Da ich am Tag meiner Abfahrt noch nicht ahnen konnte, dass ich eine Art Vanlife-Naturtalent bin, fuhr ich erst mal nur bis zum Steinhuder Meer und verbrachte dort ein paar Tage auf einem soliden deutschen Campingplatz, um unter soliden Bedingungen langsam in meine neue Rolle hineinzuwachsen. Auf dem Platz herrschte nebst Zucht und Ordnung bis in die Grasnarbe eine mittelalterliche Herbergsmutter über alle Parkenden. Damals wie heute mochte ich es, zu beobachten, wie Freiheitsdrang und Spießigkeit auf Campingplätzen ihren kleinsten gemeinsamen Nenner finden – oder zeugen. Mal so, mal so.
Plötzlich stand ich unweit von einem älteren Herrn, einem echten Camping-Silberrücken mit Plauze. Als er mich oberkörperfrei in einer selbst abgeschnittenen Jeansshorts heimlich durch sein wucherndes Dickicht aus weißen Brusthaaren beobachtete, wusste ich, dass ich jetzt irgendwie einer von ihnen war. Oder werden könnte. Oder eben auch nicht.
Generell mochte ich ab Tag eins, was ich als frischer Vanlifer alles erleben durfte, und konnte fortan jeden neuen Tag kaum noch erwarten. Dieses Gefühl manifestierte sich zum Beispiel auch in einer exorbitanten Steigerung meiner Morgenmotivation. Für die nächsten zwei Jahre stellte ich mir keinen Wecker mehr. Meine innere Uhr war gedopter als die Tour de France. Mit dem ersten Aufschlagen meiner Augen war ich wach und wollte sofort aufstehen, um gemeinsam mit der Sonne den neuen Tag zu begrüßen. Nicht lange zuvor, noch »zu Hause«, musste ich mich gegen 10:30 Uhr aus dem Bett zwingen, um nicht versehentlich nahtlos in einen frühen Mittagsschlaf überzugleiten. Heureka! Mit meiner neu gewonnenen Lebenslust musste ich erst einmal warm werden, doch wir wurden uns schnell einig. Nach zwei frühmorgendlichen Fahrradtouren am See waren wir vollends eingegroovt. Nebenher lernte ich alle Funktionen meines Vans verstehen und ließ viele neue Handgriffe in Routinen übergehen. Nach zwei oder drei Nächten auf dem Campingplatz fuhr ich weiter nach Dänemark und verbrachte dort meine erste Nacht als Wildcamper zwischen einigen Pkw auf einem kleinen Bucht-Parkplatz an der Flensburger Förde. Rückblickend war ich nicht gut getarnt, aber ich wollte mich ja auch nicht mehr verstecken. Ich wollte leben. Mein Heck zeigte gen Osten, und so konnte ich morgens die aufgehende Sonne durch die geöffneten Türen im Bett empfangen – mit Blick auf die Förde. Mit einem frisch aufgebrühten Kaffee besiegelte ich meinen ersten Morgen als offizieller Vollzeit-Nomade auf nicht deutschem Boden. Kein Sonnenaufgang war je so schön. Kein Kaffee schmeckte je so gut. Wenig später rollte ich Richtung Øresund-Brücke. Es war Ende August, und ich blieb bis kurz vor Weihnachten in Skandinavien.
Was spielen zwei Räuber mit deinem Kopf am Geldautomaten?
Pinpong.