MIKKI
Als Surf-Fotograf war es Kasim gewohnt, hin und wieder mal Bretter abzubekommen. Was machte eins mehr da schon aus? Das erste Mal, als ich versuchte, ihn zu überfahren, tauchte er noch rechtzeitig unter, beim zweiten Mal traf ich ihn am Ohr. Aber aller guten Dinge sind drei – beim dritten Mal traf ich ihn mit meinem Brett am Kopf, und er ging unter wie ein Stein.
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Kenna so heftig um ihn trauern würde. Ich dachte, alles würde wieder so werden, wie es gewesen war, bevor sie ihn kennengelernt hatte, doch stattdessen igelte sie sich ein, hängte das Surfbrett an den Nagel und zog nach London.
Ohne sie war es in Cornwall nicht mehr dasselbe. Ich beschloss, noch einmal ganz neu anzufangen, und besorgte mir ein Working-Holiday-Visum für Australien. Elke übernachtete im selben Hostel wie ich, und wir verstanden uns von Anfang an großartig. Ich war überglücklich, eine neue beste Freundin gefunden zu haben. Sie war eine begeisterte Surferin mit einem Hang zum Leichtsinn und erinnerte mich sehr an Kenna.
Wir trafen Jack und Clemente in der Bar unten im Hostel. Elke flirtete mit Clemente, also flirtete Jack mit mir, und ich machte mit. Sie nahmen uns mit in die Bucht, und wir konnten unser Glück kaum fassen.
Aber dann fing Elke an, mehr und mehr Zeit mit Clemente zu verbringen. Wann immer wir etwas zusammen unternehmen wollten, lud sie ihn dazu ein, sodass wir gar keine Zeit zu zweit mehr hatten. Eines Morgens in aller Frühe fragte ich sie, ob sie mit mir schwimmen gehen wolle: nur wir beide. Erst zögerte sie. Sie wollte lieber mit Clemente im Zelt liegen bleiben.
»Ich sehe dich kaum noch«, beklagte ich mich.
Missmutig willigte sie ein.
»Du hast ein Problem«, sagte sie zu mir, als die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont krochen. »Ich komme damit nicht klar. Du bist zu …« Sie suchte nach dem richtigen Wort. »Besitzergreifend. Mach dich mal locker.«
Ich hatte nicht vor, sie zu töten. Ich war bloß so verletzt.
Nachdem ich ihre Leiche in die Strömung gezogen hatte, erfuhr ich, dass Ryan mich von der Klippe aus beobachtet hatte. Er hatte ihr Daypack und ihren Pass versteckt, ehe ich ihrer habhaft werden konnte. Hinterher schlug er mir einen Deal vor: Seine Ersparnisse waren fast aufgebraucht. Wenn ich ihm jeden Monat Geld gab, würde er den anderen nicht verraten, was er gesehen hatte. Er verlangte nicht viel, jedenfalls zu Anfang nicht, also willigte ich ein.
Nach Elkes Verschwinden wollte Clemente einen Suchtrupp alarmieren. Zum Glück gab es einen Sturm, sodass er zu niemandem Kontakt aufnehmen konnte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass ihre Leiche wieder angespült werden würde, aber weil die Haie sie ziemlich übel zugerichtet hatten, schöpfte keiner Verdacht.
Elkes Worte beschäftigten mich noch lange. Weil Sky mir ohnehin schon dabei half, meine Ängste zu überwinden, sagte ich ihr, dass ich weniger besitzergreifend und nicht mehr ganz so introvertiert sein wolle. Währenddessen wurde Ryan zunehmend zum Problem. Er verlangte immer größere Summen, und ich spürte, dass irgendwann ein Zeitpunkt kommen würde, wo ich nicht länger bereit wäre, seinen Forderungen nachzukommen.
Es war seltsam, als Kenna plötzlich auftauchte. Ich hatte mich gerade von ihr entwöhnt – hatte sie, abgesehen von unseren gelegentlichen Telefonaten, sogar fast vergessen. Und dann stand sie auf einmal vor der Tür und erwartete, dass alles wieder so war wie früher. Und ich wollte es auch – sehr sogar, allerdings glaubte ich nicht daran, dass sie bleiben würde. Dann bemerkte ich, wie Clemente sie ansah, und begriff, dass es eine noch größere Gefahr gab. Wenn die beiden zusammenkamen, würde ich sie noch einmal verlieren. Ich mochte Clemente – er hielt seine Gefühle streng unter Verschluss, so wie ich, und stellte nie unangenehme Fragen. Aber er durfte nicht zwischen Kenna und mich kommen. Ich machte ihr gegenüber Andeutungen, dass er gefährlich sei, aber das schien sie nicht abzuschrecken.
Eines Tages wollte Ryan dreitausend Dollar von mir haben. Das war zu viel.
»Ich habe Elkes Pass«, rief er mir ins Gedächtnis. »Er beweist, dass sie das Land nie verlassen hat. Wenn du nicht zahlst, schicke ich ihn zusammen mit deinem Namen an die Polizei.«
Ryan wollte die Polizei genauso wenig in der Bucht haben wie ich, aber er kannte meine Adresse in Sydney, und ich durfte das Risiko nicht eingehen. Ich gab ihm dreihundert Dollar – das sei alles, was ich noch hätte, sagte ich, für mehr müsste ich erst zum Geldautomaten. Heimlich folgte ich ihm zur Klippe. Ein beherzter Stoß, und das Problem war erledigt.