Am nächsten Morgen erschien der Arzt, untersuchte den Kranken und gab ihm eine Kampferspritze. Er äußerte sich zufrieden mit seinem Zustand und versicherte, der Patient sei außer Gefahr. Als er das Zimmer verließ, folgte ihm Machgub. Auf dem Hof holte er ihn ein, und der Arzt, der begriffen hatte, was Machgub beschäftigte, drehte sich zu ihm um.
»Was ich Ihrem Vater gesagt habe, stimmt«, erklärte er. »Die Lähmung ist nur partiell; andernfalls wäre er tot gewesen. Aber ich habe ihm auch nicht verheimlicht, dass er nie mehr arbeiten kann. Er wird einige Monate ans Bett gefesselt sein, seine gelähmte Seite aber wieder bewegen können. Vielleicht kann er sogar irgendwann wieder gehen.«
Machgubs Aufmerksamkeit endete bei dem Satz »dass er nie mehr arbeiten kann«. Den Rest nahm er nicht mehr wahr. Die Welt wurde schwarz vor seinen Augen. Völlig entgeistert kehrte er ins Zimmer zurück. Sein Vater hatte ein praktisches Naturell. Er ließ nichts ungeklärt, wenn er es klären konnte.
»Hör zu, mein Junge«, begann er mit schwerer Zunge, nachdem er seinen Sohn aufgefordert hatte, an sein Bett zu treten, »ich werde nie mehr zurück in die Firma können. Das ist ein Fakt. Was meinst du dazu?«
Machgub wurde es noch beklommener zumute. In Erwartung des Schlussverdikts schwieg er, und so fuhr der alte Mann fort: »Vielleicht zahlt mir die Firma eine kleine Abfindung, die aber sicher in ein paar Monaten aufgebraucht wäre. Ja, bestimmt würde sie nicht länger halten als drei oder vier Monate. Aber ich finde da schon jemanden, der dir eine Arbeit verschaffen kann, die uns alle ernährt.«
Aus Machgubs Augen sprachen Schmerz und Enttäuschung, als er flehentlich sagte: »Aber die Abschlussprüfungen stehen vor der Tür. Sie sind im Mai, und jetzt ist Januar. Wenn ich jetzt irgendwo angestellt würde, so wäre das nicht als Uniabsolvent, und das würde meine ganze Zukunft ruinieren.«
»Ich weiß«, entgegnete der Vater bedrückt, »aber was sollen wir tun? Ich habe Angst, dass wir in eine schändliche Lage geraten oder gar verhungern.«
»Vier Monate«, flehte der junge Mann inständig, in der Stimme Eifer und Kraft, »nur noch vier Monate trennen mich von der Frucht von fünfzehn Jahren harter Arbeit. Gib mir die Zeit, Papa. Die Abfindung wird uns reichen, bis ich auf eigenen Füßen stehen kann. Wir werden nicht verhungern, und wir werden mit Gottes Hilfe der schändlichen Lage entgehen.«
»Und wenn dich deine Erwartungen trügen? Was dann? Wenn deine Bemühungen fehlschlagen – was Gott verhüten möge? Unser Leben liegt in deinen Händen.«
Machgub hielt verbissen an seiner Hoffnung fest. »Du weißt nicht, wie hart ich arbeiten werde, Papa«, rief er, »nichts wird sich zwischen mich und den Erfolg stellen.« Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Da ist doch Mamas Verwandter, Achmad Bey Hamdis.«
Doch der Vater hob abwehrend seine linke Hand und zog so verdrießlich die Brauen zusammen, dass Machgub schon fürchtete, seine Sympathie zu verscherzen und jede bisherige Überzeugungsarbeit umsonst geleistet zu haben. »Nein, wir brauchen keine fremde Unterstützung«, sagte er rasch. »Mit Gottes Hilfe wird sich die Sache regeln lassen, wie ich es erhoffe.«
Machgub begriff, dass es ein Fehler gewesen war, den großartigen Verwandten zu erwähnen, der sich seit seinem Aufstieg noch nie bei ihnen gemeldet und die Beziehung zu ihnen nur mit Verachtung quittiert hatte. Zwar brüstete sich sein Vater vor Fremden mit dieser Verwandtschaft, doch oft schon hatte er Achmad Bey Hamdis vor seiner Mutter schlechtgemacht, und häufig schon hatte er sich abfällig und ärgerlich über ihn geäußert. Machgub bedauerte seinen Missgriff und versicherte seinem Vater: »Nein, wir brauchen keine fremde Hilfe. Wir müssen uns aber in Geduld üben und unsere Sache Gottes Barmherzigkeit anheimstellen. Nur vier Monate noch, dann ist alles vorbei!«
Machgubs Vater wusste, dass die Abfindung, mit einigen Sparkünsten, fünf oder sechs Monate reichen könnte. Er dachte eine Weile nach und fragte dann seinen Sohn, ob er sich vorstellen könne, mit einem Pfund pro Monat auszukommen.
Mit einem Pfund! Das war gerade mal die Miete für sein Zimmer im Studentenwohnheim. Großer Gott! Gestern noch waren ihm seine drei Pfund zu wenig gewesen. Wie sollte er da morgen mit einem Pfund auskommen? Sein Vater ließ ihm jedoch nicht viel Zeit zum Nachdenken: »Ich sehe keine andere Lösung. Die Entscheidung liegt in deiner Hand.«
Gab es überhaupt eine Entscheidung? Nein. Sein Vater war in der Klemme. Was konnte er da anderes tun als nachgeben und sich fügen?
»Dein Wille geschehe.«
»Gottes Wille geschehe«, entgegnete der alte Mann. »Möge er geben, dass dir gelingt, was du anpackst, und dass du uns aus unserer Notlage befreist.«
Er riet seinem Sohn, noch am selben Tag abzureisen, um keine Zeit mehr zu verlieren. Also nahm Machgub am Abend Abschied von seinen Eltern, küsste die Hand seines Vaters und überließ sich den Küssen und Segenswünschen seiner Mutter. Beim Hinausgehen hörte er seinen Vater sagen: »Gott sei mit dir. Arbeite tüchtig, vertraue auf Gott und vergiss nicht, du bist unsere einzige Hoffnung.«
Machgub begab sich zum Bahnhof. Immerhin hatte er sich von der Ungewissheit befreit, die ihn bei seiner Ankunft belastet hatte. Er wusste jetzt, dass der Faden, an dem seine Hoffnung hing, noch nicht durchschnitten war. Und um die künftigen Schwierigkeiten zu meistern, würde er sicher noch Mittel und Wege finden. Ohne große Begeisterung verabschiedete er sich von der Stadt und setzte sich in den Zug. Dann verdrängte er rasch die Gedanken an das Haus und die Eltern und dachte nur noch an sich selbst. Warum es ihm beschieden war, in eine solche Familie geboren zu werden, fragte er sich, während er an seiner linken Braue zupfte. Was hatte er denn von seinen Eltern geerbt außer Niedrigkeit, Armut und Hässlichkeit? War es nicht ungerecht, dass er diese Fesseln schon getragen hatte, bevor er das Licht der Welt erblickte? Wäre er beispielsweise Hamdis Beys Sohn, wären ihm ein anderer Körper, ein anderes Gesicht und ein anderes Geschick zu eigen, er würde in Ruhe und Frieden leben und hätte sogar ein Auto. Bedrückt dachte er über die Armut nach, die ihn erwartete. Sie grinste ihm hämisch entgegen, als wollte sie ihm sagen: »Du konntest mich nicht mit drei Pfund vertreiben, wie willst du es jetzt mit einem tun?« Wo sollte er wohnen? Was sollte er essen? Sorgenvoll schüttelte er den Kopf. Er spürte jedoch keine Verzweiflung und keine Lähmung. Er war voller Selbstvertrauen und fühlte sich grenzenlos draufgängerisch, auch wenn sich unter diese Gefühle Wut und Verbitterung mischten.