21

Lee Callahan war die ganze Nacht über scharf geritten, als schließlich der Morgen graute.

Nicht mehr lange und eine blutgierige Meute würde sich auf den Weg machen, um ihn zu suchen und zur Strecke zu bringen.

Aber er war wild entschlossen, es ihnen so schwer wie möglich zu machen.

Lee hatte nicht eine einzige Pause eingelegt. Die Hufe seines Pferdes ließen ihn über die grasbewachsenen Hügel fliegen.

Stunde um Stunde verging.

Die sanften Hügel gingen langsam in Bergland über.

Schroffe Felsen ragten aus dem Gras heraus. Jetzt, bei Dunkelheit waren es kaum mehr als drohende, finstere Umrisse.

Es war nachts schwierig, sich in dieser Gegend nicht zu verirren.

Lee war nicht allzu oft hier gewesen.

Nur manchmal, wenn sie ausgezogen waren, um Holz zu schlagen, dann war er mit Luke O'Kensey hier hergekommen und sie hatten sich ein paar schöne Bäume ausgesucht.

Als diese Erinnerungen, diese Bilder aus glücklicheren Tagen, vor seinem inneren Auge abliefen, ballte er unwillkürlich die Hände zu Fäusten.

Diese Schurken hatten kein Recht gehabt, dies alles einfach mit ein paar Bleikugeln zu zerstören!

Aber Shorter und seine Leute würden nicht so davonkommen, dafür würde er schon sorgen!

Lee Callahan hatte einen tiefen Glauben an die Gerechtigkeit und daran, dass sie sich letztlich durchsetzen würde selbst wenn es im Moment nicht danach aussah.

Er gönnte weder sich noch dem Pferd irgendeine Pause, denn er wusste, dass er sich das nicht leisten konnte.

Als der Morgen graute, hatte er die Bergkette überquert.

Das Land dahinter war deutlich karger, fast eine Einöde.

Lee wusste nicht, was der neue Tag für ihn bringen würde, aber er hoffte, dass die Verfolger nicht allzu schnell auf seine Spur stießen.

Langsam begann er den Hunger ins sich zu spüren.

Der Magen knurrte ihm und hatte keinerlei Proviant bei sich.

Alles, was er in dieser Richtung vorweisen konnte, war eine halbvolle Feldflasche mit Wasser, die am Sattelknauf hing.

Aber der Hunger war nicht das Schlimmste. Er würde noch eine ganze Weile lang ertragen können.

Die Zeit verstrich und Lee verlor allmählich das Gefühl dafür, wie lange er schon im Sattel saß. Die eintönige Landschaft, die sich vor ihm ausbreitete, tat ein übriges dazu.

Dann tauchte vor ihm eine Farm am Horizont auf.

Dort würde er vielleicht Wasser für sich und Pferd und im günstigsten Fall sogar etwas Proviant bekommen. Er ritt näher heran und verlangsamte etwas das Tempo.

Es war nicht zu sehen, ob jemand da war. Die Farm machte alles in allem einen recht heruntergekommenen Eindruck. Aber sie schien noch bewohnt.

Lee hatte sich bis auf eine Entfernung von vielleicht vier Dutzend Schritt genähert, da pfiff ihm plötzliche Kugel um die Ohren und er zog unwillkürlich den Kopf ein.

Seine Hand fuhr zur Hüfte, um nach dem Colt zu greifen.

"Sie lassen besser Ihr Eisen da, wo es jetzt ist!", war eine rauchige Männerstimme zu hören.

Ein weiterer Schuss wurde abgefeuert und peitschte dicht neben Lee den Sand zu einer kleinen Fontäne auf.

Lees Pferd wieherte laut und stellte sich kurz auf die Hinterhand, bevor sein Reiter es wieder unter seine Kontrolle zwingen konnte.

"Das war ein Warnschuss!", rief die Stimme. "Die nächste Kugel sitzt, darauf können Sie Gift nehmen, Mister!"

"Was soll das!", rief Lee. "Ich hege keinerlei feindliche Absichten!"

"Verdammt nochmal, das kann jeder sagen!"

Lee Augen wurden schmal, er nahm die Hand wie einen Schirm vor die Augen, um sich vor der blendend hellen Sonne zu schützen.

Der Mann, der auf ihn gefeuert hatte, befand sich an einem der Fenster.

Lee bemerkte den Lauf eines Gewehrs.

"Vielleicht hätten Sie mal die Güte, Ihr Gewehr in eine andere Richtung zu halten", schlug Lee vor. "Dann können wir uns besser unterhalten!"

"Was wollen Sie hier?"

"Ich würde gerne etwas Wasser aus ihrem Brunnen schöpfen. Ich und mein Gaul sind ziemlich durstig!"

"Hm!", brummte der Mann. Er schien zu überlegen und etwas unschlüssig darüber zu sein, was er tun sollte. Hier draußen in der Wildnis einem Mann das Wasser zu verweigern, das war gegen alle ungeschriebenen Gesetze.

"Ich bin bereit, dafür zu zahlen!", rief Lee ihm zu, als keine Antwort kam.

"Wollen Sie mich beleidigen?", kam es dann sehr ärgerlich zurück. "Ich bin bestimmt kein sanfter Engel, aber ein Halsabschneider bin ich auch nicht. Gehen Sie an den Brunnen und bedienen Sie sich!"

Lee zögerte einen Moment.

Er fragte sich, ob er dem Frieden trauen konnte.

Aber dann stieg er mit entschlossenen Bewegungen aus dem Sattel und zog das Pferd hinter sich her zum Brunnen. Mit den Augenwinkeln sah er einen Mann aus dem Haus treten, der eine Winchester im Anschlag hielt. Seine Haut war an Gesicht und Armen von der Sonne verbrannt.

Die Sachen, die er trug, waren kaum mehr als Lumpen. Auf dem Kopf trug er einen fleckigen Strohhut.

Diese kleinen Farmer hier draußen hatten es weiß Gott nicht einfach...

Lee gab zuerst dem Pferd Wasser, trank dann selbst und füllte zum Schluss die Feldflasche auf.

Unterdessen wurde er von dem Farmer einer eingehenden und misstrauischen Musterung unterzogen.

"Hier draußen ist das Leben nicht einfach!", meinte er. "Es läuft 'ne Menge Gesindel in der Gegend herum. Da muss man schon auf der Hut sein!"

"Dafür habe ich Verständnis."

"Wie heißen Sie, Mister?"

"Ich frage Sie auch nicht nach Ihrem Namen, oder?"

"Sie können ihn gerne wissen: Ich heiße Myers!" Er wirkte nachdenklich. "Haben Sie irgendwelchen Ärger?"

"Was meinen Sie damit?"

Das Gespräch nahm eine Wendung, die Lee nicht gefiel.

"Sie sehen aus, wie einer, der auf der Flucht ist!" Myers, der Farmer, spuckte in den Sand. Er kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen und Lee ahnte bereits, was jetzt kommen würde.

"Vor wem laufen Sie davon, Mister? Vor der Justiz?"

Myers' Haltung verkrampfte sich ein wenig. Einen Moment lang machte es fast den Anschein, als überlegte er, den Lauf des Winchester-Gewehrs in die Höhe zu reißen und seinem Gegenüber ein paar Kugeln in den Pelz zu brennen.

"Na los! Reden Sie schon!"

Lee gab darauf keine Antwort, sondern stellte seinerseits eine Frage.

"Haben Sie auch etwas Essbares? Irgendwelchen Proviant? Ich bin ziemlich abgebrannt, was diese Dinge angeht und würde es Ihnen für einen guten Preis abkaufen! Umsonst will ich nichts!"

Das Gesicht des Farmers entspannte sich ein wenig. Er hob den Gewehrlauf und legte ihn dann über die Schulter, allerdings ohne dabei den Finger vom Abzug zu nehmen.

"Haben Sie überhaupt Geld?"

Lee holte ein paar Dollars aus der Hosentasche und zeigte sie dem Farmer.

"Zufrieden?"

"Junge, Junge, Sie müssen ganz schön in der Bredouille stecken..."

"Verkaufen Sie mir nun was oder nicht?"

Der Farmer machte eine Bewegung mit dem Kopf.

"Wir werden uns schon einig werden!", meinte er. "Kommen Sie mit mir ins Haus."

Er lächelte gekünstelt.

Lee runzelte verwundert die Stirn und folgte ihm.