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Ich habe gepackt und bin reisefertig – Gott sei Dank. Major ist in der Katzenpension, und der Hund – ja, ich habe jetzt einen – wartet geduldig und mit erwartungsvoll hochgestellten Ohren an der Tür.

Ich konnte nicht allein hier sein. Ohne Schlaf hätte ich auf Dauer nicht überlebt, also bin ich schließlich zum Tierheim gefahren, nur um mich umzusehen. Mrs Watson, die alte Lady, die das Tierheim leitet, hatte nichts Geeignetes, nur eine traurige alte Yorkie-Hündin mit geschorenem Fell und verlorenem Blick. Ich wäre beinahe schwach geworden, weil sie so betrübt aussah, aber sie war nun mal nicht das, was ich brauchte. Schließlich schickte Mrs Watson mich zu einer Aufnahmestelle für Straßenhunde, und da fand ich ihn. Er sah trotz seiner kahlen Zelle seltsam optimistisch aus, hatte ein glänzendes Fell und funkelnde Augen, und sein Gesicht war durchkreuzt von einem Grat von Narben quer über die Nase, Spuren seines früheren, harten Lebens.

Mir gefiel die Tatsache, dass er beschädigt war – natürlich nicht, dass er gelitten hatte, aber dass er eine Narbe im Gesicht trug. Er passte zu mir. Unsere Blicke trafen sich durch das Gitter, und da wusste ich es. Ich hatte noch nie einen Hund – meine Kindheit war für Tiere nicht gemacht – , aber das sollte sich jetzt ändern. Kurz darauf war ich außerdem in Besitz von Leine, Hundekeksen, verschiedenen Dosen mit Nassfutter, Kauknochen und Hundekissen. Mein Herz und mein Portemonnaie fühlten sich leichter an.

Major fiel die Umstellung deutlich schwerer. Da er nicht zum Rückzug neigt, hat er zunächst seine Streitkräfte aufmarschieren lassen und gefaucht und gezischt. Hugo – so habe ich den Hund genannt – hat ihn nur verwirrt angesehen. Ich hoffe, das ist nicht seine Standardreaktion, wenn er sich bedroht fühlt. Aber irgendwann wurde ein Waffenstillstand geschlossen. Ich habe ihre Näpfe nebeneinandergestellt, und sie haben Seite an Seite gefressen und sich nur gelegentlich unterbrochen, um einander mit unverhohlenem Misstrauen anzustarren. Es wird aber Tag für Tag besser, und ich bin vorsichtig optimistisch.

Auch mir geht es Tag für Tag besser. Seine bloße Anwesenheit an meinem Fußende hilft mir, wenigstens ein bisschen zu schlafen – sein leises Atmen und das Wissen, dass da noch eine lebende Seele bei mir ist.

Aber ein Männerhund ist er nicht, glaube ich. Als er Matthew das erste Mal sah, spannten sich alle seine Muskeln an, und aus seiner Kehle kam ein leises Knurren. So wachsam hatte ich ihn nie zuvor gesehen. Es hat seine Zeit gebraucht, bis er langsam nachgab. Meistens ignoriert er Matthew einfach, aber ab und zu erlaubt er ihm, ihm den Kopf zu tätscheln oder das weiche Fell hinter den Ohren zu kraulen. Auch eine Anpassung.

Heute kommt er mit mir. Hugo meine ich, nicht Matthew. Die Zwillinge haben am Telefon leicht entsetzt geklungen.

»Ein Hund?«, hat Amy gefragt, und ich habe beinahe hören können, wie sie voller Abscheu die Nase rümpft. »Riecht der nicht?«

»Nein«, habe ich sie beruhigt, »er riecht nicht. Er leistet mir Gesellschaft, nachdem ihr weggegangen seid, und es ist noch ein bisschen zu früh, ihn wieder ins Tierheim zurückzubringen.«

Sie werden schon mit ihm klarkommen, wenn sie ihn erst mal sehen, da bin ich sicher.

Ich glaube, ich habe daran gedacht, alles abzudrehen. Ich habe nach den Fenstern gesehen und die Türen verriegelt. Nur meinen Autoschlüssel habe ich nicht finden können. Ich bin seit einer Woche nicht mehr gefahren, aber ich weiß, er muss hier irgendwo sein. Einstweilen muss ich den Reserveschlüssel nehmen.

Ich lächle vor mich hin, als ich bei meinem gepackten Koffer in der Diele stehe. Ein bitteres kleines Lächeln. Tom hätte mir so etwas niemals zugetraut. Er hätte gesagt, ich würde vergessen, Hosen einzupacken, oder ich würde das Bügeleisen anlassen und das Haus anzünden, und deshalb hätte er das Kommando übernommen, meinen Koffer kontrolliert und mich im Flur warten lassen, während er die Wohnung abschloss. Im Nachhinein staune ich über meine eigene Hilflosigkeit. Vielleicht war es leichter, mich einfach zu fügen – wobei ich vermute, dass ich eher seine Kontrollwut mit fürsorglicher, standhafter Liebe verwechselt habe.

Der Gedanke an Tom erinnert mich daran, dass ich noch etwas tun muss, bevor ich den Alarm einschalte. Ich muss ihn anrufen. Ich habe es zu lange hinausgeschoben, und es ist nicht fair gegen ihn oder gegen mich.

Ich wähle die Nummer mit zitternden Fingern. Bei dem Gedanken daran, jetzt endlich mit ihm zu sprechen, fühle ich mich nervös und merkwürdig. Die Verbindung steht, und es klingelt nur zweimal, bevor er sich meldet, als hätte er die ganze Zeit angespannt mit dem Handy in der Hand dagesessen und auf meinen Anruf gewartet. Der Klang seiner Stimme lässt immer noch einen Ruck durch mein Herz gehen – als würde ich defibrilliert.

»Hallo, Izzy? Gott sei Dank.«

Ach, Tom. Wofür?

»Ich habe gebetet, dass du anrufst. O Gott, Izzy, ich habe …«

Es hört sich an, als habe er Jesus gefunden. Ich unterbreche ihn. Wir können das nicht am Telefon erledigen. Ich muss ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübersitzen und in aller Ruhe über alles sprechen.

»Tom, wir müssen reden. Es geht jetzt schon lange genug so. Wir müssen Ordnung in dieses ganze Chaos kriegen, aber nicht jetzt. Ich kann das nicht am Telefon.«

»Izzy, bitte, lass mich einfach nach Hause kommen. Ich kann alles wiedergutmachen. Ich versprech’s dir.«

Ich soll ihn nach Hause kommen lassen? Ich verkneife mir, darauf hinzuweisen, dass er derjenige ist, der gegangen ist. Er redet, als hätte ich ihn in die Verbannung geschickt. Wo er ist, klingt es hohl und hallend, und ich sehe Madelines gewölbten Hausflur vor mir – leere Wände aus Glas. Mir wird bewusst, dass ich nicht wissen will, wo er wohnt oder ob sie noch zusammen sind, aber es hört sich an, als wären sie es nicht.

Zu meinem Ärger scheint er meine Gedanken zu lesen.

»Izzy, ich bin bei Steve. Ich möchte nur nach Hause kommen. Das Ganze war ein Fehler. Bitte hör mich an, es hatte nichts zu bedeuten. Es tut mir so leid. Ich habe nie vorgehabt, dich zu verletzen. Ich weiß nicht, was da passiert ist.«

Ach nein? Aber ich weiß es. Du bist mit einer anderen weggelaufen. Das ist passiert. Also ist er jetzt nicht bei Madeline, sondern bei Steve, seinem alten Freund von der Uni.

»Tom, ich habe gerade gesagt, ich will das nicht am Telefon. Es ist auch dein Haus, und du kannst herkommen, wann du Lust hast, aber ich werde in der Weihnachtswoche nicht hier sein. Ich fahre zu meinem Vater und komme erst im neuen Jahr zurück.«

Einen Moment lang ist es still, und die Traurigkeit rollt über mich hinweg. Dies hätte unser erstes Weihnachtsfest in unserem neuen Haus sein sollen, eine Zeit voller Liebe und Glück. Trotz allem, was er getan hat, empfinde ich bei dem Gedanken an ein Weihnachten ohne ihn immer noch Bedauern, und unversehens frage ich mich, was er wohl tun und wo er sein wird. Ich verhärte mein Marshmallow-Herz. Da ist immer noch seine Mutter; die wird sich freuen.

Er klingt verletzt. »Ich hatte gehofft, wir könnten über Weihnachten zusammen sein. Ich habe Urlaub … und ich habe etwas für dich gekauft, ein Geschenk …«

Er spricht so zögernd. Da ist keine Spur von seinem gewohnten Selbstvertrauen, und mir steigt ein Kloß in die Kehle. Nein, ich werde nicht mehr weinen. Die Zeit der Tränen ist vorbei. Glaubt er wirklich, mit einem Geschenk ist alles wieder okay?

»Tut mir leid, Tom, aber so einfach ist das nicht. Du kannst nicht erwarten, dass du zurückkommen kannst, als wäre nichts gewesen. Die Dinge haben sich geändert. Es tut mir leid. Hör zu, wir werden dieses Gespräch wirklich nicht am Telefon führen. Ich bin am Mittwoch wieder da, und dann können wir reden.«

»Izzy, ich hatte gehofft, wir könnten die Zeit über Weihnachten nutzen, um miteinander zu reden und zu versuchen, alles wieder in Ordnung zu bringen. Bitte, Izzy, tu das nicht, wirf mich nicht meiner Mutter zum Fraß vor.«

Er versucht, einen Scherz zu machen, aber ich höre den Schmerz in seiner Stimme. Meiner kann ich kaum noch vertrauen.

»Tut mir leid, Tom, ich muss jetzt Schluss machen. Schick mir eine Nachricht und lass mich wissen, was du tust, und wir sprechen im neuen Jahr miteinander.«

Ich zögere. Ich kann ihm ja kaum frohe Weihnachten wünschen, aber es kommt mir jetzt alles so herzlos vor. Weihnachten macht alles viel schwerer – so pathosbeladen und tragisch.

Er spürt mein Zögern. »Izzy, warte …«

Ich lege auf, bevor er mich noch weichkriegt, und ich sehe ihn vor mir, wie er dasteht mit seinem stummen Telefon in der Hand.

Mein Gott, das war viel, viel schwerer, als ich dachte. Es ändert nichts, aber mir liegt immer noch etwas an ihm, und es bricht mir das Herz, dass es so enden musste mit uns.

Ich sehe mich ein letztes Mal in der Diele um. Schon breitet sich im Haus das Gefühl der Leere aus, die Atmosphäre, die es erfüllt, wenn man aus dem Urlaub zurückkommt. Als wäre man jahrelang weg gewesen. Ich schwöre, es riecht bereits muffig. Eine bedrückende Stille legt sich auf mich, und mich fröstelt. Nach all der Zeit ist es mir hier immer noch unheimlich.

Ich schalte die Alarmanlage ein und schließe gewissenhaft hinter mir ab. Ich werde nach Richmond fahren, so weit, wie ich noch nie im Leben gefahren bin, aber ich bin nicht beunruhigt. Ich bin die neue, neue Isabel.

Ich gehe auf den Golf zu und will ihn aufschließen, aber dann sehe ich, dass die Fahrertür einen Spaltbreit offen steht. Das ist sonderbar. Ich bin sicher, dass ich den Wagen abgeschlossen habe, als ich ihn das letzte Mal benutzt habe. Die Innenbeleuchtung glimmt matt, und ich erschrecke bei dem Gedanken, die Batterie könnte leer sein. Ich schiebe Hugo auf den Rücksitz und halte den Atem an, als der Anlasser sich ein-, zwei-, dreimal mühsam mahlend dreht, bevor der Motor anspringt. Vor Erleichterung kommen mir fast die Tränen. Wenn er nicht angesprungen wäre, hätte ich nicht gewusst, was ich tun soll. Ich habe keine Ahnung, wo Tom das Ladegerät aufbewahrt oder ob wir überhaupt eins haben, und an Heiligabend gibt es niemanden, den ich anrufen könnte.

Ich lege meinen Koffer in den Kofferraum, und mein neugefundenes Selbstbewusstsein hat eine kleine Delle. Vielleicht hat Tom recht, und man kann mir nichts zutrauen, und vielleicht werde ich niemals »mein Leben selbst bestimmen«, wie Dr. Stedman sagt. Vielleicht tauge ich nur für das mittlere Management meiner selbst. Im Geiste schüttele ich mich: Nein, so leicht werde ich nicht scheitern.

Ich steige ein und fahre langsam davon, und »The Lodge« bleibt wie ein brütendes Ungeheuer hinter mir zurück. Keine Christbaumkerzen leuchten in den Fenstern, kein fröhlicher Kranz hängt über meiner Tür.