Kapitel 7

Schottland im Jahre 1304

Wenn in Schottland die Sonne schien, die Heidebüsche blühten und die Luft summte von den Bienen, die fleißig Honig sammelten, dann legte sich eine solch friedliche Stimmung auf das Land und überdeckte seinen wahren Zustand. Es waren unruhige Zeiten, die das Land erschütterten. England scheiterte mit seiner Invasion in Schottland, König Edward wurde von den schottischen Bauernkriegen schwer getroffen und verlor Soldaten, Pferde und wichtige Gebiete an die Rebellen. Unter der Führung von William Wallace formierte sich eine Bauernarmee, die den charismatischen Ritter mutig in seinem Kampf um die Freiheit Schottlands unterstützte. Die Grenzgebiete zwischen beiden Ländern wurden immer wieder Schauplatz dramatischer Attacken. Kein Wunder, dass die englischen Truppen sich nicht besonders wohl fühlten in diesem rauen Land, das so viele Möglichkeiten für grausame Hinterhalte bot. Trotzdem mussten sie für genügend Nachschub sorgen, Pferde, Waffen und Nahrung. Gnadenlos zwangen die Engländer die gebeutelten schottischen Bauern, ihr Hab und Gut an die Soldaten zu verteilen. Der Hass der schottischen Bevölkerung wuchs mit der Dreistigkeit der Besatzer.

Aber von diesen unruhigen Zeiten war an diesem Morgen nichts zu spüren. Die Stille des frühen Tages wurde nur unterbrochen von einem gelegentlichen Wiehern der Pferde, die mit erstaunlicher Geschicklichkeit die feinsten Grasbüschel abgrasten, die das Heideland zu bieten hatte. Hier in dieser fruchtbaren Gegend zwischen Galloway und Dumfries, im Grenzland zwischen den beiden zerstrittenen Ländern, wuchs das Gras saftig und dicht.

Die beiden Mädchen, die auf die Herde aufpassten, lagen im Schatten einer großen Eiche mit ihren weiten Ästen. Während das eine schläfrig im Schatten döste, ließ das andere Mädchen den Blick stets aufmerksam zu den Waldrändern und dann wieder zu den grasenden Pferden schweifen. Die zwölf Muttertiere mit ihren Fohlen bewegten sich kaum von den beiden Mädchen weg, als wäre ein unsichtbares Band zwischen ihnen. Über ihnen kreisten zwei Falken auf der Suche nach Nahrung für ihren Nachwuchs, begleitet von den zahlreichen Singvögeln und Wildhühnern, die in der heidebedeckten Landschaft reichlich zu fressen fanden.

Der Bach, der in der Nähe der Eiche vorbeifloss, spendete Mensch und Tier genügend Wasser. Frisch und sauber perlten glasklare Rinnsale durch die Steine und bemoosten Felsbrocken, die sich schwarz von dem satten Grün des Graslands abhoben. Emma, die wachsam immer wieder zu den Pferden spähte und dann die Umgebung beobachtete, nahm sich einen Grashalm und kaute darauf herum. Eine Bewegung am gegenüberliegenden Hügel erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie legte ihre Hand über ihre Augen, um nicht von der Sonne geblendet zu werden.

Sie hatte richtig gesehen, eine kleine Gruppe von Reitern trabte den Weg herunter, den sie beide heute Morgen ebenfalls mit der Herde genommen hatten. Sie wusste sofort, was dies zu bedeuten hatte, denn das englische Banner wehte sichtbar im Wind. Aufgeregt stupste sie ihre schlafende Begleiterin mit dem Fuß in die Seite, um sie zu wecken.

»Lily! Wach auf!« Ihr Ton war leise, aber drängend. »Wach auf und bring die Pferde von hier weg! Engländer kommen. Ich versuche, sie aufzuhalten, um dir Zeit zu verschaffen.«

Noch mit vom Schlaf schweren Augen schreckte Lily auf, erkannte die Dringlichkeit der Lage aber sofort und machte sich schnell auf zum Leittier, das nicht weit von ihr mit seinem Fohlen friedlich graste. Sie hatten beide grobe Leinenhosen und weitgeschnittene Tuniken an, die es ihnen erlaubten, wie Männer zu reiten. Es fiel ihr leicht, sich geschmeidig wie eine Katze auf den Rücken der Stute zu ziehen. Ohne Zaumzeug und Sattel, nur durch Schenkeldruck und Gewichtsverlagerung lenkte sie das Tier, eine ältere, aber immer noch hübsche Stute, an der Herde vorbei und rief dabei immer wieder leise die Namen der Muttertiere, die ihr sofort folgten.

Die Bewegung der Tiere war auch den Männern auf dem Hügel nicht entgangen, denn sie wurden jetzt schneller. Emma schluckte schwer, als sie ihre Vermutung bestätigt sah: Die Gruppe hatte es tatsächlich auf die Pferde abgesehen. Sie war des Öfteren von ihrem Vormann gewarnt worden, dass dies eine übliche Vorgehensweise der hiesigen Besatzer war, und deshalb war sie entsprechend vorbereitet. Trotzdem klopfte ihr das Herz bis an den Hals, als sie jetzt die zierliche Armbrust in die Hand nahm und zitternd den Doppellauf mit zwei Pfeilen bestückte. Zwei der fünf Männer sonderten sich von der Gruppe ab und kürzten den Weg in Richtung der fliehenden Pferde ab.

»Halt!«, schrie Emma mit fester Stimme und zielte auf den ersten der beiden Reiter, die den flüchtenden Pferden hinterhergaloppierten. »Stehen bleiben, oder ich schieße sofort!«, wiederholte sie den Befehl.

Emma war mit einem Knie auf den Boden gegangen und zielte jetzt mit der Armbrust an der Schulter, eine Haltung, die sie oft genug geübt hatte. Beide Reiter erkannten die Gefahr und rissen an den Zügeln, um ihre Pferde zum Stehen zu bringen. Hinter den beiden sah sie Lily mit der Herde in den Wald verschwinden. Gut, dachte Emma erleichtert, jetzt muss ich ihr nur noch etwas Vorsprung ermöglichen.

»Wer seid Ihr, und was wollt Ihr hier?« Ihre Stimme klang fester, als ihr zumute war. Die Reiter rechts von ihr waren jetzt so nah, dass sie die Gesichter erkennen konnte. Einer war in seiner kompletten Kampfausrüstung, von den Stahlstiefeln bis zum Helm, unschwer als Ritter zu erkennen. Er trug auf seiner Tunika die Farben seines Rittergeschlechts, weiße und blaue Streifen, unterbrochen von roten Falken. Emma wusste nicht, welchen Namen er trug, aber er war ein englischer Ritter, seine Standarte wies ihn als solchen aus.

Die anderen beiden, die ihm nicht von der Seite wichen, waren schlichter gekleidet. Ihre Helme bedeckten nur den Kopf und nicht das Gesicht. Statt des Metallhemds waren sie in Leder und mit dem obligatorischen Brustpanzer gekleidet, aber auf ihrer Brust befanden sich die verräterischen Farben und das Emblem des englischen Königs, Gelb auf Rot. Sie waren Soldaten König Edwards, auch »Hammer der Schotten« genannt, wegen seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber dem schottischen Volk – ihrem Volk.

Die Hand, die die Armbrust immer noch unentwegt auf die beiden Reiter vor sich richtete, zitterte leicht. Der englische Ritter hatte rechts von ihr angehalten und schob das Visier seines Helms mit einer Hand ärgerlich nach oben. Sein arroganter Blick fiel auf Emma. Er hielt sie in ihrer Aufmachung offensichtlich für einen Jungen. Sein Gesicht zierte ein roter Bart, und er schien verärgert darüber, dass er sich mit so einem kläglichen Störfall abmühen musste.

»Mein Name ist William de Valence, Ritter im Dienste König Edwards von England«, sprach er mit so viel Autorität, wie er nur in seine Worte packen konnte. »Wir sind beauftragt, Pferde für die Armee einzusammeln, um sie in den Dienst der Krone zu stellen. Auch diese Pferde sind hiermit konfisziert!«

Seine Stimme wurde am Schluss sogar noch lauter, als würde es ihn ärgern, einem dummen Pferdehirten die Sachlage erklären zu müssen. Er hatte nicht wirklich mit einer ernsthaften Gegenwehr gerechnet, daher störte es ihn, dass der Junge mit der hellen Stimme immer noch an seiner Armbrust festhielt und sie nicht einmal ein wenig absenkte. Die Augen des Ritters waren fest auf die beiden Reiter gerichtet, die zwischen ihm und der Waldgrenze standen, auf seine Befehle warteten und etwas unsicher zwischen dem Ritter und dem Schützen hin und her sahen.

»Die Pferde gehören meinem Lehensherrn, und Ihr müsst schon erst ihn fragen, ob Ihr sie haben dürft, Mylord, ich kann sie Euch auf keinen Fall überlassen.«

Die freche Antwort ließ de Valence überrascht den Kopf wenden und den standhaften Jungen ein wenig näher besehen. Er konnte es doch nicht ernsthaft wagen, sich gegen die Krone zu stellen?

»Du allein gegen uns alle und gegen die Krone Englands? Was bist du doch für ein dummer Bengel! Wenn du es wagst zu schießen, werde ich dich eigenhändig erschlagen.«

Er drehte sich ein wenig im Sattel und bedeutete den beiden Männern mit einer Handbewegung, die Pferde einzuholen. Sie gaben sofort die Zügel frei und stürmten aus dem Stand los. Den Ruf des Armbrustschützen hinter sich beachteten sie nicht. Erst als einer der beiden mit einem Pfeil im Hals vom Sattel fiel, wurde de Valence klar, dass der Junge es ernst meinte und auch noch verdammt treffsicher war. Bevor er den zweiten Reiter warnen konnte, traf diesen schon der zweite Pfeil in den Hals, und er fiel mit einem Ächzen von seinem Pferd. Bevor der Todgeweihte den Boden berührte, gab de Valence seinem Pferd die Sporen und schoss auf seinem schweren Kampfpferd vorwärts auf den Schützen zu. Mit einem Brüllen, das durch Mark und Bein ging, zog er einen Morgenstern aus der Schlaufe seines Sattels und schwang die fürchterliche Waffe mit einer Kraft, die von jahrelanger Übung und gnadenlosem Einsatz zeugte.

Emma ließ die Armbrust sinken. Sie hatte Lily mit dem Tod der beiden Soldaten noch ein paar wertvolle Sekunden Vorsprung verschafft, um sich mit der Herde abzusetzen.

Von rechts kam der Ritter mit seinem fürchterlichen Kampfgeschrei nun auf sie zugeschossen. Diesen Moment hatte sie gefürchtet, denn es dauerte zu lange, die Waffe mit den beiden Pfeilen zu laden. Obwohl sie in einer geübten Bewegung mit einer Hand nach dem Köcher griff, mit der anderen zeitgleich den Bogen spannte und den Pfeil auflegte, war es ihr nicht mehr möglich, ihn abzufeuern. Der Ritter hatte den Abstand zu ihr schnell verkürzt.

Sie hatte sich bereits zu ihm umgedreht, immer noch auf einem Knie, um nicht die Balance zu verlieren. Ihre Finger waren fahrig und nervös, ihr Magen flatterte vor Aufregung, und es gelang ihr nicht mehr rechtzeitig, die Waffe zu laden. Sie sah den mächtigen Ritter auf sich zurasen. Sein Brüllen vermischte sich mit dem Donnern der Hufe und dem Schnaufen des riesigen Schlachtpferdes. Emma wusste, sie war dem Tod geweiht, und ihre Bemühungen waren umsonst; sie erstarrte.

Mit einem schrecklichen dumpfen Krachen schlugen die metallenen Stacheln des Morgensterns in ihren Brustkorb. Die Wucht des Aufpralls ließ ihren schmalen Körper wie einen Ball durch die Luft wirbeln, bis sie auf dem Rücken liegen blieb. Vage und wie durch einen dicken Nebel hindurch starrte sie erschrocken zu dem Ritter hoch. Mit einer abstoßenden Kaltblütigkeit gegenüber seinen Feinden war er mit seinem Ross neben ihr stehen geblieben, inspizierte in aller Seelenruhe ihre Verletzungen.

Sie empfand keinen Schmerz, sie bekam nur kaum Luft und spürte, dass sehr viel Blut aus ihrem Körper lief und mit ihm die Hoffnung auf ein Überleben. Sie wagte nicht, nach unten zu sehen, blickte stattdessen angsterfüllt in das unbewegte Gesicht ihres Widersachers, der nun auf seinem Pferd über ihr thronte und sie mit einem kalten Blick musterte. Er spuckte einmal kurz aus und befestigte den Morgenstern wieder an seinem Sattel. Seine beiden Begleiter waren neben ihm zum Stehen gekommen. Ihre fragenden Blicke wandten sich von der klaffenden Wunde im Brustkorb des Mädchens zu de Valence. Unwirsch gab er den Befehl, die beiden Pferde der toten Soldaten einzufangen.

Er wollte sich gerade abwenden, als ein langer schwarzer Pfeil mit einer unglaublichen Wucht erst den einen und Sekunden später ein weiterer Pfeil den zweiten Reiter seines Gefolges tötete. Beide Männer sanken leblos von ihren Pferden.

William de Valence drehte sich mit seinem Ross sofort kampfbereit dem unbekannten Schützen entgegen. Seine Wut über die verlustreiche Einnahme einer sicher geglaubten Beute steigerte sich ins Bodenlose. Er würde diesem Bauernpack zeigen, was es hieß, sich gegen einen de Valence und damit gegen den Willen des Königs zu stellen! Aber was er dann sah, ließ ihn zögern. Etwas stimmte hier ganz und gar nicht. Der Anblick, der ihn innehalten ließ, bescherte ihm eine Gänsehaut. Er hatte in seinem Leben noch nie vor etwas Angst gehabt, aber jetzt beschlich ihn ein Gefühl, als würde er direkt in den Schlund der Hölle blicken. Selbst sein Pferd schnaubte und scheute, als würde es ähnlich empfinden.

Vor ihm, direkt auf der Anhöhe, die er zuvor mit seinen Soldaten heruntergekommen war, ragte ein ganz in schwarz gekleideter Reiter auf einem ebenso schwarzen imposanten Hengst auf. Langsam senkte der Unbekannte die Arme mit dem Pfeil und dem Langbogen, als wollte er ihm Gelegenheit geben, zu reagieren. Der dritte Pfeil hatte wohl ihm gegolten, aber kein Pfeil durchschlägt eine Rüstung. Das Gesicht, das ihn musterte, war wie aus Holz geschnitzt, kein Muskel regte sich darin. Kalte blaue Augen musterten ihn vernichtend, die Haut des Reiters war blass wie die eines Toten und umrahmt von weißen Haaren, die streng nach hinten gebunden waren. Ein paar lose Strähnen flatterten in der leichten Brise mit der Mähne des Pferdes um die Wette. Und als de Valence die Augen zusammenkniff, erkannte er in Höhe der Nasenwurzel ein schwarzes Kreuz.

Alle diese Geschichten, die man sich über den schwarzen Reiter erzählte, fielen ihm jetzt wieder ein und ließen ihm das Blut in den Adern gefrieren. Ihn beschlich das Gefühl, als wäre der Tod persönlich gekommen, um ihn zu holen. Instinktiv bekreuzigte er sich. Sein Pferd – genauso verstört von der Erscheinung – wich rückwärts aus, und ehe er sich versah, fiel es unaufgefordert in einen Galopp, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er machte keinerlei Anstalten, sein Pferd anzuhalten.

* * *

Instinkt gehört zu den besten Waffen eines ausgebildeten Kriegers. Er hilft, schwierige Situationen richtig einzuschätzen oder erst gar nicht in eine solche zu kommen. Oder aber er diktiert eine Handlung. Und es war reiner Instinkt, der mich in Bewegung setzen ließ, als ich Lily mit den Pferden aus dem Wald jagen sah. Sie würde die Fohlen und trächtigen Muttertiere nie einem solchen Tempo aussetzen, wären sie nicht in Gefahr. Und von Emma, einer jungen, aber sehr geschickten Bogenschützin, die mit Lily die Herde beschützen sollte, fehlte jede Spur.

Ich drückte die Absätze gegen die Flanken von Taycan und gab seiner Nervosität ein Ziel. Auch er schien etwas zu spüren und hatte aufgeregt getänzelt. Wir jagten in die Richtung, aus der die Herde gekommen war, und gelangten zum Hügel. Emma lag auf dem Boden. Sie war schwer am Brustkorb verletzt oder sogar schon tot. Zwei Soldaten fingen gerade die Pferde der Toten ein, die mit Pfeilen im Hals etwas weiter weg lagen. In Sekundenbruchteilen hatte ich eine Entscheidung gefällt und zog meinen Langbogen aus dem Sattel. Mit dem ersten Pfeil traf ich den ersten Reiter in den Hals, und auch der zweite sank gleich darauf tot vom Pferd. Für den Ritter wollte ich mir etwas Zeit lassen, denn er hatte offenbar Emma auf dem Gewissen. Nur ein Morgenstern riss eine solch schreckliche Wunde wie die in Emmas Brustkorb. Und dieser gut gekleidete Edelmann auf seinem Schlachtross hatte eine solche Waffe in einer Schlaufe an seinem Sattel befestigt. Ich senkte meinen Langbogen und wartete ab, wie er reagieren würde. Dabei musste ich meine Wut wieder in den Griff bekommen, die mich beim Anblick des verletzten Mädchens ergriff. Man sah mir nicht an, was in mir vorging, aber ich hatte soeben sein Todesurteil gefällt. Die Frage war nur, wie es zu vollstrecken war.

Der Ritter im Tal musterte mich vom Rücken seines Pferdes, das unruhig tänzelte, und bekreuzigte sich. Gut so, er nahm mich also ernst. Dann geschah etwas Unerwartetes: Der Ritter nahm seine Zügel auf, und sein Pferd warf unwillig den Kopf hoch. Er kam aber nicht auf mich zu, sondern drehte ab und ließ dem nervösen Pferd freien Lauf. In einer dünnen Staubwolke, die sich nur langsam wieder auf den schmalen Feldweg legte, verschwand er, als wäre der Teufel hinter ihm her. Er wollte sich also nicht einmal einem Kampf stellen, der verdammte Feigling! Wütend ballte ich die Faust und schrie etwas Entsprechendes hinter ihm her, aber er konnte mich nicht mehr hören. Einerseits wäre ich ihm gerne nachgejagt, auf der anderen Seite lag dort unten meine Emma in Todesqualen. Ich entschied, mich erst um sie zu kümmern, und verschob die Verfolgung auf einen späteren Zeitpunkt. Weit würde er ja nicht kommen, nicht mit mir auf den Fersen. Auch wenn er direkt in die Hölle reiten sollte.

Mein Hengst blieb nach einem kurzen Sprint die Anhöhe hinunter neben dem Mädchen stehen. Mit einem Satz sprang ich ab, noch bevor das Pferd zum Stillstand gekommen war, und kniete erschüttert neben Emma nieder. Sie lag auf dem Rücken, ihre Augen waren erschreckend weit geöffnet. Ihr Atem kam als rasselndes, gurgelndes Geräusch aus ihr heraus. Es brauchte keine Ausbildung zum Medicus, um zu wissen, dass die klaffende Wunde in ihrem Brustkorb ihren Tod bedeutete. Die Angst ließ sich aus ihren großen haselnussfarbenen Augen ablesen, und mir zog sich vor Schmerz das Herz zusammen. Meine tapfere Emma bezahlte den Kampf um meine Pferde mit dem Tod.

Tief gerührt nahm ich ihre Hand, die vom Blutverlust und dem Schock eisig kalt war, und richtete sanft ihren Oberkörper auf, um das Atmen zu erleichtern. Ihre Lippen zitterten, mein Arm, der ihren Oberkörper stützte, war sofort durchnässt von ihrem Blut. Mit meiner freien Hand hielt ich zärtlich wie bei einem Kind ihren Kopf und zupfte die verklebten blonden Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. Sie hatte sie abgeschnitten, weil lange Haare sich immer in ihrer Armbrust verhedderten. Jetzt waren sie stumpf und nass vom Schweiß.

Sie würde in den nächsten Minuten sterben. Immer wieder erfasste sie ein Zittern, das ihren schmalen Körper erschauern ließ. Ich konnte nichts mehr für sie tun, nur ihren Tod erleichtern. Und so hielt ich sie fest und sprach mit ihr, ruhig und sanft.

»Ich werde deinen Tod rächen, Emma. Keiner meiner Krieger stirbt umsonst. Auch du nicht. Ich werde diesen Ritter finden und ihn tausendfach büßen lassen.«

Trotz meines leisen Tons war meine Stimme fest und entschlossen. Sie gab keinen Aufschluss über meine Wut und Zerrissenheit – eine nützliche Eigenschaft, die ich mir im Laufe meiner Jahre angeeignet hatte. Emmas Augen, die mich dankbar fixierten, verloren etwas von dem ängstlichen Ausdruck und hielten mich letztlich davon ab, aufzuspringen und sofort loszureiten. Diese wenigen letzten Minuten waren das Einzige, was ich diesem tapferen Mädchen noch geben konnte, und ich gab sie ihm von Herzen. Wie oft habe ich nun schon treue Kampfgefährten in den Tod begleitet, habe ihre Hand gehalten und versucht, ihnen ihre Angst zu nehmen. Und trotzdem traf es mich immer zutiefst. Meine Seele nahm wie immer die Schuld an ihrem Tod auf und ließ den dunklen Fluss meines Gewissens ganz tief in mir weiter anschwellen.

Ein gurgelnder Husten schüttelte Emmas schmalen Körper. Ihre Augen wurden matt, die Lider zitterten. Noch einmal versuchte sie, sich mit letzter Kraft aufzurichten, und formte ein paar Worte mit ihren Lippen: »… Tod … Krieger?«

Ich verstand sofort, drückte die schlaff gewordene Hand und bestätigte ihre letzte Frage: »Ja, du wirst das Begräbnis eines Kriegers erhalten, mit allen Ehren. Du warst ein tapferes Mädchen und hast dein Leben für uns alle gegeben. Lass jetzt los, meine kleine Emma, gehe zu deinem Gott, und gehe in Frieden.«

Emma schloss die Augen, auf einmal wirkte sie fast zufrieden, und bei ihrem letzten Atemzug sah ihr Gesicht beinahe entspannt aus, bevor das Leben aus ihrem Körper entwich.

* * *

Ich atmete tief durch und blickte von Emmas totem Körper auf, um in die Gesichter der umstehenden Krieger zu blicken, in denen sich Trauer und Schmerz vereinten. Sie waren von Caerleverock Castle, unserem Zuhause, herbeigeeilt und standen jetzt Seite an Seite mit mir neben dem toten Mädchen. Ich hatte keine Worte. So laut war der Schmerz über einen verlorenen Menschen in meinem Kopf, ich konnte weder mich noch die anderen trösten. Es kribbelte in meinem Rücken. Die mir so vertraute Wut kam zu mir zurück und verdrängte die Trauer. Gut so, ich brauchte sie, um mich von der Toten loszureißen und die Verfolgung aufzunehmen.

Irgendjemand gab mir ein Tuch, um meine Hände abzuwischen. Ich bettete Emmas Kopf sanft auf die Erde und stand auf. Dumpf blickte ich in die traurigen Augen der Umstehenden, die entweder die Köpfe senkten oder mich erwartungsvoll anblickten. Kampflust glitzerte in ihren Augen und eine Wut, die meine eigene spiegelte. Mit einem tiefen Atemzug wendete ich mich zu meinem Pferd, das den Geruch von Blut wahrnahm und unwillig seinen Kopf hob.

Entschlossen stieg ich in den Sattel, nickte den Anwesenden kurz zu und gab noch letzte Anweisungen, die Leiche zurück in die Burg zu bringen und alles für die Beerdigung vorzubereiten. Taycan, der irritiert schnaubte, schien meine Entschlossenheit zu spüren und warf sich nach vorn, um loszulaufen. Und tatsächlich hatte seine Kraft einen beruhigenden Effekt auf mein Gemüt, und ich ließ seinem Willen freien Lauf. Ich war mir sicher, wir würden rechtzeitig zur Trauerfeier zurück sein – mit einer Haarlocke von Emmas Mörder als Grabbeigabe. Der Wind, der mir ins Gesicht blies, trocknete ihr Blut auf meiner Haut und meiner Kleidung, genauso wie die Tränen in meinem Gesicht.

* * *

Die Spuren, die der Ritter mit seinem kräftigen Pferd hinterlassen hatte, waren so einfach zu lesen wie die Buchstaben auf Meister Abdallahs Papyrusrollen. Er hatte etwa eine Stunde Vorsprung, und ich gab meinem Hengst den Kopf frei. Es wunderte mich, dass der Ritter nicht den Weg zurück nach England gesucht hatte, sondern tiefer in schottisches und damit feindliches Gebiet geritten war. Selbst auf der Flucht wäre ein großer Bogen zurück möglich gewesen, aber er hatte sich fast stur in nördlicher Richtung gehalten.

Bald wurden die gut ausgebauten Straßen, die von den englischen Trupps für die schweren eisenbeschlagenen Wagen genutzt wurden, zu immer dichteren und schmaleren Wegen, die mich eher an Trampelpfade erinnerten. Seine Spuren waren noch immer deutlich zu lesen, die eisernen Hufbeschläge gruben sich tief in den weichen Untergrund. Sein Tempo hatte er augenscheinlich gedrosselt, um sein Pferd nicht zu schinden. Dasselbe tat ich auch mit Taycan, dem der Schweiß vom Hals tropfte. Er war zäh und kräftig, aber ich hatte alle Zeit der Welt. Zudem wurde der Weg immer felsiger und die Gefahr zu stolpern größer.

Warum er immer tiefer in feindliches Gebiet geritten war, wurde mir klar, als die Spuren sich auf einer Lichtung auf einmal änderten. Zu dem des Kampfpferdes gesellten sich jetzt noch weitere Hufabdrücke. Fast alle wiesen die typische Größe der beschlagenen englischen Pferde auf, nicht die kleineren nackten Hufe der Pferde der Schotten. Er war also auf seine eigenen Leute gestoßen und hatte gewusst, dass sie hier auf ihn warten würden.

Taycan ging ungestüm vorwärts, er schien die Nähe des Feindes zu spüren, und ich musste ihn zurückhalten, um nicht geradewegs in die Truppe zu stürmen. Anhand der Spuren schätzte ich die Zahl der Reiter auf etwa zehn. Das änderte meine Pläne ein wenig, denn ich musste seine Helfer an einer geeigneten Stelle erwischen, um an ihn heranzukommen.

Es dauerte nicht lange, und ich fand ihren verlassenen Rastplatz an einem kleinen Flusslauf. In diesem Teil des beginnenden Hochlandes war ich noch nie gewesen. Ich schätzte, wir waren schon weit über Dumfries hinaus, das zum Land des Clans Douglas gehörte. Seit vier Stunden war ich mit einem zügigen Tempo unterwegs, inzwischen völlig abseits der Hauptwege, als würden die Engländer ein verstecktes Ziel suchen.

Trotzdem machten sie sich keine Mühe, ihre Spuren zu verwischen. Der Ritter war sich wohl sehr sicher, dass er nicht verfolgt oder angegriffen werden würde. Dort, wo sie gerastet hatten, war noch alles zerwühlt, das Gras hatte sich noch nicht wiederaufgerichtet. Sie waren demnach ziemlich nah.

Ich lenkte Taycan leicht östlich und ritt einen parallelen Weg zu dem meines Feindes. Manchmal, wenn der Wind günstig stand, konnte ich sie sogar laut lachen hören, so nah war ich ihnen schon gekommen. Der Wind kam aus westlicher Richtung und war bereits warm vom milden Klima des Meeres. Sie konnten mich also weder hören noch die Pferde Taycan wittern.

Mit schnellem Tempo überholte ich die Gruppe in angemessenem Abstand. Das Tal, das wir nun hinter uns ließen, hatte keinerlei Abzweigung. Irgendwann würden sie daher die Schmalstelle passieren, die am Ende des Tals neben einem Bach entlangführte. Taycan fiel in einen langsamen Trott, und ich musterte die Umgebung, die meiner zahlenmäßigen Unterlegenheit entgegenkam. Links und rechts des Weges ragten die felsigen Wände der Bergformation auf, in die sich der Bach wohl schon seit Jahrhunderten fraß. An einer Stelle verengte sich der ohnehin schmale Weg, weil ein Felsbrocken von der steilen Gebirgswand gefallen war. Zudem hatte der felsige Weg eine leichte Schräge, die Pferde fanden nur schlecht Halt. Den Felsbrocken selbst mussten die Reiter einzeln umlaufen.

Ich stellte mich hinter dem Felsen in Position und zog mein Schwert in einer fließenden Bewegung aus dem Rückenhalfter. Hier war ich sicher, denn die Biegung des Weges und der Fels schützten mich vor einer allzu frühen Entdeckung. Der Elfenbeingriff ruhte jetzt vertraut in meiner Hand. Die seltene Waffe war so scharf wie kein anderes Schwert. Liebevoll betrachtete ich die Spiegelung auf der leicht gebogenen Klinge, das perfekt geschmiedete Metall und die wunderschöne Gravur im Griff. Es waren chinesische Schriftzeichen, der Name des Meisters, dem dieses Schwert einmal gehört hatte, Kang Shi Fu. Es hatte mich einige Zeit gekostet, um herauszufinden, dass es sein Name war, der dort eingraviert war. Ich schickte ein kleines Gebet an Shi Fu, meinen Großmeister und Lehrer, der aus mir die Kriegerin gemacht hatte, die ich heute war. Der alte Chinese war für mich wie ein Vater gewesen, der mir mein Leben lang so gefehlt hatte. Er nahm einen besonderen Platz in meinem Herzen ein, direkt neben dem meiner Familie.

Der schöne Sommertag würde in einem Blutbad enden, so sollte es wohl sein. Die Sonne ging behäbig am Horizont unter, als würde sie sich den kommenden Ereignissen geschickt entziehen wollen. Das Licht der Abenddämmerung färbte den Himmel orange und ließ Blätter und Bäume golden schimmern.

Ich zog mit den Fingerspitzen die Linie der Klinge nach, vorsichtig darauf bedacht, mir nicht wehzutun. Die Härte des Metalls gab mir ein sicheres Gefühl. Trotz der Kühle des frühen Abends spürte ich eine Wärme, die von meinem Rücken in meinen Bauch kroch, und meine Sinne begannen sich zu fokussieren.

Deutlich konnte ich die Vibration des Bodens spüren, als die Reiter den Weg entlangkamen, den ich zuvor passiert hatte; sie waren einen Steinwurf entfernt. Mein Bauch war ganz warm, mein Atem ging ruhig und gleichmäßig, mein Körper stellte sich auf den Kampfmodus ein. Ich schloss die Augen, ich musste sie nicht sehen, ich spürte sie. Meine Sinne sagten mir deutlich, was ich wissen musste: Sie ritten paarweise, der Ritter, den ich suchte, in ihrer Mitte. Ihn begleiteten zehn Soldaten. Ich hörte das Klappern der Hufeisen, das Klirren der Metallwaffen und der Geschirre, das Ächzen der Ledersättel, das Schnauben der Pferde, das Lachen der Männer.

Jetzt hielten sie kurz an, der Felsbrocken zwang sie, sich aufzuteilen. Ein lauter Befehl erklang, und die Soldaten setzten sich in Bewegung. Der erste trabte um den Felsbrocken herum und in mein Sichtfeld. Ich öffnete die Augen.

* * *

William de Valence hatte sich wieder gefangen. Nachdem ihn eine ungeheuerliche und noch nie dagewesene Furcht dazu gebracht hatte umzukehren, ließ er sein Pferd in nördliche Richtung galoppieren. Es dauerte lange, bis er wieder klar denken konnte und die unheimliche Gestalt auf dem schwarzen Pferd vor seinem geistigen Auge verblasste. Er schalt sich selbst dafür, aus Angst einem Kampf ausgewichen zu sein. Aber irgendetwas war so anders gewesen an dieser Gestalt, etwas, das ihn tief in seinem Innersten das Fürchten gelehrt hatte.

Sein Beiname war William der Tapfere, aber das hatte er in diesem Moment vergessen. Der Eskorte, die er nun wie vereinbart auf dem Weg in die Highlands getroffen hatte, erzählte er, dass eine große Gruppe wilder Schotten in einem Hinterhalt über ihn und seine Leute hergefallen sei. Einzig ihm sei die Flucht gelungen. In ein paar Tagen sollten sie die Burg in Stirling erreichen, welche in englischer Hand war. Vielleicht würden sie ja noch auf eine der zahlreichen marodierenden Banden dieses Verräters William Wallace treffen, die hier ihr Unwesen trieben. Er wäre froh, diesem Halunken, diesem Verräter der englischen Krone das Handwerk zu legen.

Sein Trupp kam vor einem riesigen Felsbrocken abrupt zum Stehen. Sein Vormann wies die Soldaten an, einzeln um den Stein herumzugehen, da nur ein Pferd auf einmal durch den schmalen Spalt passte. Ungeduldig hielt er seinen Fuchs im Zaum, um die Soldaten passieren zu lassen. Die ersten vier waren eben durchgeschlüpft, als auf der anderen Seite ein Schrei ertönte, der ihm durch Mark und Bein fuhr. Es war nicht der Kampfschrei eines wilden Schotten, es war das Brüllen eines Menschen, der sich in Todesangst befand. Verflucht, natürlich! Es war die perfekte Stelle für eine Falle!

»Alle Mann zurück, kommt sofort zurück!«, schrie de Valence aus Leibeskräften, drängte sein Pferd an seinen Soldaten vorbei nach vorn und zog das Schwert aus dem Hüfthalfter. Vage drang das Kampfgeschrei von der anderen Seite zu ihm herüber. Der letzte Soldat, der den Felsen passiert hatte, kam jetzt mit seinem Pferd wieder zurück. Er schrie vor Schmerz, sein Arm war direkt unterhalb des Brustpanzers komplett abgetrennt. De Valence riss erschrocken sein Pferd zurück. Der Verletzte drängte mit seinem panischen Pferd in die versammelten Soldaten vor dem Felsen. De Valence schäumte vor Wut.

»Keiner geht auf die andere Seite! Versorgt Kerrington und bleibt zusammen!«

Die meisten Soldaten mussten erst ihre Tiere beruhigen, bevor sie ihren Kameraden helfen konnten. Einer stieg ab und half dem Verletzten von seinem verstörten Tier, dessen Augen sich verdrehten, bis es weiß schimmerte.

»Wie viele sind es?«, schrie de Valence, während er sein Pferd nervös vor seinen Leuten und dem engen Einstieg des Weges tänzeln ließ. Der Verletzte brachte kein Wort heraus, nur ein wildes Stammeln, das im Stampfen und Wiehern der übrigen Pferde unterging.

»Rede!«, schrie er ihn unwirsch an, aber Kerrington verdrehte die Augen und verlor das Bewusstsein. De Valence versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Drei Soldaten waren nicht zurückgekommen, ein vierter war schwer verletzt. Wie viele Feinde befanden sich hinter dem Felsbrocken? Warum hörte er nichts von den anderen Soldaten, waren sie tot?

Mit zusammengebissenen Zähnen gab er den Befehl: »Wir reiten zurück und nehmen einen anderen Weg, bevor wir noch mehr Leute verlieren!« Er zog seinen Fuchs herum und ließ ihn in die Richtung tänzeln, aus der sie gekommen waren.

»Was machen wir mit Kerrington?«, fragte der Soldat, der abgestiegen war, mit dem ohnmächtigen Verletzten im Arm.

»Lasst ihn hier, er hält uns nur auf.«

Beklommene Gesichter zeigten, wie harsch dieser Befehl war, dennoch ließ der Soldat den Einarmigen zu Boden gleiten. Gerade wollte er wieder auf sein Pferd steigen, als ein schwarzer Reiter mit einem Schwert hinter dem Felsen hervorschoss und dem ersten Soldaten in der Reihe den Kopf abschlug. Der zweite Soldat, dessen Pferd vor Schreck mit den Hinterbeinen von dem abschüssigen Weg abrutschte, fiel hintenüber und der schwere Pferdekörper auf ihn. Ein Stich in den Hals des strauchelnden Tieres ließ es schwer auf den gefangenen Menschen unter sich fallen.

Der dritte Soldat starb, bevor er schreien konnte, durch die mörderische Waffe. Der vierte kreuzte mit dem schwarzen Reiter sogar noch die Klinge, bevor auch er mit einem rund geführten Hieb seines Kopfes beraubt wurde. Jetzt waren noch de Valence und zwei Soldaten übrig. De Valence brüllte wie ein röhrender Hirsch, als er frustriert erkannte, wer sein Widersacher war. Einer, der seine Truppe dezimierte, als wären sie nur Lämmer auf der Schlachtbank. Das blasse Gesicht des schwarzen Reiters war zu einer entschlossenen Maske erstarrt, und aus den blauen Augen blitzte der Durst nach Rache.

Nein, diesmal würde er sich wehren! Wenn der Tod ihn holen wollte, würde er ihm die Stirn bieten. William de Valence hatte noch keinen Kampf verloren, und er würde ihn auch nicht gegen den Tod verlieren.

* * *

Ich hatte ihn in der Falle. Der Kampf gegen die wenigen verbliebenen Soldaten war keine große Anstrengung gewesen. Sie waren schlecht ausgebildete Schwertkämpfer und noch schlechtere Reiter. Es wunderte mich nicht, dass die Schotten die Engländer das Fürchten lehrten.

Die verbliebenen zwei Soldaten, einer am Boden und einer zu Pferd, setzten sich mit wenig Geschick, aber lautem Brüllen zur Wehr. Der am Boden kam nicht einmal dazu, sein Schwert zu ziehen, und der Soldat auf dem Pferd wurde von Taycan schlichtweg aus dem Sattel geworfen, als mein mächtiger Hengst seine Stute überritt. So war er ein leichtes Ziel für mein Schwert.

Der Ritter, auf den ich es abgesehen hatte, war schwieriger zu bekämpfen. Er war geschützt von seiner Rüstung, sein Schwert war länger und schwerer als meines und wehrte mit einem hässlichen Krachen von Metall auf Metall meine Hiebe ab. Immer wieder sausten die Klingen aufeinander. Anerkennend musste ich mir eingestehen, dass er ein erfahrener und mit allen Tricks vertrauter Kämpfer war.

Allerdings behinderte ihn das Gewicht seiner schweren Rüstung in seiner Beweglichkeit und ermüdete ihn schnell. Das schwere Metall machte jede seiner Bewegungen zu einer Kraftprobe. Er ächzte und schnaufte. Die mächtigen Schläge wurden ungeduldiger und wütender. Meine Wendigkeit und vor allem Schnelligkeit machte ihm schwer zu schaffen und frustrierte ihn sichtbar. Mein rechter Fuß tippte die vordere Schulter meines Hengstes. Es war sein Zeichen, den schweren Wallach des Ritters zu bedrängen, und tatsächlich brachte er ihn so schließlich zum Straucheln. Das Pferd sank mit den Vorderläufen ein und ließ die schwer gepanzerte Gestalt auf seinem Rücken nach vorn über den Hals hinwegstürzen. Hastig blickte ich mich um, erkannte als einzige Gefahr nur noch diesen einen Kämpfer und stieg daher in aller Ruhe von Taycan ab, um ihn nicht der Gefahr eines wütend um sich schlagenden Ritters auszusetzen.

Wutentbrannt stemmte sich der Ritter vom Boden hoch, riss sich den Helm mit dem roten Federbausch vom Kopf und brüllte mich an: »Wer verflucht nochmal seid Ihr? Was erlaubt Ihr Euch, die königliche Eskorte anzugreifen und mit ihr einen Ritter der Krone! Mein Name ist William de Valence, und ich werde Euch lehren, was es heißt, sich mit mir anzulegen!«

Wütend warf er dabei seinen Helm auf den Boden, der scheppernd über den Felsen polterte. Seine Stimme überschlug sich fast. Prustend und schnaufend stand er vor mir, die Fäuste geballt. Seine kurzen roten Haare standen ihm verschwitzt vom Kopf ab. Sein Gesicht war gerötet und erhitzt von der Anstrengung, die Augen funkelten mich mordlustig an. Seine Zähne waren gebleckt wie bei einem Wolf, der drohend fletschte. Er war definitiv gefährlich und bis in die Haarspitzen aggressiv, es wäre ein Fehler gewesen, ihn zu unterschätzen.

Ich antwortete ihm nicht, sondern deutete nur auf das Schwert vor ihm auf dem Boden, das er beim Sturz verloren hatte. Mit seinen eisenverkleideten Beinen stakste er unbeholfen darauf zu, nahm es mit einem wütenden Schnauben auf und attackierte mich fast in der gleichen Bewegung. Jeden seiner Schläge parierte ich mit kraftvollen Gegenschlägen, und die kraftraubenden Bewegungen ließen ihn bald schwer schnaufend innehalten.

Sein Schweiß perlte ihm von der Stirn, der rote Bart glitzerte, sein offener Mund verzog sich zu einem ungläubigen spöttischen Grinsen. Frustriert schüttelte er den Kopf. Ich sah ihm ruhig in die Augen, sie waren braun wie junge Kastanien. Doch auf einmaI legte sich ein Schatten über seine Pupillen, ein bläulicher Schimmer. Ich war wie gebannt. Was war das? Hatten sich blaue Flammen in seinem Blick gespiegelt? Aber ich sah nirgendwo Feuer.

»Wer bist du? Was ist das für eine Waffe?«, krächzte er nun seinerseits, seine Brust hob und senkte sich schwer unter dem Brustpanzer. Er klang verwundert.

»Mein Name ist Enja, und ich werde dich mit dieser Waffe töten, so wie du meine Emma getötet hast. Niemand tut meinen Mädchen etwas zuleide. Und Euer König bedeutet mir nichts.«

Entschlossen verstärkte ich den Griff um mein Schwert, wollte meinen Worten Taten folgen lassen, aber seine braunen Augen blitzten mich an. Meine nächste Handbewegung sollte eigentlich den Kopf vom Rumpf trennen, ein sauberer Schnitt ohne große Anstrengung. Doch das seltsame blaue Flackern in seinen Augen schien mich in meiner Bewegung zu bremsen, und ich spürte einen fürchterlichen Schmerz in meinem Bauch. Anstatt mich zu wehren, sah ich ihm immer noch in diese verdammten Augen. Wie ein böser Zauber hielt mich sein Blick gefangen. Jetzt starrte er mich triumphierend an, der blaue Schimmer war verschwunden. Sein Mund verzog sich zu einem höhnischen Grinsen. Ich sah seine Lippenbewegungen, und seine Stimme drang gedämpft wie durch einen dicken Stoff an mein Ohr.

»Aber heute, du verfluchtes Weib, wird dich der Tod holen.« Und er zog sein Schwert mit einem Ruck wieder aus meinem Leib.

Vom Schmerz überwältigt schnappte ich nach Luft und ging in die Knie. Eine Hand presste ich gegen meinen Bauch, warme Flüssigkeit lief über meine Finger. Der Schmerz war fürchterlich, aber noch fürchterlicher war die Wut, die mich ergriff. Heiße Wut über sein Grinsen, seinen Triumph und über meine eigene Unfähigkeit, diesen Ritter endgültig zur Strecke zu bringen und Emma zu rächen.

Wie hatte das passieren können? Kein Mensch war bisher schneller mit der Waffe gewesen als ich! Noch nie hatte mich jemand so schwer verletzt. Was war los mit mir?

Irritiert schloss ich meine Augen und sah Emma vor mir liegen. Ihren leblosen jungen Körper. Der Schmerz lähmte meinen Körper und meinen Verstand. Der Elfenbeingriff meiner Waffe wurde schwer und glitt aus meiner Rechten. Noch auf den Knien sah ich mit zusammengekniffenen Augen den Ritter an, wie er den Arm mit der Waffe hob, um noch einmal zuzustoßen. Meine Wehrlosigkeit erschütterte mich bis ins Mark. Ohne auch nur einen Finger zu krümmen, erwartete ich den Todesstoß wie ein Lamm auf der Schlachtbank.

Aber anscheinend überlegte es sich mein Gegner anders, drehte sich kopfschüttelnd um und stolperte zurück zu seinem Pferd. Er schien sich sicher zu sein, dass ich sterben würde, und machte sich nicht einmal die Mühe, sein Werk zu vollenden.

Verzeih mir, Emma, ich konnte dich nicht rächen.