17.

»Ich weiß nicht, ob die Idee wirklich gut ist«, Ernst stemmte abrupt sein Bein in den leeren Fußraum. »Die Ampel ist rot.«

»Sehe ich.« Mats bremste sanft und kam zum Stehen. »Ich fahre, Opa, du musst nicht alles kommentieren.«

Die Ampel sprang auf Grün, Ernst zog sein Bein wieder an und sah aus dem Seitenfenster. »Ich glaube, die Idee ist sogar ganz schlecht. Ich muss da anders ran. Es bringt doch nichts, wenn ich irgendwelche Frauen befrage. Wir brauchen mehr Hinweise. Das heißt …«, hektisch fing er an, in seiner Jackentasche zu suchen, bis er einen Durchschlag fand und den entfaltete. »erdbeertörtchen «, las er laut vor. »Mats, nach der musst du suchen. Nach einer Frau, die sich erdbeertörtchen nennt. Mach das bitte. Und dabei kannst du auch noch mal nach Hilke suchen, vielleicht haben wir sie nur übersehen. Aber lass uns das hier und heute abbrechen. Wer weiß, was das für eine Frau ist. Stell dir vor, das ist eine Verrückte, die mich anschließend verfolgt. Wie in der Verhängnisvollen Affäre . Dann bin ich geliefert.«

»Dieser uralte Film mit Michael Douglas? In dem die Geliebte das Kaninchen kocht?«

»Genau den meine ich.«

»Du hast weder eine Geliebte noch ein Kaninchen. Du kommst vielleicht auf Ideen«, Mats sah ihn von der Seite an und grinste. »Außerdem wolltest du das doch, ich habe es nur ausgeführt. Und jetzt kriegst du schon vor dem ersten Date kalte Füße?«

»Was heißt kalte Füße?«, Ernst verschränkte seine Arme vor der Brust und presste die Lippen zusammen. »Mir ist übel. Der Bus vor uns hält gleich. Halt Abstand.« Sein Bein war schon wieder durchgestreckt, mit einer Hand stützte er sich auf die Konsole. »Siehst du den Bus?«

»Ja, ich bleibe doch dahinter. Und er fährt schon wieder.«

»Du musst gleich links fahren. Hast du keinen Blinker gesetzt?«

Mats stöhnte und ordnete sich links ein. Er musste den Gegenverkehr durchlassen, geduldig blickte er nach vorn, während Ernst nervös mit den Fingern auf seinem Bein trommelte. »Mats, komm, kehr um, wir fahren zurück, das war eine Schnapsidee.«

»Ich kann hier nicht wenden«, Mats hob die Schultern. »Hier ist viel zu viel Verkehr. Und außerdem sind wir gleich da, jetzt können wir es auch durchziehen.«

»Ich weiß nicht, ich weiß nicht«, Ernst sah auf den Gegenverkehr, plötzlich schoss er nach vorn und griff Mats ins Lenkrad. »Das ist doch …«, er fuhr herum und sah mit aufgerissenen Augen einem weißen Auto nach, das an ihnen vorbeifuhr. »Das war Hilke. Mats, du musst … Hilke saß in dem Auto.«

Er verrenkte sich, um besser sehen zu können. »Das war Hilke neben einem Mann, ich habe aber nur auf sie geachtet und nicht auf ihn, das war der Kamikazefahrer vom Bahnhof, ich erkenne den Wagen wieder und Hilke saß neben ihm, du musst jetzt wenden und … was machst du denn? Du sollst sie verfolgen!«

»Opa«, Mats gab Gas und fuhr links in Richtung Keitumer Kreisel ab. »Es gibt jede Menge weißer SUV s, das muss doch nicht der vom Bahnhof ein. Und außerdem jage ich denen doch nicht hinterher, wir sind hier nicht in Chicago. Und du hast in zehn Minuten eine Verabredung.«

»Es ist eine schwachsinnige Idee gewesen«, Ernst wischte sich mit seinem Taschentuch die Stirn ab. »Wirklich schwachsinnig. Wir hätten stattdessen Hilke folgen müssen.«

»Zu spät«, Mats lenkte das Auto feixend auf den großen Parkplatz am Ortseingang und stellte den Motor aus. »Du wolltest undercover mögliche Opfer beschützen, jetzt zieh es auch durch und geh schon mal vor. Ich warte hier auf Hella und wir folgen. Und Opa, mach ein anderes Gesicht, wir hauen dich raus, falls es aus dem Ruder läuft. Damit niemand dein Kaninchen kocht.«

 

Ernst blieb nach wenigen Schritten zögernd stehen und sah zurück, ohne dass Mats reagierte. Also straffte er seine Haltung und ging los. Irgendwo musste er ja anfangen. Und er wusste schon zu viel, als dass er es laufen lassen konnte. Und jetzt auch noch Hilke in diesem Auto. Es war so schnell gegangen, dass er nicht auf ihren Begleiter geachtet hatte, er könnte sich in den Hintern beißen. Da war er so kurz davor gewesen, herauszufinden, was der Grund für den Lippenstift und die bunten Blusen war, so kurz davor, und dann hatte er nicht auf den Fahrer geachtet. Oder auf das Kennzeichen. Es war zum Verrücktwerden. Und jetzt musste er sich auch noch auf sein Treffen konzentrieren. Mit zuckerschote13 . Er musste sich zusammenreißen, die Dame könnte ebenfalls ein mögliches Opfer sein. Und das musste er verhindern.

 

Mats war begeistert gewesen, dass sein Opa schon so schnell zwei Anfragen für ein Treffen auf seinem Handy gehabt hatte. Ernst hatte es gar nicht bemerkt. Er hatte nicht gewusst, was diese kleinen Symbole auf dem Display bedeuteten. Aber Mats hatte sofort geschaltet. Wenigstens hatte er gewartet, bis Gudrun im Bett war, aber dann mit triumphierendem Ausdruck und übertriebener Stimme die Mitteilungen vorgelesen. »Hör zu, Opa, das klingt doch schon mal gut: Elegante Erscheinung mit guter Laune, liebt Schauspiel, Champagner, gutes Essen und kultivierte Gespräche. #inselliebe#sonnenuntergang#sommerparty#liebeamstrand «, »Hallo, lieber jamesbond006 , ich hätte großes Interesse an einem kleinen Treffen, da auch mich kriminelle Fragen sehr beschäftigen. Sie nennt sich butterblume02 und …«

»Das kannst du wegmachen«, hatte Ernst gesagt. »Das ist Hella. Die findet das wohl lustig. Du sollst Hilke suchen. Was heißt denn, ich habe zwei Anfragen? Was hast du noch?«

»Schade«, hatte Mats geantwortet. »Aber da ist noch eine, pass auf: zuckerschote13 , modisch interessiert, farbenfrohe Ausstrahlung mit Spaß an Geselligkeit. #dierichtigegroeße#rotgehtimmer#pizzastattpudding. Lieber jamesbond006 , wenn Sie Interesse haben: Dienstag, Kleine Teestube Keitum, 14 .00  Uhr. So, warte mal, ich …«

Er hatte ein paarmal gewischt und dann gemeint: »… habe zugesagt. Du hast ein Date.«

Ernst hatte geschluckt, das war jetzt sehr schnell gegangen. Ein Date. Zwar noch nicht mit Hilke, aber dafür mit einem anderen möglichen Opfer. Martina würde staunen. Jetzt war er im Spiel.

 

Mit einem Blick auf die Uhr stellte er am Eingang fest, dass er zehn Minuten zu früh war. Vor Aufregung hatte er einen ganz trockenen Hals, er musste unbedingt vorher noch etwas trinken, sonst würde er gleich kein Wort herausbringen können. Er schob die Pforte auf und ging in den Garten der Teestube, die meisten Tische waren besetzt, niemand saß allein, also war zuckerschote13 noch nicht eingetroffen. Ernst wählte einen Tisch in der hintersten Ecke und setzte sich etwas umständlich hin. Dankbar, dass eine junge Frau sofort auf ihn zukam und ihn fragte, was er trinken wolle, antwortete er, ohne zu überlegen: »Eine große Flasche Wasser und ein Gläschen Eierlikör.«

Danach lehnte er sich zurück und versuchte, seine Nerven zu beruhigen. Er tat das nur zum Schutz der Frauen. Und um Hilke zu finden. Und weil Martina ihn mit ihren gelben Zetteln geködert hatte. Wobei er mit ihren Hinweisen bislang noch nichts hatte anfangen können.

Er sah zum Eingang und fragte sich, warum man sich wohl den Namen Zuckerschote aussuchte. Er mochte diese Dinger gar nicht, aber Geschmäcker waren ja verschieden. Die Bedienung brachte ihm das Wasser und schenkte freundlicherweise sofort ein.

»Oh, ich habe den Eierlikör vergessen«, sagte sie plötzlich. »Den bringe ich gleich.«

»Hat noch Zeit«, antwortete Ernst und sah in diesem Moment Hella und Mats kommen, die sich drei Tische weiter niederließen, die Blicke auf ihn gerichtet. Hella winkte unauffällig auffällig, Ernst drehte sich sofort weg. Er hatte gerade einen Blick auf ihren gelben Rock erhascht, zu dem sie etwas Grünes trug. butterblume02 . Was machte er eigentlich hier?

Er seufzte und trank das Glas aus, bevor er sich nachschenkte. Er hatte die Flasche gerade weggestellt, als ein Schatten auf ihn fiel und eine tiefe Stimme fragte: »jamesbond006 ? «

Sofort sah er hoch und öffnete den Mund. Um ihn sofort wieder zu schließen. Er sah nur Rot. Viel Rot. Die Frau, die in einer roten, weiten, wallenden Bluse steckte und die plötzlich vor ihm stand, war sehr groß, hatte sehr dunkle Haare, eine sehr tiefe Stimme und einen sehr festen Händedruck. Ernst war nach dem ersten Schreck aufgesprungen und hatte die Hand ausgestreckt. Sie überragte ihn um einen Kopf und fixierte ihn sehr konzentriert. Der rote Stoff wehte wie ein Segel im Wind. Ernst fehlten die Worte, er sah sie nur stumm an, bis sie endlich ihre Hand zurückzog. Diese Frau musste nicht beschützt werden. Diese Frau sah aus, als hätte sie selbst schon mal ein Kaninchen gekocht. Nur langsam fiel die Schockstarre von ihm ab, er machte einen Schritt nach vorn und zog den Stuhl ein Stück für die Dame zurück. Sie nickte kurz.

»Ich bin die Renate«, sagte sie und setzte sich. »Renate Bahnsen. Aus Niebüll.«

»Angenehm«, beeilte er sich zu sagen. »Ernst Mannsen.«

Sie wartete, bis er sich wieder gesetzt hatte, dann beugte sie sich vor und starrte ihn an. »Kennen wir uns irgendwoher?«

Er goss ihr etwas umständlich Wasser ein und schob ihr das Glas hin. »Ich wüsste nicht. Ich komme aus List.«

»Doch«, sie nickte mit gerunzelter Stirn. »Ich kenne Sie irgendwoher. Ich vergesse nie Gesichter. Das ist wohl so eine Berufskrankheit.«

»Aha«, Ernst war verunsichert. »Sind Sie Fotografin? Oder etwa bei der Polizei?«

»Damenoberbekleidung«, Renate griff zu ihrem Glas und trank, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Ihr dunkelroter Lippenstift hinterließ einen Abdruck am Rand.

»Interessant«, Ernst hatte sich keine Gedanken gemacht, wie so ein Date ablaufen könnte, nur so hatte er sich das nicht vorgestellt. Was fragte man denn bloß? Hilfe suchend sah er an Renate vorbei zu dem Tisch, an dem Hella und Mats saßen, die unverhohlen zu ihnen herüberstarrten. Hella machte komische Zeichen, er verstand nur die Bedeutung nicht.

Renate räusperte sich, sofort wandte Ernst sich ihr wieder zu. »Haben Sie so etwas schon öfter gemacht?«

»Was genau?« Jetzt war ihr Tonfall lauernd. Wenn er in diesem Moment das Falsche sagte, würde sie womöglich sauer. Er versuchte es diplomatisch: »Nun, so auf diese moderne Weise den Bekanntenkreis vergrößert? Also, im Internet eine Verabredung getroffen? Zwanglos?«

»Es ist das dritte Mal und ich hoffe, es ist dieses Mal erfolgreicher. Ich komme extra von Niebüll, ich habe nämlich heute meinen freien Tag.« Sie kniff die Augen zusammen, um ihn genauer zu mustern, und schüttelte den Kopf. »Also, ich könnte wetten, dass wir uns schon mal getroffen haben. Wie gesagt, ich habe ein überragendes Gedächtnis. Ich komme noch drauf. Was machen Sie sonst so?«

»Oh, ich bin Pensionär, ich gehe gern spazieren, schaue Fußball …«, er hielt inne, hatte Mats nicht gesagt, das sei langweilig?

»Und?«, Renate hob auffordernd das Kinn. »Verwitwet? Geschieden?«

»Ich, ähm …«, er hustete, was war das denn für eine Frage? Und wie sollte er die denn beantworten? »Also, eigentlich …«

»Jetzt habe ich’s!« Ihr Zeigefinger stach in Richtung seiner Brust. »Hat Ihre Frau Konfektionsgröße 42 und hat sie sich vor Kurzem eine dunkelblaue Regenjacke gekauft? Ha. Ich habe gewusst, dass ich Sie kenne. Sie waren bei uns im Geschäft. Das kann ja wohl nicht wahr sein. Ich …«

»So, hier kommt Ihr Eierlikör, entschuldigen Sie, ich hatte ihn einfach vergessen. Die Dame, kann ich Ihnen noch etwas anderes bringen?«

Renates Kopf fuhr herum, sie sah erst die Bedienung, dann Ernst an und holte Luft. »Ach, und der Herr hat von Anfang an gewusst, dass er Eierlikör trinken wird? Na, das ist ja ganz toll, sagen Sie mal, halten Sie mich für blöde?«

Ihre Stimme war jetzt nicht nur tief, sondern auch sehr laut, Ernst saß mit eingezogenem Kopf vor ihr und fühlte sich wie das Kaninchen kurz vor dem Topf, unfähig, sich zu rühren. Und deshalb war er so froh wie selten zuvor, als er plötzlich Hellas Stimme hinter sich hörte. »Ach, hallo, ich glaube, hier liegt ein Missverständnis vor. Darf ich mich dazusetzen?«

»Wer sind Sie denn jetzt?« Renate Bahnsen schnappte nach Luft und drehte sich zu ihr. »Ist das hier … ach, Moment, Sie kenne ich auch. Die gelbe Jacke. Runtergesetzt auf 69  Euro, Größe 44

»Exakt«, Hella strahlte sie an und streckte ihre Hand aus. »Hella Fröhlich. Ich habe Sie gleich erkannt, eine so hervorragende Verkäuferin vergisst man nicht. Ernst, die Dame arbeitet in Westerland bei Inga Moden, der Boutique in der Friedrichstraße. Da kauft Gudrun auch manchmal ein. Sehr angenehm.«

Renate Bahnsen ignorierte die ausgestreckte Hand. »Ich würde gern erfahren, was das hier für ein abgekartetes Spiel ist. Und was Sie hier machen. Hatten Sie auch eine Verabredung mit diesem Herrn?«

»Nein, nein«, Hella zog die Hand zurück und setzte sich. »Ich habe Sie erkannt, und bevor es unangenehm wird, wollte ich die Situation klären. Wissen Sie …«, sie beugte sich vertrauensvoll zu Renate. »Der Herr Mannsen ist mehr oder weniger aus Versehen in diese Dating-App geraten.«

»Aus Versehen?«, Renate sah ihn verdutzt an. »Sie meinen, er sucht gar keine Frau?«

»Er hat ja schon eine«, erklärte Hella. »Er macht hier aus viel wichtigeren Gründen mit. Jetzt sag doch auch mal was, Ernst.«

»Ja, also, es tut mir leid«, Ernst fuhr herum, er hatte sich nach Mats umgesehen und erleichtert festgestellt, dass sein Enkel immer noch am Nachbartisch saß, aufs Handy schaute und von dieser Demütigung nicht viel mitbekam. »Ich wollte nur herausfinden, ob hier alles mit rechten Dingen zugeht und niemand Schaden erleidet.«

»Es geht hier nicht mit rechten Dingen zu, das habe ich ja wohl gerade gemerkt«, knurrte Renate. »Wissen Sie, es ist ein Schlag ins Gesicht, wenn man als Frau tatsächlich einen Partner sucht und dann kommt jemand wie Sie, der nur ein Abenteuer will. Oder nur mal gucken will, wie das hier so läuft. Ich bin extra aus Niebüll gekommen, an meinem freien Tag, und jetzt war das wieder umsonst. Langsam vergeht mir die Lust.«

»Haben Sie schon schlechte Erfahrungen gemacht?«, Hella ließ sich von Renates verkniffenem Gesicht überhaupt nicht beeindrucken. »Ich mache ja auch bei dieser App mit, leider bislang ohne Erfolg. Ich bin einmal versetzt worden und beim zweiten Mal bin ich vorher geflüchtet, nachdem ich gesehen habe, welcher Trottel sich hinter dem Namen kavalier11 versteckt hatte. Ich kannte den. Ein furchtbarer Mann. Und Sie? Waren Sie auch erfolglos?«

Renates Gesichtszüge wurden jetzt etwas weicher. Anscheinend beruhigte es sie, dass sie nicht allein mit ihren Enttäuschungen war. Langsam nickte sie und sagte: »Der erste Mann, mit dem ich verabredet war, suchte eigentlich nur eine günstige Unterkunft auf Sylt. Und nachdem ich ihm gesagt hatte, dass ich in Niebüll wohne und jeden Tag mit der Bahn auf die Insel fahre, verlor er sofort jegliches Interesse. Und hat sich nach fünf Minuten verabschiedet.«

»Das ist ja unmöglich«, Hella sah sie mitleidig an. »So ein Idiot. Und dann?«

»Nichts und dann«, antwortete Renate. »Er ging. Ich auch. Und das zweite Date war genauso ein Schuss in den Ofen. Der war noch unverschämter. Das war ja wirklich schon fast kriminell.«

Sofort fasste Ernst gespannt nach. »Wirklich? Wollen Sie darüber reden?«

Renate seufzte und sah erst Hella, dann ihn an, bevor sie ihr Kinn hob. »Meinetwegen, wenn wir schon beim Thema sind. Er war eigentlich sehr charmant, gut aussehend, gebildet. Er ist Hotelier oder kauft Hotels für andere, so genau habe ich das nicht verstanden. Aber er hatte was Arrogantes, fand ich. Als ich sagte, dass ich in der Damenoberbekleidung beschäftigt bin, hat er so blöde die Augenbraue gehoben. Und dann, ohne Übergang, erzählte er mir, dass ihm auf der Fähre seine Brieftasche ins Wasser gefallen sei. Mit allen Karten und Ausweisen. Er hätte jetzt nur noch ein bisschen Bargeld, könnte davon aber nicht sein Hotelzimmer bezahlen. Und wollte sich von mir 500  Euro leihen. 500  Euro, ich bitte Sie, wo wohnt der denn? Nicht mit mir, habe ich gedacht, ich bin doch nicht Krösus und schleppe so viel Geld mit mir herum. Natürlich habe ich Nein gesagt und nach drei Minuten musste er dann plötzlich los.«

Alarmiert schreckte Ernst hoch. »Er wollte Geld von Ihnen? Wissen Sie denn seinen Namen?«

»Christoph.«

»Und weiter?«

»Weiter bin ich gar nicht gekommen, er war ja so schnell weg. Natürlich ohne seinen Tee zu bezahlen, das musste ich auch noch machen. Er stieg dann in sein großes Auto und fuhr weg. Hat mir noch nicht mal angeboten, mich zum Bahnhof zu fahren. Ich musste da eine halbe Stunde hinlaufen. Ein Idiot. Na ja, der war mir eh zu jung, höchstens fünfzig.«

»Und haben Sie sich denn sein Kennzeichen gemerkt?« Ernst zog sein Taschentuch aus der Hose und trocknete sich die vor Aufregung schweißnasse Stirn ab. »Konnten Sie das sehen?«

Renate schüttelte den Kopf. »Er hat mich ja nicht überfallen. Was soll ich mit seinem Kennzeichen? Irgendeine Hamburger Nummer. Es war so ein großer weißer Wagen.«

Ernst schluckte trocken und flüsterte: »Ein SUV ? Hinten eine 3

»Kann sein«, Renate Bahnsen trank ihr Wasser aus und knallte das Glas auf den Tisch. »Wie gesagt, ich habe nicht genau hingesehen.« Sie stand jetzt auf und sah auf die beiden hinab. »Ich gehe davon aus, dass ich eingeladen bin. Als Wiedergutmachung. Dann wünsche ich Ihnen viel Erfolg bei dem, was immer Sie da machen. Ich will das auch gar nicht genau wissen.«

Sie schulterte ihre Handtasche, griff ohne zu zögern das Eierlikörglas und trank es aus. »Wenn es schon keine Liebe ist, dann wenigstens der Eierlikör. So sind die Regeln. Dann noch einen schönen Tag.«

Sie wandte sich schon zum Gehen, als Hella schnell fragte: »Dieser Idiot mit dem weißen Wagen, unter welchem Namen hat er Sie denn kontaktiert?«

Renate Bahnsen sah sie lange an. »gastronom100 «, antwortete sie nach einer Weile. »Und der mit der billigen Unterkunft war lonesomecowboy0 . Und ich werde jetzt auch noch jamesbond006 auf die schwarze Liste setzen. Auf Wiedersehen.«

Ihre Bluse wehte im Wind, als sie mit langen Schritten durch den Garten zum Ausgang marschierte. Ernst starrte ihr immer noch stumm hinterher, bis Hella ihn rüde anstieß. »Jetzt sag doch mal was. Du siehst aus, als wärst du kurz vor einem Herzinfarkt. Das ging doch schon mal ganz gut. Mit dir und der Renate. Bis auf die unglückliche Tatsache, dass sie Gudrun und mich kannte. Aber es war doch ein guter Anfang, oder?«

Langsam drehte Ernst sich zu ihr. In der Hand hielt er immer noch das Taschentuch. »Ein guter Anfang?«, fragte er leise. »Hella, ich glaube, das war sogar schon ein sehr guter Anfang. Nahezu ein Volltreffer.«

Zweifelnd sah sie ihn an. »Na, ganz so euphorisch hätte ich es jetzt nicht ausgedrückt. Man kann ja nun nicht gerade sagen, dass Renate von dir begeistert war.«

»Darum geht es hier doch gar nicht«, ein triumphierendes Lächeln zog über sein Gesicht. »Du musst zuhören, meine Liebe, zuhören. Und das habe ich gerade getan.«