»Mir ist ganz schlecht«, stöhnte Ernst und vergrub sein Gesicht in den Händen. »Wie gehen wir jetzt nur vor?«
»Hör mal eben auf zu stöhnen und hilf mir bei der Entscheidung«, Hella stand plötzlich vor ihm und drehte sich. »Meinst du ein giftiges Grün wäre besser als ein aggressives Rot? Ich meine, ich setze ja ein Statement.«
Ernst nahm die Hände weg und sah hoch. Hella wiegte sich in einem weiten grünen Kleid vor ihm, es war über dem Busen sehr eng, dafür schwang es weit um ihre Knie.
»Kannst du darin atmen?« Ernst betrachtete sie skeptisch. »Es ist sehr grün.«
»Giftgrün«, Hella posierte zufrieden vor einem Spiegel, der in der Ecke stand. »Ich denke, es ist ein Zeichen. Das behalte ich an. Jetzt nur noch meine Tasche, ich hatte doch eine in derselben Farbe, und meine Jadekette …«, sie hockte vor einer Truhe und wühlte konzentriert darin, bis sie schließlich eine giftgrüne Handtasche, ein Tuch und eine Schmuckdose hervorholte. »Alles da«, murmelte sie zufrieden. »Sag mir mal die Uhrzeit.«
»Halb sechs«, Ernst stützte sein Kinn auf die Faust. »Also, wie gehen wir vor? Soll ich auf ein Zeichen warten oder greife ich ein, wenn ich mitbekomme, dass er kein Geld dabeihat? Ich hoffe nur, dass er nicht so leise redet und ich alles verstehen kann. Sonst müssen wir doch ein Zeichen verabreden. Es ist auch zu blöd, dass Martina nicht kann, wie soll ich nur alles im Blick behalten? Und wie soll ich die Entscheidung treffen, ob und wann ich eingreifen muss?«
»Dein Handy klingelt.«
»Vielleicht wäre es besser, die Polizei zu informieren, du hast doch das Tuch gesehen und hast schließlich Beweise … Allerdings würde Hilke dadurch in den Fokus geraten und …«
»Dein Handy klingelt.«
»Ist das meins?«, hektisch suchte Ernst in seiner Jacke nach seinem Telefon. Er sah aufs Display und warf Hella einen alarmierten Blick zu. »Ach, hallo Gudrun, ja, hier ist Ernst.«
Gudrun sprach so laut ins Telefon, dass auch Hella sie verstehen konnte.
»Na, mein Lieber, ich wollte nur mal hören, ob bei dir alles in Ordnung ist, du kommst ja gar nicht wieder.« Sie klang sehr aufgeräumt. Ernst runzelte die Stirn und antwortete vorsichtig: »Natürlich ist alles in Ordnung, es war nur sehr voll im Getränkemarkt und dann bin ich zu Hella gefahren und wir haben hier sehr lange versucht, das Problem zu lösen. Aber jetzt haben wir einen Weg gefunden.«
»Das ist ja schön. Wann kommst du denn nach Hause?«
»Ja, wann? Also ich wollte dich gerade auch anrufen, wir brauchen nämlich noch einen Moment. Das ist alles ziemlich kompliziert. Ihr müsst nicht mit dem Essen auf mich warten, ich kann mir später einfach ein Brot machen.«
»Gut«, Gudruns heitere Stimme irritierte ihn. »Dann bis später und Grüße an Hella. Ach, Mats wollte dich noch mal sprechen, ich gebe ihn dir.«
Es dauerte nur eine Sekunde, dann war Mats’ Stimme zu hören: »Hallo Opa. Bist du auf Mission?«
Ernst presste das Telefon ans Ohr und zischte leise: »Bist du verrückt? Deine Oma hat Mäuseohren und ist bestimmt noch in der Nähe.«
»Ist sie nicht, sie ist gerade reingegangen. Ist was los?«
»Hella hat gleich ein Date. Lange Geschichte, kann ich dir jetzt nicht erzählen, aber so wie es aussieht, waren alle meine Vermutungen richtig. Und es gibt Beweise, dass Hilke tatsächlich in eine dubiose Geschichte verstrickt ist. Wir wissen jetzt, wer ihr Freund ist, und er ist tatsächlich der Verdächtige. Das Restaurant Strandliebe ist der Treffpunkt, wir stellen ihm eine Falle und ich gehe als Zeuge mit. Heute zieht sich die Schlinge zu. Also, lenk Oma ab, nicht, dass sie mich mitten in einer kritischen Situation wieder anruft. Wir fahren jetzt los.«
»Du Opa, hier ist … aua!«
»Was? Mats?«
»Ähm, hier ist alles in Ordnung, dann sehen wir uns später.«
Mats klang irgendwie komisch, deshalb fragte Ernst nach. »Was wolltest du denn eigentlich?«
»Ich wollte nur wissen, was du gerade machst. Dann weiß ich Bescheid. Die Schlinge zieht sich zu. Bis später.«
Er beendete das Gespräch und Ernst schob das Handy zurück in die Jackentasche. »Ich glaube, Mats ist noch verkatert.«
»Wie auch immer, wir müssen jetzt los«, Hella hatte ihre Handtasche unter dem Arm, das Tuch um die Schultern drapiert und hob entschlossen das Kinn. »Lass uns diesen Verbrecher zur Strecke bringen und seine Opfer rächen.«
»Hella hat ein Date«, teilte Mats den um ihn herum sitzenden Damen mit schmerzverzerrtem Gesicht mit, während er seinen Arm rieb. »Im Restaurant Strandliebe . Da fahren sie gleich hin. Du musst mich doch nicht gleich kneifen, das tat weh.«
»Das sollte es auch«, ungerührt betrachtete Gudrun ihren Enkel. »Du wolltest ihn warnen. Aber so leicht kommt er mir nicht davon. Was ist das für ein Date?«
Mit einem Blick auf Hilke sagte er zögernd: »Hella trifft da jemanden, von dem Opa glaubt, dass er ein Betrüger ist. Auf dem Dating-Portal. Und jetzt gibt es wohl Beweise, die auch was mit dir zu tun haben, Hilke. Anscheinend ist dein Freund in eine dubiose Geschichte verstrickt. Und deshalb trifft Hella den gleich. Um ihm eine Falle zu stellen. Opa ist nur Zeuge.«
»Mein …«, verblüfft sah Hilke Mats an. »Das ist doch Unsinn. Ernst und Hella blamieren sich ja bis auf die Knochen. Was hat er denn für Beweise?«
»Das hat er nicht gesagt.« Mats hob die Schultern. »Aber er klang sehr sicher.«
»Dubiose Geschichten?«, mischte sich jetzt Frau Ullrich ein. »Ein Betrüger? Jetzt will ich aber wissen, was da los ist. Wenn es um kriminelle Machenschaften geht, hört der Spaß auf. Ich fahre sofort hin und sehe mir die Sache an.«
»Das ist eine gute Idee«, Gudrun musterte sie nachdenklich. »Wir fahren alle hin. Allein schon, um zu verhindern, dass es aus dem Ruder läuft. Hilke? Was denkst du?«
»Ich kann fahren. Ich bin mit dem Auto hier.«
»Gut«, sie sah zu Mats. »Dann ziehen wir beide uns jetzt um und fahren mit Hilke. Frau Ullrich, fahren Sie schon vor?«
»Darauf können Sie sich verlassen«, resolut nickte sie. »Ich bin sehr gespannt.« Sie drehte sich auf dem Absatz um und marschierte zur Gartenpforte. »Wir sehen uns vor Ort. Bis gleich.«
Mats wartete, bis sie außer Hörweite war, dann murmelte er: »superwoman! Nicht zu fassen.«
»Was?«, Gudrun stieß ihn an. »Du nuschelst. Was hast du gesagt?«
»superwoman! «, wiederholte Mats. »Unter dem Namen hat sie sich angemeldet. Ich hoffe, sie wirft Opa nicht mit Gebrüll zu Boden, wenn sie ihn entdeckt.«
Hilke verbiss sich ein Lachen. »Frau Ullrich nimmt ihren Beruf sehr ernst«, sagte sie. »Sie gilt als ziemlich ruppig, wenn ihr jemand blöd kommt.«
»Oh Gott, es wird gleich endpeinlich«, stöhnte Mats. »Ich bleibe besser hier.« Er hatte immer noch Gudruns Handy in der Hand und reichte es ihr jetzt. »Da muss ich ja nicht …«
»Oh, doch«, unterbrach ihn Gudrun. »Du kommst mit. Du hängst mit drin. Und wenn du glaubst, du könntest Opa warnen, dann hast du dich geschnitten. Umziehen, mein Freund, und zwar zack, zack.«
Keine halbe Stunde später standen sie vor dem weißen SUV . Gudrun umrundete den Wagen und nickte. »Hamburger Kennzeichen? Kommt dein Freund aus Hamburg?«
»Nein«, Hilke schloss das Auto auf. »Der Wagen gehört seinem Bruder. Der wohnt in Hamburg, ist aber für ein Jahr im Ausland und hat ihn hiergelassen. Mats, gehst du nach hinten?«
»Geht er«, Gudrun stieg vorn ein, während Mats auf seiner Seite die große Schramme entdeckte. Er beugte sich hinunter und strich mit den Fingern über das aufgerissene Blech. »Wie ist das denn passiert?«
Hilke hob die Schultern. »Keine Ahnung«, antwortete sie. »Da muss jemand auf dem Hof gegengefahren sein. Es ist sehr ärgerlich.«
»Auf dem Hof«, Mats öffnete die Tür und warf Hilke einen mitleidigen Blick zu. »Echt ärgerlich.«
Sie stiegen ein, Hilke sah ihn im Rückspiegel an, bevor sie nach hinten griff und nach ihrem Tuch angelte, das auf der Rückbank lag.
»Und am ärgerlichsten ist«, sagte sie, »dass wir nicht wissen, wer es war.«
Mats starrte sie nur schweigend an. Hilke startete den Motor und fuhr rückwärts vom Grundstück. »Ich komme gar nicht über diese Geschichte hinweg«, sagte sie dabei. »Es ist alles total verrückt.«
»Das stimmt«, pflichtete Gudrun ihr bei. »Und leider Gottes ist das wieder mal typisch für Ernst und Hella. Die steigern sich immer in solche Dinge rein. Meine Güte, da trifft sich mein Mann mit wildfremden Frauen und hält ihnen Vorträge, was hat der sich nur dabei gedacht?«
Hilke fuhr langsam an die Kreuzung und bog nach rechts ab. »Er hätte mich doch auch einfach ansprechen können. Statt so einen Aufwand zu betreiben, um mich vor irgendetwas zu warnen.« Sie lachte ungläubig. »Die armen Frauen. Die müssen doch ganz geschockt gewesen sein. Die Frau aus dem Strandhotel ist wohl regelrecht vor Ernst geflohen. Hat Sabine erzählt. Die war fast schon traumatisiert. Dabei suchte sie nur einen netten Mann.« Sie passierte jetzt das Ortsausgangsschild und gab Gas. »Wie wollen wir das denn gleich machen?«, fragte sie zögernd. »Soll ich einfach mit Ernst reden? Oder mit Hella? Oder sehen wir uns erst alles aus der Entfernung an?«
»Vielleicht solltest du dir das überlegen, wenn du den Mann gesehen hast, mit dem Hella sich trifft«, sagte Mats plötzlich von hinten. »Nicht, dass da noch eine böse Überraschung kommt.«
»Was für eine böse Überraschung?« Gudrun wandte sich zu Mats um. »Glaubst du ernsthaft, dass Hella sich gleich mit Hilkes Freund trifft?«
»Wer weiß?«, Mats sah seine Oma zweifelnd an. »Opa hat eine Menge Hinweise gesammelt. Hilke, wo ist dein Freund denn jetzt?«
»Mats, bitte«, fuhr Gudrun ihn an. »Jetzt fang nicht auch noch mit dem Blödsinn an.«
»Nein, ernsthaft«, wehrte er ab, »ich will ja nicht unken, aber hast du ihn mal angerufen?«
»Er ist gerade nicht zu erreichen«, Hilke sah wieder in den Rückspiegel. »Aber mach dir keine Gedanken. Wir müssen uns erst mal überlegen, wie wir das gleich anstellen. Gudrun?«
»Das entscheiden wir vor Ort«, antwortete Gudrun entschlossen. »Ich werde spätestens dann eingreifen, wenn mein Mann sich zum Affen macht. Vorher sehe ich mir alles aus sicherer Entfernung an.«