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Samstagmorgen, acht Uhr.

T. T. jr. zahnte. Jemand hatte einmal gesagt, dass Babys, die auf einem Stück Rohhaut kauen, bessere Zähne entwickeln als diejenigen, die nur am Daumen lutschen.

T. T. Chesterfield glaubte sich erinnern zu können, dass Ginger Hammersmith diese Behauptung aufgestellt hatte. Seit genau vierzehn Monaten und fünf Tagen war sie seine Schwiegermutter, und obwohl sie in allem besser Bescheid wusste, hatte sie für einmal keine Ahnung, wie am Samstagmorgen um acht Uhr ein brüllendes Baby zum Schweigen gebracht werden konnte.

Auf der Titelseite des San Antonio Daily Express war ein Bericht über die Beerdigung des Banditen Sam Bass auf dem Friedhof in Round Rock abgedruckt. Nichts über Babys und Zähne. Nichts über den Umgang mit Schwiegermüttern.

Unausgeschlafen und ohne Lust, auf ein Frühstück zu warten, machte sich T.T. Chesterfield auf den Weg, und das Gebrüll seines Sohnes folgte ihm auf die Straße hinaus und einige Häuserblocks hinunter. Dann fuhr ein von Ochsen gezogener Frachtwagen vorbei, und T. T. jr. war nicht mehr zu hören.

T. T. Chesterfield bog von der St. Mary Street in die Villita Street ein, die hinunter zum San Antonio River führte. Holzhäuser säumten zu beiden Seiten die Straße. Kinder spielten in den Gärten, unter verkrüppelten Eichenbäumen, zwischen Mesquite Sträuchern, die Schatten spendeten.

Es war niemand auf der Straße, die von langen Schattenbahnen in rechteckige Felder aufgeteilt wurde. In einem der kleinen, ärmlich wirkenden Häuser, lärmte eine Frau. Ein Junge kam auf die Straße gerannt, von anderen Kindern verfolgt. Sie spielten Sam Bass. Zurzeit spielten alle Kinder Sam Bass. Texas Ranger hatten ihn und seine Freunde in Round Rock gestellt und getötet.

»He, pass auf, Mister!«, hörte er eine schrille, sich überschlagende Stimme. »Geh von der Straße! Hier wird scharf geschossen!«

Ohne Lust mitzuspielen, das Geschrei seines Sohnes, der die ersten Zähne bekommen sollten, noch immer in den Ohren, ging T.T. Chesterfield weiter. Er fragte sich, ob er die kommende Nacht in einem anderen Hotel verbringen und das was er zu tun hatte, auf den nächsten Morgen verschieben sollte. Schlechter als an diesem Morgen hätten die Umstände kaum sein können. Ausgeschlafen und frisch rasiert ließ es sich besser konzentrieren. Später, nachdem sein Job getan war, würde er selbst Zeit und Muße finden, sich beim, örtlichen Doc zu erkundigen, welche Salben anzuwenden waren, um T. T. Jr. zum Schweigen bringen konnte.

Heute war ein lausiger Morgen.

Ein Mädchen kam aus einer der halb zerfallenen Hütten gelaufen, schmutzig und mit zerzaustem Haar. Die Strümpfe des Mädchens hingen auf die ausgelatschten Schuhe herab.

»Buenas dias, Señor.«

»Hallo.«

Das Mädchen ging auf flinken Beinen neben ihm her. »Wo gehst du hin?«

»Zum Fluss.«

»Was willst du dort unten? Fischen?«

»Nein.«

»Hast du Sorgen, Mister?«

Was sollte er dem Mädchen sagen? Natürlich hatte er Sorgen. Er war erwachsen. Er blickte in das kleine braune Gesicht. Das Mädchen hatte schneeweiße Zähne. Mutti oder Vati waren Mexikaner. Vielleicht beide. Ob sie ihr Rohhaut zum Kauen gegeben hatten?

»Du suchst jemanden, nicht wahr?«

»Spielst du nicht Sam Bass?«

»Ha, das ist was für die Jungen. Was suchst du, Señor?«

Er sah sich um. Da waren andere Mädchen. Warum spielte es nicht mit anderen Mädchen? Warum hatte es keine Puppe wie ein normales Mädchen in diesem Alter? Puppen können allerhand gefragt werden. Puppen waren duldsam.

»Wenn du nicht fischen gehst, suchst du jemanden«, sagte das Mädchen beharrlich. »Ich kenne die Leute hier in unserer Straße. Ich bin hier geboren.«

»Ich gehe baden«, sagte er.

Sie kicherte, hüpfte neben ihm, und er ging schneller, aber er hätte rennen müssen, um sie abzuhängen.

»Du bist fremd hier, Señor. Ich hab dich noch nie gesehen.«

»Ich dich auch nicht«, sagte er.

»Wen suchst du?«

»Niemanden.«

»Niemanden?« Die Enttäuschung war dem Mädchen anzuhören. »Aber ich glaube nicht, dass du baden gehst. Ich glaube, dass du ...«

»Maria!«, ertönte die Stimme einer Frau.

»Das ist meine Moma.«

»Fein. Geh heim. Es gibt Frühstück.«

»Maria!« Danach ein paar Worte auf Spanisch. Gott sei Dank. Gut erzogenes Kind. Gehorchte schon beim zweiten Mal. Wenn nur T. T. jr. wäre wie das Mädchen. Mit kräftigen Zähnen und gehorsam. Hundertmal hatte er ihm am Morgen gesagt, er solle auf der Rohhaut kauen oder wenigstens den Mund halten. Ohne Erfolg. Es hatte sogar Streit gegeben. Ginger war vom Nebenzimmer gekommen, im Nachthemd und mit einer Nachthaube auf dem Kopf und Wattebauschpfropfen in den Ohren

»Der Kleine bekommt Zähne!« hatte sie in einem Ton gesagt, als hätte er selbst nie Zähne bekommen.

Er hatte sich am Vorabend erkundigt, wohin er gehen musste, streifte aber im Vorbeigehen die aneinandergereihten kleinen verwitterten Holzhäuser, die meisten vor Jahren mal weiß gestrichen. Zersplitterte Fensterscheiben, Dächer, die den Regen durchließen. Auf der Straße war Dreck. Konservenbüchsen, Melonenschalen, Zeitungen, Pferdeäpfel. Ein geflecktes, vollgefressenes Schwein suhlte sich träge in einer Pfütze.

Und die Kinder spielten Sam Bass. Sie spielten es seit dem 21. Juli. Heute war der 28. Morgen würde sie etwas anderes spielen.