EPILOG

April 1503
Kinlochleven Castle

Jan van Artevelde hatte sich in Joanna verliebt. Joannas Porträt im Brautkleid, das in Rorys Arbeitszimmer auf der Staffelei neben dem Kamin stand, war ein Meisterwerk. Das knabenhafte, herzförmige Gesicht umrahmt von der leuchtend roten Mähne, die strahlenden tiefblauen Augen mit den dichten dunkelroten Wimpern konnten jeden noch einigermaßen vitalen Mann erfreuen. Joannas leuchtende Augen, ihr sprühendes Temperament hatte der Künstler genial eingefangen. Für den talentierten kleinen Flamen war Lady MacLean eine Studie, die einem Porträtmaler wie ihm selten geboten wurde. Er besaß die Gabe, seinen Sinn für Schönheit, die flämische Liebe zum Realismus und eine brillante Technik der Ölmalerei zu kombinieren.

Natürlich war es eine rein ästhetische Liebe, die der kleine Flame für Joanna hegte. Dennoch sehnte Rory den Tag herbei, an dem van Artevelde Palette und Farbentöpfe einpackte und nach Stalcaire zurückkehrte, damit das Familienleben endlich wieder zu einer normalen Routine zurückfand.

„Halt still, Jamie. Es dauert nicht mehr lange“, beruhigte Joanna ihren Sohn und warf gleichzeitig ihrem Mann ein verführerisches Lächeln zu. „Und Ihr auch, geliebter Gatte. Habt noch ein wenig Geduld.“

„Drei Wochen lang habe ich Geduld gezeigt“, beschwerte Rory sich. „Meine Leute warten auf Anweisung, nicht nur zur Aussaat von Hafer und Gerste, sondern auch zum Bau der neuen Scheunen.“

„Nur noch ein paar Minuten, Milord“, rief Artevelde in schwerfälligem Gälisch hinter seiner hohen Staffelei. „Dann sind wir fertig. Die letzten Feinheiten kann ich morgen ohne Euch machen.“

Van Artevelde hatte das Gruppenbild der Familie in der oberen Halle im Licht zwischen zwei Fenstern arrangiert. Rory stand in seiner vollen Clanstracht samt Mütze mit Federn neben seiner sitzenden Frau. In lavendelfarbener Samtrobe hielt Joanna ihre zweijährige Tochter Chrissy auf dem Schoß, Jamie sollte neben seiner Mutter stehen, eine Hand auf ihr Knie gestützt. Den lebhaften Vierjährigen zum Stillstehen zu bringen, war fast ebenso schwierig wie für seinen geschäftigen Vater, ein paar freie Augenblicke für die Sitzung zu finden.

Jamie hatte grüne Augen und goldblondes Haar wie sein Vater, während Chrissy mit den leuchtenden Farben ihrer Mutter gesegnet war. Rorys Herz machte stets Luftsprünge, wenn er seine kleine Familie sah. Das Leben hat es wirklich gut mit mir gemeint, fand er.

„Fertig!“ Strahlend kam Artevelde hinter seiner Staffelei hervor. „Das Werk ist beendet.“

„Hurra!“, schrie Jamie und rannte zur Tür. „Ich reite mein neues Pony.“

Lachlan, der gerade zur Tür hereinkam, rannte den Jungen fast um. „Hallo, nicht so schnell, Kleiner.“ Er nahm den Jungen hoch und warf ihn in die Luft. „Du kannst auf Onkel Lachlans Schultern reiten und deine Großmutter und Onkel Keir begrüßen.“

„Hüh, Pferdchen, hüh“, schrie er, als Lachlan seinen Neffen auf die Schultern gehoben hatte und übermütig mit ihm über den Teppich sprang.

Lady Emma und ihr jüngster Sohn hatten hinter Lachlan die Halle betreten. Keir brachte für Jamie und Chrissy eine Menge Geschenke mit, die er auf die Vitrine legte. Sie waren nämlich alle von Stalcaire angereist, um den Geburtstag des kleinen Mädchens zu feiern.

„Oh, da seid Ihr ja endlich!“, rief Joanna und begrüßte ihre Verwandten mit Umarmungen und Willkommensküssen. „Wir hatten gehofft, dass Ihr zum Essen eintrefft. Wir werden es hier oben einnehmen, wo es gemütlicher ist.“

Rory reichte seiner Mutter ihre kleine Enkelin und küsste sie beide auf die Stirn. Nachdem er seine Brüder mit Händeschütteln und einem kräftigen Schlag auf den Rücken willkommen geheißen hatte, versammelten sich alle vor dem Gruppenbild.

„Wundervoll“, lobte Lady Emma, die ihre quietschvergnügte Enkeltochter auf der Hüfte trug. „Wirklich perfekt habt Ihr sie eingefangen, Sir.“ Lady Emma schenkte Jan Artevelde ein anerkennendes Lächeln. „Ein schöneres Bild habe ich noch nicht gesehen.“

Strahlend nahm der kleine Flame das wohlverdiente Lob entgegen. „Danke, Milady. Ich glaube selbst, es ist das Beste, was ich bislang gemalt habe.“

Auch Rory betrachtete das Gemälde mit größter Zufriedenheit. Die langwierigen Sitzungen hatten sich wirklich gelohnt. Jan van Artevelde war ein Meister. In Joannas Gesicht strahlten ihre Vitalität und ihr Temperament, ein inneres Leuchten in den Gesichtszügen konnte das härteste Herz rühren. Rorys scharfe, wettergegerbte Züge enthüllten auch dem oberflächlichsten Betrachter nicht nur seinen zähen, schottischen Stolz und seine Bereitschaft, für seine Überzeugung und sein Land zu kämpfen, sondern auch sein persönliches Glück und seine tiefe, immerwährende Liebe zu seiner Familie.

Nachdenklich stand Lachlan neben seinem Bruder. „Was hast du gemacht, um so verdammt glücklich zu werden?“

„Diese Frage stelle ich mir auch jeden Tag wieder“, antwortete Rory, ohne den Blick vom Bildnis seiner hübschen Frau zu wenden.

Joanna hatte ihm vergeben. Im Sommer nach Jamies Geburt hatten sie Somerleds sterbliche Überreste von Edinburgh nach Kinlochleven geholt und neben seiner Frau und seinem Sohn bestattet. Im nahe gelegenen Kloster hatten sie zu Ehren des alten Mannes eine Kapelle gebaut, in der Joanna Kerzen für seine Seele anzünden und beten konnte.

Rorys Klage gegen Archibald Campbell musste fallen gelassen werden. Seine Schuld konnte nicht bewiesen werden. Godfreys Wort stand gegen das des schlauen Earls, und Argyll brachte ein Dutzend plausible Argumente vor, weshalb der sterbende Mann ihn grundlos beschuldigt hatte. Doch James Stewart hatte allen Parteien deutlich gemacht, dass er, im Falle von Rorys Tod, einer Verbindung zwischen der Witwe und Iain Campbell oder einem anderen Mitglied dieses Clans nicht zustimmen würde. Auf Joannas inständiges Bitten hatte Rory schließlich zugestimmt, die Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen. Eine lange, bittere Fehde mit dem Campbell-Clan würde Rorys Bestreben, den Westlichen Highlands Frieden zu bringen, nur entgegenstehen.

Lachlans Hand auf seiner Schulter unterbrach Rorys ernste Gedanken. „Ich habe Neuigkeiten für Euch“, verkündete sein Bruder laut.

„Was denn für Neuigkeiten. Seid Ihr etwa verlobt?“, fragte Joanna neugierig.

Lachlan schüttelte lachend den Kopf. „Nichts ganz so Aufregendes. Der König hat mich in die schottische Eskorte seiner neuen englischen Braut berufen. Zusammen mit anderen Gesandten werde ich nächsten Monat nach London reisen und Margaret Tudor im Juli auf ihrer Reise nach Edinburgh begleiten. Aus diesem Grund hat der König mir auch einen neuen Titel verliehen. Ab jetzt bin ich der Earl of Kinrath.“

James IV. von Schottland hatte vor knapp zwei Jahren die älteste Tochter von Henry VII. von England geheiratet. Die Braut war damals erst zwölf gewesen. Nun, mit vierzehn, war sie alt genug, als Königin nach Schottland zu kommen.

„Das ist wunderbar! Herzlichen Glückwunsch“, rief Joanna begeistert.

Ansonsten sagte niemand ein Wort.

Da Joanna mütterlicherseits englische Vorfahren hatte, war der Rest der Familie zu höflich, das auszusprechen, was Lachlan sicherlich in diesem Moment dachte: ein Tritt in ein Vipernnest konnte nicht schlimmer sein als sein Besuch am Hof der verräterischen Sassenachs.

Joanna blickte fragend in die schweigende Runde und erwartete, dass die Verwandten auf die frohe Kunde reagierten.

„Herzlichen Glückwunsch zu deinem neuen Titel“, sagte Rory schließlich, und der Rest der überraschten Familie schloss sich seinen Wünschen an.

In diesem Moment kamen Fearchar und Maude in die Halle, gefolgt von den Dienern, die das Mittagsmahl brachten. Das Paar war seit drei Jahren verheiratet, und obwohl sie keine Kinder hatten, lebten die beiden glücklich und zufrieden auf Kinlochleven. Maude kümmerte sich um Jamie und Chrissy in derselben liebevollen Art, wie sie stets für Joanna gesorgt hatte. Fearchar diente als Hauptverwalter für Joannas und Rorys Ländereien.

Nachdem alle an der Tafel Platz genommen hatten, setzte sich Joanna neben Rory. Er konnte in ihrem hübschen Gesicht lesen, wie verwirrt sie war.

„Weshalb haben denn alle so erschrocken Lachlan angestarrt?“, erkundigte sie sich leise.

„Wir ängstigen uns, was die Sassenach-Mädchen wohl mit ihm machen.“

Joanna sah ihn unsicher an. „Was die Mädchen wohl mit ihm machen?“ Ihr war nicht klar, ob Rory scherzte oder es ernst meinte.

Rorys Hand glitt unter ihren festen kleinen Hintern und zwickte sein leichtgläubiges Weib liebevoll. „Es heißt, die breitgesichtigen englischen Weiber fassten dem Schotten unter das Plaid, um sich zu vergewissern, ob er tatsächlich einen Schwanz hat.“ Er lachte schallend, als er ihre beleidigte Miene sah. Dann gab er ihr trotz der neugierigen Blicke all seiner Verwandten einen langen, leidenschaftlichen Kuss. „Heute Nacht dürft Ihr wieder nachsehen, ob mir in den letzten vierundzwanzig Stunden keiner gewachsen ist“, wisperte er.

„Ganz gewiss werde ich das tun“, erwiderte sie keck. „Wahrlich, ein armes Sassenach-Mädchen kann nie vorsichtig genug sein, wenn es einen bösen, teuflischen schottischen Sea Dragon trifft.“

Rory war grenzenlos glücklich. „Herzliebchen“, flüsterte er zärtlich, „ich liebe Euch.“

„Ich liebe Euch auch, mein Gatte“, antwortete sie, zog die sommersprossige Nase kraus und lachte ihn frech an. „Selbst wenn Euch niemals ein richtiger Drachenschwanz wachsen sollte.“

– ENDE –