Ob als Koch, Werbetexter oder Mensch: Es ist nie ein Fehler, sich von anderen inspirieren zu lassen. Inspiration ist gut. Aber manchmal, wie in meinem Fall, kann Inspiration auch in Neid umschlagen. Das passierte mir sogar mehrfach. Plötzlich bewunderte ich Menschen, die mich zuvor noch inspiriert hatten, nicht mehr, sondern ich beneidete sie. Meine alte Kollegin, Kathi, die ihren festen Job bei Jung von Matt schmiss, um mit ihrem Freund zusammen freiberuflich als @Vannomaden zu starten, hat mich zum Beispiel sehr direkt inspiriert. Ihr staunend hinterherzuschauen kam einer Offenbarung gleich. Gerade eben war sie noch eine ganz normale Kollegin, dann warf sie alles hin und wurde Vankönigin. Sie tat es einfach – und es funktionierte! Sie war glücklich. Ich war neidisch. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keine Ahnung, dass ich diesen Schritt auch bald gegangen sein würde. Nur das Universum wusste es schon, aber das blöde Arschloch hat es mir nicht erzählt.
Meine Eltern lebten selbst nie in einem Auto, trotzdem haben sie mein jetziges Leben ebenfalls stark inspiriert. Denn Inspiration kommt manchmal eher um die Ecke oder auf einer anderen Ebene oder zwischen den Zeilen. Und natürlich sind wir alle auch auf mehreren Ebenen das Produkt unserer Eltern. Meine Eltern, die heute 86 und 75 Jahre alt sind, sind ihr ganzes junges Leben lang gereist. Was in beiden Fällen bedeutete, dass sie in den 50er-, 60er- und 70er-Jahren unterwegs waren. Damals bedurften Ziele außerhalb von Deutschland und Europa, die heute unkompliziert zu erreichen sind, noch des Pioniergeists und wirkten wie ein Aufbruch in eine neue, unentdeckte Welt. Meine Mutter wanderte mit dem Rucksack wochenlang über Island, und mein Vater folgte tibetanischen Pfaden zu Füßen der Achttausender.
Meine Eltern unternahmen diese Trips, bevor sie sich trafen. Nachdem ich im Sommer ’84 der kleinen Reisegruppe beigetreten war, wurden die Ziele etwas familientauglicher ausgewählt: Nordsee, Ostsee, Bayern, Spanien, Griechenland oder Italien. Auf jeden Fall bin ich den beiden für alle kleinen Reisen dankbar und vor allem dafür, dass ich den großartigen Reisegeschichten aus vielen Teilen der Erde lauschen durfte. Mal ging es mit dem VW-Käfer nach England, mal wurde im Zelt vor einem Geysir Whisky gegen die Kälte geschlürft oder mit Tigerbabys in Florida gespielt. Einmal kam mein Vater mit einem Dollar in die ausverkaufte »Met« in New York, weil er zufällig genau den richtigen Herrn von Millionen in der U-Bahn ansprach. Oder er landete mit einer klapprigen einmotorigen Maschine im Himalaya auf einer holprigen Piste zwischen frei laufenden Schweinen. Man will – ich wollte jedenfalls – nach dem Hören dieser Geschichten auch einfach los, und ich fühlte mich durch die vielen tollen Erlebnisse inspiriert. Doch trotz ihrer Abenteuerlust hätten sich meine Eltern sicherlich nicht träumen lassen, dass sie mal am allerstolzesten auf mich sein würden und sich am allermeisten mit mir über mein erfülltes Leben freuen würden, nachdem ich alles hingeschmissen hatte, um nur noch im Auto zu wohnen. Und doch ist es so gekommen. Nur allzu gern teile ich meine Orte, Erlebnisse und Begegnungen mit ihnen. Ich weiß, wie sehr sie das schätzen, weil ich es ganz deutlich spüren kann. Sie leben und erleben mein Vanlife mit mir.
Danke, Edith und Jupp!
Eine sehr direkte Vanlife-Inspiration war mein Freund Winni, den ich im ABC unter Disco-2 erwähne. Abgesehen davon, dass ich mir beim Arbeiten auf seinen Baustellen viele handwerkliche Kniffe abschaute, lernte ich auch, dass es okay ist, irgendwie anders zu leben. Heute bin ich froh, dass sich mein Lebenslauf nicht wie ein Standardwerk liest, sondern eher als wenig beachtete Underground-Kunst mit dadaistischen Nuancen durchgeht. Lebensläufe sind wie Gesichter: Wenn sie zu glatt sind, sind sie langweilig – oder es wurde ein wenig nachgeholfen. Falten und Narben hingegen sind ehrlich und sprechen Bände.
Jedenfalls lernte ich Winni mit 16 bei einer Skifahrt unseres Sportvereins kennen. Damals wohnte er allerdings noch nicht in unserem Dorf, er renovierte dort nur ein altes Haus und nahm dabei vorsichtig Kontakt auf. Als Außenseiter muss man sich deutschen Dörfern mit ihren geschlossenen Mikrokosmen ganz sachte nähern. Doch trotz seiner eigentümlichen Lebensart und Erscheinung klappte es ganz gut. Ein paar Jahre später kauften er und seine spätere Frau Wiebke eine alte Hofreite von 1520 mitten im Ort. Sie wurde mit viel Arbeit und Kreativität zu einem einmaligen Kunstwerk. Der Firmenslogan von Winnis Baufirma, »Rudubu«, lautete: »Wer grad kann, darf auch schepp.« Und getreu dieser Maxime gestaltete er ikonische, hundertwässrige bis gaudíeske Dinge aller Art. Das Dach der alten Scheune, die er zum zweistöckigen Wohnraum umbaute, hat ein versetztes Wellendach wie Gaudís Sagrada Familia in Barcelona. Nur eben in Wackernheim.
Jedenfalls besaß Winni einen großen, blauen, selbst gebauten und ebenfalls sehr ikonischen Camperbus, auf dem stand: »Max. 32 Personen«. Denn bei einer seiner Afrikareisen fuhr er einen kompletten Stamm, bestehend aus 32 Personen, zu einem anderen Stamm, um dort eine Hochzeit zu feiern. Ich lauschte oft und gern seinen Van-Reisegeschichten. Wie er mit pakistanischen Lkw-Fahrern bei Hitze unter den Autos lag und chillte. Oder wie er irgendwo im Mittleren Osten einen Hahn kaufte, der ihn für die nächsten eineinhalb Jahre auf der Kopfstütze des Beifahrersitzes begleitete.
Viele gemeinsame Baustellen, »Radio Bemba Live«-Alben von Manu Chao und Geschichten am Lagerfeuer später verstarb auch Winni. Da er von seinen Reisen leidenschaftlich gern Steine mitbrachte, schmückt seit meinem ersten Tag im Van ein schön geschliffener Ammonit meinen Wohnraum und ein großer, kugelrunder Lapislazuli aus Pakistan begleitet mich vorn am Armaturenbrett.
Danke, Winni!
Ich wünsche uns beiden eine gute Reise. Bis bald. Irgendwo.
Eine weitere Person, die man bei einer kleinen Inspirationen-Laudatio nicht vergessen darf, ist man selbst! Man kann im Leben noch so viele tolle Vorbilder, Mentoren und Inspirationen haben – die Schlüsselfigur bleibt man trotzdem selbst. Aus diesem Grund möchte ich mir hier und jetzt in aller Öffentlichkeit danken – und werde dabei etwas rot.
Danke, ich!
Auch auf einer anderen Ebene, die gar nicht direkt mit dem Reisen zu tun hat, fand ich viel Inspiration für den Schritt zum Vanlife. Zum Beispiel durch das Streben nach Reduktion und Minimalismus. Dinge zu besitzen, fühlte sich zunehmend anstrengend an. Ich bin gewiss kein Gegner von Besitztümern, aber zu viele und vor allem zu viele unnütze Dinge um mich herum fingen an, schwer auf mir zu lasten. Außerdem lockte mich das Streben nach mehr Einfachheit in den Van. Und nach mehr Ruhe. Nach mehr Natur. Und natürlich das Verlangen nach physischer und mentaler Freiheit. Vor allem wollte ich wieder gesund werden. Frische Luft atmen, draußen sein, mich bewegen. Ich wollte nicht länger mein eigenes trauriges Dasein von der Couch aus bingewatchen. Denn auch die besten Inspirationen bleiben Inspirationen, wenn man seinen Arsch nicht hochkriegt.
Danke, Arsch!
Bei diesem kleinen Wortspieli muss ich vor allem an meine Schwiizer Gspänli denken.
Was viele nicht wissen: Bruce Lee ist nicht in Asien oder in den USA aufgewachsen, sondern in der Schweiz – und er hieß einfach nur Bruce.