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Ich muss mich bereitmachen. Unsere Gäste werden bald hier sein. Ich ziehe eine dunkle Jeans an, gerade geschnitten und eng, und dazu ein Oberteil, das ich immer mochte – seidig fällt es über Schultern und Schlüsselbeine hinab. Ich esse in letzter Zeit nicht gut und bin wahrscheinlich zu mager, aber mir gefällt, wie ich in diesen Sachen aussehe: schlank und langgliedrig. Mein Gesicht ist eine andere Sache. Der Mangel an Schlaf fordert seinen Tribut, und ich habe lila Schatten unter den Augen. Ich greife nach der Dermablend-Creme, um die Narbe zu überdecken, und tupfe auch ein bisschen davon unter jedes Auge. Heute Abend brauche ich Make-up. Tom mag kein Make-up an mir, er meint, es lasse mich hart aussehen. Genau das muss ich heute Abend sein: hart. Ich trage Eyeliner auf, dick und dunkel, und streiche Mascara auf die Wimpern. Ein Pinselstrich Bronzepuder auf die Wangen, dunkler Lipgloss, und ich bin fertig. Ich drehe mein Haar zu einem nachlässigen Knoten und stecke es mit einem Kamm fest. Lose Strähnen umrahmen mein Gesicht. Ich lege die Kette um, die Tom mir zu meinem fünfunddreißigsten Geburtstag geschenkt hat, eine Kaskade aus gehämmertem Silber, und trete zurück, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Die Frau, die mir im Spiegel entgegenblickt, ist von einer Scharfkantigkeit, die nicht mehr viel mit meiner Alltagserscheinung zu tun hat.

Ich gehe hinunter ins Esszimmer. Der Tisch ist gedeckt, die Rosen sehen zart und zerzaust aus und lassen schon jetzt ihre Blütenblätter fallen wie riesiges Konfetti. Das Essen habe ich schlicht gehalten: Spargel, pochiertes Ei und Sauce Hollandaise als Vorspeise, Rinderfilets mit Stilton-Kruste und Portweinsauce und schließlich eine Zitronentorte. Die Torte und die Saucen habe ich bereits gestern gemacht, sodass ich heute nicht mehr allzu viel Zeit in der Küche zu verbringen brauche.

Unsere Nachbarn, Madeline und Joe, sind eben gekommen. Ich höre Tom in der Diele und gehe hinaus, um sie zu begrüßen.

»Hi«, sage ich, »ich bin Isabel.« Lächelnd füge ich hinzu: »Izzy für meine Freunde.«

Joe schickt Luftküsse irgendwo westlich und östlich an meinen Wangen vorbei. »Izzy, hi. Joe, und das ist Madeline.« Er ist groß und ein bisschen übergewichtig, mit hellbraunem Haar und einem sympathischen Gesicht – abgesehen von dem leicht raubtierhaften Glitzern in seinen Augen. Er nimmt meine Hand und beugt sich einen Sekundenbruchteil zu lange darüber.

Ich wende mich Madeline zu. Sie ist winzig – eine Kindergestalt mit wallenden, tizianroten Locken. Ihr Gesicht trägt keine Spur von Make-up außer einem Hauch von Gold an den Augenwinkeln. Sie hat milchweiße Haut mit ein paar Sommersprossen auf der Stupsnase und überraschend volle Lippen. Sie lächelt mich an, und ich sehe kleine, gleichmäßige Zähne, ein bisschen durchscheinend wie Arborio-Reiskörner. Ich wusste, ich hätte ein Risotto machen sollen. Ihre Augen sind blau und kalt wie das Eismeer.

»Isabel«, sagt sie und streckt mir eine kalte Hand entgegen. Jeder Nagel ein perfektes perlmutternes Oval.

Meine Hände mit ihren stumpf geschnittenen Nägeln sehen im Vergleich dazu männlich aus. Sie ist für den Anlass in ein schimmerndes, eng anliegendes Kleid geschlüpft, das sich an jede Kurve ihres Körpers schmiegt. Ich war mit meinem Aussehen zufrieden, aber jetzt komme ich mir schlaksig und unpassend vor, und meine Gesichtszüge wirken aufgemalt wie bei einer Matrjoschka-Puppe.

Der Abend ist warm für die Jahreszeit, weshalb wir den Aperitif im Garten trinken wollen. Tom hat Laternen und Lichterketten besorgt, und ein magischer Glanz liegt über der Terrasse. Jetzt, da sie hier sind, hat meine Nervosität noch zugenommen, und mich fröstelt trotz der Wärme des Abends. Mit unschicklicher Hast stürze ich meinen ersten Prosecco hinunter. Tom wirft einen vielsagenden Blick auf mein Glas, und seine Augenbrauen krümmen sich wie zwei verirrte Raupen, aber ich beachte ihn nicht weiter und zwitschere: »Nachschub, jemand?« Ich schenke mir weit über das manierliche Maß nach, in der Hoffnung, der Alkohol würde meine Nervosität abmildern. Ehrlich gesagt wünschte ich, ich könnte den Kopf zurückwerfen wie diese PEZ-Bonbonspender, die wir als Kinder hatten, und mir gleich die ganze Flasche hinter die Binde kippen.

* * *

Das Essen entwickelt sich zur reinsten Katastrophe. Nicht wegen meiner Kochkünste – die pochierten Eier waren perfekt, die Hollandaise war glatt und cremig – , sondern weil wir uns in zwei Fraktionen aufgespalten haben. Madeline spricht ausschließlich mit Tom, und mir bleibt Joe. Nicht, dass er kein netter Kerl wäre. Ich bin sicher, er ist ganz reizend – aber er hat etwas übermäßig Intensives an sich, das mir ein bisschen unangenehm ist.

Bald weiß ich, dass er als Wissenschaftler in der Lebensmittelindustrie arbeitet und mit jeder Faser (ha!) seines Wesens Ernährungsexperte ist. Ich weiß jetzt alles, was es über komplexe Kohlenhydrate, einen niedrigen glykämischen Index, lösliche Fasern und mehr zu wissen gibt. Ich versuche, das Gespräch in eine andere Richtung zu steuern, indem ich ihn nach seinem Urlaub frage, aber er findet eine saubere Überleitung zu den gesundheitlichen Vorteilen von kaltgepresstem Olivenöl aus der Mittelmeerregion. Ich befürchte, ich könnte vor lauter Langeweile das Bewusstsein verlieren, mit dem Gesicht in mein Essen fallen oder vom Stuhl kippen. Ich sehe hilfesuchend zu Tom hinüber, aber er bemerkt es nicht.

Stattdessen beobachte ich unversehens Madeline. Sie hat eine Art, zu Tom aufzuschauen, die kokett wirkt, aber vielleicht nur manieriert ist, eine Folge dessen, dass sie so klein ist. Sie hängt an seinen Lippen, und verwundert bemerke ich, dass ich einen Moment lang eifersüchtig bin. Warum das?

Vielleicht, weil es auf dem College auch solche Mädels gab. Oberflächlich gesehen ätherische, hilflose Wesen, aber durchzogen von gehärtetem Stahl. Männern gegenüber machen sie süße, große Bambi-Augen – und die schlagen sich dann darum, sie zu beschützen –, während sie anderen Mädchen gegenüber, die sie als Konkurrenz betrachten, dann ihre skrupellose Seite zeigen.

Ich weiß, dass ich zu viel trinke. Ich fühle mich haltlos und leicht überdreht, und meine Filter versagen den Dienst. Auch das Fenster beunruhigt mich, die schimmernden Spiegelungen der Kerzen vor der Dunkelheit draußen. Ich wünschte, wir hätten richtige Vorhänge. Ich fühle mich entblößt, als wäre da draußen jemand, der mich beobachtet. Immer wieder zieht dieses Fenster meinen Blick auf sich, und die Flammen flackern an den Rändern meines Gesichtsfelds und erwecken die Illusion von Bewegung oder lassen ein Gesicht vor der Scheibe erscheinen. Ich habe Herzklopfen und bekomme Angst, und das gefällt mir überhaupt nicht. Meine Anspannung nimmt spiralförmig zu und droht außer Kontrolle zu geraten.

Ich gehe in die Küche, um die Steaks zuzubereiten. Tom unternimmt keinen Versuch, mir zu helfen. Ich brate die ersten drei an und lege sie in den Ofen. Aus dem Wohnzimmer höre ich Toms Stimme und das perlende Lachen, mit dem Madeline antwortet. Ich werfe einen Blick auf sein Steak, exakt zwei Zentimeter dick und blutig. So muss sein Filet aussehen. Darauf besteht er. Wieso kann er nicht herkommen und das verdammte Ding selbst braten? In einem plötzlichen Wutanfall nehme ich es und werfe es an die Wand. Klatschend trifft es auf und bleibt verdattert einen Moment lang kleben, bevor es an den Kacheln herunterrutscht und eine Blutspur hinterlässt. Ich merke, dass ich sehr, sehr betrunken bin.

Mir wird bewusst, dass noch jemand in der Küche ist, und als ich mich umdrehe, sehe ich Joe. Ich habe ihn nicht hereinkommen hören, und jetzt ist er unmittelbar hinter mir, so dicht, dass wir uns fast berühren.

»Ich dachte, vielleicht brauchen Sie …«

Er lässt den Satz in der Schwebe, und zusammen schauen wir dem Steak auf seinem Weg nach unten zu. Ich sehe sein schockiertes Gesicht und fange an zu lachen. Es ist ein schrilles, betrunkenes Lachen, das sich anhört, als wollte es nie mehr aufhören.

Ich sage das Erste, was mir in den Sinn kommt. »Zartklopfen.« Ich lasse neue Lachsalven los. Nicht gut.

»Für Tom«, füge ich hastig hinzu, damit er nicht denkt, das ganze Essen sei wahllos in der Küche herumgeworfen worden.

Er wieselt ins Esszimmer zurück. Alle Hilfsangebote sind vergessen, und ich sammle Toms Steak auf. Es ist ein bisschen schmutzig, und ich muss es abwaschen. Noch eine Todsünde in Toms Augen: »Ein Steak darf man niemals waschen, denn das kostet Fleischsaft.« Na schön. Ich spüle es kurz ab und werfe es in die Pfanne, bevor ich es zu den anderen in den Ofen lege. Dann wanke ich zum Kühlschrank, um den Stilton und die Portweinsauce zu holen, und irgendwie schaffe ich, das Ganze anzurichten und auf den Tisch zu bringen.

Joe weicht meinem Blick aus, und Tom spürt eine Veränderung in der Atmosphäre und bemüht sich, uns beide wieder ins Gespräch zu ziehen.

»Izzy malt«, sagt er. »Wenn Sie je ein Bild für Ihr Wohnzimmer in Auftrag geben wollen, können Sie sich gerne an sie wenden.«

Oh bitte! Ich fürchte, ich habe abschätzig geschnauft und die Augen zum Himmel verdreht. Madeline schaut zu mir herüber und klatscht in ihre kleinen Patschehändchen wie ein dressierter Seehund.

»Oh, wie aufregend! Ich dachte doch, ich spüre ein künstlerisches Temperament!«

Sie sieht mich erwartungsvoll über den Tisch hinweg an, als wollte sie mich herausfordern, mein Steakmesser zu ergreifen und mir das Ohr abzusäbeln wie van Gogh. Ich würdige sie keiner Antwort.

Der Rest des Essens bis zum Käse vergeht in einem ereignislosen Nebel. Joe hat seinen Diskurs zum Thema Ernährung wieder aufgenommen, und ich habe den Sauternes weggepichelt.

Plötzlich stehe ich schwankend auf, stoße dabei mein Weinglas um und verkünde: »Verdammte Scheiße, jetzt ist es genug mit gesunder Ernährung. Ich glaube, es wird Zeit für ein paar gesättigte Fettsäuren.« Ich hole das Käsebrett und knalle es inmitten des verdatterten Schweigens auf den Tisch. Eine einsame Weintraube rollt in verzweifelter Flucht zum Rand. Ich denke, der Abend ist zu Ende.

* * *

Sie sind weg. Wir sitzen in der Trümmerlandschaft des Esszimmers, ich trinke verbissen den letzten Rest Wein, und Tom starrt ins Leere. Ich weiß, ich habe alles vermasselt, möglicherweise im großen Stil, aber er könnte wenigstens einen Teil der Schuld auf sich nehmen.

Tom sieht mich an und seufzt müde. Jetzt kommt’s. »Izzy, warum musstest du das tun?«

»Was tun?« Als ob ich es nicht wüsste. Es gelingt mir, die leise Verwirrung einer zu Unrecht Angeklagten an den Tag zu legen. »Entschuldige, aber ich weiß nicht, was …«

Er unterbricht mich, und seine Stimme hat einen verärgerten Unterton. »Du weißt genau, was. Du benimmst dich … ich weiß nicht … betrunken und streitsüchtig. Die beiden waren wirklich nett, und du benimmst dich einfach nur unhöflich und feindselig und, offen gesagt, peinlich. Du bist schon so merkwürdig, seit wir hier eingezogen sind. Ich glaube, es ist an der Zeit, dass du endlich mal mit jemandem sprichst und das Ganze klärst.«

Ich funkle ihn an, und zwar mit genau der betrunkenen Feindseligkeit, die er eben angesprochen hat. »Mit jemandem sprechen? Was zum Teufel soll das heißen? Mit jemandem sprechen, wie ich jetzt mit dir spreche, oder mit jemandem sprechen, während ich auf einer Couch liege? Wenn es das ist, was du meinst, dann sag’s ruhig direkt.«

Er seufzt noch einmal. »Okay, wenn ich es dir Wort für Wort buchstabieren soll: Ich liebe dich, und ich mache mir Sorgen um dich. Dieser Umzug ist dir anscheinend wirklich unter die Haut gegangen, und ich glaube, du brauchst Hilfe. Du bist wahninnig nervös und erschrickst bei allem wie ein ängstliches Kaninchen. Und du läufst nachts durchs Haus.«

Das Letzte ignoriere ich. »Hilfe? Heute Abend hätte ich Hilfe brauchen können. Aber oh nein, du warst ja zu sehr mit Madeline beschäftigt!«

Kaum sind mir diese Worte über die Lippen gekommen, wünschte ich, ich hätte sie nicht ausgesprochen. Jetzt klinge ich eifersüchtig und zickig. Ein nüchterner Teil meiner selbst begreift, dass ich meine Ängste wegen eines Babys auf ihn projiziere, und das ist nicht fair. Ich will es wiedergutmachen, aber er sieht so wütend aus, dass mir meine Entschuldigung im Halse stecken bleibt.

»Jetzt bist du wirklich kindisch. Ich war einfach nur gesellig und freundlich – während du anscheinend vergessen hast, wie das geht. Dein Benehmen macht die Situation wirklich sehr schwer für uns beide.«

Sein schmerzlich leidender Ausdruck regt mich auf. Er streitet nie, hebt nie die Stimme, sondern verhält sich so wie jetzt: Er spricht übertrieben ruhig mit mir, als wäre ich ein Kind oder Schlimmeres. Heute Abend bringt es mich nur dazu, Streit anzufangen. Mein Ton wird höhnisch und feindselig.

»Oh bitte! Schwer für uns beide? Was ist denn schon schwer für dich? Verdammt, du bist doch nie hier!«

»Hör zu …«

»Nein, du hörst mal zu. Du wolltest dieses Haus, aber jetzt kannst du gar nicht schnell genug von hier wegkommen. Ich bin allein hier, von morgens bis abends. Verstehst du das nicht? Ich bin allein, verdammt. Nicht, dass dich das einen Scheißdreck interessiert.«

Er sieht mich mit einem Gesichtsausdruck an, den ich noch nie gesehen habe. »Hallo? Einer von uns beiden muss arbeiten, falls du das noch nicht bemerkt hast, und Geld verdienen …«

Hm, Daddys Zuwendung scheint er praktischerweise vergessen zu haben. Ich öffne den Mund, um ihn an diese unbedeutende Tatsache zu erinnern, aber bevor ich etwas sagen kann, fährt er bereits fort.

»… und wenn du nicht so feindselig wärst, könntest du hier vielleicht auch ein paar neue Freunde finden. Jetzt, wo du Maria endlich los bist, hatte ich gehofft, du würdest nach vorn blicken.«

Für einen Moment bin ich so verdattert, dass ich nicht antworten kann. Wie kommt er jetzt darauf?

»Was hat Maria damit zu tun? Ich weiß, du hast sie nie besonders gemocht, aber bilde dir nicht ein, du könntest mir diktieren, mit wem ich befreundet bin und mit wem nicht.«

Er hat die ersten Funken Wut bereits wieder unter Kontrolle.

»Es geht nicht um Mögen oder Diktieren«, sagt er ruhig. »Aber deine Freundschaft mit ihr ist … ich weiß nicht, rückwärtsgewandt. Sie ist Vergangenheit, und du und ich, wir sind die Zukunft. Du weißt doch, ich will nur, dass du glücklich bist.«

Er greift nach meiner Hand, aber das geht jetzt nicht. Ich kann nicht klar genug denken, um zu artikulieren, was ich sagen will. Stattdessen bringe ich nur ein »Fick dich« heraus, ein Zeichen dafür, dass ich den Streit verloren habe. Ich gehe ins Bett.

Ich liege hier im Dunkeln und lasse mir die Ereignisse des Abends durch meinen betrunkenen, vernebelten Kopf gehen. Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Ich bin einfach fürchterlich nervös und angespannt, als wartete ich ängstlich darauf, dass etwas passiert.

Tom und ich tun das nicht. Wir haben nie wirklich Streit. Wir gehen nie stumm zu Bett, wütend und voller Groll. Wir lieben einander. Wir sind zwei Seiten derselben Münze. Aber dieses Haus scheint uns aus dem Gleichgewicht zu bringen.