Jannis versuchte es sofort noch einmal, aber Peer ging nicht mehr ran. Leise fluchend schob er sein Handy in die Jeans und sah unauffällig zu der Frau, die am verabredeten Tisch saß und sich mittlerweile ungeduldig umschaute. Sie war zwar älter als auf ihrem Foto, trotzdem hatte er sie sofort erkannt. So jemanden hatte er noch nie gesehen. Die Frau hatte sehr viele Haare, die sie mit zahlreichen glitzernden Spangen hochgesteckt hatte. Ihr Kleid war irgendwas zwischen grün und gelb, etwas zu lang und sehr weit. Sie trug viel silbernen Schmuck und hatte ihre Fingernägel passend zum Kleid lackiert. Abwechselnd grün und gelb. Sie war in Peers Alter, aber meilenweit von einer alten Tante entfernt. Eigentlich sah sie ziemlich verrückt aus, aber nicht unsympathisch. Allerdings konnte man erkennen, dass ihre Laune gerade sank. Weil sie hier warten musste. Auf jemanden, der überhaupt nicht wusste, dass er hier erwartet wurde.
Es half nichts, Peer würde nicht kommen, Jannis musste etwas tun. Kurz entschlossen griff er nach seiner Cola und stand auf, um zu ihrem Tisch zu gehen. Sie hob den Kopf, als er vor ihr stand.
»butterblume02 ?«, er kam sich saublöd vor. Dass ihre Mundwinkel plötzlich zuckten, machte es nicht besser. »Das sind Sie doch, oder?«
»Das ist nicht wahr!«, die Stimme war tief, das Lachen gluckste hoch. »Du sagst mir jetzt nicht, dass du neptun67 bist? Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Ich …«, Jannis musste sich räuspern, während er sich vor Angst, jemand könnte ihn beobachten, umsah. »Also, ich, also nicht direkt, aber …«
»#liebegehtdurchdenmagen#allesitzeninderküche#immerammeer ?«, die Frau schüttelte gespielt verzweifelt den Kopf. »Was ist los mit dir? Willst du adoptiert werden oder was?«
»Ich … ähm, also ich …«
»Setz dich hin«, mit einer einzigen Handbewegung räumte sie ihre Tasche und einen Schal von der Bank. »Die Leute müssen ja nicht mitbekommen, dass du dich hier zum Affen machst.« Sie musterte ihn durchdringend. »Junge, was ist denn in deinem Leben alles schiefgelaufen?«
Jannis hatte mit einer ganz anderen Reaktion gerechnet, er stellte seine Cola auf den Tisch und ließ sich auf die Bank sinken, fieberhaft überlegte er, was er ihr jetzt sagen sollte, hatte aber noch keine Idee für einen intelligenten Anfang.
Aber sein farbenfrohes Gegenüber nahm die Sache in die Hand: »Das ist eine Dating-App für die reife Jugend, mein Süßer. Die meisten Frauen sind so alt wie ich. Plus minus. Was genau willst du denn mit mir? Oder mit anderen Damen meines Alters? Hast du da bestimmte Vorstellungen? Sind die alle legal? Wie alt bist du denn eigentlich?«
»Dreiundzwanzig«, Jannis merkte, dass er tatsächlich rot wurde. Es war alles so unfassbar peinlich, er könnte sich in den Hintern beißen, dass er auf seine Mutter gehört und die Sturheit von Peer unterschätzt hatte. »Aber das ist ein Missverständnis, ich habe mich nicht angemeldet, also, ich meine, ich bin nicht neptun67 . Ich habe meinen Onkel angemeldet. Aber ich habe es ihm noch nicht gesagt. Das … das hat sich noch nicht ergeben.«
Die Frau hob die Augenbrauen. »Das wird ja immer schlimmer«, sagte sie kopfschüttelnd und hob die Hand, als eine Bedienung vorbeikam. »Bringen Sie mir doch bitte ein kleines Bier. Darfst du noch eine Cola? Oder lieber auch ein Bier? Die Tante bezahlt.«
»Ja, gern auch ein Bier«, Jannis nickte. Diese ganze Nummer hier würde ihm niemand glauben. Er schob das Colaglas ein Stück zur Seite und knibbelte an seinem Fingernagel.
»Ja, also, ich wollte es meinem Onkel noch in Ruhe sagen, also, dass ich ihn bei der App angemeldet habe, aber dann kam schon heute Morgen Ihre Anfrage. Peer war gerade unter der Dusche und hat nichts mitbekommen. Und Ihr Bild und die Hashtags waren so gut, dass ich gleich zugesagt habe.«
»Die sind auch gut«, unterbrach sie ihn. »Immerhin habe ich lange überlegt. Im Gegensatz zu dir.«
Jannis schluckte. »Ja, aber ich dachte, ich nehme jetzt die Anfrage an und stelle ihn einfach vor vollendete Tatsachen, dann kann er das nicht ablehnen. Und er kann Sie gleich treffen. Ich wollte ihn hierherlotsen und auf dem Weg mit ihm reden, aber ich bin nicht mehr dazu gekommen, weil er seit heute Morgen unterwegs ist und nie an sein Telefon geht, und deshalb bin ich selbst hierhergefahren, damit Sie nicht enttäuscht sind, weil keiner kommt.«
»Mhm«, die Frau fummelte an einer Haarnadel und steckte sie fester, bevor sie ihn wieder ansah. »Wenigstens das. Ich bin auch schon versetzt worden. Das ist ärgerlich.« Die Bedienung kam zurück und stellte die beiden Gläser vor ihnen ab. »Bitte schön.«
»Danke«, butterblume02 nahm ein Glas in die Hand und prostete ihm zu. »Ich heiße übrigens Hella. Du kannst auch Tante Hella sagen.«
»Jannis. Ich finde, Sie sind aber gar kein Tanten-Typ. Eher …«
»Lass es«, Hella legte den Finger auf die Lippen. »Das Eis, auf dem du stehst, ist dünn.«
Sie tranken und schwiegen einen Moment, bis Hella fragte: »Was ist denn mit deinem Onkel? Wieso musst du ihm eine Frau suchen?«
»Meine Mutter will das«, Jannis stellte sein Glas ab und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von der Lippe. »Er ist seit Jahren geschieden und meine Mutter glaubt nicht, dass er ein schönes Leben als Single hat. Und weil er nie weggeht, lernt er auch niemanden kennen. Das macht sie ganz verrückt und jetzt hat sie diese App gesehen und mir gesagt, dass ich ihn da anmelden soll. Na ja, habe ich ja auch gemacht. Und nun haben wir den Salat. Mir ist das auch peinlich.«
Hella sah einen Moment aufs Meer, das weit und heute ungewöhnlich ruhig vor ihnen lag. Es war fast windstill, es gab kaum Wellen, ein paar enttäuschte Surfer hockten in Neoprenanzügen neben ihren Boards im Sand und warteten, dass der Wind auffrischte.
Sie richtete ihren Blick wieder auf Jannis und musterte ihn. »Wie alt ist dein Onkel denn? Mitte vierzig?«
»Nein«, Jannis sah sie jetzt direkt an. »Peer ist 67 , der große Bruder meiner Mutter, die sind zwölf Jahre auseinander. Merkt man aber nicht, weil sie sich dauernd um ihn sorgt.«
»Aha.« Hella lehnte sich an die Holzwand hinter ihr und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und du meinst, es sei eine gute Idee, ihn ohne sein Wissen bei einer Dating-App anzumelden? Hast du keine Angst, dass er stinksauer wird? Wieso hat er denn keine Frau? Ist er so komisch?«
»Nein, nur manchmal ein bisschen eigenbrötlerisch. Seine Frau, oder besser Ex-Frau, war komisch. Die ist mit dem Hausmeister von dem Hotel durchgebrannt, in dem sie beide gearbeitet haben. Seitdem ist Peer allein. Vielleicht könnten Sie ihn doch mal treffen?«
Die letzte Frage hatte er fast flehend gestellt, Hella starrte ihn stumm an.
»Er kann kochen, er kann Haushalt, er liest Bücher, er ist wirklich ein toller Mann. Manchmal ein bisschen schweigsam, aber damit kann man ja leben. Sollen wir einfach was verabreden?«
Hella richtete ihren Blick gen Himmel. »Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist«, sagte sie laut. »Er wird nicht begeistert sein, wenn er merkt, dass er gerade ungefragt verkuppelt wird.«
»Ich kann es ihm vorher ja erzählen«, erwiderte Jannis sofort, stockte dann aber und schlug vor: »Oder wir arrangieren das als zufälliges Treffen. Sie sitzen einfach an einem Tisch, er kommt, weil er denkt, er sei mit mir verabredet, und dann fangen Sie mit ihm ein Gespräch an. Völlig unauffällig.«
»Sag mal«, Hella sah ihn ungläubig an. »Was hast du denn für alberne Ideen? Ich werde doch nicht einfach jemanden anquatschen. Nein, mein Freund, so wird das nichts. Du musst ihm schon sagen, was du da angezettelt hast. Außerdem wird er noch mehr Anfragen bekommen, er sieht ja gut aus und das, was du da alles geschrieben hast, klingt auch interessant. Grandioser Koch, leidenschaftlicher Gärtner, immer noch verspielt … Was genau heißt eigentlich verspielt ?«
Jannis zog den Kopf ein und sagte etwas gepresst: »Na ja, er spielt einmal im Monat mit ein paar ehemaligen Kollegen Karten. Ich fand, es klang so besser. Es sind alles alte Männer.«
»Mann, Mann, Mann«, Hella sah ihn resigniert an. »Und was ist so grandios an seinen Kochkünsten? Dass er die Dosen selbst aufbekommt?«
»Nein«, jetzt hob Jannis das Kinn. »Das stimmt. Er war früher Küchenchef im Deichhotel , er kocht wirklich grandios. Und sein Garten ist auch schön. Weil er so viel Zeit damit verbringt, anstatt mal wegzugehen und eine Frau kennenzulernen. Sagt meine Mutter. Das hätte heute so gut gepasst. Im Moment kann er nicht in den Garten, weil er ein dickes Knie hat, das er schonen soll.«
»Dickes Knie«, wiederholte Hella tonlos. »Und andauernd im Garten. Ganz ehrlich, das klingt nicht so, als hätte ich Spaß mit ihm. Ich würde gern mal wieder Tango tanzen. Und ich hasse Unkrautjäten und Rasenmähen.«
»Das mit dem Knie ist nur vorübergehend. Er hatte neulich einen Fahrradunfall, das heilt schon wieder. Wobei, ein großer Tänzer ist er auch sonst nicht. Sorry.«
»Ein Fahrradunfall?«, Hella beugte sich unvermittelt zu ihm. »Weißt du, wie das passiert ist? Und wo?«
»Am Bahnhof«, Jannis sah sie erstaunt an. »Er ist angefahren worden.«
»Von einer Frau?« Jetzt klang Hella aufgeregt. »Die ausweichen musste? Brauner Kombi?«
»Was für ein Auto das war, weiß ich nicht«, Jannis hob die Schultern. »Aber ja, es war eine Frau. Eine nette, hat mein Onkel gesagt. Warum?«
Hella lehnte sich lächelnd zurück. »Nur so, Jannis, nur so. Ich glaube, ich habe da eine viel bessere Idee, wie dein Onkel eine sehr nette Frau kennenlernen könnte.«