Epilog

Vier Wochen später

Es war ein Sonntagabend im Januar, und wir hatten uns in der Küche über dem Laden eingefunden, um Gittis Abschied gebührend zu feiern. Doris und Gitti werkelten am Herd, Bärbel und ich deckten den Tisch. Typisch, die Frauen machen die Arbeit, könnte man denken, aber das stimmte nicht. Erwin, Frank und Herr Wüllenhorst ackerten unten im Laden, um ihn für die morgige, offizielle Übernahme durch Frank vorzubereiten.

Zwischen Weihnachten und Neujahr hatte ich es tatsächlich noch geschafft, für ein paar Tage zu Diana und Okko an die Nordsee zu fahren. Da der Laden vorübergehend geschlossen hatte und Dennis nicht mit mir rechnete, genoss ich ein paar wunderbare Tage mit meinen Freunden und bei langen Spaziergängen am Strand.

Baghira zog für die Dauer meiner Abwesenheit zu Doris und Erwin, die ihr Butzibärchen todsicher nach allen Regeln der Tierliebe verwöhnten.

Frank, Bärbel und Gitti waren sich rasch einig geworden, und während der letzten beiden Wochen hatte er schon mit ihr im Laden gestanden. Bei den Kunden kam er mit seiner herzlichen Art hervorragend an, wenn man auch allgemein Gittis Rückzug aus dem Geschäft bedauerte. Besonders Frau Sievers war untröstlich, war aber gleichzeitig ein wenig verknallt in Frank, wie mir schien, denn er überhäufte sie mit schmalzigen Komplimenten.

Noch fuhr Frank abends nach Hause, aber Gittis Besitz – zumindest der, den sie mitnehmen wollte – war bereits ein paar Häuser weiter zu ihrem Alfie umgezogen. Wir hatten es hier mit einer Blitzliebe zu tun, wie es schien.

Obwohl – das stimmte nicht ganz: In Wirklichkeit hatten sie sich schon lange geliebt, aber Gitti hatte es nie zugelassen. Dafür war sie jetzt umso glücklicher.

Ich hatte ihr beim Packen geholfen und sie gefragt, ob sie sich mit ihrem raschen Umzug wirklich sicher sei, und sie hatte geantwortet: »Loretta, Schätzchen, in unserm Alter haben wir keinen einzigen Tag zu verschenken. Der Alfie ist der Richtige für mich.«

Am nächsten Tag würden Gitti und Wüllenhorst zu einer längeren Reise – Ende offen – aufbrechen, die sie nach Mallorca führen sollte. Ja, man hatte sich dann doch fürs Warme entschieden.

»Wir können essen«, sagte Doris. »Holt mal einer die Männer?«

Ich ging runter in den Laden, der sich durch dezente Umbauten ein wenig verändert hatte, ohne seinen nostalgischen Charme zu verlieren. Aber nun war alles ein wenig klarer und strukturierter.

»Jungs, es gibt Essen«, sagte ich. »Ihr habt hoffentlich Hunger?«

Eine rein rhetorische Frage, wie ich wusste, und Minuten später saßen wir um den Tisch herum. Als Vorspeise gab es eine fantastische Rinderbouillon mit Eierstich, als Hauptgang servierten sie genau das Essen, das Gitti und ich ein paar Wochen zuvor im Ausflugslokal bestellt hatten – diesmal allerdings in lecker: Rindsrouladen, Rosenkohl und Salzkartoffeln in absoluter Perfektion.

»Lasst uns anstoßen«, sagte Erwin, als Bärbel und ich das Geschirr abgeräumt und in die Spülmaschine gestellt hatten. Er füllte die bereitstehenden Gläser mit Champagner, den sogar ich zur Feier des Tages nicht verschmähte.

Wir ließen die Gläser aneinanderklingen und tranken in der ersten Runde auf Gittis und Alfies glückliche Zukunft; beim zweiten Durchgang auf Bärbels und Franks Start in ein neues Leben.

Mit Tränen in den Augen hob Gitti ihr Glas erneut. »Ihr seid, wat ich mir unter ’ne Familie vorstelle. Ihr habt mir geholfen, als ich Hilfe brauchte, ohne dat ihr ’ne Gegenleistung erwartet habt. Nich so wie Jens.«

»Es tut mir sehr leid, dass er dich so hintergangen hat«, sagte ich. »Das muss dich wahnsinnig enttäuscht haben.«

Gitti zuckte mit den Schultern. »Schon. Aber du mochtest ihn von Anfang an nich, stimmt’s? Dat hätte mir zu denken geben solln. Aber mein Motto ist: Aufstehn, Krönchen richten, weitermachen.«

Ich prostete ihr zu. Sie sah großartig aus: Ein Meister seines Fachs hatte sich inzwischen um ihre Haare gekümmert und ihr einen fetzigen Raspelschnitt verpasst, denn sie hatte sich dazu entschieden, in Ehren zu ergrauen und nicht mehr zu färben. Auch ihre Brauen waren einer kompetenten Behandlung unterzogen worden, was ihr hervorragend stand. Erst jetzt sah man, wie attraktiv sie war. Dass sie vor Glück strahlte, schadete natürlich auch nicht.

»Man stelle sich vor«, sagte Herr Wüllenhorst, »neulich stand dieser Mensch doch tatsächlich abends vor der Tür und wollte sich entschuldigen. Unverschämtheit.«

Frank nickte grimmig. »Im Laden hat ers auch probiert. Na, dem hab ich Beine gemacht. An Arsch und Kragen hab ich den gepackt und raus auf den Bürgersteig gesetzt. Hab ihm gesacht, er hat Hausverbot. Und dat er die Gitti nich mehr belästigen soll, wenn er an seine Zähne hängt.«

»Mein Ritter in strahlender Rüstung.« Gitti schenkte Frank ein liebevolles Lächeln.

»Die er jetzt aber hoffentlich wieder im Schrank lässt«, warf Bärbel ein. »Prügeln darf er sich höchstens einmal im Jahr. Und auch nur, um jemanden zu retten.«

»Hört, hört!«, rief Doris fröhlich. »Immerhin!«

»Auf jeden Fall ist jetzt vom Tisch, dass Gitti und ich verklagt werden sollten«, sagte ich. »Es steht ja fest, dass Kipper den Tod des Lieferanten verursacht hat.«

»Astrid ist noch immer dabei, alles aufzudröseln«, fügte Erwin hinzu. »Natürlich wollte sie von den beiden wissen, was sie an dem Morgen bei Gitti wollten. Die Männer behaupten, sie hätten nur mit ihr reden wollen. Solange sie bei dieser Geschichte bleiben …« Er zuckte mit den Schultern. »Und selbstverständlich packt niemand darüber aus, wer der zweite Typ war, als Gitti den Schlüsselbeinbruch erlitt. Wahrscheinlich irgendein Kerl aus dem Rotlichtmilieu, der für ein paar Kröten angeheuert wurde. Dombrowski hat für diesen Zeitpunkt jedenfalls ein Alibi.«

»Hat er denn nun an der Bank mitgebaut?«, fragte ich.

Erwin nickte. »Allerdings. Deshalb kannte er den Grundriss genau. Dort hatte er auch sein Firmenkonto. Trotzdem wäre er wohl nicht auf die Idee gekommen, bei diesem Plan mitzumachen, wenn ihm nicht ausgerechnet diese Bank – seine langjährige Hausbank – den Kredit gekündigt hätte. Svetlana und Kipper hat er auf dem Kiez kennengelernt. Eins hat sie verbunden: Sie haben davon geträumt, reich zu sein. Irgendwann ging es um einen Banküberfall, und dann kam eins zum anderen.«

»Der Junge soll sich wat schämen. Und dann hat er auch noch versucht, die Melanie mit reinzuziehen … wat ist jetzt mit ihr?«, fragte Gitti, die natürlich mittlerweile über jedes kleine Detail Bescheid wusste.

»Melanie Hoffmann? Astrid hat natürlich mit ihr gesprochen und hat erzählt, Frau Hoffmann sei wie vom Donner gerührt gewesen, als sie erfuhr, was ihr neuer Lover im Schilde geführt hatte.«

Ich hob die Brauen. »Das hat sie ihr geglaubt?«

Erwin zuckte mit den Schultern. »Sie sagt, die Hoffmann hätte glaubwürdig gewirkt. Und es passt ja auch dazu, dass Svetlana am Telefon gesagt hatte, Dombrowski müsse mit ihr endlich zu Potte kommen.«

»Dat ich mich in Svetlana so getäuscht hab …« Gitti schüttelte den Kopf. »Ich bin so wat von dämlich.«

»Unsinn«, sagte ich. »Du bist ein netter Mensch, der anderen Menschen nicht automatisch misstraut. Ich fand sie auch nett. Aber manchmal deckt Kommissar Zufall Dinge auf, die sehr gut verborgen waren. Wenn ich nicht zufällig das verräterische Telefonat gehört hätte …«

»Und wenn Dombrowski und Kipper bei ihrer Flucht nach dem Vorfall mit dem Lieferanten auf der Straße nicht so laut gestritten hätten, dass Frau Sievers zufällig Kippers Namen aufschnappen konnte …«, sagte Erwin.

»… dann würden wir heute nich so fröhlich zusammensitzen und feiern«, verkündete Gitti. »Und darauf trinken wir!«

Wir leerten an diesem Abend noch so manches Gläschen, und sowohl das frischverliebte Paar als auch Frank und Bärbel starteten – wie zu erfahren war – mit einem Kater in ihr neues Leben.

Aber irgendwas ist ja immer.