Isaak ad Din Abu l’Abbas wusch sich mit Seife die Hände an der einzigen Quelle der Oase. Immer und immer wieder, um den Geruch des Todes, des Blutes und des Feuers abzustreifen. Dann trocknete er sie an einem sauberen Tuch und rieb sich die müden Augen. Abgekämpft blinzelte er in das schwache Licht des kleinen Feuers, das er in der Nähe seines Gefährts entfacht hatte. Daneben lag die schmale Gestalt des Kindes, für das er sich nun verantwortlich fühlte. Mit einem Schlag hatte ihre Begegnung sein Leben verändert.
Das Kind war ein Zeichen dafür, dass es Menschen gab, die anders waren. Menschen, die von Allah für eine höhere Aufgabe bestimmt waren, wie auch einst Jesus, Moses und Mohammed. Er wusste nicht, warum Allah ausgerechnet ihn ausgesucht hatte, um diesem Kind zu helfen, aber er würde seine Aufgabe wahrnehmen. Als gläubiger Muslim und Gelehrter empfand er es als seltene Ehre. Nur worin seine Aufgabe bestand, das war ihm noch nicht klar. Zunächst einmal hatte er dieses Kind vor einem grausamen Schicksal gerettet.
Isaak setzte sich neben das in eine Decke gewickelte kleine Bündel. Sorgenvoll starrte er in das blasse Gesicht des Kindes, das tief schlafend vor ihm lag. Er grummelte und grollte, er konnte nicht in Worte fassen, was es so besonders machte. Er sah nur ein Kind. Etwas, das ihm in seinem Leben verwehrt worden war. Den Traum von einer Familie hatte er schon lange begraben.
Er war irritiert, als er beim Waschen bemerkte, dass er ein Mädchen gerettet hatte. Warum sollte Gott ein Mädchen schicken, um zu den Gläubigen zu sprechen?
Aber das Zeichen trog nicht. Es war tatsächlich ein Wunder geschehen, und er war Zeuge geworden von Allahs Größe. Ehrfürchtig hatte er sich die Hand des Mädchens noch einmal genau angeschaut. Sie war zur Hälfte durchschnitten bis zum Knochen, aber der restliche Arm war unverletzt. Er hatte es mit eigenen Augen gesehen: Der Scharfrichter hatte exakt auf die Stelle oberhalb des Handgelenks gezielt, die Axt war am Knochen abgeglitten und hatte sich anstelle des Arms in den Holzblock gebohrt.
Isaak schüttelte den Kopf, er ging immer und immer wieder in Gedanken die Bilder durch. Allah muss mit ihr wahrhaftig Großartiges vorhaben!
Er hatte die Wunde zugenäht und etwas von der durchsichtigen Flüssigkeit einer seiner Phiolen auf den Wundrand getropft. Dann hatte er saubere Binden mit einer Holzschiene darum gewickelt und festgesteckt.
Isaak beugte sich nach endlosen Grübeleien wieder zu dem schlafenden Mädchen hinab und prüfte zum wiederholten Mal die Hand der kleinen Patientin, fühlte noch einmal den Puls. Die Haut war kalt, doch der Puls kam gleichmäßig. Mit einem zufriedenen Grunzen zog der Alte die Decke wieder über das Kind und erhob sich stöhnend. Ein kurzer harter Husten schüttelte seinen schlaksigen Körper und ließ ihn innehalten. Mit zittrigen Händen wickelte er seine Utensilien sorgfältig in eine Lederrolle und steckte sie in die abgegriffene Tasche auf seinem Gefährt.
Aus dieser Tasche nahm er sich jetzt eine Wasserpfeife und einen Beutel mit kleinen Kugeln. Mit einem Holzlöffel drückte er kleine weiße Kügelchen aus dem Beutel in die Schale oberhalb des Glührostes und ging zurück zum Feuer neben dem schlafenden Mädchen. Dort legte er sich mit einem Stöckchen glühende Kohle in den Rost und steckte sich den Schlauch in den Mund. Mit ein paar schnellen Atemzügen glühte der Inhalt der Schale rot auf, und er zog gierig den Rauch tief in die Lungen. Er musste husten, aber nicht mehr ganz so hartnäckig wie zuvor.
Isaak setzte sich neben das hölzerne Rad seiner Kutsche und streckte die Beine aus. Langsam entspannte er sich, seine Gedanken wurden träge, und der Husten kehrte nicht mehr zurück. Die Nacht senkte sich wie eine Decke auf ihn herab. Ab und an hörte er noch das Schnauben des Zugpferdes, das sich nach dem heißen Tag erholte, und den Nachtruf der Eulen, die auf ihre Beute warteten. Wohlig spürte er, wie die lang ersehnte Ruhe von ihm Besitz ergriff. Sein Leben hatte nun Allah in der Hand. Ab jetzt würde sich einiges ändern, ja, vielleicht auch zum Guten. Er entließ seine Gedanken in einen tiefen Schlaf voller schöner Bilder, sein alter Körper schwebte schwerelos und schmerzfrei in einen sanften Traum. In der Luft lag der leicht bittere Geruch von Mohn.
* * *
Mit einem dumpfen Pochen im Kopf wachte ich auf. Übertroffen wurde dieses Gefühl nur noch von dem Stechen in meinem Arm, der sich seltsam schwer anfühlte. Die Erinnerung an das, was geschehen war, ließ mich auffahren, und die leichte Decke, die mich bedeckte, rutschte in meinen Schoß.
Meine Hand! Nur mit Mühe dachte ich an den letzten Moment vor dem verheerenden Hieb. Alles stand mir wieder deutlich vor Augen: der Schlag, der meinen Arm getroffen hatte, das überraschte Gesicht des Medicus, der Aufschrei der Menge, mein eigener … Verstört sah ich meinen Armstumpf an, der so schwer war wie ein Stück Blei. Der Verband war blutig, aber es deutete nichts darauf hin, dass mein Arm kürzer war als der andere. Vorsichtig verglich ich die Längen, bewegte vorsichtig meine Finger. Es war noch immer alles da!
Wie konnte das sein? Ich hatte doch gehört, wie die Axt heruntergesaust war. Dieses schreckliche Krachen der Axtschneide auf den Knochen würde ich nie vergessen. Der Scharfrichter hatte mich oberhalb des Handgelenks getroffen, dort, wo der Verband jetzt blutig war. Ungläubig betrachtete ich das sorgfältig verknotete Bündel Stoff.
Dann ließ ich den Blick über meine Umgebung schweifen. Das Pochen in meinem Kopf hatte etwas nachgelassen, seitdem ich aufrecht saß. Unsicher blinzelte ich, ein Geruch setzte sich in meiner Nase fest, der mich irritierte, leicht bitter, aber nicht unangenehm.
Schließlich sah ich den alten Mann mit dem Mundstück einer Wasserpfeife in der ausgestreckten rechten Hand, wie er schlaff am Rad der großen Kutsche lehnte. Sein Körper hatte die Entspanntheit eines Menschen in tiefem Schlaf. Sein Kopftuch verhinderte einen besseren Blick in sein Gesicht. Aber ich erkannte ihn auch so: Es war der alte Medicus. Anscheinend hatte er mich mit aus der Stadt genommen, und nun war ich hier mit ihm in der Wüste, im Nirgendwo.
Mein Blick fiel wieder auf den Wagen mit den großen Holzrädern, der einen seltsamen Aufbau hatte. Hinter dem Kutschbock befand sich ein großer, geschlossener Kasten mit einer Tür, die jetzt offen stand. Von seinem Dach hingen jede Menge getrockneter Kräuter, Gemüse und sogar Schlangen und Hühnerfüße – die üblichen Utensilien eines Quacksalbers, der durch Städte und Dörfer tingelte. Etwas weiter weg kaute ein älterer Schimmel mit Hängerücken an einem Beutel mit trockenem Gras. Trotz seines Alters war er gut genährt, seine Augen schielten zu mir, als wäre ich ein Konkurrent um sein Futter.
Meine Augen wanderten wieder zum selig schlafenden Alten am Wagenrad. Vorsichtig stand ich auf und stellte dabei fest, dass ich nackt war. Mein Gott, er weiß es!, durchfuhr es mich siedend heiß. Er wusste, dass ich ein Mädchen war! Meine Hand ging zum Mund, bevor ich ein verdächtiges Geräusch machen konnte. Panisch sah ich mich nach meinen Kleidern um, die ich sauber zusammengelegt neben meiner Decke fand. Leise und mit ungelenken Bewegungen zog ich mich an. Meine verbundene Hand hielt ich hoch, um das schmerzhafte Pochen nicht zu verschlimmern.
Anschließend schlich ich mich auf Zehenspitzen zu meinem Retter und kniete mich neugierig nieder. Die Wasserpfeife hatte die Asche verloren, und ich nahm sie für eine sorgfältige Betrachtung in meine Hand. Der Bauch mit dem Wasser war ganz aus Holz geschnitzt mit seltsamen Zeichen und Runen. Das Mundstück am Schlauch war ein wenig abgeflacht und dunkel von Speichel und Rauch. Fasziniert roch ich daran, und der etwas bittere Geruch in der Luft war eindeutig dieser Apparatur zuzuordnen.
»Das ist Opium, mein Kind«, krächzte auf einmal eine rostige Stimme an mein Ohr. Erschrocken blickte ich ins Gesicht des Alten, der mich mit seinen kleinen Wieselaugen musterte – aber nicht böse, denn er lächelte milde. »Opium ist Balsam für meinen Husten und der direkte Weg in den Schlaf!«, erklärte er mir verschmitzt, sein Lächeln kräuselte sich vergnügt in den Mundwinkeln und ließ einige von seinen Zahnlücken durchblitzen.
Erleichtert ließ ich meine Schultern fallen. Er würde mir nicht wehtun, da war ich mir auf einmal sicher. »Ich habe Durst, Herr, habt Ihr etwas zu trinken?«, fragte ich.
Der Alte kratzte sich unbeholfen am Kopf und zeigte dann mit der ausgestreckten Hand auf einen Lederbeutel am Wagen. »Natürlich, Mädchen, nimm den Wasserbeutel dort am Wagen, er ist voll mit frischem Wasser aus der Oase.«
Sein Blick traf auf den meinen, und er nickte verständnisvoll. Verschämt wandte er das Gesicht ab.
»Ich wollte dich waschen, du warst voller Blut und Dreck. Deine Kleidung habe ich in der Oase dort gesäubert.« Mein Unbehagen schien er zu spüren, denn er blickte kurz zu mir, dann gleich wieder weg und nickte ein paarmal, wie um sich selbst zu entschuldigen. »Tut mir leid, Mädchen, deine Tarnung war sehr geschickt, mit deinen abrasierten Haaren und so …«
Tapfer schluckte ich meinen Stolz herunter, stand auf und ließ mir aus dem Wasserbeutel kühles Wasser in meinen Mund rinnen, gurgelte, spülte und spuckte den ersten Schluck aus. Erst danach nahm ich drei große Schlucke, die meine ausgedörrte Kehle befeuchteten und mich zum Leben erweckten.
»Was werdet Ihr jetzt mit mir tun, Herr?«, wandte ich mich argwöhnisch wieder an ihn. Das Wasser tropfte noch reichlich aus meinem Mundwinkel, und ich wischte es mit meinem Ärmel weg. Interessiert beobachtete ich, wie er sich langsam auf die Knie rollte und dann ein Bein nach dem anderen streckte, als würden ihm seine Knochen wehtun. Er ächzte und bestätigte damit meine Vermutung.
»Ich bin Isaak ad Din Abu l’Abbas, Gelehrter aus Persien und Schüler des Abu Ubaid Abd al‑Wahid ibn Muhammad al‑Dschuzdschani, ein Schüler des noch berühmteren Abū Alī al‑Husain ibn Abd Allāh ibn Sīnā, im Morgenland auch als Avicenna bekannt.«
»Ich kenne weder den einen noch den anderen«, unterbrach ich ihn unbeeindruckt. Ärgerlich wanderte sein Blick zu mir, die Augen hatten immer noch einen etwas unnatürlichen Glanz, als wäre er gerade erst aus einem tiefen Traum erwacht.
»Halt deinen frechen Mund, Mädchen!«, fuhr er mich an. Mir wurde bewusst, dass ich in seinen Augen ein respektloses Kind war. Heißer Zorn wallte in mir auf, aber ich unterdrückte mein Verlangen, ihm meine Meinung zu sagen, immerhin hatte er mich gerettet.
Mit strengem Blick, aber ein wenig freundlicher, fuhr er fort. »Da ich in dessen Hospital keine Aufnahme fand, wurde ich fahrender Medicus. Meine Wege führten mich über Esfahan nach Rey und von dort bis nach Bagdad. Gestern am Marktplatz habe ich etwas gesehen, was eigentlich nicht sein darf.« Seine Wieselaugen blickten mich jetzt scharf an. »Deine Hand sollte ab sein, aber sie ist es nicht. Wieso?«
Seine Stimme klang unerbittlich und hart, er wollte die Wahrheit hören, aber ich konnte sie ihm nicht geben. Ich zuckte nur mit den Schultern und gab ihm zu verstehen, dass ich auch keine Erklärung hatte.
Er machte zwei schnelle Schritte auf mich zu und packte mich am gesunden Handgelenk. Es war ein ungewöhnlich fester Griff, sein Blick fixierte mich, und er zischte durch seine Zähne hindurch: »Wieso?«
Nachdenklich betrachtete ich meine Hand mit dem Verband. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. War es möglich, dass eine so tiefe Wunde so schnell heilte? Oder war er einfach ein guter Medicus? Verunsichert atmete ich noch einmal tief durch und sah ihm direkt in die klugen Augen, die bis in mein Innerstes zu blicken schienen.
»Verdammt, ich weiß nicht, warum!«, platzte es aus mir heraus. »Der Scharfrichter hat vielleicht nicht fest genug zugeschlagen?« Aber selbst mir kam das unwahrscheinlich vor.
»Ha!«, machte der Alte trocken und noch einmal: »Ha!«
Er drehte sich abrupt um, ging ein paar Schritte und kam wieder zurück. Dazwischen blickte er mir forschend ins Gesicht. Warum war er so wütend auf mich? Wieder drehte er sich um und ging auf und ab.
»Sagt, Herr …«
Abrupt hielt er mit dem Rücken zu mir inne und hob seinen Kopf, um mich anzuhören.
»Sagt, Meister Isaak, warum habt Ihr mich mitgenommen, wenn Ihr glaubt, dass etwas falsch gelaufen ist?« Als wollte ich mich vor seiner Antwort schützen, verschränkte ich unsicher meine Arme vor der Brust.
Erst drehte er seinen Kopf und dann seinen ganzen Körper in meine Richtung. Mit zwei Schritten stand er dicht vor mir und beugte sich vor, den Kopf fast vor meiner Nase. »Ich weiß es nicht. Vielleicht habe ich dich mitgenommen, weil du sonst noch einmal dem Scharfrichter vorgeführt worden wärst. Das ist dir hoffentlich klar, oder?«
Erschrocken wich ich zurück. »Hattet Ihr denn das Recht dazu?«
Überrascht zog er seine Augenbrauen hoch, musterte mich von Kopf bis Fuß und grinste. Es wirkte hämisch und schadenfroh. »Du, Mädchen, hast keine Rechte, du bist eine entflohene Sklavin, und wenn kein anderer sein Recht auf dich beansprucht, so tue ich es. Du«, spuckte er aus und drückte mir seinen Zeigefinger auf die Brust, »du wirst fortan meine Helferin sein und meine Hände und Augen ersetzen. So lange, bis ich weiß, wer oder was du bist!«
Enttäuscht schloss ich die Augen. Meine Freiheit hatte also nur kurz gewährt, das Kreuz auf meiner Stirn hatte mich verraten. Es war mein Wundmal und würde es bleiben, für immer. Meine Kieferknochen mahlten in meiner Ohnmacht so fest aufeinander, dass die Zähne schmerzten.
* * *
Meister Isaak ließ er sich von mir nennen, denn das sei sein rechtmäßiger Titel, behauptete er. Er hätte sich auch Wichtel nennen können, wäre es nach mir gegangen, es hätte auch gepasst. Wie so oft fügte ich mich meinem Schicksal und versuchte ihm zu helfen, wo es nur ging.
Immerhin zeigte er sich neben seiner Skurrilität als strenger, aber gerechter Herr. Meine Tätigkeiten waren außer dem An- und Abschirren seines Zugpferdes, dem Sauberhalten der Kutsche und sämtlicher Utensilien auch die Begleitung zu den Krankenbesuchen – von der Zubereitung des Essens und natürlich der Besorgung der Nahrung völlig abgesehen.
Doktor Isaak schätzte mich auf etwa zwölf Jahre. Für diese Feststellung schenkte er mir nur einen kurzen Blick, bevor er sich seiner Arbeit wieder widmete. Mit seiner gewohnten Akribie rollte er die kleinen Kügelchen, die wie körniges Pulver aussahen, bis sie in allen erdenklichen Farben schillerten. Vorsichtig füllte ich die kleine, aber wirkungsvolle Medizin in Säckchen ab. Wir befanden uns in dem Wagen, der sich im Inneren als großzügiger erwies, als es von außen den Anschein hatte. Es war dort angenehm lichtgedämpft, was eine Wohltat für meine Augen war. Dort verbrachte ich die meiste Zeit des Tages, immer aufmerksam den Ausführungen meines Meisters lauschend.
Während ich einige dieser Säckchen nun in die vorgesehene Schublade sortierte, einigten wir uns darauf, dass ich weiterhin wie ein Junge aussehen sollte. Schließlich war es einem Mädchen nicht erlaubt, männliche Kranke zu besuchen, und der Umstand, dass mein Körper noch keine weiblichen Merkmale zeigte, machte meine Tarnung perfekt. Bald nannte ich ihm auf seine Nachfrage hin meinen wirklichen Namen, Enja, den ich schon so lange nicht mehr gehört hatte. Aber er schüttelte den Kopf: »Das ist kein arabischer, türkischer oder hebräischer Name. Deine fremde Herkunft lässt sich beim besten Willen nicht vertuschen, auch wenn du Persisch und Arabisch ohne Akzent sprichst.«
Eine Zeitlang grübelte er und hielt in seiner Arbeit inne. Dann fasste er einen Entschluss und rollte weiter mit seinen Fingern über die kleinen Perlen auf seinem Arbeitstisch. »Ich werde dich ab jetzt Eran nennen«, verkündete er schließlich unvermittelt, »das ist ein hebräischer Name, unter den Juden sehr verbreitet. Es bedeutet so viel wie aufgeweckt, das passt doch zu dir.« Und er grinste wieder sein schelmisches Grinsen. »Außerdem sind die meisten Ärzte jüdischer Abstammung. Ihnen war es seit jeher erlaubt, Menschen zu sezieren. In vielen anderen Religionen war das lange Zeit verboten …«, erklärte er mir. Er kratzte seinen faltigen Bartansatz.
»Aber Ihr seid doch ein Muslim«, entgegnete ich, »kann ich dann nicht einen muslimischen Namen haben?«
»Nein«, kam es entschieden zurück, und seine Hand wischte mit einer fahrigen Bewegung das Thema vom Tisch, »ein Muslim ist niemals der Sklave eines Muslims. Wir bleiben bei Eran, und du wirst für mich arbeiten.«
Damit war die Diskussion für ihn beendet, und er wandte sich wieder in gewohnter Leidenschaft seinen Perlen und Pasten zu. Mit der Zeit war ich froh, einem solch gelehrten Menschen wie Meister Isaak begegnet zu sein. Ich lernte viel über die Kunst des Heilens und den Zusammenhang zwischen der Körperhygiene und einem gesunden Essen, welches die meisten Krankheiten erst gar nicht an uns heranzulassen schien. Trotz des Umgangs mit Kranken und manchmal ekelhaften Körpersäften waren wir beide nur selten krank, und wenn doch, hatte mein Meister ein Heilmittel dagegen.
Interessiert schaute ich ihm zu, wie er aus den Quellen der Natur Konzentrate schuf. Auf meine unerbittlichen Fragen hin verriet er mir, dass er diese mithilfe von Destillation durch Wasserdampf gewinne, ein Verfahren, das ölige Essenzen konzentrierte und haltbar machte. Darüber hinaus lernte ich Pflanzen und Tiere als Heilmittel zu erkennen, zu sammeln und haltbar zu machen. Dazu gehörte es, seine kleine Sammlung an außergewöhnlichen Kreaturen am Leben zu erhalten. Frösche, Skorpione und Schlangen mussten gehegt und gepflegt werden. Er vertraute mir bald seine umfangreiche Sammlung an, die er mit einer solchen Hingabe pflegte, dass ich mich oft wunderte, wie er noch Zeit für seine Patienten fand.
Und deren Zahl stieg sprunghaft an, sobald wir uns einer größeren Stadt näherten. Sein guter Ruf eilte uns oft voraus. Meistens fingen uns die Boten der reichen Familien vor den Toren der Stadt ab, um ihn direkt zu einem Kranken zu geleiten.
Seine Kenntnisse der Natur und der Tierwelt nutzte er zur Behandlung jeglicher Krankheit. Gerade das Schlangengift hatte es ihm besonders angetan. Er verbrachte viel Zeit mit den eleganten, lautlos schlängelnden Kreaturen und zeigte mir bald, wie ich die Tiere hinter dem Kopf packen musste, um die Giftzähne über einem kleinen Tongefäß zu melken. Es dauerte eine Weile, bis ich meine Angst vor diesen tödlichen Tieren verlor, aber irgendwann erkannte ich ihre Wichtigkeit und ihren Nutzen.
Pilze, Pflanzen, Tiere, alles, was giftig war, schien Isaak zu faszinieren, und er zeigte mir mit wachsendem Vertrauen seine Aufzeichnungen und Erkenntnisse. Alles, was giftig war, so behauptete er immer wieder, könne in kleinen Mengen auch heilend wirken. Es komme nur auf die Dosierung an. Ich begann mich zunehmend für seine Experimente zu interessieren und unterstützte ihn sogar mit eigenen Schlussfolgerungen. Nach einiger Zeit durfte ich schließlich seine Medizin anmischen, Pasten anrühren und Kräuteröle destillieren. Einzig seine kleinen Perlen, wie er die farbigen Kugeln liebevoll nannte, drehte er immer noch selbst mit dem schelmischen Grinsen im faltigen Gesicht.
Seine Kutsche war ein fahrendes Sammelsurium an Kuriositäten: getrocknete Affenpenisse, Haifischzähne, Augäpfel jeglicher Größe und Farbe, Frösche, Larven und Schrumpfköpfe. Meister Isaak hatte zwar beste Verbindungen nach Asien, die seine Versorgung mit ungewöhnlichen Extrakten sicherten, aber oft waren es die Patienten, die ihm im Austausch für seine ärztliche Hilfe die seltsamsten Dinge überließen.
In meiner Zeit mit ihm lernte ich vieles, nur den Inhalt der kleinen Perlen gab er nicht preis. Natürlich weckten gerade die mein besonderes Interesse … Von ihrer Wirkung konnte ich mich selbst überzeugen, als wir mit unserer Kutsche in eine größere Stadt kamen. Sie hieß Teheran und war bekannt für den Anbau des Granatapfels. Eine sehr wirkungsvolle Pflanze, befand Isaak, der mit mir auf dem Kutschbock saß und nun einen kleinen Vortrag über die Einnahme eines Konzentrats dieser Frucht bei Katarrh und Herzproblemen hielt. Er nehme dieses Konzentrat selbst und brauche dafür den Saft von Granatäpfeln bester Güte. Mit einem Augenzwinkern erklärte er mir, dass es eine kleine, gut besuchte Taverne direkt neben dem Markt gebe. Dort werde der Saft verkauft, und wir könnten uns dort später treffen.
Es wird wohl ein teurer Einkauf, dachte ich bei mir und verdrehte die Augen. Dies bedeutete für mich, dass ich ihn irgendwo in der Nacht aus einem Wirtshaus ziehen und zum Ausnüchtern bis zur Kutsche ziehen musste. Leider vergaß der liebe Meister oft, dass er keinen Alkohol vertrug, und in Verbindung mit seinem Opiumkonsum setzte sein Verstand allzu oft aus.
Es kam, wie es kommen musste, und wie schon so oft zuvor schleifte ich ihn nach einer durchzechten Nacht zurück zu seiner Kutsche. Schnaufend lehnte ich ihn an das Vorderrad, denn weiter kam ich mit dem schweren Körper nicht, deckte ihn zu und ließ ihn seinen Rausch ausschlafen. Dabei machte er einen Lärm, als wollte er die Toten aufwecken, die nebenan auf dem Friedhof lagen.
Währenddessen begann ich seine Tasche zu packen für den Besuch einer Kranken, die nach ihm geschickt hatte. Die Ehrfurcht, die in den orientalischen Ländern vor einem Medicus herrschte, erfüllte mich mit Stolz, denn ich war seine Gehilfin. Es erfüllte mich stets mit einer großen Genugtuung, wenn sich eine Genesung einstellte, und dafür sorgte Isaak mit seinem umfangreichen Wissen, das ich aufsog wie ein Schwamm das Wasser.
»Wenn du einen Kranken ansiehst, dann achte nicht nur auf den Schmerz, achte auf die Augen, die Haut und den Urin. Setze alle deine Sinne ein. Oft kann ein Geruch viel über eine Krankheit aussagen. Frage ihn nach geänderten Lebensumständen, Essgewohnheiten oder Schlaf. Jedes dieser Teile ist ein Flickwerk, das zu einem Ganzen gewebt wie ein Teppich den Weg zu seiner Krankheit ebnet. Am wichtigsten sind die Augen. Ein Blick in den farbigen Kranz um die schwarze Pupille, und ich kann dir meist schon sagen, welches Organ betroffen ist«, erklärte mir Isaak oft, wenn er versuchte, seine Methoden zu erläutern.
»Frage nach Krankheiten in der Familie, Vater, Großvater … oft überspringt eine Krankheit eine Generation. Und ich erkenne jeden Trinker an der Nase! Achte darauf, oft verfärbt sie sich rot und blau und schwillt an. Eine Entgiftung bringt den Körper dann meist wieder ins Gleichgewicht. Helfen kann dies aber nur kurzfristig, oft leben diese Menschen nicht lange. Entweder versagt die Leber, oder sie fallen betrunken von der Mauer.«
Und dabei lachte er sein schelmisches Lachen, das ein wenig klang wie eine rostige Mühle. Ich fand seine Betrachtung der Welt und ihrer Bewohner immer wieder amüsant.
* * *
Doktor Isaak wachte an diesem Morgen mit einem dröhnenden Schädel auf. Die einfachsten Tätigkeiten wollten ihm schlichtweg nicht mehr gelingen, und sogar sein eigenes Kopftuch zu wickeln, erwies sich als unlösbare Aufgabe. Ohne Vorwurf begann ich, es mit ein paar geübten Griffen an seinem haarlosen Kopf zu fixieren, während er wie ein Häuflein Elend teilnahmslos vor dem kleinen Feuer saß. Dort hing bereits die Wasserkanne für seinen ersten Mokka des Tages.
Seinen matten Augen entnahm ich, dass der Mokka heute noch ein wenig kräftiger sein sollte, und ich ließ noch einen zweiten Löffel Kaffeepulver in die kleine Tasse aus feinstem chinesischem Porzellan fallen. Anschließend füllte ich sie mit dem heißen Wasser aus der Kanne auf. Seine zitternden Hände konnten kaum den zierlichen Griff halten, um die dampfende Tasse an den Mund zu führen.
»Seid Ihr denn bereit für die Inspektion der Kranken, Meister Isaak, oder soll ich einen Boten schicken, um den Zeitpunkt auf morgen zu verschieben?«, fragte ich ihn höflich, um ihn nicht direkt auf seinen schlechten Zustand hinzuweisen.
Trotzig nahm er einen kräftigen Schluck der bitteren braunen Brühe, schüttelte unwirsch den Kopf, zuckte vor Schmerz zusammen und verzog das Gesicht, während er sich mit einer knotigen Hand die Schläfen rieb.
»Nein«, krächzte er und leckte sich die trockenen Lippen, »ich habe noch nie einen Besuch aus so einem unwichtigen Grund abgesagt. Diese Frau wartet schon sehr lange auf mich, und ich werde sie heute besuchen, denn ihr Zustand verschlimmert sich von Jahr zu Jahr.«
Mit tapferen Schlucken trank er den Mokka komplett aus, seine roten Augen klärten sich ein wenig, und schließlich hustete er sich gründlich den Schleim aus den Lungen, der sich während des Schlafes gesammelt hatte. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand er vorsichtig auf und wackelte auf meinen Arm gestützt noch etwas unsicher zur Kutsche. Stumm blickte er auf die Stadt Teheran hinunter, die langsam aus dem Nachtschlaf erwachte. Hauptsächlich waren es Händler, die zu dieser frühen Zeit an uns vorbei Richtung Marktplatz zogen. Die Sonne war noch nicht wirklich zu sehen, aber die Wärme des kommenden Tages kroch bereits jetzt in die Kleider und hinterließ den feuchtwarmen Duft ungewaschener Haut. Uns blieb nicht viel Zeit, um die schattigen Straßen der Medina von Teheran vor der einsetzenden Mittagshitze zu erreichen.
»Setzt Euch doch schon mal auf den Kutschbock, ich räume hier noch auf und lösche das Feuer«, rief ich ihm zu, während ich hastig losrannte, um das an der Friedhofsmauer angebundene Kutschpferd zu holen.
Kurze Zeit später waren wir auf dem Weg zu der reichen Familie, die einen großen Palast in der Medina bewohnte. Wie üblich, wurden wir zuerst in einen Gästebereich geführt, der nur den Männern vorbehalten war. Dort erwarteten uns Erfrischungen, Mokka und die von mir so geschätzten datiln, bis die kranke Frau in ihrem Zimmer zurechtgemacht war. Meister Isaak war ein besonderer Gast dieser Familie, und die Freundlichkeit, mit der wir empfangen wurden, erstaunte selbst mich, die ich eigentlich an orientalische Gastfreundschaft gewöhnt war.
Die Palastzimmer waren angenehm kühl und sauber, eine pure Erholung in der heißen und staubigen Luft Teherans. Trotz meiner gewaschenen Füße und der sauberen Kleidung, auf die der penible Meister bestand, fühlte ich mich seltsam fremd und fast schon schmutzig, als wir durch die Gänge und Gemächer geführt wurden. Der Reichtum dieser Familie spiegelte sich in jedem Raum und in jeder Ecke. Der Mann der Kranken, der uns in den Gästeräumen empfangen und bis in ihr Schlafgemach gebracht hatte, zog sich ein wenig zurück, verließ aber den Raum nicht.
Fatima al‑Fihri war eine ältere Dame, die aber immer noch eine große Ausstrahlung besaß. Sie saß auf der Kante ihres Bettes mit dem Gesicht uns zugewandt. Große schwarze Augen blickten unter dem Kopftuch zuerst meinen Meister und dann mich an, und ein sanftes Lächeln zeichnete sich auf ihrem feinen Gesicht ab.
»Meister Isaak«, begrüßte sie uns freundlich und mit einer sanften melodischen Stimme, die nicht auf ihr Alter schließen ließ, »wie schön, Euch wiederzusehen!« Mit einer eleganten Geste hielt sie ihm die Hand hin. Ihre Fingerkuppen waren mit Henna rot gefärbt und der Handrücken mit wunderschönen Blumen und Linien verziert. Doktor Isaak verbeugte sich tief, nahm ihre Hand in großer Ehrerbietung und drückte sie sich gegen seine faltige Stirn.
»Möge Allah Eure Schönheit preisen, Sahiba Fatima – meine liebe Freundin!«
»Eure Worte erfreuen mich, Isaak, gerade weil ich sehr unter meinem schwindenden Augenlicht leide. Ich kann Euch kaum noch erkennen.«
Isaak hatte sich wieder aufgerichtet und blickte ihr sorgenvoll ins Gesicht. Natürlich wurde ich als Diener nicht beachtet. Unauffällig machte ich mich daher gleich daran, die Tasche des Doktors bereitzustellen. Hastig suchte ich einen Stuhl, auf den er sich setzen konnte, und wurde vom Gastgeber auf einen Hocker in der Ecke hingewiesen. Ich wollte ihn gerade zu meinem Meister tragen, als die nächste Anweisung folgte.
»Eran«, befahl er mir, »mach die Fenster auf, ich brauche mehr Licht. Und hole mir die Linse aus der Tasche.«
Sofort ließ ich den Hocker neben ihm stehen und tat wie geheißen. Die Fenster waren mit zarten Seidenstoffen verhangen, und als ich sie nun beiseiteschob, erinnerte ich mich an unsere Kleider im Fahrudin-Palast. Der Stoff fühlte sich ähnlich an, kühl, aber weich, und er hatte diesen Schimmer, den ich so mochte. Ich sah plötzlich Jasemin vor mir, und ich musste bei dieser intensiven Erinnerung schlucken. Wo sie jetzt wohl war? Ging es ihr gut? Mir war, als könnte ich sogar ihren Duft riechen.
»Eran!«, unterbrach der Doktor barsch meine Gedanken. »Wo bleibst du?«
Herausgerissen aus meinem Tagtraum hastete ich zu seiner Tasche und reichte ihm die Linse, die er sich aus einem Stück Glas selbst geschliffen hatte. Sie vergrößerte alles, was er in Augenschein nahm.
Er setzte sich auf den Hocker vor die Dame und schaute mit der Lupe intensiv erst in das eine, dann in das andere Auge. Dabei seufzte und grummelte er, als würde er mit sich selbst sprechen, Fragen und Antworten in einem Atemzug. Schließlich legte er die Lupe beiseite und ließ die Frau seine Finger zählen, die er ihr vor die Augen hielt. Leider erkannte sie keinen einzigen mehr.
Mit einem fast unmerklichen Wink seiner Hand rief er mich zu sich. Er gab mir die Linse, die ich nun wie er zuvor auf die Augen der alten Dame richtete. Anhand der Trübung der Augen erklärte er mir nun, wie weit die Blindheit fortgeschritten war. Deutlich konnte ich sehen, wie beide Augen eine milchige Verfärbung hinter der einst schwarzen Pupille aufwiesen, die sie erblinden ließen.
Fatima bemerkte, dass ich direkt neben ihr stand, und suchte mit ihren schlanken Fingern meine Hand.
»Wer ist der zarte Knabe hier, Isaak? Euer Helfer?« Sie drückte sanft meine Hand. Ihre Haut war warm und seidig wie ein Rosenblatt, meine dagegen rau und kalt.
Sie war korpulent, das Seidengewand floss über kräftige Schultern. Der Morgenrock, der sie komplett bedeckte, verbarg kaum die Fülle ihrer weiblichen Rundungen. Ihr Haar war unter dem Schleier nicht sichtbar, aber sicher war es schon von grauen Strähnen durchzogen. Ihre Haut war trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch weich und zart wie die eines Kindes. Den vollbusigen Körper umgab ein Duft, der süß und betörend zugleich war. Sie musste einmal eine Schönheit gewesen sein und entsprechend verehrt. Welch grausames Schicksal, dass die Welt um sie herum nun so dunkel wurde wie die ewige Nacht. Aber sie schien nicht verzagt, vielleicht liebte ihre Familie sie so sehr, dass sie der Verlust des Augenlichts nicht betrübte?
Freundlich drückte ich ihre Hand zurück, und sie lächelte warm. Meister Isaak räusperte sich.
»Eran ist mein Schüler, er ist nun schon seit geraumer Zeit bei mir und ein unverzichtbarer Bestandteil meines Schaffens geworden. Irgendwann wird er in meine Fußstapfen treten, wenn ich nicht mehr arbeiten kann, und ich bin sicher, er wird ein guter Heiler.«
Überrascht starrte ich ihn an. Er sah mich also als seine Nachfolgerin, ebenbürtig und würdig seines Wissens, das er mir nach und nach weitergab. Es schien ihm nichts auszumachen, dass ich ein Mädchen war. So alt und launisch er auch war, er hatte ein großes Herz und noch mehr Verstand. Meine Augen wurden feucht, und ich entzog Fatima meine Hand, um mir die Träne fortzuwischen. Schnell wandte ich mich ab, um Isaaks Linse wieder in die Tasche zu stecken.
»Dann könnt Ihr oder Eran mir helfen, mein Augenlicht wiederzuerlangen? Ich würde so gerne meinen Enkelsohn sehen, der vor drei Monaten geboren wurde. Ich bitte Euch, Isaak, helft mir!«
Er sah mich an, die kleinen dunklen Augen bewegten sich unruhig in den Höhlen, und er lächelte wissend. »Was schlägst du vor, Eran?«, testete er mich.
Ich richtete mich zu meiner vollen Größe auf. »Wir müssen die beiden Linsen entfernen. Damit wird sie zwar nicht ihre komplette Sehkraft zurückerhalten, aber sie kann zumindest wieder Umrisse erkennen und Hell vom Dunkel unterscheiden.«
Isaak nickte anerkennend. Sein ernstes Antlitz verzog sich zu einem milden Lächeln, und er wandte sich an Fatima. »Eran hat richtig erkannt, dass Eure Linsen in den Augen durch das Alter getrübt sind. Wir müssen sie entfernen, damit Ihr wieder etwas sehen könnt.«
»Ich wäre Euch so dankbar, Isaak, so dankbar!« Und statt meiner Hand ergriff sie nun die seine. Es war ihm sichtlich unangenehm, und er stand hastig auf, um sich von ihrer liebevollen Geste mit dem nötigen Respekt zurückzuziehen. In diesem Augenblick fragte ich mich, ob Isaak jemals in seinem Leben verheiratet gewesen war, konnte es mir aber nicht vorstellen.
»Seid Ihr damit einverstanden, Sahib al-Fihri, wenn ich alles für den Eingriff vorbereite, oder braucht Ihr noch einen Moment, um eine Entscheidung zu treffen?«, wandte sich der alte Medicus an den Ehemann, der sich auf einem der weichen Lederkissen niedergelassen hatte. Er stand nun auf und trat zu seiner Frau, nahm deren Hand in die seine, küsste sie und sah ihr liebevoll in die trüben Augen.
»Die Wünsche meiner Frau sind der Weg zu ihrem Herzen. Ich werde alles tun, um sie glücklich zu machen, Meister Isaak. Ihr werdet von mir für Eure Mühen fürstlich belohnt.« Damit drehte er sich zu uns um und blickte uns erwartungsvoll an. »Egal, wie lange Ihr für die Behandlung braucht, bis zur vollständigen Genesung meiner lieben Frau seid Ihr selbstverständlich meine Gäste.«
Isaak nickte ergeben und machte sich mit mir daran, die Arzneien und Instrumente vorzubereiten, die er brauchen würde. Und bei dieser Gelegenheit sah ich es … seine Hand, die jetzt die kleine silberne Starstichnadel aus dem Lederetui zauberte, zitterte wie Espenlaub.
Erschrocken blickte ich ihm in die Augen. In diesem Moment wusste er, dass ich es bemerkt hatte, und kniff grimmig die Lippen zusammen.
»Kann ich etwas für Euch tun, Meister?«, fragte ich, um die plötzliche Stille im Raum zu durchdringen, während ich nervös die Instrumente in heißes Wasser tauchte. Mit solch zittrigen Händen würde er die Augen eines Elefanten verfehlen!
Isaak drehte sich zu Fatima und gab ihr eine seiner Perlen, die sie mit etwas Wasser herunterschluckte.
»Heute wirst du den Eingriff durchführen, Eran, so wie beim letzten Mal«, erklärte er, ohne mich anzuschauen. Mit gespielter Ruhe versuchte er, vor Fatima so zu tun, als hätte ich das schon einmal gemacht. Das stimmte natürlich nicht. »Du weißt doch noch, bei dem betrunkenen Priester in Bagdad?«
Irritiert kramte ich in meiner Erinnerung. Tatsächlich hatte es da einen betrunkenen Priester gegeben, aber den hatte er eigenhändig operiert. Er wollte also, dass ich mitspielte in seinem kleinen Theater.
»Ja«, entgegnete ich ein wenig hektisch, »ich erinnere mich.« Mein Magen zog sich zusammen vor Aufregung. Isaak nickte nur zustimmend.
Die Frau hörte uns, wie es schien, schon gar nicht mehr zu. Ihr Kopf fiel leicht auf die Seite, als wäre sie eingeschlafen. Isaak bettete den Kopf nun sanft an seine Brust und hielt ihn mit beiden Händen. Ich setzte mich vor sie und hielt ihr mit meiner freien Hand das Augenlid offen. Nach kurzem Zögern hob ich mit kontrolliertem Atem die Starstechnadel und setzte ihre scharfe Spitze an die richtige Stelle. Damit drückte ich ihr die getrübte Linse, die ihr das Augenlicht nahm, auf den Boden des Augapfels. Fatima würde damit wieder Umrisse und vielleicht auch ihren Enkel erkennen.
Als die Operation vorbei war, versorgten wir die Augen der Frau mit einem sauberen Verband, den wir in eine Heillösung getränkt hatten.
»Dieser Verband muss sieben Tage lang getragen werden, damit die Wunde heilen kann, danach ist alles vorbei. Fatima wird wieder sehen können«, erklärte der Medicus dem Ehemann nicht ohne Stolz. »Eran hat seine Sache gut gemacht, er hat ruhige Hände und ein gutes Auge.« Dabei legte er die Hand auf meine Schulter, schwer und zittrig.
Ich schluckte, mein Magen überschlug sich, diesmal vor Freude. Konnte es sein, dass ich nach so langer Zeit des ziellosen Umherirrens endlich meine Bestimmung gefunden hatte? Sollte ich eine Heilerin werden?
* * *
Wir blieben für vierzehn Tage Gäste in einem der reichsten Häuser Teherans. Es herrschte ein unglaublicher Reichtum an feinsten Speisen. Zum ersten Mal in meinem Leben kostete ich den gegorenen Dattelsaft, dessen geringer Alkoholgehalt mich bereits nach zwei Bechern ins Reich der Träume katapultierte. Ich musste feststellen, dass ich für diese Art Getränk einfach nicht geschaffen war, und bewunderte insgeheim Isaak, wie er es schaffte, so einiges davon in sich hineinzuschütten, ohne dass sein Verstand verloren ging.
Fatima al‑Fihri erwachte irgendwann aus ihrem Schlaf und konnte es all die Tage kaum erwarten, den Verband abzunehmen. Als dann der Moment endlich gekommen war, weinte Fatima beim Anblick des kleinen Enkels Tränen der Freude.
Isaak und ich verabschiedeten uns schließlich von der überglücklichen Familie mit vielen Worten und Gesten und noch mehr Proviant für den weiteren Weg. Davon war das meiste in flüssiger Form, dem unser guter Meister entgegen seinen eigenen stets mahnenden Worten fröhlich zusprach. So ging er fast jeden Abend betrunken zu Bett.
Ich war mir nicht sicher, ob seine Hände vom Alkohol zittrig wurden oder ob er mir seine Arbeit überließ, weil er dann mehr Zeit hatte, um sich zu betrinken. Unser Erfolg sprach sich jedenfalls sehr schnell in Teheran herum, und wir – oder vielmehr ich – hatten jede Menge Arbeit. Mit jedem weiteren Eingriff, jeder weiteren von mir geheilten Krankheit wuchsen mein Selbstvertrauen und meine Erfahrung. Isaak beschränkte sich darauf, seinen guten Namen zu verbreiten, mir zu assistieren und mich zu korrigieren, falls es nötig wurde.
Wir wirkten für viele wie Vater und Sohn, so eingespielt war unsere Zusammenarbeit. Dass ich eigentlich ein Sklave und noch dazu ein Mädchen war, hatten wir beide schon lange vergessen. Mein schwarzes Kreuz auf der Stirn war gut verdeckt unter meinem Turban, und ich begann mir meiner Freiheit, wenn auch in einem abgesteckten Umfeld, mehr und mehr bewusst zu werden.
Der Tag, an dem sich mein Leben wieder einmal entscheidend änderte, war eigentlich ein herrlicher Tag. Ich hatte schon die meisten Dinge in den Wagen gepackt und Mokka gekocht wie immer, bevor ich Meister Isaak für das Frühstück weckte. Die Sonne stand bereits hoch am Firmament und erhellte den steinigen Weg, der uns nach Rey führen sollte, den Geburtsort von Isaak. Ein Vetter lebte dort, und er besuchte ihn von Zeit zu Zeit. Vielleicht würde ich etwas über die Familie des Meisters erfahren, ein Thema, bei dem er immer einsilbig wurde.
Wie alt mochte er wohl sein? Sicher über hundert, schätzte ich. Aber kein Mensch konnte so alt werden! Aus der silbernen Kanne schüttete ich das heiße Gebräu gerade in seine schmale Tasse, während Isaak sich, von dem intensiven Mokkageruch geweckt, genüsslich rekelte.
In diesem Augenblick stand plötzlich eine Gruppe von vier Männern vor mir. Ungläubig blinzelte ich, denn ich hatte ihr Näherkommen nicht bemerkt. Von ihren Pferden fehlte jede Spur. Die Tasse in meiner Hand fühlte sich auf einmal unendlich schwer an, und ich stellte sie zurück, als meine Hand zu zittern anfing.
Die Männer standen reglos wie Statuen vor mir und musterten ihrerseits meinen Meister und mich. Dabei hatten sie lässig ihre Hände im Gürtel, in dem neben einem spitzen, langen Dolch noch der übliche Khanjar steckte. Er gehörte zu jeder männlichen Tracht in dieser Gegend, ein Krummdolch in einem aufwendigen Schaft. Die Männer waren auffallend hell gekleidet. Selbst die Turbane waren weiß und ihre Bärte kurz geschnitten, was mir zu meiner Beruhigung zeigte, dass sie nicht zu den Schiiten gehörten.
Schnell überwand ich meine Überraschung, straffte meinen Rücken und hieß die Männer willkommen. Dabei zeigte ich auf den Platz am Feuer neben Isaak und bot ihnen Mokka und datiln an, wie es sich für gute Muslime gehörte. Dies löste die Spannung ein wenig auf. Sie nahmen dankbar an, verneigten sich vor dem Medicus und setzten sich im Schneidersitz zu uns. Der Gesichtsausdruck meines Meisters war angespannt, anscheinend wusste er, wen er hier vor sich hatte.
Es waren junge Männer, nicht älter als fünfundzwanzig Jahre. Einer sprach in einem gewählten Farsi mit einem Akzent, den ich den türkischen Seldschuken zuordnen konnte. Er erklärte uns den Grund ihres Kommens: Sein Name sei Nabil Al‑Hakam. Er sei ein Prinz des Nizaritenkönigs Hassan I‑Shabbah und von diesem geschickt worden, einen Medicus namens Isaak zu finden, der sich gerade in Teheran aufhalte.
»Als wir hörten, dass Ihr bereits aufgebrochen seid, haben wir beschlossen, Euch hinterherzueilen, denn die Sache ist dringend. Unser erlauchter Großmeister Hassan I‑Shabbah, der Herrscher von Alamut, leidet an einer Krankheit, die ihm großen Schmerz bereitet, und sein Medicus konnte ihm nicht helfen. Daher bitten wir Euch, mit uns zu kommen, um ihn zu heilen.« Nabil bewegte während seiner Rede den Kopf in nordwestlicher Richtung, wahrscheinlich lag dort Alamut. Isaak blieb seltsam stumm, die Mokkatasse drehte und wendete sich in seinen Fingern.
»Was hatte der Medicus des weisen Scheichs denn festgestellt, woher der Schmerz kommt?«, fragte er vorsichtig den Prinzen.
»Er sagte, dass der Schmerz von der Leibesmitte komme und direkt in seine Eingeweide fahre, dort das Blut vergifte und mit seinem Wasser wieder hinausdränge«, antwortete sein Gegenüber höflich, aber mit unbewegtem Gesichtsausdruck.
»Was hat er dagegen getan?« Isaak beugte sich interessiert zu ihm hin.
»Er hat ihm einen Einlauf gegeben. Er sagte, es sei der Magen, und setzte ihn auf Wasser und Brot.« Nach einer Pause sagte Nabil zögerlich: »Aber die Schmerzen blieben.«
»Was passierte dann?«
»Hassans Medicus ließ ihn in heißen Wickeln schwitzen. Er meinte, es könne auch ein Fieber des Magens sein. Drei Tage ließ er unseren weisen Scheich schwitzen und leiden. Aber die Schmerzen gingen nicht weg.«
»Und dann?« Isaak stellte die Tasse ab und schaute ihn erwartungsvoll an. Ich biss mir auf die Lippen, der arme Großmeister hatte sicher furchtbar gelitten bei dieser Behandlung.
Prinz Nabil schüttelte leicht den Kopf und entgegnete kalt: »Dann haben wir dem Medicus den Kopf abgeschlagen!« Seelenruhig verschränkte er die Arme vor der Brust.
Isaak wurde weiß im Gesicht. Meine linke Hand ging unbewusst zum ausgefransten Kragen meiner Tunika, der auf einmal sehr eng am Hals wurde. Ich blickte von ihm zu Nabil und dann wieder zurück. Sollte Isaak jetzt etwa der Nächste sein?
Er holte kurz Luft und erwiderte höflich, aber bestimmt: »Ich kann Eurem Großmeister jetzt nicht helfen. Ich habe einen wichtigen Patienten in Rey, den ich nicht warten lassen kann. Vielleicht kann ich auf dem Rückweg …« Weiter kam er nicht.
Prinz Nabil war aufgesprungen und hatte die Haltung eines Raubtiers angenommen. Mit einer Hand am Griff seines Dolches warf er Isaak einen kalten Blick aus seinen dunklen Augen zu. Bedrohlich zischte er: »Wie könnt Ihr es wagen, unseren Großmeister, den weisen Scheich und Führer aller Nizariten, leiden zu lassen! Ich werde Euch mitnehmen, und ich rate Euch, packt Eure Sachen schnell. Denn je mehr Schmerzen unser Scheich erleidet, desto ungeduldiger erwartet er seine Heilung, und desto schlechter ist seine Laune …«
»Ich werde schon mal das Pferd anspannen, Meister«, rief ich etwas zu laut, drehte mich um und rannte wie von Furien getrieben zu unserem treuen Schimmel, um ihn einzuschirren.
Isaak stand langsam und wortlos auf, wusch das Geschirr in einem Kübel und schüttete anschließend das Wasser in das Feuer, um es zu löschen. Die Gedanken mahlten in den rostigen Kanälen seines alten Gehirns, ich konnte es förmlich quietschen und knarzen hören. Erst auf dem Weg zum Kutschbock verkündete er laut: »Nun gut, ich werde mir Euren Scheich ansehen, Prinz Nabil, und wenn es mir gelingt, ihn zu heilen, dann werdet Ihr mich gehen lassen. Mich und meinen treuen Begleiter Eran.«
Dabei deutete er mit seiner knochigen Hand auf mich. Etwas nervös stand ich neben dem Pferd und wartete, bis er sich auf den Kutschbock gehievt hatte. Dann kletterte ich flink zu ihm hoch und nahm zitternd die Zügel in die Hände.
Prinz Nabil nickte und entspannte seine Haltung wieder. »Ich bin sicher, mein erlauchter Großmeister wird sich erkenntlich zeigen, Meister Isaak. Stirbt er jedoch, werdet Ihr ihm folgen.«
Damit drehte er sich mit seinen Männern in nordwestliche Richtung und führte uns zu den Pferden, die sie an einer Weggabelung zurückgelassen hatten. Sie eskortierten uns den gesamten Weg bis nach Alamut.
»Warum musste ausgerechnet ich in der Nähe sein?«, knurrte Isaak leise. »Welcher Laune Allahs habe ich dieses Schicksal zu verdanken?«
»Ich bin sicher, Ihr könnt ihn heilen, Herr. Wer sonst außer Euch?«, entgegnete ich aufmunternd und war froh, dass uns der dunkle Prinz den Rücken zuwandte.
»Pah«, grunzte er unwillig, »und wenn Allah ihn uns nimmt, bevor ich etwas tun kann? Dann werden wir beide sterben. Inshallah!« Er schnalzte laut mit der Zunge, und der treue Schimmel zog den unter seiner Last ächzenden Wagen an.
* * *
»Wer ist dieser Hassan I‑Shabbah? Mir scheint, als hättet Ihr von ihm gehört, Meister?«
Meine Neugier hatte meine Furcht besiegt. Der Lärm der eisernen Wagenräder, die auf dem steinigen Untergrund auf dem langen Weg nach Alamut knirschten, verschluckte unser geheimes Gespräch. Isaak kniff seine Wieselaugen zusammen und kaute an seiner Unterlippe. Irgendwann nickte er, als wäre nicht schon einige Zeit vergangen, sondern nur wenige Herzschläge, und setzte dann zur Erklärung an.
»Du weißt, dass es im Islam schon immer Streit um die legitime Nachfolge Mohammeds gibt.« Er sah stur geradeaus, als erwartete er keine Antwort.
»Es begann mit dem Tod Mohammeds im Jahre 632. Die Sunniten sahen den Schwiegervater des Propheten, Abu Bakr, als rechtmäßigen Erben auf den Thron des Imam an, die Schiiten dagegen waren für den Schwiegersohn Ali. Aus diesem Geschlecht sollten jeweils die Oberhäupter der Muslime erwachsen.« Als würde er nachdenken, leckte er sich mit der Zunge die trockenen Lippen. »Beim sechsten Imam, Schaafar, kam es aber zu einem Streit um die Erbfolge. Schaafar starb 173 Jahre nach Mohammed und hinterließ einen Familienzwist, der bis heute andauert. Einige Gläubige hielten den Sohn von Ismail für den rechtmäßigen Erben, und daraus entstanden die Ismailiten, die der schiitischen Glaubensauffassung folgten. Mit dem Tod des achtzehnten Imam-Kalifen spalteten sich davon die Nizariten oder auch Sunniten ab, die sich in Persien unter dem Großmeister und Führer Hassan I‑Shabbah militärisch stark etablierten. Dieser liegt nun in seinem Bett und windet sich vor Schmerzen. Der weise Scheich Hassan, wie er sich selbst nennt, gruppierte seine Anhänger um sich und bildete sie zu perfekten Mördern aus, die in seinem Namen Angst und Schrecken unter seinen Feinden verbreiteten. Hassan hatte es in diesem unruhigen Land als Einziger geschafft, dass ihn Freund und Feind gleichermaßen fürchteten. Selbst die Templer ließen ihn in Ruhe, denn zu groß war die Angst, den nächsten Tag nicht mehr zu erleben, weil einer seiner Assassinen in der Nacht seine Schlafkammer fand. Ein Schnitt und …« Ohne es auszusprechen, führte er die Hand mit einer eindeutigen Bewegung an den Hals. Ich schluckte.
Wie immer, wenn er mit seinen Ausführungen zu Ende war, faltete er die Hände vor der Brust, schloss die Augen und döste. Ich ließ meinen Blick schweifen und bewunderte die raue, aber beeindruckende Felsformation des Elburs-Gebirges. Die Bewachsung hatte schon lange aufgehört, und bis auf ein paar zähe Gräser und Kräuter war die Umgebung trostlos, fast schon lebensfeindlich. Trotz allem führte uns ein gut ausgebauter Weg zur Festung.
Nach vier endlosen Stunden durch die karge Berglandschaft erhoben sich die hellen Sandsteinmauern Alamuts, des »Adlernests«, wie die Festung genannt wurde, gut vierhundertsechzig Fuß lang entlang einem Berggrat, umgeben von mehreren dreizehntausend Fuß hohen Bergen. Wie mir Isaak erzählte, hatte sich Hassan, nachdem er seinen Häschern entkommen war, diese Zitadelle mit politischen Tricks ergaunert. Geschickt scharte er Gleichgesinnte um sich und baute Alamut zu einer wehrhaften Burg aus. Sein furchteinflößender Ruf gründete sich auf seine Spezialität, Widersacher und Feinde trickreich und hinterlistig zu töten. Er bildete seine Assassinen selbst aus, um effektiv und gezielt zuzuschlagen – manchmal für seine Zwecke, oft auch für die anderer, die mit hohem Blutzoll bezahlten. Sein Reichtum, seine Macht und sein Ruf bescherten ihm einen zweifelhaften Ruhm.
Isaak wäre froh gewesen, nicht in die unglücklichen Fußstapfen des vorherigen Medicus treten zu müssen. Wer wusste, woran der Großmeister litt und ob wir überhaupt erfolgreich sein konnten? Oft gingen Krankheiten ja seltsame Wege. Seine Anhänger wie Prinz Nabil schienen ihm sehr ergeben, und das machte sie so gefährlich. Isaaks Anspannung war förmlich mit Händen zu greifen, und spätestens jetzt, als sich schließlich das riesige Haupttor öffnete, ergriff diese Anspannung auch mich mit eisiger Faust.
Im Inneren von Alamut herrschte überraschend reges Treiben – fast wie in Bagdad auf dem Markt, schoss es mir durch den Kopf. Die Narbe über meinem rechten Handgelenk juckte. Der Wagen blieb knirschend vor einem der Steinhäuser stehen, die wie müde Bauern an der Burgmauer lehnten. Heraus eilten jetzt einige Jungen in einfachen Kutten und Leinenhosen, um unseren Schimmel abzuschirren und zu füttern.
Wir wurden ohne große Umschweife in die Gemächer des Großmeisters geführt. Vermutlich ließen ihn die Schmerzen auf jedwede Gastlichkeit verzichten. Der Teil der Burg, der dem König vorbehalten war, bestand eigentlich nur aus zwei Kammern. Den Rest des Gebäudes bildeten die große Halle und weitere Kammern für das Gesinde und den Vorrat. Obwohl die Festung erstaunlich groß war, musste sie für viele Krieger, Sklaven und Helfer Platz bieten.
Die kleine Gruppe Assassinen, mit der wir hierhergekommen waren, wurde von Gleichgesinnten begrüßt, die mich wie schon Nabil zuvor mit ihrer eleganten Kleidung mehr an Edelleute erinnerten als an hinterlistige Mörder. Die Farben Weiß und Gold dominierten an ihren prächtigen Mänteln und Turbanen, und ich fühlte mich zurückversetzt in die Zeit in Fahrudins Palast. Allerdings umgab diese Männer eine gefährliche Aura, die die schwelende Angst, die in meinen Eingeweiden rumorte, nur noch verstärkte.
In der Mitte des Schlafgemachs, in das wir nun geführt wurden, stand ein großes Bett mit einem Baldachin aus schwerer Seide, goldglänzenden Brokatschleppen und Goldkordeln. Die Wände und Böden waren mit kunstvollen Teppichen ausgelegt, die orientalische Muster und Szenen aus gewaltigen Schlachten zeigten. Das Stöhnen der zusammengekrümmten Person auf dem Bett jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken.
Das war er also, der gefürchtete Großmeister, Herr der Assassinen, die Geißel der Ismaiiliten und der Kreuzritter, der so gefürchtet wie verhasst war. Ein gepeinigtes Gesicht blickte uns an, grau vom Schmerz. Vom Schweiß verklebte schwarze Haare standen ihm wirr vom Kopf, die Lippen waren trocken und aufgeplatzt. Umschattete Augen lagen in dunklen Höhlen. Ein alarmierender Anblick. Isaak neben mir entfuhr ein leises Zischen. Sein Husten war hier oben in der dünnen Luft seltsamerweise besser geworden. Ich wusste genau, was er dachte. Hoffentlich war es nicht schon zu spät …
Wir verneigten uns tief und stellten uns vor. Dunkle Augen musterten uns voller Abscheu.
»Wieder ein neuer Quacksalber, Nabil?«, brummte der Kranke. Ein Bartschatten legte sich wie eine dunkle Vorahnung auf seine Haut. Nabil beeilte sich, seine Bedenken zu zerstreuen.
»Der beste Medicus Teherans, mein König! Er ist nun unsere einzige Hoffnung«, verkündete er mit einer Verbeugung, sein Blick streifte dabei unsere Gesichter. Wir bemerkten die unausgesprochene Warnung darin.
Isaak stand der Schweiß auf der Stirn, und meine Hände waren feucht. Nervös ließ ich seine Tasche, die ich schützend vor mir getragen hatte, auf einen nahestehenden Stuhl gleiten und suchte darin die Untersuchungsinstrumente. Hörrohr, Linse, Urinbecher.
Vorsichtig setzten die Diener den gepeinigten Mann aufrecht hin und stützten seinen Rücken mit Kissen. Sein Oberkörper war nackt und glänzte verschwitzt, die schwarzen Brusthaare klebten nass an seiner Haut.
Isaak räusperte sich, setzte sich neben dem argwöhnisch dreinblickenden Scheich auf das Bett und fühlte den Herzschlag an dessen Hand. Mein Mentor blickte mit der ihm so eigenen Sorgfalt und Gründlichkeit in Hassans Augen, tastete seinen Bauch und seinen Rücken ab, sprach mit ihm über seine Schmerzen, die Art, die Häufigkeit und den Ort. Wie, wann, wo – laut Isaak die drei wichtigsten Fragen eines Heilers.
Schließlich bat er ihn um den Urin, den Isaak konzentriert untersuchte. Wie es seine Art war, sprach er kaum ein Wort über das, was er dachte, ließ mich aber an allem teilhaben. Die Begleiter des Großmeisters wurden unruhig. Wieder erfasste mich die Anspannung, die in der Luft lag, als Isaak mich plötzlich fragte: »Was meinst du, Eran, was kann es sein?«
Ich spürte, dass er mich nur prüfen wollte, denn er wusste wohl, was dem weisen Scheich fehlte.
»Die Gallenblase, Meister. Sie hat Steine, die in die Röhren eindringen und die Schmerzen verursachen. Sie vergiften den Bauch von innen heraus, weil der Verdauungstrakt von den Steinen verstopft ist.«
Sein Blick war voller Stolz, als er nickte und mit seiner krächzenden Stimme fragte, was jetzt zu tun sei.
»Wir müssen die Vergiftung stoppen, am besten mit einem Tee aus Brennnessel, Salbei und Ingwer.«
»Was noch?«, fragte er heiser.
»Vielleicht eine Eurer Wunderperlen gegen die Schmerzen?«
Schelmisch schmunzelte er und nickte.
»Gut! Aber wie bekommen wir die Steine aus seinem Bauch?«
Ich dachte nervös nach, während ich in seinem faltigen Gesicht nach einer Eingebung suchte. Wir waren vor Kurzem einem ähnlichen Fall in einem der Vororte Teherans begegnet. Wir hatten dem Kranken einen Sud verabreicht, der sämtliche Steine aus der Blase löste. Leider war er ein paar Tage später verstorben, sein Körper war von den Gasen in seinem Bauch bereits zu sehr vergiftet gewesen.
Dieser Gedanke ließ mich unwillkürlich schlucken, eine eiskalte Hand legte sich auf meinen Brustkorb und drückte zu. In Isaaks aufmerksamen Augen sah ich seine Zustimmung, und er nickte mir kaum merklich zu. Mein Atem ging auf einmal hektisch.
»Herr, wir sollten ihm einen Sud zubereiten. Ich werde ihm das Gebräu die Nacht über einflößen, morgen früh sollte er dann alle Steine ausscheiden.«
Isaak sah mich an, seine dunklen Wieselaugen waren umschattet von Müdigkeit und Sorge, dann legte er beruhigend seine knotige Hand auf meine Schulter.
»Eine gute Entscheidung, Eran, so sei es«, seufzte er ergeben und gab mir zu verstehen, dass wir jetzt allein auf Gottes Hilfe angewiesen waren.
Die Schmerzen legten sich mit Isaaks Wunderperlen und erlösten ihn erst einmal von seiner Qual. Während Isaak im Wagen den Sud aufkochte, versuchte ich, dem Nizaritenführer den Tee einzuflößen. Ich konnte sehen, dass sein Bauch unnatürlich aufgequollen war – eine Folge der giftigen Dämpfe, die sich in seinem Gedärm entwickelten. Ich versuchte krampfhaft, meine Hände unter Kontrolle zu halten, die nicht aufhören wollten zu zittern. Hassans Atem beruhigte sich langsam. Den Schweiß auf seiner Haut wischte ich mit den Tüchern ab, die mir seine Diener unaufhörlich brachten.
Man ließ uns keine Sekunde mit dem Kranken allein, und unsere Handlungen wurden misstrauisch beäugt. Meine Kehle schnürte sich zu bei dem Gedanken, was passieren würde, wenn er uns unter den Fingern wegstürbe. Isaak schien das alles nichts auszumachen. Entweder hatte er die besseren Nerven, oder er vertraute voll und ganz seiner Medizin – oder vielleicht noch mehr seinem Gott? Ich wollte, ich hätte in diesem Moment auch einen Gott. Mir blieb nur das Vertrauen in unser Wissen und in Isaak.
Wenig später kam er dann auch mit einem wissenden Lächeln und dem Sud zurück in die Schlafkammer. Während wir dem Kranken den Sud verabreichten, schlief er dank der Schmerzmittel immer wieder erschöpft ein. Nachts weckte ich ihn jeweils für die nächste Portion des Suds.
Während der Medicus in einem bereitgestellten Sessel schnarchte, tat ich die ganze Nacht kein Auge zu. Dies lag zum einen an dem Sud, den ich dem Kranken immer wieder einflößen musste, zum anderen an meiner Angst, dass unsere Behandlung nicht zum gewünschten Erfolg führen würde. Gerade als ich frühmorgens den letzten Sud geben wollte, hatte es der Scheich auf einmal sehr eilig, aus dem Bett zu kommen. Er hastete zum Nachttopf. Angespannt warfen Isaak und ich uns einen Blick zu. Nun würde sich entscheiden, ob unser Medikament gewirkt hatte. Nach kurzer Zeit ging Isaak nachsehen, ob der Patient die Steine ausgeschieden hatte, und bestätigte wenig später den Erfolg unserer Behandlung. Das waren natürlich die unangenehmen Seiten als Medicus, und ich kann jedem versichern, dass ein Scheich genauso stinkt wie ein Bauer, wenn es denn zum Abfluss kommt. Aber nie war ich so froh, unter all dem Verdauten auch die gelblich-schwammigen Steine zu sehen, die aus seiner Galle ausgeworfen wurden. Sie waren Zeugen unserer Bemühungen und letztlich der erste Weg zur Genesung.
Die Spannung im Raum löste sich etwas, und ich schaffte es sogar, dem abgekämpften Hassan, der sich wieder auf sein Bett zurückgezogen hatte, aufmunternd zuzulächeln. Er schlief sofort ein. Es dauerte noch weitere drei Tage, bis der Körper das Gift abgebaut hatte. Unzählige Tees und Kräutersude später war die Entzündung bekämpft, und der Scheich kam wieder zu Kräften.
Völlig erschöpft konnte ich kaum die Schüssel mit der Brühe halten, die der Assassinenkönig als erste Nahrung zu sich nehmen durfte. Aus Angst zu versagen hatte ich in den letzten drei Tagen und Nächten kaum geschlafen. Schließlich nahm Isaak mir die Schüssel ab und schickte mich mit strengem Gesicht ins Bett.
»Geh schlafen, Junge, du siehst aus wie der Tod. Der weise Scheich wird überleben, das ist sicher, und wir somit auch. Geh jetzt ins Bett, und wenn du ausgeschlafen hast, brechen wir auf.«
Seine Stimme war sanft und verständnisvoll, er wusste, dass ich hart für uns beide gearbeitet hatte. Allein auf Allah zu vertrauen, hätte mir nicht gereicht. Er lächelte mir aufmunternd zu, dann setzte er sich neben das Bett und fütterte Hassan, der wieder ein wenig Farbe im Gesicht hatte, mit dem Rest der Brühe.
Mit wachsweichen Knien stand ich auf. Etwas wackelig verneigte ich mich vor meinem Medicus und dem Scheich und trottete mit hängenden Schultern in meine kleine Kammer, die gegenüberlag. Angezogen fiel ich auf das Bett und schlief im nächsten Herzschlag ein.
* * *
Als ich erwachte, stand die Sonne hoch am Himmel und hatte meine kleine Kammer so aufgewärmt, dass ich schweißnass aus dem Bett hüpfte, mich auszog und den bereitgestellten Kübel nutzte, um mich zu waschen. Inzwischen hatte ich dank Isaak saubere Kleidung. Sie bestand aus der üblichen Pumphose aus feinem Leinen und einem Hemd, das statt Schnüren sogar silberne Haken zum Öffnen und Schließen besaß. Die bestickte Weste wies blaue und rote traditionelle Muster auf. Die Farben wiederholten sich in der Schließe meines Turbans, den ich nach wie vor über meiner Stirn und dem Nacken trug. Sorgfältig steckte ich nun das Ende des langen Tuchs hinter meinem Ohr fest und schob die blaurote Schließe darüber.
So fühlte ich mich stark genug, dem Großmeister Lebewohl zu sagen. Erwartungsvoll öffnete ich die kleine Holztür meiner Kammer und wunderte mich, dass ich einen bewaffneten jungen Krieger mit dem hellen Turban der Assassine und einem goldverzierten Krummdolch davor fand. Wir befanden uns in der Festung der Assassinen. Vielleicht war der junge Mann zu meinem Schutz befohlen?
Auf dem Weg in die Halle, in die er mich begleitete, weil er mich zu Isaak führen sollte, hörte ich bereits die störrische Stimme des Medicus durch die Hallen tönen.
»Ich werde gehen, wohin ich will, kein Mensch, ob Großmeister oder nicht, hat es jemals gewagt, mir zu sagen, was ich tun soll!«, hörte ich ihn laut seine Meinung kundtun. Nur allzu lebhaft stellte ich mir dabei sein missmutiges Gesicht vor, die kleinen Augen konnten so wütend blitzen, und die Hände fuchtelten wild vor seinem drahtigen Körper, als würde er Fliegen in der Luft fangen. Unwillkürlich musste ich lächeln bei dieser Vorstellung.
Die enge Wendeltreppe führte direkt zur Halle, aus der die Stimmen kamen, und ich nahm zwei der steinernen Stufen auf einmal, um nichts zu verpassen. Mein junger Bewacher stolperte hastig hinterher.
Was ich dann sah, verschlug mir die Sprache und fegte mein Lächeln blitzartig vom Gesicht. Der genesene Scheich saß auf einem reich verzierten Holzstuhl an der Tafel der großen Halle. Er schien in einen Streit mit Isaak geraten zu sein. Sein hageres Gesicht, noch von der schweren Krankheit gezeichnet, strahlte eine solche Härte aus, die mich in meiner Bewegung erstarren ließ. Seine wütenden schwarzen Augen waren wie zwei Dolche auf Isaak fixiert. Seinen Mund zu einer dünnen Linie verzerrt, arbeiteten die Kiefermuskeln unentwegt unter der blassen Haut. Zwischen seinen Augen hatte sich eine tiefe Falte gelegt. Der drahtige Isaak hatte sich vor ihm aufgebaut.
»Ihr werdet seinen Platz einnehmen, Medicus, ob es Euch gefällt oder nicht! Auf dieser Burg bestimme ich«, grollte der Assassinenführer und ließ seine Faust auf den Tisch fahren. Erschrocken zuckte ich zusammen und blickte die anderen am Tisch an, die keinerlei Regung zeigten. Seine Vertrauten saßen oder standen rings um ihn herum, darunter auch Nabil Al‑Hakam, der sich lässig an eine der groben Steinsäulen lehnte und sich gelangweilt mit seinem Krummdolch die Fingernägel säuberte.
Isaak schritt mit wehendem Gewand vor dem Tisch auf und ab und rang nach Argumenten. Die Quasten an seinem Strickgürtel baumelten von links nach rechts, und seine grauen Haare standen wild gerauft in alle Richtungen. Er brauchte dringend wieder eine Rasur, bemerkte ich abwesend. Sein Kopf war rot angelaufen, die Augen blitzten wütend.
»Ich werde nicht Euer Medicus! Nicht jetzt und nicht später, niemals! Kein schiitischer Hund wagt es, meine Absichten zu durchkreuzen! Allah wird Euch zermalmen, wenn Ihr mich zwingt«, zischte er und überkreuzte seine Arme vor der Brust, als würde er seine Aussage damit unterstreichen. Seine Stimme überschlug sich fast, ich hatte ihn selten so gesehen. Er musste einen Grund für seine Wut haben, den er mir sicher später erklären würde.
»Ein letztes Mal, ich verhandle nicht. Ich werde Euch fürstlich bezahlen, Euch und Euren Gehilfen. Ich brauche Euch hier und jetzt, bis ich Eurer überdrüssig bin. Mein Wort ist Gesetz. Es gibt kein Nein, denn das bedeutet Euren Tod. Habt Ihr mich verstanden?«
Die Stimme Hassans hatte einen Klang angenommen, der mir nicht gefiel. Er wirkte wie eine Schlange vor dem giftigen Biss. Kalt, berechnend, und in jedem Wort lag ein tödliches Gewicht. Seine Stimme wurde immer leiser. Inzwischen war es auch um uns herum mucksmäuschenstill, ich hörte nur Isaaks lautes Schnaufen.
Wie verloren stand ich in der Mitte der großen Halle, die auf rauem Felsboden gebaut worden war. Er war erstaunlich kühl. Sämtliches Blut wich aus meinem Gesicht, als ich begriff, was hier vor sich ging, und ich starrte entsetzt und mit pochendem Herzen die beiden Kontrahenten an. In diesem Moment betete ich innerlich dafür, dass mein Meister die richtige Entscheidung treffen würde, und hielt die Luft an.
Isaak ballte die Hände zu Fäusten, sog schwer die Luft ein und biss die Zähne wütend aufeinander. Sein Blick fiel auf mich, und ich erkannte darin seine Zerrissenheit, fast schon ein schlechtes Gewissens. Plötzlich drehte er sich ruckartig um, stapfte zur Eingangstür und zischte nur einen abschätzigen Fluch, der mir die Hitze ins Gesicht schießen ließ.
Er kam nicht mehr bis zur Tür. Zwei Assassinen, die links und rechts der Tür positioniert waren, schossen vor, zogen in einem fließenden Akt ihre langen Dolche aus dem Gürtel und durchstießen den Brustkorb des alten Mannes. Er spürte vermutlich nicht einmal mehr den dumpfen Aufprall seines Körpers auf dem Felsboden. Isaak hatte nicht einmal die Arme gehoben, um sich zu wehren. Sein Entschluss hatte also festgestanden: Er wollte lieber sterben, als seine Freiheit zu verlieren. War das Allahs Wille?
Eine schreckliche Angst und Verzweiflung ergriffen mich. Noch bevor ich schreien konnte, spürte ich einen Schatten hinter mir vorbeihuschen. Das Gesicht von Nabil Al‑Hakam tauchte für den Bruchteil einer Sekunde vor mir auf, bevor mich ein harter Schlag gegen den Kopf in ein schwarzes Nichts beförderte.