KENNA
Laute Stimmen hinter mir. Wir springen auf, als zwei Männer mit Taschenlampen die Lichtung betreten. Einer ist stämmig mit einem buschigen blonden Vollbart, der andere etwas schlanker und dunkelhaarig.
Beide haben identische dunkelblaue Polohemden zu beigefarbenen Cargoshorts an und tragen große Reisetaschen über der Schulter.
Die beiden bedeuten Ärger, das sehe ich daran, wie sich die Sippe sofort zu einem engen Grüppchen zusammenfindet – die Mannschaft, die sich mit einem Gegner konfrontiert sieht. Es ist genau wie bei meiner Ankunft, mit dem Unterschied, dass ich diesmal ein Teil der Mannschaft bin. Victor legt besitzergreifend den Arm um Sky, und Jack nimmt Mikkis Hand – das sehe ich bei den beiden zum ersten Mal.
»Ihr seid eine Woche zu früh dran«, ruft Sky den Männern zu.
»Kann sein, dass ein Zyklon kommt«, gibt der Bärtige zurück. »Wir dachten, wir kommen, solange es noch geht.«
»Zyklone kommen nie so weit südlich«, ruft Jack.
»Der hier laut Vorhersage vielleicht schon.« Der Bärtige entdeckt mich. »Na, was haben wir denn da? Eine Neue. Das kostet Aufschlag.«
Clemente rückt näher an mich heran, bis unsere Schultern sich berühren.
»Ist das andere Mädchen zurückgekommen?«, fragt der Dunkelhaarige.
»Nein«, sagt Sky.
Redet er von Elke?
Sky geht auf die beiden zu. Victor macht Anstalten, ihr zu folgen, doch sie hält ihn davon ab. »Ich regle das.«
Victor bleibt sichtlich aufgewühlt zurück, während die Männer mit Sky verhandeln. Ryan ist derweil dabei, das Feuer neu zu entfachen.
»Wer sind die beiden?«, frage ich Jack und schaue ihn böse an, um ihn wissen zu lassen, dass das Thema mit den betäubten Frauen für mich noch nicht erledigt ist.
»Northy und Deano«, antwortet er. »Die Parkaufseher.«
Ich kann die Embleme auf ihren Hemden erkennen: New South Wales National Parks.
»Das mit der Bucht hatte sich rumgesprochen«, sagt Jack. »Keine Ahnung, wie, sie steht in keinem Surfführer, aber in der Saison wurde es manchmal ziemlich voll, deshalb hatte Sky die Idee, einen Deal mit Northy auszuhandeln. Das ist der Blonde mit dem Bart.«
»Die Straßensperre«, sage ich.
»Genau.«
»Wie lange steht die schon da?«
Jack schielt zu Mikki. »Schon bevor du dazukamst, oder? Seit ungefähr einem Jahr?«
Mikki nickt. Ich will sie fragen, ob sie weiß, dass Jack Frauen unter Drogen gesetzt hat, aber dies ist eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt dafür. »Es gab ein schlimmes Unwetter, das zu Steinlawinen geführt hat«, fährt Jack fort. »Das war gutes Timing. Wir haben gerade so viel davon weggeräumt, dass wir noch vorbeikamen, und die beiden gebeten, die Straßensperre stehen zu lassen.«
»Wow«, sage ich. »Und das haben sie gemacht?«
»Nicht umsonst.«
»Und niemand hat sich beschwert?«
»Wer sollte sich denn beschweren?«, sagt Jack. »Wir sind hier mitten im Nirgendwo. Es gibt mehr als genug andere Surfstrände, die leichter zu erreichen sind.«
»Wie oft kommen die beiden denn vorbei?«
»Normalerweise immer am ersten Montag des Monats.«
Auf einmal frage ich mich, welche Art von Bezahlung sie verlangen.
Ein kalter Windstoß fegt über die Lichtung. Zweige schaukeln, Sträucher erzittern. Ich schlinge mir die Arme um den Leib. »Wie bezahlt ihr sie denn?«
Jack sieht mich komisch an. »Mit Geld, wie denn sonst? Hin und wieder auch mit einem Surfbrett, wenn wir nicht genug Bares haben.«
Ich mustere ihn und möchte ihm gerne glauben.
Sky kommt mit missmutigem Gesicht zurück. »Okay, hört zu. Es sind dreihundert pro Nase.«
Zwischen den anderen entbrennt eine heftige Diskussion.
»Beruhig dich«, weist Sky Victor zurecht.
»Warum so viel?«, will Ryan wissen.
»Angeblich höhere Instandhaltungskosten«, sagt Sky. »Mir gefällt das auch nicht, aber wir haben keine Wahl.« Ihr Blick wandert zu mir. »Sind dreihundert in Ordnung für dich, Kenna?«
Ich zucke zusammen. »Ja, sicher.«
Sie lächelt entschuldigend. Anscheinend wollen sie Bargeld haben, also gehe ich in mein Zelt und nehme dreihundert Dollar aus meinem Portemonnaie. Ich beklage mich nicht über die Kosten – ein Hotel wäre viel teurer, und ich habe noch nichts zum Essen beigesteuert. Allerdings wünschte ich, ich hätte mehr Geld abgehoben, als ich die Gelegenheit dazu hatte.
»Ihr müsst sie also jeden Monat bezahlen?«, frage ich.
»Ja«, sagt Sky.
»Das kommt mir ziemlich viel vor.«
»Für Wellen wie diese?«, sagt Victor. »Dafür würde ich jeden Preis bezahlen. Du etwa nicht?«
Wieder beschleicht mich der Eindruck, dass es hier Geheimnisse gibt, die dicht unter der Oberfläche lauern.
Nachdem Northy das Bargeld eingesteckt hat, schlendern er und Deano herum und schauen sich alles an, als gehörte es ihnen.
Northy kommt zu uns. »Sieht nett aus hier.« Bei diesen Worten fixiert er mich. »Kann sein, dass wir über Nacht hierbleiben müssen. Was meinst du, Deano?«
»Hört sich gut an«, sagt Deano.
Sie verschwinden über einen der Pfade und kommen wenig später mit einer Kiste Bier und einem Zelt zurück.
Northy öffnet eine der blauen Dosen. »Prost. Was gibt’s zum Abendessen?«
»Wir haben schon gegessen«, sagt Sky.
»Dann bedienen wir uns selbst«, sagt Northy.
Er und Deano gehen zum Grill. Bestürzt sehe ich zu, wie sie unsere Vorräte durchwühlen. Sie bringen alles durcheinander.
Ich wende mich an die anderen, um zu sehen, was die davon halten. »Lasst ihr das einfach zu?«
»Wenn wir uns beschweren, treiben sie bloß den Preis in die Höhe«, sagt Jack.
»Victor hat Northy mal als Sackgesicht bezeichnet, von da an war die Gebühr doppelt so hoch. Sky hat uns verboten, mit ihnen zu reden. Sie ist die Einzige, die mit ihnen verhandelt.«
Northy hat einen Rest Pasta entdeckt. »Nicht übel!«, ruft er. »Fehlt nur ein bisschen Salz.«
Deano leert seine Bierdose und öffnet gleich eine neue.
»Hey, das ist meine Gitarre«, ruft Ryan, als Northy das Instrument grob packt.
»Ich probier nur mal kurz«, sagt er.
Ryan stößt einen halblauten Fluch aus.
»Hör auf«, faucht Sky. Die anderen wollen, dass Ryan die Sache auf sich beruhen lässt, das ist deutlich zu spüren.
Ein Lori, der nichts von der angespannten Situation bemerkt, schwingt sich in einem nahe gelegenen Baum von Ast zu Ast wie eine Turnerin am Stufenbarren und bedient sich dabei an den Blüten.
Sind Männer betrunken, scheinen sie unweigerlich in eine von zwei Kategorien zu fallen: Es gibt die, die lustig werden, und die, die aggressiv werden. Northy zählt eindeutig zur zweiten Sorte. Er ärgert sich über die Beutel, in die wir das Essen verpackt haben, und reißt jeden einzelnen ungeduldig auf, und über den Grill, dem er einen heftigen Tritt verpasst, weil er sich, verdammt noch mal, ein bisschen beeilen soll.
Wir schauen aus sicherer Entfernung zu.
»Er hat was von einem Zyklon gesagt«, sage ich irgendwann.
»Nee«, meint Jack. »Nicht so spät im Jahr. In all der Zeit, die wir schon hier sind, hatten wir nur einen einzigen.«
»Was passiert während eines Zyklons?«
»Heftiger Regen und starker Wind«, sagt Jack.
»Und hohe Wellen«, fügt Victor hinzu.
Nachdem Northy und Deano fertig sind, helfe ich Sky dabei, das Essen wieder einzupacken – beziehungsweise das, was noch davon übrig ist. Überall liegt geriebener Käse herum. Das Käsestück selbst finde ich im Dreck. Seufzend werfe ich es in die Mülltüte.
»Scheiße«, sagt Sky. »Sie bauen ihr Zelt direkt neben deinem auf.«
Ich drehe mich um.
»Du kannst da nicht schlafen.«
»Wo soll ich denn dann hin?«
»Keine Ahnung, jedenfalls nicht in dein Zelt.«