20.

»Was machst du gerade?«

Gudrun ließ die Pforte hinter sich zuknallen, als sie in den Garten kam, Ernst schreckte aus einem kleinen Mittagsschlaf im Strandkorb auf. »Musst du so mit der Pforte ballern? Die bricht auch bald auseinander.«

»Ach was«, Gudrun ließ sich neben ihm in den Strandkorb fallen und streckte die Beine aus. »Herrliches Wetter. Da ruft doch der Strand.«

»Die Wassertemperatur beträgt 14  Grad«, Ernst zog an der Zeitung, auf die Gudrun sich gesetzt hatte. »Wir haben Anfang Mai. Du sitzt auf dem Sportteil. Heb mal den Hintern hoch.«

»Wir wollen gleich los.«

»Ja, viel Spaß«, er glättete die Seiten und rückte seine Brille zurecht.

»Du kommst mit.«

»Wohin?« Er sah seine Frau an, die gut gelaunt ihre Frühlingsblumen im Beet betrachtete. »Nach Kampen, in die Buhne 16 , wir sind verabredet.«

Ernst schluckte, sofort sah er ein Strandlokal, Eierlikör und fremde Frauen vor sich. Im Moment war er in einer Art Dauerpanik, sobald Gudrun irgendetwas sagte, das mit Telefon, Verabredung, Eierlikör oder Frühlingsgefühlen zu tun hatte. Er hatte sein Handy ein paarmal unbeaufsichtigt gelassen, zum Glück war es ihm oder Mats immer rechtzeitig aufgefallen. Trotzdem durfte er seine Frau nicht unterschätzen, sie hatte feine Antennen. Und wie sollte er ihr das alles erklären? Die App? jamesbond006 ? Die Anfragen wildfremder Damen?

Er spürte Gudruns Blick auf sich und hustete. »Aha. Kampen. Und … und mit wem sind wir da verabredet?«

»Sag mal, warum schwitzt du so?« Gudrun hob die Hand und wischte ihm über die Stirn. »Zieh doch mal die dicke Strickjacke aus, das ist doch hier im Strandkorb viel zu warm.«

»Ja, danke für den Hinweis«, er quälte sich aus der Jacke, sie saßen sehr eng nebeneinander. »So ist es viel besser.«

»Gut. Du kannst noch einen Moment sitzen bleiben, in einer halben Stunde fahren wir los«, Gudrun stand auf und sah auf ihn hinab. »Es sei denn, du willst dich etwas schicker anziehen.«

»Wozu?«

»Für die Buhne 16 ? In der wir mit Hella auf den Frühling anstoßen?«, Gudrun zeigte in den blauen Himmel. »Das war Hellas Idee und es ist eine schöne. Wir können ja nicht immer nur zu Hause rumsitzen.«

Hellas Idee! Ernst konnte ein Stöhnen nur knapp unterdrücken. Wenn man auf Diskretion hoffte, durfte man nicht mit Hella ausgehen. Nach einem Glas Sekt fing sie an, Geschichten zu erzählen.

»Was ist jetzt?« Gudrun stand immer noch vor ihm. »Ziehst du dich noch um?«

Am liebsten hätte Ernst den Kopf geschüttelt und gesagt, dass er gar nicht mitwolle. Nur war das zu gefährlich. In der momentanen Situation und bei der Sachlage war es zu riskant, Hella Fröhlich mit Gudrun den Frühling feiern zu lassen. Nicht, dass Hella beim Thema Frühlingsgefühle noch ins Reden kam. Und Gudrun hatte eine gefährliche Art, Fragen zu stellen.

»Ich ziehe mir einen Frühlingspulli an«, sagte Ernst deshalb und zwängte sich aus dem Strandkorb. »Wirklich eine sehr schöne Idee.«

 

Sein Frühlingspulli war auch grau, aber etwas dünner als der gleichfarbige Winterpulli. Ernst hielt es für besser, nicht großartig aufzufallen, schließlich war er schon vor ein paar Tagen in der Buhne 16 gewesen. Um sich mit krabbe100 zu treffen. Das hatte Mats verbockt, der eigentlich eine Verabredung mit erdbeertörtchen hatte machen sollen und sich in der Zeile vertan hatte.

Martina hatte allerdings gesagt, er solle es ruhig machen, je mehr Informationen er bekomme, umso besser könne er die Lage beurteilen. Er war sich ja immer noch nicht sicher, ob wirklich Gefahr im Verzug war, aber er musste es einfach herausfinden. Also hatte er seinen roten Pullover getragen, es war so eine Art Kostümierung, um seine Lässigkeit zu demonstrieren. Es hatte allerdings nicht viel genützt, die Verabredung war ziemlich misslungen gewesen. Und hatte ihn bei seiner Mission auch nicht weitergebracht. krabbe100 hieß im echten Leben Marianne Hiller, kam aus Risum-Lindholm und hatte äußerst ungehalten reagiert, als er ihr einen Vortrag über die möglichen Gefahren im Netz gehalten hatte. Sehr undankbar hatte er das gefunden, zumal Marianne mitten in seinen Erläuterungen aufgesprungen und gegangen war. Er war wie ein Trottel sitzen gelassen worden, hatte aber noch über eine halbe Stunde auf Mats warten müssen, der die Zeit am Strand vertrödelt und den Surfern zugesehen hatte.

 

Jetzt saß er auf der Rückbank seines Autos, während Gudrun fuhr und mit Hella auf der Beifahrerseite über die Planung des Sommerfests plauderte. Von Zeit zu Zeit klappte Hella die Sonnenblende herunter und zwinkerte ihm im Spiegel zu. Ernst sah sie so böse wie möglich an, ihre Nerven hätte er haben wollen.

Der Parkplatz vor Kampen war zur Hälfte gefüllt. Es war zwar noch keine Hauptsaison, aber das schöne Wetter hatte anscheinend viele Spontanurlauber auf die Insel gelockt. Gudrun fuhr auf der Suche nach einer passenden Lücke langsam an den vielen SUV s und Porsches vorbei. »Da sind doch überall Parkplätze«, monierte Hella ungeduldig. »Auf was für einen wartest du denn?«

»Auf einen schönen«, Gudrun deutete mit dem Kinn zur Seite. »Einen, bei dem mir keiner die Tür beim Aussteigen in die Seite knallt. So wie bei dem da.«

Ernst sah es jetzt auch. Ein weißer SUV , über dessen Seite sich eine hässliche Schramme zog. Sofort beugte er sich vor. »Das ist doch …« Aufgeregt tippte er Gudrun auf die Schulter. »Da vorn ist doch einer, nimm den doch, ich muss mir hier mal was ansehen.«

Gudrun lenkte den Wagen in die Lücke, auf die Ernst gezeigt hatte, und stellte den Motor aus. »So«, sagte sie zufrieden, »hier stehen wir doch gut. Was willst du dir denn ansehen?«

»Das weiße Auto«, Ernst hatte die Tür schon geöffnet. »Ich glaube, das ist der Unfallverursacher vom Bahnhof. Ihr wisst schon, der Elvira Sander gezwungen hat, den Radfahrer zu überfahren. Diese Schramme kommt von dem Poller, gegen den er gefahren ist. Ich war Zeuge.«

»Jetzt misch dich doch nicht schon wieder in alles ein«, rief ihm Gudrun hinterher, aber es war zu spät, Ernst umrundete bereits den weißen SUV . Er legte seine Hände an die Seitenscheiben, um ins Innere zu spähen. Auf der Rückbank lag eine Regenjacke, sonst nichts, was Hinweise auf den Fahrer geben könnte. Auch vorn war nichts Aufschlussreiches zu finden.

»Wenn dich jemand sieht«, sagte Hella plötzlich laut und genau neben seinem Ohr, er zuckte zusammen. »Dann denkt der, du willst den Wagen aufbrechen.«

»Er ist es. HH und hinten eine 3 «, murmelte er, während er zurücktrat und die Schramme begutachtete. »Und außerdem habe ich Hilke in diesem Auto gesehen. Ich bin mir sicher. Vielleicht ist sie sogar in der Buhne 16 , womöglich mit diesem … wir müssen mit ihr sprechen und ihr sagen, dass sie sich von einem Verkehrsrowdy fahren lässt. Falls er nicht auch noch …«

»Wir müssen gar nichts«, stellte Gudrun fest, die jetzt neben ihm stand. »Wir wandern jetzt durch die Dünen und trinken etwas Schönes auf den Frühling. Wie geplant. Und Hilkes Privatleben geht dich genauso wenig an wie die Schramme auf einem fremden Auto. Jetzt kommt, sonst ist die Sonne gleich weg.«

Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging vor, Hella betrachtete den Wagen nachdenklich, dann stieß sie Ernst an und sagte: »Sie hat recht. Und sie soll doch nichts von Lieb  …«

»Kein Wort mehr«, unterbrach Ernst sie harsch und umklammerte ihren Arm. »Ich bin nur mitgefahren, damit du Gudrun nicht aus Versehen was erzählst. Warum wolltest du überhaupt hierher?«

»Erzähl ich dir später«, Hella zeigte auf Gudrun, die vor ihnen wartete und bereits ungeduldig winkte. »Lass uns gehen, sonst denkt Gudrun noch, wir hätten Geheimnisse.« Ernst ignorierte ihr albernes Kichern.

 

Der Weg vom Parkplatz zu dem Strandlokal war einer seiner Lieblingsplätze. Ernst sah sich um und freute sich, dass alles immer noch so schön war. Er war in den langen Wintermonaten nicht mehr hier gewesen, jetzt fragte er sich, warum eigentlich. Der Weg führte durch ein Dünental und es gab diesen einen Moment, in dem man plötzlich das Meer sah. Überragender Blick, befand Ernst und ließ sich tatsächlich einen Augenblick von seiner Mission und den damit einhergehenden Problemen ablenken. Aber nur einen Augenblick, bis ihm der weiße Wagen wieder einfiel. Es konnte kein Zufall sein, dass dieser SUV schon wieder hier auftauchte. Die Schlinge zog sich langsam zu. Und es ging nicht nur um den Unfall und um Hilke, es ging auch um Renate Bahnsen, die ebenfalls von einem solchen Wagen gesprochen hatte und dabei einen Namen erwähnt hatte: gastronom100 . Ein Name, den Ernst nicht überhören konnte, ein Name, der in einer sehr exakten Handschrift auch auf einem gelben Zettel notiert war, der sich zusammengefaltet in seiner Brieftasche befand.

Vor lauter Nachdenken hatte er nicht gemerkt, dass sie das Lokal erreicht hatten, fast wäre er gegen Hella gelaufen, die neben Gudrun am Eingang stehen geblieben war und noch überlegte, wo sie sich hinsetzen wollte.

»Nach oben, auf die Terrasse«, entschied Hella, bevor Ernst zu Wort kommen konnte. »Da sehen wir alles.«

»Was willst du denn sehen?«, Gudrun sah sich um. »Aber schaut mal, ich hatte schon gedacht, dass wir hier den Altersdurchschnitt sprunghaft in die Höhe treiben, aber es sind heute ja doch viele Ältere hier. Nicht nur wir.« Zufrieden schlug sie den Weg zur Treppe ein, Ernst blieb hinter ihr und zischte Hella zu: »Sag nicht, dass du hier auch noch eine Verabredung hast.«

»Nein, ich habe nur eine initiiert«, Hella tätschelte beruhigend seinen Arm. »Und ich wollte mir das Happy End mit eigenen Augen ansehen. Komm jetzt, Gudrun ist schon oben.«

Sie ging vor, Ernst wollte ihr gerade folgen, als er plötzlich entsetzt Renate Bahnsen entdeckte, die mit einem schmalen, älteren Herrn an einem Tisch am Rand saß. Er redete leidenschaftlich auf sie ein und drehte sich kurz um. Als Ernst das Profil sah, riss er überrascht die Augen auf. Das war doch Manni Schröder, der ihnen die ganze Elektrik im Haus gemacht hatte. Der ewige Junggeselle, dem Gudrun immer Frühstück mit Rührei gemacht hatte, weil sie ihn so dünn fand. Und der abends mit Tupperdosen nach Hause gegangen war, damit er sich sein Essen nur aufzuwärmen brauchte. Dass der eine Frau suchte, war ja in Ordnung, aber dass er das im Internet machen musste und dabei auch noch an Renate Bahnsen geriet, war schon fast tragisch. Wenigstens stand noch kein Eierlikör auf dem Tisch.

Er zog seine Schirmmütze tiefer ins Gesicht und beeilte sich, zu Gudrun und Hella zu kommen.

Auf dem Weg zur Terrasse sah er unauffällig nach rechts und links und hielt dabei die Luft an. Er hielt es für keinen Zufall, dass hier mehrere ältere Paare waren, die Buhne 16 gehörte anscheinend zu den beliebten Liebe oder Eierlikör -Treffpunkten. Gequält schloss er die Augen. Als er sie wieder öffnete, sah er Hellas Gesicht dicht vor seinem.

»Bleib ganz ruhig«, flüsterte sie ihm zu. »Dahinten sitzt Renate Damenoberbekleidung Bahnsen.«

»Habe ich schon gesehen.« Ernst sah zu Gudrun, die sich am Selbstbedienungstresen angestellt hatte. »Sie mich aber nicht.«

»Gut«, Hella sah über seine Schulter. »Ist das nicht Manni? Manni Schröder? Elektro Schröder? Ich fasse es nicht. Der wird doch von ihr gefrühstückt, der arme Kerl.«

»Pst, Gudrun kommt zurück.«

»Was tuschelt ihr eigentlich die ganze Zeit?«, Gudrun hielt ein Tablett mit drei Gläsern in den Händen und sah sie tadelnd an. »Ich hoffe nur, dass ihr nicht schon wieder ein Geheimnis habt. Dann gnade euch Gott.«

»Aber nein!« Betont harmlos sah Ernst sie an und nahm ihr zuvorkommend das Tablett ab, um es auf den Tisch zu stellen. »Wir haben nur gesagt, dass es doch ganz schön ist, mal rauszukommen.«

Gudrun erwiderte nichts, rutschte in die Bank und wartete, bis Ernst die Gläser verteilt hatte. »Ein Hugo«, sagte sie mit Blick auf Hella und begutachtete das grünliche Getränk. »In Angedenken an die Zeit, als Hella noch eine solide Ehefrau war.«

»Ich war nie solide«, antwortete Hella und griff zu ihrem Glas. »Hugo war es ja auch nicht. Dann mal prost, auf den Frühling und die Frühlingsgefühle.«

Ernst wandte den Blick von ihr ab, damit niemand sein Augenrollen sah, und konzentrierte sich auf die anderen Gäste. An den meisten Tischen saßen kleine Gruppen gut gelaunter Menschen, an einem ein sehr junger Mann, der mit seinem Handy herumspielte, aber an drei Tischen tatsächlich ältere Paare. Er kniff die Augen zusammen, als er vor einer der Frauen ein Glas Eierlikör stehen sah. Die Schlacht war wohl schon geschlagen, hier war keine Liebe im Spiel und ihr Portemonnaie würde geschlossen bleiben. Er lenkte seinen Blick auf Manni und Renate Bahnsen, hier wurde erstaunlicherweise Sekt getrunken, trotzdem konnte Ernst sich entspannen, er kannte Manni Schröder seit Jahren und hielt es für unwahrscheinlich, dass er sich im Rentenalter zu einem Internetkriminellen entwickelt hatte. Außerdem hatte er Geld genug. Der suchte tatsächlich nur eine Frau. Vielleicht war Renate Bahnsen gar nicht so verkehrt, wie er dachte.

Beim dritten Paar war der Stand der Dinge leider nicht zu erkennen. Sie redeten nicht besonders viel, tranken Kaffee und hielten ihre Gesichter in die Sonne. Ernst beugte sich ein Stück weiter über das Geländer und bekam von Gudrun sofort einen Knuff in die Seite. »Ernst, bitte, du kannst doch nicht so die Leute anstarren. Was ist denn da?«

»Och, nichts«, sofort lehnte er sich zurück. »Ich dachte nur, ich kenne das Paar, das da neben dem Aufgang sitzt. Ich habe überlegt, woher.«

Gudrun folgte seinem Blick, in dem Moment sah die Frau hoch und winkte. Ernst zog den Kopf ein, während Gudrun plötzlich überschwänglich zurückgrüßte. »Das sind die Webers«, sagte sie laut. »Sie hat früher bei Blumen Hansen gearbeitet und ihr Mann war beim Ordnungsamt. Hallo!«

»Ach, die sind schon verheiratet?«

Hella kicherte und hielt sich die Hand vor die Augen, während Gudrun beide irritiert ansah. »Seit ungefähr vierzig Jahren. Was ist denn daran komisch?«

»Du, nichts, ich habe mich nur …«

»Da ist sie ja«, plötzlich aufspringend, riss Hella die Hand hoch und winkte. »Elvira, hallo, hier oben sind wir.«

Sofort wandten Gudrun und Ernst sich um und sahen Elvira Sander freudig lächelnd die Treppe zur Terrasse hochsteigen. »Was für ein schöner Tag«, stieß sie begeistert aus, bevor sie die drei anderen begrüßte. »Und was für eine gute Idee, Hella.«

»Das finde ich aber auch«, Gudrun drückte ihre Hand sehr lange. »Ich wusste nicht, dass Sie auch kommen, das ist ja eine nette Überraschung. Wir haben uns gar nicht richtig dafür bedankt, dass Sie uns beim Basar geholfen haben.«

Elvira sah sie gut gelaunt an. »Es hat mir Freude gemacht. Jederzeit wieder. Hallo, Herr Mannsen, das ist nett, Sie wiederzusehen.«

»Ja, freut mich auch.« Ernst erwiderte ihren Händedruck. »Das ist …«

Irritiert fiel sein Blick plötzlich auf Hella, die sich hinter Gudruns Rücken weit über die Balustrade beugte und wild gestikulierte. Elvira ließ seine Hand los und drehte sich um. Sofort hielt Hella in der Bewegung inne und strich sich beiläufig eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Ernst, holst du Elvira einen Hugo? Oder soll ich das machen?«

»Ich mach schon«, sagte er langsam und stand auf. Als er vor dem Selbstbedienungstresen stand, versuchte er herauszufinden, wem Hellas Aufmerksamkeit gegolten hatte. Der Einzige, der nach oben gesehen hatte, war der junge Mann mit dem Handy gewesen. Da hatte Hella sich wohl vergrüßt. Der war doch höchstens zwanzig und Ernst hatte ihn noch nie gesehen.

Er schaute wieder nach vorn, die Frau vor ihm in der Schlange bekam gerade ihren Kaffee gereicht und drehte sich um. Sie zuckte zusammen, als sie ihn sah. »Moin«, sagte sie schnell, während Ernst noch überlegte, woher er sie kannte. Es fiel ihm rechtzeitig ein. »Moin, Frau Carstens«, sagte er und wunderte sich, dass sie so schnell weiterging. Als hätte sie etwas zu verbergen. An der Supermarktkasse, an der sie sonst saß, war sie nie so schnell.

»Was soll es sein?«

»Ähm, ach so, ich bin dran, einen Hugo bitte«, Ernst drehte sich noch nach Frau Carstens um, die zu einem Tisch nach unten ging und sich dort allein hinsetzte. Sie wirkte nervös, fand Ernst, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

Sein Hugo war fertig, er bezahlte, nahm das Glas und ging zurück zum Tisch. Auf dem Weg blickte er noch einmal nach unten. Ein Mann stand jetzt an ihrem Tisch, mit dem Rücken zu Ernst und hatte ihre Hände ergriffen. Ernst konnte ihn nicht erkennen, er sah nur das Gesicht der netten Kassiererin vom Supermarkt. Sie war rot geworden und lächelte ihre Verabredung strahlend an.

Ernst wandte seinen Blick seufzend ab. Wenn er nur wüsste, wie der Mann mit dem weißen SUV aussah. Und wenn er nur wüsste, ob er gerade hier unter den Gästen war. Wenigstens war Hilke nicht aufgetaucht, er hoffte, dass zumindest sie in Sicherheit war. Und jetzt musste er es nur schaffen, dieses fröhliche Hugo-Trinken ohne Aufsehen und besondere Vorkommnisse zu überstehen. So, als würde es diese verrückte App gar nicht geben.