Extra 2: Liebe ist kein Schauspiel (Elias x Vin) – Auf Augenhöhe
A
uf der Fahrt vom Ort der Dreharbeiten zu meinem Apartment begegnen mir mehrere Plakatwände mit meinem Gesicht darauf. Manchmal ist auch mein nackter Oberkörper zu sehen, während ich nahezu verrucht dreinblicke – scheinbar immer noch ein beliebtes Motiv, wenn es um Parfümwerbung geht. Ich habe mich nach wie vor nicht an diesen Anblick gewöhnt und kann schlecht damit umgehen, dabei sollte ich wirklich geübter darin sein, meinen Erfolg anzunehmen.
Nachdem ich bei Vin Ashmoore die harte Seite des Schauspielbusiness gesehen habe, war ich ein Jahr in einer Selbstfindungsphase und habe gelernt, was ich nur aufschnappen konnte. Als ich dann wieder nach Hollywood kam und bei den richtigen Vorsprechen glänzte, gab es nichts mehr, was mich aufhalten konnte. Meine Karriere gleicht seitdem einem Raketenstart, der einfach nicht enden will und nun sitze ich hier in meiner Limousine mit Chauffeur und lasse mich zu meinem Apartment bringen. Apartment – nicht Penthouse, denn trotz meines Erfolges weiß ich, wie wichtig ist, auf dem Boden zu bleiben. Allein die Limo ist ein kleiner Luxus, den ich
mir leiste, damit ich nicht selbst durch die Stadt kurven muss, denn der Verkehr ist mörderisch.
Meine Gedanken wandern wie jeden Tag zu Vin Ashmoore, dem Mann, dem ich das alles eigentlich zu verdanken habe. In einer Woche hat er mir mehr über das Business beigebracht und wie ich in diesem Haifischbecken überleben kann, als es all die Schauspielkurse vorher getan hatten. Er hat mir die richtigen Tipps für meine Zukunft gegeben, die ich bis heute umsetze und die dafür gesorgt haben, dass ich so gefragt bin.
Vin hingegen ist förmlich von der Bildfläche verschwunden, etwa zeitgleich zu jenem Zeitpunkt, als ich ein Jahr Auszeit nahm. In seinem Apartment wohnt er nicht mehr, es erscheinen keine Filme mit ihm in der Haupt- oder Nebenrolle. Es ist so, als hätte es ihn nie gegeben, dabei weiß ich es besser und auch die Schauspielwelt hat ihn nicht vergessen, auch wenn niemand öffentlich über ihn spricht.
Ich konnte Vin nie vergessen und werde auch jetzt nicht damit anfangen. Zuerst waren wir wie Hund und Katze, doch nachdem ich erkannte, was er wirklich für mich getan hatte, änderten sich meine Gefühle radikal. Obwohl Vin es zuerst ablehnte, näherten wir uns immer mehr an, bis er mir seine tragische Vorgeschichte erzählte. Unser Abschied war emotional derart aufgeladen, dass wir sogar im Bett landeten und ich eine weitere Seite entdeckte, die den Kameras und Klatschblättern verborgen ist. In jener Nacht verlor ich endgültig mein Herz an Vin Ashmoore und ich war entschlossen, auch das seine zu erobern.
Aber dazu muss ich ihn erst einmal finden
, schießt es mir durch den Kopf.
Seit ich wieder in Hollywood bin, habe ich jede freie Minute genutzt, um nach ihm zu suchen, doch weit bin ich nicht gekommen. Aber ich hatte es auch erwartet, dass er sich vor mir verstecken würde, nachdem wir uns so nahe gekommen sind. Ich
muss ihn finden und endlich habe ich den Einfluss und die Mittel dafür.
***
Sobald ich zuhause angekommen bin, greife ich zum Telefon und wähle eine bestimmte Nummer.
„Ich hätte da einen interessanten Vorschlag“, beginne ich das Gespräch und leite damit den ersten Schritt meines Plans ein.
Am anderen Ende seufzt Emanuel, ein junger aufstrebender Regisseur, dem ich einiges zutraue. Wir sind gut befreundet und auch auf kreativer Ebene auf einer Wellenlänge. Ebenfalls ist er ein großer Bewunderer von Vins Talent und seiner Arbeit in den vergangenen Jahren. Sein heimlicher Wunsch, den nur ich kenne, ist es einmal mit Vin Ashmoore zusammenzuarbeiten, und diesen Wunsch will ich ihm erfüllen, weil er meinem eigenen entspricht. Ich will, dass die Welt erfährt, was für ein überragender Schauspieler Vin Ashmoore wirklich ist und dafür reicht ein Zeitungsbericht einfach nicht aus. Es braucht eine größere Bühne und genau das ist mein Plan.
„Du hast doch ein paar gute Kontakte zur Unterwelt Hollywoods“, sage ich und Emanuel lacht.
„Wenn du damit meine Kontakte zu all den Clubs und Imbissläden der Stadt meinst, weil deren Inhaber über viele Ecken mit mir verwandt sind, dann ja. Aber du hast Recht, Kontakt zur Unterwelt Hollywoods
klingt besser.“
„Ich brauche dich, um Vin ein Angebot zu machen, dass er nicht ablehnen kann.“
„Moment. Bevor ich ihm ein Angebot machen kann, musst du ihn doch erst einmal finden“, wirft Emanuel ein und damit hat er nicht Unrecht.
„Ich kann ihn nicht finden, wenn er nicht von mir gefunden werden will. Du hast die besseren Chancen, also verlasse ich mich auf deine Kontakte.“
„Woher nimmst du nur immer noch die Gewissheit, dass er in der Stadt ist? Er könnte auch in Mexiko, Frankreich oder sogar am Nordpol sein.“
„Nein, er ist hier, das weiß ich.“
„Wozu? Er hat so viel Geld, dass er sich eine Raumstation kaufen und dort leben könnte“, wirft Emanuel ein.
„Er war einmal an der Spitze und ich denke, dass er es insgeheim immer noch will. Außerdem ist es ihm nicht egal, was passiert ist. Er sieht alles als Bestrafung an und genau deshalb kann er hier nicht weg. Er ist hier, vertrau mir“, sagte ich und bin mir dessen so sicher, wie es das Amen in der Kirche gibt.
Emanuel seufzt.
„Meinetwegen, ich helfe dir. Aber wie soll ich ihm dieses Angebot unterbreiten, wenn er sich so gut versteckt?“
„Wir werden viel Werbung für deinen neuen Film machen. Es muss überall zu sehen sein, dass du auf der Suche nach vielversprechenden Talenten bist.“
„Und wovon soll ich die bezahlen?“, hakt Emanuel nach.
„Was für eine Frage. Ich habe so viel Geld angespart, dass ich niemals ausgeben könnte, also kann ich es auch in deinen Film stecken. Natürlich erwähnst du das bitte nicht, dass ich das Ganze finanziere. Nenn mich einfach einen anonymen Gönner, der deine Kunst zu schätzen weiß.“
„Und wie willst du sichergehen, dass Vin zu dem Vorsprechen kommt?“
Emanuel ist skeptisch, aber ich lächle siegessicher.
„Er wird kommen, sobald er erfährt, um was es in dem Film gehen wird.“
Und dann erzähle ich Emanuel die Handlung des Films, der schon so ewig in meinem Kopf herumgeistert, dass es mich
manchmal nicht mehr schlafen lässt. Nur dass es keine Fiktion ist, sondern das echte Leben und um genau zu sein, das Leben von Vin und seiner verflossenen Liebe.
„Scheiße... er wird stinksauer sein“, sagt Emanuel und mir ist das bewusst.
Aber ich werde mir Vins Wut zunutze machen, damit er sich endlich wieder vor mir zeigt. Die Zeit des Versteckspiels ist vorbei.
„Also bist du dabei?“, frage ich Emanuel und er antwortet mir postwendend.
„Worauf du dich verlassen kannst. Es ist die beste Chance, die wir haben. Verzeih, dass ich dich benutze, um diesen Wahnsinnsschauspieler vor die Kamera zu bekommen.“
Damit ist es besiegelt und ich fiebere dem Tag entgegen, der mich Vin wieder näherbringen wird.
***
Die Stadt ist zwei Wochen später nicht nur gepflastert von meinen Plakatwänden, sondern auch von Emanuels Castingaufruf. In einigen meiner Auftritte und Interviews habe ich gezielt Informationen über das Projekt weitergegeben, so dass Emanuel sich vor Interessenten kaum retten kann. Wir haben bereits alle Rollen besetzt, die es gibt, außer die zweite Hauptrolle, die Vin zugedacht ist. Bisher gibt es kein Zeichen von ihm, aber ich halte weiter an meinem Plan fest.
„Die Leute werden langsam ungeduldig und das Interesse der Presse ist am abflauen, wenn wir in dem Schneckentempo weitermachen. Außerdem muss ich dich daran erinnern, dass dein Geld irgendwann auch mal zur Neige geht. Wir können dieses Projekt maximal noch eine Woche durchziehen, danach werden wir unglaubwürdig, wenn wir bis dahin keinen zweiten Hauptdarsteller haben. Hölle nochmal, ich sollte Austin Breed
nochmal zurückrufen, er wäre perfekt gewesen“, beschwert sich Emanuel nach einem weiteren nervenaufreibenden Tag.
„Wir warten. Er wird kommen“, sage ich mit Nachdruck, denn nach wie vor glaube ich fest daran.
„Ganz ehrlich, woher nimmst du deine Ruhe? Er wird wirklich wütend sein, weil du sein größtes Geheimnis an die Öffentlichkeit gezerrt hast.“
„Es weiß keiner, dass es um ihn geht. Und sollte er hier auftauchen und von mir verlangen, dass ich das Projekt einstampfen soll, dann werde ich das tun.“
Emanuel lässt sich mir gegenüber in einen Sessel fallen und klopft mit den Fingern auf den Tisch, der sich zwischen uns befindet.
„Du willst ihn so unbedingt wiedersehen?“
Ich nicke.
„Und es ist dir egal, wie wütend er dabei auf dich ist?“
Wieder nicke ich und Emanuel seufzt abgrundtief, als hätte er die Hauptlast zu tragen.
„In Ordnung, ich habe eine Idee. Aber es wird schmutzig, das kann ich dir versichern.“
Damit zieht Emanuel sein Handy aus der Tasche, wählt eine Nummer über die Kurzwahl und wartet ab. Ich beobachte ihn und bin gespannt, was er wohl vorhat. Ich bin für jede Hilfe dankbar, denn ich glaube so langsam, dass dieser Film nicht genug Anreiz bietet, dass Vin wieder auftaucht. Dabei bin ich doch schon so weit gegangen.
„Hey Easton, mein liebster Cousin. Kannst du mir einen Gefallen tun? Ich hätte da eine Exklusivschlagzeile für dein kleines Schmuddelblatt.“
Ich werde hellhörig. Ob er mit Easton Vanbelt redet, dem Chefredakteur der größten Skandalzeitschrift der Stadt?
Emanuel lügt, dass sich die Balken biegen, aber ich muss zugeben, dass sein Plan gut ist. Vin wird stinksauer sein und
wenn ihn das nicht aus der Reserve lockt, dann weiß ich auch nicht weiter.
Mit seiner Wut kann ich umgehen, solange er nur wieder auftaucht
, denke ich und hoffe, dass Emanuels List uns in die Hände spielt.
***
Der nächste Tag bringt keine Veränderung, obwohl die Schlagzeile, dass die zweite Hauptrolle an den alternden und alkoholsüchtigen Trent Ryan gehen soll, der vor einer Woche erst aus dem Gefängnis gekommen ist. Der Film würde vollkommen unter dem Image dieses Kerls leiden und seine Schauspielkunst reicht gerade mal für die Straßenbühne. Nur Vin weiß, dass es seine Geschichte ist, um die es in dem Film gehen soll und ich kann mir nicht vorstellen, dass er es auf sich sitzen lässt, dass Trent Ryan darin eine Rolle spielen soll. Die Nachricht ist in aller Munde und Emanuel hat ganze Arbeit geleistet. Aber auch dieser Tag geht zu Ende, ohne dass Vin Ashmoore sich vor mir zeigt.
„Tut mir leid, Mann“, sagt Emanuel, doch ich winke nur ab.
„Scheinbar hat er alle Zelte abgebrochen. Tut mir leid, dass ich dir deinen Wunsch nicht erfüllen kann“, sage ich und schaffe kaum ein Lächeln.
„Hey, das ist doch-“
Doch er kommt nicht weiter, denn die Tür zu Emanuels schäbigen Büro fliegt auf und knallt gegen die Wand. Mein Freund und ich zucken zusammen, ehe eine Präsenz von einem Mann das Zimmer betritt. Mein Herz schlägt sofort bis zum Hals, denn obwohl er sich verändert hat, weiß ich instinktiv, dass es Vin ist. Er sieht älter aus und der Vollbart gibt ihm etwas Verwegenes. Er sieht markanter aus und sein Körper ist nach wie vor so trainiert wie damals. Sein Gesicht wirkt finster und als sein Blick auf mich fällt, umwölkt sich dieser noch mehr. Ich
schlucke schwer, als mich seine volle Wut trifft und ich weiß auch, dass ich ihn anstarre, aber er verzieht keine Miene. Warum auch? Es gab eine Zeit, als ihm das sehr bekannt war und solche Dinge verlernt man nicht.
Ich räuspere mich.
„Schön, dass du gekommen bist“, würge ich hervor, während mir gleichzeitig heiß und kalt zumute wird.
Vin wendet sich an Emanuel.
„Raus hier“, knurrt er leise und gleichzeitig so schneidend, dass Emanuel aufspringt und die Beine in Hand nimmt.
Er macht sogar die Tür hinter sich zu, um nicht ins Kreuzfeuer zu geraten und wenig später höre ich auch die schwere Außentür des Gebäudes. Emanuel ist über alle Berge und ich kann es ihm bei Vins angesäuertem Gesichtsausdruck nicht verdenken. Die Wahl, von hier zu verschwinden, habe ich nicht, denn ich kann mich nicht rühren. Angst und Freude wühlen in meinem Inneren. Ich würde Vin am liebsten um den Hals fallen, aber da er wütend auf mich ist, lasse ich das lieber bleiben. Sehnsucht und durch und durch Liebe regen sich so heftig in mir, dass mir die Tränen kommen wollen, aber auch das passt nicht hierher. Ich verschließe meine Zuneigung in mir und setze mein bestes Pokerface auf. Ich bin nicht mehr der Unwissende von damals, sondern habe dazugelernt und das sollte Vin schnell bemerken.
Er kommt näher zum Schreibtisch, lehnt sich vor und stützt beide Hände auf die Tischplatte. Er kommt mir so nahe, dass ich bald seinen Atem auf dem Gesicht spüren kann. Ich sollte mir vor Angst in die Hosen machen, doch stattdessen fühle ich eindeutig Erregung, die in mir hochkriecht. Es stimmt wohl, wenn man sagt, dass manche Männer mit zunehmendem Alter immer attraktiver werden.
„Was soll dieses ganze Theater?“, knurrt Vin mir entgegen und lenkt meine Aufmerksamkeit auf seinen Mund, den ich schon einmal spüren durfte.
Verdammt, das gehört gerade nicht hierher, aber seine düstere Präsenz überwältigt mich. Trotzdem schüttle ich das Ganze ab, denn hier geht es um mehr als nur um ihn oder mich.
„Es war nötig, damit du dich endlich zeigst“, sage ich ruhiger, als ich mich fühle.
Vins Gesichtsausdruck wird noch finsterer und eine innere Stimme flüstert mir eindringlich zu, dass ich jetzt besser aufspringen und flüchten sollte. Aber stattdessen lehne ich mich betont langsam nach vorne und sehe ihm gelassen entgehen.
„Wenn du dich nicht vor mir versteckt hättest, hätte ich nicht zu diesen Mitteln greifen müssen.“
„Ist das alles nur ein Spiel für dich?“
„Nein. Denn dieser Film wird gedreht werden. Diese Geschichte ist es wert, erzählt zu werden und gleichzeitig wird es dir eine ernsthafte Rolle geben, die deinen Ruf wiederherstellen wird“, offenbare ich den wahren Grund dafür, warum Emanuel und ich Vin brauchen.
Es geht nicht nur um ein Wiedersehen, sondern auch darum, ihm eine Hilfe zu sein. Ich habe damals dafür gesorgt, dass sein Ruf ganz ruiniert wurde, also sehe ich es als meine Pflicht an, Vin nun zu helfen, so wie er mir geholfen hat.
„Du willst deine Karriere aufs Spiel setzen? Nur um meinen Ruf reinzuwaschen? Was bringt dir das?“, will er wissen.
„Du hast mir geholfen, jetzt helfe ich dir.“
„Ich will deine Hilfe nicht. Lass mich einfach in Ruhe, Elias.“
Ich springe auf, packe ihn am Kragen und sehe ihm entschlossen ins Gesicht. Mein Blick hält seinen fest und ich richte mich zu meiner vollen Größe auf.
„Das kann ich nicht, weil ich diese Momente zwischen uns einfach nicht vergessen kann. Ich habe mich damals in dich verliebt und meine Gefühle sind noch immer die gleichen. Und ich fasse es nicht, dass du das Handtuch geworfen und einfach verschwunden bist.“
Sein Blick wird wilder und gefährlicher, ähnlich seines Äußeren, und seine Kieferlinie verhärtet sich. Aber ich lasse mich nicht einschüchtern, denn ich weiß, dass ich im Recht bin. Sein Pokerface ist nicht einmal halb so gut, wie er denkt und ich habe dazugelernt.
„Das ist deine Chance, Vin Ashmoore. Wirf sie nicht leichtfertig weg, nur weil du Angst hast.“
Vin zögert, sein Blick zuckt zu meinem Gesicht, genaugenommen zu meinem Mund, das weiß ich hundertprozentig. Er hat sich einen Moment später wieder im Griff, aber diese kleine Reaktion zeigt mir, dass ich ihm nicht so egal bin wie er mir glauben machen will.
„Ich habe keine Angst. Aber du solltest sie haben, denn wir sind hier ganz allein“, knurrt er mir zu und seine Stimme klingt auf einmal zwei Oktaven tiefer.
Ich verkneife mir ein verräterisches Geräusch, weil seine Stimme Gefühle in mir hervorruft, die in einem geschäftlichen Gespräch nicht von Vorteil sind. Aber reden wir überhaupt noch vom Geschäft? Oder sind wir schon längst auf einer persönlichen Ebene angelangt?
„Nimmst du das Angebot an? Wirst du im Film mitspielen?“, frage ich rau.
Er kommt mir näher, sein Mund verharrt dicht vor meinem.
„Welche Rolle?“
„Ich spiele Jasper, der sich in seinen älteren Schauspielkollegen verliebt. Du wirst Graham sein, der sich immer wieder unters Messer legt, weil die Gesellschaft ihm diesen Schönheitswahn suggeriert. Ich weiß, du kennst dich mit Jaspers Rolle besser aus, aber wenn ich mitspiele, musst du dich mit Graham abfinden.“
Vin weicht immer noch nicht von mir und legt es darauf an, mich mit seiner Nähe aus der Fassung zu bringen. Doch da kann er lange warten, ich spiele dieses Spiel nun auch seit einem Jahr gut mit, also weiche ich keinen Millimeter zurück.
„Wie geht der Film aus?“
„Das ist noch nicht entschieden. Wir wollten das offenlassen, damit wir noch Handlungsspielraum haben. Eventuell wird es erst bei den letzten Takes entschieden, das kommt auf … die Chemie unseres Zusammenspiels an.“
„Was hast du noch für Überraschungen auf Lager?“, fragt er mich.
„Der Film enthält Nacktszenen“, informiere ich ihn. „Wenn du ein Double brauchst, lass es uns wissen.“
Vin überlegt nicht lange.
„Das wird nicht nötig sein“, meint er und streckt dann die Hand aus.
Einen kleinen Augenblick denke ich, er will mich berühren und mein Körper verlangt definitiv danach. Doch seine Hand schwebt kurz vor meiner Brust in der Luft und ein diabolisches Lächeln umspielt Vins Lippen.
„Ich bräuchte einen Vertrag und einen Stift, sonst bekommst du leider nicht diese Zusammenarbeit, die du dir so sehnlichst wünschst, Elias.“
Geistesgegenwärtig habe ich beides auf meinem Tisch bereitliegen, so als hätte ich eine Vorahnung gehabt. Ich händige Vin beides aus und er zieht sich zurück, um den Vertrag durchzugehen und schließlich seine Unterschrift darunterzusetzen.
„Da, es ist offiziell. Ich werde bei diesem Film mitmachen. Meine Nummer ist im Vertrag vermerkt, schickt mir den Drehort und die Zeiten zu, dann werde ich da sein.“
Seine Stimme ist nun so kühl, als wären wir Fremde und ich werde unvermittelt aus meinem Tagtraum gerissen, wo er zu mir kommt und mich über den Tisch hinweg küsst. Ich muss in seiner Nähe definitiv mehr an meiner Selbstkontrolle arbeiten, das wird mir klar.
„Bis bald, Elias“, sagt er und dann ist er weg.
Ich breche förmlich in meinem Stuhl zusammen und schnappe nach Luft, sobald die Tür zufällt. Mein gesamter Körper zittert, meine Erregung presst sich gegen meine Hose, dass es schon unangenehm ist. Es fühlt sich an, als hätte ich einen Schock, nachdem mein Körper nicht das bekommen hat, was er wollte.
Aber hier geht es um mehr als nur meine körperlichen Bedürfnisse. Ich liebe ihn immer noch, ich bewundere seine Arbeit und Leistung... hier geht es um so viel mehr
, denke ich und nehme ein paar kontrollierte Atemzüge.
Die Zusammenarbeit mit Vin Ashmoore wird ein weiteres Mal eine überraschende Angelegenheit werden, das ist eine unumstößliche Tatsache, die ich nicht ignorieren sollte. Besser, ich mache mich auf alles gefasst.
***
Die Arbeit am Film beginnt schneller als mir lieb ist, aber so muss es sein, da mir das Geld durch die Produktion und Gehälter wie Sand durch die Finger rinnt. Immerhin hat es sich ausgezahlt, sehr sparsam damit umgegangen zu sein und ich gehe in dieser Arbeit auf, ebenso wie Emanuel und die anderen. Das Team harmoniert wunderbar miteinander und wir kommen zügig voran. Der Einzige, der wie ein Eisklotz am Set ist, ist Vin. Er redet kaum, ist sehr schroff und kurz angebunden. Außer er spielt die Rolle des Graham, denn dann ist zu spüren, dass Vin Ashmoore einfach nichts verlernt hat und die Schauspielerei nach wie vor liebt. Die meisten Szenen mit ihm und mir drehen wir ohne die anderen und mit so wenig Personal wie möglich, denn Vin hat darauf bestanden, dass kein Wirbel um seine Person gemacht wird. Es hat den Anschein, als ob er nicht wieder in die Welt zurück möchte, in die er einst gehört hat, was für mich keinen Sinn ergibt. Aber wahrscheinlich hat das auch mit meiner Person zu tun, denn nur in unseren gemeinsamen Szenen zeigt er sich sanft und kooperativ. Doch sobald Emanuel den
Take als abgeschlossen verkündet, ziehen sich die Eiswände um Vin hoch und die Wärme schwindet aus seinem Blick und seinem Handeln. Man könnte meinen, er hält es sich in meiner Nähe aus, dabei hat der Moment im Büro gezeigt, dass es durchaus anders sein kann.
Da ich die Arbeit nicht verkomplizieren will, halte ich mich zurück und konzentriere mich allein auf das, was ich gelernt habe. Ich will Vin zeigen, aus welchem Holz ich inzwischen geschnitzt bin, weil ich stolz darauf bin, was er und meine harte Arbeit aus mir gemacht haben.
Ich stehe gerne auf, gehe zu den Proben und Drehs und genieße meine Rolle in vollen Zügen, auch wenn Vins Art mir gegenüber nicht einfach zu verkraften sind. Aber da ich mich in meine Arbeit stürzen kann, ist alles nur halb so schlimm und den Rest der Zeit verbringe ich sowieso in meiner Rolle als Jasper. Dadurch, dass ich es spiele, bin ich noch tiefer in der Geschichte, die Vin mir erzählt hat. Von Neuem leide ich mit ihm mit und bringe diese Gefühle mit Jasper zum Ausdruck. Emanuel überschlägt sich beinahe vor Begeisterung und sowieso ist er im Regisseurhimmel, weil sein größter Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Ob meiner sich ebenfalls bewahrheitet, bleibt abzuwarten, doch für den Moment bin ich froh, dass Vin sich freiwillig mit mir in einem Raum aufhält.
Ich reiße mich selbst aus meinen Gedanken, als Emanuel sich räuspert und die Aufmerksamkeit aller auf sich zieht.
„Okay, ihr Lieben, das war die letzte große Szene für euch. Ab morgen habt ihr frei, aber behaltet die Telefone in der Nähe, damit ich euch Bescheid geben kann, wann wir uns zu unserer internen Premiere treffen. Vin und Lias, ich zähle weiterhin auf euch, die letzten Szenen stehen an.“
Ich werfe Vin einen Blick zu, doch er ignoriert mich wie immer. Zu gerne wüsste ich, was in seinem Kopf vorgeht, denn die letzten Szenen bilden die Sexszene und das Ende des Films,
welches immer noch unbestimmt ist. Emanuels Plan, das Ende spontan zu gestalten, je nach Chemie unserer Darbietung, setzt mich ziemlich unter Druck, denn unsere Chemie ist bisher nicht so vorhanden, wie sie einmal war.
„Meinst du, du schaffst das?“, fragt mich Emanuel, der sich nach seiner Ansprache zu mir gesellt.
„Ich schätze, das werden wir morgen herausfinden“, sage ich und beobachte, wie Vin den Raum verlässt.
Alles in mir sehnt sich nach ihm und ich muss mich wirklich zurückhalten, um ihm nicht nachzulaufen. Wir spielen schon einige Wochen zusammen, aber wir haben uns kein Stück angenähert, was mich sehr belastet. Aber ich kann ihn auch nicht zwingen, sondern nur hoffen, dass wir beide in den entscheidenden Moment abliefern.
***
Der folgende Tag beginnt früh und mit Vin und mir gibt es nur Emanuel, Anton und Jenny, die sich um die Kamera und das Equipment kümmern. Jenny ist es auch, die uns schminkt und unsere Garderobe festlegt, und ich entspanne mich, während sie mit mir plaudert. Doch sobald ich die Maske verlasse und zum Set gehe, auf welchem ein Schlafzimmer aufgebaut ist, kehrt die Anspannung zurück.
Es ist nicht meine erste Sexszene, die ich drehen muss, aber es fühlt sich so an, weil Vin dabei sein wird. Vin, der mich zwar anziehend findet, mir ansonsten aber nur negative Gefühle entgegenbringt. Meine Hände sind schon jetzt schweißnass und ich hoffe, dass ich meinen wenigen Text nicht vergesse. Als Vin ebenfalls ans Set kommt, wird es nur noch schlimmer, denn er sieht düsterer aus als sonst.
Emanuel ist mit den Vorbereitungen bald darauf fertig und wendet sich an uns.
„Seid ihr soweit?“
Vin und ich nicken und betreten das Set. Scheinbar wollen wir es beide schnell hinter uns bringen, aber es geht nicht so einfach wie gedacht. Eigentlich müssen wir uns nur mit freiem Oberkörper ins Bett legen und Vin soll sich über mir abstützen, während wir so viel Gefühl wie möglich in unsere Gesichter bringen sollen. Wir haben in dieser Szene kaum Text, weil wir uns mit kleinen Gesten berühren sollen. All das wird später mit Musik unterlegt, die ich jetzt auch gerne im Hintergrund hätte, um mich zu entspannen. Stattdessen spüre ich in der Stille des Sets meine Anspannung umso deutlicher, während Emanuel uns die letzten Instruktionen gibt und uns dann in die Szene entlässt.
Ich habe kein gutes Gefühl, während Vin und ich uns auf das Bett begeben. Da ist zu viel Ungesagtes zwischen uns und ich bin nicht bei der Sache. Es dauert nicht lange, bis Emanuel etwas sagt.
„Stopp. Lias, du musst dich locker machen. Du siehst aus wie ein verschrecktes Kaninchen.“
Doch anstatt mich zusammenzureißen, reißt mich dieser Kommentar erst recht in ein tiefes Loch. Ich kann mich nicht locker machen, denn Vin ist mir so nahe, dass ich nicht klar denken kann. In meinem Kopf bin ich wieder bei unserer Auseinandersetzung und gerade will ich so viel zu ihm sagen, aber mir fällt nicht einmal ein, wo ich beginnen soll.
„Lias, wo bist du? Ich brauche deinen Ausdruck“, sagt Emanuel wieder und ich zucke zusammen.
Vin sieht genervt aus und er scheint es zu hassen, über mir zu sein und mich ansehen und berühren zu müssen. Das hilft mir in meiner Lage überhaupt nicht und ich werde immer verkrampfter, was zur Folge hat, dass Emanuel immer wieder einhaken muss. Aber auch Vin verliert immer mehr seine Kontrolle über seinen Ausdruck und scheint immer frustrierter, je länger das Ganze andauert.
„Das bringt so nichts. Ihr seid beide viel zu verkrampft. Brechen wir ab, das führt momentan zu nichts“, höre ich Emanuel sagen und fühle mich daraufhin wie ein Versager.
„Gibst du uns eine Minute?“, knurrt Vin, womit er mich vom Bett zerrt und mich mit sich zieht.
Außerhalb der Scheinwerfer, die für die richtigen Licht- und Schattenakzente sorgen, wird mir ohne Shirt und noch dazu barfuß schnell kühl und Vins frostige Ausstrahlung tut ihr Übriges. Er zieht mich mit in Emanuels kleines Büro und wirft die Tür hinter uns zu. Eine Weile geht er auf und ab, dann stürzt er sich förmlich auf mich.
„Kannst du nicht professionell sein?! Ich habe das Gefühl, als würde ich dich vergewaltigen, wenn du mich so anschaust wie – scheiße nochmal, Elias!“, schimpft er, wendet sich wieder ab und läuft erneut seine Runden.
Er schnauft wie ein wütender Stier und ich fühle mich bei diesem Anblick hilflos.
„Entschuldige... ich dachte, ich hätte es im Griff“, sage ich niedergeschlagen und reibe mit den Händen über meine Oberarme.
Vin stoppt und sieht mich wütend an.
„Reiß dich einfach zusammen! Es fehlt nicht mehr viel und dieser ganze Mist ist abgedreht!“
Es fühlt sich an, als würde ich gleichzeitig Schläge in die Magengrube und ins Gesicht bekommen. So denkt er also über das alles hier?
„Ich hatte keine Ahnung, dass du es so sehr hasst, mit mir zu arbeiten“, sage ich hölzern und kann ihn kaum ansehen.
Wenn ich gewusst hätte, dass es ihm derartige Schmerzen bereitet, mit mir zusammenzuarbeiten, wäre ich nie auf die Idee gekommen.
„Lass mich mit Emanuel reden. Wir schreiben die Szene um oder was weiß ich. Du musst das nicht machen, wenn du mir nicht
zu nahe kommen willst“, bringe ich noch hervor, als schnelle Schritte zu hören sind und Vins Hand in meinen Blickfeld auftaucht.
Er hebt mein Kinn an und sieht mich so leidvoll an, als hätte er schlimme Schmerzen, die niemand ermessen kann.
„Verdammt nochmal, es ist so schwer, in deiner Nähe zu sein“, flüstert er und der Schmerz und die Sehnsucht ringen in seinen Augen um die Vorherrschaft.
Ich kann kaum glauben, was ich höre und sehe und suche nach Worten. Doch das ist nicht nötig, denn Vin zieht mich an sich und küsst mich so hart und eindringlich, dass es mir den Atem verschlägt. All die Sehnsucht, Wut und das Unausgesprochene zwischen uns schlägt sich Bahn. Ich habe keine Wahl, klammere mich an ihn und erwidere den Kuss augenblicklich. Vins Lippen verschlingen mich geradezu und ich halte nichts zurück. Meine Hände umfangen sein Gesicht, spüren den rauen Bart, der meine Haut pikst. Die Kälte verschwindet aus meinem Körper und macht der Hitze Platz, während pure Erregung durch meine Adern schießt. Vins Umarmung ist fest und unnachgiebig, so als würde er Besitzansprüche auf mich anmelden. Das hat er in jener Nacht ebenfalls getan und es ist lange her, aber ich erinnere mich oft daran.
Seine Zunge drängt gegen meine Lippen und mit einem leisen Stöhnen lasse ich ihn ein. Sein Griff wird fester, ich kann seinen Körper eng an meinen gepresst spüren und auch an mir geht das Ganze nicht spurlos vorbei. Als er mich nach hinten und gegen den Schreibtisch dirigiert und sich an mich drückt, löse ich den Kuss für einen hastigen, hörbaren Atemzug. Vin presst seine Lippen auf meinen Hals, während er mich fest mit seinen Armen umschlingt. Die Hitze steigt mir zu Kopf und ich schmiege mich an ihn. Doch jetzt stoppt er die Berührungen auf einmal und zieht sich langsam zurück.
„Wir sollten wieder zu Emanuel“, flüstert er an meiner Halsbeuge, aber ich kann und will ihm nicht antworten, weil ich die Berührung viel zu sehr genieße.
„Elias“, sagt er streng, als ich meine Umklammerung nicht lösen will und zwingt mich dann dazu, Abstand zu nehmen.
„Wir müssen einen Film drehen“, erinnert er mich und da wache ich aus meinem erotischen Tagtraum auf und weiche vor ihm zurück.
Sofort kommen die Gedanken zurück. Was war das eben? Was soll mir das sagen?
„Wann immer dir Zweifel kommen, erinnere dich daran, dass ich dich noch immer will“, sagt Vin knapp, dann lässt er mich einfach stehen und verschwindet aus dem Raum.
Ich rutsche an der Rückwand des Schreibtisches hinab und muss das erst einmal verarbeiten. Er will mich noch immer? Heißt das, er war all die Zeit ebenso verzweifelt wie ich?
Tief durchatmend rapple ich mich wieder auf. Vin hat Recht, wir müssen einen Film drehen, also bringe ich Ruhe in den Sturm meiner Gedanken und Gefühle und kehre zum Set zurück.
***
Drei Wochen später finden wir uns alle zusammen, um den kompletten Film zu sehen. Dafür haben wir ein kleines Kino angemietet, damit wir uns vorstellen können, wie der Film über die große Leinwand flimmert und bei unseren Zuschauern ankommt. Ich bin nervös und stiller als sonst, denn ich kann mir nicht vorstellen, wie es sein wird. Es ist nicht mein erster Film, aber es ist etwas Besonderes, weil Vin und ich darin zu sehen sind.
Seit dem letzten Drehtag haben wir uns nicht mehr gesehen und seit wir uns in Emanuels Büro geküsst haben, ist nichts mehr passiert, außer dass wir unseren Flow wiederhatten. Die letzten Szenen waren so schnell im Kasten, dass ich kaum noch
eine Erinnerung daran habe, was wir überhaupt getan haben. Ich habe vollkommen in Emanuel vertraut, dass er die richtigen Szenen auswählt, denn er wollte uns das Material nicht zeigen, damit wir bei der internen Premiere „so richtig überrascht sind“. Dieser Tag ist heute und wir nehmen in den Rängen Platz. Vin setzt sich ganz selbstverständlich zu mir und all mein Denken und Fühlen richtet sich auf ihn.
Ich habe ihn seit dem letzten Drehtag nicht mehr gesehen und so häufig an ihn gedacht, dass ich kaum schlafen konnte. Und jetzt ist er hier, gleich neben mir und ist die Ruhe selbst. Es ist unfair, dass nur ich wie ein Nervenbündel zu sein scheine, weil ich mir seiner Präsenz so bewusst bin.
Zum Glück verdunkelt sich der Raum und Applaus brandet auf, als sich der große Bildschirm erhellt. Ich bin froh, dass ich etwas zu tun bekomme, was mich von Vin ablenkt, auch wenn ich ihn nicht vollkommen ausblenden kann.
Meine Augen verfolgen die Handlung und ich kann kaum fassen, dass ich in diesem Film mitspiele. Ich wirke so anders, als wäre ich vollkommen mit meiner Rolle verschmolzen, doch das ist nichts zu der Bandbreite, die Vin liefert. Er ist besser und überzeugender geworden und Stolz breitet sich in meiner Brust aus, obwohl ich nichts damit zu tun habe.
Dann kommt die erste Liebesszene und obwohl ich hinschauen will, weil ich nicht einmal das Rohmaterial kenne, werde ich durch Vins Hand abgelenkt, die nach meiner greift. Ich sehe überrascht zu ihm, doch er starrt weiter nach vorn auf die Leinwand, während er scheinbar geistesabwesend beginnt, meinen Handrücken zu streicheln. Damit es nicht auffällt, schaue ich ebenfalls wieder nach vorn, aber mein Herz ist in Aufruhr. Mein Inneres scheint zu zittern und will mehr von diesen sanften Berührungen, die meine Gefühlswelt erschüttern. Ich kann kaum atmen, aber zum Glück erledigt das mein Körper schon allein für mich.
Bis zum Ende des Films verharre ich in diesem spannungsgeladenen Zustand und frage mich auch hier, was das zu bedeuten hat. Gibt Vin einfach nur dem Verlangen nach mir in sich nach oder stecken echte Gefühle hinter dem, was er hier mit mir macht? Ich sollte ihn fragen, doch ich kann es nicht, weil es nicht der richtige Ort ist. Ich muss ihn später fragen, wenn wir einen Moment für uns haben, denke ich und nehme es mir fest vor, mich nicht von seinen sanften Anwandlungen beeindrucken zu lassen.
Als das Licht sehr viel später wieder angeht, lässt Vin mich los, um uns allen zu applaudiere. Ich vermisse seine Berührung sofort, andererseits bin ich froh über die Atempause. In diesem Moment beugt er sich zu mir.
„Triff mich draußen, sobald zu kannst“, raunt er mir zu, dann steht er auf und geht zu Emanuel, um diesen für seine grandiose Arbeit zu danken.
Meine Gedanken jagen sich gegenseitig, ich bin kaum fähig, aufzustehen, aber ich tue es, um ebenfalls meine Danksagung an Emanuel zu richten, als ich eine Chance dazu habe. Ich verliere mich in Gesprächen, die Zeit schreitet immer weiter voran, doch als ich sehr viel später aus dem Kino komme, wartet Vin an der Straße auf mich. Es ist merkwürdig, ihn zwischen all den Menschen in der Öffentlichkeit zu sehen und doch steht er dort, als wäre es das Normalste auf der Welt.
„Komm“, ist alles, was er zu mir sagt, dann ergreift er meine Hand und zieht mich erneut mit sich.
Mit einer Hand hält er mich fest, mit der anderen winkt er ein Taxi heran, während ich ihn einfach nur anstarren kann wie eine magische Erscheinung.
Was hat er bloß vor?
, frage ich mich, steige in den Wagen und Vin gesellt sich zu mir.
Als er meine Adresse nennt, bin ich nicht einmal überrascht. Er ist vorbereitet, aber das war er schon immer. Die Fahrt
über schweigen wir und obwohl jetzt der günstigste Zeitpunkt ist, kann ich ihn nicht fragen, was seine Absichten sind. Ich will es nicht wissen, ich möchte es einfach nur annehmen wie ein Geschenk. Egal, was er mit mir macht, egal, was jetzt auch passieren mag.
Das Taxi nähert sich meiner Adresse und sobald wir halten, kommt wieder Bewegung in Vin. Er bezahlt den Fahrer und steigt aus. Ich folge ihm. Dann geht alles schnell, denn wir betreten den Hauskomplex, nehmen den Fahrstuhl bis ganz nach oben und ich spüre die Unruhe, die von Vin ausgeht und die meine sein könnte. Als die Fahrstuhltüren aufgleiten, packt er mich blitzschnell und zerrt mich aus der Kabine hinaus, ehe er über mich herfällt. Unsere Münder krachen förmlich aufeinander, er zerrt im gleichen Moment an meiner Kleidung und als die Fahrstuhltüren wieder hinter uns zugehen, liegt mein dünner Pullover am Boden, mein Anzughemd steht offen und ich trage bereits keine Schuhe mehr. Vin befreit sich von seiner dünnen Jacke und ich helfe ihm bei den Knöpfen seines Hemds, wobei meine Hände zittern wie Espenlaub.
Es geht so schnell, dass ich kaum hinterher komme, was eigentlich genau geschieht. Ich büße weitere Kleidungsstücke ein und auch Vin ist nun an der Reihe. Ich entblöße seine Brust und seinen Bauch, wo die Narben der verpfuschten Schönheitsoperation zu finden sind. Aber ich habe nicht viel Zeit, sie anzuschauen, denn weitere Küsse und Berührungen lenken mich ab, während Vin mich zum Wohnbereich dirigiert. Bald darauf bin ich nackt und Vin folgt meinem Beispiel kurz darauf. Nur einen Moment später lande ich bäuchlings auf der Lehne des Sofas und fange mich gerade so mit den Armen ab. Meine Beine verlieren den Halt, Vins Hände packen mich und streicheln mich mit hastigen Bewegungen. Es wirkt grob, aber ich will es nicht anders. Meine Erregung stimmt dem Ganzen zu und steigert sich, als ich Vins bloße Haut an meiner fühle. Ich
stöhne auf, als er mich näher an sich zieht und mich gleichzeitig herunterdrückt. Er fühlt sich hart und unnachgiebig hinter mir an und seine Finger suchen sich ungeduldig ihren Weg in mich hinein. Ich kann nur daran denken, wie sehr ich ihn will und wie gut er sich anfühlt, also schiebe ich meinen Körper so weit zurück, wie es nur möglich ist, um mehr von seinen Fingern zu bekommen. Vin will sich zurückziehen, aber ich spanne mein Inneres an und lasse das nicht zu. Dieses Mal stöhnt er und ich fühle die Zufriedenheit darüber mit deutlicher Euphorie in mir.
„Du bist verrückt, hörst du?“, raunt er mir zu, aber kann nicht aufhören, was er begonnen hat.
„Dann bin ich endlich mit dir auf Augenhöhe“, keuche ich zurück und lasse wieder locker, damit ich mehr von ihm aufnehmen kann.
Keine Ahnung, wo er Gleitmittel und Kondom hernimmt, aber ich bin froh, dass er sich darum kümmert und wieder einmal beweist, wie vorbereitet er ist. Es dauert nicht lange und ich bin so weit, dass ich statt Vins Finger bereit bin für etwas völlig anderes. Er beurteilt die Situation genauso und schon fühle ich ihn, wie er mich mit seiner Erregung aufsucht.
Ich schreie auf, kralle mich in den Sofastoff und bin froh, dass er mir Halt gibt, während er sich in mich schiebt und später auch in mir bewegt. Ich mag das schnelle, raue Tempo, welches er mir zukommen lässt und genieße das innere wie äußere Zittern meiner Muskeln und Glieder.
„Du bist wirklich verrückt“, keucht er erneut, ehe er sich auf einmal so sanft, tief und nachdrücklich in mir bewegt, dass mir die Tränen kommen.
Scheiße, dieser Mann geht mir so sehr unter die Haut.
„Ja, nach dir“, grinse ich wackelig und wiederhole erneut, dass ich ihn liebe, bis mir die Stimme versagt.
Es überkommt mich heftig, mein Orgasmus scheint ewig anzudauern und ich kann kein Gefühl mehr für mich behalten.
Ich bin mir darüber bewusst, dass mir einfach alles anzumerken ist, aber ich hatte sowieso nicht die Absicht, irgendetwas von mir zurückzuhalten. Ich liebe ihn, er will mich, und die Zeit und Entfernung, die zwischen uns standen, haben nicht das Geringste daran geändert.
***
Die Wochen gehen erneut ins Land, bis es schließlich Zeit für die Premiere unseres Films ist. Heute sehe ich Vin wieder, nachdem totale Funkstille zwischen uns eingekehrt ist. Wir hatten keinen Kontakt zueinander und ich traue mir nicht zu, ihn ein weiteres Mal aufzuspüren oder ihn anzurufen. Nach unserer überaus sexlastigen und zugleich schlaflosen Nacht verschwand er und dieses Mal habe ich nichts mehr in der Hand, um dafür zu sorgen, dass er bei mir auftaucht. Garantiert werde ich ihn nach der Filmpremiere gar nicht wiedersehen, geschweige denn mit ihm reden können. Obwohl mir das bewusst und damit jegliche Lust für die Feierlichkeit abhandengekommen ist, bin ich in feinster Abendgarderobe unterwegs zum Ort des Geschehens, um mich der Presse zu stellen und den Abend mit meinen Kollegen und Freunden zu verbringen.
Es ist eine Menge los, Stars und Sternchen tummeln sich auf dem roten Teppich vor dem großen Schauspielhaus und ich fühle mich ergriffen von der Magie des Abends. Aber das dauert nicht lange an, denn die Paparazzi scharen sich schon wie die Geier um mich.
„Mr. Heel, wer ist der Mann, mit dem sie vor nicht allzu langer Zeit unterwegs waren? War das Ihr Lebensgefährte? Wer ist er?“, höre ich als Erstes und glaube, mich zu verhören.
Ich will schon abstreiten, was mir vorgeworfen wird, doch da hält mir einer der Presseleute schon ein schemenhaftes Foto vor die Nase. Darauf zu sehen ist Vin, der mich an der Hand zum
Taxi zieht. Das Foto versetzt mir einen schmerzhaften und doch sehnsüchtigen Stich.
Scheiße Vin, was tust du mir nur an?
Die Presse scheint immer näher zu kommen und mir fällt keine passende Antwort ein. Hilflos starre ich in die vielen Kameras, Blitzlichter und Gesichter, während mir einfach kein Weg einfallen will, wie ich Vin da heraushalten kann.
Da schiebt sich eine große Gestalt durch die Menge und mein Herz rutscht mir kurz in die Hose, ehe es sich einen Weg zu meinem Hals bahnt und dort heftig und schnell weiterklopft.
Das kann doch nicht-
, denke ich, als Vin sich zu mir stellt.
Allgemeines Gemurmel entsteht bis hin zu aufgeregten Rufen. Sein Name fällt wieder und wieder und auf einmal legt sich sein starker Arm um meine Schultern.
„Ich sage es nur einmal, also hören Sie gut zu. Ich bin Vin Ashmoore, und ich befinde mich in einer Beziehung mit Lias Heel. Und jetzt würde ich es begrüßen, wenn Sie meinen Partner ein wenig atmen lassen würden“, meint er ruhig und mit einem entwaffnendem Lächeln, ehe er sich mit mir zusammen einen Weg durch die Reporter und Paparazzi bahnt. Ich bin wie betäubt, während mich Vin unbarmherzig mitzieht. Übelkeit entsteht in mir, denn ich bin schuld, dass er sich zu erkennen geben musste. Das heißt, ich habe ihn wieder einmal in die Scheiße geritten, so wie damals nach dieser Party, als die Presse ihm die Drogen angehängt hat.
„Es tut mir leid“, sage ich unglücklich und kann ihn kaum ansehen, als wir uns ins Gebäude zurückziehen können.
Vin führt mich an den feiernden Menschen vorbei und nach einer langen Odyssee hat er einen ungestörten Ort für uns beide gefunden. Dort nimmt er sofort den Faden unseres Gesprächs wieder auf.
„Was sollte dir leid tun? Dass du mein Versteckspiel beendet hast, welches schon längst hätte vorbei sein sollen?“, fragt er und fährt sich durch die halblangen Haare.
„Das heißt, du bist nicht böse?“, frage ich überrascht, denn damit hatte ich fest gerechnet.
„Ein wenig vielleicht. Aber andererseits...“, sagt er nachdenklich und zuckt dann nach einer Kunstpause mit den Schultern.
Vin Ashmoore, Schauspielstar und Meister des Dialogs und Monologs zuckt mit den Schultern?! Das ist definitiv neu und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Also schaue ich ihn an und warte auf eine weitere Reaktion. Er kommt er auf mich zu und küsst kurz meine Lippen. Anschließend nimmt er ein wenig Abstand und lehnt seine Stirn an meine.
„Du hattest Recht, Elias“, sagt er und das ist eine weitere Überraschung für mich.
Ich will etwas sagen, doch er unterbricht mich, indem er einen Finger auf meine Lippen legt.
„Und noch etwas ist schon längst überfällig“, raunt er leise. „Ich liebe dich auch.“
Mein Herz öffnet sich weit für ihn und ich heiße all die Empfindungen in mir willkommen, die mich gerade durchströmen. Da sind Glück, Zuneigung, Liebe und jede Menge Zuversicht. Ich muss Vin nicht mehr einholen, denn wir sind auf Augenhöhe – ab jetzt und für all die Zeit, die noch gemeinsam vor uns liegt.
ENDE