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SECHS MONATE ZUVOR

Es war leichter als gedacht, jemanden zu ertränken. Nach ungefähr einer Minute hörte Elke auf zu strampeln, obwohl sie während unserer Trainingseinheiten über zwei Minuten lang die Luft anhalten konnte. Panik ist wirklich der Tod. Die Wellen schoben mich hin und her, als wollten sie, dass ich von ihr abließ, aber ich hielt ihre Schultern unerbittlich fest. Ihre blonden Locken schwebten wie Seegras im Wasser und kitzelten mich an den Beinen. Während ich die Sekunden zählte, schaute ich mich um und suchte in der Landschaft nach einem schönen Anblick. Als ich oben auf den Klippen eine Bewegung wahrnahm, versteifte ich mich. Stand da etwa jemand? Nein, das waren nur die Bäume, die sich im Wind wiegten.

Vorsichtig ließ ich Elkes Schultern los. Sie bewegte sich nicht mehr.

Ich mochte dich, Elke, aber du mochtest mich nicht. Jedenfalls nicht genug.

Weil ich noch ein letztes Mal ihr Gesicht sehen wollte, drehte ich sie um. Und ließ sie mit einem Aufschrei wieder los. Ihr Mund war weit geöffnet wie bei einem Fisch, ihre Augen waren blutunterlaufen und traten aus ihren Höhlen hervor. Ich atmete langsam ein und versuchte, das Bild aus meinem Gedächtnis zu tilgen. Dann zog ich sie aus dem Wasser. Ihr lebloser Körper war erstaunlich schwer. An ihren Schultern waren zu beiden Seiten der Bikiniträger rote Fingerabdrücke zu sehen. Verdammt! Vermutlich würde ihre Leiche irgendwann angespült werden – hoffentlich Meilen weit weg von hier. Aber es musste nach einem Unfall aussehen.

Ich entdeckte ein Stück Schiefer am Strand, schleifte Elke über den Sand und bearbeitete mit dem scharfkantigen Stein die straffe Haut an ihren Schultern. Blut trat hervor und tropfte auf die Erde. Fluchend zog ich sie zurück ins flache Wasser und merkte mir, wo das Blut war. Sobald ich mit ihr fertig war, würde ich es beseitigen.

Ich legte Elkes Leichnam über mein Knie und rieb mit dem Stein hin und her, bis die Fingerspuren verschwunden waren. Falls man sie fand, würde es so aussehen, als hätte ein Hai sie gebissen. Hinterher warf ich den Stein weg und schleifte sie noch ein Stück in Richtung Norden, wo der Brandungsrückstrom am stärksten war. An diesem Tag war er besonders heftig. Blut lief aus ihren Wunden und färbte sich orange, als es sich mit dem Wasser vermischte. Ich wollte, dass ein Hai sie fand, aber nicht jetzt sofort. Nervös sah ich mich im Wasser um. Kurz nachdem meine Zehen den Kontakt zum Meeresgrund verloren hatten, riss die Strömung mir Elke aus den Händen, und sie verschwand in der Tiefe.

Einige Zeit zuvor war mir meine neue Sonnenbrille ins Wasser gefallen, und ungefähr so fühlte ich mich jetzt: Ich war traurig, sie verloren zu haben, hatte sie aber noch nicht lange genug besessen, um sie wirklich lieb zu gewinnen. Und ich ärgerte mich, weil der Verlust bedeutete, dass ich eine neue besorgen musste.

Zurück auf der Lichtung stellte ich erleichtert fest, dass alle noch schliefen. Ich briet Speck und Eier zum Frühstück.

Nach kurzer Zeit begannen sich die anderen zu fragen, wo Elke abgeblieben war.

»Ich habe sie nicht gesehen«, sagte ich. »Vielleicht ist sie in aller Frühe joggen gegangen.«

Die anderen beschlossen, ebenfalls joggen zu gehen – am Strand. Ich fluchte im Stillen und stellte mir vor, wie Elkes Leiche mit ihren blicklosen Augen und weit aufgerissenem Mund im flachen Wasser dümpelte. Nicht auszudenken, wenn sie angeschwemmt wurde, während sie am Strand waren!

»Ich komme gleich nach«, sagte ich.

Kaum dass sie weg waren, schlüpfte ich in Elkes Zelt, wo sie alle ihre Klamotten wie einen Flickenteppich auf der Bodenplane ausgebreitet hatte. Es roch nach gerösteten Erdnüssen. Ich stopfte die Sachen in ihren Rucksack. Jetzt war die Bodenplane freigeräumt und knisterte unter meinen Knien. Moment mal – wo war ihr Daypack? Es war blau – Rip Curl oder Billabong, irgendein Surflabel. Weil ich wusste, dass einer der anderen jeden Moment zurückkommen konnte, um nachzusehen, weshalb ich so lange brauchte, kroch ich hastig ins Freie und suchte in den anderen Zelten und überall auf der Lichtung. Das Daypack war nicht da. Konnte es in einem der Autos liegen? Nein. Dann hätte ich sie damit gesehen, als wir das letzte Mal einkaufen waren. Scheiße!

Ursprünglich hatte ich vorgehabt, ihr Gepäck irgendwo im Gebüsch zu verstecken, aber das machte keinen Sinn, wenn ihr Daypack fehlte. Es hätte zu viele Fragen aufgeworfen, wenn es irgendwann wieder aufgetaucht wäre. Die anderen wussten, dass sie es niemals zurückgelassen hätte.

Bestimmt fragten sie sich schon, wo ich blieb. Ich musste zu ihnen gehen und mir beim Joggen eine Strategie zurechtlegen. Ich ging zu meinem Zelt, um die Sonnencreme zu holen – und fand eine leere Packung Sex Wax mit einer Nachricht darauf.

Ich weiß, was du getan hast. Um Mitternacht oben an den Klippen.