Es war ungewöhnlich windstill, selbst auf dieser Terrasse, die direkt am Kliff lag, in unmittelbarer Nähe zum Meer. Die Ruhe vor dem Sturm, dachte Hella und sah etwas beklommen zu einem Tisch in der Nähe, an dem Martina schon saß und konzentriert in einem Börsenmagazin las. Sie hatte eine kleine Flasche vor sich stehen, sie war tatsächlich die einzige Erwachsene, die Hella kannte, die sich immer Fanta bestellte, wenn sie mal ausging. Und das auch noch als etwas Besonderes empfand.
Seufzend wandte Hella ihren Blick wieder ab und kontrollierte die Uhrzeit. 17 .50 Uhr. Noch zehn Minuten, bis es zum Showdown kam.
Sie hoffte nur, dass Martina die Zeitschrift weglegte, wenn Hellas Date auftauchte. Sonst könnte man sie als Zeugin vergessen. Sie sah noch mal hin, Martina schien völlig vertieft in ihre Lektüre und ihr mondänes Getränk, an dem sie gerade nippte. Hella hustete übertrieben laut, Martina hob den Kopf. Wenigstens das, dachte sie und lächelte zu ihr hinüber, ohne dass es erwidert wurde. Martina lächelte selten.
Es wäre Hella fast lieber gewesen, wenn Ernst als Zeuge am Nebentisch sitzen würde. Schließlich war er von Anfang an derjenige gewesen, der hier eine Gefahr gewittert hatte. Das lag eben an seinem feinen Instinkt. Allerdings war er nicht so cool wie Martina und so bestand die Gefahr, dass er zu früh in die Situation eingreifen würde, noch bevor sie alle Beweise für die kriminellen Absichten auf dem Tisch hätten. Und deshalb hatten sie entschieden, Ernst erst nach dem Treffen davon in Kenntnis zu setzen. Auch, um seine Nerven zu schonen, die im Moment ziemlich blank lagen.
17 .55 Uhr. Hella drehte sich unauffällig um, so langsam könnte er kommen. Obwohl sie schon ihr Leben lang Schauspielerin war, hatte sie immer noch Lampenfieber. Es gehörte dazu, dachte sie, nur so würde sie gleich die Rolle ihres Lebens spielen. Martina würde staunen.
Sie nahm die Getränkekarte in die Hand, als sie die Bedienung an ihren Tisch kommen sah. »Guten Abend, ich hätte gern ein Glas Sekt«, sagte sie. »Vielen Dank.«
»Sehr gern«, die junge Frau verschwand und kam nach sehr kurzer Zeit mit einem Glas zurück, das sie vor Hella abstellte. »Zum Wohl.«
»Danke«, Hella spitzte die Lippen beim Probieren, um den Lippenstift zu schonen, schließlich musste der erste Eindruck überzeugen und durfte nicht von einem ruinierten Make-up zerstört werden. Sie hatte in die Vollen gegriffen. Das knallrote Kleid bestand aus drei Lagen Stoff, der Rock schwang schmeichelhaft um ihre immer noch schmalen Fesseln, der Ausschnitt war tief genug, um aufregend zu sein, aber diskret genug, um Eleganz zu signalisieren. Sie hatte natürlich den exakt passenden Lippenstift aufgetragen, einen perfekten Haarreif gefunden, dazu viel silbernen Schmuck angelegt, sie war bereit. Und egal wie es …
»butterblume02 ?«
Da stand er und sah mit einem charmanten Lächeln auf sie herab. Sie hatte ihn nicht kommen sehen, er hatte sich wie ein Geist angeschlichen.
»gastronom100 «, sie reichte ihm die Hand, er beugte sich zu einem formvollendeten Handkuss hinab. »Sehr erfreut.«
Den Blick auf sie gerichtet, nahm er Platz. »Ein sehr schönes Kleid«, bemerkte er und lächelte noch etwas breiter. »Ich bin beeindruckt. Darf ich Sie zu einem Glas Champagner, ach, ich sehe, Sie haben sich schon dafür entschieden.«
»Oh, ich trinke bestimmt noch ein zweites«, Hella schob sich lasziv eine Locke aus der Stirn, ohne den Blick von ihm zu lassen. Sie hob ihr Kinn und lächelte zurück. Er sah zweifelsohne gut aus, das musste man ihm lassen. Und er bestellte Champagner statt Sekt. Außerdem trug er eine teure Jacke zur Jeans, eine schöne Uhr und sehr angenehmes Parfüm. Er war bestimmt zehn Jahre jünger als sie. Jetzt hob er die Hand und sah sich suchend nach einer Bedienung um. »Dann wollen wir mal den Champagner zum Anstoßen ordern«, sagte er laut, aber es war weit und breit keine Bedienung zu sehen. »Ich glaube, ich gehe mal rein und bestelle. Das geht schneller. Sie entschuldigen mich einen Moment?«
Er berührte sie flüchtig an der Schulter, bevor er mit langen Schritten ins Lokal ging. Als er hinter der Tür verschwunden war, sah Hella zu Martina hinüber, die ihr verstohlen zunickte und ihr Handy hochhielt. Anscheinend hatte sie schon Fotos gemacht, sie wirkte jetzt hoch konzentriert.
Hella hob ihr Glas und trank den Sekt mit zwei Schlucken aus. Gegen das Lampenfieber.
Sie hatte das Glas kaum abgestellt, als gastronom100 schon wiederkam. Er ließ sich auf den Stuhl fallen und lächelte sie an. »Ist in Arbeit. So, ich darf mich aber erst mal in aller Form vorstellen. Ich heiße Christoph, bin in der Gastronomie tätig, seit vier Jahren geschieden, leider Workaholic, aber mit den besten Absichten, das zu ändern, mit Leidenschaft für gute Küche und beste Weine und außerdem begeisterter Tänzer. Und natürlich beantworte ich jede Ihrer Fragen gern.«
»Aha«, Hella beugte sich ein kleines Stück vor, damit ihr Dekolleté besser zur Wirkung kam. »Das klingt ja spannend. Was genau machen Sie denn in der Gastronomie?«
»Was glauben Sie?«, sein tiefer Blick wirkte geübt. »Und verraten Sie mir auch Ihren Namen? butterblume02 ?«
»Aber ja«, Hella lachte gurrend, so wie sie es damals für die Rolle der femme fatale in diesem schlechten Krimi geübt hatte. »Ich heiße Hella. Und ich würde mal tippen, dass Sie hinter einer sehr edlen Bar stehen und umwerfende Cocktails mixen.«
Er lachte auf, genauso wie im selben Krimi Hardy gelacht hatte, der jugendliche Liebhaber, der in Wirklichkeit der Mörder war. »Barkeeper? So sehen Sie mich also. Hella, das ist ja …«
»Zwei Champagner?«, die Bedienung nahm zwei Gläser vom Tablett und stellte sie auf den Tisch. »Zum Wohl.«
»Danke«, er blickte ihr kurz nach, dann reichte er Hella ein Glas und sah ihr tief in die Augen. »Ich trinke auf einen schönen Abend, Hella. Und ich danke dieser wunderbaren App, die uns zueinandergeführt hat.«
Sie prosteten sich zu und tranken, Hella stellte ihr halb leeres Glas zurück und schlug die Beine übereinander. »Also? Barkeeper?«
»Nein«, er hatte nur genippt, behielt sein Glas aber in der Hand. »So habe ich zwar mal angefangen, aber ich habe sofort gemerkt, dass mich das unterfordert. Ich habe immer größer gedacht. Mittlerweile kaufe ich im Auftrag von Investoren kleine Hotels und baue sie zu Luxusherbergen um. Das habe ich schon überall auf der Welt gemacht und jetzt gerade ist diese Insel an der Reihe. Das ist natürlich eine Traumaufgabe. Und Sie? Was macht eine Frau Ihres Formats auf einer Insel?«
Hella trank den Champagner aus und erinnerte sich plötzlich an den Blick der Marlene, in dem Liebesfilm in der Bretagne, in dem sie damals mitgespielt hatte. Etwas von unten, ein kleines Zwinkern, ein lasziver Augenaufschlag und dann … aus dem Augenwinkel sah sie Martina, die dicht an ihrem Tisch vorbeiging und hinter dem Rücken von Christoph-gastronom100 eine unmissverständliche Geste machte. Sie verschwand in Richtung Lokal, während Hella wieder normal guckte und nach ihrer Tasche griff. »Behalten Sie die Frage im Kopf, ich gehe mir nur mal schnell die Nase pudern.«
»Kommen Sie schnell zurück, Hella«, raunte er ihr zu und sah dabei etwas schleimig aus. Nicht sehr, nur ein bisschen. Vom Champagner beschwingt, legte Hella ihm kurz die Hand auf die Schulter, bevor sie an ihm vorbeischwebte.
Martina stand so dicht hinter dem Eingang der Damentoilette, dass Hella ihr fast die Tür ins Kreuz geschmettert hätte. Im letzten Moment wich Martina aus, sodass nur ihr Arm getroffen wurde.
»Meine Güte, Martina, wieso klebst du so dicht hinter der Tür?«, Hella sah sie empört an. »Was ist denn los, ich kam gerade in Fahrt.«
»Das habe ich gesehen«, mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb Martina ihren Ellenbogen. »Ich hielt es nur für besser, an dieser Stelle einzugreifen. Du sollst nicht mit ihm flirten, du sollst ihm eine Falle stellen. Und Informationen sammeln.«
»Das mache ich doch«, Hella stellte sich vor den Spiegel und zog sich energisch die Lippen nach. Sie steckte die Kappe wieder auf und sah Martina an. »Ich habe da meine eigene Methode, ich kann ja schlecht mit der Tür ins Haus fallen und ihn nach den anderen Frauen fragen, die er schon getroffen und angepumpt hat.«
»Du solltest nicht so schnell und so viel Champagner trinken«, entgegnete Martina streng. »Man braucht in solchen Situationen einen klaren Kopf. Du musst ihn nach seinem Wohnort fragen. Und wie oft und wie lange er auf der Insel ist. Auch wann er die letzten Male da war, das kann ich mit meinen Daten abgleichen, von denen du nichts wissen musst. Sag ihm, dass du ihn schon mal gesehen hast, allerdings in Begleitung. Und dass du keine Frau für eine Nacht bist.«
»Was?«
»Wie? Was?«, Martina hob die Schultern. »Das war ein Dialog in Liebe am Meer . Habe ich im Kino gesehen. Ich bin keine Frau für eine Nacht, hat sie gesagt. Und er hat geantwortet: Dann machen wir eben mehr daraus. So kannst du doch auf ein nächstes Treffen hinarbeiten. Denk dran, du musst ihn in jedem Fall noch mal treffen, wir müssen uns zwischendurch besprechen.«
»Keine Frau für eine Nacht …«, Hella schüttelte sich und warf einen abschließenden Blick in den Spiegel. »Überlass mir die Dialoge, Martina, ich bin die Schauspielerin. Und ganz dicht dran. Ich gehe zuerst. Zähl langsam bis zwanzig, er muss uns nicht zusammen sehen.«
Er stand sofort auf, als sie zurück an den Tisch kam und schob ihr den Stuhl zurecht. Sie lächelte und registrierte ein neues Glas Champagner, das er in der Zwischenzeit bestellt hatte. »Danke«, hauchte sie, während sie sich setzte und gleich wieder zum Glas griff.
»Also, wie war die letzte Frage?«
»Was macht eine Frau Ihres Formats auf einer Insel?« Er beugte sich zu ihr und stieß mit ihr an. »Falls die Frage nicht zu indiskret ist.«
Hinter ihm lief Martina entlang, auf dem Weg zurück zu ihrer Fanta, und warf dabei einen strafenden Blick auf das Champagnerglas in Hellas Hand. Hella trank demonstrativ einen Schluck und stellte es wieder hin. »Nein«, lächelte sie. »Ich kenne keine indiskreten Fragen. Tja, wo soll ich da anfangen? Vielleicht die Kurzfassung: Ich bin mit meinem damaligen Mann nach Sylt gekommen, wo wir ein sehr schönes Hotel in Kampen geführt haben. Mit einer legendären Bar. Aber das habe ich nur nebenberuflich gemacht, im Hauptberuf war ich Schauspielerin.«
»Schauspielerin?«, er klang beeindruckt. »Warum überrascht mich das nicht? Sie haben diese besondere Ausstrahlung, ich habe mir schon so was gedacht. Und Sie kommen mir auch irgendwie bekannt vor. Vermutlich habe ich schon Filme mit Ihnen gesehen. Verzeihen Sie mir, ich hätte Sie vermutlich gleich erkennen müssen.«
Hella hob ganz kurz die Augenbrauen. Jetzt fing er wirklich an zu schleimen. Und machte leider den Fehler, sie dabei zu unterschätzen.
Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln: »Wirklich? Ja, das kann natürlich sein. Wissen Sie denn, wie einer der Filme hieß, in denen Sie mich gesehen haben?«
Theatralisch legte er beide Hände auf die Brust. »Ich habe leider ein lausiges Gedächtnis, was Filmtitel angeht, ich kann immer nur sagen, ob sie mir gefallen haben oder nicht. Und die Filme mit Ihnen werden mir bestimmt gefallen haben.« Sein Blick fiel auf ihr mittlerweile fast leeres Champagnerglas. »Darf ich Ihnen noch ein Glas bestellen?«
Hella hörte Martina an ihrem Tisch husten, sie schüttelte leicht den Kopf und antwortete: »Oh, nein, danke. Sonst habe ich gleich einen Schwips.«
Er lachte etwas künstlich, bevor er sich vorbeugte und ihre Hand wie aus Versehen streifte. »Was mich interessieren würde, warum sucht eine Frau wie Sie einen Partner über eine App? Sie können sich doch vermutlich vor Verehrern kaum retten.«
Hella griff zum Glas und trank den Rest aus, um nichts Falsches zu sagen. Er trug zu dick auf, einfach zu dick, es wurde Zeit, es abzukürzen. »Ach, wissen Sie«, sagte sie leichthin und stellte das Glas ab. »Ich habe kein Interesse an irgendwelchen Insulanern, die übrig geblieben sind. Ich will jemanden mit Format. Sie, zum Beispiel, Sie sind doch kein Einheimischer, oder? Sie leben doch bestimmt auf dem Festland und sind nur ab und zu beruflich hier. Das merkt man sofort, Sie haben schon eine gewisse Weltläufigkeit. Und genau so etwas suche ich. Wobei ich natürlich eine unabhängige Frau bin, auch finanziell, ich brauche keinen neuen Ehemann, ich hätte nur gern ab und an etwas Vergnügen.« Genauso dick, dachte sie, aber offenbar merkte er es nicht, er lächelte weiter. »Wo leben Sie?«, fuhr sie fort. »Hamburg? Kiel? Berlin?«
»Überall und nirgends«, antwortete er. »Im Moment wohne ich in einem Hotel, das ich übernehmen werde. Das Deichhotel . Und zwischendurch pendle ich zwischen Sylt und der Zentrale in Hamburg, wo ich natürlich auch eine Penthouse-Wohnung besitze. Ich lebe aber auch auf Mallorca und in Berlin, wie gesagt, überall und nirgends.«
»Sehen Sie«, Hella nickte wohlwollend. »Das dachte ich mir. Aber eins noch …«, sie fuhr ihren Finger aus und tippte kurz mit dem knallrot lackierten Nagel auf seinen Arm. »Ich habe ja ein gutes Gedächtnis, kann es sein, dass ich Sie vor Kurzem mit einer Dame in einem weißen SUV gesehen habe? Ich kenne nämlich die Dame, sie arbeitet für die Gemeinde und der Begleiter sah haargenau aus wie Sie. Es sei denn, Sie hätten einen Doppelgänger.«
»Eine Dame von der Gemeinde?«, er schüttelte sofort den Kopf. »Nein, da müssen Sie mich verwechseln, ich kenne niemanden, der hier bei der Gemeinde arbeitet. Dann habe ich vermutlich doch einen Doppelgänger.«
Hella sah ihn scharf an, er hielt ihrem Blick ohne ein Wimpernzucken stand. Er war offenbar ein geübter Lügner und dabei sehr überzeugend. Sie hatte auch nichts anderes erwartet. »Na gut«, sagte sie schließlich und ließ ein Lächeln aufblitzen. »Dann habe ich mich wohl geirrt. Das ist schön. Ich halte nicht viel von Konkurrenz in der Liebe.«
»In der Liebe?« Jetzt war sein Lächeln wirklich schleimig. »Das klingt ja aufregend. Darf ich Sie dann vielleicht in den nächsten Tagen zum Essen einladen? In die Sansibar ? Samoa ? Restaurant Strandliebe ? Suchen Sie sich das Schönste aus, Sie sind mein Gast.«
»Ich überlasse Ihnen die Wahl, Christoph«, sie hauchte den Namen so erotisch, wie sie konnte, er sollte schon mal nervös werden. »Und an welchem Tag? Vielleicht gleich morgen?«
»Gern«, er griff nach ihrer Hand und hauchte einen Luftkuss auf den Handrücken. »Wenn Sie mir Ihre Nummer geben, rufe ich Sie an.«
»Ich rufe Sie an«, Hella hatte schon ihr Handy aus der Tasche gezogen und ließ den Finger über der Tastatur schweben. »Diktieren Sie mir Ihre Nummer.«
Kurz irritiert sah er sie an, dann nannte er die Handynummer, die sie eingab, ohne sie zu wiederholen. »Danke«, sie schob das Telefon zurück in die Tasche und lächelte ihn an. »Ich rufe Sie morgen Vormittag an, dann können Sie mir ja sagen, wohin wir gehen. Ich freue mich. Und so leid es mir tut, ich habe noch einen nicht aufschiebbaren Geschäftstermin, deshalb muss ich jetzt gehen.«
»Kann ich Sie irgendwohin fahren«, Christoph gab der Bedienung ein Zeichen, dass er zahlen wollte. Gespannt beobachtete Hella, wie seine Hand tastend über die Innentaschen seinen Jacketts fuhr. Als die junge Frau mit der Rechnung am Tisch stand, zückte er gerade seine Brieftasche. Er warf einen kurzen Blick auf den Beleg, dann blätterte er einige Scheine auf den Tisch und sagte: »Stimmt so.«
Mit einem Anflug von Enttäuschung sah Hella die Scheine im Portemonnaie der Bedienung verschwinden. Er hatte bezahlt und sie nicht um Geld gebeten. Damit hätte sie jetzt nicht gerechnet.
»Und?«, er steckte die Brieftasche wieder weg und wiederholte seine Frage: »Kann ich Sie noch zu Ihrem Termin fahren?«
»Ach, warum nicht?« Hella nestelte an einem Ohrring und hob die Stimme, damit Martina sie auch hören konnte. »Ich habe den Termin im Gogärtchen . In der Whiskeymeile. Gleich hier um die Ecke, wenn Sie mich da absetzen könnten, wäre das sehr nett.«
Sie sah sofort das Interesse in seinen Augen, vermutlich fragte er sich, welche Art von Geschäften sie wohl in einer Bar, in der die Schönen und Reichen der Insel verkehrten, machte.
Deshalb neigte sie sich zu ihm und raunte: »Die besten Geschäfte werden auf der Insel in irgendwelchen Bars gemacht. Und da ich nicht mehr über einen Gatten verfüge, der sich um diese Dinge kümmert, muss ich das leider selbst übernehmen. Obwohl ich viel lieber jetzt noch mit Ihnen hier sitzen bleiben, übers Leben und die Liebe plaudern und Champagner trinken würde. Gehen wir?«
Er stand sofort auf und ließ ihr den Vortritt. »Meine liebe Hella, das holen wir morgen alles nach.«
Aus dem Augenwinkel sah Hella Martina den Kopf schütteln.
Sie musste tatsächlich ins Gogärtchen gehen, weil Christoph, alias gastronom100 , so lange in seinem weißen SUV vor dem Eingang wartete, bis sie das Lokal betreten hatte.
»Ach, Sie fahren ja tatsächlich einen weißen SUV «, hatte sie unbekümmert gesagt, als er ihr auf dem Parkplatz die Tür aufgehalten hatte. »Und Sie sind sich sicher, dass Sie mir nie mit Frau Petersen entgegengekommen sind?«
»Ich schwöre«, hatte er lachend gesagt und zwei Finger gehoben. »Ich kenne wirklich keine Frau Petersen.«
Sie hatte nicht nachgehakt, aber jetzt stand sie im Gogärtchen und musste das Erlebte erst mal verarbeiten. Kurz entschlossen setzte sie sich an den Tresen. »Ich hätte gern einen Eierlikör«, sagte sie zum Barkeeper, der keine Miene verzog und ihr das Glas hinstellte.
Hella trank ihn in einem Zug aus und stellte das leere Glas etwas zu laut auf den Tresen. »Und dann möchte ich gleich zahlen.«
Während sie aufs Wechselgeld wartete, überlegte sie, ob es ein Fehler gewesen war, gastronom100 nicht gefragt zu haben, was das denn für ein hübsches Tuch auf der Rückbank sei. Es wäre interessant gewesen, seine Antwort zu hören, zumal sie die richtige kannte. Sie war gespannt, was Ernst dazu sagen würde.
Martina wartete mit laufendem Motor vor der Tür auf sie. »Na, endlich.«
»Ich musste etwas bestellen, sonst wäre das unhöflich gewesen. Und er ist einfach nicht weggefahren, solange ich draußen stand.«
Sie stieg ein und schnallte sich an: »Wie verzweifelt muss man sein, um auf einen solchen Schleimer reinzufallen?«
»Sehr verzweifelt«, Martina legte den ersten Gang ein und löste die Handbremse. »Ich habe ihn aus verschiedenen Winkeln fotografiert, wir haben also Beweise, falls es nötig wird.«
Hella warf Martina einen Seitenblick zu. »Sind wir uns sicher, dass er ein Betrüger ist?«
»Ja«, Martina nickte. »Ich gehe davon aus.«
»Dann hat Hilke tatsächlich ein Problem. Auf der Rückbank lag nämlich ihr Tuch.«
Der laute Ton einer eingehenden SMS ließ Hella sofort zu ihrem Handy greifen. Sie entsperrte es und las den Text. »Es hat geklappt. Gruß Jannis «
»Noch ein Problem?«
»Nein«, Hella lächelte kurz. »Dieses ist gelöst.«