8 | Eine Odyssee

Nach Friends , nach den Kinofilmen, nach dieser sechs Jahre andauernden Beziehung, nach all dem ewigen Auf und Ab, nach allem, was ich erlebt hatte, begann für mich eine sechs Jahre lange Odyssee. Auch wenn es vielleicht nicht den Anschein hatte, war ich keineswegs ein reicher Mann, der nicht viel zu tun hatte. Tatsächlich hatte ich mehr zu tun als je zuvor. Nein, ich fühlte mich wie jemand, der eine Klippe hinabstürzt, der in einem reißenden Fluss gefangen ist, der sich an jeden Felsen klammert, in der Hoffnung, dort seine Rettung zu finden.

Zwischen Mr. Sunshine und Go On hatte ich in Cirque Lodge, einer Entzugsklinik im Sun Valley von Utah, Station gemacht – es war inzwischen der dritte Entzug, wenn man zu Hause mitzählt. Die Lodge liegt am Fuße des Mount Timpanogos in den Rocky Mountains. Ich bin kein ausgesprochener Naturliebhaber. Wenn es Orte in der Natur gibt, wo ich meinen Frieden finden kann, dann ist es am Meer oder zumindest etwas mit Blick aufs Meer, aber hier in Utah war die Natur überwältigend. Die Luft war dünn und klar, messerscharf, geradezu reinigend. Überall gab es Truthähne, die verfressen waren bis zum Umfallen (ab und zu flogen sie auch – wer weiß schon, dass sie fliegen können?). Steinadler gab es ebenfalls, und manchmal stakste ein Elch vorbei, langsam und schwerfällig (ja, wirklich, es gab dort Elche, ich habe mir das nicht eingebildet).

Abgesehen von der wunderschönen Lage hatte die Cirque Lodge auch erstklassige Mitarbeiter. Sie wussten genau, was sie zu tun hatten. Mein Suchtberater Burton (den ich, wenn sein Gesicht grün gewesen wäre, für Yoda gehalten hätte) war mir eine unermessliche Stütze. Er half mir sowohl bei meinen realen Problemen als auch bei den Problemen, die ich die ganze Zeit mit mir herumschleppte, die aber nicht real, sondern eingebildet waren. (Er ist einer der wenigen Männer, denen ich jemals gesagt habe, dass ich sie liebe.) Ich kam vollkommen verängstigt an (eine Grundvoraussetzung für jeden, der sich in eine Entzugsklinik begibt, aber dennoch ist dies ein äußerst unangenehmer Zustand), doch Burtons besänftigende Stimme sorgte nahezu umgehend dafür, dass es mir ein wenig besser ging.

»Definiere es, mach es sichtbar, und löse dich davon« lautete eines der großen Mantras im Cirque, und ich war schnell überzeugt von dem Gedanken, dass ich zumindest den letzten Teil umsetzen konnte. Es war Zeit, den ganzen Scheiß ein für alle Mal loszuwerden. Zu diesem Zeitpunkt war ich ein richtiger Experte für das Zwölf-Schritte-Programm (und für alles andere, womit man in so einer Entzugsklinik meistens konfrontiert wird) … Das ging so weit, dass ich während meines Aufenthalts dort viel Zeit damit verbrachte, Neuankömmlingen zu helfen, und versuchte, ein wenig Spaß zu haben. Ich ließ mir eine Tischtennisplatte liefern und erfand sogar ein Spiel, bei dem es darum ging, dass wir alle einen roten Ball hin und her warfen. Für all das konnten sich die anderen Patienten stundenlang begeistern, und mir selbst gab dies einen Motivationsschub. Ich wollte unbedingt helfen. Darin war ich gut.

Ich dachte, dass ich während dieses Aufenthalts tiefe Trauma-Arbeit würde leisten müssen, dass ich mich mit meiner Kindheit beschäftigen müsse und dadurch alte Schmerzen und das Gefühl der Einsamkeit wieder aufleben würden. Auf diese Weise könnte ich den schmerzhaften Prozess anstoßen, um mich von diesen Dingen zu befreien. Wenn ich diese traumatischen Ereignisse überwände, so meine Vorstellung, würde ich nicht mehr diesen Drang verspüren, alles mit Drogen und Alkohol zu überdecken.

Burton schätzte die Lage jedoch anders ein. Er warf mir vor, an dem Drama meiner Abhängigkeit Gefallen zu finden, und fragte mich, wie ich denn in Cirque Lodge so viel Spaß haben könne und mich gleichzeitig von fast allen Anforderungen in der realen Welt so beunruhigen ließe.

Ich empfand diese Frage als direkten Angriff. Ich finde Gefallen daran? Wie konnte Burton auf meine Jahrzehnte von Sucht und Schrecken blicken, auf meinen Mangel an Selbstkontrolle, meine offensichtlichen inneren Qualen, und sagen, mir würde das gefallen?

Während der Familie-und-Freunde-Woche war es für die Teilnehmer ganz normal, Menschen zu Besuch einzuladen, aber ich wehrte mich strikt dagegen. Mein Vater hatte mich im Hazelden besucht, meine Mutter im Promises Malibu, und meine damalige Freundin hatte endlose Stunden damit verbracht zuzuschauen, wie ich mich in Schimpftiraden erging, während ich mich mit Hilfe unzähliger Pflegerinnen und Entzugsbegleiter entgiftete. Ich wollte nicht, dass sie das alles noch einmal durchmachen mussten. Es war zu schmerzhaft, zu hart, zu unfair. Ich wollte ihnen etwas Ruhe gönnen. Das war das Mindeste, was ich tun konnte. Ich hatte den Karren in den Dreck gefahren, ich musste ihn auch wieder hinausbugsieren.

Eines Tages, etwa zu der Zeit der Familie-und-Freunde-Woche, fand ich mich ganz allein draußen sitzend, in der Hoffnung, dass sich ein Elch zeigen oder ein Truthahn auf einen Baum flattern würde. Es war ein eisig kalter Tag mit Minustemperaturen, aber ich wollte eine rauchen, sodass mir nichts anderes übrig blieb, als mich warm einzupacken und hinauszugehen … Während ich an einer Marlboro zog, setzte leichter Schneefall ein, und eine unglaubliche Stille breitete sich aus, als wolle das Universum geduldig meinen Gedanken und meinem Herzen lauschen.

Ich frage mich, was das Universum wohl gehört hat.

Ich begann, darüber nachzudenken, warum ich während meines Aufenthalts keine Besucher empfangen wollte, und da überkam mich ein tiefgründiger Gedanke: Warum erspare ich meiner Familie und den Menschen, die ich liebe, diese Hölle, aber nicht mir selbst?

Dank dieses Gedankens wurde mir klar, dass Burton mit seiner Bemerkung recht gehabt hatte: Ich fand Gefallen an dem Chaos. Es war Zeit, mir selbst eine Pause zu gönnen. Drogen gaben mir schon lange nicht mehr wirklich das, was ich brauchte, doch trotzdem griff ich immer wieder auf sie zurück und riskierte dabei mein Leben, um … ja, um was? Zu fliehen? Wovor wollte ich fliehen? Das Schlimmste, vor dem ich hätte davonlaufen müssen, waren meine Alkoholsucht und meine Tablettenabhängigkeit, und das mithilfe von Drinks und Drogen zu versuchen, entbehrte jeglicher Logik. Das ergab doch alles keinen Sinn, nicht im Geringsten. Ich war klug genug, das zu erkennen, aber etwas daran zu ändern … Das war eine ganz andere Aufgabe, die ich noch nicht angenommen hatte. Veränderung ist selbst dann noch beängstigend, wenn dein eigenes Leben auf dem Spiel steht.

Zumindest stellte ich endlich die richtigen Fragen, auch wenn die Antworten mir nicht vollkommen klar waren. Tief in mir wusste ich, dass es die einfachen Freuden sind, die im Leben wichtig sind, wie einen roten Ball hin und her zu werfen oder zu beobachten, wie ein Elch über eine Lichtung schreitet. Ich musste mich von all den Dingen lösen, die Schaden anrichteten, etwa davon, dass ich noch immer Wut auf meine Eltern verspürte, weil ich so viele Jahre zuvor auf mich allein gestellt gewesen war, dass ich mich unzulänglich fühlte, dass ich davor zurückscheute, mich wirklich ernsthaft in einer Beziehung zu binden, weil ich Angst dem möglichen Ende dieser Beziehung hatte.

Ich musste mir klarmachen, dass mein Vater fortgegangen war, weil er Angst hatte, und dass meine Mutter damals einfach viel zu jung gewesen war und ihr Bestes gegeben hatte. Es war nicht ihr Fehler, dass sie dem blöden kanadischen Premierminister so viel Zeit hatte widmen müssen – es war eben kein normaler Job mit festen Dienstzeiten, und es war egal, dass ein Kind zu Hause wartete. Aber damals konnte ich das nicht verstehen, und das waren die Folgen …

Ich musste weitermachen, aufwachen und erkennen, dass es da draußen eine große Welt gab, die es nicht auf mich abgesehen hatte. Tatsächlich hatte die Welt gar keine Meinung über mich. Sie existierte einfach wie die Tiere und die schneidend kalte Luft. Das Universum war neutral und schön und würde immer weiterexistieren, mit mir oder ohne mich.

In der Tat lebte ich in einer Welt, in der es mir – unabhängig von ihrer »Neutralität« – gelungen war, mir einen wichtigen, bedeutsamen Platz zu erschaffen. Ich musste mir klarmachen, dass im Falle meines Todes meine Beteiligung bei Friends nicht das Wichtigste sein sollte, was ich in meinem Leben erreicht hatte. Ich musste mich daran erinnern, nett zu den Menschen zu sein. Ich wollte, dass sie sich freuten, wenn sie mir zufällig begegneten, und ich wollte, dass eine solche Begegnung mich nicht gleich erschaudern ließ, als sei dies das Einzige, worauf es ankommt im Leben. Ich wollte freundlich sein, aufrichtig lieben, besser zuhören, bedingungslos geben können. Es war Zeit, kein so verängstigtes Arschloch mehr zu sein. Ich musste anerkennen, dass ich in der Lage war, jede Situation, wann und wie sie sich auch auftun mochte, zu meistern. Weil ich die Kraft dazu hatte.

Der Schneefall ließ schließlich nach, und aus der hereinbrechenden Dunkelheit tauchte in aller Seelenruhe ein Elch in der Parkanlage auf. Es war eine Elchkuh mit einem gleichmütigen Ausdruck in ihrem langen Gesicht, als ob sie schon alles zumindest einmal gesehen hätte und nichts mehr sie beunruhigen könnte. Das bedeutet etwas, dachte ich bei mir. Hinter ihr versuchten einige Kälber, die in kindlichem Überschwang herumtollten, mit ihr Schritt zu halten. Sie schauten mich alle an, standen da in der Dämmerung, und dann drehten sie sich um und wanderten fort.

Vielleicht war das die Lektion, die mir das Universum vorbehalten hatte: Für das große Universum war ich völlig unwichtig. Ich war nur ein weiteres menschliches Wesen, das sich unendlich im Kreis drehte.

Das anzuerkennen war Lektion genug. Ich drückte meine Marlboro aus und ging wieder zurück, um ein weiteres Spiel mit dem roten Ball zu beginnen.

Als ich Cirque Lodge verließ, war ich schlank und glücklich und bereit, mich der Welt zu stellen. Ich war auch bereit, mit meiner Freundin auf ewig zusammen zu sein. Aber meine damalige Freundin mochte diesen neuen Matty nicht besonders. Ich hatte den Eindruck, dass es ihr gar nicht so gut gefiel, dass ich sie nicht mehr so sehr brauchte wie zuvor. Vielleicht hatten ihr meine Probleme ein Gefühl von Sicherheit gegeben. Er wird mich nie verlassen, nicht, solange er in seine eigenen Probleme verwickelt ist. Sie kam nicht damit klar, dass es mir besser ging. Und diese bittere Erkenntnis wurde uns zum Verhängnis. Nachdem wir uns intensiv bemüht hatten, die verschiedenen Puzzleteile unserer Beziehung wieder zusammenzufügen, gaben wir uns schließlich geschlagen und trennten uns. Es war alles in allem ein sehr trauriges Ende. Sie war mein Lieblingsmensch auf diesem Planeten gewesen, aber es hatte nicht sein sollen. Es war die richtige Entscheidung, aber das bedeutete nicht, dass es nicht ungemein traurig war.

Wieder einmal stellte ich mir die Frage: Was nun?

Ich füllte die Lücke zunächst mit großem Aktivismus, doch dabei flog ich zu hoch, kam zu nah an die Sonne, und letzten Endes verlor ich meinen letzten Hauch von Unschuld.

Im Jahr 2001 hatte ich Zeit in einer Entzugsklinik verbracht, die Promises hieß und sich in Malibu befand (das war, kurz nachdem ich in Marina del Rey Das Blaue Buch der Anonymen Alkoholiker gefunden hatte). Dort lernte ich einen Mann namens Earl Hightower kennen. Er hatte im Promises einen Kurs gegeben und mir auf Anhieb gefallen. Er besaß Humor und ein unglaubliches Wissen über alles rund um die Anonymen Alkoholiker. Earl hatte auch noch einige andere berühmte Klienten, die ganz gute Fortschritte machten, und ich dachte, er sei genau der Richtige für mich, also bat ich ihn, mein »Sponsor« zu werden. (Er erzählte mir, dass er seit 1980 keinen Drink mehr zu sich genommen habe.) Bei einem Kaffee gestand ich, dass ich Bedenken hätte, unter anderem, dass er mir eines Tages ein Drehbuch unter die Nase halten könnte. Er sagte: »Nun, es gibt da ein Drehbuch, aber das würde ich Ihnen nicht antun …«

So begann unsere Beziehung. Ich arbeitete alle Schritte mit ihm durch – in der Tat nötigte ich ihn nahezu, sie mit mir in Angriff zu nehmen. Ich wollte unbedingt in dem Programm vorankommen und trocken bleiben, also rief ich ihn jeden Tag an und forderte ihn auf, mit mir daran zu arbeiten. Er behauptete, niemand habe ihn jemals zuvor so sehr beansprucht wie ich, und im Verlauf der folgenden zehn Jahre übernahm er zwei Rollen: Er war mein Sponsor, aber zugleich auch mein bester Freund. Ich schaute zu ihm auf und hörte ihm aufmerksam zu. Wir hatten beide den gleichen Sinn für Humor und klangen sogar ähnlich. Ich ignorierte den Umstand, dass er in der Welt des Entzugs eine gewisse Berühmtheit war, obwohl in dieser Welt doch eigentlich alles anonym sein sollte.

Aber mein größter Fehler war, dass ich ihn in gewisser Weise zu einer höheren Instanz erklärte. Wenn ich ein Problem in meiner Beziehung oder irgendetwas anderes auf dem Herzen hatte, rief ich ihn an, und er wusste immer Rat. Es ging so weit, dass ich, wenn er mir gesagt hätte: »Tut mir leid, Matthew, du musst nach Alaska ziehen und dich auf den Kopf stellen«, sofort ein Flugticket nach Anchorage gebucht hätte. Wenn er gesagt hätte: »Du kannst in den nächsten drei Monaten nur grüne M&Ms essen«, können Sie sicher sein, dass ich khakifarbenen Stuhlgang gehabt hätte.

Tief in mir wusste ich nur zu genau, dass es keine gute Idee war, seinen Sponsor zum besten Freund zu machen, aber Earl bedeutete mir alles. Er war wie ein Vater für mich geworden, mein Mentor. Ich besuchte seine Vorträge (er war umwerfend komisch und ein sehr wirkungsvoller Redner). Wir gingen gemeinsam ins Kino. Und wenn ich Rückfälle hatte, half er mir, einen Behandlungsplatz zu finden. Es ist nicht übertrieben, wenn ich behaupte, dass er mir vielleicht einige Male das Leben gerettet hat.

Und dann wurde aus unserer Freundschaft auch eine Geschäftsbeziehung. Ja, ich ging mit meinem Sponsor eine Geschäftspartnerschaft ein. Ein verdammter, fataler Fehler.

Earl hatte eine Firma ins Leben gerufen, die rund um Los Angeles sogenannte sober living houses , also private Therapieeinrichtungen für Suchtkranke, einrichtete. Deren Leitung wollte er übernehmen. Ich investierte 500.000 Dollar in das Unternehmen und machte aus meinem Haus in Malibu einen solchen therapeutischen Wohnort mit dem Namen Perry House. Earl und ich reisten zudem auf Anraten des großartigen West Huddleston, des Vorsitzenden der National Association of Drug Court Professionals, mehrmals nach Washington, D.C., um uns dort mit Abgeordneten zu treffen, mit deren Hilfe wir die Drogengerichte effizienter machen wollten. Diese Drogengerichte haben das Ziel, Suchtkranke, die nicht gewalttätig sind, zu entkriminalisieren, indem man ihnen Betreuung und Behandlung bietet statt eines Gefängnisaufenthalts. Im Mai 2013 kam es sogar dazu, dass Gil Kerlikowske, damals Obamas Drogenbeauftragter, mir einen Preis verlieh, einen »Champions of Recovery Award«, ausgeschrieben vom Büro für Nationale Drogenkontrollpolitik der Obama-Regierung. Gegenüber dem Hollywood Reporter konnte ich mir damals den Scherz nicht verkneifen, dass ich, »wenn ich verhaftet worden wäre, mit einem Tattoo im Gesicht irgendwo im Gefängnis sitzen würde«.

Im selben Monat war ich Gastmoderator der Talkshow Piers Morgan Live , hatte dort Lisa Kudrow und Lauren Graham zu Gast, konzentrierte mich aber auch auf Aspekte wie Sucht und Genesung. Ich versuchte herauszufinden, was ich in Zukunft tun wollte, und in der Talkshow fühlte ich mich sehr wohl. Gleich zu Anfang wies ich darauf hin, dass ich nicht Piers Morgan sei, was man natürlich daran erkennen könne, dass »ich keinen britischen Akzent habe und mein Vorname auch nicht so spitz klingt«, woraufhin Lisa laut kicherte. Ich dachte: Vielleicht ist das meine Zukunft? Ich machte sogar einen Witz darüber, dass meine demnächst erscheinende Autobiografie Still a Boy heißen würde.

Oha.

Sei’s drum, ich war nun Talkshowmoderator und ein preisgekrönter Drogenabhängiger. Wie zum Teufel war es so weit gekommen?

Earl hatte ursprünglich vorgehabt, mit mir bei Piers Morgan aufzutreten, war aber in letzter Minute abgesprungen. Dennoch reisten wir später gemeinsam nach Europa, um uns dort für die Einführung von Drogengerichten einzusetzen, und ich hatte die Gelegenheit, das Thema in einer BBC -Nachrichtensendung namens Newsnight zu erörtern. Der Moderator war ein übellauniger Typ namens Jeremy Paxman, der dafür bekannt ist, seinen Gästen gegenüber sehr unhöflich zu sein. Außer mir waren Baroness Meacher, die damalige Vorsitzende der parteiübergreifenden parlamentarischen Gruppe für die Reform der Drogenpolitik im Vereinigten Königreich, die mich voll und ganz unterstützte, und ein völliger Schwachkopf namens Peter Hitchens eingeladen.

Ich kann mir nicht vorstellen, wie es ist, einen Bruder oder eine Schwester zu haben, den oder die alle toll finden, während man selbst der idiotische Bruder ist, den keiner mag, aber ich denke, Peter kann viel darüber erzählen, wie sich das anfühlt. Der Verlust von Peters wunderbarem Bruder, dem großen Christopher Hitchens, ist noch immer spürbar. Die Welt trauert diesem unübertroffenen Geschichtenerzähler, Schriftsteller, Denker und Genussmenschen auch mehr als ein Jahrzehnt nach seinem grausamen Krebstod noch nach. Leider hält sein jüngerer Bruder Peter nach wie vor Vorträge über Dinge, von denen er keine Ahnung hat, und vermischt dabei rechte Ideologie mit einer Art von Paternalismus und moralischer Besserwisserei.

Hitchens erschien in Newsnight , um seine bizarre Ansicht zu verbreiten, dass Drogenkonsum nur ein Zeichen von schwacher Moral sei (»Es gibt im Moment einen enormen Trend«, ätzte er, »den Menschen die Fähigkeit abzusprechen, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, und sie stattdessen für alles zu entschuldigen.« Dabei klang er wie eine verrückte Großtante, die ein Glas Sherry zu viel getrunken hat.) Noch bizarrer war, dass er später behauptete, dass es Sucht gar nicht wirklich gebe. Natürlich konnten die Baronin und ich ihn argumentativ locker in die Tasche stecken, aber das war auch keine große Kunst. Ich wies ihn nicht nur darauf hin, dass ich erwartet hätte, er werde zu dem Interview wie ein ernstzunehmender erwachsener Gesprächspartner erscheinen, was er aber offensichtlich nicht tat; es gelang mir auch, ihn wiederholt darauf aufmerksam zu machen, dass die American Medical Association bereits im Jahr 1976 Sucht als Krankheit diagnostiziert habe und dass er so ziemlich der einzige Mensch auf der Welt sei, der diese Einschätzung nicht teile. Das gefiel ihm nicht besonders, und schließlich endete das Interview damit, dass Paxman und Baroness Meacher einfach laut darüber lachten, wie dumm und herzlos Hitchens klang:

Hitchens: Wie kann es also möglich sein, dass Menschen überhaupt von der Sucht loskommen, wenn das, was Sie sagen, wahr ist?

Ich: Nun, Sie Nikolaus …

Hitchens: Ja, das ist furchtbar clever von Ihnen, aber wir reden hier über ein sehr ernstes Thema. Und Sie behandeln es mit ungeheurer Leichtfertigkeit …

Das beweist wohl, dass er weder von mir noch von dem Thema, über das er sich ausließ, die geringste Ahnung hatte.

In der Zwischenzeit hatte ich zwar Peter Hitchens zu Recht wie einen Idioten dastehen lassen und mich in ganz Europa für Drogengerichte eingesetzt, aber in den USA ging es mit dem Perry House bergab. Es kamen nicht genug Leute – es war einfach zu teuer, also musste ich meine Verluste begrenzen und das Haus verkaufen.

Als ich mich mit Earl zum Mittagessen traf, verlangte ich mein Geld zurück. Nun, ich warte bis heute darauf. Er redete über verrücktes Zeug, zum Beispiel überlegte er, Schauspieler zu werden. Irgendetwas stimmte nicht, und ich war von der ganzen Sache so angefressen, dass ich nach Hause ging und mich betrank. Daran war niemand außer mir schuld, aber zwei Dinge waren für immer verloren: meine Gutgläubigkeit und mein Vertrauen in Earl Hightower.

Schließlich zog Earl nach Arizona, ohne mir vorher etwas davon zu erzählen, und unsere Freundschaft war vorbei. Wir hatten unser Leben geteilt, waren beste Freunde geworden, hatten uns für Drogengerichte eingesetzt und ein sober living house aufgebaut, und nun hatte ich eine halbe Million Dollar verloren und dazu noch meinen engsten Verbündeten und die Unschuld, die ich all die Jahre gehegt hatte. Es brach mir das Herz.

Ich hatte jahrelang für das Fernsehen Drehbücher geschrieben, aber immer mit einem Partner. Am Tag nach dem Debakel mit Hightower fühlte ich mich besonders schlecht und unwohl, und dann musste ich daran denken, dass ein kluger Mann mir einmal gesagt hatte, dass ich in solchen Situationen kreativ sein solle. Also klappte ich meinen Laptop auf und begann zu tippen. Ich wusste nicht, was ich da tippte. Ich tippte einfach drauflos. Bald wurde mir klar, dass das, was da gerade entstand, ein Theaterstück war.

Ich brauchte das. In letzter Zeit hatte ich meine Ansprüche extrem heruntergeschraubt, und ich war nun entschlossen, mich wieder so weit aufzupäppeln, dass ich in den Spiegel schauen konnte.

Ich war wütend auf mich selbst wegen der Sache mit The Odd Couple bei CBS . Ich war bereits seit Ewigkeiten ein großer Fan von Neil Simons Stück und hatte schon immer eine Fernsehversion davon machen wollen. 2013 ging mein Traum dann in Erfüllung, als CBS endlich grünes Licht für die Idee gab. Go On , die Serie, die ich vor The Odd Couple gemacht hatte, war nicht gut angekommen, aber bei dieser Geschichte war ich mir sicher. Die Vorlage war brillant, die Besetzung großartig, alles wies darauf, dass wir einen Hit landen könnten. Dennoch litt ich unter Depressionen, und meine Sucht hatte mich wieder voll im Griff. Dementsprechend schäme ich mich für mein Verhalten bei Odd Couple . Zu den schrecklichen Depressionen kam hinzu, dass ich ständig zu spät kam und berauscht war, sodass ich schlussendlich jeglichen Einfluss auf die Serie verlor und ein Showrunner die Leitung übernahm. Aber ich übernehme die volle Verantwortung für das, was passiert ist, und möchte mich nicht nur bei meinen Schauspielkolleginnen und -kollegen, sondern auch bei allen anderen Beteiligten entschuldigen.

Mit dieser Katastrophe im Hinterkopf hatte ich nun wenigstens ein Theaterstück in der Hand. Wenn ich dieses Unbehagen spürte, dieses unangenehme Gefühl, das mir unter die Haut kroch, hätte ich normalerweise Drogen genommen, um dem zu entfliehen, um mir Erleichterung zu verschaffen. Aber da ich jetzt trocken war, wusste ich, dass ich das nicht tun konnte. Ich musste etwas anderes finden. Also schrieb ich zehn Tage lang zehn Stunden täglich, bis ich das Stück fertig hatte – und es war tatsächlich gut, wie die wenigen Leute, denen ich es zu lesen gab, feststellten. Ich nannte es The End of Longing (»Das Ende der Sehnsucht«), und obwohl ich nur zehn Tage für den Entwurf gebraucht hatte, verbrachte ich ein weiteres Jahr mit dem Feinschliff.

Ich hatte mich von Sexual Perversity in Chicago inspirieren lassen – und wenn ich »inspirieren« sage, meine ich damit, dass ich versuchte, es zu übertreffen – und war zufrieden mit dem, was ich erreicht hatte. Ich würde es jederzeit mit diesem guten Stück vergleichen. Als ich dem Hollywood Reporter beschrieb, was ich zu tun versuchte, sagte ich: »Es gibt die weit verbreitete Vorstellung, dass sich Menschen nicht ändern, aber ich sehe jeden Tag, wie sich Menschen ändern, und ich wollte diese Botschaft vermitteln und die Leute zum Lachen bringen.« Dementsprechend geht es in dem Stück um vier Freunde, die in einer Bar versuchen, die Liebe zu entdecken – meine Figur, Jack, beginnt das Stück als Egomane, der zudem Alkoholiker ist, und dann wird es nur noch schlimmer.

Wie ich nun einmal bin, gab ich mich nicht damit zufrieden, einfach nur ein Stück zu schreiben. Ich beschloss, dass es auf die Bühne gebracht werden und ich selbst darin mitspielen sollte. Monate später wurde The End of Longing in Londons heiligem Theaterviertel West End uraufgeführt. Ich fand es toll, sowohl der Autor des Stücks zu sein als auch die Hauptrolle zu spielen – ich konnte die Dinge ändern, wenn sie nicht funktionierten. Und obwohl ich wusste, dass es sehr unangenehm werden würde, jeden Abend die große Saufszene zu spielen – sie würde bei mir ohne Zweifel Trigger auslösen –, wusste ich auch, dass ich zeigen musste, wie tief ein Mensch sinken kann.

Wir hatten unsere Premiere im Playhouse Theatre, einem Theater mit 800 Plätzen, und schon bald waren wir ausverkauft. Tatsächlich stellten wir enorme Kassenrekorde auf, ernteten aber auch vernichtende Kritiken. Um ganz genau zu sein, gab es sieben ausführliche Besprechungen, und sechs davon waren schlecht. Den Londoner Kritikern gefiel die Idee nicht, dass ein Hollywood-Schauspieler dort ein Stück aufführt. Aber es war ein großer Erfolg, ich war Theaterautor, und mir gefiel das.

Es gab einen Menschen, der sich weigerte, sich das Stück anzuschauen, obwohl ich darum gebeten hatte.

Die Frau, mit der ich sechs Jahre lang zusammen gewesen war, war inzwischen mit einem Briten liiert, und sie verbrachten die Hälfte des Jahres in London, den Rest in Los Angeles. Wir waren immer noch so gut befreundet, dass wir ein paar Mal zusammen zu Mittag gegessen und uns ein paar Textnachrichten geschrieben hatten. Da ich wusste, dass sie in London war, hatte ich sie eingeladen, sich The End of Longing anzuschauen, aber sie hatte zurückgeschrieben, dass sie viel zu beschäftigt sei. »Wir sehen uns in den USA !«, schrieb sie. Ich antwortete ihr, dass ich etwas enttäuscht sei, dass sie nicht kommen könne – das Stück wurde doch schließlich in ihrer Stadt aufgeführt. Einige Zeit später erhielt ich eine E-Mail, in der sie mir mitteilte, dass sie heiraten werde und in ihrem Leben keinen Platz mehr für Freunde habe.

Ich habe nie auf diese E-Mail geantwortet, und wir haben seitdem keinen Kontakt mehr. Es war eine schroffe Art mir mitzuteilen, dass sie heiraten würde. Ich selbst würde das nie jemandem antun, aber so ist es nun einmal. Trotzdem habe ich nichts gegen sie. Ich bin froh, dass sie geheiratet hat und dass sie glücklich ist. Ich will nur das Beste für sie, und zwar für alle Zeiten.

Nach den Aufführungen in London ging das Stück nach New York. Das war kein Spaß. Zunächst musste ich es entschärfen – den Briten war die deftige Sprache egal, aber Broadway ist Broadway, also musste ich es nicht nur sprachlich abmildern, sondern auch eine Reihe von Gags streichen. So wurde es in New York weder von den Kritikern noch vom Publikum gut aufgenommen. Die New York Times verriss das Stück und nannte es »synthetisch«, was auch immer das heißen soll, und letztendlich verdiente ich während der gesamten Aufführungszeit in New York nur 600 Dollar an dem Stück. Das ist kein Tippfehler. (Ich habe mit den Aufführungen in London fast haargenau tausend Mal mehr verdient.) Zumindest der Hollywood Reporter erwies sich als freundlich: »Perry zeigt wenigstens, dass seine umfangreichen Erfahrungen mit Fernsehkomödien abgefärbt haben. Der Abend bot viele amüsante Einzeiler (die meisten davon hatte der Autor, etwas vorhersehbar, sich selbst vorbehalten). Perry erweist sich in seinem Timing und seiner Darbietung als vertrauter Komödiant vom Fach.« Aber das »wenigstens« war ziemlich niederschmetternd, und ich musste eingestehen, dass The End of Longing nicht so populär werden würde, als dass es meine Zukunft als der nächste David Mamet gefestigt hätte. Aber ich habe ja noch Zeit!