren leblos in sich zusammengesunken. Bei manchen von ihnen wirkte es so, als säßen sie noch immer in ihren Stellungen.

Vorwärts!, funkte Gilead den anderen Robotern. Er übermittelte ihnen ebenfalls per Funk die exakten Koordinaten jener Positionen, an die sie sich begeben sollten.

Die Aktion erfolgte perfekt koordiniert.

Die Roboter kamen aus ihrer Deckung.

Sie stürmten wild um sich schießend aus ihren Deckungen hervor und ließen einen wahren Feuerregen auf die Qalaak-Kampfmaschinen niedergehen. Explosivgeschosse wurden gezielt eingesetzt und blieben nicht ohne Wirkung. Mehrere der Qalaak-Roboter wurden durch Detonationen zerrissen.

Gilead ließ die ihm unterstehenden Kampfroboter eine Halbkreisformation bilden. Die letzten noch funktionsfähigen Kampfmaschinen der anderen Seite hatte sich auf einer nahen Anhöhe verschanzt. Innerhalb weniger Minuten hatten sie sich eingegraben und fanden auf diese Weise Schutz. Ihr Ziel, ein Loch in die Außenwand der Wohnpyramide zu sprengen, hatten sie noch immer nicht aufgegeben.

Immer wieder wurden ferngesteuerte Miniraketen abgefeuert, die exakt dieselbe Stelle in der Wand treffen mussten. Mit breit gestreutem Strahlenfeuer versuchten Gilead und seine Roboter die Geschosse abzulenken. Die Projektile wurden zwar nicht zerstört, aber die entstehenden elektromagnetischen Entladungen legten die Steuerung lahm. Mehr oder minder ziellos trudelten diese Explosivgeschosse dahin. Ihre Flugbahn wurde unberechenbar. Wo sie einschlugen, bildeten sich viele Meter breite Krater.

Aus der Luft gab es nach wie vor Unterstützung durch die Raumjäger. Die Piloten Fongheiser, Randor und Marlette flogen unermüdlich ihre Einsätze gegen die Kampfmaschinen der Qalaak. Allerdings mussten sie dabei höllisch auf der Hut sein. Vom Boden aus wurden sie immer wieder beschossen. Die Raumjäger flogen mit eingeschaltetem Hyperraumfeld, was sie vor den Attacken schützte. Der gezielte Beschuss durch Gilead' Kampfroboter und die Raumjäger führte schließlich zum Erfolg.

Der Beschuss von der Anhöhe aus erlosch.

„Wie sieht es mit der Außenwand der Wohnpyramide aus?“, erkundigte sich der Roboter über Funk bei den Raumjäger-Piloten.

Fongheiser gab ihm Auskunft.

„Die Außenwand hat gehalten“, erklärte er. „Es können höchstens kleinere Gasmengen durch die entstandenen Risse gedrungen sein.“

„Das ist gut“, sagte Gilead.

Der Beschuss von der Anhöhe aus war nun vollständig verebbt.

Gilead und seine Roboter kamen aus ihren Deckungen hervor und gingen auf den bisherigen Unterschlupf des Feindes zu.

„Achtung, passen Sie auf, Gilead“, meldete sich jetzt Tino Arrazolan, der Ortungsoffizier der NOVA GALACTICA. „Die Abtaster zeigen an, dass es noch leichte energetische Aktivitäten auf dem Hügel gibt.“

„Meine Instrumente bestätigen dies“, meldete sich Fongheiser.

„Ich danke Ihnen für die Warnung“, erwiderte Gilead. „Aber vergessen Sie nicht, dass ich keineswegs so verletzlich wie eine organische Lebensform – namentlich ein Mensch – bin.“

Weder Arrazolan noch Fongheiser erwiderten darauf etwas.

Es war einfach nicht der richtige Zeitpunkt, um Gileads Ansicht von der Überlegenheit künstlicher Intelligenz zu diskutieren. Der Roboter mit Seele sah sich selbst als eine höhere Stufe der Evolution an. Ein Wesen, dem zwar die Erde, Planet seiner Erschaffer, sehr am Herzen lag, der sich seinen Bewohnern jedoch haushoch überlegen wähnte.

Die Roboter von der NOVA GALACTICA erreichten den Hügelkamm.

Die Kampfmaschinen der Qalaak hatten sich teilweise bis zu einem Meter fünfzig tief in den Boden gegraben. Mit seinen eigenen Messinstrumenten spürte Gilead noch eine energetische Aktivität auf.

Sie stammte von einem Qalaak-Roboter, der versucht hatte, seine Grube zu verlassen und sich jenseits des Hügels in Sicherheit zu bringen.

Ein abgetrennter Greifarm zuckte noch hin und her.

Gilead empfand kein Mitleid, auch wenn er zu derartigen Emotionen durchaus in der Lage war.

Auch wenn der äußere Anschein dagegen sprach, so empfand er diese Roboter einfach nicht als seinesgleichen. Sie sind Maschinen, dachte er. Ich nicht.

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14

Martin Takener kontaktierte per Funk die Bewohner der Pyramide. Unter den dortigen Nugrou gab es viele Tote und Verletzte. Aber das waren Folgen der Kämpfe, die rund um das Bauwerk herum stattgefunden hatten. Giftgas war nicht ins Innere der Anlage gedrungen. Takener beschwor die Nugrou, die Pyramide bis auf Weiteres nicht zu verlassen.

„Ich möchte mich gerne draußen umsehen“, sagte Losig an Takener gewandt, als der Kontakt mit den Nugrou in der Pyramide wieder unterbrochen war.

„Meinetwegen. Aber nicht allein. Ein Trupp unserer Leute wird dich begleiten.“

„Ich sehe im Moment keinerlei Gefahr mehr. Die Qalaak-Roboter haben sich zurückgezogen und bislang scheinen die käferartigen Bestien keinerlei Anstrengungen zu unternehmen, diesen Ort zurückzuerobern.“

„Früher oder später werden sie eine erneute Attacke versuchen“, war Kulam überzeugt.

„Natürlich. Aber nicht im Moment.“

Tino Arrazolan meldete sich jetzt zu Wort.

„Wir haben jetzt eine komplette chemische Analyse der Giftsubstanz, die die Qalaak eingesetzt haben. Es handelt sich dabei offenbar um einen Stoff mit sehr komplexer Wirkungsweise. Danach ist zu vermuten, dass er für Qalaak keineswegs tödlich wirkt, während der Stoffwechsel der Nugrou außerordentlich empfindlich auf diese Substanz reagiert.“

„Was ist mit unserem Stoffwechsel?“, hakte Takener nach.

„Wir würden genau wie die Nugrou bereits bei geringsten Dosen sterben“, gab Arrazolan Auskunft. „Allerdings ist dieser Giftstoff offenbar so beschaffen, dass er sich relativ rasch wieder zersetzt. Offenbar ist das blaue Licht von Urfo dafür verantwortlich. Unsere Wissenschaftler sind sich wohl noch nicht ganz einig darüber, welche Strahlungskomponente die Zersetzung letztlich bewirkt. Tatsache ist, dass die Giftkonzentration rapide absinkt.“ Arrazolan wandte sich an Losig und erklärte: „Warten Sie noch eine Viertelstunde, und Sie können ohne Schutzanzug hinaus.“

„Das reicht gerade, um ein Außenteam zusammenzustellen“, meinte Takener an Losigs Stelle.

„Ja“, murmelte der Nugrou leise. Seinem Ronald-Smith-Gesicht war noch immer überdeutlich anzusehen, welche Gedanken in beherrschten: Wut und Rache.

„Nehmen Sie einige Cyborgs mit“, riet Takener. „Und vielleicht jemanden mit medizinischen Kenntnissen. Unam Shaka zum Beispiel. Wenn die Qalaak gegen das Gift immun waren und der Großteil der Toten nicht im Gefecht gefallen ist, lässt das eigentlich nur einen Schluss zu.“

Losig nickte.

Die Miene seines menschlichen Gesichts hellte sich etwas auf.

„Die Sporen!“, stieß er dann hervor. „Ich hatte schon befürchtet, dass sie nicht wirken!“

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15

Als die Toxizitätswerte der Atmosphäre es zuließen, ging Losig mit seinem Außenteam ins Freie.

Ein Trupp von terranischen Raumsoldaten gehörte dazu. Er wurde durch Leutnant Diego Hill kommandiert. Außerdem gehörten noch der Biochemiker Leon Laudan und die Cyborgs Anna Brent und Lati Shutoa zur Gruppe.

Als die anderen bereits die Hauptschleuse der NOVA GALACTICA verlassen hatten, folgte noch eine weitere Person.

Unam Shaka.

Der Afrikaner war Arzt, Bioniker und Funkspezialist. Auf Grund der Tatsache, dass er über eine stark ausgeprägte parapsychische Begabung der Hypnosuggestion verfügte, hielt er seinen Blick zumeist gesenkt und vermied es, seine Mitmenschen anzusehen. Jemand, der ihn nicht gut genug kannte, konnte dies unter Umständen als abweisendes Verhalten missdeuten.

Shaka holte rasch auf.

Losig führte die Gruppe an.

In der Umgebung rund um die Wohnpyramiden stand die von Gilead angeführte Roboteinheit auf ihrem Posten, während die Raumjäger inzwischen zu einem anderen Einsatzort geeilt waren, um die Nugrou zu unterstützen.

Gilead selbst ging der Gruppe entgegen.

„Ein bestialischer Gestank ist das“, meinte Leutnant Hill und verzog das Gesicht.

„Der Leichengeruch der zerfallenden Qalaak-Körper“, stellte Losig grimmig fest. Tatsächlich hatte sich bei den meisten toten Qalaak die physische Form teilweise aufgelöst. Die eigentlich gegen jedweden Verwesungsprozess extrem resistenten Exoskelette befanden sich offenbar in einem sehr schnell voran schreitenden Verfallsprozess. Ein Prozess der nur Folge der Infektion mit Pilzsporen sein konnte.

Leon Laudan nahm ein paar Proben, um das einwandfrei im Labor nachweisen zu können.

„Wir haben keinerlei Vergleichsdaten darüber, wie schnell sich diese Sporen ausbreiten werden“, stellte Unam Shaka an Losig gerichtet fest.

Dieser verzog sein Ronald-Smith-Gesicht zu einer Grimasse.

„Ich hoffe, möglichst schnell!“, gestand er.

Seinen Hass auf die Qalaak konnte er nicht einmal im Angesicht ihrer Toten verbergen. Er machte auch gar nicht erst den Versuch.

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16

Etwa zur gleichen Zeit meldete die Funk-Z der NOVA GALACTICA das Eintreffen einer Botschaft des planetaren Militärkommandanten der Qalaak.

„Hören wir uns an, was er zu sagen hat“, meinte Takener.

„Würde mich schon sehr wundern, wenn das ein Friedensangebot wäre“, ergänzte Don Ryder.

Eine Nebensphäre wurde aktiviert.

Der obere Teil eines käferartigen Qalaak wurde sichtbar. Die Beißwerkzeuge rieben sich gegeneinander und erzeugten dabei ein schabendes, schwer erträgliches Geräusch.

Dann folgten die ersten Laute in der harten, mit vielen scharf klingenden Knack- und Zischlauten durchsetzten Sprache der Qalaak.

„Hier spricht Srrwsk-Trrss, planetarer Militärbefehlshaber dieses Planeten, den die niederträchtigen Nugrou Yope zu nennen pflegen“, übersetzte das Translatorprogramm des KI-Masters. „Aber die Rache wird folgen. So wahr ich hier stehe. Noch triumphiert ihr. Noch freut ihr euch darüber, dass die Qalaak auf diesem Planeten dank des feigen Einsatzes biologischer Waffen dem Untergang geweiht sind.“ Srrwsk-Trrss machte eine Pause. Seine Fühler vollführten einige Bewegungen, die Martin Takener spontan als unkontrolliert einordnete, auch wenn er natürlich so gut wie keine Ahnung davon hatte, wie ein Qalaak sich normalerweise zu bewegen pflegte.

Ihm fiel eine Stelle am Oberkörper auf. Eine bläuliche Verfärbung hatte sich dort anscheinend in den Chitin-Panzer hineingefressen. Erste Folgen der Pilzinfektion?, ging es dem Commander durch den Kopf.

Im nächsten Augenblick gab der Kommandant selbst darauf eine Antwort.

„Auch ich bin bereits ein vom Tode Gezeichneter. So wie alle anderen meiner Art, die sich zur Zeit auf der Oberfläche dieses vielfach verdichteten Materieklumpens befinden, der die panzerlosen Nugrou hervorbrachte – in ihrer Ursprungsgestalt nichts weiter als Abbilder des primitivsten Lebens, kurz nachdem es aus der Aminösäurenpfütze einer planetaren Ursuppe kroch ...“

Wieder folgte eine Pause.

Der Qalaak stieß einen röchelnden Laut hervor, den das Translatorprogramm nicht zu übertragen wusste.

„Wirkt fast so, als hätte er Atemnot“, meinte Tino Arrazolan.

Der Qalaak fuhr nach kurzer Pause fort.

„Ihr habt es gewagt, euch gegen die Verehrten aufzulehnen. Ihr habt versucht, uns auszurotten, aber dafür wart ihr nicht schnell genug. Mag sein, dass für uns keine Hoffnung mehr besteht. Euch aber werden wir mit in den Tod reißen. Jeder Nugrou auf diesem Planeten soll dafür büßen. Keiner von ihnen wird übrig bleiben, sobald die Nacht anbricht ...“

Im ersten Moment überlegte Takener, es vielleicht nur mit den hasserfüllten Ausgeburten eines Befehlshabers zu tun zu haben, der jede Chance auf ein Überleben oder gar einen Sieg seiner Seite wohl oder übel hatte aufgeben müssen. Das Geschwätz eines Individuums, das dem Tode näher war, als dem Leben. Aber was dann kam, ließ allen, die sich in der Zentrale der NOVA GALACTICA befanden, das Blut in den Adern gefrieren.

Es waren keineswegs nur leere Drohungen, die der Qalaak-Kommandant durch den Äther schleuderte.

Srrwsk-Trrss hatte noch einen grauenhaften Trumpf in der Hand, den der vom Tode Gezeichnete jetzt mit Genuß ausspielte. Selbst die Sprachbarriere und die Unzulänglichkeiten des Translatorprogramms filterten nichts davon heraus.

„Der Tod wird die Nugrou ereilen, sobald die Nacht hereinbricht. Im Orbit von Yope befindet sich eine ausreichende Anzahl von Satelliten, die mit Giftgas gefüllt sind. Ich werde diese Satelliten koordiniert zünden und in die Atmosphäre stürzen lassen. Die Zündung erfolgt immer so, dass in der betreffenden Zeitzone gerade die Nacht hereinbricht. Das Gift zersetzt sich unter der blauen Strahlung Urfos. Aber die Nacht ist lang genug, um allen Nugrou den Tod zu bringen. Selbst durch die feinen Ritzen eurer Wohnpyramiden wird sich das Gift in dieser Zeit einschleichen. Niemand wird seinem Schicksal entgehen.“

Der Qalaak rieb die Beißwerkzeuge aneinander und erzeugte dabei ein besonders schrilles und unangenehmes Geräusch. Seine vorderen Extremitäten klopften gegen den chitingepanzerten Oberkörper. Auch dieser Laut war außerordentlich durchdringend.

Vielleicht ist das sein Pendant zu einem höhnischen Gelächter, überlegte Takener.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Einige Augenblicke lang herrschte betretenes Schweigen.

„Leider haben wir keine Möglichkeiten, Milliarden Nugrou zu evakuieren“, meinte Takener. „Aber wir könnten immerhin Warnbotschaften per Funk an die zuerst betroffenen Gebiete abstrahlen.“

„Damit sie buchstäblich vor dem Einbruch der Nacht fliehen?“, fragte Ryder zweifelnd.

„Sie ahnungslos in den Tod gehen zu lassen ist noch viel grausamer, als sie auf eine ungewisse und chaotische Flucht zu schicken, auf der sie ebenfalls Opfer der Qalaak werden können.“ Takener atmete tief durch. „Wir werden tun, was wir können – aber niemand kann den Nugrou garantieren, dass es uns noch gelingt, diesen Wahnsinn zu stoppen!“

Schließlich ergriff Kulam das Wort.

„Ich weiß, wo sich die Satellitensteuerung befindet“, behauptete er.

Takener hob erstaunt die Augenbrauen.

Damit hatte er nicht gerechnet.

„Die Verbindungen eurer Widerstandsorganisation müssen ja wirklich weitreichend sein“, stellte der Terraner fest.

„Wir wissen jedenfalls, wo sich die Kommandozentrale der Qalaak auf Yope befindet. Dort gibt es einen Großrechner, der die nötigen Kapazitäten hat, um eine derart koordinierte Steuerung der Gift-Satelliten vorzunehmen.“

Kulam trat an eine der Konsolen in der Zentrale der NOVA GALACTICA. Sein amöbenartiger Körper bildete ein Tentakel aus, das sich wiederum vielfach verzweigte. Diese Pseudofinger glitten über das Terminal. Eine Projektion wurde aktiviert. Sie zeigte eine Holographie des Planeten Yope. Kulam sorgte dafür, dass eine bestimmte Stelle rot markiert wurde. Sie lag an einem ausgedehnten See auf einer Hochebene. „Hier liegt das Kommandozentrum. Es ist natürlich mit den größtmöglichen Sicherheitsmaßnahmen geschützt, die man sich nur vorstellen kann. Die Anlagen erstrecken sich angeblich viele Stockwerke tief in den Untergrund.“

„Die meisten Qalaak werden jetzt im sterben liegen“, stellte Don Ryder fest.

Kulam zog sein Tentakel zurück und integrierte es wieder in seinen Amöbenkörper.

„Das heißt nicht, dass wir nicht mehr mit Widerstand zu rechnen hätten“, sagte Kulam. „Sie alle haben doch gehört, was dieser Kommandant uns gerade entgegengeschleudert hat. Die Qalaak haben jetzt nichts mehr zu verlieren. So lange noch einer von ihnen am Leben ist, werden sie uns mit letzter Kraft bekämpfen und dafür sorgen, dass ihr Vernichtungsplan in die Tat umgesetzt wird.“

„Ich befürchte, da hast du Recht, Kulam“, musste Takener zugeben.

Kulam fuhr fort: „Davon abgesehen müssen wir damit rechnen, dass die Anlage vor allem durch robotische Verteidigungsvorrichtungen gesichert ist. Kampfroboter, wie sie uns hier begegnet sind, dürften da noch zu den harmlosesten Überraschungen zählen.“

„Und die Roboter der Qalaak werden durch die Sporen wohl kaum in Mitleidenschaft gezogen“, mischte sich der Neu-Römer Slimane ein. Er wandte sich an Takener. „Ich glaube, dass Roboter eine Chance hätten, bis zu diesem Superrechner vorzudringen, der die Giftsatelliten steuert.“

Don Ryder war derselben Ansicht. „Immerhin wären sie nicht durch die Giftattacken zu stoppen, mit denen wir nach wie vor rechnen müssen.“

„Die Qalaak haben uns ja offen angekündigt, was sie vorhaben“, sagte Coolidge. „Wir müssen damit rechnen, dass die ersten Attacken durch die Giftsatelliten bereits beginnen, bevor wir den Rechner ausschalten können.“

„Schicken Sie Gilead“, riet Slimane. Er sah Martin Takener mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Ich habe die Aktion vorhin, bei der er das Kommando führte, sehr genau beobachtet. Das war eine sehr gut koordinierte Aktion. Und ich denke, es ist allemal besser, jemanden mit dieser Mission zu betrauen, der eine Persönlichkeit besitzt, als eine reine Maschine, die lediglich stur ihr Programm ausführt.“

Dieses Argument leuchtete Takener ein.

Er atmete tief durch.

„Wenn er Erfolg hat, wird Gilead darin wieder mal einen Beweis für seine evolutionäre Überlegenheit sehen“, sagte Takener.

„Diesen Triumph solltest du ihm dann auch gönnen, Martin“, meinte Don Ryder.

Takeners Reaktion bestand aus einem verhaltenen, etwas matten Lächeln.

Die Situation war einfach zu ernst.

Takener stellte eine Verbindung zur Funk-Z her.

„Hier Sirrom“, meldete sich der diensthabende Funker.

„Rufen Sie Gilead her. Sofort.“

„In Ordnung, Sir.“

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17

Wenig später kehrte Gilead an Bord der NOVA GALACTICA zurück. Takener, Kulam und Ryder empfingen ihn in einem der Konferenzräume. Es handelte sich um einen recht kahlen, sehr funktionell eingerichteten Raum, dem jeder unnötige Luxus fehlte.

In knappen Worten erläuterte Takener dem Roboter, was seine Aufgabe war. Zusammen mit neun weiteren Robotern sollte er mit fünf Raumjägern die planetare Kommandozentrale der Qalaak aufsuchen und die Zündung der Giftsatelliten zu verhindern versuchen.

„Traust du dir das zu, Gilead?“

„Ich frage mich allen Ernstes, wie daran überhaupt jemand zweifeln kann“, ereiferte sich der sogenannte Roboter mit Seele. „Ich weiß sehr wohl um die Risiken und behaupte, dass ich sie objektiver einzuschätzen weiß, als jeder andere hier an Bord. Vom KI-Master vielleicht einmal abgesehen. Im Übrigen grenzt die übertriebene Fürsorge, mit der ich hier behandelt werde, bereits an Diskriminierung.“

„Diskriminierung?“, fragte Takener etwas verwirrt.

„Ich habe das Gefühl, als Person nicht ganz für voll genommen zu werden.“

„Gilead, das ist nicht wahr!“

„Sie selbst haben mir zwar die Urkunde überreicht, in der meine Bürgerrechte schriftlich fixiert sind, aber ich muss sagen, dass Ihr Verhalten mir gegenüber dazu manchmal im Widerspruch steht.“

Takener wollte etwas erwidern, aber Don Ryder lag ganz offensichtlich daran, die Diskussion abzukürzen.

„Wir wünschen dir viel Glück, Gilead!“

„Und ich wünsche, dass meine überlegenen Fähigkeiten endlich anerkannt werden. Manche hier an Bord scheinen in mir noch immer einen Billig-Butler zu sehen. Aber ich darf versichern, dass ich ...“ Er brach ab. In seiner Optik blinkte etwas auf. Takener fragte sich, was das zu bedeuten hatte. Gilead machte eine ruckartige Bewegung. Die Optik war jetzt auf Takener gerichtet.

Zu behaupten, er hätte einen nachdenklichen Blick, wäre jetzt wohl sicher unangebracht, überlegte der Commander. Aber vielleicht hat er ja gemerkt, dass uns allen im Moment auf die Nerven geht.

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18

Wenig später starteten fünf Raumjäger aus den Hangars der NOVA GALACTICA. Sie aktivierten ihr Hyperraumfeld und durchdrangen die Außenhaut des Orbis-Raumers. Jeder Raumjäger war mit zwei robotischen Piloten bemannt.

Von Gilead abgesehen handelte es sich um die modernsten Kampfroboter vom Kegel-Typ. Sie trugen die Seriennummern B-123 bis B-131.

Die Raumjäger jagten dem von Qalaak besiedelten Areal auf der Planetenoberfläche entgegen.

Gegenwärtig lag das Gebiet auf der Nachtseite Yopes.

Langsam aber sicher kroch die Dämmerungszone jedoch weiter über Yopes Oberfläche. Sie näherte sich den von den Nugrou überwiegend besiedelten Landstrichen.

Mit der Nacht kam der Tod.

Gilead war sich bewusst, dass nur wenig Zeit blieb, um das Ziel der Mission zu erreichen.

Die Kristallsensorik des Roboters arbeitete auf Hochtouren.

Alles, was es an Daten über die Qalaak-Gebiete Yopes gab, war in seine internen Speicher runtergeladen worden. Was er tatsächlich am Zielort vorfinden würde, wusste er natürlich nicht.

Die Raumjäger flogen über weite Gebiete, in denen die Spuren brutaler Kämpfe unübersehbar waren. Überall konnte man die Einschlagkrater gewaltiger Bomben sehen, die mit Lenkwaffen ihre Ziele fanden. Energiestrahlen hatten ganze Landstriche niedergebrannt.

Die Kämpfe waren größtenteils abgeflaut. Nur noch vereinzelt waren Qalaak auf den Beinen. Hier und da gab es allerdings noch Einheiten von Kampfrobotern, die aktiv waren und sich mit Nugrou Gefechte lieferten.

Die Tatsache, dass mir das Kommando über diese Mission überlassen wurde, könnte ein Zeichen dafür sein, dass ich inzwischen doch in einem weit höheren Maß als Person akzeptiert werde, als ich bisher annahm, überlegte Gilead.

Zur gleichen Zeit traf in der Zentrale der NOVA GALACTICA eine Meldung ein, die alle zutiefst schockierte.

Das Gesicht von Kapitän John Martell erschien auf einem Bildschirm.

„Was gibt es, Kapitän Martell?“, fragte Takener.

Er sah dem ernsten Gesicht des Kommandanten bereits an, dass es sich nur um eine schlechte Nachricht handeln konnte.

„Ich habe die traurige Pflicht Ihnen mitzuteilen, dass die BONDAVA unter dem Kommando von Kapitän Charlie Pandajana durch einen Angriff der Qalaak-Schiffe zerstört wurde.“

Martin Takener schluckte.

Irgendwann hatte es ja dazu kommen müssen. Bislang war die Flotte der 31 von Verlusten verschont geblieben, aber dieser Zustand hatte natürlich nicht ewig andauern können. Nicht, wenn man sich auf einem Flug mitten in ein galaktisches Kriegsgebiet befand.

„Gibt es Überlebende?“, hakte Takener nach.

Seine Stimme klang belegt.

John Martell nickte leicht.

„Ja, Sir. Die RABAT hat sie aufgenommen. Es sind aber nicht viele.“

„Verstehe.“

„Ansonsten konnten wir bisher einen Durchbruch der Qalaak wirksam verhindern. Unsere Lage ist einigermaßen stabil, und wir tun unser Bestes.“

„Das weiß ich, Kapitän Martell“, versicherte Takener.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Takener nahm mit Janos Sandolval, dem Kommandanten der RABAT Kontakt auf und erfuhr, dass insgesamt 34 Besatzungsmitglieder der BONDAVA gerettet werden konnten. Charlie Pandajana war nicht unter ihnen.

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19

Der Bergsee wirkte aus der Höhe wie ein blaues Auge. Das Licht Urfos spiegelte sich in ihm. Am südwestlichen Ufer des Sees befand sich ein Kuppelbau.

„Diese Kuppel scheint den Daten unserer Abtaster nach der einzig sichtbare Teil der Kommandozentrale zu sein“, berichtete Gileads Co-Pilot, ein Kampfroboter mit der Serienbezeichnung B-123.

Alle an der Operation teilnehmenden Roboter waren durch Kommunikationskanäle so miteinander verbunden, dass alle Gespräche von der gesamten Gruppe mitgehört werden konnten.

Schnelle, problemlose und vor allem in der Regel auch unmissverständliche Kommunikation.

Ein weiterer Vorteil, den der Roboter dem Menschen voraus hatte, wie Gilead fand. „Was ist mit Lebenszeichen der Qalaak?“, fragte Gilead.

„Bio-Impulse der Insektoiden sind nur vereinzelt noch aufzuspüren. Dann aber auch nur sehr schwach.“

„Scheint so, als würden sie entweder schon allesamt tot sein oder im Sterben liegen“, stellte Gilead fest, der sich die entsprechenden Daten auf die Anzeige seiner Konsole geholt hatte.

„Das ist eine Spekulation“, stellte B-123 fest.

„Natürlich. Streng genommen hast du Recht“, gestand Gilead zu.

Er wusste aus Erfahrung, dass es vollkommen sinnlos war, mit Kampfrobotern dieses Typs ein vernünftiges Gespräch führen zu wollen, das über den reinen Austausch an Informationen hinausging. Dazu waren diese Maschinen einfach nicht in der Lage. Sie übermittelten Daten, der Empfänger hatte dann dafür zu sorgen, dass diese Daten einwandfrei weiterverarbeitet wurden.

Für alles, was darüber hinaus ging, hatten die Roboter kein Sensorium.

Ganz anders Gilead.

Er hatte den sogenannten Turing-Sprung hinter sich und eine eigene Persönlichkeit entwickelt. Dazu gehörte auch die Fähigkeit, Emotionen zu empfinden. Auch wenn er des Öfteren mit den sozialen Gepflogenheiten der Menschen in Konflikt geriet oder Situationen schlicht und einfach missverstand, so fühlte er sich doch den Menschen näher als Maschinen wie B-123.

Noch sind es nur wenige von uns, die den Turing-Sprung hinter sich haben. Aber eines Tages werden wir zu einer neuen Art werden, war er überzeugt. Eine Art, die die Nachfolge der Menschheit oder anderer intelligenter und auf organischem Stoffwechsel beruhenden Spezies antreten könnte.

Nach Gileads tiefverwurzelter Auffassung, grenzte die Entwicklung von Intelligenz bei organischen Lebensformen ohnehin an ein Wunder, wenn man die aus seiner Sicht höchst ineffektive Datenspeicherung in organischem Gewebe bedachte. In Gehirnen zum Beispiel.

B-127 meldete sich über Funk aus seinem Raumjäger.

„Ich orte Richtfunksignale, die offenbar eine Verbindung zu den im Orbit befindlichen Satelliten darstellen.“

„Entschlüsselung möglich?“

„Nicht mit unseren Rechner-Kapazitäten. Ich schlage vor, die Signale an die NOVA GALACTICA zu überspielen.“

„Einverstanden“, meinte Gilead.

Er war überrascht.

Ein erstaunlich kreativer Vorschlag für eine Maschine ohne Persönlichkeit. Aber wer konnte schon exakt sagen, wo da die Grenze lag? Die Grenze zwischen dem Anschein von Kreativität und tatsächlicher Intelligenz mit persönlicher Note.

„Ich schlage eine Landung auf dem Vorplatz des Kuppelbaus vor“, sagte B-123.

„Lässt sich die genaue Lage des Zentralrechners ungefähr lokalisieren?“, fragte Gilead.

„Negativ“, erwiderte Gileads Co-Pilot B-123.

Plötzlich blitzte etwas auf.

Eine grünlich schimmernde Aura aus Licht umgab jetzt den Kuppelbau.

Offenbar war ein Schutzschirm aktiviert worden.

„Wir werden angegriffen“, sagte B-123. „Aufgezeichnete Energiesignaturen deuten auf die Inbetriebnahme verschiedener Waffensysteme.“

Im nächsten Moment schossen Energiestrahlen aus verschiedenen Öffnungen in der Kuppeldecke heraus. Offenbar gab es ein automatisches Verteidigungssystem, das die Anlage schützte.

„An alle! Ausweichmanöver fliegen!“

Der Raumjäger wurde zunächst von den Energiestrahlen durchdrungen. Das Hyperraumfeld schützte das Kleinstraumschiff allerdings. Es befand sich in einem anderen Kontinuum. Dieser Zustand schützte vor den Wirkungen der meisten Waffensysteme und ermöglichte den Flug durch feste Materie.

„Hyperraumfeld wurde um zwanzig Prozent geschwächt“, erklärte B-123 in seiner unnachahmlich sturen Art.

Er ist ja nur so etwas wie die Illusion eines Begleiters, dachte Gilead. Der Anschein von Persönlichkeit und Leben. Andererseits war ich auch einmal so ein seelenloses Ding, das nicht viel mehr als ein hochkomplexes Werkzeug darstellte. Was hat letztlich den Unterschied ausgemacht? Ein unpassender Moment, um darüber nachzudenken.

Gilead steuerte den Raumjäger aus der Gefahrenzone.

„An alle! Es wird nicht gefeuert. Wir ziehen uns zurück und versuchen den Projektor des Schutzschirms zu finden“, bestimmte der robotische Kommandant dieser Mission.

Von den anderen Raumjäger kam eine Bestätigung nach der anderen.

„Feldgenerator ist lokalisiert“, meldete wenig später B-124, nachdem die Raumjäger einen Bogen um den Kuppelbau geflogen und sich kurzzeitig außer Schussweite gebracht hatten.

„Die Daten sollen an alle Einheiten übermittelt werden“, befahl Gilead.

B-124 schien es für seine Pflicht zu halten, sich noch einmal zu Wort zu melden.

„Bei der Lokalisierung des Generators gibt es eine gewisse Unsicherheit, die bei dreißig Prozent liegt. Allerdings weisen die angemessenen Energiesignaturen eine Übereinstimmung mit ...“

„Ist schon gut“, gab Gilead zurück. Er war ziemlich genervt. „Konzentriertes Feuer auf den Generator – oder was immer es auch sein mag, was da angemessen wurde!“

Gilead konnte nur hoffen, dass es nicht der Rechner war.

Schließlich wusste niemand, was für Teufeleien sich die Qalaak kurz vor ihrem endgültigen Untergang noch ausgedacht hatten.

Möglicherweise war ein Programm installiert worden, das im Falle eines massiven Angriffs, der die Zerstörung des Zentralrechners zur Folge haben konnte, dafür sorgte, dass die Gift-Satelliten sofort scharf geschaltet wurden.

In dieser Hinsicht war den Qalaak alles zuzutrauen.

Aber ein gewisses Risiko musste man einfach eingehen.

Gilead ahnte, dass er auf andere Weise hier nicht ans Ziel kam, so sehr er ansonsten auch statistisch zuvor genau abgewogene Vorgehensweise eigentlich bevorzugte.

Eigentlich.

Manchmal war einfach nicht die Zeit dafür.

Die unter Gileads Kommando stehenden Raumjäger feuerten mit konzentrierten Spicastrahlen auf die Stelle, die B-124 lokalisiert hatte. Sie lag auf der Nordseite der Kuppel, ein Bereich mit deutlich erhöhter energetischer Aktivität.

Offenbar funktionierte das Abwehrsystem der Kuppel nicht mehr ganz so, wie es hätte sein sollen. Vielleicht war auch keiner der Erbauer je auf den Gedanken gekommen, dass die Anlage sich vielleicht irgendwann einmal tatsächlich selbst verteidigen musste.

An Qalaak-Soldaten hatte ja niemals in der Geschichte dieses Volkes ein Mangel bestanden.

Ihre enorme Vermehrungsrate sorgte dafür.

Der schimmernde Schutzschirm zerplatzte mit einer grellen Lichterscheinung. Die robotisch gesteuerten Strahlgeschütze wurden anschließend durch gezielten Punktstrahl ausgeschaltet, ohne größere Zerstörungen im Gebäudekomplex zu verursachen.

Schutzlos lag das Kommandozentrum der Qalaak vor ihnen.

„Unsere Ortungsgeräte werden durch Abstrahlungen aus der Tiefe der Kommandozentrale teilweise außer Funktion gesetzt“, stellte B-127 fest.

„Nur der Verlass auf die eigenen Fähigkeiten bringt einen weiter“, erklärte Gilead.

Einen Menschen oder einen Roboter?, ging es ihm anschließend durch den Kopf. Vielleicht galt das für beide gleichermaßen.

Im Sturzflug steuerte Gilead nun seinen Raumjäger auf den Kuppelbau zu.

Die anderen Einheiten folgten ihm.

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20

Im Hyperraumflug durchdrangen die Raumjäger das Kuppeldach. Sie bremsten ab und flogen beinahe senkrecht in die Tiefe.

„Ortungssysteme werden noch immer von Strahlungsfeldern gestört“, meldete B-123.

„Kann es sein, dass diese Felder ganz bewusst aktiviert wurden, um Eindringlingen den Zugang zum Zentralrechner zu erschweren?“, war Gileads Vermutung.

„Diese Hypothese hat eine gewisse Wahrscheinlichkeit“, gab B-123 zu.

Offenbar war die Maschine nicht in der Lage, sich in die Situation eines Individuums hineinzuversetzen, das seinem Tod entgegensah und nur ein einziges Ziel hatte: Möglichst viele seiner Feinde mit ins Verderben zu reißen.

Genau das war die Motivation der letzten Qalaak auf Yope gewesen.

Man muss wohl eine Seele haben, um sich in so eine Lage hineinversetzen zu können, ging es Gilead durch die zentrale Kristallsensorik. Wenn auch nicht notwendigerweise die Seele eines Qalaak ...

Die Abtaster zeigten einen großen Hohlraum in etwa fünfzig Meter Tiefe unter der Oberfläche an. Unter normalen Umständen hätte die Ortung das schon in größerer Distanz anzeigen müssen, aber die Störfelder hatten dies wohl verhindert.

Gleichzeitig war ganz in der Nähe dieses Hohlraums eine Energiesignatur anmessbar. Sie war nur sehr schwach, und Gilead hatte sofort den Eindruck, dass sie künstlich bedampft worden war.

Die Signatur selbst war typisch für komplexe Rechnersysteme der Qalaak, wie sie unter anderem in den Verwaltungszentren auf Yope zu finden waren.

Gilead wies sämtliche Raumjäger an, in den angemessenen Hohlraum zu fliegen und dort zu landen.

Mit eingeschaltetem Brennkreis drangen die Zwei-Mann-Raumschiffe durch die Decke einer gewaltigen Halle. Augenblicke später wurden die Hyperraumfelder abgeschaltet, und die Raumjäger landeten in koordinierter Pentagon-Formation auf dem Boden.

Gilead stieg als erster aus seinem Raumjäger. Seine Roboter folgten kurz darauf. Ihre schussbereiten Blastermündungen richteten sich nach allen Seiten. Aber nirgends schien es noch jemanden zu geben, der dieses Machtzentrum der Qalaak verteidigte.

Tote Insektoide lagen überall auf dem Boden verstreut herum. Manchen von ihnen war anzusehen, welchen Todeskampf sie durchgemacht hatten. Die Extremitäten waren verrenkt. Die Pilzsporen hatten ihre Chitin-Panzer infiziert und zum Teil bereits aufgelöst.

„Keinerlei Bio-Impulse von Qalaak mehr messbar!“, meldete B-129. „Irgendwelche Anweisungen?“

Gilead antwortete nicht sofort. Er blickte sich um.

Mehrere Gänge führten sternförmig von der Halle weg.

Gilead hatte außer einem Blaster auch ein mobiles Ortungsmodul bei sich, das mit seiner Kristallsensorik über eine Funkschnittstelle verbunden war.

„Drei von euch bleiben hier und bewachen die Raumjäger“, bestimmte Gilead. „Die anderen folgen mir.“

Gilead versuchte herauszufinden, wo der Ursprung der Energiesignaturen lokalisiert werden konnte. „Es scheint tatsächlich ein massives Dämpfungsfeld zu existieren“, meinte Gilead.

Ein für menschliche Ohren kaum hörbares Geräusch ließ Gilead den Roboterkopf mit der Optik nach recht drehen.

Die Decke war durchsetzt mit Leuchtelementen. Ein Muster aus Licht und Schatten entstand dadurch. Aus einer der Schattenzonen schnellte etwas hervor, kaum so groß wie eine Fingerkuppe.

Eine Drohne.

Die Verteidigungsanlagen des Rechnerkomplexes waren offenbar noch intakt und darauf programmiert, Eindringlinge auszuschalten.

Weder ein menschliches Auge noch das Wahrnehmungsvermögen eines Nugrou hätten ausgereicht, um die Drohne rechtzeitig zu bemerken.

Gileads Hochleistungsoptik hingegen nahm die Gefahr sofort wahr. Der Roboter riss den Lauf seines Blasters empor, feuerte mit breit gestreutem Energiestrahl auf das Objekt.

Die Drohne schoss im selben Moment ebenfalls einen Energiestrahl ab. Er traf B-129, dessen innere Kristallsensorik sofort ausfiel. Scheppernd krachte der Blechkörper auf den harten Untergrund, während die Drohne zu Boden trudelte. Sie war offenbar noch aktiv, aber nicht mehr flugfähig.

Ein Energiestrahl zischte aus ihr heraus, fegte über den Boden und sengte in einer Höhe von zwei Handbreit in die Wand hinein, ohne eine sichtbare Wirkung zu erzielen. Die Materialien, aus denen die Anlage erbaut war, schien besonders widerstandsfähig zu sein. Auf Grund der Störfelder hatten die Ortungssysteme der Raumjäger nur unzureichende Informationen über die chemische Zusammensetzung geliefert.

Mit einem zweiten Schuss schaltete Gilead die Drohne endgültig aus.

Sie würden auf der Hut sein müssen.

Spätestens jetzt war das allen an der Mission beteiligten Kampfrobotern klar.

Ihre Subroutinen wurden automatisch an neue Gegebenheiten und Gefahren angepasst.

Gilead erhielt einen Warnimpuls.

Er erreichte ihn direkt über Funk. Nicht ein einziges Wort musste dafür gewechselt werden.

Gilead wirbelte herum.

Seine Bewegungen waren jetzt von einer Schnelligkeit, die weit über das hinausging, was man normalerweise von einem Modell der Billig-Butler-Klasse gewohnt war.

Dicht an Gilead vorbei zischte ein Energiestrahl.

Gerade noch rechtzeitig war er der Gefahr ausgewichen. Gilead hob den Blaster. Seine Optik hatte den winzigen Feind längst anvisiert. Er feuerte einen Blasterstrahl ab, der breit genug gestreut war, um plötzlichen Ausweichmanövern zuvor zu kommen.

Die Drohne fiel zu Boden.

Weitere dieser ferngelenkten Todesbringer drangen aus verschiedenen Öffnungen in der Hallendecke. Die terranische Kampfroboter hatten sich inzwischen auf die Bedrohung perfekt eingestellt.

Sie registrierten bereits die Energiesignaturen und Funkwellen, die von den Drohnen zur Kommunikation mit dem Zentralrechner benutzt wurden, sodass die winzigen Gegner schon ausgeschaltet werden konnten, kurz nachdem sie aus ihren Löchern kamen.

Per Funk wurden Warnsignale untereinander ausgetauscht.

Die Roboter regierten blitzschnell.

Die letzten Abwehrdrohnen der Qalaak schafften es nicht einmal mehr, ihre Depots zu verlassen, geschweige denn einen Schuss abzugeben.

Schließlich war Ruhe.

Entweder hatte der Zentralrechner begriffen, dass diese Eindringlinge so nicht zu bekämpfen waren, oder die Drohnendepots waren schlicht und ergreifend leer.

Wir müssen uns jetzt beeilen, erkannte Gilead. Schließlich konnte niemand ahnen, was sich die Qalaak kurz vor ihrem Ende noch an Schikanen ausgedacht hatten.

Gilead bewegte sich an der Spitze des Roboter Trupps auf einen Ausgang zu, der in westliche Richtung führte. Ein zischendes Geräusch ertönte.

Gilead blieb kurz stehen. Den Anzeigen seines Ortungsmoduls nach veränderte sich die Zusammensetzung der Atmosphäre.

„Die Anlage wird mit Giftgas geflutet“, stellte Gilead fest.

„Bestätigt“, sagte B-123.

In Augenblicken wie diesen merkt man erst, wie angenehm die Gesellschaft von Menschen sein kann, ging es Gilead durch die Kristallsensorik. Nein, nicht Menschen!, korrigierte er sich. Personen.

Denn genau das war der Unterschied zwischen diesen Robotern und den Menschen an Bord der NOVA GALACTICA, mit denen er tagtäglich Umgang hatte. Auch wenn er ihre sozialen Konventionen immer wieder falsch interpretierte und sich daher manchmal von einem Fettnäpfchen zum nächsten zu bewegen schien, so war er ihnen vielleicht manchmal ähnlicher, als seine Überlegenheitsattitüden vermuten ließen.

B-127 meldete sich über eine interne Funkphase, die allen an diesem Einsatz beteiligten Robotern zugänglich war. Ich weise auf die Veränderung in der Atmosphärenzusammensetzung hin!

Niemand von uns ist Sauerstoffatmer!, stellte Gilead fest.

So kurz vor dem Ziel wollte er sich nicht von unwichtigen Information irritieren lassen.

Sie schätzen die Priorität dieser Information falsch ein, meinte B-127. Bitte überprüfen Sie die Anzeigen Ihres Ortungsmoduls und stellen Sie einen Abgleich mit den Werten her, die ich aufgezeichnet habe.

Gilead wollte im ersten Moment über diese Aufforderung hinweggehen.

Aber er stellte den Abgleich zwischen den Ortungsmodulen schließlich her. Ein Hochleistungsprodukt wie B-127 sprach eine derartige Warnung schließlich nicht ohne Grund aus.

Das Giftgas enthält eine Komponente, die die Schaltkreise unserer Kristallsensorik zerstören könnte, stellte er dann überrascht fest. Aber den Berechnungen des Moduls nach dauert es eine Weile, bis sich diese chemische Komponente durch die Abdichtungen gefressen hat.

B-127 stellte nüchtern fest: Wir dürften für unsere Mission noch etwa ein bis zwei Stunden Zeit haben. Dann werden die ersten von uns ausfallen.

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21

Sie bewegten sich den Korridor entlang. Das Giftgas inklusive seiner Zusatzkomponente, die offenbar genau auf einen Roboter-Angriff abgestellt war, hatte überall inzwischen eine Konzentration erreicht, die für jeden Menschen oder Nugrou tödlich gewesen wäre.

Menschen wären nicht in der Lage gewesen, diese Operation durchzuführen, dachte Gilead. Ob ich es sein werde, muss sich erst noch zeigen.

Am Ende des Korridors befand sich ein Schott.

Gilead und seine Roboter schnitten mit Blasterfeuer eine Öffnung in das metallische Material, das groß genug war, um hindurch zu gelangen.

B-124 war der erste Roboter, der das zerstörte Schott passierte. Er peilte die Lage.

Alles in Ordnung, funkte er an die anderen.

Gilead folgte B-124.

Schon bevor er den Raum betrat, der sich hinter dem Schott befand, hatte Gilead einen optischen Eindruck von dem, was ihn erwartete. B-124 hatte ihm einen Datenstrom seiner optischen Erfassung überspielt.

Es handelte sich zweifellos um eine Zentrale.

Die Signatur, von der wir denken, dass sie auf den Zentralrechner der Qalaak hindeutet, ist gegenüber dem zuerst angemessenen Signal um 800 Prozent stärker geworden, stellte B-124 fest.

„Offenbar befinden wir uns jetzt innerhalb des Dämpfungsfeldes, das unseren Ortungssystemen ein paar Probleme bereitet hat“, sagte Gilead laut. Es war reine Gewohnheit, laut zu sprechen. Keine Notwendigkeit. Zumindest nicht, solange er nur mit Robotern kommunizierte. Aber der überwiegende Umgang mit Menschen hatte den Roboter offensichtlich bereits stark geprägt.

Die Roboter stellten sich auf den bevorzugten Kommunikationskanal ihrer jeweiligen Partner automatisch ein. Daher sprach auch B-124 jetzt wieder laut. „Dieser Rechner zeigt eine erhöhte energetische Aktivität. Die Werte steigen noch.“

Kontrolllampen und Anzeigen blinkten auf.

Gilead setzte sein Modul an eine der Konsolen. Er musste versuchen, eine direkte Verbindung zum Rechner zu bekommen. Aber die KI des Zentralrechners schien die Eindringlinge längst bemerkt zu haben.

Ein paar Zisch- und Knacklaute ertönten über einen Lautsprecher. Gileads internes Translatorsystem stellte sofort fest, dass es sich um eine Botschaft in der Qalaak-Sprache handelte.

„Unbefugtes Betreten. Unbefugtes Betreten.“

Gilead legte sein Modul an eine der Konsolen an. Er wollte in das interne System des Rechners hinein.

„Kein Zugang! Kein Zugang!“, reagierte die Lautsprecherstimme auf Gileads ersten Versuch.

Ein Blitz zischte plötzlich aus der Konsole heraus. Gilead zuckte zusammen. Ein Stromschlag traf ihn. Automatisch reagierten seine internen Schutzmechanismen und isolierten seine Kristallsensorik.

Gilead wurde von einem Abwehr-Kraftfeld erfasst, das ihn mehrere Meter durch den Raum schleuderte. Unsanft kam er auf den Boden auf.

Augenblicke lang umgab ihn nichts als Schwärze.

„Kein Zugang!“, schnarrte die Lautsprecherstimme.

Gileads Optik brauchte nur eine kurze Zeit, um sich zu rekonfigurieren. Der Roboter erhob sich wieder.

„Ich empfange verstärkt Signale, die den verschlüsselten Funkbotschaften ähneln, die von hier aus zu den Satelliten gingen“, erklärte B-123.

„Das System wird offenbar hochgefahren“, stellte Gilead fest. Vielleicht bedeutete dies, das die posthumen Vernichtungspläne der Qalaak nun in ihre entscheidende Phase traten.

Kaum eine halbe Stunde blieb noch, bevor der erste Giftgasangriff auf ein von Nugrou bewohntes Gebiet erfolgen würde.

Sobald der Abend in der betreffenden Region dämmerte.

„Ich möchte mit der KI dieses Zentralkomplexes Kontakt aufnehmen“, sagte Gilead, nachdem er sich von dem Elektroschock einigermaßen erholt hatte. Das Translatorprogramm sorgte dafür, dass diese Worte im Idiom der Qalaak gesprochen wurden, einer Sprache, die der Rechner normalerweise wiedererkennen musste.

„Wer spricht in der Sprache der Verehrten?“, erkundigte sich die Lautsprecherstimme.

„Mein Name ist Gilead“, sagte der Roboter mit Seele. „Ich muss dir die Mitteilung machen, dass deine Erbauer tot sind. Es lebt kein einziger mehr von ihnen.“

„Diese Tatsachen sind bekannt“, erwiderte die Stimme des Zentralrechners.

„Du sendest Signale ins Orbit von Yope“, stellte Gilead fest. „Sind das Steuerimpulse für die Giftsatelliten, die Milliarden von Nugrou vernichten sollen?“

„Sie haben den Tod verdient, weil sie sich gegen die Verehrten auflehnten“, erwiderte der Zentralrechner.

„Du musst diesen Völkermord stoppen“, forderte Gilead.

„Du hast keinerlei Autorisation, das von mir zu fordern“, erwiderte die KI. „Ihr seid gewaltsam hier eingedrungen, außerdem fehlt euch jede Zugangsberechtigung.“

„Die Herrschaft der Qalaak über Yope ist vorbei“, sagte Gilead.

„Ich bin darauf programmiert, unter allen Umständen den Befehlen zu folgen, die mir der planetare Oberbefehlshaber gab.“

„Es gibt nichts, was dich davon abhalten könnte?“

„Ein Befehl von jemandem mit der Autorisation von Srrwsk-Trrss.“

„Aber Srrwsk-Trrss ist tot.“

„Darum wird es keine Änderung meiner Programmierung geben.“

Damit biss sich die Katze in den Schwanz. Gilead fiel diese terranische Redensart über eine prä-intelligente Spezies in diesem Moment ein, und sie erschien ihm äußerst passend.

Es hatte offenbar keinen Sinn, diese KI umstimmen zu wollen. Die Alternative war, einfach einen Sprengsatz zu legen und den Großrechner auszuschalten. Die Frage war allerdings immer noch, was mit den Giftsatelliten geschah, wenn ihre Schaltzentrale ausfiel.

Vielleicht wird dann alles noch viel schlimmer, dachte er. Aber selbst wenn die Giftgassatelliten nach der Zerstörung ihres Befehlsimpulsgebers alle auf einmal auf die Oberfläche Yopes stürzten, war dies dem Plan der Qalaak vorzuziehen. Die Zahl der Opfer war dann vermutlich wesentlich geringer, weil das Gas in diesem Fall auch in Gebieten abgeworfen wurde, in denen der Tag gerade erst begonnen hatte.

Ein Funkspruch von der NOVA GALACTICA erreichte Gilead.

Es war Orik Daan. Der geniale Sibirier, der sich intuitiv in Fremdtechnologien einzufühlen vermochte.

„Ich habe eine erste Analyse der Signale vorgenommen, die offenbar zwischen dem Zentralrechner und den Satelliten ausgetauscht wurden“, erklärte Daan.

„Was ist das Ergebnis dieser Analyse?“, fragte Gilead.

„Wir nehmen an, dass die Satelliten selbst bei kleinen Operationen wie Kurskorrekturen und dergleichen auf Steuerimpulse vom Boden angewiesen sind. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Satelliten nach einem Ausfall der zentralen Kristallsensorik oder einer Unterbrechung der Impulse noch in der Lage sind, den Vernichtungsplan der Qalaak selbständig auszuführen.“

„Das heißt, ohne den Zentralrechner sind sie handlungsunfähig.“

„Wahrscheinlich. Und ich nehme an, dass es in diesem Fall kein Problem sein wird, die Giftsatelliten zu einem späteren Zeitpunkt einen nach dem anderen einzusammeln und unschädlich zu machen.“

Gilead wandte sich an B-123. „Sprengsatz anbringen“, forderte er.

––––––––

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22

Fünf Minuten blieben Gilead und seinen Robotern, um die Zentrale zu verlassen, zu ihren Raumjägern zurückzukehren und sich in Sicherheit zu bringen. Die Zeit war bewusst knapp bemessen. Dem Gegner sollten so wenig Chancen wie möglich gegeben werden, doch noch zu triumphieren. Diese KI hat einen eisernen Überlebenswillen, überlegte Gilead.

Die Roboter erreichten ihre Zwei-Mann-Beiboote und stiegen ein.

Die Triebwerke wurden gestartet, Hyperraumfelder aktiviert.

Bei dem Sprengsatz, den Gilead und seine Roboter hinterlassen hatten, handelte es sich um ein Fabrikat, das eine Kernfusionsreaktion auslöste. Nur noch Minuten, und der gesamte unterirdische Zentralkomplex der Qalaak würde sich in ein atomares Inferno verwandeln.

Im Schutz ihrer Hyperraumfelder durchstießen die Raumjäger in rascher Folge das Dach des Kuppelbaus und stießen fast senkrecht in den blauen Himmel Yopes.

Unter ihnen begann bereits das dumpfe Grollen der beginnenden Explosion. Noch auf der anderen Seite des Planeten würden seismische Messgeräte sie deutlich verzeichnen.

Kehren wir zurück, dachte Gilead.

––––––––

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23

„Treffer!“, meldete einer der Roboter im Leitstand der WHEELAN, der mit Abstand kleinsten Einheit in der Flotte der 31.

Joseph hatte diesem Roboter den Namen Hugo gegeben und pflegte sich ausgiebig mit ihm zu unterhalten.

Er saß im Pilotensitz der WHEELAN, die wie die anderen Schiffe der 31er-Flotte an der Verteidigung Yopes beteiligt war. Immer heftiger stürmten die angreifenden Qalaak-Raumer gegen den ausgedünnten Verteidigungsring an.

Aber sie werden es nicht schaffen, dachte Joseph, dieses menschliche Bewusstsein in einem Fotiritkörper, dessen Form er nach Belieben bestimmen konnte. Nach wie vor war es Josephs Ziel einen menschlichen Körper zurückzugewinnen, der dem vergleichbar war, den er verloren hatte. Aber bis dahin lag noch ein weiter Weg vor ihm, wie er ahnte.

Auf der Holo-Projektion im Leitstand der WHEELAN waren die herannahenden Angreifer deutlich zu sehen.

Feuer!, befahl er. Dieser Befehl wurde per Funkkontakt sofort an die Roboter an den Waffensystemen sowie an die Schiffs-KI weitergeleitet.

Eine Erschütterung durchlief Josephs Schiff.

Aber Schutzschirme und Außenhülle hielten der Attacke stand.

Wir lassen sie nicht durchkommen, versprach Hugo. Niemals!

Joseph war in dieser Hinsicht sehr viel skeptischer als die Mitglieder seiner robotischen Crew.

Letztlich sitzen unsere Gegner am längeren Hebel, gab er zu bedenken. Schließlich können die Qalaak nahezu unerschöpfliche Reserven mobilisieren, während wir bald am Ende unserer Kräfte angelangt sind.

Und das traf in mehrfacher Hinsicht zu.

Erstens gab es natürlich unter den Schiffen der Verteidiger immer wieder Verluste. Sie waren auf Grund der zahlenmäßigen Überlegenheit des Gegners doppelt schwer, zumal sie nicht ersetzt werden konnten.

Außerdem würden irgendwann die Energievorräte zur Neige gehen.

Im Augenblick bestand keine Gefahr, dass die Qalaak die Schlacht für sich zu entscheiden vermochten.

Aber die Zeit spielte für die Qalaak. Selbst dann, wenn man voraussetzte, dass auch ihre Reserven offenbar nicht mehr unerschöpflich waren.

Ein spindelförmiger Roboter namens Joker schwebte plötzlich einen halben Meter empor und drehte seine Hochleistungsoptik in Josephs Richtung.

„Joseph, ich habe soeben eine enorme Strukturerschütterung gemessen“, stellte er fest.

Es hatte lange gedauert, bis Joseph diesem Roboter beigebracht hatte, ihn bei seinem Namen zu nennen.

Zur Zeit begann Joker allerdings jede Mitteilung mit Joseph, was auf die Dauer genauso nervend sein konnte, wie das völlige Fehlen jedweder persönlichen Ansprache.

Das sind eben letztlich doch nur sture Maschinen, dachte Joseph, ohne dass einer der anwesenden Roboter dies mithören konnte. Der Anschein von Leben, Gesellschaft und Anteilnahme. Mehr nicht.

Joseph musterte den Spindelroboter einen Augenblick lang.

Eine Strukturerschütterung?, echote er.

Trotz deiner Hochleistungssysteme sind deine Übertragungsraten an Information bei direkter Funkkommunikation erschreckend gering, Joseph, tadelte der Roboter. Ich rekonfiguriere gerade das Fernortungssystem. Danach haben wir, so denke ich ein klareres Bild über das, was da weit draußen vor sich geht.

Eigentlich liegt es auf der Hand, stellte Joseph fest. Die Qalaak wollen offenbar noch mehr Raumschiffe hier her transistieren.

Joker bewegte sich wieder auf seine Konsole zu und verharrte in der Nähe der Anzeigen. Ein Teleskoparm wurde ausgefahren, sehr feingliedrige Metallfinger bedienten die Tastatur.

Joseph, die Rekonfiguration ist abgeschlossen, meldete er.

Dieser ewige JOSEPH nervt mich, funkte der Angesprochene zurück.

Jokers Antwort blieb sachlich und nüchtern. Du hast mich ausdrücklich angewiesen, dich so anzusprechen.

Mag sein, erwiderte Joseph launig.

Joker erklärte: Die Qalaak wollen diese Schlacht offenbar um jeden Preis für sich entscheiden. Etwa tausend Raumschiffe befinden sich im Anflug auf das Urfo-System! Darunter auch eine Nakra-Station.

Joseph war konsterniert.

Er erhob sich, ging zu Jokers Konsole und überprüfte die Angaben. Der spindelförmige Roboter hatte Recht.

Das darf nicht wahr sein, ging es Joseph durch das Bewusstsein.

Wir haben unter diesen Bedingungen wohl kaum eine Chance, Yope länger erfolgreich zu verteidigen, mischte sich jetzt Hugo mit einer glasklaren, sachlichen Analyse der Situation ein.

Es versetzte Joseph einen Stich.

Aber der Roboter hatte zweifellos Recht, so unangenehm es auch sein mochte, dies einzugestehen.

„Ich muss mit Takener und der NOVA GALACTICA sprechen“, sagte Joseph schließlich laut.

Soll ich eine Verbindung herstellen?, funkte ein Roboter, den Joseph Monkey genannt hatte. Er besetzte zur Zeit die Funk-Z der WHEELAN.

Joseph neigte leicht den pseudo-humanoiden Kopf seines Fotirit-Körpers. Eine Geste, die beinahe wie ein Nicken wirkte.

Umgehend!, bestätigte er per Funk.

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24

Gilead und seine Roboter waren inzwischen ebenso an Bord der NOVA GALACTICA zurückgekehrt wie Losig und sein Trupp.

Martin Takener und die anderen Anwesenden im Leitstand des Orbis-Raumers verfolgten gespannt die Ortungsanzeigen.

Die nächtliche Dunkelzone auf Yope hatte inzwischen die ersten von Nugrou besiedelten Gebiete erreicht. Aber im Orbit tat sich nichts. Die Giftsatelliten der Qalaak hatten ihre Positionen nicht verändert. Zwischenzeitlich war an Bord der NOVA GALACTICA erwogen worden, die Satelliten mit Hilfe eines gezielten Strahlenbeschusses aus dem Orbit zu holen. Aber schließlich hatte Takener entschieden, dass das Risiko zu groß war. Die Satelliten waren durch anmessbare Energieschirme geschützt. Ein Abschuss endete sehr wahrscheinlich mit einem Absturz. Das Giftgas hätte dann natürlich ganz im Sinne der Qalaak seinen Weg auf die Planetenoberfläche gefunden.

„Scheint, als wäre deine Mission ein voller Erfolg gewesen“, wandte sich Takener an Gilead.

„Ein Erfolg in mehrfacher Hinsicht“, nahm der Roboter diesen Faden auf. „Erstens wurde ein gigantischer Völkermord verhindert, und zweitens hat dieses Beispiel exemplarisch die Überlegenheit von robotisch gesteuerten Operationen gezeigt. Ich erwähne an dieser Stelle nur ...“

„Es war wohl ein Riesenfehler, diesen Blechmann zu loben“, wandte sich Anna Brent leise an Takener. Die attraktive Cyborg-Frau zwinkerte ihm dabei verschwörerisch zu.

Don Ryder war da wesentlich deutlicher.

„Wenn man gelobt wird, heißt das noch lange nicht, dass man gleich darauf als Angeber auftreten muss“, meinte er.

„Es war nicht meine Absicht, Ihre für mich nach wie vor verwirrenden und unlogischen Sozialkonventionen zu verletzen. Ich hatte lediglich das Anliegen, die sachlichen Vorteile ...“

Diesmal war es eine Meldung von der Funk-Z, die dem Roboter mit Seele das Wort abschnitt.

„Hier Sirrom. Wir bekommen eine Nachricht der WHEELAN.“

„Dann lassen Sie mal hören!“, forderte Takener.

Auf einem Nebenbildschirm erschien der gesichtslose Kopf von Josephs Fotirit-Körper. Dieser Körper war beliebig veränderbar. Zumeist bevorzugte Joseph eine quasi-humanoide Form. Fast so, als wollte er sich damit seiner geraubten Menschlichkeit erinnern. Die Notwendigkeit, ein Gesicht auszubilden, bestand allerdings im Moment nicht.

„Hier Takener. Was gibt es für Neuigkeiten bei euch da draußen? Hält die Abwehrfront um Yope?“

„Sie hält“, bestätigte Joseph. „Es fragt sich nur, wie lange noch.“

Takener hob die Augenbrauen.

„Was soll das heißen?“

In knappen Worten berichtete Joseph von der gewaltigen Flotte, die sich im Anflug auf das Urfo-System befand.

Tino Arrazolan meldete sich zu Wort. „Die Instrumente zeichnen gerade gewaltige Strukturerschütterungen auf“, stieß er hervor.

„Unsere Instrumente zeigen dieselben Erschütterungen an“, erklärte Joseph nach kurzer, stummer Rücksprache mit dem spindelförmigen Roboter Joker. „Am Rand des Urfo-Systems sind über tausend Qalaak-Schiffe aus dem Hyperraum getreten. Darunter eine Nakra-Station. In etwa zwanzig Minuten wird diese Flotte Yope erreicht haben ...“

„...und es ist vollkommen unmöglich, den Planeten gegen diese Übermacht zu verteidigen“, vollendete Takener den Satz seines Gegenübers.

Die Lage war deprimierend.

„Ich werde erneut mit Neu-Rom Kontakt aufnehmen“, sagte Takener vor sich hin.

Er wollte die Verbindung mit Joseph schon unterbrechen, als dieser erklärte: „Das habe ich bereits getan. Aber Admiral Uriens braucht nach wie vor selbst jedes seiner Schiffe in der Abwehrschlacht um Sadrag. Er kann uns keine Unterstützung schicken!“

Takener presste die Lippen aufeinander. Die Situation schien aussichtslos.

Yope war nicht zu halten.

Takeners Flotte der 31 konnte sich natürlich jederzeit durch eine schnelle Transition aus der Gefahrenzone bringen. Aber das hätte bedeutet, Milliarden von Nugrou dem sicheren Untergang zu überlassen.

Auf jeden Fall war eine Evakuierung vollkommen undenkbar.

Lediglich ein Bruchteil der Nugrou-Bevölkerung hätte vor der blinden Zerstörungswut der Qalaak geschützt werden können.

Und was Kulams Verteidiger-Schiffe anging, so waren sie sicher um keinen Preis willens, sich zurückzuziehen.

Auch, wenn das ihren Tod bedeutete.

Josephs Stimme drang in Takeners düstere Gedanken.

„Ich frage mich, woher die Qalaak auf einmal das ganze Fotirit haben! Sämtliche Einheiten dieser Tausender-Flotte fliegen im Vollbetriebsmodus!“ Er schüttelte den gesichtslosen Kopf. Eine Geste, die trotz all seiner äußerlichen Fremdartigkeit seinen menschlichen Kern verriet. „Die müssen jedes Gramm Fotirit-Staub in der ganzen Galaxis Nyroo zusammengekratzt haben ...“

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25

Die Qalaak griffen nach Eintreffen der Tausender-Flotte mit neuem Mut an. Auch die WHEELAN wurde beschossen. Joseph unterbrach die Verbindung, während auf der NOVA GALACTICA beraten wurde. Die Gesichter aller Anwesenden waren sehr angespannt. Selbst der neu-römische Verbindungsoffizier Slimane schien seine aristokratisch-kontrollierten Attitüden für den Augenblick abgelegt zu haben.

„Wenn man die Sache realistisch betrachtet, haben wir nicht den Hauch einer Chance“, stellte Don Ryder fest. „Aber andererseits kann ich mir auch nicht vorstellen, die Nugrou einfach sich selbst zu überlassen!“

Sirrom von der Funk-Z meldete sich und wandte sich direkt an Martin Takener.

„Sir, wir empfangen hier eine äußerst eigenartige Signalfolge. Ich kann mir darauf keinen Reim machen, so etwas ...“

Sirrom sprach nicht weiter.

Niemand sagte ein Wort ...

Ein Rumoren ging jetzt durch die NOVA GALACTICA.

Selbsttätig waren offenbar die Triebwerke aktiviert worden.

„Der KI-Master!“, stieß Martin Takener hervor.

Zweifellos hatte der nach wie vor mysteriöse Bordrechner der NOVA GALACTICA erneut die Kontrolle über das Schiff übernommen. Martin Takener ging zur Steuerkonsole, nahm den Stirnreif an sich, mit dessen Hilfe er normalerweise die Gedankensteuerung bediente. Er legte den Stirnreif an.

Währenddessen hob die NOVA GALACTICA bereits vom Boden ab.

Was soll das?, fragten Takeners Gedanken.

Die Antwort des KI-Masters war knapp und nüchtern.

Ich habe die Kontrolle übernommen. Es ist kein Systemzugriff möglich.

Takener sprach jetzt laut, damit die anderen in der Zentrale zumindest eine Hälfte des Dialogs mitbekamen.

„Was ist der Grund dafür, dass du meine Zugriffsmöglichkeiten beschränkst?“

Es ist notwendig.

Weitere Auskünfte erhielt Takener nicht, obwohl er nochmal nachhakte.

Der KI-Master wiederholte lediglich seine lapidare Antwort.

Die Gedankensteuerung war komplett außer Kraft gesetzt.

Es hatte im Moment offenbar keinen Sinn, mit dem Bordrechner der NOVA GALACTICA in Kontakt treten zu wollen.

„Hyperraumfeld wurde aktiviert“, meldete Hen Coolidge.

Die NOVA GALACTICA setzte sich in Bewegung. Sie erhob sich zunächst von der Oberfläche, flog anschließend einen Bogen und drang dann mit eingeschaltetem Hyperraumschirm durch die Oberfläche. Das Hyperraumfeld umgab die NOVA GALACTICA wie eine Blase. Ein Kontinuum für sich.

Auf der Holo-Projektion war bald nichts mehr zu erkennen.

Die NOVA GALACTICA flog durch das Erdreich hindurch, drang schließlich ins heiße Magma vor.

Das Raumschiff beschleunigte, stieß in den aus Eisen bestehenden Planetenkern vor. Die Temperaturen waren mörderisch, aber der unglaublich hohe Druck sorgte dafür, dass die Eisenatome in ein festes Atomgitter gezwängt wurden.

Die NOVA GALACTICA drang in den massiven Kern vor.

„Wir fliegen auf ein kugelförmiges Objekt zu, dass sich exakt im Zentrum von Yope befindet“, meldete Tino Arrazolan. „Durchmesser fünfzehn Kilometer.“

„Was ist das für ein Objekt?“, fragte Takener.

„Es sieht aus wie eine ...Station!“

Arrazolan aktivierte eine kleinere Sphäre, die ein dreidimensionales Abbild des kugelförmigen Objekts zeigte.

Die NOVA GALACTICA erreichte nach wenigen Augenblicken die Außenhülle der Kugelstation, durchdrang sie und strebte weiter ins Zentrum.

Orik Daan war zu Arrazolan an die Konsole getreten. „Das sieht nach technischen Anlagen aus“, stellte der Sibirier fest.

Arrazolan schien derselben Ansicht zu sein.

Er nickte leicht.

„Offenbar richtet unser Brennkreis aber in den Anlagen keinerlei Schaden an.“

Die NOVA GALACTICA gelangte in eine Halle von gigantischen Ausmaßen. Die Teleskopbeine wurden ausgefahren. Das Raumschiff setzte sanft auf.

„Warum bringst du uns hierher, KI-Master?“, fragte Takener.

Aber der Bordrechner reagierte nicht.

Martin Takener versuchte, die Gedankensteuerung über die Angabe seines Gedankenpasswortes zu reaktivieren. Aber es erfolgte erneut keinerlei Reaktion.

Der Rechner selbst schien jedoch ungeahnte Aktivitäten zu entfalten.

„Da wird irgendein Datenstrom zwischen dem KI-Master und den Aggregaten der Station ausgetauscht“, stellte Orik Daan fest.

Takener starrte auf die Holo-Projektion. Die gesamte Halle, in der sich die NOVA GALACTICA befand, schimmerte golden. Orik Daan ließ in einer Nebensphäre die Bildaufzeichnungen während des Fluges noch einmal wiederholen.

„Hier scheint alles golden zu sein“, stellte er fest. „Auch die gigantischen Aggregate, durch die wir quasi hindurchgeflogen sind.“

Takener wandte sich an Losig.

„Hast du irgendeine Ahnung, wo wir hier sind?“

„Nein“, war die Antwort des Nugrou.

Kulam befand sich seiner Nähe. Er hatte nach wie vor die Nugrou-Standard-Gestalt inne und wirkte im Moment sehr starr.

Takener sprach ihn an.

„Was geschieht mit uns?“, fragte der Commander.

Kulam antwortete nicht.

Der Nugrou wirkte wie erstarrt.

Takener war plötzlich überzeugt davon, dass er mehr wusste. Mehr als alle anderen, die sich zur Zeit im Leitstand der NOVA GALACTICA befanden.

„Sämtliche Systeme der NOVA GALACTICA sind zugänglich“, stellte Orik Daan unterdessen fest. „Allerdings gibt es eine sehr bedeutende Ausnahme, und die betrifft die Steuerung. Wir sitzen hier also fest.“

Zumindest so lange, wie es dem- oder denjenigen gefällt, die uns hier her geholt haben!, ging es Martin Takener durch den Kopf.

„Vielleicht sollten wir uns da draußen mal umsehen“, schlug Ryder vor.

Aber Takener war anderer Ansicht.

„Wir wissen nicht, was der KI-Master vorhat. Wenn es ihm gefällt, uns plötzlich wieder aus dieser goldenen Höhle heraus an die Oberfläche zu schießen, würde unser Erkundungstrupp hier zurückbleiben.“

„Ein Überleben wäre jedenfalls möglich, wenn ich nach den Werten der Abtaster gehe“, stellte Tino Arrazolan fest. „Erstaunlich, wie es jemand schaffen kann, mitten im Kern eines Planeten lebensfreundliche Umweltbedingungen aufzubauen.“

„Zumindest, was die Atemluft angeht“, meinte Anna Brent etwas bissig. „Oder hat jemand von euch schon mal jemand gehört, dass man dieses goldene Metall essen kann?“

„Alles eine Frage des Metabolismus“, knurrte Losig düster.

Takener fragte sich, ob der Nugrou wirklich alles mit ihnen teilte, was er an Wissen über diese Station vielleicht hatte.

Er wandte sich an Orik Daan, der mit gerunzelter Stirn auf seine Konsole starrte. Der rothaarige Sibirier strich sich mit einer fahrigen Handbewegung eine Strähne seiner langen Haare aus dem Gesicht. Er wirkte sehr konzentriert.

Schließlich ließ er sich eine Interkomverbindung in den Maschinenraum schalten. Miles Cartwright meldete sich.

Der Chefingenieur der NOVA GALACTICA machte ein ebenso ratloses Gesicht wie Daan.

„Ich nehme an, wir brüten gerade über demselben Problem herum, Orik“, meinte Cartwright.

Orik Daan knurrte etwas Unverständliches vor sich hin. Seine Stimmung war ohnehin immer etwas mürrisch. Jetzt galt das um so mehr, da er offenbar nicht so recht weiter kam.

„Ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, wozu diese gewaltigen Aggregate eigentlich dienen“, stieß Daan hervor.

Beide Männer – sowohl Cartwright als auch Daan – verfügten über außergewöhnliche Fähigkeiten, außerirdische Technologien zu erfassen. Aber in diesem Fall waren offenbar selbst sie mit ihrem Latein am Ende.

Alles, was sie bislang in den Händen hatten, waren Spekulationen.

„Auf jeden Fall erfordert es enorme technische Fähigkeiten, eine Station in den Kern eines Planeten hinein zu bauen“, stellte Daan fest. „An sich gibt es nämlich wirklich gemütlichere Orte im Universum.“

„Der Bau und der Unterhalt einer derartigen Station erfordert vor allem immens viel Energie“, stellte Ryder fest.

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26

Einige Zeit verging. Die Besatzung der NOVA GALACTICA war damit beschäftigt, die Umgebung zumindest mit Hilfe von Sensoren zu erforschen.

Die seltsame Zwiesprache, die der KI-Master mit dem Zentralrechner dieser Station zu führen schien, kam plötzlich zum Erliegen. Zumindest konnte die Ortung der NOVA GALACTICA keinerlei Signalaustausch mehr feststellen.

„Ich schätze, dann passiert gleich etwas“, vermutete Takener.

Er sollte Recht behalten. Schon wenige Augenblicke später wurden die Triebwerke der NOVA GALACTICA wieder aktiviert. Das Hyperraumfeld legte sich wieder wie eine schützende Blase um das Schiff, bevor es sich vom goldenen Boden der großen Halle abhob.

„Dieser Datenaustausch schien der einzige Zweck unseres Aufenthaltes hier, in dieser Tiefe zu sein“, stellte Daan fest.

„Triebwerke sind nicht aktiviert!“, meldete indessen Miles Cartwright aus dem Maschinenraum. „Außerdem wurde das Hyperraumfeld, das uns im Moment umgibt, von außen gelegt und aktiviert.“

„Bist du dir sicher?“, hakte Takener nach.

„Hundertprozentig.“

Eine unbekannte Kraft erfasste die NOVA GALACTICA und schleuderte sie förmlich empor. Im Schutz des Hyperraums durchdrang sie die Decke der gewaltigen Halle.

Das Raumschiff trudelte durch den Eisenkern hindurch, erreichte schließlich die Schichten aus flüssigem Magma.

Tino Arrazolan meldete sich zu Wort.

„Der Ort, den wir gerade verlassen haben, ist nicht mehr anmessbar.“

„Was?“, entfuhr es Takener.

„Für Abtaster ist es so, als hätte er niemals existiert!“

KI-Master, was geht hier vor sich?, unternahm Takener einen erneuten Versuch, mit dem Bordrechner wieder in Kontakt zu kommen. Aber es war vergeblich. Der KI-Master schien ein Schweigen vorzuziehen. Takener zermarterte sich das Hirn darüber, was er damit wohl bezwecken wollte.

Die NOVA GALACTICA erreichte schließlich die Oberfläche.

Durch den dichten, dunklen Boden stieg das Raumschiff empor. Anschließend setzte es auf dem weichen, grasbedeckten Untergrund auf. Die Teleskopbeine sorgten dafür, dass es sicheren Halt fand.

Ich werde das Hyperraumfeld abschalten, meldete sich der KI-Master auf Gedankenbasis bei Takener. Zur Zeit besteht keinerlei Notwendigkeit, ihn aktiviert zu halten.

„Schön, dass du dich auch mal wieder meldest, KI-Master“, sagte Takener laut.

Er war sich zunächst nicht sicher, ob nur er oder auch eine der anderen autorisierten Personen die Gedankenbotschaft erhalten hatte.

Den Blicken der anderen nach traf letzteres zu.

„Wo sind wir gerade gewesen?“, fragte Takener an den Bordrechner gerichtet.

Ich bitte um eine präzisere Fragestellung, war die ausweichende Antwort des KI-Masters.

Takener versuchte gelassen zu bleiben.

„Die goldene Station im Planetenkern von Yope!“

Es ist mir im Moment unmöglich, dazu irgendwelche Angaben zu machen.

„Ich habe eher den Eindruck, du willst dazu keine Angaben machen.“

Ich wurde nicht programmiert, um eher philosophische Fragen zu beantworten.

„Meine Frage hatte mit Philosophie nichts zu tun.“

Die Frage nach dem freien Willen ist die philosophische Frage schlechthin. Meine Theorie ist: Es spielt keine Rolle, ob aus freiem Willen oder unter Zwang gehandelt. Es kommt lediglich auf das Ergebnis an. Bezogen auf deine Frage bedeutet dies, dass du von mir in keinem Fall eine Antwort bekommst. Es tut mir Leid.

So kryptisch hatte Takener den KI-Master schon lange nicht mehr erlebt.

„Wie kommt es, dass sich die Goldene Station nicht mehr ortungstechnisch anmessen ließ, kurz nachdem wir sie verlassen hatten?“

Ich werde einen eingehenden Check sämtlicher Ortungssysteme veranlassen. Möglicherweise findet sich dann die Ursache.

„Es gibt keinerlei Anlass, eine Fehlfunktion der Ortungssysteme anzunehmen. Im Übrigen weichst du meiner Frage aus.“

Ich habe lediglich einen konstruktiven Vorschlag zur Problembehebung gemacht. Genau das ist meine Aufgabe.

„Ich wiederhole meine Frage: Warum ist es nicht mehr möglich, die Station zu orten?“

Die Vergangenheit ist nichts weiter als ein Konstrukt des gegenwärtigen Bewusstseins.

„Wenn du damit andeuten willst, dass wir alle uns nur eingebildet haben, in dieser Station zu sein, werde ich das nicht akzeptieren.“ Ärger keimte in Martin Takener auf. „Ist es wirklich eine besondere Tarn-Technologie, die diese Station abschirmt, oder werden die Daten in Wahrheit einwandfrei aufgezeichnet, und du blockierst den Zugang?“

Die Antwort darauf war Schweigen.

„Der KI-Master scheint im Moment nicht sehr kommunikativ zu sein“, stellte Don Ryder sarkastisch fest.

„Unter den gegebenen Umständen bin ich ja schon froh, wenn er überhaupt wieder mit mir redet“, erwiderte Takener. Er wandte den Blick in Richtung der Holo-Projektion.

Der Anblick, der sich ihm und den anderen Anwesenden im Leitstand der NOVA GALACTICA bot, war mindestens ebenso merkwürdig, wie das Verhalten des KI-Masters.

Selbst Losig war sichtlich beeindruckt, wie seinem Ronald-Smith-Gesicht deutlich anzumerken war.

Nur am Rande nahm Takener wahr, dass sich Kulams Nugrou-Gestalt veränderte und ungefähr ein Dutzend Tentakel ausgebildet hatte, die sich der Holo-Projektion entgegenstreckten.

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27

Die NOVA GALACTICA befand sich auf einer grasbewachsenen Anhöhe, von der aus man einen guten Überblick über die Umgebung hatte.

Martin Takener und die anderen in der Steuerzentrale der NOVA GALACTICA starrten wie gebannt auf die Holo-Projektion.

Eine Außenaufnahme ihrer jetzigen Umgebung war dort zu sehen. Eigentlich schimmerte das Licht der Sonne Urfo blau. Aber jetzt war alles in einem goldfarbenen Glanz getaucht worden.

„Ich glaube, ich muss mich langsam erst einmal kneifen“, war Ryders Kommentar.

Unerwarteterweise meldete sich nun Kulam zu Wort.

„Die Nerudalben sind zurückgekehrt!“, rief er. „Unsere Schöpfer sind da! Im goldenen Glanz erstrahlen sie!“

Takener wandte sich an Losig. „,Was ist mit ihm?“

„Offensichtlich ist er in einer Art religiösen Verzückung.“

„Er ist Nerudalben-Anhänger!“

„Tut mir Leid, das wusste ich bis jetzt nicht“, behauptete Losig. Nach kurzer Pause stellte er dann noch fest: „Dein Verdacht war berechtigt, Martin.“

Kulam wandte sich an Takener und Losig. „Hört die frohe Botschaft! Sie ist wahr geworden! Unser Elend hat ein Ende! Die Nerudalben werden ein neues goldenes Zeitalter der Nugrou begründen!“

„Kulam! Komm zu dir!“, forderte Losig.

„Wir sind gerettet! Wir sind gerettet!“

„Kulam!“

„Es hat keinen Sinn, Martin!“, erklärte Losig an den Commander gewandt. „Er scheint sich selbst in einen tranceartigen Zustand versetzt zu haben. Mit Argumenten wirst du bei ihm im Moment kaum durchdringen!“

Takener musste Losig in diesem Punkt recht geben.

Andererseits hätte Martin interessiert, was der Nugrou-Rebell über die Vorgänge wusste, die im Augenblick um sie herum und mit ihnen geschehen waren.

Takener richtete eine Gedankenanfrage an den KI-Master.

War die Station im Kern von Yope ein Bauwerk der Nerudalben?

Vieles ist möglich.

„Heißt das ja oder nein?“, fragte Takener. Unwillkürlich sprach er laut, was dazu führte, dass sich einige Anwesende nach ihm umsahen.

Meinen Informationsstand zu den Nerudalben habe ich dir bereits mitgeteilt. Dem ist nichts hinzuzufügen.

„In der Station befanden sich riesige Aggregate und offenbar auch dazugehörige Rechnersysteme.“

Warum stellst du Fragen, auf die doch längst eine sichere Antwort zu haben glaubst?

„Weil ich dachte, dass du unter anderem dazu programmiert bist, Fragen zu beantworten, anstatt Rätsel zu stellen.“

Tu ich das?

„Ja.“

Ich habe aus meiner Sympathie für dich und die Menschheit nie einen Hehl gemacht. Ihr ähnelt zwar nicht äußerlich, aber in der Struktur eurer Gedanken den Nugrou. Jedenfalls glaubte ich das. Enttäusche mich nicht durch einen übertriebenen Hang zur Unlogik.

„Dann ist es tatsächlich möglich, dich zu enttäuschen? Soweit ich mich erinnere, hast du immer abgestritten, Emotionen zu besitzen.“

Es war eine Metapher, um dir zu verdeutlichen, was ich meine. Nicht mehr. Sollte das missverständlich gewesen sein, nehme ich meine Aussage hiermit zurück.

Takener presste die Lippen aufeinander. Wie hatten es die Nugrou nur mit derartig geschwätzigen und gleichermaßen rebellischen Rechnern aushalten können? Andererseits war dem Terraner durchaus bewusst, dass es für das seltsame Verhalten des KI-Masters Gründe geben musste. Es musste da einen Faktor geben, der ihn zumindest teilweise blockierte. Dieser Eindruck verfestigte sich immer stärker in Martin Takener. Die Frage war nur, ob diese Blockade im KI-Master selbst begründet lag oder in äußeren Einflüssen.

„Es fand ein Datenaustausch mit der Goldenen Station statt“, sagte Takener.

Der KI-Master reagierte darauf nicht weiter.

Takener wartete einige Augenblicke ab.

Der Bordrechner der NOVA GALACTICA schien seine Frage einfach ignorieren zu wollen.

„Ich möchte Zugang zu dem empfangenen Datenmaterial bekommen. Sofort. Du weißt, dass ich dazu autorisiert bin.“

Wieder folgte zunächst nur eine Pause.

Dann die unsinnige Aufforderung nach Angabe des gegenwärtigen Passwortes, einer Art Gedankenbild, die Takener als zugangsberechtigt identifizierte. Aber dieses Passwort war bereits bei der letzten Aktivierung der Gedankensteuerung abgefragt worden.

Takener wusste, dass es nichts brachte, sich zu sträuben.

Er sandte dem Großrechner das geforderte, konzentrierte Gedankenbild.

Die Erwiderung des KI-Masters ließ in Takener dann die Frage aufkommen, ob er außer zu Emotionen vielleicht sogar zum Sarkasmus fähig war.

Wer sagt dir, dass ich überhaupt Daten EMPFANGEN habe. Es könnte doch genauso gut das Gegenteil der Fall sein.

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28

„Was sagen die Messergebnisse?“, wandte sich Takener inzwischen an Arrazolan.

„Widersprüchlich“, berichtete der Ortungsoffizier.

Orik Daan und Unam Shaka aktivierten an einer anderen Konsole eine kleine Sphäre, in deren Projektionen die Daten der Ortung veranschaulicht wurden.

„Irgendeine Theorie?“, fragte Takener.

„Ein Kraftfeld scheint den gesamten Planeten in etwa zweihundert Kilometer Höhe zu umgeben“, sagte Shaka.

„Dieses goldene Etwas!“, sagte Takener.

Shaka hielt den Blick gesenkt.

„Dieses Feld leuchtet offenbar aus sich selbst heraus und schirmt uns vollkommen vom Rest des Universums ab.“

Orik Daan meldete sich nun zu Wort und erläuterte: „Die Struktur dieser Energie ist vollkommen unbekannt. So etwas habe ich noch nie gesehen!“

„Ich kann mir bislang auch keinen Reim darauf machen“, gestand Shaka.

Takener wandte sich an die Funk-Z und wies Sirrom an, eine Verbindung zur WHEELAN herzustellen.

Wenig später meldete sich der Erste Funker mit einer ernüchternden Feststellung.

„Das goldene Kraftfeld scheint jedweden Funkverkehr unmöglich zu machen“, erklärte er.

„Versuchen Sie es mit Hyperfunkfrequenzen“, wies Takener ihn an.

„Schon geschehen. Auch das funktioniert nicht.“

Takener atmete tief durch. Die Aussicht, auf der Oberfläche von Yope festzusitzen, während draußen im All eine geradezu gigantische Qalaak-Flotte im Anmarsch war, empfand er alles andere als erfreulich.

Er wandte sich erneut an den KI-Master.

„Gibt es in deinen Datenspeichern relevante Informationen zu dem goldenen Schirm?“, fragte er.

Negativ.

„Ich schlage einen Start vor. Wir werden ja sehen, wie das Schiff auf diese Energiebarriere reagiert.“

Davon würde ich dringend abraten.

„Warum?“

Schwerwiegende Schäden am Schiff sind durchaus wahrscheinlich.

Unam Shaka mischte sich nun ein. „Wir könnten eine unbemannte Sonde losschicken, um diese goldene Schicht näher untersuchen zu können.“

Takener nickte. „Gut. Bereite alles dafür vor.“

„In Ordnung.“

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis die Sonde startklar war und abgeschossen werden konnte.

Auf einer Projektion neben der Holo-Projektion war erkennbar, welchen Kurs die Sonde nahm. Eine leuchtende Markierung zeigte an, wo sie sich gerade befand. Auf einer Anzeige daneben konnte man ablesen, welche Höhe sie jeweils erreicht hatte.

„Achtung, die Sonde hat gleich Kontakt zum Energieschirm“, meldete Arrazolan.

Bei exakt zweihundert Höhenmetern verschwand die farbige Markierung plötzlich, die bis dahin die Position der Sonde angezeigt hatte.

„Was ist geschehen?“, fragte Takener.

Die Gesichter von Orik Daan und Unam Shaka wirkten ziemlich ratlos.

„Die Sonde ist ... implodiert“, stellte Shaka irritiert fest und ergänzte nach kurzer Pause: „Es sieht fast so aus, als hätte sie einfach aufgehört zu existieren, sobald sie den Rand dieses Kraftfeldes erreicht hatte.“

„Seht ihr denn nicht das Offensichtliche?“, rief Kulam aus. „Die Nerudalben haben einen Energiewall errichtet, um ihre Geschöpfe zu beschützen! Kein Qalaak wird ihnen etwas antun können!“

Grenzenlose Euphorie hatte den Nugrou erfasst.

Aber niemand sonst in der Zentrale der NOVA GALACTICA schien diese Begeisterung teilen zu können.

Verzweiflung keimte in Martin Takener auf.

Die Flotte der 31 und die Nugrou-Verteidiger hatten gegen die gigantische Übermacht, die im Urfo-System materialisiert war, nicht den Hauch einer Chance. Die NOVA GALACTICA hingegen war Gefangene einer unheimlichen Macht geworden, die sie einstweilen auf Yope festhielt. Takener warf einen kurzen Blick auf das Chronometer. Die Verteidiger-Flotte musste längst in erste Gefechte mit den Einheiten der Riesenflotte verwickelt worden sein.

Die Verluste mochte er sich gar nicht vorstellen.

„Im Moment sind wir zur Tatenlosigkeit verurteilt“, stellte Don Ryder fest und brachte die gegenwärtige Situation damit auf den Punkt.

„Ja“, murmelte Takener tonlos.

Und das war das Schlimmste.

Nichts tun zu können.

Gar nichts.

*

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Erst ein paar Standardtage später gelang ein Start der NOVA GALACTICA, nachdem man zuvor mehrere Sonden gestartet hatte. Die letzte durchdrang das Schutzfeld, dass sich um den Planeten gebildet hatte. Und so konnte Takener einen Start wagen, ohne dabei zu riskieren, dass die NOVA GALACTICA dabei zerstört wurde.

Da war die Raumschlacht längst vorbei. Die Ortung registrierte ungezählte Trümmer.

“Die autonome Verteidigungsanlage wollte offenbar nicht, dass wir in das Geschehen eingreifen”, stellte Orik Daan dazu fest.

Takener nickte leicht.

Vielleicht stimmte es, was der KI-Master angedeutet hatte.

Vielleicht hatte der KI-Master tatsächlich gar keine Daten empfangen, sondern gesendet.

Und vielleicht war das der Grund dafür, dass man die NOVA GALACTICA hier zeitweilig festgesetzt hatte.

Das Interesse an dem, was sich in den unergründlichen Datenspeichern des KI-Masters befand.

“Könnte sein, dass sie unser Geheimnis ein Stückweit enträtselt haben - anstatt, dass wir ihr Rätsel lösen konnten”, sagte Orik Daan.

Takener hob die Augenbrauen.

“Du sprichst von den Nerudalben?”

“Von wem auch immer.”

Takener atmete tief durch. Er wandte sich an Tino Arrazolan.

“Ortung?”

“Ja, Sir!”

“Stellen Sie fest, wer von unserer Flotte noch am Leben ist.”

“Ja, Sir. Ich empfange bereits einige erfreuliche Signale.”

“Das ist gut”, sagte Takener.

ENDE