Extra 1: Ein süßer Happen (Pascal x Luca) – Anti-Valentinstag
E in bitteres Gefühl begleitet den Anblick der vielen Werbeaktionen für den Tag der Verliebten. Demonstrativ wende ich mich von dem Trubel ab und versuche, bestmöglich zu ignorieren, dass es nun mein dritter Valentinstag sein wird, den ich allein verbringen werde. Seit mir vor drei Jahren am gleichen Tag das Herz gebrochen wurde, ist mir meine Lust auf den 14. Februar gehörig vergangen. Ich meide romantische Liebesfilme mit Happy End, Schokolade, Pärchenveranstaltungen und alles andere, was dazu führt. Es ist nicht so, dass gar kein Interesse mehr an einer Beziehung besteht, aber dafür habe ich Angst davor, ein weiteres Mal an diesem spezifischen Tag alleingelassen zu werden. Mir ist bewusst, dass das reine Kopfsache ist, doch kann man mir das nach so einem Schock verdenken?
Mein Handy kündigt vibrierend einen Anruf an. Ich ziehe es aus der Manteltasche und werfe einen Blick aufs Display. Es ist Pascal und sofort nehme ich das Gespräch an.
„Hey, was gibt es?“, frage ich und ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus.
Pascal hat diese Wirkung auf mich, seit wir uns kennen. Er war es, der mir nach der hässlichen Trennung von Jerry wieder auf die Beine geholfen hat und seitdem sind wir die besten Freunde. Ihm verdanke ich es, dass ein halbwegs normales Singleleben möglich war, ohne den Glauben an Liebe völlig zu verlieren.
„Hey, hast du heute Zeit?“, will er wissen und ich zögere.
Er seufzt am anderen Ende, weil er den Grund kennt.
„Du kannst dich nicht ewig vor diesem Tag verstecken.  Ich habe zwar gesagt, ich werde dich nie unter Druck setzen, aber inzwischen hat deine Valentinstagsphobie beunruhigende Züge angenommen.“
„Sorry“, nuschle ich ins Telefon und lasse automatisch den Kopf hängen, während ich weitergehe, damit mir nicht kalt wird.
Paare kreuzen meinen Weg, aber sie sind zu sehr in ihrer rosaroten Welt versunken. Sie nehmen mich gar nicht wahr, also ist es an mir, ihnen auszuweichen.
„Ich bestehe darauf, dass du heute Abend vorbeikommst. Die übriggebliebene Valentinstagsschokolade muss aufgegessen werden und dabei könnte ich wirklich Hilfe gebrauchen. Zur perfekten Untermalung habe ich schon einen Katastrophenfiln bereitgelegt.“
Dieser Vorschlag bringt mich wieder zum Lächeln.
„Schokolade und ein Katastrophenfilm, das klingt definitiv nach einem Anti-Valentinstag. Ich bin dabei“, meine ich und Pascal lacht mit mir.
„Dann ist es also beschlossene Sache“, höre ich ihn und stimme ihm zu.
Wir einigen uns darauf, dass ich 21 Uhr bei ihm sein werde. Als ich auflege, kommt mir der Tag schon weniger schlimm vor. Wesentlich beschwingter gehe ich durch die Stadt, weil mir alles nicht mehr so grau erscheint. Die niedergedrückte Stimmung ist verflogen und ich freue mich sogar darauf, diesen Tag nicht allein verbringen zu müssen. Diese Wirkung hat nur Pascal auf mich, ebenso wie er an jenem Umstand schuld ist, dass mein Herz wie verrückt in der Brust schlägt, wenn ich seine Stimme höre. Aber auch wenn ich Pascal wesentlich mehr entgegenbringe, als freundschaftliche Gefühle, gelingt es mir nicht, ihm das zu sagen. Der Valentinstag vor drei Jahren hat mich merklich vorsichtiger werden lassen und so habe ich nicht mehr von Pascal angenommen, als er mir damals angeboten hat. Die Rede war von Freundschaft und genau das will ich in Ehren halten. Auf keinen Fall will ich ihn verlieren oder riskieren, dass es merkwürdig zwischen uns wird. Also verschließe ich die warmen Gefühle wie immer tief im Herzen und nehme mir vor, dass sich weiterhin nichts ändern wird.
***
Natürlich bin ich viel zu früh dran, also schlendere ich noch gemütlicher zu Pascals zuhause. Bestimmt sieht es merkwürdig aus, wie ich mich betont langsam durch die Straßen bewege. Um mich herum herrscht trotz der vorangeschrittenen Zeit Trubel. Ich sehe vor allem Männer, die mit Aktentasche und Blumenstrauß über die Bürgersteige hetzen oder andere, die mit einem Lächeln aus einem Schmuckgeschäft kommen oder aus einem Süßigkeitenladen. Ich freue mich für all diejenigen, die Zuhause erwartet und mit einer Kleinigkeit bedacht werden, andererseits herrscht eine Wehmut in mir vor, die ich nicht so leicht abschütteln kann. Ich habe Bedenken vor einer nächsten Verbindung, aber genauso wünsche ich sie mir. Liebe, Zuneigung und eine Umgangsweise auf Augenhöhe, doch der entsprechende Partner dafür ist mir noch nicht begegnet.
Zumindest wenn ich Pascal nicht einberechne , erwäge ich und verscheuche den Gedanken gleich wieder.
Ich darf nicht so denken und schnell lenke ich mich damit ab, dass wir gleich Zeit miteinander verbringen werden. Das sollte mir Trost genug sein, wenn sonst nur das ferne Anhimmeln bleibt.
Es sind noch reichlich zehn Minuten bis zum verabredeten Zeitpunkt, aber ich beschließe, dass das im akzeptablen Rahmen liegt. Ich biege in die richtige Straße ein, die ich inzwischen selbst mit verbundenen Augen finden würde, und drücke die Klingel. Pascal geht nicht einmal an die Sprechanlage, sondern lässt mich sofort hinein, so wie immer, weil er meine Überpünktlichkeit nur zu genau kennt.
Während ich die Treppen zum obersten Stock erklimme, nehme ich mir wie jedes Mal vor, der beste Freund zu sein, der ich sein kann. Ich weiß, es klingt ebenso gefährlich ambitioniert wie ich damals vor drei Jahren versucht habe, meine Sexbeziehung zu Jerry krampfhaft zu einer vollwertigen Romantikbeziehung zu machen, was gnadenlos scheitern musste. Dass ich mich allerdings so sehr auf meine Freundschaft zu Pascal konzentriere, hat den Grund, dass er so attraktiv ist, dass ich nicht immer daran denke, dass wir Freunde sind. Manchmal schleicht er sich in meine Träume ein und dann fällt es mir schwer, seinen Blick zu erwidern. Um solche peinlichen Momente zu verhindern, sage ich mir also auf jeder Treppe, dass es hier um Freundschaft geht und nicht mehr.
Als ich dann endlich vor Pascal stehe, grinse ich ihm zu und lasse die Begrüßungsumarmung so kumpelhaft wie möglich ausfallen.
„Willkommen zum Anti-Valentinstag“, lächelt er und führt mich in seine Wohnung.
Dort weist nichts auf den heutigen Feiertag hin, bis auf die herzförmige Valentinsschokolade auf dem Tisch, die wir heute gemeinsam vernichten werden. Auf dem TV-Bildschirm ist schon das Hauptmenü eines Films zu erkennen. Weit weg von jeglicher Romantik zeigt eine kleine Vorschau Explosionen, Zerstörung und Chaos. Zuerst bin ich erleichtert, doch auch Wehmut schwingt in meiner Stimmung mit, denn all das schließt von vorneherein aus, dass Pascal und ich uns näherkommen können. Aber meine Hoffnung ist stärker und ich kann sie nach wie vor nicht begraben, egal wie oft ich mir das auch auf jeder Treppenstufe vornehme.
***
Nachdem die Welt fast untergegangen ist und gerade so gerettet werden konnte, erwartet uns ein langer Abspann mit peppiger Musik. Schokolade ist noch reichlich vorhanden, aber in mich passt einfach nichts mehr hinein. Eine immense Trägheit beherrscht meinen Körper, sodass ich kurz die Augen schließe. Entfernte Glockenschläge sagen mir, dass es Mitternacht ist und gedanklich mache ich befriedigt einen Haken hinter den diesjährigen Valentinstag.
Da räuspert sich Pascal neben mir und ich öffne die Augen, um ihn ansehen zu können. Doch direkt in meinem Blickfeld befindet sich jetzt eine schwarze Geschenkbox aus Papier, die ich überrascht anschaue, ehe mein Blick weiter zu Pascals Gesicht wandert.
„Alles Gute zum Nicht-Valentinstag“, sagt er zu mir und drückt mir die mittelgroße Box in die Hand.
Ich sage zuerst gar nichts, sondern starre mit großen Augen auf das schlicht aussehende Behältnis.
„Mach schon auf“, sagt Pascal weiter und erst da kommt Bewegung in mich.
Vorsichtig öffne ich die Schleife, die das Päckchen zusammenhält. Meine Gedanken und Gefühle geraten vollkommen durcheinander. Was soll ich von dieser Aktion halten? Welche Absicht steckt dahinter? Klar ist, dass wir uns gerade gefährlich aus der Freundschaftszone lehnen. Ich kämpfe gegen die Hoffnung an, die mich postwendend ergreift, aber sie verbleibt in mir und bringt meine Hände zum Zittern. Pascal beobachtet mich und ich bin mir dessen deutlich bewusst. Aber er sagt nichts, sondern wartet ab, bis ich den Kampf mit der Schleife gewinne. Als das rote Band entfernt ist, fällt die Box sofort in sich zusammen und gibt ihr Inneres frei. Staunend betrachte ich die Bilder, die an den Innenseiten festgeklebt sind und die Pascal und mich bei verschiedenen Momenten zeigen.
„Da war unser erster, gemeinsamer Filmeabend“, erinnere ich mich und deute auf das entsprechende Bild.
„An dem du eingeschlafen bist“, fügt Pascal hinzu.
„Und was war bei der Fahrradtour, bei der du gesagt hast, dass es garantiert nicht regnen wird?“, frage ich und deute auf ein größeres Bild, welches uns klatschnass, aber in bester Stimmung zeigt.
„Aber du hattest Spaß, vergiss das nicht.“
„Apropos Spaß“, sage ich, denn ein weiteres Bild zeigt noch einen amüsanten Moment in der nun dreijährigen Freundschaft zu Pascal.
Darauf sind wir beide in einem Vergnügungspark zu sehen, direkt vor einer monströsen Holzachterbahn. Dieses Foto ist kurz vor unserer Abfahrt entstanden, als wir auf einen Platz in einem der Wagen warteten, um uns mit halsbrecherischem Tempo die Berge und Täler hoch und wieder herunter jagen zu lassen.
„Danach war mir so schlecht“, kommentiert Pascal das Ganze und nach und nach gehen wir auch die restlichen Bilder durch, auf welchen die verschiedenen Stationen unserer Freundschaft festgehalten wurden.
Nachdem wir uns über alle Ereignisse und noch einige mehr ausgetauscht haben, kehrt Stille zwischen uns ein, doch nicht für lang. Denn ich muss wissen, was hinter dieser Aktion steckt. Also spreche ich die Frage aus, die mir unter den Nägeln brennt.
„Warum hast du mir dieses Geschenk gemacht?“, will ich wissen.
Als Antwort weist Pascal auf ein kleines Quadrat in der Mitte der Box.
„Mach das auf, dann weißt du es.“
Ich tue, was er sagt und ergreife den dünnen Deckel von dem kleinen Würfel. Im Inneren befindet sich ein mehrfach gefalteter Zettel, den ich mir nehme. Meine Finger zittern schon wieder, als ich die Botschaft auseinandernehme, bis ich einen roten Zettel in Herzform in der Hand halte. Darauf steht: „Bereit, den nächsten Schritt zu wagen?“
Als ich den Zettel drehe, steht dort die Adresse eines edlen Restaurants, das Datum des Mittwochs in einer Woche und eine Uhrzeit.
„Ist das... ein Date?“, frage ich mit belegter Stimme und hoffe so sehr, dass Pascal dazu ja sagt.
„Eine Wurzelbehandlung ist es schon einmal nicht“, sagt er lächelnd. „Also... was sagst du?“
Ich zögere, ohne dass ich überhaupt weiß, warum.
„Luca, ich will dich nicht drängen, das wollte ich nie. Aber ich empfinde seit unserem ersten Treffen nicht nur Freundschaft für dich und ich fand, du solltest das nach all der Zeit endlich wissen. Lass mich dafür sorgen, dass der Valentinstag dir endlich wieder ein Lächeln aufs Gesicht zaubert, okay? Geh mit mir auf dieses Date.“
Es ist Pascals zittrige Stimme, die mich vollkommen aus der Bahn wirft. Sonst ist er die Ruhe selbst, scheint alles im Griff zu haben. Immer war er für mich da wie ein unerschütterlicher Fels in der Brandung. Doch jetzt ist er alles andere als ruhig. Das hier ist ihm wichtig und die Anspannung, die er mir gerade mitteilt, kenne ich sehr gut von mir selbst.
„Ich-“
Mir versagt die Stimme und räuspere mich mehrfach, während mir Tränen in die Augen steigen, und ich auch noch lachen muss. Pascal sieht hilflos aus. Er sieht aus, als wolle er am liebsten aufspringen und zu mir kommen, aber er bleibt wie zementiert auf seinem Platz mir gegenüber und vom Tisch getrennt sitzen.
„Ich will- ich würde-“, stammle ich und mache alles gefühlt nur noch schlimmer, weil die Tränen nun doch fließen, obwohl ich sie hartnäckig zurückgedrängt habe.
Dieses Mal springt Pascal auf und holt mir ein Taschentuch. Nichts hält ihn jetzt davon ab, sich zu mir zu setzen. Ich sehe ihn wackelig lächelnd an und endlich bekomme ich das heraus, was ich zu ihm sagen will.
„Ich liebe dich... und ich würde gern auf ein Date mit dir gehen“, gestehe ich und Pascals Gesicht wirkt auf einmal, als würde die Sonne darauf aufgehen.
Er strahlt, wie er noch nie gestrahlt hat, und da ich das als nachdrückliche Zustimmung werte, lache und weine ich schon wieder. Pascal zieht mich an sich und während ich endlich an seiner Brust liege, wo ich mich immer heimlich hingeträumt habe, kann ich kaum fassen, wie lange wir uns umkreist haben. Aber das ist egal, denn das Ergebnis ist das Wichtigste: Das Jetzt und Hier zwischen uns.
ENDE