Lee glaubte, dass ihm nicht mehr genug Zeit blieb, um sich die Wunde an der Seite noch von einem richtigen Doc versorgen zu lassen.
Und so ließ er sich von der Frau einen notdürftigen Verband anlegen. Die Blutung war fürs Erste gestoppt, alles andere würde man später sehen.
Es war bereits weit nach Mitternacht.
Wenn der Zug im Laufe des nächsten Tages in Green River City eintreffen sollte, dann musste er längst aufgebrochen sein. Es hatte also wenig Sinn, jetzt noch ein Telegramm abzuschicken und die Eisenbahngesellschaft zu warnen.
Und irgendeinen Vertreter des Gesetzes, dem er sich anvertrauen konnte, den gab es ja nicht.
Nachdem die Frau ihm den Verband angelegt hatte, knöpfte er sein Hemd zu und wankte zur Tür.
"Ich danke Ihnen, Ma'am", sagte er. "Und Ihnen auch, Sir."
"Ich hoffe nicht, dass wir das eines Tages bereuen", meinte der Mann. "Oft dauert es eine Weile, bis man feststellt, dass man dem Falschen geholfen hat..."
"Er ist nicht der Falsche!", meinte die Frau im Brustton der Überzeugung. "Glaub mir, Rudy, er ist ein anständiger Kerl. Ich habe das im Gefühl."
Dann ging Lee hinaus.
Er fühlte sich müde und zerschlagen und an seiner Seite schmerzte es höllisch.
Aber er musste jetzt durchhalten.
Seine Schritte führten ihn zu einem Mietstall, dessen Besitzer er aus dem Schlaf weckte.
Der Mann, mit dem er es dann zu tun bekam, hieß Quincy und war ein giftiger, alter Zwerg, der in einem fort vor sich hin schimpfte.
Er verfluchte Gott und die Welt und vor allem Lee Callahan, seinen späten, unerwünschten Gast. Dabei paddelte er aufgeregt mit seinen kurzen, aber kräftigen Armen.
Erst als Lee ihm anbot, den doppelten Preis zu zahlen, wurde er etwas umgänglicher.
"Zuzüglich einem Dollar extra!", fauchte er listig.
"Wofür?"
"Für den Sattel." Quincy grinste unverschämt. "Oder brauchen Sie keinen?"
Lee musterte den Kerl ärgerlich.
Quincys Blick wiederum blieb an Lees blutverschmiertem Hemd hängen.
Der Kerl ist nicht auf den Kopf gefallen!, erkannte Lee. Der kann eins und eins zusammenzählen und sich denken, wie wichtig es für mich ist, einen Gaul unter den Hintern zu bekommen!
"Gut", meinte Lee dann.
Es hatte keinen Sinn, zu handeln.
Alles, was er jetzt noch besaß, waren ein paar Cents, die kaum für ein Glas Whisky reichen würden. Aber egal. Es war nicht zu ändern.
Er hatte einfach keine andere Wahl.
"Wohin reiten Sie, Mister?"
Lee runzelte die Stirn. Eine solche Frage gefiel ihm nicht.
"Was geht das Sie an?"
"Nur in sofern, als Sie auf meinem Gaul reiten werden! Und da möchte ich gerne wissen, wo es hingeht - und ob eine Aussicht besteht, dass Sie mir das Tier eines Tages zurückbringen!"
"Ich reite zur alten Silbermine", sagte Lee schließlich.
Es konnte ihm kaum irgendwie schaden, wenn er es den griesgrämigen Mietstallbesitzer wissen ließ. Hauptsache, dieser Kerl machte nicht noch irgendwelche Schwierigkeiten...
Quincy ließ ein freudloses Lachen zwischen seinen Lippen hindurchkommen.
"So, zur alten Silbermine wollen Sie..."
"Was dagegen?"
Er zuckte mit den Schultern.
"Das ist ein übler Ort geworden", brummte er.